Geschütze.
[* 2] Die Thätigkeit der Geschützkonstrukteure ist jetzt im wesentlichen darauf gerichtet, die Verwendung
rauchlosen
Pulvers für die Geschützladungen und brisanter
Sprengstoffe für die Sprengladung der
Geschosse
[* 3] zur Erzielung möglichst großer Sprengwirkung auszubilden. Wenn ersteres zur Erreichung größerer Geschoßgeschwindigkeiten
nur bei den Flachbahngeschützen
der
Feld-,
Küsten- und Schiffsartillerien, weniger bei
Festungs- u.
Belagerungsgeschützen
zur Geltung kommt, so gewinnen alle Geschütze
durch den fast gänzlichen Fortfall der Pulverrückstände.
Schnellfeuerkanonen haben sich in die Schiffs- und Küstenartillerie überall, in die Festungsartillerie einstweilen nur in Verbindung mit den Panzerlafetten eingeführt. Auch ihre Verwendung in der Feldartillerie wird lebhaft besprochen und ist diese wohl nur eine Frage der Zeit. Ein Haupthindernis, der Mangel einer sichern Schußbremse, scheint in Frankreich durch die Seilbremse des Majors Lemoine befriedigend gelöst. Die Bremse wirkt durch Anziehen eines die Radnabe umschlingenden Drahtseiles selbstthätig, um so kräftiger, je heftiger der Rücklauf ist.
Auch die österreichischen Feldgeschütze sind mit einer Fahr- und Schußbremse versehen worden. Das Grusonwerk hat eine kräftig wirkende Nabenbremse als Schußbremse hergestellt. In Rußland ist dem General Engelhardt die Herstellung einer leichten, fahrbaren Feldmörserlafette gelungen, es ist eine kurze Wandlafette, ähnlich den Feldlafetten. Das Zerbrechen der Achse durch den Rückstoß bei den hohen Elevationen des Mörsers wird durch zwei starke, mittels einer breiten Fußplatte verbundene Stutzen verhütet, welche unter der Achse derart befestigt sind, daß sie beim Fahren heraufgeklappt werden können.
Ihre
Höhe ist so bemessen, daß sie die
Räder ganz entlasten. Das Grusonwerk hat eine 12
cm Schnellfeuerhaubitze, eine 15 u. 21
cm
Haubitze in
Panzerlafette
[* 4] (s. d.) von guten Schußleistungen hergestellt. Die erstere
erreicht 12-15
Schuß in der
Minute. In
England sollen die
Versuche mit den für die
Feldartillerie bestimmten
Hinterladungskanonen noch nicht beendet sein. Zur Einführung kommen für die Positionsbatterien ein 20-Pfünder (8,89
cm
Kaliber),
Granate 9 kg, Geschützladung 2,7 kg, Geschoßgeschwindigkeit 513 m; für die Feldbatterien
ein 12-Pfünder (7,62
cm
Kaliber),
Granate 5,675 kg, Geschützladung 1,815 kg, Geschoßgeschwindigkeit 521 m; für die reitenden
Batterien ein leichter 12-Pfünder (7,62
cm
Kaliber). Die Herstellung der neuen auch für die
Marine, soll
noch sehr im Rückstand sein und sehr langsam fortschreiten. In
England ist das Vertrauen zu den neuen Geschützen
nicht groß.
