sachlicher Agitation gegen einen fremden
Staat durch Fremde liegt keine Verletzung einer
Rechts-, wohl aber einer internationalen
Anstandspsticht. Der andere
Staat ist dann zu Retorsionen berechtigt. Das dentsche
Socialistengesetz hat die Folge ge- habt,
daß viele deutsche Socialdemokraten in der
Schweiz
[* 2] ihren Aufenthalt nahmen, um von da aus den Ausnahmezustand
zu bekämpfen. Schlechthin war die
Schweiz zur Verhinderung die- ser Agitation nicht verpflichtet.
Insbesondere er- giebt sich in dieser
Richtung keine besondere
Rechts- pflicht aus der neutralisierten
Stellung der
Schweiz.
Diese legt der
Schweiz im Gebiete der polit. Fremden- Polizei keine höhcrn Rechtspstichten auf, wohl aber ein größeres
Maß polit. Vorsicht in Ausübung des
Asylrechts. Die
Schweiz wies, wie Nihilisten und fremde Anarchisten,
eine Reihe deutscher
Social- demokraten und Anarchisten aus. Am bekanntesten ist die der vierSocialdemokratenVernstein,Motteler,
Schlütter und
Taucher im 1.1888. Der in
Zürich er-
[* 3] scheinende «Socialdemokrat» und eine Reihe von auf- reizenden
Flugschriften, insbesondere der «RoteTeu- fel», warcnnach Anschauuug des schweiz. Vuudesrats geeignet,
die guten
Beziehungen zu
Deutschland
[* 4] zu stören.
Bernstein
[* 5] war Chefredacteur des
«Social- demokrat», Schlütter
Chef der Expedition und
Her- ausgeber des
«RotenTeufels», Motteler
Spediteur der Publikationen,
TauscherFaktor der Druckerei und Miturheber des
«RotenTeufels».
Alle vier waren vorher gemahnt worden,
sich emer ruhigen, objektiven Diskussion zu befleißigen. Ebenso ging die
Schweiz aber auch gegen die
Spione ausläudischer
Regie- ruugen vor, die sich nicht auf bloße
Beobachtung und Auskundschaftung beschränkten, sondern unter dem Deckmantel
von Socialdemokraten u. s. w. provoka- torisch aufreizten. So wurde 1888 Haupt ausgewie-
sen, der feit sieben Jahren im Dienst der
Berliner
[* 6] Polizei stand, 1889 der Polizeikommissar Wohlge- :nuth
von
Mülhausen
[* 7] (s.
Deutschland und
DeutschesReich, Geschichte, Bd. 5). Es erregte in der öffentlichen
Meinung peinliches Aufsehen, daß der Polizeispion Schröder 1888 nicht ausgewiesen werden konnte,
weil er schweiz.
Bürgerrecht
erworben hatte. Er stand gegen ein Monatsgehalt von 240 M. im Dienst der deutschen Polizei, unterhielt
enge
Beziehungen mit den Anarchisten, nahm teil an der Herausgabe von
Mosts«Freiheit» iuZürich und trat bei allen Arbeitcr-
unruhen und polit.
Versammlungen hervor. Unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung wäre seine Automat möglich gewesen. 1873 wurde
der schweizer Kaspar
Mermillod vomBundesrat ausgewiesen, als er die
Stellung des apostolischen Vikars in
Genf
[* 8] gegen den Willen der schweiz.
Behörden übernahm, die in der Errichtung dieses
Amtes durch die Kurie eine nachteilige Abtrennung
der kath.
KircheGenfs von der schwciz. Diöcese sahen. Mit der Ernennung Mcrmillods zum
Bischof von Freiburg-Lausanne siel
diese Automat dahin, 1890 wurde
Mermillod vom
Bundesrat im Bundesratshaus zu Veru als Kar- dinal feierlich begrüßt.
Eine andere berühmte Automat war die der Herzogin von Madrid
[* 9] im I. 1873. Die Gemahlin des Kronprätendenten
DonCarlos, hatte sie,
in Genf
weilend, den von ihrem Gemahl ins Werk gesetzten Bürgerkrieg in
Spanien
[* 10] durch An- werbung und
Beförderung
von Teilnehmern an dem
Aufstand und durch Beschaffung von Kriegsmaterial unterstützt. -
Vgl. Langhard, Das
Recht der polit.
Fremdenausweisung mit besonderer Berücksichtigung der
Schweiz (Lpz. 1891).
Auswinterung, s.
Bienenzucht
[* 11] ^ntooar, s.
Motorwagen.
Autographie (grch.) oder Autographismus, richtiger Dermographie oder
Dermato- graphie, nach Mesnet Bezeichnung für eine an der äußern
Haut
[* 12] des menschlichen Körpers, selten
bei Gesunden, häufiger bei Nervenkranken zu beobach- tende eigentümliche Erscheinung. Streicht man
bei ge- eignetenPersonen
mit einer Bleistiftspitze oder dem Fingernagel über die
Haut, oder zeichnet man ganze
[* 1]
Figuren in dieser
Weise auf, so entsteht
trotz der leisen Berührung ziemlich rasch, oft momentan, eine stächen- förmige lebhafte Nöte, innerhalb
deren sich die auf- getragene Zeichnung längere Zeit, bis zu mehrern Minuten, durch eine blahrote
Farbe von der leb- haften
übrigen Rötung deutlich abhebt. Der ganze Vorgang erinnert vielfach an
Nesselsucht (s. d., Bd.
12) und beruht auf einer außergewöhnlichen
Erregbar- keit der Blutgefäßnerven (oder deren
Centralorgane)
der
Haut.
