Individualismus - Indochinesische Sprachen und Völker
mehr
Auserwählten, eine
Sitte, die auch die Orāon angenommen haben. Oder man jagt einen Ochsen durch das Dorf und wählt den zum
Priester, vor dessen
Thür der Ochse stehen bleibt. Im Gegensatz zu den Orāon haben die Mūndāri keine Götzenbilder. Der
Priester opfert Ochsen, Schweine,
[* 2]
Böcke,
Hühner
[* 3] auf einem dazu bestimmten
Steine und sprengt das Opferblut
umher. Dem Singbonga werden nur weiße
Hühner und weiße
Böcke geopfert, den bösen Bonga nur schwarze oder bunte.
Das Opferfleisch verzehrt der Priester, bei größern
Tieren auch die Familie des Opfernden. Das Hauptopfer wird im März
vor der Saatzeit dargebracht. Man reinigt die Häuser und schmückt sie und sich mit
Blumen. Der Priester
wird auf die Schultern gehoben und unter
Gesang und Geschrei aus dem Opferhain ins Dorf getragen, worauf getanzt und gezecht
wird. Zur
Abwehr aller
Arten von Unglück dienen Zauberer, die in ihren
Zaubersprüchen Hindugötter anrufen, vor allem
Çiva
als Mahādēo (im Sanskrit Mahādēva).
Die Mūndāri glauben an
Hexen und besonders fest daran, daß sich
Menschen mit Hilfe der Bonga für einige Zeit in
Tiger verwandeln,
um
Menschen zu fressen. Bei
Krankheiten weissagen sie aus dem Flug und Geschrei der
Vögel,
[* 4] besonders des
Raben; aus dem Fressen
oder Nichtfressen der
Hühner ziehen Pāhans und Zauberer ihre
Schlüsse. Auch Gottesurteile kennen sie.
Bei einem Streit um Ländereien muß der, der das Land beansprucht, den Fuß eingraben. Beißen ihn die
Ameisen nicht, so
gehört das Land ihm; andernfalls wird er mit Schimpf und Schande von dem Felde gejagt.
Die
Religion der übrigen Kolarier zeigt immer dieselben Züge: Fetischismus und Totemismus.
Name und Zahl
der
Götter und
Geister wechseln in jedem
Lande, ja Dorfe, gerade wie bei den
Hindu. Dem Ōdschhā der
Hindu entspricht bei den
Kolariern der Baiga; er ist der Beschwörer und Teufelaustreiber, der seine Kunst oft genau so ausübt wie der Schamane (s.
Schamanismus, Bd. 14). Unter den
Kolh hat die Goßnersche Mission eine segensreiche Thätigkeit entfaltet;
(lat.), in der
Metaphysik die
Anschauung, daß nur den Einzelwesen (Dingen wie
Personen) Selbständigkeit
und wahrhaftes Sein zukommt, gegenüber der
Philosophie des
Universalismus, die, wie z. B. bei
Plato,
Spinoza, Schopenhauer,
nur das unendliche Ganze der Wirklichkeit als wahrhaft seiend betrachtet und die Selbständigkeit der
Einzeldinge leugnet. Die hervorragendsten individualistischen
Systeme in der neuern
Philosophie sind die von
Leibniz, Herbart
und
Lotze. In der Ethik versteht man unter I. die
Richtung, die das Ziel des Willens und den Wert des
Daseins überhaupt im
Individuum, nicht in der Gemeinschaft oder der Gattung sucht.
Ihre extremste Gestalt ist der schroffe
EgoismusStirners und
Nietzsches; ihr Gegensatz der
Altruismus. In der Politik ist der I. die dem
Socialismus und Kollektivismus gegenüberstehende
Anschauung.
Sprachen und
Völker. Mit dem
Namen Indochinesen bezeichnete man ursprünglich (und thut es,
freilich mit Unrecht,
zuweilen auch jetzt noch) bloß die
Völker der hinterind. Halbinsel. Der
Name wurde zunächst wohl nur
von der geogr.
Lage ihrer Wohnsitze genommen, die ja gewissermaßen zwischen
Indien und Südchina liegen; vielleicht ist auch
gleich zu Anfang schon die
Beobachtung maßgebend gewesen, daß diese Bewohner
Indiens in Rassentypus und
Sprache
[* 5]
Ähnlichkeit
[* 6] mit den
Chinesen haben; jedenfalls kam man, hauptsächlich auf die Übereinstimmung namentlich ihres
Sprachbaues
gestützt, zu der
Annahme, daß sie eine eigene, dem
Chinesischen verwandte
Sprachfamilie bildeten.
Bei genauerer Untersuchung hat sich nun herausgestellt, daß diese
Definition auf der einen Seite zu weit, auf der andern
zu eng ist. Denn den Forschungen E. Kuhns («Beiträge zur Sprachenkunde Hinterindiens»,
in den «Sitzungsberichten» der
MünchenerAkademie, 1889, philos.-philol.
Klasse 2) verdankt man den Nachweis, daß die Khmer
(in Kambodscha), die Mon oder
Talaing (in Pegu), die Annamiten und die Tschampa (beide in
Annam) nebst einer Anzahl kleinerer
Gebirgsvölker, wie Khasi, Palaung u. a., mit den übrigen
Insassen des
Landes nicht verwandt sind; vielmehr
bilden die Mon und Khmer mit jenen kleinern
Stämmen eine eigene
Sprachfamilie, der auch das Annamitische nahe steht (man hat
sie daher
mon-annamitische Sprachen genannt), und diese
Sprachfamilie zeigt, worauf schon Mason («The
Talaing language», im
«Journal of the
AmericanOrientalSociety», IV) undSchott
(«Über die sog. indochinesischen
Sprachen, insonderheit das Siamische»,
in den «Sitzungsberichten» der
Berliner
[* 7]
Akademie, 1856, philos.-histor.
