Hennegau
(lat. Hannonia, franz. le
Hainaut, nach dem Flüßchen
Haine benannt), ehemalige
Grafschaft im nordwestlichen
Deutschland,
[* 2] eine der 17
Provinzen der alten vereinigten
Niederlande,
[* 3] in dem wallonischen Teil derselben, gegenwärtig teils
zu
Belgien,
[* 4] teils zu
Frankreich gehörig, grenzte an
Flandern und
Artois, das Gebiet von
Cambrai, die
Picardie
und
Champagne, das
Stift
Lüttich
[* 5] und die
Grafschaft
Namur.
[* 6] Hennegau
gehörte in der altrömischen Zeit zur
Silva carbonaria und war
die
Heimat der
Nervier.
Seit der Mitte des 9. Jahrh. war es im
Besitz eines mächtigen Grafengeschlechts, der Reginar
(Rainer), die unter
den Frankenkönigen standen, und von denen mehrere auch das Herzogsamt in Niederlothringen verwalteten. Richilde, die
Erbtochter
Reginars V., der 1030 ohne männliche
Erben starb, brachte die
Grafschaft an ihren Gemahl, den
Grafen
Balduin VI. von
Flandern,
der sich in Hennegau
Balduin I. nannte. Die
Grafschaft war von alters her
Allod und nur die gräfliche
Gerichtsbarkeit
sowie die zugehörige
Abtei
Mons
[* 7] Reichslehen. 1070 erwarb der
Bischof Theodwin von
Lüttich die Lehnshoheit über die
Allode und 1071 über
die Reichslehen des
Grafen in Hennegau
, wodurch letzterm die Reichsunmittelbarkeit verloren ging.
Balduin V. von Hennegau
vereinigte zum zweitenmal durch
Heirat mit
Margarete von Elsaß und
Flandern 1191 beide
Grafschaften,
Flandern (mit
Namur) und Hennegau
, miteinander.
Balduin VI. (IX. von
Flandern), ein Sprößling dieser
Ehe, wurde 1204 erster
lateinischer
Kaiser zu
Konstantinopel;
[* 8] seine
Erblande fielen zuerst an seine älteste Tochter,
Johanna, dann 1244 an deren
Schwester
Margarete, die zuerst mit
Burchard von
Avesnes und dann mit
Wilhelm von
Dampierre vermählt war. Im J. 1246 wurde
den
Kindern erster
Ehe Hennegau
, denen zweiter
Ehe
Flandern zugeteilt. Zwischen den
Söhnen aus beiden
Ehen kam es nun zu langwierigen
¶
mehr
Kampfen, in denen sich Margarete auf die Seite der Dampierres stellte; Gegenstand des Zwistes war vornehmlich Reichsflandern.
Doch folgte 1279 nach Margaretens Tod ihr Enkel Johann II. in und erwarb 1299 auch die Grafschaft Holland. Mit Wilhelm II. erlosch 1345 die
männliche Linie der Avesnes in Hennegau.
Des Grafen Wilhelm I., des Guten (1304-37), Tochter Margarete, Gemahlin
Kaiser Ludwigs des Bayern,
[* 10] brachte Hennegau
samt Holland und Zeeland 1345 an das Haus Bayern. Ihre Urenkelin, die ebenso leichtsinnige
wie heroische Jakobäa von Bayern, trat 1433 ihr Erbe an Philipp den Guten von Burgund ab, und so kam Hennegau
mit der
burgundischen Erbschaft 1477 an das Haus Habsburg, bei welchem es (1556-1713 bei der spanischen, dann bei der österreichischen
Linie) bis zur französischen Revolution blieb.
