Don
Juan (span., spr. chuán), berühmte Theaterfigur, Held einer spanischen Sage, die, unter dem heißen Himmel [* 2] des Südens entstanden, in ihrer erschütternden Gewalt wie ihrer tief im Geiste des Mittelalters wurzelnden Grundidee der Faustsage des Nordens entspricht oder vielmehr die Ergänzung derselben bildet. Während diese lehrt, daß das Überspringen der dem forschenden Menschengeist gesteckten Schranken Frevel ist und ins Verderben stürzt, zeigt jene, wie umgekehrt das maßlose Schwelgen im Genuß des Irdischen zu demselben Ziel führt. In beiden Sagen tritt uns der menschliche Egoismus, der rücksichtslos nur die Befriedigung seines subjektiven Gelüstens erstrebt, in der höchsten Potenz entgegen; beide zusammen bilden den Inbegriff alles menschlichen Irrens im Denken wie im Fühlen.
Die Don Juan-Sage ist älter als die Sage vom Faust und knüpft an eine geschichtliche Person an, deren Familienname Tenorio ist. Wir erfahren von einem Hidalgogeschlecht dieses Namens und besonders von einem Admiral Tenorio, der sich im Kampf gegen die Mauren einen ruhmvollen Namen erwarb. Den jüngsten von dessen Söhnen, Juan, bezeichnet die Sage als ihren Helden und macht ihn zum Genossen des Königs Pedro (1350 bis 1369) bei seinen Lüsten und Grausamkeiten, so daß sein Name in Sevilla [* 3] und der Umgegend zum Gegenstand der abenteuerlichsten und schaudervollsten Erzählungen ward.
Nach zahllosen Frevelthaten, so wird berichtet, habe er endlich eine Jungfrau in Sevilla, Giralda, zu entehren versucht und ihren Vater, den Gouverneur der Stadt, der ihr zu Hilfe geeilt, im Zweikampf ermordet. Als er darauf im Übermut die jenem errichtete steinerne Statue zum Nachtessen geladen, sei diese wirklich erschienen und mit ihm zur Hölle gefahren. Mit dieser Sage vermischte sich in späterer Zeit eine andre, deren Gegenstand ein Wüstling ähnlichen Namens, Juan de Maraña, ist.
Derselbe sollte ein Bündnis mit dem Teufel geschlossen, sich schließlich aber nach vielen Schandthaten bekehrt haben und im Geruch der Heiligkeit gestorben sein. Schon frühzeitig soll die Don Juan-Sage von einem unbekannten Dichter dramatisch bearbeitet und unter dem Titel: »El ateista fulminado« lange Zeit hindurch in den Klöstern aufgeführt worden sein;
der erste, der sie notorisch im Drama darstellte, war der Mönch Gabriel Tellez, der unter dem Namen Tirso de Molina als beliebter Komödiendichter in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. lebte und den ergiebigen Stoff unter dem Titel: »El burlador de Sevilla y convidado de piedra« (deutsch von Braunfels in Rapps »Spanischem Theater«, [* 4] Bd. 5, Hildburgh. 1870) auf die Bühne brachte.
Molinas Stück, das eine flüchtige Arbeit ist, aber doch Partien enthält, wie sie nur ein Dichter ersten Ranges geben kann, wurde zu Ende des 17. Jahrh. in Spanien [* 5] selbst von Ant. de Zamora überarbeitet. Bereits vorher war dasselbe nach Italien [* 6] übergegangen, zuerst in O. Gilibertis (1652), dann in Cicogninis Bearbeitung (»Il convitato di pietra«, 1670), welch letztere bemerkenswert ist, weil die komische Person hier zuerst in bestimmter Zeichnung erscheint. Von Italien drang es bald auch nach Frankreich ein, wo zuerst Dorimon eine Bearbeitung des Stückes von Giliberti unter dem abgeschmackten Titel: »Le [* 7] festin de pierre, ou le fils criminel« 1658 in Lyon, [* 8] dann de Villiers eine solche als »Tragikomödie« 1659 in Paris [* 9] zur Aufführung brachte. Der Stoff erregte hier so großes Interesse, daß Molière noch kurz vor seinem Tod nach demselben seinen ou le festin de pierre, comédie en 5 actes« bearbeitete, der 1665 zum erstenmal auf dem Theater des Palais Royal aufgeführt ward. Der Spaßmacherei der Italiener gegenüber wollte Molière den Gegenstand in die Sphäre der eigentlichen Komödie erheben, verwischte aber dabei jede Spur vom national-historischen Charakter des ¶
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spanischen Dramas. Thomas Corneille brachte das Stück 1677 in Verse, und in dieser Gestalt schritt es bis in die neueste Zeit (1847) über die französischen Bühnen. Von andrer Seite wieder faßte der Schauspieler Dumesnil (als Dichter Rosimon genannt) den Stoff auf, indem er seine Tragikomödie »Festin de pierre, ou l'athée foudroyé« (1669) zu einem Dekorations- und Spektakelstück machte und die Handlung in heidnische Zeiten verlegte, um ungestraft seinen Atheisten prahlen zu lassen.