Durch den mechan. Reiz wird zunächst eine Gefäßerweiterung, kenntlich in der flächenhaften
Rötung, erzeugt; an diese schließt sich dann eine blaßrote Schwellung der von den gezeichneten
Strichen direkt getroffenen
Hautstellen an, ein Vor- gang, der durch einen umschriebenen Gefäßkrampf und einen wahrscheinlich erfolgenden Flüssigkeits-
erguß in das Gewebe
[* 13] bewirkt wird. Es handelt sich also um eine erhöhte Reizbarkeit der gefäßerweitern-
den und in zweiter Linie der gefäßverengernden und event, auch trophischer
Nerven
[* 14] und deren Centren im verlängerten
Mark.
Von dieser typischen Form der Automat finden sich zahlreiche Übergänge bis zu der häusig vorkommenden Empfindlichkeit
der nervösen Appa- rate der Hautblutgefäße, wie sie bei leicht erreg- baren Individuen in Form raschen
Errötens und
Erblassens u. s. w. zu
Tage tritt.
Die Automat tritt ent- weder als einziges
Symptom auf oder bildet eine der vielen Nebenerscheinungen bei gewissen
Nerven- krankheiten
(bei traumatischer oder gewöhnlicher
Hysterie und Neurasthenie, Syringomyelie,Menin- gitis
u.
s. w). Einer
speciellen Behandlung bedarf sie weder in dem einen noch in dem andern Falle.
^Automat.
Automatische Wagen und Ver- kauf sap
parat e sind, wennzumGewerbebetrieb be- nutzt, uicht selbständige
Gewerbe, sondern nur be- sondere
Betriebsmittel.
IhreAufstellung als solche ist also nicht besonders anzumelden. Etwas anderes ist es, wenn in der
Aufstellung
der Beginn eines Gewerbebetriebs liegt; dann kann je nach dem
Ge- werbe sogar
Konzession erforderlich sein. Nur in
Österreich
[* 15] wird durch Ministerialverordnung vom unter allen Umständen
Anzeige von In- oder Ausbetriebsetzung und uon
Standorts-
wecksel der Automat verlangt. Im
DeutschenReich ist die
Aufstellung und der ^tandortswechsel nur dann an- zuzcigeu,
wcun der Gewerbetreibende diese Ver- pflichtung hinsichtlich seines Gewerbelokals hat; dies gilt demgemäß für Vertrieb
von Preßerzeug- nissen durch Automat. Für die Automat gelten als Betriebs- bestandteile die Bestimmungen über
Sonntagsruhe. Die Inhaber müssen also dafür forgen, daß zur be- treffenden Zeit Entnahme von Gegenständen
aus denselben uumoglich ist. Für
Gast- und Schank- wirte gilt das Gebot der
Sonntagsruhe nicht; sie können also solche Waren,
welche zum Betrieb ihres
Gewerbes gehören
(Speisen, Cigarren, aber nicht Schokolade oder
Bonbons) und zum Genuß auf der
Stelle
bestimmt sind, durch Automat auch an
Sonn- und Festtagen uneingeschränkt verkaufen. Doch macht
¶
Segelschiffe, die mit ganz leichten Hilfsdampfmaschinen versehen sind, um bei Windstille oder bei
ganz schwachem Gegenwind bei festgemachten Segeln dampfen zu können.
Das größte deutsche Auxiliarschiff,
der Fünfmaster Maria Rickmers, ist von seiner ersten Reife nicht zurückgekehrt;
seitdem ist man mehr davon abgekommen,
den großen Segelschiffen Hilfsmaschinen zu geben.
Dagegen richtet man vielfach die Jager (s. d., Bd.
9) der Heringsflotten in neuester Zeit als Auxiliarschiffe mit kleinen Hilfsmaschinen ein.
Die Kenntnis von der Geographie und Geschichte Babyloniens-Assyriens ist in den letzten Jahren nicht wesentlich
bereichert worden. Zwar haben die von der University of Pennsylvania geleiteten Ausgrabungen dem vorhandenen Material histor.
Inschriften viel Neues hinzugefügt. Doch sind die von Hilprecht bis jetzt veröffentlichten beiden ersten Bände der «Babylonian
Expedition of the University of Pennsylvania» (Philadelphia
[* 19] 1893-96) noch zu wenig ausgebeutet, um darüber ein histor. Gesamturteil
fällen zu können. Nur so viel scheint daraus hervorzugehen, daß Nippur, heute Nuffar, neben Sirpurla, Uruk und Larsa eins
der Hauptkultcentren im ältesten Babylonien war.
Lond. 1892). Auch über das Ende des
Assyrischen und den Anfang des Neubabylonischen Reichs sind zwei Urkunden von Bedeutung entdeckt worden, beide veröffentlicht
und erklärt von Scheil. Aus der erstern («Zeitschrift für
Assyriologie», Bd. 11, S. 47 fg.) geht deutlich hervor,
daß Sinscharischkun der Sohn Assurbanipals war, während die zweite, eine Nabonidinschrift («Recueil
de travaux relatifs à la philologie et à l’archéologie égyptienne et assyrienne», Bd.
18, Par. 1895), einen genauen Bericht über den Untergang des Assyrischen Reichs enthält.
Wesentliche Fortschritte im Ausbau der Grammatik der babylon.-assyr. Sprache
[* 21] sind nicht gemacht worden. Hingegen haben die neuern
Forschungen zur Genüge dargethan, daß das sog. Sumerische, früher auch Sumero-Akkadisch genannt, eine eigene (nichtsemitische)
Sprache und nicht etwa eine Kryptographie zur Aufzeichnung assyr. Sprachdenkmäler ist. Die Tell el-Amarna-Inschriften machen
uns mit einem Dialekt des Assyrischen bekannt, der stark mit kanaanäischen Elementen durchsetzt ist (vgl.