Seit dem Pyrenäischen Frieden (1659) und dem von Nimwegen
[* 11] (1678) war inzwischen der gegenwärtig zum französischen Departement
Nord gehörige südliche Teil von Hennegau
mit der Hauptstadt Valenciennes an Frankreich gekommen; aus dem übrigen
wurde 1815 mit Einverleibung der vormals flandrischen Landschaft Tournaisis, des namurschen Distrikts Charleroi und einiger
Teile von Brabant und Lüttich, welche vorher das französische Departement Jemappes ausmachten, die früher niederländische,
jetzt belgische Provinz Hennegau
gebildet. S. die »Geschichtskarte
[* 12] von Deutschland II«.
Vgl. Duvivier, Recherches sur le Hainaut ancien (Brüssel [* 13] 1866).
Die heutige belgische Provinz Hennegau
(s. Karte »Belgien«) grenzt im N. an die Provinzen West- und Ostflandern und Südbrabant, im O.
an Namur und im S. und W. an Frankreich, hat einen Flächenraum von 3722 qkm (67,6 QM.)
und gehört zu den fruchtbarsten und reichsten Provinzen des Königreichs. Die Oberfläche ist im allgemeinen
eben; im westlichen und südlichen Teil streichen die Ausläufer der Ardennen, nämlich von Frankreich her zieht sich ein Höhenzug,
welcher die Wasserscheide zwischen Maas und Schelde bildet, in nordöstlicher Richtung gegen Anderluis hin, wo er 198 m Höhe
erreicht. Im äußersten Südosten, an den Quellen der Oise (Seinegebiet), steigen die letzten Ausläufer
der Argonnen (bei Rinzes) zu 342 m Höhe an. Der Boden besteht aus Kalk, Thon und Sand und ist am fruchtbarsten um Tournai, am sterilsten
um Charleroi, wo indes das steinige Erdreich zum Teil mit großen Waldungen bedeckt ist.
Bewässert wird Hennegau
von der Schelde, welche den Westen der Provinz durchfließt und an der ostflandrischen Grenze die Ronne aufnimmt,
von der Sambre, welche sich durch den östlichen Teil schlängelt und viele Gewässer Namurs empfängt, von der Dender (mit
der Sille und Marcq), der Haine und den Kanälen von Charleroi (nach Brüssel) und von Mons (nach Condé). Das
Klima
[* 14] ist mild und gesund. Die Einwohner, deren Zahl 1886: 1,029,885 betrug, sind größtenteils Wallonen.
Gegenstand des Ackerbaues bilden vorzüglich Weizen und Flachs, letzterer besonders um Tournai; berühmt sind auch die Spargel von Kain und Froyennes. Wichtig ist der Obstbau, besonders für Tournai und die Umgegend; auch der Runkelrübenbau für die Zuckerfabrikation ist ansehnlich. Unter den Waldungen sind die Forsten von Thiérache und Fagne hervorzuheben. Die Rindviehzucht gedeiht durch den herrlichen Wiesenbau ungemein; die Pferde [* 15] sind groß und stark, die Schafe [* 16] wenig veredelt.
Das bedeutendste Produkt des Bergbaues ist die Steinkohle, welche man in drei Distrikten findet: im Borinage
(zwischen Mons und der französischen Grenze), bei Mons und bei Charleroi. In mehr als 200 Gruben
sind ca. 100,000 Arbeiter in diesem
Zweig thätig. Daneben besteht Bergbau
[* 17] auf Eisen
[* 18] (an der Schelde, Trouille und Maas) und Marmor (um Charleroi). Die Industrie ist
blühend; sie leistet Vorzügliches in Eisen- und Stahlwaren, Leinwand- und Spitzen-, Porzellan-, Papier-, Glas-, Fayence-, Leder-,
Teppichfabrikation etc. Der Verkehr ist sehr lebhaft. Die Provinz zerfällt in die drei zur ehemaligen Grafschaft Hennegau
gehörigen
Arrondissements: Mons, Soignies und Ath und die neu hinzugekommenen: Tournai, Charleroi und Thuin. Hauptstadt ist Mons.
Vgl. Bernier, Dictionnaire géographique, historique du Hainaut (Brüssel 1879).