Boethius
(auch Boetius), Anicius Manlius Torquatus Severinus, röm. Staatsmann und Philosoph, geboren zwischen 470 und 475 n. Chr. zu Rom [* 2] aus hochangesehener Familie, widmete sich, wie berichtet wird, vom 10. bis 28. Lebensjahr in Athen [* 3] philosophischen und mathematischen Studien, wurde 510 zum Konsul ernannt, genoß mehrere Jahre hindurch ¶
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das Vertrauen des Ostgotenkönigs Theoderich, der damals in Italien
[* 5] herrschte, wurde jedoch als Mitglied des Senats ungerechterweise
eines hochverräterischen Einverständnisses mit dem byzantinischen Kaiserhof angeklagt, auf Befehl Theoderichs zu Pavia eingekerkert
und nach langer und harter Gefangenschaft 525 ungehört hingerichtet, welche despotische Gewaltthat Theoderich später schmerzlich
bereut haben soll. Das gleiche Schicksal erlitt mit ihm sein Schwiegervater, der Senator Symmachus. Im Kerker
hatte Boethius
sein berühmtes, in dialogische Form eingekleidetes »Trostbuch
der Philosophie« (»De consolatione philosophiae«, in 5 Büchern) verfaßt, dessen durchaus an die Philosophie der Alten (namentlich
des Platon) sich anschließende Haltung die Angabe, er sei Christ gewesen und als Opfer arianischer Katholikenverfolgung
gestorben, sehr unwahrscheinlich macht. Boethius
unterhält sich darin mit der Philosophie, die ihn über die Wandelbarkeit alles
menschlichen Glücks belehrt, und daß die wahre Ruhe und Sicherheit für den Menschen nur in der Tugend zu finden sei, und das
kleine, in einer reinen und edlen, mit poetischen Stücken untermischten Sprache
[* 6] abgefaßte Buch, eine Art
Theodicee, stand das ganze Mittelalter hindurch im höchsten Ansehen.
Seine übrigen Schriften bestehen in Übersetzungen, Bearbeitungen und Erläuterungen älterer Werke von mathematischem und philosophischem Inhalt, z. B. der »Geometrie« des Euklid, der »Arithmetik« des Nikomachos, namentlich aber der logischen Schriften des Aristoteles (der »Categoriae«, der »Analytica«, der »Elencha sophistica«, »Hermeneia« etc.),
wodurch er großen Einfluß auf die mittelalterliche Scholastik gewann; ferner in der Schrift »De musica«, in 5 Büchern, einer umfassenden Darstellung des damals untergehenden griechischen Musiksystems (nach Philolaos),
und mehreren Lehrbüchern logischen Inhalts (»De syllogismo categorico«, »De syllogismo hypothetico«, »De definitione«, »De differentiis topicis« u. a.), welche im Mittelalter viel gebraucht und nachgeahmt wurden. Die Unechtheit der ihm (vielleicht infolge einer Namensverwechselung) beigelegten christlich-theologischen Traktate ist wiederholt, am ausführlichsten von Nitzsch (»Das System des und die ihm zugeschriebenen theologischen Schriften«, Berl. 1860),
nachgewiesen worden. Gesamtausgaben der Werke des Boethius
erschienen
zu Venedig
[* 7] 1491-92, 2 Bde.; korrekter zu Basel
[* 8] 1546 und 1570, zuletzt
in Mignes »Patrologia«, Bd. 63 und 64 (Par.
1847). Von den vielen Ausgaben der »Consolatio« sind außer der ersten (Nürnberg
[* 9] 1473) die von Bertius (Leiden
[* 10] 1623 u. öfter),
von Vulpius (Padua
[* 11] 1721 u. 1744), von Freitag (Riga
[* 12] 1794, mit Übersetzung), von Obbarius (Jena
[* 13] 1843) und
Peiper (Leipz. 1871, mit den theologischen Schriften) anzuführen. Übersetzt wurde die Schrift in alle möglichen Sprachen.
Eine angelsächsische, angeblich von Alfred d. Gr., wurde unter andern von Fox (Lond. 1864), eine altdeutsche (aus dem Anfang
des 11. Jahrh.) von Graff (Berl. 1837), dann von Hattemer (»Denkmäler des Mittelalters«, Bd. 3),
eine griechische des Maximus Planudes von Bétaut (Genf [* 14] 1871) herausgegeben. Neuere deutsche Übersetzungen lieferten Wortberg (Greifsw. 1826) und Weingärtner (Linz [* 15] 1827). Die Schrift »De musica« wurde mit mathematischen Schriften (»De arithmetica« und »Geometria«) zusammen von Friedlein (Leipz. 1867),
in deutscher Übersetzung allein von O. Paul (das. 1872) herausgegeben. Von den Arbeiten zu Aristoteles veröffentlichte Meister eine kritische Übersetzung des Kommentars zur »Hermeneia« (Leipz. 1877-80, 2 Bde.).
Vgl. Bergstedt, De vita et scriptis Boethii (Upsala [* 16] 1842);
Sutterer, Boethius
, der letzte Römer
[* 17] (Eichst. 1852);
Baur, Boethius
u. Dante (Leipz.
1873);
Usener, Anecdoton Holderi (das. 1877).