Bretagne
(spr. -tánj), die nordwestlichste Halbinsel Frankreichs, grenzt im N., W. und SW. an das Meer (den Kanal [* 2] und offenen Atlantischen Ocean), im SO. und O. an die Niederungen Anjous, Maines und der Normandie und erhebt sich jenseit einer durch die Küstenflüsse Vilaine, Ille und Rance bezeichneten Terraineinsenkung wie eine niedrige Berginsel. Sie bildete früher als Herzogtum eine der Provinzen Frankreichs, welche gegenwärtig in die fünf Depart. Ille-et-Vilaine, Finistère, Morbihan, Côtes-du-Nord und Loire-Inférieure zerfällt.
Obgleich die größten
Erhebungen im NW. nur zu etwa 310‒380 m aufsteigen, hat die Bretagne
das Aussehen
eines rauhen Gebirgslandes; im
Kern aus
Thonschiefer und nördlich wie südlich aus Granitmassen bestehend, ragen nackte Kämme
und Gipfel in allen
Richtungen über magere Bergterrassen empor, das
Innere ist durch tiefe Schluchten
und
Spalten zerrissen und an den
Küsten zu steilen, felsigen
Buchten und Klippen
[* 3] zersplittert, an denen sich die ungeheuern
Meereswellen brechen oder zu hoher
Flut auftürmen.
Auf der der Nordküste näher liegenden
Wasserscheide erheben sich die Montagnes du Mené (Belair 340 m), westlicher die Montagnes
de Feubusquet, der Mont-Menebré und die Montagnes d’Arrée (bis 391 m hoch) mit ihren südl.
Vorketten der granitischen, steil zerschnittenen Montagnes
Noires. Die Gesamtheit der
Gebirge nennt man im
Lande
Kein-Brais,
d. h. das Rückgrat der Bretagne.
Unter den zahlreichen
Gewässern sind am bedeutendsten: Vilaine,
Blavet und
Aune, die zur
Verbindung
von
Brest (s. d.) mit Nantes
[* 4] durch einen
Kanal untereinander verbunden sind.
Die
Buchten von
Brest und Douarnenez sind die tiefsten der gefahrvollen und im N. mit Dünen besetzten
Küste. Die Natur der
eigentlichen Bretagne
ist düster und wild: nebelige Luft, heftige
Winde
[* 5] sind gewöhnlich;
große Strecken Heide und unangebautes Land, nur mit Brombeersträuchern und Heidekraut bewachsen, sind weit verbreitet.
Der Wein gedeiht nicht und auf den Höhen findet man mehr Hanf und Flachs als Getreide; [* 6] dagegen prangen die geschützten und wohlbewässerten Thäler in einträglicher Getreide-, Obst-, Wiesen- und Forstkultur. Im südl. Teile erreicht die immergrüne Eiche des westl. Frankreich ihre Nordgrenze. An die rein kelt. Urbevölkerung erinnern noch gegenwärtig in den drei westlichsten Departements die vier Dialekte der alten Bretonischen Sprache und die große Zahl roher Denkmäler des Druidentums.
Der Bretagner
hat eine traurige Gemütsstimmung, eine lebhafte, poet.
Einbildungskraft, eine unendliche Liebe für seine
Heimat;
er ist kühner Seefahrer und mutiger
Krieger, stolz auf seine Abkunft, anhänglich an das
Alte, freisinnig
und schwer zu zügeln. Die
Masse der Landleute lebt noch in rohen
Sitten, in
Armut und Unwissenheit; mehr als die Hälfte kann
weder lesen noch schreiben, ist abergläubisch und trunksüchtig.
Die Industrie ist auf das Notwendige beschränkt. Für den
Handel und Verkehr mit den
Kolonien wie auch für den Fisch- und Walfischfang ist die Bretagne
gut gelegen; in
Nantes,
Vannes, Quimper, Morlaix, St.Brieuc und St. Malo besitzt das Land lebhafte Handelshäfen, in
Brest und Lorient wichtige
Kriegshäfen. Rennes und Dinan sind die wichtigsten Binnenstädte. Die Bretagne
ist das Geburtsland von
Abälard,
Maupertuis, Châteaubriand,
Duguay-Trouin u. s. w.
Geschichte. Die Bretagne
bildete zu
Cäsars Zeit den westl.
