mehr
Conservadora über die Gesetze zu wachen, und derselbe hielt auch regelmäßige Sitzungen; aber alle seine Botschaften, namentlich sein Verlangen der sofortigen Berufung des Parlaments ließ Balmaceda unbeachtet. Damit war Anlaß zum gewaltsamen Konflikt gegeben. Valmaceda steifte sich auf den Wortlaut der Verfassung, die er zu achten geschworen habe und der er bis zum Ablauf [* 3] seiner Amtszeit (im September) bei allen andern Bürgern Achtung verschaffen werde; und allerdings war er nach diesem Wortlaut unabsetzbar und unverantwortlich. Aber er hatte seinerseits keine direkte Gewalt über den Kongreß, auch nicht das Recht, Neuwahlen auszuschreiben. Beide Faktoren standen sich also gleichberechtigt gegenüber.
Vom ab regierte Balmaceda ohne Staatshaushalt und Heeresbewilligung, ließ aber verkünden, das sei schon öfter vorgekommen; er werde bis zu den neuen Kammerwahlen, 1. März, die Regierung auf eigne Verantwortung fortführen. Unterstützt von den reichen Besitzern der Salpeterlager im Norden, [* 4] beschloß darauf die oppositionelle Kongreßmehrheit einen Gewaltstreich; nachdem sie viele Offiziere der Flotte gewonnen, übertrug sie das Kommando der vor Valparaiso [* 5] liegenden sechs Panzerschiffe [* 6] dem Kapitän Jorje Montt, und nachdem sich die Führer der Opposition eingeschifft hatten, verließ die Flotte die Bai von Valparaiso und fuhr nach dem Norden.
Ein Aufruf des Nationalkongresses erklärte, daß sich derselbe genötigt sehe, die Verteidigung der von Balmaceda verletzten Verfassung zu übernehmen. Aber der gehoffte Erfolg des Abfalls der gesamten Flotte trat nicht ein. Das Landheer blieb dem Präsidenten treu und wurde ansehnlich verstärkt. Mehrere Versuche der »Oppositoren«, in Santiago eine Revolution herbeizuführen oder wenigstens ein Attentat auf Balmaceda zu bewerkstelligen, wurden rechtzeitig entdeckt und unterdrückt.
Die Masse des Volkes verhielt sich gleichgültig; keine Partei hatte eine größere Anzahl überzeugter Anhänger für sich. Balmaceda übte eine unumschränkte Diktatur aus und beseitigte die Anhänger der Kongreßvartei aus allen Ämtern. Ja, er beschloß, durch eine Änderung der Verfassung für die Zukunft die Ursachen der gegenwärtigen Revolution vollkommen zu beseitigen, indem er die monarchische Gewalt des jeweiligen Präsidenten genau festsetzen und die Befugnis des Kongresses auf den Anteil an der Gesetzgebung beschränken ließ, und ordnete daher 11. Febr. Neuwahlen für eine konstituierende Versammlung am 29. März an, welche 20. April zusammentreten und befugt sein sollte, die Staatsverfassung so weit zu ändern, als dies nötig sei, um neue Streitigkeiten über die Befugnisse der Staatsgewalten zu verhüten.
Die aufständische
Flotte erklärte die chile
nischen Häfen für blockiert, was aber von den fremden Mächten nicht anerkannt
wurde. Auch blieben einige
Kriegsschiffe der
Regierung treu. Die Aufständischen wandten sich im
Februar
nach den nördlichsten
Provinzen, beschossen
Pisagua und
Iquique und bemächtigten sich nach einigen
Kämpfen mit den Regierungstruppen
beider
Plätze. Nach der Vernichtung der Streitkräfte der
Regierung unter Oberst Robles bei Pozo
Almonte (7. März) fiel die reiche
Provinz
Tarapaca in die
Gewalt der Kongreßtruppen. Auch das seit dem letzten
Kriege mit
Peru
[* 7] nur einstweilen
von den Chilenen
besetzte Gebiet von
Tacna im äußersten
Norden sowie der wichtige
Hafen
Antofagasta in
Atacama wurden von den
Aufständischen
eingenommen. Ein Teil der Regierungstruppen entkam auf großen Umwegen durch argentinisches Gebiet nach Santiago. In Caldsra brach 16. April eine Meuterei unter den Regierungstruppen aus, infolge deren die Stadt in die Gewalt der Kongreßpartei fiel. Unter den Schiffen, welche darauf im Hafen von Caldera Anker [* 8] warfen, befand sich auch das Panzerschiff [* 9] der Aufständischen, Blanco Encalada, das 18. April in der Bai von Valparaiso ein glückliches Gefecht gegen die Regierungsschiffe geliefert hatte.
