Glaube
(lat. fides; grch. pistis), im religiösen
Sinne eine nicht auf dem Umwege wissenschaftlichen Erkennens, sondern
durch unmittelbare Selbsterfahrung gewonnene innere Gewißheit, die sich auf
des
Menschen persönliches
Verhältnis zum
Übersinnlichen, Überirdischen,
Unendlichen bezieht; daher der Glaube
nichts anderes ist als die
Religion überhaupt,
und nach denselben psychol. Gesetzen wie diese in uns entsteht.
Jene Gewißheit von einer
Beziehung zwischen dem
Menschen und
Gott könnte aber nicht entstehen, und wie es thatsächlich der Fall ist, auf
Wollen und Vorstellen des
Glaubenden
einwirken, wenn ihr die Selbsterfahrung, auf der sie beruht, nicht zugleich eine Offenbarung
Gottes wäre. Glaube
und
Offenbarung sind daher korrelate
Begriffe, die ohne einander nicht bestehen können.
Die Offenbarung aber erscheint in einem gewissen
Stadium der religiösen
Entwicklung als eine übernatürlich ergangene und
daher unfehlbare Belehrung betreffs übersinnlicher Wahrheiten und Realitäten. Wird diese Belehrung
ein Gegenstand der Überlieferung, so beruht der Glaube
bei den Empfängern der letztern, statt aus eigener innerer
Selbsterfahrung, zunächst nur auf vertrauensvollem Fürwahrhalten des Überlieferten als göttlicher Offenbarung. Bei dieser
Art von Glaube
beschränkt sich dann das eigentlich Religiöse auf das Vertrauen, sofern sich
hierin immer noch ein Gemütszustand kundgiebt, den jeder unmittelbar in sich erleben kann, und der daher die eigentümlichen
Wirkungen der
Religion auf
Wollen und Vorstellen ausübt.
Doch pflegt dabei das Fürwahrhalten des Überlieferten dem Glaubenden
als die Hauptsache, als eine religiöse Pflicht, zu
erscheinen, und statt der religiösen Bedeutung vom Glaube
stellt sich damit eine andere, dogmatische,
Bedeutung des Wortes ein, wonach unter Glaube
nur das Fürwahrhalten der dogmatischen und geschichtlichen Überlieferung
der betreffenden religiösen Gemeinschaft, und weiterhin geradezu auch die so geglaubte Überlieferung selbst verstanden
wird (jüd., christl., mohammed.
«Glaube»
).
Innerhalb der christl.
Entwicklung kennt schon das
Neue Testament diese Einmischung jenes bloßen Fürwahrhaltens
in die Bedeutung von Glaube
, ja auch schon die Gleichsetzung des Glaube mit der Lehrüberlieferung selbst.
Gegenüber dem in diesen so veräußerlichten Bedeutungen gaben dann schon die Gnostiker ihre Gnosis (s. d.)
für eine höhere, auf wirklichem
Wissen beruhende Form religiösen Überzeugtseins aus, und in der
Kirche
konnte der Streit über «Glauben
und
Wissen» beginnen, der erst mit der neuern Unterscheidung des religiösen und des dogmatischen
Sinnes vom Glaube
gegenstandslos geworden ist. In der kath.
Theologie gewann und behielt Glaube
den
Sinn als Autoritätsglaube
an das
kirchliche Dogma, wie als Bezeichnung dieses letztern selbst (das «credo»),
an dessen kirchlich festgestellten Inhalt auch das von der scholastischen Theologie erstrebte «Wissen» durchaus gebunden bleiben wollte.
Die
Reformation ging auf die ursprünglichen Grundlagen des in der eigenen Selbsterfahrung des menschlichen Gemütes zurück,
indem sie persönliche Heilsgewißheit jedes Einzelnen verlangte, die sie gemäß der Paulinischen
Lehre
[* 2] auf die
Rechtfertigung aus dem Glaube
allein begründete. Diese aber muß freilich, solange man unter dem Glaube nur
Fürwahrhalten, sei es der biblischen, sei es der kirchlichen
Lehre versteht, jedes sittlich-religiösen
Sinnes entbehren.
Der Glaube
ist dem
Protestantismus daher vor allem persönliche vertrauensvolle Zuversicht (fiducia) zur göttlichen
Gnade. Das
Zurückgehen auf das
Subjekt und sein religiöses Bedürfnis hatte dem kirchlichen Autoritätsprincip ein Ende gemacht;
¶
mehr
indem aber die Reformation den Glaube
zunächst doch wieder nur in seiner überlieferungsmäßigen Gestalt als unerschütterliches
Vertrauen auf «Christi Verdienst» und in den biblischen Vorstellungsformen
festzuhalten vermochte, stellte sie der Kirchenautorität die Schriftautorität, dem Kirchenglauben den Glaube an den Schriftbuchstaben
gegenüber. Später wurde die «reine Lehre», womit ursprünglich die Befreiung der Predigt des «Evangeliums»
von menschlichen Verunstaltungen gemeint war, immer mehr den in den Bekenntnisschriften niedergelegten Lehrformeln gleichgesetzt,
in denen man allein das reine Gotteswort unverfälscht aufgefaßt zu haben überzeugt war.