Das größte Geschütze
, welches von
Armstrong bis jetzt gefertigt wurde, hat 43,2
cm
Kaliber, ist 42
¶
mehr
Kaliber (18,1 m) lang, wiegt 142,25 Ton., die Ladung 498,9 kg, die Granate 907,2 kg, die Geschoßgeschwindigkeit beträgt 731,5 m, mit welcher eine lebendige Kraft von 24,740 Metertonnen erreicht wird, das anfängliche Durchschlagsvermögen beträgt 100 cm schmiedeeiserner Platte. Krupps [* 6] neueste projektierte 40 cm Kanone L/40 wiegt 143 T., die 3,5 Kaliber lange Panzergranate 1050 kg, die Geschützladung 485 kg, mit welcher 640 m Anfangsgeschwindigkeit oder 21,925 Metertonnen lebendige Kraft erzielt werden, der eine anfängliche Durchschlagskraft von 120,7 cm schmiedeeiserner Platte entspricht. Krupps größte Schnellfeuerkanone hat 13 cm Kaliber, welche 12 Schuß in der Minute abgeben kann. Krupps 21 cm Kanone L/35 durchschlug mit ihrer 3,5 Kaliber langen Stahlgranate von 138 kg Gewicht auf 116 m vor der Mündung mit 550 m Auftreffgeschwindigkeit eine englische Stahleisenplatte von 39,5 cm, 20 cm Eichenholz und 2 Innenhautbleche von je 2 cm Dicke dahinter. Die Granaten [* 7] blieben vollkommen unversehrt.
In allen Artillerien ist man bemüht, für die Feldarmeen ein Steilfeuergeschütz herzustellen oder ein
vorhandenes dazu auszubilden. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe liegt darin, daß das Kaliber in Rücksicht auf Geschoßwirkung
nicht unter 12 cm heruntergehen kann; die Geschosse haben daher für die Mitführung in einer Protze und schnelle Handhabung
ein sehr großes Gewicht. Die Lafette muß gleich den Feldlafetten fahrbar sein und doch hohe Elevationen
gestatten, gleich den Belagerungsmörsern, die Geschütze
bedürfen daher einer fahrbaren Bettung oder andrer entsprechender Einrichtungen.
Rußland hat einen 15 cm Feldmörser mit fahrbarer Bettung, Spanien [* 8] und England haben einen 12 cm Feldmörser, die Schweiz [* 9] und Schweden [* 10] eine 12 cm Feldhaubitze in Feldlafette mit Puffervorrichtung angenommen. Krupp hat eine 12 cm Feldhaubitze von 11,6 Kaliber Rohrlänge, 450 kg Rohrgewicht, 15 Kaliber Dralllänge hergestellt, welche gußeiserne und stählerne Zündergranaten sowie Stahlschrapnells von 20 kg Gewicht schießt. Größte Schußweite 5000 m. Die Lafette wiegt 650, die Protze 585, mit Munitionsausrüstung 985 kg. Die Protze faßt 16 Geschosse.
Die gußeiserne Granate ist 3,1, die stählerne 4, der Schrapnell 2,5 Kaliber lang. Auf das Hemmen des Rücklaufs der schweren
Geschütze
wird großer Wert gelegt; meist kommen hydraulische, mit Glycerin gefüllte Bremsen
[* 11] zur Verwendung, deren Cylinder in der
Stirnmauer oder auf der Bettung, deren Kolben an der Lafette befestigt ist; Hemmkeile bewirken das selbstthätige
Vorlaufen in die Feuerstellung. In England, Frankreich, Rußland werden Verschwindungslafetten bevorzugt, welche das Herabsenken
des Geschützes
aus der hohen Feuer- in die niedrige Ladestellung durch den Rückstoß selbstthätig bewirken.
Der Rest der Rückstoßkraft wird durch Zusammendrücken von Federn oder Luft, oder Heben eines Gegengewichts verbraucht, so daß nach erfolgtem Laden das Geschütz durch die aufgespeicherte Kraft [* 12] in die Feuerstellung wieder selbstthätig hinaufgehoben wird. Moncrieff hat sein altes System aufgegeben und eine hydropneumatische Verschwindungslafette konstruiert, welche auf Panzerschiffen, in Rußland nach Abänderung von Raskazoff (Panzerschiff [* 13] Katharina II., Tschesme), Anwendung fand. Tunkler, Buffington, Eschenbacher, Hoog u. a. haben Gegengewichtslafetten konstruiert.
Vgl. v. Löbell, Jahresberichte über Fortschritte und Veränderungen im Militärwesen (Berl. 1890);
»Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens« (Wien [* 14] 1887).