Dieses wurde 23. April plötzlich von zwei Torpedobooten, dem Almirante Condell und dem Almirante Lynch, angegriffen und durch einen Torpedo des letztern zum Sinken gebracht. Nachdem Friedensvermittelungsversuche Frankreichs, Brasiliens und der Union gescheitert waren (6. Mai), bildete die Kongreßpartei eine Regierungsjunta (Junta de Gobierno), während Valmaceda sich von den am 29. März neu gewählten und 20. April eröffneten Kammern, in denen er infolge der Leitung der Wahlen die Mehrheit hatte, die Diktatur förmlich übertragen ließ; durch Einführung des Zwangskurses und andre Maßregeln verschaffte er sich Geld. Auch die 11. Febr. angekündigten Vorschläge einer Verfassungsreform wurden den Kammern vorgelegt.
Der Bürgerkrieg dauerte nun schon mehrere Monate, ohne daß es einem Teil gelungen wäre, einen entscheidenden Erfolg davonzutragen. Die Lage der Aufständischen in den Nordprovinzen war eine mißliche. Die Versorgung der bei Iquique zusammengezogenen Truppen mit Lebensmitteln war schwierig, zumal die schnellen Regierungsboote durch Streifzüge die Küste beunruhigten. Außer Bolivia [* 10] weigerten sich alle amerikanischen und europäischen Staaten, die aufständische Regierungsjunta als kriegführende Macht anzuerkennen.
Indes fehlte es dieser infolge ihrer Verbindung mit den großen Kapitalisten nicht an Geld. Wenn auch mehrere von ihr angezettelte Verschwörungen in Santiago und Valparaiso, namentlich ein Versuch, mit Hilfe mehrerer bestochener Marineoffiziere die Regierungsschiffe in der Bucht von Valparaiso in die Luft zu sprengen, entdeckt und grausam bestraft wurden, so gelang es anderseits den Aufständischen, sich bedeutende Waffenvorräte aus Europa [* 11] zu verschaffen, namentlich mehrere Tausend kleinkaliberige Magazingewehre.
Ein ehemaliger preußischer Hauptmann, Emil Körner, bisher Subdirektor an der Kriegsschule in Santiago, ging zu den Aufständischen über, wurde zum Generalstabschef des Generals Canto ernannt und übte mit großer Energie in kurzer Zeit die Kongreßtruppen in der europäischen Gefechtsweise ein. Anfang Juli wurde ein Vorstoß gegen Coquimbo unternommen; 8. und 13. Juli fanden Gefechte von wechselndem Erfolg mit den Regierungstruppen statt. Da aber die Ankunft zweier neuerbauter Panzerschiffe aus Europa zu erwarten stand, welche die französischen Gerichte auf Reklamation Balmacedas endlich freigegeben hatten, und der letztere dann auch zur See die Überlegenheit über die zwar zahlreichern, aber alten und langsamen Kriegsschiffe der Kongreßpartei erlangt hätte, so beschloß diese, sofort einen entscheidenden Schlag zu führen, durch welchen Balmaceda, der eben den ihm ergebenen Vicuna zum Präsidenten hatte wählen lassen, vollständig überrascht wurde. General Canto sammelte die Kongretztruppen in Caldera und landete 20. Aug. mit 10,000 Mann in der Bucht von Quinteros, nördlich von Valparaiso. Schon 21. Aug. erlitten die Regierungstruppen unter General Alcerrecas am Flusse ¶
mehr
Aconcagua eine Niederlage und große Verluste durch die guten Gewehre der Kongreßtruppen. Der Oberbefehlshaber der Regierungstruppen, General Barbosa, zog sich darauf auf Valparaiso zurück und wurde 28. Aug. südlich der Stadt, bei Placilla, von Canto, der Valparaiso umgangen hatte, angegriffen. Trotz ihrer überlegenen Artillerie wurden die Regierungstruppen besiegt, als ihr linker Flügel, eine ganze Division, teils die Waffen [* 13] streckte, teils die Flucht ergriff.