Klasse) hingewiesen hatten, auffällige Übereinstimmungen
im Wortschatz nicht bloß mit den
Sprachen der Urbewohner
Malakas und der
Insel Nancowry, sondern auch mit den Kolhsprachen
Vorderindiens.
Ja, es ist nicht unwahrscheinlich, daß alle diese
Sprachen in verwandtschaftlicher
Beziehung zu den malaiischen stehen, zu
denen das Tschampa so wie so gehört; man schließt das (vgl. Himly,
Über die Wortbildung des Mon, in den «Sitzungsberichten»
der
MünchenerAkademie, 1889, philos.-philol.
Klasse, S. 260-277) daraus, daß bei den Mon, Khmer und
Kolh
dieselbe Wortbildung durch
Suffixe vorhanden ist, die man als ein hervorstechendes
Merkmal der malaiischen
Sprachen kennt.
Somit muß die
mon-annamitischeSprachfamilie, wie man
sie der Kürze halber noch nennt, von den andern
Sprachen Hinterindiens,
dem Birmanischen (richtiger Barmanischen) und Siamesischen, getrennt werden. Und zwar ist sie höchst
wahrscheinlich als die Urbevölkerung der Halbinsel anzusehen, dafür spricht außer ihrer
Tradition, die von einer Einwanderung
nichts berichtet, besonders der Umstand, daß man wenigstens von den Siamesen weist, daß sie erst in geschichtlicher Zeit
von Norden
[* 8] her, aus Jün-nan, kommend, in das jetzige Siam eingedrungen sind.
Diese aber und die Birmanen samt den kleinen
Stämmen in
Birma sind, wie das ebenfalls die
Sprachvergleichung
gelehrt hat, auf das innigste nicht bloß mit den
Chinesen, sondern außerdem auch mit den Tibetern und den schier zahllosen
Völkern und Völkchen verwandt, welche die Südabhänge des Himalaja und die westlichsten
ProvinzenChinas bewohnen. Diese
riesenhafte Völkerfamilie (vielleicht die größte, die es giebt), die sich in ununterbrochenem Zusammenhange
über das ganze eigentliche
China,
[* 9]
Tibet bis zum
Kuku-nor¶
mehr
und den größten Teil Hinterindiens ausbreitet, ist es nun, die man jetzt mit dem Namen indochinesisch bezeichnet. Dieser
Name ist auch so übel nicht, zumal wenn man ihn als die Bezeichnung einer Familie auffaßt, die, mit den Chinesen stammverwandt,
innerhalb der vorderind. Kultursphäre wohnt; und das ist ja der Fall bei allen diesen Völkern, die
Chinesen nicht ausgenommen.
Dem Rassentypus nach geboren die Indochinesen zu den Mongolen; als charakteristische Eigenschaften ihrer Sprachen giebt man
gemeiniglich an, daß sie einsilbig, isolierend und (teilweise) singend sind, d. h. daß jedes
ihrer Stammwörter nur aus einer Silbe besteht, daß sie, da diese Stammwörter in der Regel unveränderlich
sind, alle Beziehungen der Wörter zu einander nur durch die Stellung, durch lockere Wortverbindung und zugesetzte Hilfswörter
auszudrücken vermögen, und daß bei dem größern Teil von ihnen jedem Wort ein bestimmter, ihm untrennbar anhaftender Tonfall
(Tonaccent) eigen ist.
Diese Definition ist indessen nicht mehr ganz zutreffend. Bei genauerer Untersuchung hat sich nämlich
gezeigt, daß ein nicht unansehnlicher Teil der dazugehörigen Sprachen, z. B. die Sprachen von Nepal, von Assam und Nordbirma,
weit eher zu den agglutinierenden gehören. In der That ist die Isolierung fast nirgends ganz rein vorhanden. Das Altchinesische
zwar darf als ein Muster dieser Sprachform gelten (während das Neuchinesische auf dem Übergang zur Agglutination
steht), Tibetisch und Birmanisch dagegen zeigen wenigstens noch deutliche Spuren vormaliger Agglutination. So sind die Konsonantenhäufungen
im Anlaut der Wörter in der tibet.
Schriftsprache, die überdies auch teilweise die Einsilbigkeit durchbrechen, von Lepsius, Kühn, Gabelentz u. a. als einstige
Präfixbildungen nachgewiesen worden, und im Birmanischen werden zweisilbige Nomina durch ein Präfix
gebildet; beide Sprachen zeigen außerdem einen entschiedenen Ansatz zur Flexion in der Unterscheidung des intransitiven und
transitiven Verbi durch Anlautveränderung (die sich übrigens auch im Siamesischen und Chinesischen hat nachweisen lassen),
und dem Tibetischen allein eigentümlich ist eine regelmäßige Tempusbildung durch Ablaut. So sieht man
also, daß eine ganze Skala verschiedenartiger Sprachformen zu dieser Familie gehört.
Und nun ist es höchst wahrscheinlich, daß sich alle diese Formen aus der agglutinierenden entwickelt haben. Daß die Einsilbigkeit
der Stammwörter auf Mehrsilbigkeit zurückgehen kann, bezeugt nicht bloß die erwähnte Erscheinung des Tibetischen, man
findet dasselbe Streben nach Zusammenziehung in allen andern dieser Sprachen, auch, deutlich nachweisbar,
im Chinesischen. Ebendaraus haben z. B. Lepsius («Über chines. und tibetan. Lautverhältnisse», in den «Abhandlungen» der BerlinerAkademie, 1861), R. Douglas u. a. in glaubwürdiger Weise die Tonaccente abgeleitet, und selbst die Isolierung, d. h. die starren
Stellungsgesetze, weisen, wie Kühn gezeigt hat, auf eine vormalige freiere, durch Formelemente unterstützte
Stellung hin. Man wird also die indochines. Sprachen fortan als solche bezeichnen dürfen, die bei sonst verschiedenartigem
Sprachbau solidarisch sind in der starken Tendenz zur Einsilbigkeit, Isolierung und Erzeugung von Tonaccenten.
