Getreide.
Der wichtigste Zweig des Lokal- wie
des Welt-, des Klein- wie des Großhandels, und zwar sowohl hinsichtlich
der Größe des Umsatzes, als auch seiner Bedeutung für das Volkswohl; er dient dem Massenverbrauch für Arm und Reich in
allen Klimaten und Weltteilen und verdient die allseitigste Förderung, weil der Jahresertrag an Getreide
(Cerealien, Halmfrüchte) lokal in beträchtlichem Grade durch die Witterung schwanken kann, im großen und ganzen aber nicht,
oder nur infolge von Krieg oder plötzlicher Anbauvermehrung durch Urbarmachungen.
Soweit der Einfluß der Eisenbahnen und der Schifffahrt reicht, kann es keine beträchtlichen Schwankungen über oder
unter die Mittelpreise mehr geben und nur bei noch unentwickeltem Verkehr gibt es auch jetzt noch Hungersnot für Tausende
und weite Strecken mit herrenlos wachsendem Getreide
oder unverwertbarer Massenanhäufung zu gleicher Zeit, z. B.
in Rußland und im Innern von Asien und Afrika. In Mittel- und Westeuropa kommen Notpreise nur noch lokal
vor, wenn im Winter die Unzulänglichkeit der Ernte sich da zeigt, wohin die Zufuhr nicht zur Ausgleichung gerichtet werden
kann.
Die jetzigen Einrichtungen im und für den Getreide
-handel haben diesem eine große Stabilität gegeben; die großen Saat- und
Getreide
märkte (Wien, Leipzig, London, Amsterdam etc.), welche vor der Ernte abgehalten
werden, dienen dem Zwecke, über das Ergebnis des Jahresertrags in den einzelnen Ländern sich zu vergewissern, um Ab- und
Zufuhr regeln zu können; sie stellen gewissermaßen die internationalen Versicherungsinstitute gegen Notpreise (zu hohe
oder zu niedrige) dar und bewirken im großen und ganzen die Erhaltung für alle in regem Handelsverkehr
stehenden Länder auf dem Niveau des angemessenen Durchschnittssatzes (bezeichnet mit 100), bei welchem sowohl die Landwirte,
als die Verzehrer in den Stadtbezirken am wohlsten sich befinden.
Noch im Frühjahr 1847 hatte man in Deutschland Teuerungspreise und unmittelbar vor und nachher sehr niedrigen Kursstand.
Gleichzeitig gute oder schlechte Ernten überall gibt es nicht, selbst nicht für Europa, wohl aber kann
bald dieses, bald Amerika oder ein andres überseeisches Gebiet Mangel oder Überfluß haben. Noch zu Anfang des Jahrhunderts
mußte der Getreide
-handel künstlich durch Sperrmaßregeln, Ausfuhrbegünstigung u. dgl.
zeitweise reguliert werden, heutzutage erscheint jede Beeinflussung durch wirtschaftspolitische Maßregeln als verkehrt und
ermitteln Telegraphie und Dampf rechtzeitig nach allen Richtungen hin die gebotene Ausgleichung.
Damals gab es noch künstliche Beeinflussung durch wucherische Spekulation - lokal ist zwar auch solche noch heute möglich - im Weltverkehr aber schon zur Myte geworden, weil gegenüber den Milliarden, welche im G. jährlich umgesetzt werden müssen, keine Kapitalmacht gedacht werden kann, welche bestimmend auf die Preise wirken könnte. Nur das Zusammentreffen mehrfacher außergewöhnlicher Ereignisse kann noch vorübergehend eine belästigende Erniedrigung oder Erhöhung bewirken, wie z. B. 1877/78 nach Beendigung des russisch-türkischen Kriegs die wieder ¶
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mögliche östliche Massenzufuhr mit gleichzeitig guten Ernten in Europa und gesteigerter Ausfuhr aus Amerika infolge niedriger Eisenbahnfracht und zunehmender Produktion durch Bevölkerungszuwachs. Schon 1879-80 zeigte wieder hohe Preise und zur Zeit notieren die amerikanischen Weststädte fast gleich hoch mit den europäischen Hauptplätzen. Zu G. gehören in erster Linie der Reis, von welchem die Mehrzahl der Menschen lebt, in zweiter der Mais, in dritter die Gerste und die Hirsearten, in vierter der Weizen mit seinen Unterarten (Spelz, Dinkel, Einkorn, Emmer).
