Antinomismus
(grch.), Geringschätzung des alttestamentlichen Gesetzes, die entweder praktisch wird in der Behauptung, der Wiedergeborene bedürfe keines äußern Gesetzes, denn alle seine Handlungen seien gut, oder theoretisch bleibt in der Lehre, [* 2] der Mensch werde zur Buße geführt durch die Predigt des Evangeliums und bedürfe dazu der Predigt des Gesetzes nicht. der ersten Art zeigt sich schon zur Zeit des Neuen Testaments (2 Petr. 2, 18,19),. später unter den Gnostikern, bei spiritualistischen Sekten des Mittelalters, in der Reformationszeit, bei manchen Wiedertäufern, und in der Neuzeit z. B. bei den Antonianern (s. d.). Um den der letztern Art handelt es sich in dem Antinomistischen Streite zur Reformationszeit.
Melanchthon ermahnte 1527 in seinen Visitationsartikeln die Pfarrer, den Glauben und die Vergebung der Sünden nicht zu predigen, ohne vorher Buße und Reue zu treiben, und machte ihnen deshalb die wiederholte Auslegung des Dekalogs zur Pflicht. Darin sah J. Agricola (s. d.) einen Rückfall in Katholicismus, weil nicht die Furcht vor Strafe, sondern die Liebe zur Gerechtigkeit, nicht die Gesetzespredigt, sondern das Evangelium die Buße wirke. Durch Luther auf einem Gespräch zu Torgau [* 3] (Dez. 1527) vorläufig beruhigt, breitete Agricola seine Meinung zu Eisleben [* 4] im stillen weiter aus und vertrat sie auch 1537 auf einer Disputation zu Wittenberg. [* 5] Luther bekämpfte die Antinomer voll Eifer und veranlaßte Agricola zum Widerrufe (1540). Die Konkordienformel (s. d.) stellte dann die luth. Lehre von der Bedeutung des Gesetzes fest. In neuester Zeit ist in der evang. Kirche die ähnliche Meinung vertreten worden, daß die Erkenntnis der Sünde erst aus dem Evangelium komme.