(spr. -rahr),Pierre Emanuel, franz. Politiker, geb. zu Genf,
[* 4] lernte
die Goldarbeiterkunst und gründete 1851 ein Exportgeschäft in Paris.
[* 5] Nach dem Sturze des zweiten Kaiserreichs (Sept. 1870)
wurde er Maire des sechsten Arrondissements von Paris und wirkte eifrig für die radikale Partei. Auch schloß er sich
anfangs dem Aufstand der Commune an, ging aber später nach Versailles,
[* 6] wo er zwischen der Nationalversammlung und der Commune
zu vermitteln suchte. Er wurde 1871 Mitglied der Nationalversammlung, 1876 zum Deputierten erwählt und schloß sich den
radikalen Republikanern an; wurde er Minister für Handel und Ackerbau, Minister der
Finanzen und Senator.
Mit dem Ministerium Ferry nahm er seine Entlassung. 1887 wurde er Ministerpräsident, bis ihn April 1888 Floquet
ablöste, doch erhielt er nach dessen Sturz, neuerdings die Präsidentschaft des Kabinetts. Die Gegnerschaft der
Hochschutzzöllner und ein Zwist mit Constans brachten ihn Mitte März 1890 zu Fall. Am übernahm
er an Stelle Rouviers das Finanzministerium im KabinettRibot, trat aber mit diesem zurück. Er starb in
Paris.
1) Kreis
[* 7] im westl. Teil des russ. Gouvernements Cherson, östlich am Unterlauf des Dnjestr,
hat 7186,5 qkm, 180 312 E., darunter viele deutsche Kolonisten, wie Glücksthal mit 2730 E. und Neudorf mit 2627 E.; reichlichen
Getreide-, Flachs-, Tabak-, auch Obst- und Weinbau, Viehzucht,
[* 8] 9 Gerbereien und 12 Talgschmelzereien. - 2) Kreisstadt im Kreis
Tiraspol, links am Dnjestr und an der Linie Rasdelnaja-Tiraspol-Pruth der Russischen Südwesteisenbahn, hat (1897) 27 585 E.,
darunter über 5000 Juden, 5 Kirchen, 2 Synagogen, Buchdruckerei, Buchhandlung, Stadtbank, Flußhafen; bedeutenden Garten- und
Tabakbau, 4 Fabriken, Handel.
Tarabulus, Stadt im türk. Wilajet Trapezunt in Kleinasien, 80 km westlich von Trapezunt, an der
Mündung des Charschut-tschai ins SchwarzeMeer, ist Hauptort eines Kreises und hat 2-3000 E., 4 Moscheen, eine griech. Kirche
und eine verfallene Feste. Tireboli hieß im AltertumTripolis und war milesische Pflanzstadt.
(spr. -rih), bisweilen Tyree, zu den innern Hebriden (s. d. und Karte: Schottland) und zur schott. GrafschaftArgyll gehörige Insel, durch die Tiree-Passage von Mull getrennt, steigt an der Südspitze im Ben-Hynish zu 140 m auf, ist
sonst meist eben, reich an kleinen Seen und zählt 2449 E. auf 76,6 qkm, einschließlich der 18 km südwestlich gelegenen
Skerryvore-Felsengruppe mit Leuchtturm.
(Tyrnau),
ungar. Nagy-Szombat, slaw. Trnava, Stadt mit geordnetem
Magistrat, im ungar. KomitatPreßburg,
[* 11] bis 1876 königl. Freistadt, an der Trnava und den Linien
Preßburg-Freistadtl-Leopoldstadt und Szered-Tirnau (15 km) der Ungar. Staatsbahnen,
[* 12] Sitz eines Kollegiatkapitels des Erzbistums
Gran
[* 13] und eines Generalvikariats, hat (1890) 11 500 meist slowak. kath.
E. (3154 Deutsche,
[* 14] 1625 Magyaren), darunter 613 Evangelische und 1558 Israeliten, in Garnison ein Bataillon des 48. Infanterieregiments
«Erzherzog Ernst» und eine Eskadron des 5. Husarenregiments
«Graf Radetzky», 9 kath., eine evang., eine griech.
Kirche, zwei Synagogen, Jesuiten- und Franziskanerkloster, Kloster der Ursulinerinnen mit Erziehungsanstalt für Mädchen, erzbischöfl.