Bezold, Oriental Diplomacy, Lond. 1893). Einen andern assyr. Dialekt hat
man in den sog. kappadokischen Inschriften erkannt (vgl. Delitzsch
[* 22] in den «Abhandlungen der philos.-histor. Klasse der Königl.
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften», 1893, Bd.
14, Nr. 4, und Jensen in der «Zeitschrift
für Assyriologie», Bd. 9, S. 62 fg.). Über den babylon.-assyr. Wortschatz vgl. jetzt Delitzsch, Assyr. Handwörterbuch (Lpz.
1894-96).
Litteratur. Unter den historischen Inschriften haben besonders eine Menge von Rechtsurkunden aller Art eine neue und eingehende
Behandlung erfahren von Peiser in Bd. 4 von Schraders
«Keilinschriftlicher Bibliothek» (Berl. 1896).
Eine Reihe altbabylon. Rechtsurkunden ist zum erstenmal herausgegeben und erklärt worden von Meißner in den «Beiträgen
zum altbabylon. Privatrecht» (Lpz. 1893). Ferner haben Meißner und P. Rost die sog.
Bauinschriften sowohl von Sanherib wie auch von Asarhaddon gesammelt und erklärt, erstere in einer eigenen Publikation: «Die
Bauinschriften Sanheribs» (Lpz. 1893),
letztere in den «Beiträgen zur Assyriologie», Bd. 3 (1896),
S. 189 fg. Eine neue babylon.
Chronik, welche die Zeit der kassitischen Herrscher behandelt, hat Pinches herausgegeben im «Journal
of the Royal Asiatic Society» (1894, S. 807 fg.). Endlich ist noch die Edition einer neuen, zu Sendschirli
in Nordsyrien gefundenen Asarhaddon-Inschrift von Schrader (in Heft 11 der «Mitteilungen aus den orient.
Sammlungen der königl. Museen zu Berlin», 1893),
sowie eine zusammenfassende Ausgabe der InschriftenTeglattphalasars III. von
P. Rost («Die Keilschrifttexte Tiglat-Pilesers III.», Lpz.
1893) zu erwähnen. Eine auf breiter Grundlage angelegte Edition der babylon.-assyr. Briefe aus Kujundschik
ist begonnen worden von R. F. Harper («Assyrian and Babylonian letters belonging to the Kouyunjik Collection
of the British Museum», Bd. 1 und 2, Lond.
1892-93). Über die Litteratur aus Kujundschik im allgemeinen vgl. Bezold, Catalogue of the cuneiform tablets in Kouyunjik Collection
of the British Museum (Bd. 1-4, Lond.
1889-96).
¶
mehr
Unter den dichterischen Inschriften ist zunächst eine Gesamtausgabe der bis jetzt bekannten Bruchstücke des babylon.
Weltschöpfungsepos von Delitzsch (in den «Abhandlungen der philos.-histor. Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der
Wissenschaften», 1896, Bd. 17, Nr.
2) zu nennen. Eine Reihe keilinschriftlicher Beschreibungen babylon.-assyr. Göttertypen veröffentlichte Bezold (in der «Zeitschrift
für Assyriologie», Bd. 9, S. 114 fg., 405 fg.); zwei Fragmente
einer sog. Dibbarralegende auf Amuletten gegen die Pest teilte King ebendaselbst, Bd. 11, S. 50 fg., mit. Eine Anzahl Fabeln
publizierte E. T. Harper (in den «Beiträgen zur Assyriologie», Bd. 2, S. 390 fg.). Außerdem sind in
den letzten Jahren drei große Sammlungen von Gebeten und Hymnen publiziert worden: die «Assyr. Gebete
an den Sonnengott für Staat und königl. Haus aus der Zeit Asarhaddons und Asurbanipals» von J. A. Knudtzon (2 Bde.,
Lpz. 1893),
«Babylonian magic and sorcery being the prayers of the lifting of the hand»vonL. W. King (Lond. 1896) und «Sumerisch-babylon.
Hymnen nach Thontafeln griech. Zeit» von G. Reißner (Heft 10 der «Mitteilungen
aus den orient. Sammlungen der königl. Museen zu Berlin» (1896). Eine Reihe allitterierender Hymnen edierte Zimmern in der
«Zeitschrift für Assyriologie» (Bd. 10, S. 1 fg.). Desgleichen sind
die Tafeln zweier der wichtigsten Sammlungen babylon.-assyr. Beschwörungsformeln
herausgegeben und übersetzt worden, der sog. Maqlû-Serievon K.L. Tallqvist («Die assyr.
Beschwörungsserie Maqlû», 2 Bde., Lpz.
1895) und die sog. Schurpu-Serie von H. Zimmern («Beiträge zur Kenntnis der babylon.
Religion», Lfg. 1, ebd. 1896). Eine Sammlung allerhand religiöser Texte gab J. A. ^[James Alexander] Craig, «Assyrian
and Babylonian religious texts» (Bd. 1, Lpz.
1895). Von einer Sammlung von Omen-Texten ist bisher der erste Band
[* 24] erschienen (A. Boissier, «Documents assyriens relatifs
aux présages», Par. 1894).
Endlich ist noch zu erwähnen die für die Mathematik der Babylonier-Assyrer grundlegend wichtige Untersuchung über
den «Saros-Kanon der Babylonier» von Epping und Straßmaier in der «Zeitschrift
für Assyriologie» (Bd. 8, S. 149 fg., nebst der Textbeigabe
ebd., Bd. 10, S. 64 fg.). Einen Beitrag zur assyr.
