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Neapel [* 2] vereinigt, der Herrschaft der österr. Habsburger unterstellt wurde. Victor Amadeus ward mit Sardinien [* 3] entschädigt.
Unter den spanischen Bourbonen. Zum selbständigen Staate wurde das Königreich beider S. wieder infolge des Polnischen Thronfolgekrieges (s. d.). Nachdem nämlich Philipp V. 1734 nochmals versucht hatte, Unteritalien unter Spanien [* 4] zu bringen, kam das Königreich beider S., vermehrt um den Stato dei presidii, den größten Teil von Piombino und von Elba und einen Küstenstrich von Toscana, im Wiener Präliminarfrieden von 1735 und endgültig 1738 an Philipps V. und Elisabeth Farneses Sohn Karl III. als spanische, mit dem Hauptland unvereinbare Sekundogenitur, während Österreich [* 5] mit Toscana entschädigt wurde.
Schon die österr. Verwaltung unter Daun hatte vieles im Königreich gebessert, bedeutender war aber die Hebung des Landes, seit es wieder seinen eigenen Fürsten hatte, der mit Thatkraft und Unternehmungsgeist die Neuordnung des Staates in die Hand [* 6] nahm und insbesondere die feudalen Vorrechte wegräumte. Nachdem der Abschluß eines vorteilhaften Konkordats mit Benedikt XIV. gelungen war, wurden die Vorrechte der Geistlichkeit, ihre örtlichen Freiheiten, ihr Asylrecht und ihre dinglichen Gerechtsame beschränkt, wo nicht aufgehoben; die bischöfl.
Gerichtsbarkeit ward zu Gunsten des Staates eingedämmt, der Vermehrung der Güter der Toten Hand und der Zahl der Geistlichkeit Schranken gesetzt, der Jesuitenorden auf die Klöster beschränkt und das Inquisitionsgebäude geschlossen. Während durch Verbesserung des Zoll- und Steuerwesens die Staatseinnahmen sehr vermehrt, durch Handelsverträge und Handelsgerichte der Verkehr im Innern und nach außen wesentlich gehoben wurde, geschahen große Leistungen für die Verschönerung und den Nutzen Neapels und des Landes. Die unter Browne nochmals gegen Süden vordringenden Österreicher wies Karl III. an der Grenze seines Landes durch den Sieg von Velletri (10./11. Aug. 1744) zurück.
Als er durch den Tod seines Halbbruders Ferdinands VII., welcher kinderlos starb, auf den Thron [* 7] von Spanien berufen wurde, übergab er das Königreich beider S. seinem dritten Söhnchen, Ferdinand I. (s. d., 1759-1825), für den Tanucci zuerst bis 1767 als Haupt der Regentschaft, dann bis 1777 als erster Minister regierte. Dieser schritt namentlich der Kirche gegenüber auf der unter Karl III. eingeschlagenen Bahn weiter, hob zahlreiche Klöster auf, zog die Einkünfte unbesetzter geistlicher Stellen ein, dehnte die Befugnisse der weltlichen Gerichtsbarkeit aus, unterstellte die geistliche Censur und die Erteilung von Kirchenstrafen der Staatsaufsicht, verjagte 1767 die Jesuiten und zog ihre Güter für Schulzwecke ein. In kirchlichen Angelegenheiten beharrte auch Sir Francis Acton, den Karoline Marie (s. d.), Ferdinands Gattin, an Tanuccis Stelle brachte, ziemlich auf dessen Verfahren; neben Acton gewann steigenden Einfluß auf die Regierung, welche Ferdinand seiner Frau überließ, die berüchtigte Lady Hamilton.