Natürlich kann eine so große und bei manchmal verblüffender Nähe der Verwandtschaft im einzelnen
doch so verschiedene Sprachrasse nicht ohne Unterabteilungen sein.
Man kann denn auch zwei große Gruppen: eine westliche
(tibeto-birmanische) und eine östliche (siamesisch-chinesische) im allgemeinen deutlich unterscheiden, die sowohl im Wortschatz
wie im Sprachbau differieren. Die westl. Gruppe, die im ganzen den ältern Typus bewahrt hat, neigt mehr
zur Agglutination und stellt gewöhnlich das Objekt vor das Verbum, das Attribut vor sein Nomen (attributive Sprachen), die östliche
stellt das Objekt nach, in der Stellung des Attributs dagegen weichen die Thaisprachen, deren bekanntester Vertreter das Siamesische
oder Thai ist, vom Chinesischen ab, mit dem sie sonst recht innig zusammenhängen: jene stellen ganz formlos
das Attribut ebenfalls nach (prädikative Sprachen), das Chinesische vor, wie denn dieses, mit Steinthal zu reden, die drei Grundverhältnisse
der menschlichen Rede, das attributive, objektive und prädikative, scharf durch die Stellung auseinander hält.
Indessen sind diese Unterschiede keineswegs bindend für alle Sprachen, die man ihrem ganzen Habitus nach
zu der einen oder andern Gruppe zählen muß; so steht z. B. im Khamti, das zur Thaifamilie
gehört, das Objekt immer vor dem Verbum, und das kann auch im Siamesischen selbst, im Schan, im Neuchinesischen geschehen,
ja sogar das Altchinesische bewahrt in der Anteposition des Pronomens als Objekt Spuren dieses Wechsels.
Das ist eben noch ein Rest der ehemaligen freiern Stellung.
Hauptsächlich wegen dieser Schwankungen ist es noch nicht möglich gewesen, innerhalb der großen Gruppen eine ganz genaue
Einteilung vorzunehmen. Am wenigsten in der westlichen. Hier hat man als Kultursprachen das Tibetische und das Birmanische,
beide von Indien aus (jene im 7. Jahrh. n. Chr.,
diese wohl schon eher), mit Schrift und Litteratur versehen. Wie sich aber die zahlreichen kleinern Sprachen und Dialekte um
sie gruppieren, das bleibt noch zu ermitteln. Ja, es schweben sogar noch Grenzstreitigkeiten zwischen der westl.
und der östl. Gruppe im ganzen.
Jene erstreckt sich bis nach Sze-tschwan und Jün-nan hinein, aber auch die Taivölker sitzen in ununterbrochener
Reihe vom Golf von Siam bis nach Jün-nan, oder, wenn die Miao-tse zu ihnen gehören, was sehr wahrscheinlich ist, auch bis
Kwei-tschou. Die Scheidung wird dadurch erschwert, daß man gerade von den Stämmen dieser Provinzen noch wenig Genaues
weiß. Vorläufig wird man die Lolo, Lisau, Man-tze u. a. in Jün-nan als Thaistämme ansehen dürfen. Sonst ist es bei der
östl. Gruppe besser bestellt. Die Thaivölker, so genannt, weil sie alle den Stammnamen Thai führen, gliedern sich deutlich
in die Lao, von denen die Siamesen nur ein Zweig sind, die Schan und die Khamti (die Ahom in Assam sind
ausgestorben), die sämtlich ebenfalls von Indien aus kultiviert worden sind; das Chinesische mit seinen sieben Dialekten (deren
innere Abgrenzung übrigens noch nicht in allen Fällen sicher ist) ist wohlbekannt.
Die indochines. Sprachvergleichung liegt noch zu sehr in den Anfängen, als daß sie sich schon mit der
ohnehin prekären Frage nach der Urheimat der indochines. Völker hätte abgeben können. Es ist jedoch aus verschiedenen
Gründen, wovon ihre übereinstimmende Tradition nicht der schwächste ist, sehr wahrscheinlich, daß ihre Wiege irgendwo im
westl. China gestanden hat; jedenfalls findet man die Miao-tse als ein mächtiges Volk schon in den ältesten
Zeiten der chines. Geschichte im östl. Sze- ^[folgende Seite,
Bindestrich bleibt erhalten!]
¶
mehr
tschwan oder in Hu-pe angesessen. - Die Religion der meisten indochines. Völker ist der Buddhismus, der selbst in China den
größten Teil des niedern Volks zu seinen Anhängern zählt. Doch lassen sich spuren eines gemeinsamen Geisterglaubens (Schamanismus)
überall nachweisen; die kleinen Stämme huldigen ihm zum Teil noch, und er ist die Grundlage des chines.
Glaubens. Er mag viel zu der Entartung des Buddhismus beigetragen haben, die man als nördl.
Buddhismus bezeichnet.
im Völkerrecht die Gunstfrist, die der eine kriegführende Teil den bei Ausbruch des Krieges in seinen Häfen
befindlichen Privatschiffen des gegnerischen Staates für Ausladen, Einladen und Verlassen des Hafens gewährt.
Bis dahin
unterlagen die feindlichen Privatschiffe mit Kriegsausbruch sofort dem Embargo (s. d.,
Bd. 6) nach dem allgemeinen, sonst auch noch dem heutigen Völkerrecht angehörenden Satz, daß feindliches Privateigentum
zur See Kriegsobjekt ist.
Neben den bereits angegebenen Gesichtspunkten für die Beurteilung von I. ist
auch die Unterscheidung zwischen börsengängigen, d. h. einen täglichen Markt und regelmäßige
Kursnotierungen besitzenden, daher leicht zu veräußernden, und nicht börsengängigen Papieren zu erwähnen, weil letztere
nur unter der Hand,
[* 13] d. h. gelegentlich Käufer finden und daher niedriger zu bewerten sind. Der Erwerb nicht börsengängiger
I. hat nur dann etwas für sich, wenn man neben den dadurch festgelegten Kapitalien noch weitere flüssige
Geldmittel hat, sowie auf die Leitung und Beaufsichtigung des Unternehmens einen direkten oder indirekten Einfluß ausüben
und von den geschäftlichen Vorgängen Kenntnis nehmen kann. Dies trifft zu für die Aktieninhaber sog.
