Diakonissinnen
in der ältern
Kirche im engern
Sinn
Frauen, welche
für ihr
Geschlecht das waren, was die
Diakonen (s. d.) für die ganze
Gemeinde, nämlich amtlich bestellte
Armen- und Krankenpflegerinnen.
Der
Name »Diakonin« findet sich bereits
Röm.
16, 2;. die Form »Diakonisse« ist etwas spätern Ursprungs. Nach einigen
Auslegern kommen Gehilfinnen der
Diakonen
1. Tim. 3, 11. vor; auch wird
Tit. 2, 3;.
1. Tim. 5, 9. ff.
ein dem Gemeindedienst gewidmetes Witweninstitut beschrieben.
Später verschwinden die
Witwen und »Presbytiden« unter den Diakonissi
nnen. Diese
wurden förmlich ordiniert, und es war ihnen der
Unterricht der weiblichen
Katechumenen, das Aus- und Ankleiden der weiblichen
Täuflinge, der Besuch der Kranken und Gefangenen, namentlich der Märtyrerinnen, die
Aufsicht über die
Frauen in der
Kirche nebst ähnlichen
Geschäften
übertragen. In
Konstantinopel
[* 2] arbeiteten unter
Chrysostomos über 40 Diakonissinnen
in der
Gemeinde, unter ihnen die junge
Witwe
Olympias aus einem der vornehmsten
Geschlechter. Um 600 erbaute der
Patriarch Cyriacus eine
Kirche, die er zu
Ehren seiner
Schwester, welche Diakonissin
war, Diakonissenkirche nannte, die noch heute
als
Moschee steht. Im
Occident wurde die
Anstellung von
Frauen für den Kirchendienst im 8. Jahrh. förmlich verboten. Im
Orient
kommen Diakonissinnen
bis zum 12. Jahrh. vor.
Mit der Reformation kamen auch die ersten Keime des biblischen Diakonissenamtes wieder zum Vorschein, wie im Stift Kappel bei Siegen [* 3] noch zu Lebzeiten Melanchthons und in Wesel [* 4] seit 1575. In einigen kleinern protestantischen Gemeinschaften in England und Holland hat dieses Amt von der Reformation an bis fast zu unsern Zeiten, wenn auch verkümmert, sich erhalten. Nach vorausgegangenen mehrfachen theoretischen Erörterungen wurde durch den Pfarrer Theodor Fliedner (s. d.) in Kaiserswerth a. Rh. das erste Diakonissenhaus der Neuzeit gegründet und damit der Anstoß zur lebenskräftigen Erneuerung des apostolischen, altchristlichen Diakonissenamtes in einer für die Bedürfnisse der Jetztzeit entsprechenden Form gegeben.
Die »Schwestern« werden nach einer je nach Charakter und Vorbildung längern oder kürzern Probezeit kirchlich eingesegnet. Gelübde finden nicht statt. Die Verbindung mit ihrer Familie bleibt frei, ebenso Besitz und Verwaltung des Privatvermögens. Stets bleiben sie in enger Verbindung mit ihrem Mutterhaus, welches über ihre Stellung und Sendung verfügt und sie in Krankheit und Alter versorgt. Sie behalten die Freiheit, in die Ehe zu treten und zu pflegebedürftigen Eltern auf deren Wunsch zurückzukehren.
Ursprünglich und hauptsächlich zur Krankenpflege bestimmt, hat dieses Mutterhaus auch die Kindererziehung und Lehrerinnenbildung, die Pflege der Gemütskranken und die Rettung gefallener Frauen in den Bereich seiner Wirksamkeit gezogen und will überhaupt auf allen Gebieten menschlichen Elends dienen, wo weibliche Kräfte helfend eintreten können. Selbst in Konstantinopel und Smyrna, Beirut, Jerusalem, [* 5] Alexandria, Kairo [* 6] und Florenz [* 7] sind Kranken-, Waisen- und Erziehungshäuser von Kaiserswerth aus gegründet worden, wie denn überhaupt mit dem Beginn der Diakonissenthätigkeit die Krankenhäuser und namentlich die Krankenpflege eine heilsame Reformation erfahren haben.
