Artēl
(Artjel), eine
Rußland eigentümliche Form von Wirtschafts- und Erwerbsgenossenschaften
patriarchalisch-socialistischen Charakters, wird von den neuern russ. Nationalökonomen erklärt
als «ein auf
Vertrag gestützter
Bund mehrerer gleichberechtigter
Personen, die zur gemeinsamen Verfolgung wirtschaftlicher
Zwecke sich unter
Beobachtung solidarischer Haftbarkeit mit
Kapital und
Arbeitskraft oder nur mit
Arbeit allein vereinigt haben».
Die Artel
, ursprünglich auch Drushina oder Wataga genannt, bildeten sich im 13. und 14. Jahrh.
zunächst behufs gemeinschaftlicher Ausübung der Jagd und des Fischfangs; späterhin entwickelten sich, und zwar wesentlich
beeinflußt durch die in größern Handelsplätzen schon bestehenden
Verbände von Gewerbtreibenden und Händlern, die der
Lastträger (Drägilen), Schiffer, Fuhrleute, Packer, Hanf- und Flachswraker u. a. und die
sog. Börsenartels.
Die große genossenschaftliche
Bewegung in
Deutschland
[* 2]
(Schulze-Delitzsch) in den sechziger Jahren förderte die Artel
bildung
in
Rußland ungemein; sie erstreckte sich auf die verschiedensten Gebiete des beruflichen Lebens. Man unterscheidet heute
1) gewerbliche, 2)
Konsumtions-, 3) Kredit-, 4) Versicherungs-Artels.
Zu den ersten gehören die Rohstoff-,
Magazin- und alle
produzierenden Artel.
Die Konsumtions-Artels
befassen sich mit der Beschaffung gemeinsamer Kost
oder Wohnung;
die Kredit-Artels
vermitteln einen
Personal-, Real- und Hypothekarkredit (s. Kredit);
unter den Versicherungs-Artels
sind begriffen die Spar-, Hilfs- und Pensionskassen, die
Feuer-, Hagel-, Viehversicherung auf Gegenseitigkeit u. a. m.
Bei den
gewerblichen Artel
unterscheidet man selbständige und unselbständige;
zu den erstern gehören die
Jäger-Artels,
die landwirtschaftlichen,
Börsen- und die Handwerker-Artels
, weil diese auf eigene
Rechnung und Gefahr arbeiten oder, im Dienste
[* 3] einer andern
Person stehend, von dieser nicht abhängig sind. So namentlich die Börsen-Artels
, die Geldbeförderungen, Ausführung
aller beim Zollamte vorkommenden
Arbeiten, Verpackung von Ausfuhrwaren u. a. besorgen. Unselbständige Artel
sind
die vom
Kapital abhängigen, besonders die für Fischfang, für die Jagd auf
Walrosse und Seehunde.
Was die
Stellung der einzelnen Genossen
(Artelschtschiki) innerhalb der Artel
betrifft, so sind alle gleichberechtigt. Jeder hat
Anspruch auf die Ehrenämter, ist stimmberechtigt und nimmt an der
Verwaltung teil. Mit dem Versprechen, unausgesetzt thätig
sein zu wollen, tritt der Genosse in das Artel
ein und scheidet aus demselben, sobald seine Kräfte
zur vollkommenen Ausführung der
Arbeiten nicht mehr ausreichen; männliches Geschlecht ist nicht unbedingtes Erfordernis.
Auf gute sittliche
Führung wird großes Gewicht gelegt. Die solidarische Haftbarkeit ist das Lebensprincip der Artel;
diese
schafft ihnen unbegrenztes Vertrauen. Bei der Verteilung des Ertrags wird der Grundsatz beobachtet: gleiche
Arbeit, gleicher Lohn. Die Gesetzgebung hat bisher, von wenigen polizeilichen Bestimmungen abgesehen, das Artel
wesen
nicht berührt. –
Vgl. Stähr, Ursprung, Geschichte,
Wesen und Bedeutung des russischen Artel
, 1.
Tl. (Dorp. 1890).