Titel
Beschwerde
,
im allgemeinen jede
Klage über eine angeblich verletzende Handlungsweise, namentlich
über das Vorgehen eines Vorgesetzten, über eine obrigkeitliche
Anordnung oder über die sonstige Maßregel einer Behörde.
Die einzelnen
Thatsachen, durch welche sich der Beschwerde
führer verletzt glaubt, und auf die er seine Beschwerde gründet,
werden Beschwerde
punkte (gravamina) genannt. Das
Recht der
Unterthanen, über das
Verfahren einer Behörde im gesetzlich geordneten
Instanzenzug Beschwerde
zu führen (Beschwerde
recht), ist in jedem Kulturstaat anerkannt.
Der
Regel nach sind solche Beschwerden
bei der zunächst vorgesetzten Dienstbehörde derjenigen
Stelle anzubringen, die zur
Beschwerde
Veranlassung gab. Es ist aber auch den
Landständen gestattet, Beschwerden
entgegenzunehmen, sie zu erörtern und nach
Befinden der Staatsregierung zur Kenntnisnahme oder zur Berücksichtigung zu überweisen (s.
Petition). In monarchischen
Staaten kann die auch dem Staatsoberhaupt selbst unterbreitet werden; namentlich haben die
Kammern
dem
Ministerium gegenüber das
Recht der Beschwerde.
Sie können die einzelnen Beschwerdepunkte in einer
Adresse formulieren und zum
Vortrag bringen. Das
Adreßrecht steht auch dem deutschen
Reichstag zu. Ebenso kann
derselbe
Petitionen entgegennehmen.
Nach der
Reichsverfassung (Art. 77) liegt es ferner dem
Bundesrat ob,
im Fall einer
Justizverweigerung, wofern auf gesetzlichen
Wegen ausreichende
Hilfe nicht erlangt werden kann, erwiesene, nach der
Verfassung und den bestehenden
Gesetzen des betreffenden
Bundesstaats zu beurteilende Beschwerden
über verweigerte oder gehemmte
Rechtspflege anzunehmen und darauf
die gerichtliche
Hilfe bei der
Bundesregierung, die zur Beschwerde
Anlaß gegeben hatte, zu bewirken.
Was insbesondere die Beschwerde
gegen
Verfügungen der Verwaltungsbehörden betrifft, so ist der in manchen
Staaten bestehende Unterschied
zwischen reinen Verwaltungssachen oder
Beschlußsachen einerseits und Verwaltungsstreitsachen anderseits von Wichtigkeit.
Bei der erstgedachten
Kategorie wird nämlich die Beschwerde
als Verwaltungsbeschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde
gerichtet, während sie bei Verwaltungsstreitsachen in Form einer
Klage an das
Verwaltungsgericht geht und im Verwaltungsstreitverfahren
erledigt wird. In diesem
Verfahren ist dann wiederum die Möglichkeit der Beschwerde
führung an die höhern
Verwaltungsgerichte
gegeben (s.
Verwaltung).
Wichtig ist auch die Beschwerde
gegen
Anordnungen einer Kirchenbehörde an die
Staatsgewalt
(Appel comme d'abus,
Recursus ab abusu [s. d.]). Wie über jede Behörde, so kann auch über eine
Justizbehörde Beschwerde geführt werden. So kann über Beamte der Staatsanwaltschaft und über
Gerichtspersonen und Gerichtsbehörden
bei der vorgesetzten Dienstbehörde wegen verzögerter
Rechtspflege, Verschleppung einer Rechtsangelegenheit, Versagung der
Rechtshilfe, ungehörigen Benehmens einer
Gerichtsperson etc. Beschwerde geführt werden.
Diese Beschwerde ist an keine Frist gebunden. Auch kann ein Gericht über ein andres wegen verweigerter Rechtshilfe Beschwerde führen (deutsches Gerichtsverfassungsgesetz, § 159 f.). Verschieden von dieser Beschwerde (sogen. Aufsichtsbeschwerde) ist aber die Beschwerde als Rechtsmittel, wodurch eine gerichtliche Verfügung oder Entscheidung angefochten wird, um eine anderweite Verfügung oder Entscheidung herbeizuführen. Im weitern Sinn bezeichnet man wohl jedes derartige Rechtsmittel als Beschwerde (Justizbeschwerde), wie man denn auch bei dem Rechtsmittel der Berufung und demjenigen der Revision von den einzelnen Beschwerdepunkten zu sprechen pflegt. Im engern und eigentlichen Sinn aber ist die ein bestimmtes Rechtsmittel, welches sowohl in Strafsachen als in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gegeben ist unbeschadet der Befugnis eines Interessenten, auch in andern Rechtssachen, welche vor die Gerichte gehören, wie in Grundbuchsangelegenheiten, Hypothekensachen, Vormundschaftsangelegenheiten u. dgl., eine beschwerende Anordnung des Gerichts im Weg der an das Obergericht anzufechten (vgl. z. B. das preußische Gesetz vom Das prozessualische Rechtsmittel der aber ist in den deutschen Prozeßgesetzen folgendermaßen normiert.