Familiengründungen, wo die Aktienform lediglich zur bequemern Verrechnung und Verteilung des Reingewinns
und zur gemeinschaftlichen Verwaltung des Familienvermögens gewählt, die Beteiligung fremden Kapitals so gut wie ganz ausgeschloßen
ist und an eine Veräußerung der Aktien nicht gedacht wird.
Was die deutschen Börsen anbetrifft, so kann man in gewissem Sinne als nicht börsengängig auch diejenigen
I. bezeichnen, für die sich unter dem Einfluß einer günstigen Konjunktur, wie z. B. für
die südafrik. Minenwerte (s. Goldaktie), zeitweilig ein Markt nach Börsenusance bildet, ohne daß
die Papiere nach Vorschrift, d. h. auf Grund eines Prospekts u. s. w., zur Einführung gelangt sind, und ohne daß für sie
amtliche Kursnotierungen stattfinden. Das Börsengesetz vom schafft hierin eine 'Änderung,
indem es ausdrücklich Geschäfte in solchen Papieren von der Benutzung der Börseneinrichtungen ausschließt.
Von einschneidenderer Bedeutung für den Verkehr in I. ist indessen eine andere Bestimmung des neuen Börsengesetzes, wonach
der Börsenterminhandel in Anteilen von Bergwerks- und Fabrikunternehmungen untersagt wird, in Anteilen
von andern Erwerbsgesellschaften aber
nur gestattet werden kann, wenn das Kapital der betreffenden Erwerbsgesellschaft mindestens 20 Mill.
M. beträgt. Die Untersagung des Terminhandels in den bezeichneten I. stellt indessen eine neue Art von Reportierung in Aussicht,
nämlich die an der Neuyorker Börse übliche Tagesbeleihung, welche der Spekulation die Ausnutzung der
Komptantform gestattet.
Noch in einer dritten Beziehung wird sowohl börsentechnisch als auch wirtschaftlich der Verkehr in I. durch das neue Börsengesetz
getroffen. Eine lebhafte Steigerung des Handels und Verkehrs, die dem größern Publikum erst durch die Kurserhöhungen der
bereits vorhandenen I. aufzufallen pflegt, vermehrt in der Regel die Zahl der Gründungen industrieller
Unternehmungen. Dem Publikum werden alsdann die durch die Umwandlung bereits bestehender Privatunternehmungen in der Form
der Aktiengesellschaft neu geschaffenen Werte mit Agio zur Subskription angeboten, und die Spekulationssucht pflegt zumeist
in der Hoffnung, daß die neuen Werte sogleich an der Kurssteigerung der bereits vorhandenen ähnlichen Papiere teilnehmen
werden, starke Überzeichnungen herbeizuführen, ohne Rücksicht darauf, daß ein außergewöhnlich gewinnbringender Geschäftsgang
nicht als normaler Durchschnitt aufgefaßt werden kann, und daß der Umwandlung meist die durch die gute Konjunktur gesteigerten
Beträge zu Grunde liegen.
Gegen die sich hieraus ergebenden Gefahren für das Publikum sucht das Börsengesetz bei schon bestehenden, in
eine Aktien- oder Kommanditaktiengesellschaft verwandelten Unternehmungen durch die sog. Sperrfrist (s. Börse) zu schützen.
Dagegen läßt das Gesetz die Aktien eines ganz neu geschaffenen Unternehmens gleich nach der handelsgerichtlichen Eintragung
zum Börsenhandel auch künftighin zu. Nach einer Bekanntmachung des Bundesrats vom betreffend die Zulassung von
Wertpapieren zum Börsenhandel, hat die Zulassung zur Voraussetzung, daß die Wertpapiere (mit Ausnahme
der Aktien von Versicherungsgesellschaften) voll einbezahlt sind, daß sie auf deutsche Währung oder gleichzeitig auf die
fremde und die deutsche Währung lauten und daß die Zinsen oder Dividenden an einem deutschen Börsenplätze zahlbar sind,
auch die Aushändigung der Zinsbogen daselbst kostenfrei erfolgt. Im weitern wird Bestimmung getroffen
über die dem Zulassungsantrage beizufügenden Nachweise und den Inhalt des Prospekts. In Bezug auf die Vergangenheit der Gesellschaften
wird nur die Mitteilung der Dividenden aus den letzten 5 Jahren und der Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung des letzten
Geschäftsjahres verlangt; sofern das erste Geschäftsjahr noch nicht abgelaufen ist, soll sogar eine
Gegenüberstellung der Vermögensstücke und Verbindlichkeiten genügen. Dies ist sicherlich keine Erschwerung gegenüber
der bisherigen Praxis. - Auch das ist fraglich, ob das neue Gesetz die Finanzierung industrieller Unternehmungen beschränken
wird. Es dürfte hierin sich nur die Form ändern. Bereits jetzt haben sich Trustgesellschaften, d. h.
Finanzinstitute gebildet, wie z. B. die Bank für industrielle Unternehmungen in Frankfurt
[* 14] a. M., die Aktiengesellschaft für
Montanindustrie in Berlin,
[* 15] die hauptsächlich kleinere, für den Börsenverkehr nicht geeignete Aktiengesellschaften in sich
aufzunehmen gedenken, indem sie sich hierzu die Mittel durch Ausgabe ihrer eigenen Aktien verschaffen.
¶
mehr
Nach §. 42 des Börsengesetzes soll der Bundesrat den Mindestbetrag des Grundkapitals bestimmen, welcher für die Zulassung
der Aktien an den einzelnen Börsen maßgebend ist. Dies ist nun in oben erwähnter Bekanntmachung vom geschehen.