Obergymnasium und Konvikt, kath. Lehrerbildungsanstalt, Waisenhaus, Militärirren- und Invalidenhaus,
Komitatskrankenhaus; Essig-, Malz- und Zuckerfabrikation, Weinbau sowie beträchtlichen Handel, besonders mit Vieh und Getreide.
[* 15] T.ist eine sehr alte Stadt, die ihre Erhebung besonders der Böhmenkönigin Constantia, der Tochter Belas
III., verdankt. Unter Bela IV. wurde sie zur königl. Freistadt erhoben. Der Primas Nik. Oláh legte 1554 den Grund zu der Lehranstalt,
die durch die Freigebigkeit des Kardinals Peter Pázmán zur Universität erhoben, 1777 von Maria Theresia nach
Ofen und 1783 von Joseph II. nach. Pest verlegt wurde. Von 1543 bis 1820 hatte das Graner Erzdomkapitel seinen Sitz in Tirnau, wo
auch der Erzbischof von Gran und Fürst-Primas von Ungarn
[* 16] zeitweilig residierte.
Trnova, Trnovo, Hauptort eines Distrikts im Fürstentum Bulgarien, in romantischer Gegend, an den felsigen
Abhängen des Jantrathales in den nördl. Vorhöhen des Balkans, an einem strategisch wichtigen Wegeknotenpunkt
gelegen, wo sich einerseits die Straßen von den Donaupaßengen Sištov und Rustschuk vereinigen, andererseits die wichtigen
Balkanstraßen über den Schipkapaß sowie über Elena nach Slivno ausgehen, zählt (1893) 12858 E., ist Sitz eines Metropoliten,
hat im nahen Kloster Ljaskovec eine theol. Schule und besaß früher bedeutende Industrie (Weberei),
[* 17] die
aber jetzt zurückgeht. Der Handel ist noch immer wichtig. Eine Bahn nach Rustschuk ist im Bau. - Tirnova, das im 9. Jahrh. zuerst
erwähnt wird, war 1186-1393 Hauptstadt des BulgarischenReichs, Krönungsort der bulgar. Könige und Sitz eines
bulgar. Erzbischofs, seit 1235 der des bulgar. Patriarchen und wurde 1393 von den Türken genommen. In Tirnova tagte 1879 die konstituierende
Notabelnversammlung, die die neue Verfassung des Fürstentums Bulgarien beriet, sowie die große Nationalversammlung, die den
Prinzen Alexander von Battenberg zum Fürsten wählte. (S. Bulgarien, Geschichte.)
MarcusTullius, röm. Gelehrter, ein Freigelassener und Freund Ciceros, der dem Redner bei seinen litterar. Arbeiten
vielfach zur Hand
[* 18] ging und ihn um Jahrzehnte überlebte. Nach dessen Tode beschrieb er das Leben seines
Gönners, um sein Andenken zu verteidigen, ein Werk, das Plutarch in seiner erhaltenen Biographie benutzt hat. Auch Ciceros
Reden und Briefe gab Tiro heraus; die Briefsammlung ist, freilich nicht vollständig, erhalten.
¶
[* 2] (fälschlich Tyrol), eine zum cisleithanischen Teile der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörige gefürstete
Grafschaft, seit 1782 mit Vorarlberg (s. d.), welches jedoch ein selbständiges Kronland bildet, zu
einem Verwaltungsgebiet vereinigt, grenzt im N. an Bayern,
[* 20] im O. an Salzburg,
[* 21] Kärnten und Italien,
[* 22] im S.
an Italien, im W. an Vorarlberg, die Schweiz
[* 23] und Italien und hat einen Flächeninhalt von 26684,35 qkm, d. i. 8,89 Proz. der Gesamtfläche
der österr. Reichshälfte, mit Vorarlberg 29286,80 qkm. (Hierzu Karte: Tirol und Vorarlberg.)
Bodenbeschaffenheit. Die Gebirge nehmen fünf Sechstel der Fläche ein. Man findet hier fast ebenso hohe Gebirge wie in der
Schweiz, dieselben Schneefelder, Gletscher (hier Ferner), Schnee-, Stein- und Sandlawinen (hier Kare und Muren), Wasserfälle
und Abgründe, nur fehlen die großen Seen. Das Tiroler Gebirgsland, welches unter allen Alpenländern die größte
durchschnittliche Erhebung hat, gehört den Ostalpen (s. d.) an. Die Tiroler Centralalpenmasse (die Kette der Ötzthaler Alpen)
[* 24] wird durch die Gebirgsscharte des Passes Reschenscheideck (1495 m) an der Hauptquelle der Etsch und durch den bei Alt-Finstermünz
(977 m) in das Land eintretenden Inn von den Rhätischen Alpen Graubündens, welche mit der Rhätikon-
und Fervallgruppe den südl. Teil von Vorarlberg einnehmen und in Tirol bis Landeck reichen, getrennt und zieht sich ostwärts
bis zur Dreiherrnspitze an der Grenze von Salzburg und Kärnten.