Beschwerde in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.
Während die Berufung und die Revision gegen Endurteile gerichtet sind, können mit der Beschwerde nur gerichtliche Entscheidungen angefochten werden, welche keine Endurteile sind. Die Beschwerde kann ferner nur gegen solche Entscheidungen eingelegt werden, gegen welche sie im Gesetz ausdrücklich für zulässig erklärt ist. Es sind dies namentlich Beschlüsse, Verfügungen und Zwischenurteile, welche dritte Personen, wie z. B. Zeugen, Anwalte, Prozeßbevollmächtigte, nicht aber unmittelbar die Prozeßparteien selbst betreffen; ferner Entscheidungen, welche in einem ¶
mehr
Zwischenstreit mit dritten Personen ergehen, Entscheidungen, welche nicht durch vorgängige mündliche Verhandlung bedingt sind, und endlich solche, die mit der sachlichen Entscheidung des Rechtsstreits selbst in keinem oder nur in losem Zusammenhang stehen, wie z. B. die Entscheidung, wodurch das Gesuch einer Partei um Verwilligung des Armenrechts abfällig beschieden wird. Manche Gerichtsbeschlüsse sind ausdrücklich für unanfechtbar erklärt, so der Beschluß, durch welchen das Armenrecht erteilt, der Ablehnung eines Richters stattgegeben, ein Beistand zurückgewiesen, eine vorläufige Beweisaufnahme zugelassen wird etc. Auch ist gegen den Beschluß, wodurch vom Gericht auf Beweis erkannt wird, keine Beschwerde zulässig.
Die Beschwerde ist entweder eine gewöhnliche (einfache) Beschwerde, welche an keine Frist gebunden ist, oder eine sofortige Beschwerde. Letztere muß binnen einer ausschließlichen Frist (Notfrist) von zwei Wochen eingelegt werden. Gegen Verfügungen des Amtsgerichts geht die an das Landgericht, des Landgerichts an das Oberlandesgericht, des Oberlandesgerichts ans Reichsgericht. Die durch die einfache Beschwerde erbetene Abhilfe kann durch das Prozeßgericht selbst gewährt werden. Hält dasselbe die Beschwerde nicht für begründet, so ist die Sache vor Ablauf [* 3] einer Woche an das Beschwerdegericht zur Entscheidung abzugeben.
Bei der sofortigen Beschwerde ist das Untergericht nicht befugt, die angefochtene Entscheidung selbst abzuändern. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts findet eine weitere an das diesem übergeordnete Gericht nicht statt, es sei denn, daß in der Entscheidung des Beschwerdegerichts ein neuer selbständiger Beschwerdegrund enthalten ist. Die sofortige Beschwerde findet nur in den gesetzlich bestimmten Fällen statt, z. B. gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs einem Richter gegenüber, gegen Kostenfeststellung, gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Versäumnisurteil u. dgl. Die Beschwerde erfolgt durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, die im Anwaltsprozeß durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein muß.
Ausnahmsweise kann sie auch zu Protokoll des Gerichtsschreibers oder auch in einer nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift geschehen, wenn nämlich der Prozeß bei einem Amtsgericht anhängig ist, wenn die Beschwerde das Armenrecht oder den Ansatz von Gerichtskosten oder von Gebühren eines Gerichtsvollziehers, Zeugen oder Sachverständigen betrifft, oder wenn sie endlich von einem Zeugen oder Sachverständigen erhoben wird. Die Beschwerde ist in der Regel bei demjenigen Gericht einzuwenden, gegen dessen Verfügung sie gerichtet ist. In besonders dringenden Fällen kann sie auch bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden. Sie hat nur ausnahmsweise aufschiebende Wirkung, nämlich dann, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger sich über eine ausgesprochene Strafe beschwert, sowie in dem Fall, daß eine Partei wegen Ausbleibens auf persönliche Vorladung gestraft wird. Doch kann das Gericht auch in andern Fällen die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.
Beschwerde in Strafsachen.
Auch im Strafprozeß unterscheidet sich die Beschwerde von der Berufung und von der Revision wesentlich dadurch, daß diese beiden Rechtsmittel gegen Endurteile der erkennenden Gerichte gegeben sind, während sich die Beschwerde gegen Beschlüsse und Verfügungen richtet, welche dem Urteil vorausgehen. Das Hauptgebiet der Beschwerde ist die Voruntersuchung. Zur Beschwerde berechtigt ist nicht nur der Beschuldigte, sondern auch der Staatsanwalt, der Privatkläger sowie dritte Personen, wie Verteidiger, Zeugen und Sachverständige, welche sich durch eine richterliche Verfügung beschwert fühlen.