Die Gesamtsumme der Stücke nach ihrem Nennwert soll für die Börsen in Berlin, Frankfurt a. M. und Hamburg
[* 17] mindestens 1 Mill., für alle übrigen Börsen 500000 M. betragen. Wenn der Gegenstand der Emission nur Bedeutung für das
engere Wirtschaftsgebiet hat, soll mit Erlaubnis der Börsenaufsichtsbehörde sogar unter obige Sätze heruntergegangen werden
dürfen. Die Börsenenquetekommission schlug seiner Zeit erheblich größere Beträge vor. - Die einzelnen
Stücke der Aktien oder Interimsscheine müssen in der Regel auf mindestens 1000 M. lauten. (S. auch Börse.)
Schon die klinische und epidemiologische Beobachtung der I. führte in einer Zeit, in der man
die Krankheitserreger noch nicht kannte, zu der Vorstellung einer mikroparasitären Ätiologie derselben;
in der That ließ sich nur durch die Annahme lebender fortpflanzungsfähiger Erreger die unbegrenzte Übertragung der I. von
Fall Zu Fall, das Haften des infizierenden Stoffes an den verschiedensten Objekten, die Möglichkeit einer Verschleppung auf
weite Entfernungen, erklären.
Besonders Henle hat bereits 1840 in meisterhafter Weise die Notwendigkeit der Annahme kleinster Lebewesen
als Erreger der I. dargethan und sogar das nähere Abhängigkeitsverhältnis des Krankheitsverlaufs von dem Charakter des
supponierten Erregers zu begründen versucht. 40 Jahre später gelang es mit Hilfe der durch R.Koch geschaffenen bakteriologischen
Methodik, die Krankheitserreger direkt bei der betreffenden Infektionskrankheit nachzuweisen und ihre
ursächliche Rolle auf experimentellem Wege über jeden Zweifel erhaben hinzustellen. (S. auch Institut für Infektionskrankheiten.)
Der Weg dieser Untersuchung ist bei allen I. principiell derselbe; zunächst ist zu erforschen, ob sich in allen Fällen
der betreffenden Krankheit eine wohl charakterisierte Mikrobe in den Geweben nachweisen läßt, und in
einer Ausdehnung
[* 18] und räumlichen Verteilung, die dem klinischen Charakter der Affektion entspricht; dieses absolut konstante
und charakteristische Vorkommen ist das erste und unumgänglich notwendige Erfordernis für den Nachweis der krankheitserregenden
Wirkung einer Mikrobe.
Weiterhin muß versucht werden, den Erreger auf künstlichem Nährboden zu züchten und durch Verimpfung der Reinkultur
auf empfängliche Tiere das typische Bild der ursprünglichen Krankheit wieder zu erzeugen. Endlich gilt es noch, die Lebenseigenschaften
des Erregers, sein etwaiges Vorkommen in der Außenwelt, die Wege seiner Verbreitung zu erforschen und die Übereinstimmung
des auf diesem Wege deduktiv gewonnenen Bildes der Ausbreitung der betreffenden Infektionskrankheit mit den durch
die epidemiologische Forschung induktiv gefundenen Thatsachen nachzuweisen.
Bei vielen Krankheiten ist dieser Nachweis vollkommen lückenlos geliefert, z. B. in besonders klassischer
Weise durch R.Koch bei der Tuberkulose; bei einzelnen andern jedoch stößt die künstliche Züchtung des Erregers auf bisher
unüberwindliche Schwierigkeiten, wie bei den Spirillen des Rückfalltyphus,
oder es gelingt nicht, bei
Tieren die entsprechende Infektion auszulösen, so z. B. bei der Gonorrhöe. Doch erklären sich diese Mängel
in einfacher Weise aus den unzulänglichen Mitteln unserer Forschung. Bei einer Anzahl von I., die nach ihrem klinischen und
epidemiologischen Verhalten ebenfalls mit Bestimmtheit auf eine mikroparasitäre Ätiologie zurückgeführt werden müssen,
wie z. B. bei Hundswut, Syphilis, Gelbfieber, Flecktyphus, Scharlach, Masern u. s. w., ist bisher überhaupt
noch nicht der sichere direkte Nachweis lebender Erreger gelungen; hier bleibt eine Vervollkommnung unserer Forschungsmethoden
abzuwarten.
Jede Infektionskrankheit bedarf als Wechselwirkung zwischen Mikroben und Organismus zu ihrem Zustandekommen des Vorhandenseins
bestimmter Bedingungen auf seiten beider in Betracht kommenden Faktoren. Was zunächst die Rolle der Mikroben
anlangt, so ist nur eine beschränkte Anzahl von Arten, die pathogenen Mikroorganismen, zu einer Vermehrung im Tierkörper
und zur Entfaltung krankheitserregender Wirkung befähigt; die überwiegende Mehrzahl, die sog.
saprophytischen Arten, sind ganz harmlose Bewohner der Außenwelt und vermögen sich im lebenden Tierkörper nicht zu
behaupten, sondern gehen, selbst in größern Mengen eingeführt, rasch zu Grunde; bei Einspritzung
[* 19] sehr bedeutender Mengen
kann es höchstens zu gewissen Giftwirkungen kommen.