Der drohende Gang [* 8] der Französischen Revolution rief in Neapel die äußerste Strenge gegen alle Regungen zu Gunsten der von Frankreich ausgehenden Anschauungen hervor. Der Anschluß an die erste Koalition und die durch starke Rüstungen [* 9] verursachten Ausgaben brachten in kurzem die vorher blühenden Finanzen in Verwirrung. Nachdem Neapel angesichts der Siege Bonapartes in Oberitalien [* 10] sich durch den Vertrag von Brescia von der ersten Koalition losgesagt hatte, stellte Frühjahr 1798 die unter franz. Schutz eben errichtete röm. Republik, welche sich als Rechtsnachfolgerin des Papstes auch in seiner Oberlehnsherrlichkeit über Neapel betrachtete, unerfüllbare Forderungen.
Und da man Napoleons Rüstung [* 11] zum Zug nach Ägypten [* 12] gegen Neapel gerichtet glaubte, so betrieb Karoline Marie eifrig den Beitritt zur zweiten Koalition, welcher auch zu Wien [* 13] vollzogen wurde. Während nun Nelson zuerst im Hafen von Syrakus, [* 14] dann in dem von Neapel Aufnahme fand und Mack, als neapolit. General von Thugut aus Wien gesandt, erschien, ging man mit verdoppeltem Grimm gegen alles vor, was nur im geringsten den Verdacht einer Hinneigung zur Französischen Revolution erregte, und schon überschritten die Truppen die Grenze, um die Unruhe in Rom [* 15] zu ersticken.
Allein dem Einzug in Rom (29. Nov.) folgte eine Reihe von Schlappen, welche die rasch zusammengerafften Truppen unter Macks unfähiger Leitung durch Championet erlitten; schon 10. Dez. mußte in fluchtartigem Rückzug Rom, bald auch der Kirchenstaat geräumt werden, und nun drangen die Franzosen ihrerseits über die neapolit. Grenze. Nachdem sich ihnen Gaeta ohne Widerstand ergeben, floh der König und Hof [* 16] mit dem Gelde nach Palermo [* 17] (25. Dez.) und überließ die Statthalterschaft und Verteidigung des Festlandes dem Fürsten Pignatelli und Mack, welche bei der einbrechenden Verwirrung, der Erhebung der Bauern und Lazzaroni gegen die franz. Revolutionäre und der Unbotmäßigkeit der gebildeten Stände, die Schutz von den anrückenden Franzosen hofften, den Kopf verloren und einen Waffenstillstand durch Räumung von Capua und Neapel und Zahlung von 10 Mill. Frs. erkaufen wollten. Während dann Pignatelli gleichfalls nach S. floh und Mack auf der Heimreise in Oberitalien festgenommen wurde, wütete in Neapel der Pöbel, worauf Championet die Stadt im Sturm nehmen ließ; dabei erlitt er jedoch noch schwerere Verluste, als ihm schon auf dem Anmarsch das von der Geistlichkeit aufgereizte Landvolk beigebracht hatte. Nach der Einnahme Neapels wurde die königl. Herrschaft für abgeschafft erklärt und eine provisorische Regierung, dann nach dem Vorbild des vom Direktorium regierten Frankreich die Parthenopäische Republik (s. d.) aufgerichtet.
Die Erfolge der Österreicher und Russen in Oberitalien riefen aber Juni 1799 den an Championets Stelle getretenen Macdonald nach Norden, [* 18] worauf sich in Neapel das niedere Volk gegen die nur vom größern Teile des Adels und vom bessern Bürgerstand gestützte Republik erhob. Zur Unterstützung der Lazzaroni rückte Kardinal Ruffo mit den von Fra Diavolo, Mammone, Pronio und ähnlichen Räuberführern zusammengebrachten Banden gegen die Hauptstadt, welche nach tapferer Gegenwehr sich auf Zusage der Straflosigkeit und des freien Abzugs der Republikaner ergab. Allein der mit Nelson zur See zurückkehrende König glaubte sich nicht verpflichtet, diese Zusage zu erfüllen, und so begann eine wilde Verfolgung der Abgefallenen, bis Napoleons Sieg bei Marengo [* 19] zur Einstellung dieser Greuelwirtschaft zwang. Um der drohenden Wiedervereinigung seines Landes mit Spanien, das Godoy zum Verbündeten von Frankreich gemacht hatte, zu entgehen, trat Ferdinand von der zweiten Koalition nun zurück ¶
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und unterwarf sich im Frieden von Florenz [* 21] den von Napoleon auferlegten Bedingungen: Amnestierung der verfolgten Republikaner, Aufnahme eines franz. Armeekorps bei Tarent, Ausschließung der engl. Schiffe [* 22] von allen Häfen des Königreichs, Verzicht auf Elba, Piombino und den Stato dei presidii. Marie Karoline ließ sich bestimmen, während sie in Paris [* 23] einen Neutralitätsvertrag abschloß in Wien wegen ihres Beitritts zur dritten Koalition zu verhandeln, worauf der Kaiser am Tage nach dem Preßburger Frieden durch Dekret die Bourbonen in Neapel entsetzte und Saint-Cyr die Wegnahme des Königreichs befahl.