Unmittelbar oder mittelbar durch die in Kaiserswerth vollzogene Wiederbelebung des alten Diakonissenamtes angeregt, entstanden nach und nach in der ganzen protestantischen Welt bis 1884 über 60 selbständige Diakonissenhäuser mit etwa 6000 Schwestern und ca. 1750 Arbeitsfeldern außerhalb der Mutterhäuser und zwar zu: Berlin [* 8] (Elisabeth-Krankenhaus, 1837, 101 Schwestern), Paris [* 9] (1841, 67 und 1874, 15 Schw.), Straßburg [* 10] (1842, 165 Schw.), Echallens, jetzt St.-Loup (1842, 54 Schw.), Dresden [* 11] (1844, 218 Schw.), Utrecht [* 12] (1844, 61 Schw.), Bern [* 13] (1845, 210 Schw.), Berlin (Bethanien, 1847, 223 Schw.), Stockholm [* 14] (1849, 136 Schw.), Pittsburg, jetzt Rochester in Nordamerika [* 15] (1849, 18 Schw.), Breslau [* 16] (1850, 175 Schw.), Königsberg [* 17] i. Pr. (1850, 204 Schw.), Stettin [* 18] (1851, 32 Schw.), Ludwigslust (1851, 140 Schw.), Karlsruhe [* 19] (1851, 89 Schw.), Riehen bei Basel [* 20] (1852, 174 Schw.), Neuendettelsau in Bayern [* 21] (1854, 228 Schw.), Stuttgart [* 22] (1854, 286 Schw.), Augsburg [* 23] (1855, 63 Schw.), Halle [* 24] a. S. (1857, 70 Schw.), Darmstadt [* 25] (1858, 135 Schw.), Zürich [* 26] (1858, 80 Schw.), St. Petersburg [* 27] (1859, 34 Schw.), Speier [* 28] (1859, 70 Schw.), Kraschnitz in Schlesien [* 29] (1860, 74 Schw.), Hannover [* 30] (1860, 189 Schw.), Hamburg [* 31] (Bethesda, 1860, 27 Schw.), London [* 32] (Hyde Park, 1861, 14 Schw.), Danzig [* 33] (1862, 93 Schw.), Kopenhagen [* 34] (1863, 115 Schw.), Treysa, jetzt Kassel [* 35] (1864, 34 Schw.), Haag [* 36] in Holland (1865, 35 Schw.), Mitau [* 37] in Kurland [* 38] (1865, 14 Schw.), Posen [* 39] (1865, 66 Schw.), Pest (1866, 10 Schw.), Frankenstein i. Schl. (1866, 121 Schw.), Riga [* 40] in Livland (1866, 10 Schw.), Berlin (Lazarus-Krankenhaus, 1867, 43 Schw.), London (Tottenham, 1867, 39 Schw.), Reval [* 41] in Esthland (1867, 18 Schw.), Helsingfors in Finnland (1867, 12 Schw.), Altona [* 42] i. Holst. (1867, 58 Schw.), Bremen [* 43] (1868, 23 Schw.), Christiania [* 44] (1868, 172 Schw.), Wyburg (1869, 5 Schw.), Bielefeld [* 45] (1869, 352 Schw.), Neutorney bei Stettin (1869, ¶
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150 Schw.), Braunschweig [* 47] (1870, 42 Schw.), Frankfurt [* 48] a. M. (1870, 64 Schw.), Flensburg [* 49] (1874, 76 Schw.), Berlin (Paul Gerhardt-Stift, 1876, 55 Schw.), Sarata in Südrußland (1867, 21 Schw.), Nowawes bei Potsdam [* 50] (Oberlinhaus), Gallneukirchen in Oberösterreich, Stettin (Stift Salem), Hamburg (Bethlehem), Arnheim und Philadelphia [* 51] in Nordamerika. Das Diakonissenhaus in Kaiserswerth besaß 1885: 693 auf 200 Arbeitsfeldern thätige Schwestern. Die Gesamteinnahme der Mutterhäuser außer den sechs zuletzt genannten betrug 1883: 5,607,886 Mk. Auch gehören hierher die Schwestern der Barmherzigkeit (sisters of mercy) in Davenport und Plymouth [* 52] und das Haus der Barmherzigkeit in Clever bei Windsor.
Vgl. Schäfer, Die weibliche Diakonie (Hamb. 1880, 3 Bde.).