Unter den pathogenen Arten selbst ist ferner die Virulenz, d. h. die Fähigkeit, im lebenden Organismus zu wuchern,
sehr verschieden;
einige, wie der Tetanusbacillus, sind nur einer ganz geringen Vermehrung an der Eintrittspforte
fähig und wirken lediglich durch ihre sehr starke Toxicität (Giftproduktion);
andere vermögen zwar tiefer ins Gewebe
[* 20] vorzudringen,
wie manche Eitererreger, oder umfangreiche Wucherungen auf und in den Schleimhäuten zu bewirken, wie Cholera- und Influenzabacillen,
doch bleibt der Prozeß stets lokaler, wenn auch relativ ausgebreiteter Natur;
noch andere vermögen
außer ihrer ursprünglichen Vermehrungsstätte an der Eintrittspforte noch in andern weit entfernten Organen durch Verschleppung
einzelner Keime, die dann zum Ausgangspunkt eines neuen Krankheitsherdes werden, mehrfache lokale Affektionen zu erzeugen (Pyämie);
der höchste Virulenzgrad endlich ist erreicht, wenn eine gleichmäßige Verbreitung und Durchwucherung durch die Säftemasse
und die Gewebe des gesamten Körpers, oft sogar ohne nennenswerte Lokalaffektion, zu stande kommt (Sepsis).
Übergänge zwischen diesen einzelnen Stufen der Virulenz kommen natürlich in mannigfachen Variationen zu stande. Auch kann
die Größe der Virulenz einer und derselben Art Schwankungen zeigen; so kommen z. B. Abschwächungen
derselben sehr häufig, teils spontan, vor allem aber durch Einwirkung schädigender physik. und chem.
Momente zu stande (Züchtung bei über dem Optimum liegenden Temperaturen, Züchtung auf ungenügendem Nährsubstrat, in alten
Kulturen, durch Gifte u. s. w.) und finden bei den Methoden der künstlichen Immunisierung weitgehende
praktische Anwendung; andererseits kann Verstärkung
[* 21] der Virulenz oder Wiederherstellung derselben bis zu einem
bestimmten Maximum (Virus fixe Pasteurs) durch Verpflanzung auf günstigen Nährboden, insbesondere aber durch häufig wiederholte
Impfung
[* 22] und Passage durch empfängliche Tiere erreicht werden. Ferner ist für die pathogene
¶
mehr
Einwirkung auch die Menge des eingeführten Virus von Belang; bei Erregern von nur mäßiger Virulenz vermag eine zu kleine
Zahl die normalen Widerstände des Organismus nicht zu überwinden und geht zu Grunde, während größere Dosen mehr oder minder
schwere Krankheitsbilder erzeugen; aber auch bei septischen Allgemeininfektionen, wo eine wirksame Infektion
bereits durch ganz vereinzelte Exemplare der Erreger ausgelöst werden kann, zeigt sich die Wirkung einer vergrößerten
Menge des Virus in einer Beschleunigung des Verlaufs und gesteigerter Intensität aller Symptome.
Endlich haben noch Associationen mit andern Mikroben, Misch- und sekundäre Infektionen einen bedeutsamen Einfluß auf die krankheitserregende
Wirkung;
derselbe zeigt sich meist in einer dem befallenen Organismus verderblichen Form, z. B.
bei den gefürchteten Komplikationen der Diphtheritis mit septischen Prozessen;
doch kann auch umgekehrt eine günstige Wirkung
eintreten, wie z. B. nach Emmerich
[* 24] Tiere, die mit Erysipelstreptokokken vorbehandelt sind, einer nachträglichen Milzbrandinfektion
nicht erliegen;
die mehrfach versuchten praktischen Anwendungen eines solchen Antagonismus von Bakterien
haben aber bisher noch zu keinem befriedigenden Resultat geführt.
Endlich ist über die Rolle der Mikroorganismen noch vor
allem auszusagen, daß ihre pathogene Wirkung eine absolut specifische ist und daß jeder einzelnen Art ganz bestimmte charakteristische,
von andern unterschiedene Merkmale der Wirkung auf den Tierkörper zukommen; die Specifität der pathogenen
Wirkung ist sogar das feinste Reagens zur Differentialdiagnose selbst nahe verwandter Arten.
Von seiten des ergriffenen Organismus kommt zunächst die Eintrittspforte, von der aus die Infektion droht, in Betracht. Der
normale Körper an sich ist in seinem Innern vollkommen keimfrei; Infektionen können von seiten der gesamten äußern und
innern Körperoberfläche, also von der Haut,
[* 25] Mund- und Nasenschleimhaut, den Luftwegen, Verdauungskanal,
Urogenitalsystem, zu stande kommen. Die einzelnen Eintrittspforten verhalten sich in Bezug auf ihre Widerstandsfähigkeit außerordentlich
ungleich; während z. B. die normale unverletzte äußere Haut dem Vordringen der Krankheitserreger durch ihre starke Hornschicht
fast stets einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzt und die häufigen thatsächlich vorkommenden
Infektionen von seiten derselben meist auf kleine Kontinuitätstrennungen, offene Wege für die Mikroben, zurückzuführen
sind, zeigen sich zarte Schleimhäute in hohem Grade gefährdet.
Auf verschiedene Widerstandsfähigkeit der bedeckenden Epithelschicht sind auch viele Alters- und individuelle Differenzen
in der Empfänglichkeit zurückzuführen; so die verschiedene Resistenzfähigkeit verschiedener Menschen gegen
Cholera, gegen katarrhalische Erkrankungen der Atmungswege sowie insbesondere die vollständige Immunität Erwachsener
gegen Cholera infantum. Ferner kommen auch chem. Schutzmittel in Betracht, so z. B.
die saure Reaktion des Magensaftes, welche z. B. häufig Cholerainfektion wirksam zu verhindern vermag.
Auch wenn die äußere Eintrittspforte bereits überschritten ist, können die Mikroben doch noch von
den dahinter liegenden Lymphdrüsen, in die sie mit dem Lymphstrom getrieben sind, abgefangen und unschädlich gemacht werden.
Selbstverständlich spielt ferner der allgemeine Ernährungszustand des Organismus eine wichtige Rolle;
ein kräftiger Körper
wird
einer Infektion leichter Herr werden als ein schwächlicher, der nur über geringe Reservekräfte verfügt;
daraus ergiebt
sich die Forderung einer stärkenden Behandlung und Diät bei I. Alle diese Momente sind aber lange nicht
hinreichend, um die Rolle des Organismus bei den I. zu kennzeichnen;
von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die Frage,
ob der betreffende Organismus überhaupt für die gegebene Krankheit empfänglich ist, ob eine natürliche specifische Disposition
oder ob Immunität besteht, oder ob durch künstliche Maßnahmen eine solche geschaffen ist. (S. Immunität.)