Weder eine demütige Gesandtschaft, noch die Aufwiegelung der Massen schützte die Bourbonen. Joseph Bonaparte und Masséna, über die Grenze gerückt, zwangen rasch den als Vicekönig zurückgelassenen Kronprinzen Franz, seinen wieder nach S. geflohenen Eltern zu folgen, worauf Joseph Bonaparte die Regierung in Neapel übernahm;
er wollte mit Milde das blutig niedergeworfene Land gewinnen;
aber Napoleon zwang den Bruder zur Härte und rief ihn endlich nach Spanien ab;
Josephs letzte Regierungshandlung war der Erlaß einer streng centralistischen Verfassung nach franz. Muster. An seine Stelle trat der rücksichtslosere Joachim Murat (s. d.), der sofort die Engländer von Capri [* 24] verjagte, in den ersten zwei Jahren das Brigantentum durch den furchtbaren Manhès niederwerfen ließ, daneben aber das von Joseph begonnene Werk der innern Umbildung des Landes vollendete.
Mit gleicher Grausamkeit ließ Ferdinand, den auf S. die engl. Flotte deckte, Regungen zu Gunsten der Franzosen in Messina [* 25] niederschlagen. Aber bald trat ein Zerwürfnis zwischen der Krone und dem sicil. Parlament ein, welches nach der alten Verfassung einberufen worden war, um Geld zu geben; die Adligen, die in dem Parlament den Ausschlag gaben, forderten für die Geldbewilligung bessere Besteuerung, Rechtspflege und Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit. Der Versuch der Krone, eine unbewilligte Steuer vom Lande zu erhalten, scheiterte, und nun trat der Bevollmächtigte Englands, Lord Bentinck, für das sicil. Parlament ein. Zum Generalkapitän der engl. Truppen auf S. ernannt, bewog er jetzt (Jan. 1812) Ferdinand, den Kronprinzen zum Reichsverweser zu bestellen, welcher den Fürsten von Belmonte zum ersten Minister machte und das Parlament beauftragte, über die Abstellung der bestehenden Mißbräuche und eine neue Verfassung Vorschläge vorzulegen.
Letztere wurde rasch nach engl. Muster ausgearbeitet und bot ein Zweikammersystem, Steuerbewilligungsrecht und Ministerverantwortlichkeit. Erst auf eine nochmalige ernste Drohung hin ergaben sich Marie Karoline und Ferdinand in diese Neuerungen, die dann Ferdinand, nach Neapel zurückgekehrt, wieder abschaffte. Dieses Vorgehen ermöglichte Ferdinand das Verhalten Murats. Dieser hatte, als er sich von Österreich betrogen, von England bedroht und von den kriegsmüden Italienern im Stiche gelassen sah, seine Verbindungen mit Napoleon auf Elba wieder angeknüpft und seine Waffen gegen Österreich sowie für gewaltsame Errichtung eines verfassungsmäßigen und einigen Italiens [* 26] erhoben.
