Helmholtz
,
Hermann Ludwig Ferdinand von, Naturforscher, geb. zu Potsdam, [* 2] studierte in Berlin [* 3] Medizin, ward 1842 Assistent an der Charitee daselbst und 1843 Militärarzt in Potsdam. 1848 wurde er in Berlin Lehrer der Anatomie (für Künstler) und Assistent am anatomischen Museum, ging aber 1849 als Professor der Physiologie nach Königsberg, [* 4] 1855 als Professor der Anatomie und Physiologie nach Bonn, [* 5] 1858 als Professor der Physiologie nach Heidelberg [* 6] und 1871 als Professor der Physik nach Berlin.
Kaum ein andrer Naturforscher der neuesten Zeit hat einen so vielseitigen und auf mehreren Gebieten bahnbrechenden Einfluß
ausgeübt wie Helmholtz.
Dies war nur dadurch möglich, daß seine geniale Erfindungsgabe und experimentelle
Geschicklichkeit geleitet wurden von tiefer philosophischer Einsicht, welche ihn auf fundamentale
Fragen führte, und daß
er das wichtigste Hilfsmittel der
Naturforschung, die
Mathematik, mit vollkommener Meisterschaft beherrschte. In seiner Abhandlung
Ȇber die
Erhaltung der
Kraft«
[* 7] (Berl. 1847) zeigte er, daß alle Vorgänge der
Natur den
Grundgesetzen der
Mechanik gehorchen.
Es wird nämlich zunächst bewiesen: Wenn ein
System materieller
Punkte nur anziehenden oder abstoßenden
Kräften unterworfen ist, welche diese
Punkte aufeinander ausüben, und deren
Intensität lediglich von ihrem gegenseitigen
Abstand abhängt, so gibt es für das
System eine durch alle Zeit konstante
Größe, die man heutzutage gemeiniglich als die
Energiesumme des
Systems bezeichnet.
Sie besteht aus einem lediglich von dem jeweiligen Bewegungszustand der materiellen
Punkte abhängigen Summanden, der sogen.
kinetischen
Energie, und einem von ihrer wechselseitigen
Lage abhängigen, der sogen. potenziellen
Energie.
Beim
Übergang des
Systems von einem Zustand zu einem andern verhält sich die
Summe dadurch konstant, daß die kinetische
Energie um so viel zunimmt, wie die potenzielle abnimmt, oder umgekehrt. Wesentlich auf Anregung von Helmholtz
war in den letzten
Jahrzehnten ein großer Teil der Bestrebungen der ersten Naturforscher darauf gerichtet, die Gültigkeit des
Prinzips der
Erhaltung der Energiesumme für eine
Reihe von Naturvorgängen empirisch nachzuweisen.
Auch in der
Physiologie trat Helmholtz
gleich im Anfang seiner Laufbahn mit der
Lösung fundamentaler
Probleme
auf. So zeigte er, daß im arbeitenden
Muskel chemische Umsetzungen stattfinden und
Wärme
[* 8] entwickelt wird. Die letztere
Thatsache
war zwar schon vor ihm von
Becquerel behauptet worden, aber erst Helmholtz
lieferte dafür den strengen Nachweis mittels einwurfsfreier
Methode. Er unternahm, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Nervenagens, die man bis dahin allgemein
für eine blitzartige gehalten hatte, am Froschschenkel experimentell zu bestimmen, und maß später diese
Geschwindigkeit
sogar in den Nervenstämmen des lebenden
Menschen.
In den folgenden
Jahren war die Thätigkeit Helmholtz'
hauptsächlich der
Physiologie der
Sinne zugewandt. Er erfand den
Augenspiegel
[* 9]
(»Beschreibung eines
Augenspiegels«, Berl. 1851), durch welchen die
Augenheilkunde zu dem hohen
Range geführt wurde,
welchen sie gegenwärtig unter den
Disziplinen der
Heilkunde einnimmt.
Bald darauf wies Helmholtz
nach, wie die
Anpassung des
Auges an
verschiedene
Entfernungen zu stande komme.
Ferner brachte er die
Lehre
[* 10] von den
Farbenempfindungen und subjektiven
Lichterscheinungen zu ungeahnter
Klarheit, indem er eine fast vergessene
Idee von
Thomas
Young aufnahm und selbständig weiter
entwickelte.
Endlich hat auch die
Lehre von der räumlichen
Anschauung durch den
Gesichtssinn und damit die ganze exakte
Psychologie in eine
neue Entwickelungsphase gebracht. Es gelang ihm dies durch die Anwendung und Weiterbildung der Kantschen
Lehren
[* 11] über den
Aufbau unsrer
Vorstellungen aus dem Empfindungsinhalt. In diesen
Entwickelungen trifft Helmholtz
vielfach mit
Schopenhauer
zusammen, ohne daß er, wie es scheint, dessen Untersuchungen gekannt hätte. Helmholtz'
sämtliche Forschungen über
die physiologische
Optik sind in seinem »Handbuch der physiologischen
Optik« (2. Aufl., Leipz. 1885) im
Zusammenhang dargestellt.
Auch die
Lehre vom
Gehörssinn verdankt ihre heutige Gestalt wesentlich den Leistungen Helmholtz'.
