Familie
(lat. Familia), eine durch Abstammung oder Geschlechtsgemeinschaft in näherer
oder entfernterer
Verbindung stehende
Gruppe von
Menschen,
Tieren oder
Pflanzen. Bei den
Menschen gehörten
ursprünglich nur die durch Abstammung in näherm
Grad blutsverwandten Individuen zu einer und viele
Anzeichen der verschiedensten
Art deuten darauf hin, daß im Beginn der
Zivilisation vorwiegend die
Mutter das
Haupt der Familie
gebildet hat, während ihr der
Vater ferner blieb, so daß er in manchen
Fällen gar nicht als Blutsverwandter seiner
Kinder betrachtet
wurde (vgl.
Exogamie und
Mutterrecht).
Eine derartige, namentlich im
Erbrecht ausgedrückte Auffassung der Familie
nverwandtschaft wird noch heute bei zahlreichen
auf niederer
Stufe der
Zivilisation stehenden Völkerstämmen angetroffen. Erst nachdem das
Matriarchat in der
Ehe durch das
Patriarchat ersetzt und das
Institut der monogamischen oder polygamischen
Ehe rechtlich begründet worden war, nahmen diese
Verhältnisse festere
Formen an, und es wurde gesetzlich erlaubt, auch fremde
Kinder durch sogen.
Adoption (s. d.) in die
Familie
aufzunehmen,
wobei ehemals durch eigentümliche
Zeremonien (Scheinentbindung, Brustreichen etc.) die
Annahme zum eignen
Kind symbolisiert
werden mußte (vgl.
Couvade).
Auf diesen Grundlagen erwuchsen die Begriffe der Verwandtschaft (s. d.), welche in Blutsverwandtschaft und in sogen. bürgerliche Verwandtschaft zerfällt, je nachdem sie durch wirkliche Abstammung oder nur durch Adoption begründet ist. Blutsverwandt sind also zwei Personen miteinander, wenn entweder die eine von der andern abstammt (Verwandtschaft in gerader auf- und absteigender Linie, Aszendenten und Deszendenten), oder wenn beide einen gemeinsamen väterlichen oder mütterlichen Ahnen besitzen (Seitenverwandte, Kollateralen).
Außerdem erweitert sich der Familie
nkreis durch die
Ehe, indem der eine Ehegatte nicht nur zu dem andern selbst, sondern
auch zu den Verwandten des letztern in das
Verhältnis der
Schwägerschaft (s. d.) tritt.
Schon durch die
Natur der menschlichen Lebensverhältnisse sind die Familie
nglieder auf ein gegenseitiges Zusammenhalten und Unterstützen
und auf einen besonders freundschaftlichen und liebevollen
Verkehr angewiesen. Die
Grundsätze, welche in dieser Beziehung
für das Familie
nleben maßgebend sind, gehören zumeist dem Gebiet der
Moral und dem der
Religion an, da
die Bedeutung der Familie
eine vorwiegend sittliche ist.
Dies gilt namentlich von der
Stellung der Ehegatten zu einander, von dem wechselseitigen
Verhältnis zwischen Eltern und
Kindern
und zwischen den
Geschwistern. Auf der andern Seite kann aber auch die bürgerliche
Gesetzgebung die Familie
nverhältnisse
und die Familie
als die Grundlage des
Staats nicht unberücksichtigt lassen, und so entsteht das
Familienrecht,
der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, welche sich auf die und auf die
Stellung der Familie
nglieder als solcher beziehen.
Das Familienrecht, ein Hauptteil der Privatrechtsnormen, umfaßt hiernach die Rechtsgrundsätze über die Ehe (s. d.), über das Verhältnis zwischen Aszendenten und Deszendenten und namentlich die Lehre [* 2] von der »väterlichen Gewalt« (s. d.). Für diejenigen indes, welche des väterlichen Schutzes entbehren, gleichwohl aber einer besondern Schutzgewalt bedürftig sind, hat die Gesetzgebung durch das Rechtsinstitut der Vormundschaft Sorge getragen, und insofern die letztere als ein Surrogat jenes Schutzes aufgefaßt werden kann, erscheint die übliche Behandlung des Vormundschaftsrechts als Teil des Familienrechts gerechtfertigt (s. Vormundschaft).