Bei Tolentino geschlagen (2. und sah er sich zum Rückzug und 20. Mai zum Verlassen seines Reichs gezwungen. Die unter Prinz Leopold von Bourbon ihm nachgedrungenen Österreicher gaben das Land 23. Mai an Ferdinand zurück, nachdem die Reste von Murats Truppen in der Kapitulation von Casalanza auf Fortsetzung des Kampfes verzichtet hatten. Der Wiener Kongreß bestätigte mit den andern Herstellungen auch diese (8. Juni), worauf Ferdinand wieder in Neapel einzog. Piombino, Elba und den Stato dei presidii erhielt Ferdinand nicht zurück. Ein abenteuerlicher Versuch Murats, sein Königreich wiederzugewinnen, führte nur seine Verhaftung und standrechtliche Erschießung herbei. Mißtrauen verbreitete unter dem Volke das Verhalten der Regierung gegenüber dem von ihr früher großgezogenen Banditentum und dem Sektenwesen (s. Carbonari, Calderari und Decisi); das Übelste jedoch war die Unzufriedenheit im Heere,welches aus Ersparnisrücksichten sehr vermindert wurde.
Die Zahl der Unzufriedenen stieg, während die Verteidigungskraft der Regierung gegen die sich anbahnende Revolution bedeutend geringer ward. Bei der Nachricht von der span. Militärerhebung und den raschen Fortschritten der Cortesrevolution gaben einige in Nola stehende Offiziere das Zeichen zur Empörung Da der König sich nicht entschließen konnte, den allgemein beliebten G. Pepe an die Spitze der noch treuen Truppen zu stellen, so begab sich dieser 3. Juni zu den nach Avellino vorgedrungenen Aufständischen, deren Oberbefehl er übernahm.
Die von diesen verlangte span. Verfassung von 1812 sah sich Ferdinand schon 7. Juni zu verkünden, 13. Juni zu beschwören gezwungen. Die Kunde von diesem mühelosen Sieg der Aufständischen entzündete in Palermo und Girgenti wüste Pöbelerhebungen, deren man erst nach einigen Tagen Herr wurde. In Palermo wie in Messina wollte man ein eigenes Parlament haben; dies war gegen die Meinung der Konstitutionellen des Festlandes, das nun Flor. Pepe zur Unterwerfung der Insel absandte.
Pepe und sein Nachfolger Colletta stießen aber in Palermo auf so entschiedenen Widerstand, daß letzterer sich mit einer Übereinkunft begnügen mußte, welche die Frage unentschieden ließ; thatsächlich entsandte dann auch nur Messina einen Abgeordneten in das neapolit. Parlament. Dieses selbst aber, ganz unter den Druck der Carbonari geraten, lehnte die von Frankreich nahe gelegte Annahme der französischen an Stelle der demokratischem span. Verfassung ab. So stand Neapel allein gegen das Österreich Metternichs, der entschlossen war, keine Verfassung in Italien [* 27] aufkommen zu lassen.
Nachdem Österreich insgeheim zu Troppau [* 28] Rußlands und Preußens [* 29] Zustimmung zu seinem bewaffneten Eingreifen erzielt hatte, ward von den Nordmächten ein Kongreß zu Laibach [* 30] abgehalten. Zu diesem begab sich Ferdinand indem er die Stellvertretung wieder dem Kronprinzen übertrug, um das bewaffnete Einschreiten Österreichs zuzugeben. Während das Parlament diese Entscheidung des Königs für erzwungen und nichtig erklärte, strömte das Volk unter die Fahnen zur Verteidigung der Unabhängigkeit. Allein der Mangel an Geld und an Unterordnung in dem allzurasch durch Freiwillige vermehrten und durch das Carbonariwesen zersetzten Heer und der Haß der Führer, G. Pepes, Carascosas, Collettas und Filangieris, gegeneinander machte den durch den Kirchenstaat anrückenden 50000 Österreichern die Arbeit leicht. ¶
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Nach ihrem Sieg bei Rieti rückten die Österreicher, ohne mehr ernstlichen Widerstand gefunden zu haben, 24. März in Neapel ein, um dann auch Calabrien und Apulien zu besetzen. Gegen die nicht entflohenen Carbonari und Konstitutionellen begannen Ferdinands neue reaktionäre Minister eine blutige Verfolgung. Gleichzeitig hatte das Land unter Erdbeben, [* 32] dem Ausbruch des Vesuvs von 1822 und Orkanen zu leiden; die schon in den Friedensjahren 1815-20 verdoppelte Staatsschuld wuchs infolge der im ganzen 600 Mill. Frs. kostenden österr. Einlagerung und der Betrügereien der Minister. An Stelle der Österreicher, deren letzte 10000 Mann erst Febr. 1827 abzogen, setzte noch Ferdinand eine Schweizertruppe.