Auch in England ward der Stoff durch Shadwells Tragödie »The libertine destroyed« eingeführt (1676); doch war darin der Held so grenzenlos verrucht hingestellt, daß er alle Schranken der Billigung überschritt. Durch Molière angeregt, suchte 50 Jahre später auch Goldoni das alte spanische Stück seinem Vaterland in der würdigern Gestalt einer regelmäßigen Komödie vorzuführen. Sie wurde zuerst 1736 in Venedig [* 11] unter dem Titel: »Don Giovanni Tenorio, osia: il dissoluto punito« aufgeführt;
sonderbarerweise aber läßt der Dichter den steinernen Gast ganz weg und übergibt einem Blitzstrahl
das Racheamt. In Deutschland
[* 12] gehörte »Don Juan
, oder das steinerne Gastmahl« (!) bereits seit dem Anfang des 18. Jahrh. zum stehenden
Repertoire der improvisierenden Schauspieler, die dafür ebensowohl Dorimons und Molières Stücke wie die Traditionen der Italiener
benutzt zu haben scheinen.
Neben diesen dramatischen Bearbeitungen fehlte es auch nicht an Versuchen,
den Stoff als Oper zu behandeln. Den ersten Anlauf
[* 13] dazu nahm der Franzose Le Tellier 1713 in Paris; 1761 wurde ein Ballett: »Don Juan«
, mit
Musik von Gluck, in Wien
[* 14] aufgeführt, und etwa 20 Jahre später ging eine gleichnamige Oper, komponiert von V. Righini, in
Prag
[* 15] und anderwärts über die Bretter. Alle diese Arbeiten weit hinter sich zurück ließ Mozart, der in seinem Meisterwerk:
»Il dissoluto punito, ossía Don Giovanni« (1787, nach Dapontes einsichtsvoll gearbeitetem Textbuch komponiert), den ergreifenden
Stoff in seiner tiefen poetischen Bedeutung erfaßte und ihm die klassische Gestaltung gab, die ihn nicht
nur in Deutschland, sondern in der ganzen zivilisierten Welt volkstümlich machte.
Unmittelbar nach Mozart schrieb auch Gazzaniga eine Oper: »Convitato di pietra«, die 1789 in Bergamo und Rom,
[* 16] später in Mailand
[* 17] und Paris mit Beifall gegeben ward. Im 19. Jahrh. fuhr die Don Juan-Sage fort, ein Lieblingsgegenstand poetischer Bearbeitung zu
sein. Byrons epische Dichtung »Don Juan«
knüpft allerdings nur an den Namen des Helden an und entfernt sich im
übrigen ganz von der Sage. Dagegen sucht Grabbe in seiner Tragödie »Don Juan
und Faust« (1829) die alte südliche Volkssage mit der
Faustsage des Nordens in Verbindung zu bringen; andre Don Juan
-Dramen brachten Holtei (1834),
Braun v. Braunthal (1842) u. a. Auch Lenau hinterließ eine (unvollendete) epische Dichtung: »Don Juan«
, voll dramatischer Präzision
und genialer Keckheit der Gedanken. In Frankreich wurde die Sage von neuern Dichtern ebenfalls wiederholt behandelt, teils dramatisch,
wie z. B. von A. Dumas (»Don
Juan de Marana«, 1836),
teils als Roman, wie von Mérimée (1834),
Mallefille
(1858) u. a. Eine anziehende Bereicherung der Don Juan
-Dichtungen brachte in neuerer Zeit das Heimatsland der Sage selbst mit José
Zorillas Drama »Don
Juan Tenorio« (1844; deutsch, Leipz. 1850). Wie nämlich Goethe der Faustsage eine dem Volksglauben entgegenlaufende,
aber im fortschreitenden Bewußtsein der Zeit begründete versöhnende Wendung gegeben hat, so wird in
dem Drama Zorillas auch die Don Juan
-Sage,
ohne daß der Stoff im wesentlichen sich verändert, zuerst ganz im modernen Geist behandelt.
Übrigens hat derselbe Dichter den Gegenstand auch noch episch-lyrisch in »El
desafio del diablo« (1845) und »Un testigo di bronze« (1845) bearbeitet.
Als jüngstes Glied
[* 18] dieser Kette von Dichtungen ist P. Heyses freilich nur an die alte Sage anknüpfendes
Drama »Don Juans Ende« (1883) zu nennen. Ausführliche Nachweise über die Sage und ihre Bearbeitungen enthält Scheibles »Kloster«,
Bd. 3, Abt. 2 (Stuttg. 1846).