Eisenbahnu
nfälle
[* 2] haben seit dem
Bau von
Eisenbahnen die öffentliche
Aufmerksamkeit in sehr hohem
Grad in Anspruch genommen.
Im
Gegensatz zu den in Werkstätten,
Güter- und Verkehrsräumen, bei Bauten, Reparaturen etc. vorkommenden,
mit dem
Eisenbahnbetrieb nur mittelbar zusammenhängenden Unfällen pflegt man als Eisenbahnu
nfälle im engern
Sinn die bei der
Bewegung der
Maschinen, Fahrzeuge und
Züge hervorgerufenen Unfälle zu bezeichnen, welche, da durch sie das
Leben der Reisenden in
Gefahr
gebracht wird, das öffentliche
Interesse vorwiegend berühren.
Derartige Unfälle werden meist durch Zusammenstöße und Entgleisungen hervorgerufen und der überwiegenden Zahl nach durch die Fehlbarkeit der Beamten, auf denen die Sicherheit der Züge beruht, verursacht. Es kommen hierbei namentlich als Ursachen in Betracht: mangelhafter Zustand der Betriebsmittel, der Bahn oder der Bauwerke;
Konstruktionsmängel der Bahn und Betriebsmittel;
unzureichende Bremskraft;
falsche Signalgebung und Weichenstellung;
übermäßige Fahrgeschwindigkeit mit Rücksicht auf Maschine, [* 3] Bahn oder andre Umstände;
zu schnelles Einfahren in die Stationen;
mangelhafter oder fehlender Verschluß der Niveauübergänge;
unzureichende
Anpassung der Verkehrsformen etc. Eine beträchtliche Zahl von Eisenbahnu
nfällen
ist aber von der Fehlbarkeit der Beamten unabhängig.
Hierhin gehören in erster Linie die Eisenbahnachsenbrüche und Radreifenbrüche, hervorgerufen durch Eigenschaften in der innern Struktur des Eisens, welche sich meist der äußern Prüfung entziehen, und denen daher seitens der Eisenbahnvereine eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird;
Kesselexplosionen;
Entgleisen durch Hindernisse auf dem Bahnkörper;
Brüche an Maschinen und Wagenteilen;
atmosphärische Einflüsse, als Nebel, Schneestürme, Zerstörung der Bahn durch Regengüsse, Blitz etc.;
endlich Böswilligkeit.
Diese mannigfachen Eisenbahnu
nfälle haben
in neuester Zeit Veranlassung zur
Gründung von Versicherungsanstalten gegen dieselben gegeben (s.
Reiseunfallversicherung
und
Transportversicherung). Indessen hat man die
Erfahrung gemacht, daß in demselben
Maß, als
sich die
Kunst des
Eisenbahnbetriebs
verbesserte, auch die Zahl der Eisenbahnu
nfälle im
Verhältnis zu der Zahl der mit der
Eisenbahn fahrenden
Personen sich
verminderte. Namentlich in
England, dessen Eisenbahnwesen entwickelter ist als dasjenige irgend eines andern
Landes, hat sich
trotz der größern
Schnelligkeit der Eisenbahnzüge im
Vergleich zu den kontinentalen die Zahl der Eisenbahnu
nfälle sehr bedeutend
vermindert.
Man hat, gestützt auf gute
Belege, nachgewiesen, daß es bei weitem nicht so gefährlich ist, in
England einen
Tag mit der
Eisenbahn zu fahren, als während derselben Zeit in den belebtern Teilen
Londons zu gehen. Die
Regierungen der meisten
Länder
haben schon zeitig ihre
Aufmerksamkeit darauf gerichtet, den Eisenbahnu
nfällen auch auf gesetzgeberischem
Weg zu begegnen. Sie haben zum Teil besondere Behörden niedergesetzt, denen die Aufgabe obliegt, jeden einzelnen Eisenbahnu
nfall
an
Ort und
Stelle zu untersuchen.
Auch wird in den allermeisten
Ländern sehr streng die Zahl der Eisenbahnu
nfälle und die
Größe des durch sie veranlaßten
Schadens und Menschenverlustes
gebucht. Übrigens hat man die
Erfahrung gemacht, daß in Hinsicht auf
Körperverletzungen die
Eisenbahnbeamten
in erster
Linie stehen, und daß die
Verletzungen, welche Eisenbahnpassagiere zu erleiden pflegen, in bei weitem geringerer
Zahl eintreten als diejenigen der
Eisenbahnbeamten. Den wichtigsten
Grund für diese
Erscheinung bildet der Umstand, daß sich
Eisenbahnunfälle
in sehr ausgedehntem
Maß bei Güterzügen ereignen, also bei
Zügen, welche keine
Passagiere mit sich
führen.
