Anschauung
sunterricht,
zunächst das Unterrichtsprincip, wonach jeder Unterricht, auch auf den obern
Stufen, von der
Anschauung, d. h. von der Betrachtung wirklicher Gegenstände, von bildlichen
Darstellungen, Modellen, konkreten
Beispielen
oder den Erfahrungen und Erlebnissen des
Kindes ausgehen und daran anknüpfen soll, dann aber auch ein besonderes Unterrichtsfach
in den Elementarklassen der
Volksschule, das die
Aufgabe hat, auf gleicher Grundlage die
Anschauungen der
Kinder in den verschiedenen Bereichen der Natur und des Menschenlebens zu klären, zu ordnen, zu erweitern und zu vervollständigen,
die
Sinne zu üben, die
Sprache
[* 2] zu entwickeln und dadurch die
Schüler zur Erfassung der verschiedenen Unterrichtsgegenstände,
die aus dem Anschauung
sunterricht hervorgehen, zu befähigen.
Der Grundsatz, daß alle Wissenschaft von der Anschauung, der sinnlichen Erfahrung, auszugehen habe, wurde zuerst von Baco von Verulam und von John Locke mit Entschiedenheit geltend gemacht. Amos Comenius erfaßte ihn ebenso energisch in Bezug auf den Unterricht und machte in seinem «Orbis pictus» (s. d.) einen Versuch, ihn praktisch zur Ausführung zu bringen. In den Anstalten von Aug. Herm. Francke in Halle [* 3] und ebenso in den Realschulen zu Berlin [* 4] und Halle, jene von Hecker, diese von Semler gegründet, wurde der Unterricht gleichfalls auf die Anschauung begründet. ^[] Vor allem haben Rousseau und die Philanthropen, mit Basedow an der Spitze, das Ausgehen von der Anschauung im Gegensatz zum Wortunterricht gefordert, und auch Freiherr von Rochow gründete den Unterricht in seiner Schule zu Rekahne bei Brandenburg [* 5] a. d. H. auf das gleiche Princip.
Das Verdienst, es zu allgemeiner
Anerkennung gebracht und die Anschauung
sübungen wirklich eingeführt zu haben, gebührt
Pestalozzi. Seine Ideen darüber und seine Methode hat er in dem
«Buch der
Mutter» und «Wie
Gertrud ihre
Kinder lehrt» niedergelegt.
Seitdem ist der Anschauungsunterricht
auch als besonderes Fach des Elementarunterrichts vielfach bearbeitet worden,
so von von
Türk,
Harnisch, Grasmann, Denzel, Diesterweg, Graser,
Gräfe, Curtmann,
Karl
Richter,
Kehr, Dittes,
Klauwell
u. a. Einige
Pädagogen,
Vertreter der Normalwortmethode, wie
Klauwell, wollen ihn nur zum Begleiter des Schreibleseunterrichts
machen, und zwar sollen die Normalwörter die Gegenstände der Behandlung angeben; die meisten jedoch verlangen einen besondern,
selbständigen Anschauungsunterricht
Entschiedene Gegner des Anschauungsunterricht sind
Karl von Raumer,
Völter und
Palmer.
Das Regulativ für die preuß.
Volksschulen vom und die allgemeinen Bestimmungen vom halten
einen gesonderten Anschauungsunterricht
nicht für erforderlich; die mündlichen
Übungen im
Ausdrucke sollen nur den Schreib- und Leseunterricht
vorbereiten und ihn auf seinen weitern
Stufen begleiten. Die Normallehrpläne anderer
Staaten dagegen, wie
Baden
[* 6] und
Württemberg,
[* 7] ordnen ihn an und geben seinen
Inhalt an. Die gegenwärtigen
Pädagogen erkennen ihn fast allgemein als
notwendig an. -
Vgl. K. Richter, Der in den Elementarklassen (3. Aufl., Lpz. 1887);
Schäfer, Geschichte des (in Kehrs «Geschichte der Methodik», 2. Aufl., Gotha [* 8] 1888);
Harder, Handbuch für den Anschauungsunterricht
(10. Aufl., Hannov.
1891);
Heinemann, Handbuch für den Anschauungsunterricht
(6. Aufl., Berl.
1892);
Faßbach, der in Theorie und Praxis (Lpz. 1892);
Kehr, Der Anschauungsunterricht
(4. Aufl. von Kleinschmidt, Gotha 1893);
Hartmann, Die Anschauung im neusprachlichen Unterricht (Wien [* 9] 1895);
Martig, Auschauungspsychologie mit Anwendung auf die Erziehung (3. Aufl., Bern [* 10] 1895).