Titel
Belgrad
,
[* 2] serb. Beograd («weiße Burg»),
türk. Dar [* 3] ul-Dschahid («Stätte des Religionskrieges»),
ungar. Nándor Fejérvár,
Haupt- und Residenzstadt des Königreichs
Serbien,
[* 4] liegt unmittelbar am Einfluß der 400 m breiten Save in die hier 750 m
breite Donau, auf dem rechten Ufer beider
Flüsse
[* 5] und hat sehr veränderliches
Klima
[* 6] mit schroffen Übergängen,
im
Sommer bis 40° C., im Winter bis -20° C. Das Weichbild umfaßt 10,85 qkm mit 6328 Häusern.
Die Bevölkerung nimmt stark
zu und betrug 1884: 20 651, 1890: 54 458 (32 008 männl., 22 450 weibl.) E., darunter 41 366
Griechisch-, 5480
Römisch-Katholische
und 2350 Israeliten. Die Mehrzahl sind
Serben, daneben Serbo-Macedonier, Griechen,
Zinzaren und wenige Deutsche,
[* 7]
Czechen und
Ungarn.
[* 8] Belgrad
besteht aus Festung
[* 9] und Stadt.
[* 1] ^[Abb.]
Die Festung zerfällt in zwei Teile, die obere auf einem gegen die Donau sanft, gegen die Save schroff (47 m) abfallenden Bergrücken gelegen, hat eine alte Umwallung mit Gräben und Mauern gegen W. und SW., ein bastioniertes Hornwerk [* 10] mit Ravelins, gegen S. Infanteriekasernen, die 1862 erbaute Kommandantur, Verwaltungsgebäude, Kasematten für 5-600 Sträflinge, einen Brunnen [* 11] mit 300 Steinstufen und das Grabdenkmal des 1683 hier erdrosselten Großwesirs Kara Mustapha. Die untere Festung bestreicht beide Flüsse, enthält eine Kaserne, Magazine und die St. Rosalienkirche.
Die Stadt zerfällt in 6 Bezirke (Kvarts):
1) Dunavski Kvart (türk. Dortjol), der Festung zunächst auf der Donauseite, ehemals Türkenstadt, Judenviertel und Wohnplatz der Donaufischer, mit der schön angelegten, geraden Duschanstraße, dem ¶
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Lehrerseminar St. Sava, Gebäuden mehrerer Gesandtschaften und des Roten Kreuzes, großen Dampfbädern und dem einzigen, gut erhaltenen türk. Bethaus (Džamija).
2) Varoški Kvart enthält die 1842 erbaute Metropolitan-Kathedrale mit dem 1882 renovierten Hauptaltar und der Gruft der Familie Obrenowitsch, die prot. Kirche und Schule, die Hochschule am großen Platz, das Erzdenkmal des Fürsten Michael, das Theater, [* 13] die Nationalbank, große Geschäftshäuser, Kaufläden und Hotels.
3) Savski Kvart (türk. Savomahala) am Saveufer vor der untern Festung, mit dem Bahnhofe, Dampferlandungsplatze und den großen Magazinen (z. B. der Tabaksregie), den Petroleumlagern des Fürsten Gagarin und dem Hauptzollamte.
4) Teraziski Kvart auf dem Bergrücken, ist breit angelegt, enthält das königl. Palais, die meisten Ministerien, die Garnisonkirche und das Hauptpostamt.
5) Bračarski Kvart mit dem neuen Stadtteile und Englezovac (engl. Stadtteil), dessen Grund und Boden aus den Fonds der Englischen Bibelgesellschaft angekauft, parzelliert und gegen Abzahlung den Bewohnern überlassen wurde, enthält das Finanz- und das Bautenministerium, zahlreiche Militäranstalten, mehrere Gesandtschaftshotels und viele villenartige Gebäude mit großen Gartenanlagen.
6) Kalilulsti Kvart mit der ältesten Kirche der Stadt, St. Marcus, Friedhöfen, Kasernen, den königl. Zuchtstallungen, dem Bürgerspital und der deutschen Schule.
Verwaltung. Belgrad
wird durch einen Bürgermeister (Gehalt 10000 Frs.), 7 Gemeinderäte, 5 Sekretäre und 32 unbesoldete Gemeinderäte
und Abgeordnete verwaltet. Für die Sicherheit sorgen 80 Schutzleute und 120 Gewölbewächter. Die Feuerwehr zählt 25 Spritzen
und Wagen, 50 angestellte und 80 freiwillige Feuerwehrleute. Die neue Wasserleitung
[* 14] ist bis auf 2 Reservoirs, die elektrische
Beleuchtung
[* 15] beinahe vollendet. Die Stadt hat 1 Mill. Frs. Schulden; die Einnahmen bestehen in Steuerzuschlägen
und Verzehrungsabgaben.