Roggen und Hafer gehören fast nur Nordeuropa, Südsibirien und einigen Teilen des nördlichen Amerika an, Buchweizen und einige
seltener gebaute Getreide
arten haben nur lokale Bedeutung; die Hülsenfrüchte werden nicht zum Getreide
gerechnet, die Kartoffeln wirken modifizierend auf Bedarf und Preis. Korn bezeichnet diejenige Brotfrucht, welche in einem
Lande vorzugsweise verbraucht wird, Gerste und Hafer im Norden, Roggen in Nord- bis Mitteleuropa, Weizen im Westen, Mais im Süden
und in Amerika.
Der Reis ist das Hauptgetreide
in Asiens Süd- und Oststaaten, die Hirse in Innerafrika. Der Massenverbrauch
an Getreide
ist dadurch bedingt, daß dieses das Hauptnahrungsmittel der Menschen bildet, Futtermittel für die Haustiere
und Rohmaterial zur Gewinnung technischer Erzeugnisse: Bier (Gerste, Weizen, Reis), Branntwein (Gerste, Roggen, Mais), Stärke (Weizen,
Mais, Reis), Stärkezucker etc. ist. Das europäische Gesamterzeugniß berechnen Brachelli und v.
Neumann zu 1816 Mill. hl, das der im Verkehr stehenden Welt überhaupt zu 3000 Mill. hl; davon kommen in Mittel auf Rußland
641, Nordamerika 580, Frankreich 242, Östr.-Ungarn 173, Italien 88, Spanien u. Portugal 101,
die 3 nordischen Staaten 58, Niederlande und Belgien 35, Großbritannien und Irland 125, die Schweiz
5, die Staaten der Balkanhalbinsel 130 und auf das Deutsche Reich 260 Mill. hl., auf die Einheit
des Roggens, Roggenwert, reduziertes Getreide.
Ausführende Länder sind besonders: Rußland, Rumänien, Dänemark, Schweden, Ägypten und die nordafrikanischen Staaten überhaupt, Südamerikas Nordstaaten, Australien;
Gleichgewicht im Verbrauch und Erzeugnis mit nur geringer Differenz zeigen jetzt Österreich-Ungarn (früher starke Mehrausfuhr) und Frankreich (früher Mehreinfuhr);
der steten Einfuhr bedürfen Großbritannien und Irland, Spanien, Italien, Belgien, die Niederlande, Portugal, Finnland, die Schweiz, Griechenland, Norwegen und Deutschland (bis etwa 1870 noch Mehrausfuhr).