Teil von
Armorica (s. d.). Später führte das
Land den
Namen Provincia
Lugdunensis tertia, stand aber nur dem
Namen nach unter der röm. Herrschaft. Etwa 420 gänzlich befreit, erscheint das Land
an der
Spitze des armorikanischen
Bundes. Sehr bald traten indes an die
Stelle der Bundesrepubliken kleine
Monarchien, und 497 unterwarfen sich die Armoriker dem Frankenkönig Chlodwig. Die
Franken nannten das kampflustige
Volk Bretton,
die lat. Schriftsteller schon seit dem 5. Jahrh. Britanni und
Brittones, und das Land
Britannia cismarina (später
Britannia minor), im Gegensatze zu dem überseeischen
Insellande
Britannia und mit Rücksicht auf die uralte Stammverwandtschaft der kelt.
Bevölkerung
[* 7] diesseit und jenseit des
Kanals.
Die Frankenherrschaft, auch unter den Karolingern, war weder streng durchgeführt noch von
Dauer. Auch die
Herzöge der
Normandie
vermochten ihre Oberherrlichkeit nicht zur Geltung zu bringen; doch durften sich die einheimischen Beherrscher nur
Grafen von Bretagne
nennen. Mit Conan Ⅳ. starb 1170 der alte Grafenstamm aus, und es folgte der Gemahl seiner
Erbtochter Konstanze,
Gottfried (ein Sohn
Heinrichs Ⅱ. von England). Der Sohn desselben,
Arthur Ⅰ., wurde von seinem Oheim
Johann von England 1203 ermordet.
Konstanze hatte aus anderer
Ehe eine Tochter
Alice, die sich 1213 mit
Peter Mauclerc,
Grafen von Dreux (einem
Urenkel des Capetingers
Ludwig Ⅵ.), vermählte, welcher die
Grafschaft erbte. Sein Enkel
Johann Ⅱ. wurde 1298 vom König
Philipp Ⅳ. zum
Herzog von und Pair von
Frankreich erhoben. Der Mannsstamm der
Herzöge von Bretagne
erlosch 1488 mit
Franz Ⅱ.,
der, verbunden mit dem
Herzog von
Orléans,
[* 8] im Kampfe gegen
Karl Ⅷ. unterlag und kurze Zeit darauf starb. Seine Erbtochter
Anna, die Verlobte des Erzherzogs Maximilian von
Österreich,
[* 9] mußte notgedrungen 1491 sich dem König
Karl Ⅷ., und nach dessen
Tode 1499 seinem Nachfolger,
Ludwig ⅩⅡ., vermählen.
Ihre einzige Tochter Claude vermählte sich unter
dem Drucke der auf die
Union gerichteten nationalen Stimmungen 1514 mit dem
¶
mehr
spätern Franz Ⅰ. von Frankreich. Hierauf wurde das Herzogtum Bretagne
mit Einwilligung der Stände, nachdem ihnen die Aufrechterhaltung
ihrer Gerechtsame versprochen worden, 1532 Frankreich einverleibt; doch behielt es bis zur Revolution einen eigenen Landtag.
Während der Revolutionskriege war die Bretagne
der Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges gegen den Republikanismus,
und noch 1832 tauchten hier Bewegungen zu Gunsten der ältern Bourbonen auf.
Litteratur. Lobinean und Morice, Histoire de Bretagne
(5 Bde.,
Par. 1707‒46);
Roujoux, Histoire des rois et des ducs de Bretagne
(4 Bde.,
ebd. 1828‒29);
de Kerorguen, Recherches sur les états de Bretagne
(2 Bde., ebd.
1875);
Carné, Les états de et l’administration de cette province jusqu’en 1789 (2 Bde., 2. Aufl., ebd. 1875);
Le
[* 11] Saint,
[* 12] La Bretagne
ancienne et moderne (2. Aufl., Limoges 1879);
Dupuy, Histoire de la réunion de la à la France (2 Bde., Par. 1880);
Rütimeyer, Die Bretagne
(Bas. 1882);
Loth, L’émigration bretonne en Armorique (Par. 1883);
Black, Normandy and Brittany (8. Aufl., Lond. 1884);
Joanne, Bretagne
(Par. 1886);
Bretagne
Girard, La Bretagne maritime (Rochefort-sur-Mer
1889).