Arkadien
,
das von den Dichtern hochgefeierte
Hirten- und Schäferland in der Mitte des
Peloponnes, ein
in sich und gegen
außen abgeschlossenes
Hochland, die natürliche
Festung
[* 2] der
Halbinsel. Am höchsten steigen die Arkadien
einschließenden
Gebirge im N. auf, wo der
Kyllene (jetzt Zyria) 2374 m
Höhe erreicht. An ihn schließt sich westlich das Aroanische
Gebirge
(Chelmos, 2375 m), dann der
Erymanthos (Olonos, 2225
m), alle durch
Einschnitte voneinander getrennt. Weniger hoch sind
die
Gebirge an der Ostgrenze Arkadiens
, welche nur eine
Höhe von 1400-1600 m erreichen, während die
Pässe 800 m nicht überschreiten.
Darum war und ist der
Verkehr nach O. viel bedeutender als nach N. In dieser
Kette liegt, schon auf lakonischem Gebiet, der 1957 m
hohe Parnon (Malevo), dessen
Namen man auf die ganze
Kette
übertragen hat. Von
S. und besonders von W. her
ist Arkadien
leicht zugänglich, denn nach W. bahnen sich die
Ströme Arkadiens
, im
Alpheios (Ruphia) vereinigt, ihren Weg zum
Sizilischen
Meer. Der genannte
Fluß entspringt im S. des
Landes, beschreibt einen großen
Bogen
[* 3] nach W. und N., in dessen
Mitte
Megalopolis lag; dann verengert sich sein
Thal
[* 4] zur Schlucht, bis er bei Heräa seine bedeutendsten Zuflüsse, den
Ladon
und
Erymanthos, von N. her aufnimmt und auf elisches Gebiet übertritt.
Auf arkadischem Gebiet entspringen auch der
Eurotas, der Hauptfluß
Lakoniens, und der Neda im
SW. Das
Innere
Arkadiens
ist ein wechselndes
Berg- und Thalland, unter dessen
Erhebungen der 1850 m hohe
Mänalos und der 1608 m hohe Thaumasion
die bedeutendsten sind. In Südarkadien
, wo der Helisson sich mit dem
Alpheios vereinigt, befindet sich ein fruchtbares
Becken
(alter Seeboden), wo alle
Feldfrüchte,
Wein und
Oliven in
Fülle gedeihen. Die von der Ostkette herabkommenden
Bäche sind von kurzem
Lauf und haben die Eigentümlichkeit, daß sie im Frühjahr oft plötzlich das Land überschwemmen,
im
Sommer aber in Katabothren (unterirdischen
Höhlen) verschwinden, aus denen sie mitunter nach meilenlangem
Lauf plötzlich
wieder hervorbrechen.
Größere
Seen hat Arkadien
nur zwei, den von Pheneos (Phonia) und den von Stymphalos, der in der Heraklessage
eine
Rolle spielt, beide im
NO. Im
Altertum waren sie zur Winterzeit mit
Wasser angefüllt, im
Sommer wurde ihr
Grund bebaut; auch
noch heute kommt es vor, daß
Fischer und
Ackerbauer hier mit ihrer
Arbeit wechseln, je nachdem
Erdbeben
[* 5] die unterirdischen
Abzüge verdämmen oder sie frei machen. Die griechischen Bewohner des alten waren äolischen
Stammes,
Hirten und
Jäger, daher
Pan,
[* 6] der Hirtengott, als dessen Lieblingsaufenthalt der Mänalosberg galt, und
Artemis
[* 7] von ihnen besonders verehrt wurden.
Der
Name des ersten
Königs, Elatos, des Fichtenheros, deutet auf die ausgedehnten wildreichen
Wälder des
Landes. Die
Arkadier waren von urkräftiger
Natur, in
Sitten und
Gewohnheiten einfach und genügsam, gastfrei und freiheitsliebend,
aber ziemlich derb und unzivilisiert. Die
Musik pflegten sie wie kein andrer
griechischer
Stamm. Außer
Pan, dem Erfinder der
Hirtenflöte, soll auch
Hermes,
[* 8] der Erfinder der siebensaitigen
Laute, auf dem
Kyllene in Arkadien
geboren sein.
