Grillparzer
,
Franz, hervorragender
Dramatiker, geb. zu
Wien
[* 3] als der Sohn eines geachteten
Advokaten, studierte
auf der
Universität seiner Vaterstadt die
Rechte und trat 1813 als Konzeptspraktikant bei der kaiserlichen Hofkammer in den
österreichischen
Staatsdienst. Er ward 1823 Hofkonzipist, 1832 Archivdirektor bei der kaiserlichen Hofkammer, dem spätern
Finanzministerium, und trat 1856 in den
Ruhestand. Dies geräuschlose Dasein eines altösterreichischen Beamten barg jedoch
bei Grillparzer
eine
Reihe innerer Erlebnisse und
Kämpfe, welche selbst in seinen
Dichtungen nur zum Teil hervortreten.
Seine Bildungsjahre fielen in die
Zeiten der französischen
Revolution und der
Napoleonischen
Epoche, deren
Wirkungen selbst von
Österreich
[* 4] um so weniger fern zu halten waren, als damals die
Traditionen der Josephinischen
Epoche noch fortlebten.
Wer sich,
wie Grillparzer
, mit liebevoller Hingabe an das Bestehende anschloß und dennoch den unseligen Geistesdruck, die gewaltsame
Bildungsreaktion unter der
Regierung des
Kaisers Franz I. in tiefster
Seele empfand; wer auf der einen Seite die geistigen Errungenschaften
der
Sturm- und Drangperiode und der klassischen Litteratur
in sich aufnahm und auf der andern jeden
Konflikt
mit dem in
Österreich herrschenden
System, ja selbst mit der herrschenden Lebensanschauung zu vermeiden trachtete, dabei aber
einen starken Drang des
Schaffens und poetischen Bildens
in sich fühlte, sah sich in einer tragischen
Situation. Grillparzers
poetische Anfänge wurden von der
Romantik (die ihm die bleibende Vorliebe für die spanischen
Dramatiker
einprägte) und von der
¶
mehr
vorübergehenden Irrung der Schicksalstragik, der er in der »Ahnfrau« sein Opfer brachte, beeinflußt. Wenn er sich von diesen Einflüssen verhältnismäßig rasch zu emanzipieren wußte, so gelang ihm dies nicht ebenso mit denen seiner heimatlichen Verhältnisse und Bildungszustände. Zunächst war es eine bedeutende That schöpferischer Kraft [* 6] und Selbständigkeit, daß der Dichter seiner 1817 mit außerordentlichem Erfolg aufgeführten Schicksalstragödie »Die Ahnfrau«, welche alsbald über alle deutschen Bühnen ging, ein so völlig verschiedenes Werk wie »Sappho« (1818) folgen zu lassen vermochte.
In der »Sappho« (Wien 1819) stellte er sich zuerst auf den Boden des rein Menschlichen, wie er es verstand und auffaßte. Unverkennbar
lag in seiner Auffassung ein quietistisches Moment. Wer den Boden der gegebenen möglichst einfachen Verhältnisse verläßt,
den Kreis
[* 7] der nächsten Pflicht überschreitet, der verfällt Mächten, die er nicht bezwingen kann. Nicht das Maß des Menschlichen,
welches die edle, hoch tragende, ungeahnte Kräfte erweckende, läuterungsfähige Leidenschaft mit einschließt, sondern jenes,
welches die Leidenschaft ausschließt, ward das Maß von Grillparzers
Welt.
Daher konnte er sich einerseits eng an die klare Durchbildung und Gestaltung des Stoffes, an die Formenschönheit unsrer klassischen
Dichtung anschließen und blieb anderseits doch durch eine tiefe Kluft von derselben getrennt. Nur in der Darstellung der Liebe,
als der natürlichsten, unvermeidlichsten und edelsten der Leidenschaften, fand eine Vermittelung statt.