Die Verluste an Toten und Verwundeten waren sehr erheblich. Barbosa und Alcérrecas fielen verwundet in die Gewalt der Feinde und wurden sofort erschossen. Die fliehenden Truppen sowie die nachsetzenden Sieger richteten im Verein mit dem Pöbel in Valparaiso schreckliche Verwüstungen und Gewaltthaten an; einen Teil der Stadt schützten die Mannschaften der fremden Kriegsschiffe. Die an der Schlacht nicht beteiligten Regierungstruppen unterwarfen sich, ebenso die Regierungskriegsschiffe. Auch Santiago kapitulierte ohne einen Versuch des Widerstandes und auch dort wurden die Häuser der Gegenpartei geplündert.
Der Sieg der Kongreßpartei war vollständig. Anfangs wurden von ihr einige Grausamkeiten begangen und geräuschvolle Siegesfeste gefeiert. Da Balmaceda gewiß war, keine Schonung zu finden, und ihm die Flucht nach Argentinien abgeschnitten wurde, erschoß er sich 19. Sept. im Hause des ihm befreundeten argentinischen Gesandten Uriburu, wo er sich verborgen gehalten hatte. Die Regierungsjunta der siegreichen Kongreßpartei übernahm nun die Herrschaft im Staate.
Sie erkannte das von Valmaceda ausgegebene Silber- und Papiergeld an und ordnete die Neuwahl des Kongresses für 18. Okt. an. Gegen die Anhänger Balmacedas, die von ihm ernannten Beamten, die Mitglieder des von ihm berufenen Kongresses und die Offiziere seines Heeres vom Hauptmann aufwärts schritt sie mit großer Strenge ein; was nicht entfliehen konnte, wurde verhaftet, um vor Gericht gestellt zu werden, nachdem in den Tagen des Siegesrausches viele Balmacedisten ohne und mit Förmlichkeiten erschossen worden waren.
Die Neuwahlen für die Kammern im Oktober fielen zu gunsten der Liberalen aus, welche namentlich im Senat die weit überwiegende Mehrheit hatten. Der Kongreß trat 10. Nov. zusammen, worauf sich die Junta de Gobierno auflöste. Die Gereiztheit der Sieger richtete sich auch gegen die fremden Staaten, deren Vertreter angeblich der Regierung Balmacedas Vorschub geleistet hatten, so besonders gegen den Gesandten der Vereinigten Staaten [* 14] von Nordamerika, [* 15] Egan, und die amerikanischen Kriegsschiffe im Hafen von Valparaiso, deren Befehlshaber beschuldigt wurde, in den letzten Entscheidungskämpfen die Balmacedisten, freilich vergeblich, unterstützt und die Flucht ihrer Anhänger begünstigt zu haben.
Die Matrosen des amerikanischen Kriegsschiffs Baltimore
[* 16] wurden in Valparaiso im Streite mit dem Pöbel teilweise arg mißhandelt.
Die Unionsregierung forderte im Januar 1892 in etwas schroffer Form Genugthuung und drohte mit Krieg. Doch
beschwichtigte Chile
die Erregung, indem es die Schuldigen bestrafte und die verlangte Genugthuung leistete (vgl. Vereinigte Staaten,
Geschichte). Bei der auf festgesetzten Präsidentenwahl wurde der Schiffskapitän Jorje Montt, das Haupt der Aufständischen,
ein ehrlicher, tüchtiger Mann, gewählt. Er berief ein aus Konservativen und Liberalen zusammengesetztes
Ministerium und ließ sich besonders die Regelung der Finanzen angelegen sein.
Zur Litteratur: Echevarria y
Reyes, Geografia politica de Chile
(Santiago 1889, 2 Bde.);
Gomez Vidaurre, Historia geografica,
natural y civil del reino de Chile
(das. 1889, 2 Bde.);
Espinosa, Geografia descriptiva de la republica de Chile
(Madr. 1890);
H. Kunz, Chile
und die deutschen
Kolonien (Leipz. 1890);
Hervey, Dark days in Chile
, an account of the revolution of 1891 (Lond. 1891).
Eine Karte von Chile
veröffentlichten
Polakowsky und Opitz (1: 2,500,000; 2. Ausg., Frankf. a. M. 1891).