Sie bildet die Wasserscheide zwischen der Donau und Etsch (Schwarzes und Adriatisches Meer) und die natürliche Grenze zwischen
Nord- und Südtirol. Sie enthält die Ötzthaler Alpen mit den ausgedehntesten Gletschern und Schneefeldern
mit 3200-3783 m hohen Spitzen, dann die StubaierAlpen mit dem Zuckerhütl (3517 m) und die Sarnthaler Gruppe. Das Wippthal
und das Thal
[* 25] der Eisack, die durch den Brenner voneinander getrennt sind, scheidet die vorgenannten Gebirgsgruppen von den
Zillerthaler Alpen mit dem Hochfeiler (3523 m) und den Duxer oder TuxerAlpen mit dem Olperer (3480 m) als Kulminationspunkt.
An diese schließen sich östlich die Hohen Tauern mit der Dreiherrnspitze (3505 m), dem Großvenediger (3660 m) und Großglockner
(3798 m), welcher sich an der Grenze der drei Länder Tirol, Salzburg und Kärnten erhebt.
Die Hohen Tauern bilden die Nordgrenze gegen Salzburg und senden als Nebengruppen aus: die Rieserferner Gruppe mit dem Hochgall
(3140 m), das Villgrattner Gebirge mit der Weißspitz (2960 m) und die Schobergruppe mit dem Hochschober (3250 m). Die
Nordalpen, unter dem Namen der AllgäuerAlpen (s. Allgäu) und Vorarlberger Alpen, durchziehen das Land an der
linken Seite des Inns bis zumLech. Hier schließen sich die Nordtiroler Kalkalpen an, welche bis Salzburg reichen.
In den höchsten Spitzen, dem Großen Solstein unweit Innsbruck,
[* 26] mit der durch Kaiser Maximilians Jagdgefahr berühmten Martinswand
(1113 m), erreichen sie 2641 m und in der Zugspitze im Wettersteingebirge mit 2968 m ihre höchste Erhebung.
Östlich vom Durchbruche des Inns erhebt sich das Kaisergebirge (2344 m). Die Südalpen, durch das obere Etschthal oder das
Vintschgau und durch das untere Eisack- sowie das Pusterthal (s. d.) von der
Centralmasse geschieden,
zerfällt durch das mittlere, gegen Süden durchbrechende Etschthal in zwei Abteilungen:
die Ortleralpen im Westen, mit der von ungeheuren Schnee- und Eismassen bedeckten Ortlerspitze (3902 m) und dem Stilfser Joch
(s. d.), ferner mit der Adamellogruppe südlich von den vorigen mit dem Monte-Adamello (3554 m) als Hauptgipfel und einer großartigen
Eisbedeckung, dann den Nonsberger Alpen, der Brentagruppe und den Tridentinischen Alpen, welche letztere
drei Gruppen bereits Kalkalpen sind.
Östlich von der Etsch, der Eisack und südlich vom Pusterthal erheben sich die durch die Eigentümlichkeit ihrer Gipfelbildungen,
bald Nadeln,
[* 27] bald Hörner und Türme, sowie durch ihre wilde Schluchten und furchtbare Zerrissenheit so interessanten Südtiroler
Dolomiten. Sie sind eine Anhäufung zerrissener Bergstöcke mit meistens domartigen, zum Teil 2560-3200
m hohen Kuppen und dem Kulminationspunkte der 3344 m hohen Marmolada im Hintergrunde des vom Wildbach Avisio oder Lavis durchflossenen
Fleimser Thals, dessen oberer Teil, das Fassathal, durch die prachtvollsten Dolomitfelsen und durch völlig senkrechte Bergwände
von mehr als 960 m Höhe, wie sie sich nirgends in dem ganzen Alpensystem finden, berühmt ist.