Kunst veröffentlichte Puchstein, «Die Säule der assyr. Architektur» (in dem «Jahrbuch des kaiserl.
deutschen archäolog. Instituts», Bd. 7, Berl.
1892, S. 1 fg.).
Vgl. im allgemeinen: Lincke, Bericht über die Fortschritte der Assyriologie in den J. 1886-93. Veröffentlichungen
des neunten internationalen Orientalistenkongresses in London 1891 (Lpz. 1894).
*, Joh. Sebastian. Zu den in Bd. 2 erwähnten
Denkmälern B.s kommt noch das in Cöthen
[* 25] (Anhalt)
[* 26] enthüllte. Von der Gesamtausgabe von B.s Werken, die seit 1850 von
der Bach-Gesellschaft bei Breitkopf & Härtel in Leipzig
[* 27] herausgegeben wird, sind bis 1896 44 Jahrgänge
erschienen; der letzte (hg. von Hermann Kretzschmar) enthält B.s Handschrift in zeitlich geordneten Nachbildungen. - Eine
für weitere
Kreise
[* 28] berechnete und brauchbare kurze Biographie hat R. Batka in Reclams «Universalbibliothek» veröffentlicht.
- Großes Aufsehen erregte im J. 1895 die Auffindung von B.s Grab, über dessen Stätte man bis dahin nichts
Genaues gewußt hatte.
Beim Neubau der Johanniskirche in Leipzig wurde der alte Kirchhof, der sie umgiebt, umgegraben, und der Kirchenvorstand nahm
diese Gelegenheit wahr, nach dem Grabe des Meisters zu forschen. Zunächst stellte Archivdirektor Gustav Wustmann Untersuchungen
über die Örtlichkeit an, die folgendes Ergebnis hatten: Bach ist in einem eichenen Sarge begraben worden.
Sein Grab war kein tiefes, sondern ein sog. flaches. Es hat nie einen Denkstein gehabt. Eine
alte Überlieferung bezeichnete eine Stelle an der südl. Außenmauer der Johanniskirche als die Stätte von B.s Grab, und dort
hatte die Stadt Leipzig am 200. Gedenktage von B.s Geburt eine Erinnerungstafel anbringen lassen mit der
Inschrift: «Auf dieser Seite des ehemaligen Johanniskirchhofes wurde Johann Sebastian am begraben.» Auf Grund dieser
Mitteilungen hat der Kirchenvorstand im Umkreis der bezeichneten Stelle unter Zuziehung des Leipziger Anatomen Wilhelm His
nachgraben lassen.
Unter den daselbst vorgefundenen 3 eichenen Särgen enthielt einer die wohl erhaltenen Gebeine eines ältern Mannes, die nun
sorgfältig gesammelt wurden. Neben andern mehr oder minder auffallenden Merkmalen zeigte der in dem Sarge gefundene Schädel
niedrige Augenhöhlen und einen etwas vorstehenden Unterkiefer. Bei der Vergleichung mit den Bildern B.s
fiel es auf, daß diese Eigentümlichkeiten auch an den letztern wiederkehrten. Die Möglichkeit, daß der Schädel echt
sein könne, lag somit unzweifelhaft vor, aber um zu sicherm Schluß zu gelangen, bedürfte es festerer Unterlagen. Um solche
zu erlangen, bat His den Leipziger Bildhauer Karl Seffner, über den Schädelabguß und nach den verfügbaren
Bildern eine Porträtbüste von Bach zu formen.
Der erste Versuch führte zu sehr befriedigenden Ergebnissen, und nun wurden die Arbeiten nach strengern Methoden wiederholt.
His bestimmte an einer Anzahl von menschlichen Körpern (37) die Dicke der Weichteile für die einzelnen Stellen des Gesichts.
Die aus diesen Messungen gewonnenen Mittelmaße (und zwar speciell die für ältere Männer geltenden)
wurden als die Normen angenommen, nach denen Seffner zu arbeiten hatte. Bei Innehaltung der ihm gestellten anatom.
Bedingungen schuf aber dieser Künstler eine Bachbüste von überraschendem Leben und entscheidender Ähnlichkeit.
[* 29]
Damit durfte man den Wahrscheinlichkeitsbeweis für die Echtheit des Schädels und der Gebeine als gelungen
erachten. Dies war auch das einstimmige Urteil der vom Rat zur Prüfung der Angelegenheit niedergesetzten Specialkommission,
in der außer Seffner und His noch Wustmann, Tranzschel, Jungmann und E. Vogel saßen. Von Bildnissen B.s kamen in Betracht:
das angeblich von E. G. Hausmann gemalte Ölbildnis aus der SammlungPeters in Leipzig, das unzweifelhaft
echte (dreimal restaurierte und dabei einmal völlig übermalte), von Hausmann geschaffene Ölbildnis der Thomasschule in
Leipzig, der Kupferstich von Kütner, der 1774 nach einem Bilde von Hausmann (angeblich dem Bildnis der SammlungPeters) gestochen
worden ist, und der bekannte Stich von Sichling (Breitkopf & Härtelsche Sammlung), der nach dem Bildnis
der
¶
mehr
Thomasschule (im frühern, bessern Zustande) kopiert ist und mehr bietet als das Ölbildnis in seinem jetzigen Zustande.