Im Jahre 1878 ergab die Reichsstatistik für Weizen, Roggen, Gerste, Hafer 13672375,7 ha, für Buchweizen, Hirse, Mais 358047,4 ha, für Hülsenfrüchte zur Nahrung 2753215,8 ha, zusammen ohne diese 14030423,1 ha und mit diesen 16783638,9 ha als Anbaufläche. Im Interesse nationaler Unabhängigkeit diese bis zum Betrag des Bedarfs zu vermehren, ist weder ausführbar, noch auch wünschenswert, weil Rückkehr zur extensiven Landwirtschaft bedeutend. - Die Erträge sind angegeben in kg oder in m. Ztr. mit zusammen 178,76 Mill, ohne und 188,99 Mill, mit den Hülsenfrüchten in runder Summe also 200 Mill. Ztr. Im G. rechnet man jetzt allgemein nach 1000 kg; es wiegen, verschieden je nach Klima, Lage, Boden, Düngung, Fruchtfolge etc., 1 hl Weizen 63-75, Roggen 60-70, Gerste 52-63, Hafer 31-52 kg. -
Bis etwa 1870 nahm man für das damalige Deutschland in runder Summe als Gesamtverbrauch 5 m Ztr. pro Kopf an und in Mittelernten 200, in sehr guten 250, in sehr schlechten 150 Mill. m Ztr. als Gesamtertrag. Der Ertrag konnte sich nicht wesentlich erhöhen, der Verbrauch wäre aber jetzt über 225 Mill. m Ztr. und die gebotne Mehreinfuhr im Mittel 20-25 Mill. m Ztr., bei schlechten Ernten aber 75 Mill. m Ztr. Andre rechnen als Bedarf 6 hl pro Kopf, zus. jetzt 270 Mill. hl, danach 70 Mill. hl in Mittel für Mehreinfuhr, 120 bei schlechtesten und nur 20 Mill. bei besten Ernten. Eine zuverlässige Verbrauchsstatistik fehlt noch; zur Nahrung für Menschen werden 1,75-4 m Ztr. angenommen, bezw. angegeben. - Sicher ist, daß der Ausfall der Ernte ¼ über und ¼ unter dem Mittel betragen kann, so daß der G. etwa dieses Viertel zu bewegen hätte. - Der G. vollzieht sich aber nicht in der Weise, daß der Großhandel das Ganze zu versorgen brauchte; ein sehr großer Teil des Bedarfs kommt gar nicht in den Handel, das, was die Landwirte selbst erziehen und verzehren, mit dem, was sie direkt auf Lokalmärkte oder an Müller, Bäcker etc. liefern, jedenfalls über die Hälfte des Erzeugnisses. Im Jahre 1877 betrug die Ein- und Ausfuhr zus. 1092,9 Mill. M., in Großbritannien 1306 Mill. M., 1881 im Deutschen Reiche die Einfuhr in Mill. kg: Weizen 228, Roggen 690, Hafer 162, Gerste 222, Mais 341, zus. 1643 M. kg., die Ausfuhr: Weizen 178, Roggen 27, Hafer 44, Gerste 154, zus. 403 Mill, kg;
die Gesamtbewegung demnach über 2000 Mill. kg (Mehreinfuhr etwa 1200 Mill. kg).
Das Gesamteinfuhrbedürfnis für Europa wird für 1869/79 zu durchschn. 100 Mill. m. Ztr.
= 10000 Mill. kg berechnet. Ausfuhr aus Europa findet kaum statt. Deutschlands G. stellt ⅕ des europäischen
Einfuhrquantums dar. - Außer Getreide
findet aber auch noch ein sehr bedeutender Mehlhandel statt;
die Ausfuhr in Mehlform läßt beträchtlich an Kosten ersparen und gewährt den Erzeugnisländern den Vorteil, in der Kleie die wichtigen Mineralstoffe zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit zu behalten;
sie wird mit Recht immer mehr zu fördern gesucht - vgl. d. Mehl. - Mehr mit Besorgnis als mit Befriedigung sieht man in Deutschland auf die wachsende Ausfuhr der V. St. Nordamerikas (vorwiegend Mais und Weizen);
sie wurde gesteigert für 1866-1879 von zus. 19,075 auf 215,54 Mill. Bushel (á O. 2605 hl ^[richtig: á 0,35237 hl]), und von 2433629 auf 18639092 Faß Mehl. (Erzeugnis zus. 260 und 795 Mill. hl oder 1052 und 1215 Mill. Dollar an Wert.) - Die Höhe der Ausfuhr von dort ist aber bedingt durch die europäischen Preise;
die Kosten von Chicago bis Liverpool mit Bahnbeförderung in Amerika sind 19,8, mit Kanalbeförderung 23 M. via New York, vom Red River 40-50 M. ¶
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für 1000 kg. Mit Erhöhung der Bahnpreise nach Beendigung des Kampfes der Eisenbahngesellschaften
muß der Frachtsatz steigen und die Ausfuhr sich verringern, mit zunehmender Einwanderung wächst das Erzeugnis. Rußland
verfrachtet per Ostsee und Odessa zu Schiff, per Bahn vorzugsweise nach Österreich, früher auch nach Deutschland. Im Norden
ist das Darren des Getreides
gebräuchlich; zum Handel gehört vielfach Vorausbezahlung, die Ausfuhr
auf Flußschiffen und mit Schlitten im Winter geschieht besonders von Polen aus. Gesamtbewegung 1877 für etwa 860 Mill.