Die Regierung von Ferdinands Sohn Franz I. (s. d., 1825-30) zeichnete sich nur durch die um sich greifende Zuchtlosigkeit am Hofe und die wachsende Feilheit der Beamten und des verarmten Adels aus. Ferdinand II. (s. d., 1830-59) wollte völlig Selbstherrscher sein, gestützt auf wohlgeordnete Finanzen und ein gutes Heer, unabhängig von Österreich und Frankreich, die ihm beide ihre Schutzherrschaft aufdrängten. Nachdem jedoch ein gemeinsames Vorgehen gegen Tunis [* 33] (1833) und Eheschließungen engere Beziehungen Neapels mit Sardinien und mit Toscana angebahnt und die Sicilianer sich unter Ferdinands sanftem Bruder Leopold einige Jahre zufrieden gefühlt hatten, brachte die Ehe Ferdinands mit einer Habsburgerin wieder ein näheres Verhältnis zu Österreich zu Wege.
Gleichzeitig wurde Leopold aus Mißtrauen von Palermo zurückgerufen und das ganze Reich straff unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt. Als aber die schon 1835 erschienene Cholera aufs neue und viel stärker 1837 wie in Neapel so auch auf S. ausbrach, zerrissen hier alle Bande der Ordnung, und der Glaube, die Neapolitaner wollten die Sicilianer durch Massenvergiftung schwächen, erzeugte ein wildes Morden auf der Insel. Nachdem diesem Ferdinands Polizeiminister del Carretto ein Ende gemacht, wurde der letzte Rest sicil.
Selbstverwaltung vernichtet; nur die Freiheit von der Aushebung blieb S. Auf dem Festland setzte Ferdinand 1840 die Einheit von Maß und Gewicht durch und bemühte sich namentlich auch um die Verbesserung der Marine. Nachdem die Unternehmung von Cosenza (März 1844) und die der Brüder Bandiera (Juni 1844) gescheitert waren, erhob sich Aug. 1847 ein Aufstand zu Reggio; auch dieser ward niedergeschlagen. Aber das durch Pius' IX. Liberalismus angefachte Feuer ward durch die geheime Presse [* 34] ebenso wie durch die beschränkten Accise- und Zollerleichterungcn und die dürftige Amnestierung geschürt; zwischen Insel und Festland ward die Empörung verabredet, S. sollte mit der Forderung seiner Verfassung von 1812 beginnen, Neapel mit dem Verlangen der seinigen von 1820 folgen.
Dem Beispiel Palermos, das sich erhob und 4. Febr. die königl. Truppen zum Abzug zwang, schlossen sich Girgenti, Catania, Caltanisetta, Trapani und Messina an. Daraufhin veröffentlichte 10. Febr. Ferdinand eine schon 29. Jan. zugesicherte Verfassung, welche der mit Serracapriola und C. Poerio ins Kabinett berufene Boselli nach franz;. Muster zugeschnitten hatte. In Neapel war darüber Jubel, in S., wo man sich um die zugesicherte Sonderstellung geprellt sah, tiefe Verstimmung.