Südlich von den durch das Valsugana geschiedenen Dolomiten erheben sich östlich der Etsch die Vicentinischen Alpen, welche
auch zum Teil die Grenze gegen Italien bilden. Ihr Kulminationspunkt ist die Cima Dodici (2331 m). Wenige Länder sind so
reich an schönen Thälern wie Tirol. Die Hauptthäler sind das Innthal, 212 km lang, das Pusterthal (100 km) und das Etschthal
(250 km). Unter den Nebenthälern sind, außer dem Fleimser und dem Fassathal, das wilde Ötzthal,
das Grödner Thal, das Passeierthal, das Eisackthal, das Wipp- und das Zillerthal zu nennen.
Bewässerung. Nordtirol gehört zu dem Flußgebiet der Donau, ebenso auch der östl. Teil des Pusterthals, aus welchem die Drau
nach Kärnten übertritt. Alles übrige Land fällt in das Gebiet des AdriatischenMeers. Der Hauptfluß von ganz Nordtirol
ist der Inn, der das Land bei Finstermünz betritt und unterhalb Kufstein nach einem Laufe von 250 km wieder
verläßt, nachdem er die Rosanna, den Ötzbach, die Sill und den Ziller aufgenommen. Ganz im Norden
[* 28] entspringen die Iller,
der Lech und die Isar, die erst in Bayern zu größern Flüssen erwachsen.
Der Hauptfluß von Südtirol ist die Etsch, die aus dem Reschensee auf der Malser Heide entsteht, links
die Passer, die Eisack mit der Rienz, den Avisio oder Lavis, rechts den Noce aufnimmt und nach einem Laufe von 182 km unterhalb
Ala nach Italien austritt. Außerdem fließen im Südwesten die Sarca in den Gardasee, im Südosten die Brenta durch das Valsugana.
Abgesehen vom Boden- und Gardasee, deren Spiegel
[* 29] teilweise zu Tirol gehören, besitzt das Land viele kleine
Seen, darunter den von Felswänden eingeschlossenen Achensee, der durch die Ache in die Isar abfließt, einer der schönsten
des Hochlandes und der höchste (920 m) unter den größern deutschen Seen, ferner den Plansee, den reizenden
Kalterer See, südwestlich von Bozen
[* 30] u. s. w.
Das Klima ist sehr verschieden; die centrale Gebirgskette bildet eine Klimascheide. Im nördl.
Teil des Landes, besonders im obern Innthal, auf der Malser Heide, in den den Fernern benachbarten Thälern ist die Luft stets
rauh und kalt; auch im Pusterthal hält der Winter lange an und ist sehr
¶
mehr
streng. Dagegen ist in den südlichen, vornehmlich in den tridentinischen Alpenthälern die Hitze oft so heftig, daß die
Einwohner genötigt werden, während des Sommers im Gebirge gelegene Wohnungen aufzusuchen. Der Südwind fällt zuweilen durch
die ermattende Schwüle lästig. Besonders gemäßigt und gesund ist die Gegend von Meran
[* 32] und Arco. Die
mittlere Jahrestemperatur beträgt in Bludenz 8,2, Innsbruck 8,1, Vent (im Ötzthal, 1845 m) nur 1, Lienz (im Pusterthal) 7,5,
Bozen 12,2, Meran 11,7, Trient
[* 33] 12,6° C. Die mittlere jährliche Regenmenge
ist am geringsten im obern Innthal, am bedeutendsten in Vorarlberg (Bregenz
[* 34] 1500 mm). Tirol zählt mehr als 200 Heilquellen, von
denen das Mitterbad im ThaleUlten (Eisenquelle), das Brennerbad auf dem Brenner (eine indifferente Therme), Prags und Innichen
im Pusterthal, Obladis im Oberinnthal und Rabbi im Sulzberg am besuchtesten sind.
Bevölkerung.
[* 35] Die Bevölkerung nimmt wie die aller Alpenländer nur sehr langsam zu. Sie betrug 1880: 805176, 1890: 812696
(397979 männl., 414717 weibl.) E., d. i. eine Zunahme von jährlich 0,09 Proz.;
mit Vorarlberg 1830: 797405,
1840: 830948, 1850: 858203, 1857: 851016, 1869: 878907, 1880: 912549 und 1890: 928769 (454769 männl., 474000 weibl.)
E., d. i. eine Zunahme von 0,18 Proz. Dem Religionsbekenntnis nach waren 809594
römische Katholiken (99,6 Proz.), 1662 EvangelischeAugsburger und 523 helvetischer Konfession und 601 Israeliten;
der Nationalität nach 437393 (54,8 Proz.) Deutsche, 359931 (45 Proz.)
Italiener und Ladiner.