(Ein drittes Ölbild in Berlin kam, weil erst 27 Jahre nach B.s Tode gemalt, nicht in Betracht, ein viertes, mutmaßlich echtes,
ist in Erfurt
[* 31] verschollen.) Die genannten beiden Ölbilder und Stiche hat Seffner benutzt und die gemeinsamen
Züge der verschiedenen Vorlagen zu einem vorzüglichen Gesamtbilde vereinigt. -
Vgl. W. His, Joh. Seb. Bach Forschungen über
dessen Grabstätte, Gebeine und Antlitz (Lpz. 1895);
ders., Anatom. Forschungen über Joh. Seb. B.s Gebeine und Antlitz in
den «Abhandlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, mathem.-physik. Klasse, Bd.
22, November, ebd. 1895).
*. Schon in den durch Beschluß des Bundesrats vom veranlaßten Erhebungen, die Verhältnisse der
Lehrlinge, Gesellen und Fabrikarbeiter betreffend, wurde darauf hingewiesen, daß das Bäckergewerbe häufig eine übergroße
Arbeitszeit aufweise. Später ist öfters durch die Tagespresse, insbesondere durch Erhebungen der socialdemokratischen
Partei, auf die Übelstände im Bäckergewerbe aufmerksam gemacht worden, und aus den Kreisen der Bäckergesellen sind Anträge
bei dem Bundesrat auf gesetzliche Einschränkung der Arbeitszeit eingegangen.
Hierdurch wurde das Reichskanzleramt veranlaßt, mit Hilfe der Kommission für Arbeiterstatistik 1892-94 Erhebungen über die
Arbeitszeit und das Lehrlingswesen in Bäckereien und Konditoreien anzustellen, deren Ergebnisse in verschiedenen
Druckschriften (s. unten) niedergelegt sind. Aus der durch Fragebogen angestellten Erhebung bei etwa 10 Proz. aller im Reiche
bestehenden Bäckereien und Konditoreien ergab sich, daß in 53,3 Proz. der gewöhnlichen Bäckereien die Gesamtarbeitszeit
der Gesellen an den Wochentagen mit Einschluß der Nebenarbeit und der Pausen 12 Stunden oder weniger,
in 28,6 Proz. 12-14, in 17 Proz. mehr als 14 Stunden dauert.
Auf Antrag der Kommission sind ein Teil der befragten Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Landesbehörden auch protokollarisch
vernommen und von Bäckerinnungen sowie Gesellenvereinen Gutachten eingeholt worden. Auch wurden von
einer Anzahl Krankenkassen
ziffernmäßige Angaben über die Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse bei den Bäcker erbeten, welche
allerdings ein ungünstiges Verhältnis für dieses Gewerbe nicht ergeben haben. Zuletzt sind von der Kommission auch 23 Bäckermeister
und Gesellen und 16 Konditoren als Auskunftspersonen vernommen worden. Auf Grund dieser Erhebungen kam die Mehrheit der Kommission
zu der Überzeugung, daß für das Bäckergewerbe der Fall des §. 120 e, Absatz 3, der Gewerbeordnung
vorliege, wonach der Bundesrat befugt ist, die Dauer der Arbeitszeit in solchen Gewerben zu regeln, in denen eine der Gesundheit
schädliche Dauer der Beschäftigung üblich ist.
Eine weitere schriftliche Umfrage ergab, daß sich von 32 nur 3 Meistervertretungen, von 38 Gesellenvertretungen
nur 22 zu Gunsten einer Begrenzung der Arbeitszeit auf täglich 12 Stunden aussprachen. Ebenso waren in den folgenden mündlichen
Vernehmungen die Mehrzahl der Arbeitgeber gegen eine Beschränkung der Arbeitszeit. Dennoch hat die Kommission den Eindruck
gewonnen, daß die vorgebrachten Einwendungen nicht schwer ins Gewicht fallen, insbesondere wenn für
gewisse Zeiten Ausnahmen gestattet werden. Sie empfahl neben einer Begrenzung der Arbeitszeit auf 12 Stunden die weitere Abkürzung
der Sonntagsarbeit, um so mehr, als in 71,6 Proz. der gewöhnlichen Bäckereien am Sonntag eine kürzere Arbeitszeit als 12 Stunden
bereits üblich ist, und eine mäßige Verkürzung der Arbeitszeit der Lehrlinge. Sie hat ihrem Gutachten
den Entwurf von Bestimmungen hinzugefügt, welche der Verordnung des Bundesrats vom zu Grunde liegen.
Nach dieser Verordnung, welche mit dem in Kraft
[* 33] trat, darf in Bäckereien und Konditoreien, welche auch Bäckerwaren
herstellen und in welchen Gehilfen und Lehrlinge zur Nachtzeit (8 ½ Uhr
[* 34] abends bis 5 ½ Uhr morgens)
beschäftigt werden, die Arbeitsschicht jedes Gehilfen die Dauer von 12 Stunden (oder 13, falls die Arbeit durch eine mindestens
einstündige Pause unterbrochen wird) nicht überschreiten. Zwischen zwei Arbeitsschichten muß den Gehilfen eine Ruhezeit
von mindestens 8 Stunden gewährt werden.
Für Lehrlinge wird die zulässige Arbeitsschicht im ersten Lehrjahre um 2, im zweiten um 1 Stunde verkürzt,
die Ruhezeit demgemäß verlängert. Die Arbeitszeit darf länger sein an solchen Tagen, für welche die untere Verwaltungsbehörde
Überarbeit zugelassen hat (bei Festen und besondern Gelegenheiten) und an 20 vom Arbeitgeber zu bestimmenden Tagen. An Sonn-
und Festtagen dürfen die in der Gewerbeordnung vorgesehenen Ausnahmebewilligungen nur insoweit gewährt werden, als sie
mit obigen Bestimmungen vereinbar sind. Falls den Gehilfen und Lehrlingen eine 24stündige, spätestens Sonnabend Nacht 10 Uhr
beginnende Sonntagsruhe gewährt wird, dürfen die Arbeitsschichten der zwei vorhergehenden Werktage um je 2 Stunden, jedoch
unter Berücksichtigung der angegebenen Ruhezeit, verlängert werden.