Von dem in Palermo als provisorische Regierung waltenden Generalkomitee ward die neue Verfassung 3. Febr. verworfen und aufs neue die landeseigene von 1812 gefordert. S. war nicht weiter zu bringen als zur Annahme einer Personalunion, wogegen sich Ferdinand 22. März verwahrte; so wurde der Riß zwischen Neapel und S. nur um so tiefer. Der erfolgreiche Aufstand in der Lombardei trieb aber auch Neapel in die nationale Bewegung hinein; der König sah sich zur Berufung eines nationalen und freisinnigen Kabinetts unter Vorsitz Carlo Troyas 3. April gezwungen.
Die seit der Pariser Februarrevolution sich steigernde Aufregung schwoll infolge von Pius' IX. Allokution vom 29. April und erreichte ihren Höhepunkt in den Verhandlungen der 29. April gewählten Kammer mit dem König über den Wortlaut seiner Eidesleistung. Während derselben kam es zwischen Radikalen und Schweizern 15. Mai zu einem Barrikadenkampf in Neapel; der Sieg war auf Seite der letztern. Der König löste sofort Kammer und Nationalgarde auf und befahl G. Pepe die Zurückführung der nach Oberitalien entsandten Truppen.
Die Mehrzahl dieser entsprach dem königl. Befehl, Pepe widersetzte sich. Gleichzeitig ward die Flotte von Triest [* 35] zurückgerufen. Das gefügige Ministerium, das Ferdinand nun einsetzte, berief eine neue Kammer; die Wähler sandten die alte. Aber der Rückschlag zeigte sich bereits in Gewaltthätigkeiten von Beamten, Offizieren und Polizei. Doch blieb Ferdinand vorläufig noch maßvoll und rüstete nur mit Eifer gegen S., wo das Parlament 13. April den Thron für erledigt erklärt und Ferdinand und sein Haus entsetzt hatte.
Ein Aufstand der Radikalen in Calabrien wurde blutig niedergeschlagen und die Sammlung der Truppen unter Filangieri und einer Flotte bei Reggio bewerkstelligt, während das Parlament von Palermo nach längern Verbandlungen Ferdinand, den zweiten Sohn Karl Alberts von Sardinien, unter dem Namen Karl Amadeus 11. Juni zum König wählte. Dies und Radetzkys Siege in Oberitalien bewirkten, daß in der Umgebung des Königs die Reaktionspartei völlig die Oberhand gewann.
Während das neapolit. Parlament vertagt wurde (5. Sept.), begann die Beschießung Messinas, das Filangieri, der 6. Sept. über den Faro gegangen war, überwältigte und niederbrannte, um dann gegen Palermo vorzudringen. Als sich die Insel von Sardinien, England und Frankreich im Stich gelassen sah, löste sich das Parlament auf, und die Unabhängigkeitsregierung legte ihre Gewalt in die Hand des Municipalrats nieder. Dieser vereinbarte 9. Mai mit Filangieri die Unterwerfung auf Bedingungen, die Ferdinand nicht erfüllte. Selbst Filangieri, welcher trotzdem die Statthalterschaft übernahm, ward 1854 entfernt, als er die Insel durch Milde zu gewinnen suchte. Indessen war die ergänzte neapolit. Kammer auf den einberufen, ihren Beschlüssen aber die Bestätigung verweigert worden, worauf sie aufgelöst wurde. Ein Teil der Abgeordneten floh; gegen die Gebliebenen und sonstige Mißliebige begann das alte Spiel gerichtlicher Scheinverhandlungen; furchtbar waren besonders zwei Riesenprozesse gegen die angeblichen Anstifter der Unruhen vom und die Mitglieder des Einheitsbundes. Die Macht der Polizei wurde durch Einsetzung von Überwachungs-, sog. Skrutiniumskommissionen außerordentlich erweitert; das Ausland meinte man durch Hinweis auf die milden Gesetze, Begnadigungen und ¶
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menschlichen Vorschriften für die Gefängnisse zu täuschen. Thatsächlich herrschte schamlose Willkür und Grausamkeit unter der fanatischen und habgierigen Richter- und Beamtenschaft. Dieselbe Verderbtheit durchzog das Zoll- und Steuerwesen wie die Verwaltung; das Ausland suchte man über den Stand der Finanzen durch amtliche Lügen irrezuführen. Diesem aber öffnete Gladstone die Augen. Das schon vorher gespannte Verhältnis zu England verschlimmerte sich hierdurch und noch mehr durch die russenfreundliche Haltung Neapels während des Krimkrieges.