Sind alle Bedingungen zum Zustandekommen einer Infektion, sowohl von seiten des Erregers wie des befallenen Organismus, erfüllt,
so beginnen die Mikroben sogleich ihre Vermehrung und lösen nach einer gewissen Latenzzeit, dem Inkubationsstadium, teils
lokale, teils allgemeine Erscheinungen aus, wodurch sich die Infektionskrankheit zu erkennen giebt. Bei
sehr leichten I. können die allgemeinen Symptome ganz fehlen; umgekehrt fehlen die lokalen bei reinen Blutinfektionen, z. B.
Rückfalltyphus, und können auch bei sehr heftigen septischen Prozessen sehr zurücktreten.
Die lokalen Erscheinungen zeigen sich entweder nur in Form von Entzündung, Eiterung, Nekrose, oder in Gestalt
specifischer für einzelne Mikroben charakteristischer und bei verschiedenen Arten verschiedener Neubildungen (infektiöse
Granulationsgeschwülste Zieglers), so bei den specifischen lokalen Produkten der Tuberkulose, Syphilis, der Aktinomykose, des
Rotzes, des Rhinoskleroms u. s. w. Unter den allgemeinen Erscheinungen kommt Fieber, Schädigung des allgemeinen Ernährungszustandes
und allgemeine schädigende Wirkungen aus das Nervensystem (Benommenheit, Schwindel, in schweren Fällen
der sog. Status typhosus fast allen I. zu, daneben aber finden sich bei einigen I. ganz specifische Giftwirkungen, die sich
z. B. bei Tetanus in allgemeinen Muskelkrämpfen, bei Diphtherie in Form von Herzlähmung oder postdiphtherischer Lähmung des
Accommodationsapparats im Auge
[* 26] u. s. w. äußern. Wenn schon die Allgemeinerscheinungen in
den letztangeführten Fällen, in denen nur eine ganz beschränkte lokale Wucherung der Bakterien stattfindet, wegen ihres
Charakters als Produkt einer Fernwirkung der Bakterien notwendig auf den Einfluß gelöster, durch Resorption im ganzen Körper
verbreiteter bakterieller Gifte zurückgeführt werden mußten, so ist auch in den Fällen ganz allgemeiner
septischer Infektion doch derselbe Weg der Erklärung zu beschreiten und der Einfluß mechan. Störungen des Kreislaufs durch
Gefäßverletzungen sowie die durch die Parasiten erfolgende Entziehung von Nährstoffen aus dem lebenden Gewebe meist nur
von geringer Bedeutung. Ja sogar für die lokalen Wirkungen der Bakterien ist derselbe Gesichtspunkt maßgebend; auch hier
ist es nicht statthaft, eine einfache mechan. Fremdkörperwirkung anzunehmen, da verschiedene
Arten von Infektionserregern ganz verschiedene und specifische lokale Produkte erzeugen, und da es neuerdings mehrfach
gelungen ist, diese charakteristischen Lokalaffekte ebenso wie durch lebende, auch durch abgetötete Bakterien hervorzubringen,
so z.B. einen typischen Tuberkel durch Verimpfung toter Tuberkelbacillen zu erzeugen; es handelt sich also
auch bei der Entstehung der lokalen Produkte der I. um Wirkungen löslicher chem. Gifte. Über die Natur dieser verschiedenen
Giftstoffe s. unten.
¶
0605a
¶
0605b
¶
0605c
¶
mehr
Die Verbreitung der Infektionserreger im lebenden Körper erfolgt teils in relativ langsamer Weise durch direktes Fortwachsen
im Gewebe, wie in der künstlichen Kultur, teils, und dann häufig mit erschreckender Geschwindigkeit, auf dem Blut- und Lymphwege.
Für die chirurg. Praxis enthält letzteres Verhalten die eindringliche Mahnung, infizierte
Wunden so schnell als möglich zu desinfizieren, und erklärt zugleich, warum unter gewöhnlichen Verhältnissen,
wo die Desinfektion
[* 31] naturgemäß immer eine Zeit auf sich warten läßt, öfters trotz nachträglich angewandter antiseptischer
Maßnahmen doch die verderbliche Wirkung der eingedrungenen Erreger nicht verhindert werden kann.
Der Ausgang einer Infektionskrankheit ist entweder der Tod des befallenen Organismus oder die Vernichtung
der eingedrungenen Infektionserreger und Unschädlichmachung ihrer Gifte, d. h. Heilung im weitesten Sinne des Wortes; freilich
ist diese Heilung, bei der das Leben des Gesamtorganismus erhalten bleibt, durchaus nicht immer eine völlige Wiederherstellung
des frühern Zustandes, zuweilen vielmehr mit dauernden Veränderungen oder gar mit dem völligen Verlust eines Organs
oder Gliedes verbunden.
Manchmal können auch nach vollendeter Heilung noch lebende Infektionserreger im Körper vorhanden, aber durch Abkapselung
oder Deponierung in Lymphdrüsen unschädlich gemacht sein, wo sie zuweilen längere Zeit latent verharren, um dann langsam
zu Grunde zu gehen oder auch unter veränderten Bedingungen selbst zum Ausgangspunkt einer neuen Infektion
zu werden. Diese Ausnahmefälle berühren aber das Wesen des Verlaufs der I. keineswegs, welches stets als Kampf zwischen
eingedrungenen Parasiten und befallenem Organismus aufzufassen ist.