Er hat nämlich die von feinhörigen
Musikern in einzelnen
Fällen schon früher gemachte Bemerkung und den von
Ohm schon ausgesprochenen
Satz bewiesen, daß ein
Klang im gewöhnlichen
Sinn des
Wortes nicht eine einfache
Empfindung, sondern ein Gemisch von gleichzeitig
bestehenden
Empfindungen ist. Diese sowie auch die allerdings schon längst bekannte
Thatsache, daß qualitativ verschiedene
Schallempfindungen durch Luftschwingungen verschiedener Frequenz entstehen, stellen an die physiologische
Akustik die
Forderung,
zu zeigen, wie es möglich ist, daß je nach der verschiedenen Frequenz der das
Ohr
[* 12] treffenden Luftschwingungen
verschiedene
Fasern des Gehörnervs besonders stark erregt werden. Nach dem von
Joh.
Müller aufgestellten
Prinzip von den spezifischen
Energien kann eine qualitative Verschiedenheit des Empfindens nur durch die numerische Verschiedenheit der empfindenden
Nervenelemente bedingt sein, und Helmholtz
zeigte in der That, daß in dem Spiralblatt der
Schnecke, auf welchem die
Enden des
Hörnervs ausgebreitet liegen, ein mit der Besaitung eines
Klaviers vergleichbarer Resonanzapparat vorhanden
¶
mehr
sei, von welchem bald diese, bald jene Teile stärker bewegt werben, je nach der Frequenz und Beschaffenheit der das Ohr treffenden Schwingungen. So wird es eben erklärlich, daß von verschieden gearteten Luftschwingungen verschiedene Gruppen von Gehörnervenfasern in den Erregungszustand versetzt werden. Mit den Untersuchungen über das Hören gingen Hand [* 14] in Hand seine mathematischen und experimentellen Forschungen über das mechanische Wesen der Luftschwingungen.
Ein Ergebnis derselben war einerseits die analytische Lösung mancher allgemeinen hydrodynamischen Probleme, welche bis dahin
den Anstrengungen der Mathematiker widerstanden hatten, anderseits die Theorie der Vokalklänge. Diese letztere ist vielleicht
bestimmt, der Sprachwissenschaft noch bedeutende Dienste
[* 15] zu leisten; denn sie gestattet es, die zur Hervorbringung
eines Vokals erforderliche Mundstellung so genau zu definieren, daß es einem Menschen, der den betreffenden Vokal nie gehört
hat, möglich ist, solchen genau auszusprechen mit Beibehaltung der feinsten Schattierung. In dem Werk »Die Lehre von den Tonempfindungen«
(Braunschw. 1862, 4. Aufl. 1877) hat Helmholtz
seine
akustischen Untersuchungen zusammenhängend dargestellt und dieselben zur wissenschaftlichen Begründung der musikalischen
Harmonielehre verwertet.
Auf dem Gebiet der Anatomie war Helmholtz
einer der ersten, welche den Zusammenhang von Nervenfasern und Nervenzellen (die anatomische
Grundlage unsrer Anschauung vom Nervenleben) beobachtet haben. Sodann verdankt ihm auch die spezielle Muskelmechanik manche
anerkannte Bereicherung. Seit 1871 hat Helmholtz
sich fast ausschließlich der Physik zugewandt. Die ersten Arbeiten aus dieser Zeit
beziehen sich auf das Grundgesetz der Elektrodynamik.
[* 16] Helmholtz
verwirft in denselben das Webersche elektrische Grundgesetz und setzt
an Stelle desselben das sogen. Potenzialgesetz.
Die Arbeiten wurden Anlaß zu einer ausgedehnten Diskussion über die Grundlagen der Elektrodynamik, an der
sich Weber, C. Neumann, Zöllner u. a. beteiligten. Helmholtz
selbst wies nach, daß für geschlossene Ströme die verschiedenen Theorien
zu den gleichen Resultaten führen, daß ein Unterschied sich nur in dem Verhalten der Stromenden ungeschlossener Ströme ergebe.
Versuche, welche teils von Helmholtz
selbst, teils auf seine Veranlassung von seinem Schüler Schiller ausgeführt
wurden, ergaben ihm als Resultat, daß das von ihm aufgestellte Potenzialgesetz nicht mit der Erfahrung übereinstimme, daß
es vielmehr in dem Sinn der Auffassung von Faraday und Maxwell, nach welcher auch die in den Isolatoren stattfindenden elektrischen
Vorgänge in Betracht zu ziehen sind, ergänzt werden müsse.
Eine Entwickelung der Theorie nach dieser Richtung hat Helmholtz
in Aussicht gestellt. Neben diesen und weitern elektrischen Arbeiten
erschienen Abhandlungen aus andern Gebieten, von denen nur die grundlegende Abhandlung über die Theorie der anomalen Dispersion
[* 17] und über die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die chemischen Vorgänge hervorgehoben werden
mögen. Die wissenschaftlichen Abhandlungen von Helmholtz
erschienen gesammelt in 2 Bänden (Leipz. 1881-83). Eine größere Zahl
populärer Vorträge sind unter dem Titel: »Populäre Vorträge und Reden« (3. Aufl., Braunschw. 1884, 2 Bde.)
erschienen.