Die Sprachgrenze zwischen Deutschen und Italienern, im Osten Ladinern, beginnt an der Zufallspitze im
Ortlergebiet im Westen, verläuft längs der Wasserscheide zwischen dem Vintschgau (oberes Etschthal) und dem
Sulzberg bis Fondo und biegt hier nach Süden um, wo Salurn im Etschthal die Südgrenze des zusammenhängenden deutschen Sprachgebietes
bildet. (Einige deutsche Sprachinseln liegen noch weiter im Süden, besonders um Trient und Rovereto.) Sie biegt hier nach
Osten ab, verfolgt den Westabhang des Fleimser und Fassathals, geht dann über die Seißer Alpe nach St.
Ulrich im Grödener Thal und erreicht in Welsch Ellen im Vigilthal den nördlichsten Punkt, von wo an sie nach Osten bis Landro
an der Toblacher Reichsstraße zieht und hier die Grenze zwischen Tirol und Italien erreicht.
Die Sprachgrenze zwischen Italienern (im Süden) und Ladinern (im Nordosten) verläuft zwischen Forno und
Predazzo bis an die Landesgrenze. Die Ladiner (ungefähr 16000) bewohnen das Fassa-, das Grödener, Abtei- und Enneberger
Thal. (S. die Ethnographische Karte von Österreich-Ungarn.)
[* 36] In Tirol und Vorarlberg konnten 90,37 Proz. Männer und 87,35 Proz.
Frauen lesen und schreiben. Die Zahl der Geburten betrug 1895: 25027 (davon 580 Totgeborene), der Eheschließungen
5514, der Sterbefälle 21325.
Land- und Forstwirtschaft. Der Boden ist nur mittelmäßig fruchtbar, größtenteils steinig und felsig und selbst in den Thälern
mehr zu Weiden als zu Ackerland tauglich. Von der ganzen Bodenfläche sind 81,1 Proz. produktiv; hiervon
kommen 5,3 Proz. auf Äcker, 0,4 Proz. auf Weingärten, 6,1 Proz.
auf Wiesen, 4,2 Proz. auf Hutweiden, 0,15 Proz. auf Gärten, 25,7 Proz.
auf Alpen und 38,8 Proz. auf Waldungen. Der Hauptsitz des Ackerbaues ist im untern Innthal und in Südtirol.
Geerntet wurden im zehnjährigen Durchschnitt 1885-94 in
Tirol und Vorarlberg 234900 hl Weizen, 419200 hl Roggen, 175500
hl Gerste,
[* 37] 140200 hl Hafer,
[* 38] 431700 hl Mais, 1170900 hl Kartoffeln, 33456 hl Hülsenfrüchte, 715287 t Heu. Flachs (517 t),
Hanf (221 t) und Tabak
[* 39] (323 t) werden im großen gebaut. Ein Haupterzeugnis von Südtirol ist der Wein (s. TirolerWein); im
zehnjährigen Durchschnitt betrug die Jahresernte 331771 hl. Der Obstbau
wird am stärksten im südlichen Tirol, besonders um Trient, Bozen, Meran und im Etschthal betrieben.
Die Äpfel des Innthals werden weit versendet. Das Klima des südlichen T.s gestattet schon die Kultur der Südfrüchte (Orangen,
Citronen, Feigen und Oliven). Quitten, Kastanien (1167 t), Mandeln und Pfirsiche gehören in Südtirol schon
zu den gemeinern Fruchtgattungen. Die Rindviehzucht blüht in hohem Maße. 1890 wurden in Tirol gezählt 15246 Pferde,
[* 40] 6248 Maultiere
und Esel, 402989 Rinder,
[* 41] 207329 Schafe,
[* 42] 96733 Ziegen, 63597 Schweine,
[* 43] 41092 Bienenstöcke. Die Bienenzucht
[* 44] wird in einigen
südl. Gegenden viel betrieben, die Seidenraupenzucht, als ein wichtiger Nahrungszweig, in Südtirol.
Die Waldungen sind von großer Bedeutung, wenngleich durch schlechte Bewirtschaftung herabgekommen. Neuerdings
werden seit der Überschwemmung 1882 von seiten des Staates Wiederaufforstungen und Wildbachverbauungen, namentlich in den südlichern
Landesteilen, unternommen. Tirol und Vorarlberg haben einen Waldstand von (1895) 1108576 ha, meist Nadelholz. Die Jagd ist sehr
ansehnlich, hauptsächlich auf Gemsen, Rotwild, Hasen und Federwild. In Südtirol wird der Vogelfang getrieben.