Aus den Verhandlungen des Reichstags vom 22. und ging hervor, daß die Berechtigung des Bundesrats zu dieser Verordnung
auf Grund des §. 120 e der Gewerbeordnung angezweifelt wurde, und daß man die Form eines Gesetzes vorgezogen hätte, auch
daß die Bestimmungen unter den Beteiligten Mißstimmung hervorriefen. Die Nachtarbeit in Bäckereien
ist auch in andern Ländern, wie
¶
Vgl. Drucksachen der
Kommission für Arbeiter- statistik: Erhebung über die Arbeitszeit in Väckereien und Konditoreien (Tl. 1, Verl. 1892; Tl. 2,
ebd. 1891); Bericht über die Erhebungen betreffend die Arbeits- zeit in Bäckereien und Konditoreien (ebd.
1891).
Bäckereimonopole. Der seit Jahren an- dauernde landwirtschaftliche Notstand und die hier- mit im Zusammenhang stehende Erörterung
Wirt- schastspolit. Maßnahmen zur Hebung
[* 37] der Getreide- preise führten zu mannigfachen Untersuchungen über das Verhältnis
zwischen Getreidepreisen und Brot- preisen. Wie sich hierbei ergab, folgen die Brotpreise nicht nur den sinkenden Getreidepreisen
nur unvoll- kommen, sondern weichen auch ohne hinreichenden innern Grund in den verschiedenen Landesteilen und Orten, ja selbst
in den verschiedenen Bezirken größerer Städte sehr stark voneinander ab, so daß sie vielfach im Mißverhältnis zu den
erforderlichen Herstellungs- und Vertriebskosten des Brotes steben.
Aber auch der normale Brotpreis, der den wirklichen Produktionskosten unter Zuschlag eines angemesse-
nen Gewinns für den Inhaber der Bäckerei ent- spricht, wurde vielfach darum für unverhältnismäßig hoch erachtet, weil
bei der großen Zersplitterung der Betriebe und der damit zusammenhängenden gerin- gen technischen Fortentwicklung des Bäckergewerbes
die wirklichen Produktionskosten sich auf einer Höhe behaupten, die dem Stande unserer technischen Kennt-
nisse nicht mehr entspricht.
Gestützt auf diesen Zusammenhang der Dinge hat der steirische Kunstmühlen- und Bäckereibesitzcr Till den Vorschlag gemacht,
das gesamte Bäcker- gewerbe unter Ablösung der bestehenden Betriebe von Staats wegen zu monopolisieren und danach durch Herstellung
rationeller Großbetriebe mit Maschinenverwendung die zur Zeit enorm hohen Spesen auf das dem Stande technolog.
Wissen- schaft entsprechende Maß herabzusetzen. Diese Spesen, die zur Zeit beim Roggenbrot die größere Hälfte, beim Weihbrot
etwa drei Viertel des Ver- kaufspreises ausmacken, würden auf solche Weise beim erstern auf ein Viertel, beim letztern auf
ein Drittel des jetzigen Betrages herabgesetzt werden.
Durch die vorgeschlagene Maßregel soll einerseits dem Publikum ein besseres und billigeres Brot
[* 38] ver-
schafft, andererseits der Staat in die Lage versetzt werden, den Landwirten einen angemessenen Preis für ihr Getreide
[* 39] zu bezahlen.
Außerdem würde so den vielbeklagten sanitären Mißständen bei der Brotbereitung begegnet und zugleich dem Staate eine
bedeutende Einnahmequelle erschlossen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, kann indessen die Mo- nopolisierung
der Bäckerei allein nicht genügen.
Folgerichtig wird daher in Verbindung damit die Monopolisierung des gesamten Getreide- und Mehl- handels gefordert. Das zu
festen Preisen angekaufte Getreide hätte der Staat in den inländischen Mühlen
[* 40] zu vereinbarten Vergütungssätzen vermahlen
zu lassen. In den Tillschen Vorschlügen erscheint der dem Antrage Kanitz zu Grunde liegende Gedanke folgerichtiger
ausgestaltet. Er sucht das Interesse des Landwirts mit demjenigen des
Konsumenten in Einklang zu bringen.
Die Tragweite des Vorschlags, der bisher noch wenig Anhänger findet und auf baldige Durchführung schwerlich rechnen kann,
er- hellt schon äußerlich aus der Thatsache, daß allein in Deutschland nicht weniger als 80-100000 Bäcke-
reien und 60000 Mühlen mit etwa 300000 darin beschäftigten Perfonen gezählt werden.
Vgl. V. Till, Das Jahr 1910. Ein Vorschlag
zur Verbesserung der allgemeinen Verhältnisse (Wien);
[* 41] ders., Der Bauer und sein Getreide (Gr^I892)- ders., Die Umwandlung
des Getreides in Brot mit Berücksichtigung der Armeeverpflegung im Frieden und imKriege(ebd.1894);
Kleinwächter,
EinBäckerei- monopol (in «Der Zukunft», Bd.
10,1895).
