Charakters
tücke,
dramatische Dichtungen, in welchen der Charakter sich aus der Handlung entwickelt, während im eigentlichen Drama (s. d.) die Handlung sich aus den Charakteren entwickelt. Darstellung eines Charakters nach allen Zügen und Seiten seiner Eigentümlichkeit wird in ihnen zur Hauptsache; Darstellung einer Handlung (d. h. einer That und ihrer Folgen für den Thäter) nach allen ihren Motiven und Beweggründen ist es im Drama. Daher wird in jenem die (gegebene oder erfundene) Fabel dem zu schildernden Charakter angepaßt, während im Drama die handelnden Charaktere der aus ihnen entspringenden Handlung entsprechen.
Der
Gang des
[* 2]
Dramas ist rasch, weil es mit jeder
Szene dem
Ausgang der
Handlung entgegeneilt, der des Charakters
tücks
zögernd, weil es in jeder
Szene bei einem sich offenbarenden neuen Zug
des zu schildernden
Charakters weilt. Der Rückblick am
Schluß des
Dramas zeigt das zum
Abschluß gelangte
Werden einer
Handlung, der Rückblick am
Schluß des Charakters
tücks die
Summe aller im Verlauf der
Handlung musivisch zusammengesetzten
Züge eines Charaktergemäldes.
Dieser ins
Breite
[* 3] ausmalende Zug
gehört mehr der epischen Beschaulichkeit als der dramatischen Lebendigkeit an und kann, ins
Übermaß ausartend, zur Kleinmalerei und zum Stillstand der
Handlung verführen. Im heitern
Genre, in dessen lose verknüpfter
Handlung auch der
Zufall Anwendung findet, ist das Charakterstück
häufiger als im ernsten, in dem
Trauerspiel
der Neuern, deren dramatische
Charaktere individueller als jene der griechischen Tragiker angelegt sind, häufiger als in
dem der Alten.
Die so geschilderten Charaktere können angeboren (Naturell, Temperament, wie in Kotzebues »Zerstreuten« u. a.) oder erworben (Leidenschaften, habituell gewordene Einbildungen, z. B. in Molières »Geizigem« und »Eingebildetem Kranken«),
allgemein menschliche (Tugenden, Laster, Affekte und Leidenschaften, wie in »Romeo und Julie«),
einem bestimmten Volk, Stand, Zeitalter eigentümliche (z. B. in Kotzebues »Indianern in England«, Freytags »Journalisten«, Laubes »Rokoko«) oder individuelle (z. B. Falstaff, Shakespeares »Richard III.« und »Timon von Athen«, [* 4] Goethes »Tasso«, »Egmont«, Hebbels »Demetrius« u. a.),
komische (Plautus' »Miles gloriosus«) oder tragische (»Hamlet«, »Othello« u. a.) sein. Gehören die Züge desselben beinahe ausschließlich einer lokal und temporär eingeschränkte Kulturstufe an, so veralten sie ¶
mehr
mit ihr (z. B. Molières »Tartüff«). Das wirksamste Mittel der Charakters
childerung liefert der Kontrast mit der danebengestellten
entgegengesetzten Charaktereigentümlichkeit: Geiz und Freigebigkeit, Ehrgeiz und Bescheidenheit, Egmont und Alba,
[* 6] Tasso und Antonio,
Edgar und Edmund, Hamlet und Laertes u. a.