Die Gebirgswässer und Seen enthalten treffliche Fische.
[* 45]
Bergbau.
[* 46] Der Bergbau besteht seit alter Zeit. 1895 wurden gewonnen 17453 t Braunkohlen, 1588 t Eisenerze, 1066 t Kupfererze,
wovon 78 t silberhaltig waren, 209 t silberhaltige Bleierze, 1986 t Zink-, 107 t Schwefelerze und 404 t
Asphaltsteine. Hieraus wurden im Hüttenbetriebe erzeugt: 982 kg Silber, 147 t Kupfer,
[* 47] 865 t Frischroh- und 186 t Gußroheisen
und 80 t Kupfervitriol im Werte von 225403 Fl. Die Staatssaline Hall
[* 48] bei Innsbruck lieferte 1895: 13 t Steinsalz, 14369 t Sudsalz
und 559 t Industrialsalz im Werte von 1163822 Fl. Die Zahl der beim Bergbau und Hüttenbetrieb beschäftigten
Arbeiter betrug 1892: 1622.
Industrie. Am bedeutendsten ist entwickelt in Nordtirol die Baumwollspinnerei mit 7 Fabriken, 1118 Arbeitern und 109636 Feinspindeln,
die Streichgarnspinnerei (8 Fabriken, 6710 Feinspindeln), die Streichgarnweberei (8 Fabriken, 120 mechan.
Stühle), die Baumwollweberei (8, 1767) und in Südtirol die Erzeugung von Rohseide (33 Fabriken
lieferten 1890: 71605 kg), die Seidenspinnerei (12 Fabriken, die mit 22 662 Spindeln 20000 kg Seide
[* 49] spannen) und die Seidenwebereien
(5). Die Spinnerei und Weberei von Flachs und Schafwolle ist Hausindustrie. Zu erwähnen sind ferner die Eisenwarenfabrikation
im StubaierThal, die Holzschnitzerei im Grödener Thal, die Teppichweberei im Pusterthal, die Verfertigung
von Büchsen, die Marmorindustrie in Südtirol (Laaser Marmor). Die Zahl der Branntweinbrennereien beträgt 7112 in Tirol und
Vorarlberg, es sind aber nur kleine mit der Landwirtschaft verbundene Brennereien, die 1895: 3454 hl Alkohol erzeugten. Auch
die Bierbrauereien (1895: 115) sind meist kleinere Unternehmungen, welche 309174 hl Bier erzeugten. In den
beiden Staatsfabriken zu Schwaz¶
mehr
(Nordtirol) und Sacco (Südtirol) wurden von 2749 Arbeitern 2139 t Tabak verarbeitet; der Erlös betrug 3099399 Fl.
Handel und Verkehrswesen. Die Zahl der Handelsgewerbe betrug 1890: 13925. Die Lage T.s zwischen Deutschland
[* 51] und Italien sowie
die guten Straßen und Verkehrswege über die Alpenpässe (Brenner, Stilfser Joch, Arlberg, Finstermünzpaß, Ampezzo und
Valsugana) begünstigten seit alters her den Handel, der sich namentlich im Mittelalter in großartiger Weise in Tirol entwickelte.
Tirol und Vorarlberg hatten 1895: 4603 km Straßen (darunter 1618 Staatsstraßen), 117 km flößbare und 221 km schiffbare Wasserstraßen, 787 km
Eisenbahnen, 1938 km Telegraphenlinien und 6996 km Drähte sowie 424 Postämter und 180 Telegraphenstationen.
Hauptgegenstände der Ausfuhr sind: Rindvieh, Käse, Schmalz, Kräuter, Wein, Obst, Teppiche, Seide und Seidenwaren, Eisenwaren,
Schleif- und Mühlsteine,
[* 52] Marmorarbeiten, Holz
[* 53] und Holzwaren. Jährlich wandert eine nicht geringe Anzahl von Tirolern in die
benachbarten Länder, wo sie entweder durch Handel mit Gegenständen verschiedenster Gattung, Bildern, Decken, Holzwaren, Handschuhen,
Vögeln u. s. w., oder als Handwerker sich ein kleines Vermögen zu erwerben suchen,
das sie in ihre Heimat zurückbringen. Die Verkehrspunkte sind Innsbruck, Bozen, Trient und Rovereto.