Als
Folge der
Übervölkerung des
Landes, welches keine eignen
Kolonien wie die andern griechischen
Staaten aussandte, finden
wir bei den
Arkadiern, ähnlich wie bei andern Gebirgsvölkern, die
Sitte des
»Reislaufens«. Aber die alte unverdorbene
Sitte
und mit ihr
Kraft,
[* 9] Wohlsein und Frohsinn erhielten sich und herrschten noch in Arkadien
, als das übrige
Griechenland
[* 10] bereits moralisch untergegangen war. So kam es, daß die Dichter Arkadien
als das
Land der Unschuld und des stillen
Friedens priesen, nur daß der moderne
Begriff von »arkadischen
Schäfern« dem wahren
Wesen des
Volks sehr wenig entspricht. Die
bedeutendsten Gemeinwesen des alten Arkadien
finden wir in den Beckenebenen des
Ostens, so das reiche aristokratische
Tegea, die demokratische Handelsstadt
Mantineia, das hoch gelegene
Orchomenos, Stymphalos und Pheneos. Im W. war die einzige
wichtigere Stadt Heräa. Das
Zentrum ist ohne historisches
Interesse und war nur von Dörfern besetzt. Im obern, fruchtbaren
Alpheiosthal gründeten die Thebaner später die Bundesstadt
Megalopolis.
Die Arkadier zählten zu den ältesten Völkern Griechenlands. Pausanias nennt sie Autochthonen, andre Schriftsteller machen sie sogar zu Proselenen, d. h. älter als der Mond. [* 11] Die heimischen Sagen des Volks reichten bis über die Deukalionische Flut, bei welcher das Gebirge Kyllene als der Rettungsort des Menschengeschlechts erscheint. Als erster arkadischer König gilt Pelasgos, der Anführer pelasgischer Einwanderer aus Nordgriechenland, von dem das Land Pelasgia hieß.
Mit den dorischen Einwanderern (s.
Dorische Wanderung) traten die
Arkadier in freundschaftliche Verhältnisse, wußten aber
ihr gebirgiges, schwer zugängliches Land von denselben frei zu erhalten. Der letzte arkadische König war Aristokrates II.,
Sohn des Hiketas, zur Zeit des zweiten
Messenischen
Kriegs.
Sein
Verrat lieferte die Messenier, die
Bundesgenossen
der
Arkadier, in die
Gewalt der Lakedämonier; darüber entrüstet, steinigten ihn die eignen
Unterthanen und warfen seinen
Leichnam über die
Grenze. Arkadien
zerfiel jetzt in eine
Menge kleiner
Freistaaten, die alle, voran die beiden bedeutendsten,
Tegea
und
Mantineia, meist isoliert und eifersüchtig einander gegenüberstanden und sich dadurch zum Anschluß an den Peloponnesischen
Bund und zur Unterordnung unter die
Hegemonie
Spartas genötigt sahen.
Die Gegner
Spartas, namentlich
Alkibiades und Epaminondas, versuchten, die arkadischen
Städte zu einem peloponnesischen Gegenbund
zu vereinigen, zu dessen Hauptstadt Epaminondas 370
v. Chr. das neugegründete
Megalopolis bestimmte. Indessen
hatten diese
Versuche, eine politische Machtstellung Arkadiens
zu begründen, keinen dauernden Erfolg. Die
Arkadier mußten
wie die übrigen Griechen unter den innern
Kämpfen, welche die Zeit des
Verfalls der griechischen Macht kennzeichnen, schwer
leiden. Ihr Land hat sich von seiner Verwilderung und
Entvölkerung auch unter der römischen Herrschaft
nicht erholt.
Gegenwärtig bildet Arkadien
, mit der
Landschaft Tsakonia am Ägeischen
Meer vereinigt, einen
Nomos des
Königreichs
Griechenland, welcher 4346 qkm
(nach Strelbitskys Berechnung 4301 qkm = 78 QM.) umfaßt.
Noch heute ist Arkadien
vorzugsweise ein Hirtenland, das auf seinen ausgedehnten,
zum Teil mit Gestrüpp bewachsenen
Weiden zahlreiche
Herden von
Ziegen und grobwolligen
Schafen ernährt,
zugleich
¶
mehr
aber die am besten angebauten Gefilde, die blühendsten Thäler und die schönsten Wälder von ganz Griechenland enthält. Das Klima [* 13] ist wegen der hohen Lage des Landes mild. Die Wälder gehören zumeist dem westlichen Teil an und bestehen aus Eichen und Tannen; in ihnen ist heute noch wie im Altertum der Wolf häufig. Bäche und Flüsse [* 14] sind mit Platanen besetzt. Rindvieh wird in der Regel nur zur Zucht von Zugtieren für den Ackerbau gehalten. Die Bevölkerung [* 15] betrug 1879: 148,905 Seelen.
Die heutigen Arkadier sind ein kräftiger Menschenschlag von mittlerer Größe, lebhafter Miene und Gebärde. Von rauher, einfacher
Lebensweise, lieben sie wie ihre Vorfahren Musik und Tanz leidenschaftlich und haben sich die gleiche Liebe
zur Freiheit und Lust am Kampf bewahrt. Von Industrie sind kaum Anfänge vorhanden. Arkadien
zerfällt in die Eparchien Mantinia,
Kinuria, Gortinia und Megalopolis. Hauptstadt ist Tripolitsa, mit 8000 Einw., unfern des alten Tegea.