Von diesem Leitsatz muß die Theorie der I. ausgehen, und demnach sind zunächst gesondert die Kampfmittel der Mikroben und
die Verteidigungswaffen des Organismus zu betrachten. In besonders drastischer Weise tritt die Idee eines
Kampfes zwischen Mikroben und Tierkörper in der sog. Phagocytentheorie Metschnikows hervor
(Phagocyten = Freßzellen, s. d., Bd.
7); die Thatsachen, die dieser geistreichen Hypothese zu Grunde liegen, sind unbestritten richtig und Schritt für Schritt
durch klinische Beobachtung und pathol.
Experiment sichergestellt. Ihre Deutung ist aber deshalb unrichtig, weil thatsächlich die Entscheidung
des Kampfes meist schon gegeben ist, bevor die Phagocyten auf dem Kampfplatz erscheinen; die letztern nehmen meist nicht
lebende, sondern schon abgetötete Bakterien auf, so daß die Rolle derselben, wenigstens in dem Sinne, wie Metschnikow wollte,
eine ganz sekundäre ist; gerade in neuerer Zeit sind mächtige und rapid verlaufende bakterienvernichtende
Wirkungen im Tierkörper beobachtet worden, die ganz ohne Mitwirkung der Phagocyten verlaufen. Es handelt sich daher bei
dem Verteidigungskampf des lebenden Gewebes gegen die fremden Eindringlinge um die Wirkung löslicher bakterienfeindlicher
Stoffe, wie dies insbesondere von Flügge und seinen Schülern, von Buchner, Kruse und Pfeiffer, nachgewiesen
wurde (vgl. Kruse in Bd. 1 der
«Mikroorganismen» von C. Flügge, 3. Aufl.,
Lpz. 1896). Der normale Organismus enthält in seinen Geweben und seiner Säftemasse stets eigentümliche
bakterientötende Stoffe, von Buchner als Alexine bezeichnet; der Beweis für ihre Existenz liegt erstens in dem rapiden, häufig
binnen wenigen Minuten bis Stunden erfolgenden Untergang,
dem saprophytische Bakterien (solche, denen eine
krankheitserregende Wirkung abgeht), selbst in großen Mengen injiziert, im Organismus verfallen, zweitens aber in dem eminent
bakterientötenden Verhalten, welches auch das aus der Ader gelassene Blut im Reagensglase gegenüber eingebrachten Mikroben
äußert; diese Alexine sind offenbar Eiweißkörper von hochkomplizierter und darum sehr labiler Struktur,
so daß an ihre Isolierung bisher nicht zu denken gewesen ist; sie sind im Blutserum gelöst enthalten, durch Natriumsulfat
fällbar, werden schon durch Einwirkung von Temperaturen von 55 bis 60° C. sowie durch starken Wasserzusatz vernichtet.
Die Bildung der Alexine geht wahrscheinlich kontinuierlich von den Gewebszellen aus; die Leistungsfähigkeit
des Gewebes steigt mit seinem Ernährungszustande, was mit der alten praktischen Erfahrung, daß ein kräftiger Organismus
widerstandsfähiger gegen I. ist, als ein schwacher, durchaus übereinstimmt. Außerdem aber scheint die Infektion selbst
als Reiz einzuwirken und eine erhöhte Produktion von Alexinen zu veranlassen, offenbar eine für den
Körper sehr zweckmäßige Einrichtung.
Wahrscheinlich beteiligen sich hierbei zuweilen die durch Chemotaxis (s. d.)
angelockten weißen Blutkörperchen
[* 32] in hervorragender Weise, weshalb sie wohl auch als Alexocyten bezeichnet werden; in diesem
Sinne, durch die Wirkung löslicher Sekretionsprodukte der weißen Blutkörperchen, könnte die frühere Metschnikowsche Phagocytentheorie
in gewissen Fällen eine erneute Bedeutung gewinnen. Durch welches Mittel sind nun aber die pathogenen
Bakterien befähigt, diesem vernichtenden Einfluß der Alexine Trotz zu bieten, im Tierkörper zu wuchern und ihre zerstörenden
Eigenschaften zu entfalten? Man könnte an eine specifisch abweichende chem. Struktur ihrer Leibessubstanz denken, in welche
die Alexine nicht einzugreifen vermögen, so daß es sich um eine Erscheinung handelt, ähnlich der Elektion
bei der Gärung und Fermentwirkung; zutreffender ist es, mit Kruse die Existenz besonderer, nur den pathogenen Arten eigener
Stoffe anzunehmen, welche die Alexine paralysieren, die Bakterien also zum Angriff befähigen und die demnach als Angriffsstoffe
oder Lysine bezeichnet werden. Ob es den Bakterien gelingt, mit Hilfe ihrer Lysine die Alexine des Körpers
zu überwinden, das hängt ganz von den quantitativen Verhältnissen dieser Wechselwirkung ab; bei ungenügender Menge des
Virus oder zu geringem Virulenzgrade ist der kleine Vorrat von Lysinen bald erschöpft, und die Bakterien unterliegen dann,
ihres Schutzmittels beraubt, der Übermacht der Alexine; dies ist der Vorgang der natürlichen Heilung.
Ist es aber den Mikroben gelungen, sich gegenüber den Alexinen zu behaupten, so beginnen sie sogleich im Organismus zu wuchern
und entfalten ihre lokalen und allgemeinen Wirkungen durch Gifte. Die Bakteriengifte sind, im Gegensatz zu den bisher ganz
unzugänglichen Lysinen, ziemlich genau bekannt, und bis zu einem gewissen Grade ist sogar schon ihre
Isolierung gelungen. Unter ihnen sind mehrere Gruppen zu unterscheiden. Die am längsten bekannten, durch Brieger rein dargestellten
Ptomaïne, d. h. Gifte von basischem Charakter, alkaloidähnlicher Zusammensetzung und Wirkung, wie Neurin, Muskarin u. s. w.,
sind wohl nur als künstliche Spaltungsprodukte komplizierterer Giftstoffe anzusehen und kommen bei den
hier zu besprechenden
¶