Arsenikver
giftung.
Das
Arsen ist das stärkste
Gift des Mineralreichs, und alle seine
Verbindungen
wirken meist schon bei kurzer Anwendung, wenn die
Dose groß genug ist, giftig auf den tierischen, ja selbst auf den pflanzlichen
Organismus ein. Am häufigsten geschieht die Arsenikver
giftung durch
arsenige Säure (weißer
Arsenik,
Hüttenrauch), seltener durch arsenigsaures
Natron oder durch die zu
Farbe verwendeten
Präparate von
Schwefelarsen
(Operment,
Realgar), von arsenhaltigen
Kupfersalzen, wie z. B.
Schweinfurter Grün, durch arsenhaltige Rückstände von der Fuchsinbereitung etc. Die Arsenikver
giftungen
gehören zu den am häufigsten vorkommenden
Vergiftungen und waren die häufigsten unter den absichtlichen
Vergiftungen, bis
die überaus giftigen
Alkaloide und narkotischen
Mittel bekannter wurden.
Auch zufällige Vergiftungen mit Arsenik sind ziemlich häufig, z. B. durch Naschen der Kinder an Arsenikpräparaten, Verunreinigung des Mundes mit arsenikhaltigen Farben, Einatmen von arsenhaltigem Staub, Verwechseln von arsenikhaltigen Arzneien mit andern etc. Die Vergiftungen mit Arsenik entstehen meist durch Einverleibung des Arseniks in den Magen; [* 2] aber auch vom Mastdarm, von der äußern Haut, [* 3] von Wunden und Geschwüren aus kann Arsenik in den Körper aufgenommen werden.
Die Einatmung von Arsenstaub und Arsenikdämpfen, namentlich bei Hüttenleuten, sowie von Arsenwasserstoffgas hat mehrfach
zu
Vergiftungen Veranlassung gegeben, teils bei Arbeitern, welche mit solchen
Stoffen zu schaffen hatten, teils, indem diese
Körper von feuchten, mit Arsenfarben bemalten
Wänden etc. entwickelt wurden. Die Arsenikver
giftung ist bald eine akute,
sogar plötzlich tötende, bald eine chronische, welche monate- und jahrelang andauert. Beide treten in verschiedenen
Formen
auf, was teils von der
Menge und
Beschaffenheit des
Gifts, namentlich von der gelösten oder ungelösten Form desselben, teils
vom Einverleibungsort und andern individuellen Verhältnissen abhängt.
Die akute Arsenikver
giftung besteht gewöhnlich in einer heftigen und tief eingreifenden
Magenentzündung, wobei nicht nur die Schleimhaut,
sondern oft auch die darunterliegenden
Schichten der Magenwand zerstört und zu einem
Schorf umgewandelt werden. Oft besteht
gleichzeitig auch eine
Darmentzündung gleicher Art, oder sie tritt später noch zu der
Magenentzündung hinzu.
Daher stellt sich, bald schon nach wenigen
Minuten, bald erst einige
Stunden nach Einführung des
Gifts, heftiges
Erbrechen mit
Magenschmerz, Zusammenschnüren des
Halses,
Empfindlichkeit der
Magengrube bei Berührung, brennender
Durst und große
Angst ein.
Es besteht fortwährendes Würgen und
Aufstoßen, auch wohl
Blutbrechen, dann treten
Durchfälle,
Leibschmerz, blutige
Stühle,
Stuhlzwang
und ähnliche
Symptome auf, während zugleich das
Gesicht
[* 4] auffallend entstellt, bleichend kühl,
eingefallen, die
Gliedmaßen kalt, der
Puls klein und frequent ist.
Nicht selten gesellen sich hierzu allgemeine Muskelschwäche,
Ohnmacht,
Krämpfe,
Zittern der
Glieder,
[* 5] Schluchzen und andre nervöse
Symptome, welche das Krankheitsbild der Arsenikver
giftung höchst ähnlich einem Choleraanfall gestalten. In
seltenen
Fällen, namentlich wenn der
Arsenik in aufgelöster Form in den
Magen gelangt und dort schnell in größerer
Menge
resorbiert, also in das
Blut einverleibt wird, entwickeln sich die nervösen
Symptome allein, ohne daß man während des
Lebens
oder bei der
Sektion der
Leiche Zeichen von
Entzündung des
Magens bemerkt.
Bisweilen gesellen sich auch
Atemnot und
Bluthusten, manchmal Blasenschmerz,
Blutharnen etc. hinzu. Das in das
Blut gelangte
Gift geht zwar verhältnismäßig rasch wieder mit dem
Urin aus dem
Körper heraus, aber es findet sich zum Teil auch noch in
den
Geweben des
Körpers oder im
Darmkanal vor und kann hier selbst längere Zeit nach dem
Tod noch mit Sicherheit
nachgewiesen werden. Der
Tod tritt bei der akuten Arsenikver
giftung binnen einem oder wenigen
Tagen, manchmal schon nach wenigen
Stunden ein.