Die nachstehende Tabelle gibt ein Bild über die allgemeine Betriebssicherheit der dem Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen angehörigen Bahnen während des Betriebsjahrs 1883:
Art der Unfälle: | Deutsche Bahnen | Österr.-ungar. Bahnen | Niederländ. etc. Bahnen |
---|---|---|---|
1) Es sind vorgekommen: | |||
Entgleisungen | 450 | 408 | 129 |
Zusammenstöße | 343 | 102 | 49 |
Sonstige Unfälle (auch solche ohne Folgen) | 2572 | 644 | 113 |
2) Es sind Personen: | |||
a) unverschuldet bei einem außergewöhnlichen Bahnereignis getötet | 20 | 10 | 5 |
verletzt | 247 | 50 | 6 |
b) infolge eigner Schuld oder Unvorsichtigkeit getötet | 533 | 188 | 66 |
verletzt | 1372 | 363 | 101 |
c) außerdem in selbstmörderischer Absicht getötet | 156 | 59 | 7 |
verletzt | 16 | 17 | 1 |
3) Die Anzahl der Unterbrechungen des fahrbaren Zustands der Bahn betrug | 61 | 125 | 1 |
4) Achsbrüche: | |||
bei Lokomotiven und Tendern | 30 | 49 | 7 |
bei Wagen | 45 | 49 | 17 |
Die Zahl der durch Achsbrüche veranlaßten Unfälle betrug | 10 | 35 | - |
5) Radreifenbrüche: | |||
bei Lokomotiven und Tendern | 529 | 384 | 21 |
bei Wagen | 2505 | 396 | 30 |
und die Zahl der dadurch veranlaßten Unfälle | 26 | 39 | 1 |
6) Schienenbrüche: | 2292 | 1278 | 120 |
und die Zahl der dadurch veranlaßten Unfälle | 20 | 4 | - |
¶
mehr
In der nachfolgenden Übersicht sind die bisher stattgefundenen größern Eisenbahnunfälle
, d. h.
die Unfälle, bei denen die Zahl der verunglückten Personen eine verhältnismäßig große war, zusammengestellt.
Die größern Eisenbahnunfälle
seit 1842.
Jahr | Tag | Orte der Unfälle | Ursache und Folgen der Unfälle |
---|---|---|---|
1842 | 8. Mai | Belleville (Frankreich) | 50 Passagiere verbrannt |
1852 | 6. Mai | Norwalk (Connecticut, Vereinigte Staaten) | 46 Personen getötet, 30 verletzt infolge offen gelassener Drehbrücke |
1854 | 24. Okt. | Kanada | 40 Personen getötet auf der Great Western-Bahn |
1856 | 17. Juli | Pennsylvanien | 62 Pers., meist Kinder, verbrannt, 100 verletzt auf d. North Pennsylvaniabahn |
1857 | 17. März | Kanada bei Des Jardins | 60 Personen getötet auf der Great Western-Bahn |
1857 | 28. Juni | Lewisham (England) | 11 Pers. getötet, 100 verletzt |
1859 | 27. Jan. | South Bend (Indianapolis, Verein. Staaten) | 30 Pers. getötet, 40 verwundet infolge einer ausgewaschenen Stelle auf der Süd-Michiganbahn |
1859 | 2. Aug. | Tomhannock Creek | 13 Personen getötet auf der Albany, Vermont and Kentucky-Eisenbahn |
1859 | 31. Dez. | Auf einer Brücke in der Nähe von Columbus (Verein. Staaten) | 14 Personen getötet |
1861 | 25. Aug. | London (Clayton-Tunnel) | 23 Personen getötet, 100 verletzt |
1862 | 13. Okt. | Winchburg | 15 Personen getötet |
1862 | 15. Juli | Port Jervis (Ver. St.) | 50 Pers. getötet, 60 verletzt |
1867 | 11. Dez. | Hanlan Bridge | 15 Personen getötet |
1867 | 18. Dez. | Angola (Lake Shore, Vereinigte Staaten) | 40 Personen verbrannt |
1868 | 14. April | Port Jervis (Ver. St.) | 20 Pers. getötet, 60 verletzt |
1868 | 20. Aug. | Abergele (Nordwales) | 38 Personen verbrannt |
1868 | 20. Aug. | Nordwestbahn (Böhm.) | 21 Pers. getötet, 60 verletzt |
1869 | 14. Juli | Eriebahn b. Mast Hope | 10 Personen verbrannt |
1871 | 3. Juli | Harpeth River (Tennessee, Verein. Staat.) | 15 Personen getötet, 20 verletzt |
1871 | 26. Aug. | Revere in der Nähe von Boston (Mass., V. St.) | 30 Pers. getötet, 50 verletzt infolge Zusammenstoßes |
1872 | 6. Febr. | New Hamburg (New York, Verein. Staat.) | 22 Personen getötet beim Brand eines Ölzuges |
1872 | 24. Dez. | Norwich (England) | 19 Personen getötet beim Herabfallen eines Zuges in eine Schlucht |
1874 | 10. Sept. | Shipton (England) | 24 Pers. getötet, 40 verletzt infolge Zusammenstoßes |
1874 | 20. Okt. | Cherwellfluß (Engl.) | 34 Pers. ertrunken dadurch, daß ein Zug in den nebenbezeichneten Fluß fiel |
1875 | 21. Jan. | Great Northern-Bahn (England) | 13 Pers. getötet bei einem Zusammenstoß |
1876 | 26. Sept. | Black Lick Station (Panama, Verein. Staat.) | 25 Personen getötet durch einen Unfall |
1876 | 26. Dez. | Ashtabula (Ohio, Vereinigte Staaten) | 80 Personen getötet durch einen Unfall |
1880 | 20. Dez. | Taybrücke (Schottland) | 200 Personen ertrunken infolge Zusammenbrechens der Brücke |
1881 | 1. März | Macon (Missouri) | 40 Auswanderer getötet bei einem Zusammenstoß |
1882 | 3. Sept. | Hugstetten (Baden) | 64 Pers. getötet, 225 verletzt infolge Entgleisung |
1883 | 2. Sept. | Steglitz bei Berlin | 39 Tote, 20 Verwundete durch überfahren an einem Niveauübergang |
1885 | 25. Jan. | Neusüdwales (Australien) | 12 Tote, 28 Verwundete durch Einbruch eines Viadukts infolge heftiger Regengüsse auf der Eisenbahnlinie Melbourne-Sydney |