Backhausfche Milch, ein zur künstlichen Auf- fütterunq (s. d.) der Kinder bestimmtes Präparat aus Kuhmilch, in welchem eine
sehr weitgehende An- näherung an das chem. Verhalten der Frauenmilch erreicht ist; das schwer
verdauliche Kuhcasem wird nämlich mittels Lab gefällt und dem Milchsernm, welches dann nur das leicht verdauliche Albumin
und den Milchzucker enthält, Rahm zugesetzt. Für Kinder verschiedenen Alters lassen sich passende Ab- weichungen in der quantitativen
Zusammensetzung herstellen. Vor der chem. Behandlung wird die Milch durch die Centrifuge von dem Milchfchmutz
(Kuhkot- resten u. s. w.) befreit. Das fertige Präparat wird in Flafchen im Großbetrieb
sterilisiert; die principiellen Einwände gegen eine solche Sterilisation treffen auch bei diefem Präparat zu. Das Präparat
wird von der Centralmolkerei in Göttingen
[* 42] geliefert und gab in einigen Vorversuchen günstige Ernührungsresul- tate. -
Vgl. Berliner klinische Wochenschrift (1895, Nr. 26 und 27).
^Bacquehem, Olivier, Marquis de, wurde im Koalitionsministerium Windisch-Grätz (Nov. 1893)
Minister des Innern und trat mit dem gesamten Ministerium im Juni 1895 zurück, nachdem er im Januar zuvor auf Lebensdauer
in das Herrenhaus berufen worden war. Im Okt. 1895 wurde er zum. Statthalter von Steiermark
[* 43] ernannt. Bäcs-Bodrogher
Komitats-Lokalbahn, von den ungar. Staatsbahnen
[* 44] betriebene Eisenbahn von Szabadka über Zenta nach A-Becse, mit Zweig- bahn
nach Horgos (109 Km, eröffnet).
«"Baden,
[* 45] Großherzogtum, hat (1895) 1725464 (847 281 männl., 878183 weibl.) E.,
darunter 637 946 Evangelische und 25 903 Israeliten, 227 978 be- wohnte Wohnhäuser,
[* 46] 1922 sonstige bewohnte
Bau- lichkeiten, 363338 Haushaltungen und Anstalten, Die Bevölkerung in Baden nach Berufsabteilungen am Berufsabteilungen
Erwerbsthätige Dienstboten Angehörige Zusammen ^.. Land- und Forstwirtschaft V. Bcrgban und Industrie, Baugewerbe
d Handel und Verkehr . ... v. Lohnarbeit, häusliche Dienste N. Armee-, Staats-, Gemeinde-, Kirchendienst:
freie Berufe , Darunter: Armee und Marine ?. Rentner, Pensionäre u. s. w., Personen ohne Beruf u. Berufsangave Darunter: Berufslose
Selbständige 372084 287 450 75 469 8 408 48 067 20 538 82 346 53218 10 487 12661 9 899 32 6 487 521 7 088 7 086 346 616 298 042 85 744 5 242 39 765 2 689 23 351 23 099 729187 598158 171112 13 682 94 319 23 798 112785 83403 Summe
^ bis I' j 873824 ^ 46654 798 760 1719 238
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forlaufend
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d. i. eine Zunahme seit 1890 um 67 59? Personen oder 4,08 Proz. Die Zahl der Geburten betrug 1895: 582-20, der Eheschließungen
13046, der Eterbefälle (einschließlich Totgeburten) 39081. Über den Beruf der Bevölkerung
[* 48] s. Tabelle S. 114 unten. Einwohnerzahl
der Landeskommissariats- bezirke: Bezirke Ortsanwesende Bevölkerung 1890 1895 Zunahm? Von 1890-95 in Proz.
Konstanz
[* 49] . Frei bürg . Karlsruhe
[* 50] . Mannheim.
[* 51] 285 459 480 664 472 06 l 487 280 281 770 469 515 445 156 461426 1,33 2,47 6,04
5,51 Großherzugtnm > 1725464 > 1 65? 867 4,08 Land- und Forstwirtschaft.
Von der Gesamt- fläche (1508100 Ka) waren 1894: 560942 lia Acker- land, 206192 Wiesen, 19 670 Nebland, 16 227 Gras-
und Obstgärten, 554 Kastanienwald, 54149 ständige Weide.
[* 52] Geerntct wurden 1893: 380383 t Dörner- und Külsenfrüchte (im
Werte von 80,4 Mill. M., 434788 Stroh (14,9), 989 500 Kar- toffeln (33,"),
450000 heu und Butter (33,4), 1 397 800 Futterhackfrüchte
(14,"),
70919 Handelv- gewächse (13,4), 16035 Kraut und Gemüse (1,2), 630550 111 Wein (13,?), 326400
t Obst (33,6), im Gesamtwert von 244,5 Mill. M. Mit Tabak
[* 53] waren 1893/94:6069 Im bebaut durch 32 649 Tabakpflanzer. Der Ertrag
hatte einen Wert von 10 887 655 M.; davon wurden 4574773 M. Steuer entrichtet. 1894 wurden 3390 t Hopfen
[* 54] geerntet. Die Viehzählung 1892 ergab 67 595 Pferde,
[* 55] 634984 Stück Rind- vieh, 98107 Schafe,
[* 56] 390464 Schweine,
[* 57] 102682 Ziegen
und 78284 Bienenstöcke. Gewerbe, Industrie und Handel. In den einer Aufsicht unterstehenden Gewerben fanden sich 1893: 5509 Betriebe
(4090 Motorenbetriebe, 1694 mit jugendlichen Arbeitern) mit 134231 Arbeitern (dar- unter 44 233 weibliche
und 11204 jugendlicke). Verkehrswesen. Das Straßennetz batte 1894 eine Länge von 10414,511 cm, nämlich 3093,38 km Staats-,
1208,2i Kreisstrasien und 6112,62 Gemeinde wcge mit einem Gesamtaufwand von 3 661979 M. - über die Eisenbahnen s.