Der chemische Nachweis der Arsenikver
giftung gelingt oft noch, nachdem die
Leichen der Vergifteten schon Jahr und
Tag begraben gewesen sind;
das
Gift selbst verhindert ungemein den
Eintritt der
Verwesung. Die chronische Arsenikvergiftung
als
Gewerbekrankheit entsteht
durch längere Zeit hindurch fortgesetzte Einverleibung kleinerer
Mengen des Giftstoffs und kommt bei
Bergwerks- und Fabrikarbeitern,
z. B. bei der Gewinnung des
Silbers aus Bleierzen, vor. Sie äußert sich teils durch Zeichen einer schleichenden
Magen- und
Darmentzündung, mit unausgesetztem
Durst, brennenden
Magenschmerzen, zuweilen
Erbrechen, starker
Gelbsucht,
mit
Leibschmerzen, periodischen
Durchfällen und
Stuhlzwang, wozu Anätzungen und
Entzündungen andrer
Schleimhäute, ferner ein
quälender, trockner, oft mit
Engbrüstigkeit verbundener
Husten,
Speichelfluß,
Harnstrenge etc. hinzutreten können, teils
durch zunehmendes kachektisches Aussehen, mit
Ausschlägen und
Geschwüren bedeckte
Haut,
Ausfallen der
Haare
[* 6] und
Nägel,
[* 7] vor allem aber durch äußerste
Abmagerung und förmliche Austrocknung des ganzen
Körpers.
Hiermit verbinden sich Nervenzufälle, herumziehende
Schmerzen,
Krämpfe,
Angst,
Unruhe,
Schlaflosigkeit, große Abmattung und
Entmutigung, später
Lähmungen und
Kontrakturen. Der
Tod erfolgt besonders durch die schleichenden
Entzündungen und
Verschwärungen
des
Darmkanals und der
Lungen oder durch Entkräftigung,
Wassersucht und
Auszehrung. Behandlung der Arsenikvergiftung.
Sobald man
Verdacht schöpft auf
Vergiftung und sich die charakteristischen Zeichen der Arsenikvergiftung
einstellen, in dem Erbrochenen oder
in dem Reste der genossenen
Speise vielleicht die kleinen weißen
Körner sich vorfinden, so hat man vor allen
Dingen die Aufgabe,
das
Gift aus dem
Körper so rasch wie möglich zu entfernen.
Bei äußerer Applikation ist aller auf der Haut noch befindliche Arsenik zu beseitigen, man reinigt die Haut und reibt dieselbe mit möglichst warmem Eisenoxydhydrat oder Magnesiahydrat und wäscht sie mit essigsaurem Eisenoxyd. Ist das Gift dem Magen einverleibt worden, so sucht man Erbrechen zu erregen durch Kitzeln des Schlundes und Eingeben von lauem Wasser mit Eiweiß, oder man reicht Brechmittel, gegen heftige Schmerzen Opium. Die Rückstände des Gifts sucht man durch eine frisch bereitete Mischung von Eisenhydroxyd und Magnesiumhydroxyd (Antidotum ¶
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arsenici) zu binden. Das Mittel muß in möglichst großer Menge angewendet werden, weil andre Stoffe des Magens und Darminhalts ebenso eine große Verwandtschaft zu dem Eisenhydroxyd und der Magnesia besitzen wie Arsenik und dadurch seine Wirkung beeinträchtigt werden kann. Man reicht deshalb von 10 zu 10 Minuten, nachdem der meiste Inhalt des Magens durch Erbrechen möglichst entleert worden, einen Eßlöffel so lange fort, bis die örtlichen Vergiftungserscheinungen erloschen sind und das Eisenoxydhydrat in den Stuhlgängen zum Vorschein kommt. Um das in den Darm [* 9] eingedrungene Gift rascher auszuführen, reicht man Laxiermittel, Glaubersalz, Bittersalz, Klystiere; gegen sonstige entzündliche Zufälle sind örtliche Blutentleerungen, kalte Umschläge, innerlich Opium angezeigt.
Bei lähmungsartigen Zuständen und großen Schwächezuständen empfehlen sich warme Bäder, Hautreize, dabei viel Getränk,
Kaffee, Thee, kohlensäurehaltige Mineralwässer, Salpeterlösungen mit etwas Wein. Dabei beachte man die den einzelnen Stadien
der Erkrankung entsprechende Diät. Bei der chronischen Arsenikvergiftung
, wo häufiger Umgang mit dem Gift oder Aufenthalt
in einer damit geschwängerten Luft die Ursache der Vergiftung ist, muß der Kranke zunächst, wie sich von selbst versteht,
für immer daraus entfernt werden.
Die Behandlung der chronischen Arsenikvergiftung
ist eine rein symptomatische und muß sich nach den vorstehenden
örtlichen oder allgemeinen Nachkrankheiten richten. Das Hauptgewicht ist auf eine gut nährende, konzentrierte,
aber leichtverdauliche Kost zu legen; namentlich empfehlen sich schleimige, mehlige und fette Stoffe, Fleischbrühen, rohe Eier
[* 10] und dergleichen Mittel. Daneben sind warme Schwefelbäder von großem Nutzen. Über das Arsenikfüttern und Arsenikessen sowie
über die Verwendung des Arseniks in der Medizin s. Arsenige Säure.
[* 11]
Vgl. Bunsen und Berthold, Eisenoxydhydrat, das Gegengift gegen arsenige Säure (2. Aufl., Götting. 1837);
B. Schuchardt, Untersuchungen über die Anwendung des Magnesiahydrats als Gegenmittel gegen arsenige Säure und Quecksilberchlorid (das. 1852);
Hirt, Die Krankheiten der Arbeiter (Bresl. 1871-78);
andre Litteratur s. unter Gift.