Mk., fast nur Ausfuhr. - Österreich-Ungarn verfrachten per Bahn und via Triest und Fiume zur See;
Gesamtbewegung 242,6 Mill. Mk., 1880 nach Deutschland nur noch 4,28 Mill. m Ztr.
Frankreichs Gesamtumsatz war 342,26 Mill. Mk.; Ein- und Ausfuhr ziemlich gleich. Eisenbahnen, Kanäle,
Flüsse und die bedeutende Küstenentwicklung erleichtern den Handel. Italiens Handel setzte 123,4 Mill. Mk.
um; Einfuhr überwiegend. Die Nordischen Staaten verfrachten direkt nach England und Amsterdam, nebst London und Berlin
der bedeutendste Marktort für Getreide.
England bezieht die Hauptmengen nur noch aus Amerika, Deutschland aus dem Osten
und liefert westwärts und nach der Schweiz. - Im Schiffshandel rechnet man nach Last, in Hamburg = 60 Faß à 43 kg bei
Weizen, 40.5 bei Roggen, 34 bei Gerste und 26 bei Hafer, oder Roggen 10%, Hafer 20% geringer in der Tragfähigkeit
als Weizen, Amsterdam 1 Last = 21⅗ Tonnen, in Weizen 2050-2450 kg, Roggen 2000-2250 kg, Gerste 1600-1750 kg. Hauptzeit zu Seeverfrachtung
März, April, September und Oktober. - Hauptplätze in Deutschland sind: Memel, Königsberg, Danzig, Stettin, Posen, Berlin,
Breslau, Magdeburg, Nordhausen, Köln, Frankfurt a. M., Bremen, Hamburg, Lübeck,
München, Augsburg, Dresden. - Über die Usanzen im G. s. Sonndorfer, „Usanzen und Paritäten
des G. im Weltverkehr“, Berlin 1880, die Denkschrift des Pr. L. Ök. Koll. („Annalen der
Landw. in den kgl. preuß. Staaten“, Bd. 42. S.
114, Jahrg. 1863) und Meitzen, „Der Boden und die landw. Verh. des preuß. Staates nach dem Gebietsumfang
von 1866“ - Berlin 1868/70. - Sehr wichtig für den G. ist die Aufbewahrung der Ware, welche im Süden in Silos (Gruben
in der Erde), im Norden in besondren Getreide
türmen mit Bewegungsapparat, auf Speichern (Kornböden), in Cylindern etc.
geschieht.
Das Lagern, bezw. Liegenlassen zur Abwartung besserer Preise, ist mehr Sache des Landwirts, als des Kaufmanns. Die Lagerungskosten sind durchschnittlich zu 1-1.5 Mk. pro m. Ztr. und Jahr zu berechnen, Zins und Verlust zu groß, um Vorräte zu halten. Vermittelt wird das Geschäft durch Makler auf den Kornbörsen (Schranne), Gebühr in Preußen pro Scheffel (42 kg bei Weizen, 39 bei Roggen) etwa 50 Pf., von Käufer und Verkäufer gemeinschaftlich zu tragen. Auf- und Abladegeld nach Ortsgebrauch.