Unterrichts- und Kirchenwesen. Für Unterricht sorgen in Tirol und Vorarlberg (1895) 1747 Volksschulen mit 142738 Schülern, 10 Gymnasien, 4 Realschulen, 4 Lehrer-
und 4 Lehrerinnenbildungsanstalten, die Universität in Innsbruck, ferner 17 theol. Lehranstalten, 3 Schulen
für Land- und Forstwirtschaft, 4 Handelslehranstalten, 2 Staatsgewerbeschulen, 17 gewerbliche Fachschulen, 1 allgemeine Handwerkerschule, 22 gewerbliche
Fortbildungsschulen, 4 Musik- und Gesangschulen u. s. w. Weiter bestehen in Innsbruck ein Nationalmuseum (Ferdinandeum), eine
Landwirtschaftsgesellschaft, in Rovereto eine Gelehrtengesellschaft. In Tirol bestehen zwei
röm.-kath. Fürstbistümer zu Brixen und Trient, 279 Pfarreien mit 1969 Weltgeistlichen, 53 Mönchs- und 32 Nonnenklöster
mit 1239 und 2580 Ordensmitgliedern. Das Stammvermögen der Domkirchen beträgt 113000 Fl., der Bistümer 1258000 Fl., der Domkapitel 602000
Fl., der Pfarr- und sonstigen Kirchen 14884300 Fl., der Kuratpfründen 10498000 Fl. und der Stifte und Klöster 5307419
Fl.
Die Abgeordneten werden auf sechs Jahre gewählt, und der Landtag tritt jährlich einmal in Innsbruck zusammen.
Den Landtagspräsidenten (Landeshauptmann) ernennt der Kaiser. Vorarlberg hat seine besondere Verfassung und seinen eigenen
Landtag. Nach dem neuen Wahlgesetz von 1896 sendet in das österr. Abgeordnetenhaus 21 Vertreter, und zwar 5 Abgeordnete des
großen Grundbesitzes, 5 der Städte, Märkte und Handels- und Gewerbekammern zu Innsbruck, Bozen und Rovereto, 8 der
Landgemeinden und 3 der allgemeinen Wählerklasse (gewählt durch allgemeines Stimmrecht).
Das Land zerfällt in 4 Städte mit eigenem Statut und 21 Bezirkshauptmannschaften:
Für die Finanzverwaltung besteht die Finanzlandesdirektion in Innsbruck, die Finanzprokuratur ebenda, die Finanzbezirksdirektionen
in Innsbruck, Bozen, Trient und Feldkirch, 11 Haupt- und 45 Nebenzollämter, 4 Haupt- und 68 Steuerämter.
Ferner besteht in Innsbruck eine Eisenbahnbetriebsdirektion mit 7 Bahnämtern, eine Post- und Telegraphen-, eine Forst- und
Domänendirektion, ein Landeskulturrat, ein Gewerbe- und ein Aichinspektor. In militär. Beziehung bildet das Land das 14. Korps
(Kommando in Innsbruck) und den Ergänzungsbezirk der vier Tiroler Jägerregimenter und genießt hinsichtlich
der Landesverteidigung (Tiroler Landesschützen) besondere Vorrechte. Das Wappen der Grafschaft zeigt in silbernem Felde einen
roten, einköpfigen gekrönten Adler
[* 55] mit goldenen Kleestengeln auf den Flügeln und mit goldenen Klauen. Auf dem Schilde ein
Fürstenhut.
[* 56] (S. Tafel: Wappen
[* 57] der Österreichisch-Ungarischen Kronländer,
[* 50]
Fig. 6.) Die Landesfarben sind Weiß-Rot.
Geschichte. Tirol wurde anfangs von den Rätern (s. Rhätien) und von
Kelten bewohnt. Unter dem KaiserAugustus wurde es von den Römern¶
mehr
erobert, die sich um den Anbau des Landes verdient machten. 476 kam es unter die Herrschaft der Ostgoten. Als diese 552 zertrümmert
wurde, fiel der südl. TeilT.s in die Gewalt der Langobarden, der nördliche wurde von den Bajoariern (Bayern) besetzt. Mit
Bayern wurde Tirol im 8. Jahrh. von den Franken unterworfen, die es, gleich andern fränk. Landen, durch verschiedene
Grafen verwalten ließen. Nach der Wiedereinsetzung bayr. Herzoge im 10. Jahrh. standen unter diesen auch die Grafen Nordtirols,
während die ehemals langobard.