Die «reine Lehre» ward jetzt wiederum die Hauptsache, zu deren Ausmittelung eine neue Scholastik unter Lutheranern und Reformierten entstand. Als erste Gegenwirkung gegen diese äußere Lehr- und Bekenntnisgerechtigkeit betonten seit Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrh. Pietisten, Herrnhuter, Methodisten u. a. den lebendigen Herzensglauben, nach der Weise des Zeitalters, in Überschwenglichkeit des Gefühls. Die Aufklärung untersuchte darauf die kirchliche Glaubenslehre Punkt für Punkt, gab ein Stück nach dem andern davon auf und meinte, der Glaube sei überhaupt geringer als das Wissen zu achten, sei nur Fürwahrhalten aus subjektiven, nicht, wie dieses, aus objektiven Gründen.
Bei den Supranaturalisten sank der Glaube gar zu einem Fürwahrhalten der biblischen Wunder, ohne die das Christentum nichts Eigentümliches besäße, herab. – Schleiermacher bezeichnet auch hier den Beginn einer neuen Epoche. Ihm war der Glaube selbst eine Bestimmtheit des religiösen Gefühls, gleichbedeutend mit Frömmigkeit. Seine positiv christl. Eigentümlichkeit erhält er durch Jesum von Nazareth, auf den der Christ alle Kräftigung seines frommen Bewußtseins als auf den schlechthin vollkommenen und seligen Urheber zurückführt.
Aber diesen «christl. Glauben» weiß Schleiermacher im Einklang mit dem philos. Bewußtsein der Zeit zu entwickeln und alles, was letzterm zuwider war in Bibel- und Kirchenlehre, durch scharfe Kritik zu zerstören. Freilich folgte auf Schleiermacher eine neue Reaktion, die anfangs als schlichter Bibelglaube mit dogmatischer Weitherzigkeit, danach als orthodoxe Bekenntnisgerechtigkeit mit konfessionellem Streiteifer auftrat. Erstere Richtung nannte sich die «gläubige», letztere urteilte über den subjektiven Glaube überhaupt sehr geringschätzig und hob dafür die objektiv göttliche Kirchenanstalt und das objektive Credo der Kirche, an dem man nicht rütteln dürfe, hervor.
Neben beiden Richtungen her ging eine philos. und histor. Kritik, die den Autoritätsglauben und seinen überlieferten Inhalt in jeder seiner Formen, der biblischen wie der kirchlich orthodoxen, als unhaltbar erwies. Hatte die Hegelsche Philosophie, ähnlich wie die alte Gnosis, den «Glauben» als bloßes Vorstellen zum «begrifflichen Wissen» erheben und dadurch ersetzen wollen, so bemerkte Strauß, [* 4] daß mit der alten Form auch der alte Inhalt abhanden komme, und die Baursche Kritik der neutestamentlichen Bücher lehrte dieselben immer sicherer als geschichtliche Urkunden echt menschlichen Ursprungs über den Entwicklungsgang der christl. Urzeit erkennen, womit die alte Vorstellung vom Kanon in sich zusammenbrach.
Indessen ist der neuern Theologie Schleiermachers Entdeckung unverloren geblieben. Religion und Dogma sorgfältiger als Hegel und Strauß unterscheidend, sucht sie auch im G. seinen bleibenden religiösen Gehalt von seiner wechselnden dogmatischen Form zu sondern. Die Notwendigkeit geschichtlicher Vermittelung wird dabei, wie auf allen Gebieten des Geisteslebens, auch auf dem religiösen, rückhaltlos anerkannt, die einzigartige Stellung der Person Christi insbesondere durch ihre Bedeutung als Trägerin der göttlichen Offenbarung und durch den Hinweis auf die wesentliche Bedeutung der Persönlichkeit gerade auf religiösem Gebiete gerechtfertigt. Dagegen ist es nur eine niedere sinnliche Form des Glaube, wenn derselbe von dem Fürwahrhalten äußerer Einzelthatsachen, Wundererzählungen u. s. w. abhängig gemacht wird. (S. Christentum und Theologie.) –
Vgl. Köstlin, Der Glaube, sein Wesen, Grund und Gegenstand (Gotha [* 5] 1859).