Desinfektion.
[* 3] Die Desinfektion
ist noch fortwährend eine der brennenden
Fragen in der Hygiene und in letzter Zeit wieder vielfach
und von verschiedenen
Gesichtspunkten aus bearbeitet worden. Als Ergebnisse der neuesten Untersuchungen darf etwa folgendes
ausgesprochen werden.
Alle
Versuche, welche darauf abzielten.
Räucherungen zur Desinfektion
von geschlossenen
Räumen anzuwenden, haben
ergeben, daß auf diesem Weg niemals die zuverlässige Desinfektion
eines
Raums erreicht werden kann, heißen nun
die Räucherungsmittel
Chlor oder
Brom,
schweflige Säure,
Sublimat oder
Karbolsäure, und mag man das
Mittel so konzentriert anwenden
als man will. Es gelingt dies deshalb nicht, weil ein gasförmiges Desinfekti
onsmittel sich niemals gleichmäßig verbreitet
und niemals sicher in alle
Fugen und Ritzen eindringt.
Räuchert man z. B. mit schwefliger
Säure in einem
Zimmer, in dessen
Thür man zuvor von innen einen blanken
Schlüssel gesteckt
hat, so findet man nach der
Räucherung das aus dem
Schloß hervorstehende Ende des
Schlüssels von der schwefligen
Säure angegriffen
und mit
Rost überzogen, das in der
Thür steckende blank. Übereinstimmend damit fand man auch bei
Räucherungen
Bakterienproben, welche beispielsweise auf dem Sitzbrett eines
Stuhls angebracht waren, durch die
Räucherung abgetötet; solche
aber, welche an der Unterseite desselben
Brettes befestigt waren, zeigten sich von der Desinfektion
unberührt. Man muß also auf eine
»Desinfektion
der
Luft«, so bequem dieselbe wäre, ein für allemal verzichten. Damit kommen die in flüssiger Form
verwendeten Desinfektion
smittel um so mehr wieder zu ihrem
Recht. Man hat deren manche neue kennen
¶
mehr
gelernt, man hat aber auch manche der früher schon bekannten, welche etwas mehr verlassen waren, wieder entsprechender gewürdigt.
Bevor diese aber besprochen werden sollen, muß hervorgehoben werden, daß heute als ein Hauptgrundsatz zu gelten hat: chemische
Desinfektion
smittel können in ihrer Wirkung nur dann richtig beurteilt und untereinander verglichen werden, wenn
die Infektionsstoffe, auf welche sie einwirken sollen, den Mitteln ohne weiteres auch alle gleich zugänglich sind.
Meistens sind aber die Infektionsstoffe, d.h. die Bakterien, in den verschiedenartigsten Schmutz eingelagert, welcher oft
zu zähen Massen oder festen Krusten vertrocknet, dieselben mit einer schützenden Hülle gegen die Desinfektion
smittel umgibt.
Gelangen solche Krankheitsstoffe enthaltende Massen in den Körper von Menschen oder Tieren, so weiden diese
Umhüllungen aufgelöst, und es erfolgt die Infektion ungehindert. Es ist folglich eine Hauptbedmgung jeder Desinfektion
mit chemischen
Mitteln, durch gründliche Reinigung die Schmutzsubstanzen, welche vorwiegend organischer Natur sind und aus Fett-, Eiweiß-,
Leimsubstanzen bestehen, aufzulösen und so die Bakteriender Einwirkung der Desinfektion
smittel zugänglich
zu machen.
Dies hat unter Umständen wieder seine besondern Schwierigkeiten, weil manche Objekte nicht ohne weiteres einer Abwaschung,
z. B. mit Seifenwasser und Soda, unterworfen werden tonnen, ohne daß sie hierdurch unbrauchbar gemacht würden. In solchen
Fällen muß entweder der Gegenstand geopfert werden, oder man wählt besondere Auskunftsmittel (so
das Abreiben der tapezierten Wände mit Brot,
[* 5] wodurch eine sehr vollständige Desinfektion
derselben sogar ohne Zuhilfenahme eines Desinfektion
smittels
erreicht werden kann). Handelt es sich um abwaschbare Räume und Gegenstände, so empfiehlt es sich zum Schutz derjenigen,
welche die Arbeit vorzunehmen haben, unter Umständen zunächst die Objekte mit einem Desinfektion
smittel
vorläufig zu befeuchten oder abzuwaschen, sodann dieselben einer gründlichen Reinigung zu unterziehen und dann erst die
eigentliche Desinfektion
vorzunehmen.
Es sind also bei der Desinfektion mit chemischen Mitteln sehr mannigfache Gesichtspunkte zu beachten, und es muß das Verfahren beinahe für jeden Einzelfall besonders ausgedacht werden; die Mannigfaltigkeit der notwendigen Maßnahmen wird aber noch erheblich vermehrt dadurch, daß, wie man jetzt weiß, auch die einzelnen pathogenen Bakterien (s.d., Bd. 2 u. 17) eine sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit besitzen, ja daß die einen derselben leichter durch dieses, die andern leichter durch jenes Desinfektionsmittel zerstört werden.