Die Grafschaften im Unterinn- und Pusterthal kamen um 1165 an die besonders in Bayern begüterten Grafen
von Andechs (s. d.), die nach 1180 den TitelHerzog von Meranien erhielten. Als das Haus der Andechser 1248 im Mannsstamm erlosch,
kamen dessen tirol. Besitzungen an den GrafenAlbert von Tirol, nach dessen Stammburg es von nun an genannt wurde. Nach seinem
Tode (1253) kam an seine Schwiegersöhne Meinhard, Grafen von Tirol, und Gebhard, Grafen von Hirschberg,
[* 61] dessen
Gemahlin aber kinderlos starb, so daß Meinhards I. Sohn Meinhard II., der 1286 Herzog von Kärnten ward, auch das Erbe des
letztern erwarb. Seine Enkelin Margareta Maultasch (s. d.) trat 1363 Tirol den Herzögen von Österreich
[* 62] ab. 1803 wurden
auch die bisher dem Namen nach reichsunmittelbaren, thatsächlich aber von Tirol abhängigen Gebiete der Bischöfe von Brixen und
Trient von Österreich erworben.
Diese beiden Teile wurden 1814 von Österreich erobert und der bayr. Anteil in demselben Jahre von Bayern
wieder an Österreich zurückgegeben, das hierauf auch die salzburgischen eingeschlossenen Landesteile, das Ziller- und Brixenthal
und Windisch-Matrei, damit vereinigte. Mit der durch das Februarpatent von 1861 festgestellten neuen Ordnung der österr.
Verhältnisse konnte sich Tirol nicht sogleich befreunden; namentlich die Gleichstellung der Protestanten
traf auf Widerstand, so daß ein Gesetz vom die Bildung prot.
Gemeinden von der Einwilligung des Landtags abhängig machte. Die immer mehr wachsende ital.
Partei, die die Trennung Welschtirols von Deutschtirol, teilweise wohl auch den Anschluß des erstern an Italien
anstrebte, hielt sich lange Zeit dem Landtage fern. Die Wahlen von 1889 brachen die lange
Alleinherrschaft der Klerikalen
im Landtage, da die Italiener sich mit den deutschen Liberalen verbanden. Dies Bündnis war jedoch nur von kurzer Dauer, da
die Regierung die Anträge der Welschtiroler auf eine Trennung T.s zurückwies, worauf sich diese wieder
vom Landtage fern hielten, so daß die Majorität der Klerikalen abermals wiederhergestellt wurde. So sah sich die Regierung
gezwungen, durch zahlreiche Konzessionen an die Kirche 1892 endlich die Einführung des Reichsratschulgesetzes zu erkaufen.
(S. Österreichisch-Ungarische Monarchie, Geschichte.)
Litteratur. Außer den Schriften von Hormayr und Steub vgl. BedaWeber, Das Land Tirol (3 Bde., zuerst anonym,
Innsbr. 1837-38; 2. Aufl. als Handbuch für Reisende in Tirol, 1853);
Staffler, Tirol und Vorarlberg (2 Bde., ebd. 1839-46);
ders., Das deutsche Tirol und Vorarlberg (2 Bde., 1847);
Weine, die in Tirol auf einer Gesamtfläche von 12500 ha in einer durchschnittlichen Menge von 400000 hl jährlich
erzeugten Weine. Auf die BezirkeBozen, Meran und Brixen entfallen gegen 300000 hl, während auf Trient und Rovereto 100000 hl
zu rechnen sind. Die wertvollsten Traubensorten sind die Teroldego-, Lagrein- und Marzeminotrauben, für
feinere weiße Weine die TerlanerTraube und die Nosiola. Von bekannten Weinsorten sind zu nennen der Terlaner, St. Valentiner,
die Edelweine aus Bozen, St. Magdalena, Leitach, die Flaschenweine von Schloß Rametz und St. Michele.
Noten, auch Tironianische Noten, im Altertum gebräuchliche Kurzschrift, die bestimmte
Wörter und Silben durch vorher festgesetzte Schriftbilder ersetzt. Von solchen Noten erfand zuerst Ennius 1100, viele fügte
auch Tiro (s. d.) hinzu, Seneca brachte ihre Zahl auf 5000. Die uns überlieferten lexikalischen Verzeichnisse enthalten über 13000 Zeichen
für einzelne Wörter, die auswendig gelernt werden mußten. Die erste uns bekannte Verwendung im parlamentarischen
Dienste
[* 63] geschah zur Aufnahme der Rede Catos des Jüngern gegen Catilina (63 v. Chr.). Was wir aber von Tironische Noten besitzen,
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