Titel
Entwährung
(Entwehrung, Eviktion, lat. evictio), Besitzentziehung, namentlich Entziehung einer Sache, welche man durch einen Rechtsakt erworben hat, durch einen besser Berechtigten. Eine Sache wird entwährt oder evinziert, wenn demjenigen, der sie von jemand erworben, z. B. gekauft hat, von einem Dritten die Sache selbst ganz oder teilweise oder ein dingliches Recht an derselben vermöge eines bessern Rechts abgestritten wird. Das römische Recht hat bestimmte Grundsätze aufgestellt, wie weit derjenige, dem eine Sache evinziert wird, von demjenigen, von welchem er sie erworben hatte (auctor), Schadloshaltung (Eviktionsleistung) fordern kann.
Die
Regel ist: wer mit einem andern ein
Geschäft abschließt, welches eine Verbindlichkeit zur
Übertragung oder
Bestellung
eines
Rechts begründet, wie z. B. ein
Kauf-,
Tausch- etc.
Geschäft, haftet für den
Fall der gänzlichen
oder teilweisen Entwährung
dieses
Rechts durch einen andern Berechtigten für Schadloshaltung. Vorausgesetzt wird aber immer einmal
ein entgeltliches, auf
Veräußerung gerichtetes
Geschäft, indem der
Schenker, wenigstens nach der herrschenden Meinung, dem
Beschenkten für den
Fall einer Entwährung
keine Gewähr zu leisten hat, und dann Entwährung
auf
Grund eines schon zur
Zeit des Veräußerungsgeschäfts bestehenden
Rechts; denn der
Grund der Eviktionsleistung ist der, daß der Veräußerer der
Sache verpflichtet ist, dieselbe so auf den andern zu
übertragen, daß dieser sie behalten kann.
Die Eviktionsleistung kommt namentlich vor 1) beim Kauf. Denn obschon ich als Verkäufer dem Käufer nicht etwa das Eigentum an der Sache garantiere (der Besitzer weiß ja oft selbst nicht und kann nicht wissen, ob er auch wirklicher Eigentümer ist), so muß ich ihm doch das »haben, behalten und gebrauchen können« (habere licere) garantieren. Hätte ich nun z. B. vor dem Verkauf meiner Sache einem Dritten ein Pfandrecht an derselben eingeräumt, und der Dritte macht nun (da ja das Pfandrecht als dingliches Recht durch den Kauf nicht berührt wird) gegenüber dem Käufer von seinem Pfandrecht Gebrauch und läßt die Sache veräußern, so muß ich natürlich meinem Käufer, dem nun die Sache evinziert ist, vollen Schadenersatz leisten.
Ebenso verhält es sich 2) beim
Tausch, 3) bei der Hingabe von
Sachen an
Zahlungs Statt, 4) bei der
Teilung gemeinschaftlicher
Sachen, z. B. wenn zwei
Miterben ein
Haus so teilen, daß der eine das
Haus gegen Geldentschädigung an den andern übernimmt
und nun das
Haus auf
Grund eines gegen den
Erblasser zustehenden
Rechts von einem Dritten abgestritten wird.
Hier muß der andre
Miterbe den
Schaden tragen helfen. Der Anspruch auf Eviktionsleistung wird ausgeschlossen durch
Verzicht
und durch Kenntnis des Erwerbers von dem Bestehen des fremden
Rechts. Entwährung
ist heutzutage weit seltener als früher, weil partikularrechtlich
vielfach der redliche Erwerber einer
Sache
Eigentümer derselben wird oder doch nur gegen
Ersatz des Erwerbspreises
zu der Herausgabe an den klagenden
Eigentümer verpflichtet ist. Von besonderer Wichtigkeit aber sind in dieser
¶
mehr
Beziehung die Bestimmungen des deutschen Handels-Gesetzbuchs (§ 306 ff.), wonach der redliche Erwerber an Waren oder andern beweglichen Sachen das Eigentum erlangt, wenn sie ihm von einem Kaufmann in dessen Handelsbetrieb veräußert und übergeben worden sind, auch wenn der Veräußerer nicht Eigentümer war. Handelt es sich um Papiere auf den Inhaber, so findet diese Vorschrift auch dann Anwendung, wenn die Veräußerung oder Verpfändung nicht von einem Kaufmann in dessen Handelsbetrieb geschehen ist.
Nur wenn die Gegenstände gestohlen oder verloren waren, gilt jene Regel des Handelsgesetzbuchs nicht. Inhaberpapiere werden indessen, auch wenn sie gestohlen oder verloren waren, Eigentum des gutgläubigen Erwerbers, und wenn sie verpfändet wurden, bleibt das Pfandrecht des gutgläubigen Erwerbers auch an gestohlenen oder verlornen Inhaberpapieren bestehen.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Pandektenrechts K. O. Müller, Die Lehre [* 3] von der Eviktion (Halle [* 4] 1851).