Während aber im Zivilprozeß die Beschwerde nur in den vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen zulässig ist, gilt für den Strafprozeß die umgekehrte Regel. Die Beschwerde ist gegen jede richterliche Verfügung gegeben, sofern sie nicht ausdrücklich durch das Gesetz ausgeschlossen ist. Dies ist aber zunächst der Fall in Ansehung von Beschlüssen und Verfügungen des Reichsgerichts und der Oberlandesgerichte. Ebenso unterliegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, welche der Urteilsfällung vorausgehen, der Beschwerde nicht.
Von dieser letztern Bestimmung sind jedoch ausgenommen, mithin durch Beschwerde anfechtbar die Entscheidungen über Verhaftungen, Beschlagnahme oder Straffestsetzungen sowie alle Entscheidungen, durch welche dritte Personen betroffen werden. Endlich ist die in gewissen Fällen ausdrücklich ausgeschlossen, so z. B. bei dem Beschluß, durch welchen ein gegen einen erkennenden Richter angebrachtes Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird. Hier ist die Anfechtung mit derjenigen des Urteils zu verbinden. So ist ferner die Beschwerde gegen Streichung eines unfähigen Schöffen, gegen Verweisung von Strafsachen an die Schöffengerichte, gegen Entscheidung über Ablehnungs- und Hinderungsgründe der Geschwornen ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist bei der Behörde, von welcher die beschwerende Verfügung erging, einzuwenden, in dringenden Fällen auch bei dem Beschwerdegericht. Die Gerichtsbehörde, gegen deren Verfügung die Beschwerde gerichtet ist, kann der (einfachen) Beschwerde selbst abhelfen oder aber, wofern sie dieselbe für begründet nicht erachtet, die Beschwerde dem Beschwerdegericht unterbreiten. Letzteres entscheidet ohne vorgängige mündliche Verhandlung. Handelt es sich um die Beschwerde gegen die Beschlüsse und Verfügungen des Untersuchungsrichters, des Amtsrichters oder der Schöffengerichte, so ist die mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden besetzte Strafkammer des Landgerichts das Beschwerdegericht.
Über die Beschwerde gegen Beschlüsse und Verfügungen der Strafkammer, des Schwurgerichts oder des Vorsitzenden dieser beiden Gerichte entscheidet der Strafsenat des Oberlandesgerichts in der Besetzung von fünf Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden. Die Beschwerde gegen Verfügungen, welche ein Gericht kraft der ihm zustehenden Sitzungspolizei erläßt, geht stets an das Oberlandesgericht. Auch im Strafprozeß besteht der Unterschied zwischen einfacher und sofortiger Beschwerde. Erstere ist an keine Frist gebunden, während die sofortige Beschwerde binnen einer Notfrist von einer Woche einzuwenden ist, welche von der Bekanntmachung der Entscheidung an zu laufen beginnt.
Bei der sofortigen Beschwerde muß die Entscheidung stets durch das Beschwerdegericht erfolgen. Die Fälle, in denen die Beschwerde eine sofortige ist, sind in der Strafprozeßordnung besonders bezeichnet. Es gehört dahin z. B. der Fall, daß ein zum Zweck der Ablehnung eines Richters gestelltes Gesuch für unbegründet befunden, ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen, eine geleistete Sicherheit für verfallen erklärt, ein Angeschuldigter wegen Geisteskrankheit in eine Anstalt gebracht, ein Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung abgelehnt oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist. Die hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen den Beschluß gerichtet ist, wonach der Angeschuldigte zum Zweck der Untersuchung seines Geisteszustandes in eine öffentliche Irrenheilanstalt gebracht werden soll. Dazu kommt noch der weitere Fall, daß ein Gericht gegen einen bei der Verhandlung beteiligten Rechtsanwalt oder Verteidiger, der ¶
mehr
sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machte, eine Ordnungsstrafe ausspricht. Auch in diesem Fall hat die Beschwerde aufschiebende Wirkung. Übrigens kann das Gericht auch in andern Fällen mit Rücksicht auf eine eingelegte Beschwerde den Vollzug der angefochtenen Verfügung sistieren. Die in der Beschwerdeinstanz ergangenen Beschlüsse können in der Regel nicht durch eine weitere Beschwerde angefochten werden, ausgenommen die Beschlüsse des Landgerichts, insofern sie Verhaftungen betreffen. In solchem Fall entscheidet der Strafsenat des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht zweiter Instanz.
Vgl. Deutsche [* 5] Zivilprozeßordnung, § 530 ff.; Strafprozeßordnung, § 346 ff.; Kries, Die Rechtsmittel des Zivilprozesses und des Strafprozesses (Bresl. 1880).