Einige Beispiele mögen genügen: Die Mikrotolken, welche die Wundinfektionskrankheiten hervorrufen, werden sehr sicher und rasch durch Karbolsäure getötet, nicht so die Milzbrandsporen. Das Ouectsilbersublimat tötet sofort Milzbrandsporen, die widerstandsfähigsten Infektionserreger, welche wir kennen, ist aber zur Desinfektion des tuberkelbacillenhaltigen Auswurfs der Schwindsüchtigen völlig unbrauchbar; dieser wird dagegen durch Kreolin schon in 2proz. Lösung sicher desinfiziert. Hieraus ist ersichtlich, daß es wünschenswert sein muß, verschiedenartige Desinfektionsmittel zu kennen, so daß jedesmal nach Art der Krankheit, gegen welche desinfiziert werden soll, und nach Art des zu desinfizierenden Gegenstandes das geeignetste derselben ausgewählt werden kann. Es kommen gegenwärtig folgende chemische Desinfektionsmittel in Betracht: obenan stehen die im Artikel Desinfektion (Bd. 4) aufgeführten Mittel Sublimat und Karbolsäure als diejenigen von der allgemeinsten Wirksamkeit.
Sodann ist erst jetzt einem Mittel durch die bakteriologische Forschung die ihm gebührende Beachtung zu teil geworden, einem Mittel, welches wohl ohne Zweifel als das älteste Desinfektionsmittel bezeichnet werden muß: es ist dies der frisch gelöschte gebrannte Kalk. Derselbe steht in seiner Wirkung der Karbolsäure nahezu gleich, ist geruchlos, ungiftig, überall leicht zu beschaffen, billig; er eignet sich vortrefflich zu einem desinfizierenden Anstrich gemauerter oder getäfelter Wände sowie besonders zur Desinfektion von Typhus-und Cholerastühlen, überhaupt jeder Jauche, wofern sie nicht Milzbrandsporen oder Tuberkelbacillen enthält.
Von den uns bis jetzt bekannten Infektionsstoffen sind diese beiden wohl die einzigen, welche^ durch den Kalk nicht abgetötet werden. Noch ein zweites, in den letzten Jahren etwas unterschätztes, längst bekanntes Desinfektionsmittel ist durch die neuesten Untersuchungen wieder mehr zur Geltung gekommen, nämlich der Chlorkalk. [* 6] Er ist im stande, in kürzester Zeit Milzbrandsporen und Tuberkelbacillen abzutöten, allerdings nur, wenn er als dicker Brei mit denselben in Berührung kommt.
Bei der Tünchung von Wandflächen, Abschlämmung von gepflastertem oder Lehmschlagboden u. dgl. ist jedoch die Anwendung in dieser Form sehr wohl thunlich. Den Kalk an Wirksamkeit noch übertreffend ist von neuen Mitteln zu nennen die Schwefelkarbolsäure, eine durch Mischung der an sich wenig wirksamen rohen Karbolsäure mit reiner Schwefelsäure [* 7] hergestellte sirupartige Flüssigkeit, aus welcher 2-5proz. wässerige Verdünnungen hergestellt werden. Diese Mischungen sind im stande, Milzbrandsporen und Tuberkelbacillen zu töten; sie sind wie Kalk leicht zu beschaffen und billig.
Nach den großen Überschwemmungen des Jahrs 1888 wurden sie auf Anordnung des königlich preußischen Kultusministeriums zur Desinfektion von Brunnen [* 8] angewandt, nachdem eingehende Untersuchungen das Verfahren als erfolgreich erwiesen hatten. Als der Schwefelkarbolsäure chemisch verwandter Körper ist zu nennen das Kreolin (s. d., Bd. 17). Das souveränste Desinfektionsmittel ist die Hitze geblieben; für metallene Gegenstände eignet sich am besten das Ausglühen (der Gegenstand braucht dabei nicht bis zum Glühen zu kommen, sondern muß nur so weit erhitzt werden, daß er weißes Papier, Stoff, Watte etc. bräunt, da organische Substanzen bei ca. 150° C. sich bräunen und bei dieser Temperatur sämtliche Bakterien abgetötet werden). Für alle Textilgegenstände, selbst Seide, [* 9] ferner für Betten ist der strömende Dampf [* 10] von 100° C. oder gespannter Dampf von etwas über 100° C. das einzige, aber unbedingt verläßliche Desinfektionsmittel. Pelz- und Lederwaren dürfen Dämpfen nicht ausgesetzt werden. Zur Desinfektion dieser Gegenstände ist noch kein nach allen Seiten befriedigendes Verfahren gefunden.
Vgl. »Mitteilungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« (Bd. 2);
Wolffhügel, Schweflige Säure etc.; »Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt« (Bd. 5);
Jäger, Untersuchungen über die Wirksamkeit chemischer Desinfektionsmittel etc.; Liborius, Untersuchungen über die Desinfektionswirkung des Kalks (»Zeitschrift für Hygiene«, Bd. 2);
Fränkel, Die desinfizierenden Eigenschaften der Kresole (»Zeitschrift für Hygiene«, Bd. 6).