Die
Wirkungen der Familie
nbeziehungen äußern sich auch noch nach dem
Tod, insofern ein gesetzliches
Erbrecht der Verwandten
und Ehegatten begründet ist (s.
Erbrecht). Von untergeordneter Bedeutung ist der rechtliche Einfluß der
Seitenverwandtschaft
und der
Schwägerschaft. Erstere kann allerdings unter Umständen ein gesetzliches
Erbrecht begründen
sowie das
Recht und die
Pflicht zur gesetzlichen
Vormundschaft. Außerdem wird die
Seitenverwandtschaft ebenso wie die
Schwägerschaft
im
Prozeß, namentlich bei der Zeugenvernehmung, sowie im
Strafrecht berücksichtigt.
Dagegen begründet weder die Kollateralverwandtschaft noch die
Schwägerschaft eine wechselseitige Alimentationsverbindlichkeit,
wie solche zwischen
Aszendenten und
Deszendenten und zwischen den Ehegatten besteht. Zu beachten ist übrigens,
daß die Bezeichnung Familie
vielfach auch noch in anderm
Sinn und
Umfang gebraucht wird. So bezeichneten die
Römer
[* 3] mit Familia
oft alles, was ein freier
Bürger besaß, und was seinen Hausstand ausmachte, namentlich auch die
¶
mehr
dazu gehörigen Sklaven. Sehr oft bezeichnet auch Familia im ältern römischen Rechte den Komplex der Agnaten im Gegensatz zu den Kognaten und Affinen oder Verschwägerten. Personen nämlich, welche überhaupt miteinander verwandt waren, hießen Cognati, diejenigen aber, welche durch eine und dieselbe väterliche Gewalt miteinander verbunden waren, Agnati. Letztere bildeten die altrömische Familia, die Grundlage des zivilen Erbrechts, indem sie allein als die legitime Verwandtschaft aufgefaßt wurde, bis dann im neuern Rechte die Kognation an die Stelle der Agnation trat. Im mittelalterlichen Lehns- und Feudalwesen verstand man unter Familia nicht selten die Gesamtheit der einem Gutsherrn unterstellten Hörigen oder die Gesamtheit der Dienstmannen.
Heutzutage versteht man unter Familie
auch wohl nur die Deszendenz eines Familienvaters.
Vgl. Riehl, Die Familie
(9. Aufl., Stuttg.
1882);
Weinhold, Wesen und Form der altdeutschen (in der »Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte«, Hannov. 1875, I.);
Giraud-Teulon, Les origines du mariage et de la famille (2. Aufl., Par. 1885);
Bachofen, Antiquarische Briefe, vornehmlich zur Kenntnis der ältesten Verwandtschaftsverhältnisse (Straßb. 1881);
Lippert, Geschichte der Familie
(Stuttg. 1884).
In der Zoologie und Botanik versteht man unter Familie gewisse Abteilungen des Systems, nämlich den Inbegriff aller derjenigen Pflanzen und Tiere, welche in gewissen wesentlichen Charakteren übereinkommen und sich als durch natürliche Verwandtschaft (gemeinsame Abstammung) zusammengehaltene Gruppen von Gattungen darstellen, die man deshalb in der Botanik auch natürliche Familien nennt, wie z. B. die grasartigen Gewächse oder Gramineae, die Schmetterlingsblütler oder Papilionaceae, die Doldengewächse oder Umbelliferae etc. Obige Bezeichnung wurde schon von Adanson in seinen »Familles naturelles des plantes« (1759) in diesem Sinn angewendet, während Linné, in dessen künstlichem System die natürlichen Familien überhaupt nicht zur Geltung kommen, nur in Klassen und Ordnungen einteilte.
Übrigens werden in den verschiedenen natürlichen Systemen diese Abteilungen bald Familien, bald auch Ordnungen (ordines naturales) genannt. In den zoologischen Systemen schwankt der Begriff vollends. Man spricht da z. B. von der Familie der Katzen, [* 5] der Raubtiere, [* 6] der Säugetiere, ja wohl gar der Wirbeltiere überhaupt. In einem erweiterten und übertragenen Sinn redet man auch wohl in der Mineralogie von Gesteinsfamilien, z. B. von der Quarzfamilie, wobei nur die gleichartige Zusammensetzung in Betracht kommt.