Badische Eisenbahnen. - Der Wasserverkehr in N. ist in bedeutendem Auf schwunge begriffen, und zwar
ganz vorzugsweise in Mannheim (s. d.). Dementsprechend ist auch die Nee derci B.s, das übrigens
auch an der Neckar- und Mein- flößerei sehr stark beteiligt ist, verhältnismäßig sebr bedeutend. Im Frühjahr 1896 zählte
V. an größern in das Rheinschiffahrtsregister eingetragenen Schif- fen 389 hölzerne und 108 eiserne Schleppkäbne
mit 40979 und 111195 t Ladefähigkeit, sowie 9 Rad- und 27 Schraubendampfer. Finanzen. Nach den dem Landtage vorgelegten Rechnungsnachweisungen
von 1894/95 standen 1893: 60581219 M. Einnahmen 65 660147 M. Aus- gaben gegenüber; 1894 sind die Ziffern 63 373 589 und 66 556 789 M.,
so daß sich der Betriebsfonds, aus welchem die Fehlbeträge gedeckt wurden, auf 15 369 761 M. verringert
hat. - Das Budget für 1895/96 zeigt in Einnahmen 129147424 M., in Ausgaben 134 792 277 M.; der Fehlbetrag von 5644 853 M. soll
mit einem überkommenen, von l 271856 M. durch einen in der nächsten Etats- periode zu ersetzenden Zusckuh
aus der Amortisa- tionskasse gedeckt werden.
Den Reichstagswahlkreis Donaueschingm-Villin- gen vertritt der Abgeordnete Merz (nationalliberal). Litteratur. Neumann, Die
Volksdichte im Groß- herzogtum Baden (Stuttg. 1892); Krieger, Topogr. Wörterbuch des
Großherzogtums V. (Abteil. 1-3, Zeidelb.1893-95);
Wielandt, Das Staatsrecht des Großberzogtums Baden (Freib. i. Vr. 1895). Geschichte. Aus den
Verhandlungen des Land- tags von 1892, der 11. Juni geschlossen wurde, sind hervorzuheben die Annahme des Elementarunter- richtsgesetzes,
das vorgelegt worden war, und die Debatten über die Anträge auf Ein- führung direkter Wablen und Zulassung religiöser
Orden.
[* 58]
Das Unterrichtsgesetz wurde 28. April von der Zweiten Kammer angenommen; danach wird das Ortsklassensystem
durch Altersklassen ersetzt, die Ge- meinden liefern ihre Beiträge an den Staat ab, dieser zahlt die Gehälter aus und trägt
den gesamten Mehraufwand. Der von demokratisch-freisinniger und ultramontaner Seite eingebrachte Antrag auf Einfübrung der
direkten Wahlen für die Zweite Kammer wurde zwar von der Regierung für ebenso unannehmbar erklärt wie
die Änderung der Organi- sation der Ersten Kammer, aber die Kammer selbst sprach sick-sür eine Linderung des Wahlsystems,
frei- lich in Verbindung mit einer Gesamtrevision der Verfassung, aus und ersuchte um cine entsprechende Vorlage.
Dagegen lehnte die Kammer den Antrag der ultramontanen Abgeordneten, daß religiöse Orden olme Genehmigung
der Regierung sollten ein- geführt werden dürfen, ab. Die schon länger geplante Änderung der Organisation der Ministerien
trat ein. Es wurden die mit dem Präsidium des Staatsministeriums verbundenen Geschäfte des großherzogl. Hauses
und die Erledigung der Reichs- und auswärtigen Angelegenheiten einem besondern Ministerium des großherzogl.
Zauses und der aus- wärtigen Angelegenheiten übertragen und diesem auch das bisher mit dem Finanzministerium ver- bundene
Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen zugeteilt.
Schon8. März traten Turban und Ell- stätter zurück und wurden durch Iustizminister Notk im Präsidium und durch Buchenberger
in den Fi- nanzen ersetzt, während der bad. Gesandte in Berlin, Brauer, das neu errichtete Ministerium
erhielt. Die Ersatzwablen zum Landtage brachten nur eine kleine Verschiebung, die aber bewies, daß die hochgradige
Agitation der Oppositionsparteien kei- nen Anklang in der Bevölkerung fand. Die Zweite Kammer bestand nun aus 30 Nationalliberalen, 23 Ultramontanen, 5 Freisinnigen
und Demokraten, 3 Socialdemokraten und 2 Konservativen.
Die Tagung von 1894 brachte außer der Etats- beratung wieder die Verhandlung über Mönchsorden und Wablreckt. Die 'Regierung
lehnte die Antrüge auf Zulassung der Mönchsorden und anderweitige Vorbildung der Geistlichen ab (10. Mai) und fand auch 13. Juni die
Unterstützung der Kammer, da- gegen wurde die Abhaltung von Missionen durch auswärtige Ordenspriester
zugestanden. In der Ver- fafsungsfrage kam es zu keinem positiven Schluß. Nachdem der Minister seine Geneigtheit zur Abände-
rung des indirekten Wahlverfahrens, wenn man sich mit gleichzeitiger Sicherung der Interessenvertretun- gen für die Proportionalwahl
erkläre (21. Juni), kund- gegeben batte, sprach sich die Zweite Kammer mit 55 gegen 8 Stimmen für die Einführung
der Proportio- nalwahl aus und im Falle der Ablehnung durch die Erste Kammer mit 31 gegen 29 Stimmen für Ein- 8*
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