Die Hauptstärke Grillparzers
lag in der Entwickelung des Liebesgefühls zu einer dramatischen Handlung, daher in gewissem
Sinn die Tragödien: »Sappho« und »Des Meeres und der Liebe Wellen«
[* 8] (worin die Sage von Hero und Leander behandelt ist) als seine
vollendetsten Werke gelten können. Von 1821 an, wo im Wiener Hofburgtheater die Trilogie »Das Goldene Vlies«
(Wien 1822) mit großem Erfolg aufgeführt ward, deren letzter Teil, die Tragödie »Medea«, rasch über alle deutschen Bühnen
ging und durch die Heroinenrolle des Titels sich auf den Brettern behauptete, zählte Grillparzer
etwa ein Jahrzehnt lang zu
den begünstigten Dramatikern. 1825 wurde die Tragödie »König Ottokars Glück und Ende« (Wien 1825),
1828 »Ein treuer Diener seines Herrn« (das. 1830),
1831 »Des Meeres und der Liebe Wellen« (das. 1840),
1834 das Drama »Der Traum ein Leben« (das. 1840)
mit großem Erfolg im Wiener Burgtheater aufgeführt. Die litterarische Strömung indes, welche nach 1830 im
eigentlichen Deutschland
[* 9] herrschend und maßgebend geworden war, zeigte sich gegen Grillparzer
feindselig; seine Vorzüge galten
ihr nichts, seine Mängel wußte die jungdeutsche Kritik scharf hervorzuheben. Grillparzer
selbst litt unter der Ungunst seiner heimischen
Zustände. Seine äußere Situation war lange Zeit hindurch eine so beschränkte, daß sie ihn verurteilte,
lebenslang nur der Bräutigam seiner Jugendgeliebten, Katharina Fröhlich, zu bleiben.
Jede größere Reise (Grillparzer
ging 1819 nach Italien,
[* 10] 1826 durchreiste er Deutschland, 1838 hielt er sich mehrere Monate in Paris
[* 11] auf, 1843 sah
er Athen
[* 12] und Konstantinopel)
[* 13] rückte ihm den Widerspruch seiner Ideale und der heimischen Verhältnisse immer
unabweislicher vor Augen. Trotz seiner unzweifelhaften Loyalität hatte er mit dem stupiden Zensurdruck der Sedlnitzkyschen
Zeit zu kämpfen, mehrere seiner besten lyrischen Gedichte wurden unterdrückt und ihm die Lust zur Herausgabe einer Sammlung
verleidet.
Schließlich gesellte sich 1838 noch eine förmliche Niederlage seines Lustspiels
»Weh dem, der lügt« (Wien
1848) bei der ersten Aufführung im Burgtheater hinzu. Grillparzer
beschloß, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, und hielt
diesen Entschluß unverbrüchlich, ohne darum der Ausübung der poetischen Kunst zu entsagen. In den nächstfolgenden Jahrzehnten
entstanden die Dramen: »Libussa«, »Die Jüdin von Toledo«,
[* 14] »Ein Bruderzwist im Hause Habsburg« sowie das stimmungsvolle Fragment
»Esther« und zahlreiche lyrische Dichtungen.
Erst seit 1848 aber drangen wieder einzelne poetische Leistungen Grillparzers
in die Öffentlichkeit, so sein berühmtes Gedicht
»An Radetzky«. Seit 1850 begann man sich dann in Österreich, vereinzelt auch in Deutschland bewußt zu werden, welch einen
Dichter man in Grillparzer
besitze. Auf das Haupt des alternden Mannes häuften sich die Ehren und Anerkennungen, die
er in schöpfungskräftigen Tagen bitter entbehrt hatte. 1847 zum Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften ernannt,
durch mehrere Orden
[* 15] ausgezeichnet, 1859 von der Universität Leipzig
[* 16] bei Gelegenheit des Schiller-Jubiläums zum Ehrendoktor
krëiert, 1861 zum lebenslänglichen Mitglied des österreichischen Herrenhauses, 1846 zum Ehrenbürger
der Stadt Wien erhoben, 1871 an seinem 80. Geburtstag in unerhört glänzender Weise gefeiert, erlebte Grillparzer
halb erfreut, halb
wehmütig resigniert die späte Genugthuung. Er starb Erst nach seinem Tod erschien eine Ausgabe seiner »Sämtlichen
Werke« (Stuttg. 1872, 10 Bde.; 3. Ausg.
1881),
herausgegeben von H. Laube und Joseph Weilen, welche neben allen genannten Dramen auch die Gedichte, die wenigen Novellen (unter ihnen das Meisterstück: »Der arme Spielmann«),
autobiographische Fragmente und kritische Arbeiten des Dichters enthielt.
Vgl. H. Lorm, Wiens poetische Schwingen und Federn (Leipz. 1847);
K. v. Wurzbach, Franz Grillparzer
(2. Aufl., Wien 1872);
Kuh, Zwei Dichter Österreichs: Franz Grillparzer
und A. Stifter (Pest 1872);
Grillparzer
Wolf, Grillparzer
als Archivdirektor (Wien 1874);
Betty Paoli, Grillparzer
und seine Werke (Stuttg. 1875);
Frankl, Zur Biographie F. Grillparzers (Wien 1883);
Faulhammer ^[richtig: Fäulhammer; = Adalbert Fäulhammer], Franz Grillparzer (Graz [* 17] 1883);
Laube, Grillparzers Lebensgeschichte (Stuttg. 1884).