Behörden. Belgrad
ist Residenz des Königs und Sitz der höchsten Regierungsbehörden und Gerichte des Landes, eines Erzbischofs,
des Präfekten mit 6 Unterpräfekten und 250 Gendarmen, eines Festungs- und Divisionskommandos, anderer militär.
Behörden und der Vertreter aller fremden Mächte.
Bildungs- und Vereinswesen. hat eine königl. Hochschule in einem 1861 von Kapetan Miša Anastasijević, einem reichen Kaufmanne, geschenkten Gebäude, mit philos., jurist. und technischer Fakultät (35 Professoren), 3 Gymnasien, 1 Realschule, 1 Lehrer- und 1 geistliches Seminar, eine Militärakademie, eine höhere Mädchenschule sowie 6 Knaben- und 6 Mädchenschulen (1190 Schüler, 620 Schülerinnen). Außerdem bestehen die Akademie der Wissenschaften (seit 1886), die Gelehrte Gesellschaft (seit 1842), die Nationalbibliothek (80000 Bände), das Nationalmuseum mit zahlreichen serb. und ungar. Altertümern und das Nationaltheater (850 Plätze). Außer Turn- und Schützengesellschaften wirken wohlthätige Vereine (Rotes Kreuz) und eine Freimaurerloge. An Zeitungen erscheinen 10 politische, 3 Handels- und mehrere Fachblätter sowie 4 für Litteratur und Kunst.
Industrie und Handel. Die Industrie ist nicht bedeutend. Es giebt 4 Dampfmühlen, 1 Lederfabrik, 10 Druckereien, 6 Ziegeleien, 2 Spiritusbrennereien, 2 Brauereien, 1 Gießerei, [* 16] 1 Hutfabrik. Der Handel ist lebhaft; er vermittelt die Einfuhr österr. Erzeugnisse und die Ausfuhr der Rohprodukte für das ganze Land. Es giebt 5 Banken, Filialen von 3 Versicherungsgesellschaften und 1 Handels- und Gewerbekammer.
Verkehrswesen. Belgrad
liegt an der Linie Belgrad-Nisch (244 km) der Serb. Eisenbahn mit Anschluß an die Linie Budapest-Theresiopel-Semlin
der Ungar. Staatsbahnen.
[* 17] Im Innern der Stadt dienen 320 Fiaker und seit Frühjahr 1892 eine Pferdebahn dem Verkehr, Telephonverbindung
besteht nur zwischen den Behörden. Der Schiffsverkehr auf der Save und Donau ist lebhaft. Neben der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft
entsteht ein serb. Unternehmen.
Umgebung und Vergnügungsorte. Beliebte Promenaden bilden der Stadtpark (Kali megdan) und 2 km im SW. der königl. Park Toptschider (Artilleriewiese) mit dem Schlosse des ersten Fürsten Milosch, einem Obelisken zur Erinnerung an die 50jährige Befreiungsfeier 1865 und einem Tiergarten, in dem 1868 Fürst Michael ermordet wurde.
Geschichte. Schon zur röm. Zeit war die Stadt, damals Singidunum genannt und zur Provinz Obermösien gehörend, Standquartier
einer Legion. Im Mittelalter wird sie Alba
[* 18] graeca (deutsch «Griechisch-Weißenburg») genannt. Vom 7. bis 9. Jahrh.
gehörte sie den Avaren, im 10. den Bulgaren, im 11. und 12. Jahrh. stand sie wieder unter der Herrschaft
des byzant. Kaisers und litt 1241 und 1242 sehr unter den Verwüstungen der Mongolen. Im 14. Jahrh.
war Belgrad
im Besitz der Serben.
Als ungar. Grenzfeste (seit 1433) ging sie nach mehrfachen glücklichen Verteidigungen an
die Türken unter Suleiman II. verloren, denen die Deutschen und Österreicher sie im Laufe der folgenden Jahrhunderte dreimal, 1688 unter
Emanuel von Bayern,
[* 19] 1717 nach dem Siege des Prinzen Eugen mit 40000 Mann über das dreimal so starke türk. Entsatzheer und 1789 (Laudon)
wieder abnahmen, ohne sie dauernd behaupten zu können; nur in den J. 1718-39 gehörte Belgrad
mit
einem großen Teile Serbiens zu Österreich.
[* 20] Infolge der serb. Erhebung (s. Serbien, Geschichte) im Anfange des 19. Jahrh. wurde
Belgrad
Hauptstadt des neubegründeten Fürstentums, während die Festung in den Händen der Pforte blieb, bis letztere 1867 auf
diplomat. Wege genötigt wurde, auch diese aufzugeben, nachdem 1862 ein türk.
Kommandant zum Schutze einer seitdem ausgewanderten türk. Kolonie die offene Stadt bombardiert hatte.