Diese veranlaßte auch Napoleon, Cavours Klagen gegen Neapel auf dem Pariser Kongreß von 1856 zur Erörterung zu bringen. Napoleon ging auf diese Beschwerden Sardiniens um so bereitwilliger ein, als eine wenn auch nicht starke Partei in Unteritalien Umtriebe für Lucien Murat machte. Da Ferdinand den Vorstellungen Englands und Frankreichs Gehör [* 37] verweigerte, wurden die Gesandten abberufen; der König schiffte 1857 eine größere Anzahl der polit. Sträflinge nach Amerika [* 38] ein, die aber nach England entkamen, wo sie mit Begeisterung aufgenommen wurden; im übrigen jedoch schien er, gestützt auf die Ostmächte, der Entrüstung Europas, welche Cavour und die Flüchtlinge unabhängig schürten, ungestraft zu trotzen. Allein während neue Unruhen, zuerst die Erhebung Bentivegnas in S. (1856), dann der Angriff des Soldaten Milano auf Ferdinand, endlich der von Mazzini angestiftete Zug Pisacanes nach Sapri, schreckliche Explosionen in Neapel und ein furchtbares Erdbeben (Dez. 1857) in der Gegend östlich von Palermo das Königreich heimsuchten, griff die Fäulnis im Beamtentum und Heer immer mehr um sich. So war der Staat reif zum Zusammenbruch, als Ferdinand an den Folgen der ihm von Milano beigebrachten Wunde starb.
Seinem Sohne Franz II. (s. d.) fehlte die Erfahrung wie Thatkraft und die Zähigkeit, um des Vaters Platz auszufüllen. Zudem verlor er seine festeste Stütze, die Schweizerregimenter, welchen ihre Kantone, des Schimpfes endlich satt, ihren Schutz entzogen und die sich nun unter Meuterei auflösten. Da Frankreich und England, deren Gesandte nach Ferdinands Tod zurückgekehrt waren, sich gegenseitig an einer Einmischung in Unteritalien und S. verhinderten, sah sich Cavour durch Franz' II. Zurückweisung in die Notlage versetzt, einen Angriff der durch die Abtretung von Savoyen und Nizza [* 39] gegen ihn erbitterten Bewegungspartei auf S. Vorschub zu leisten, damit sie sich nicht gegen ihn selbst wende. So konnte Garibaldi (s. d.) seinen berühmten Zug der Tausend unternehmen. Am in Marsala gelandet, entriß er ganz S. bis zum 28. Juli den Neapolitanern.
Franz suchte zu spät Rückhalt an Victor Emanuel, ward aber von Cavour nur hingehalten. Gleichzeitig hatte er die Verfassung von 1848 wieder in Kraft [* 40] gesetzt; aber das Land glaubte den Bourbonen nicht mehr. Garibaldi, glücklich nach Calabrien übergesetzt, fand weder bei den Truppen noch von seiten der Behörden nennenswerten Widerstand; das Land begrüßte ihn als Erlöser. So konnte er schon 7. Sept. in Neapel einziehen, von wo Franz nach Gaeta geflohen war. Während der Diktator Garibaldi, immer mehr in die Hände seiner republikanischen Umgebung geraten, die Einrichtung einer geordneten Verwaltung in S. und Unteritalien unter den von ihm ernannten Prodiktatoren Mordini und Pallavicino durch unmittelbare Verfügungen störte und die Angliederung des unter Victor Emanuels Namen gewonnenen Landes an dessen Reich hinausschieben wollte, bis auch Rom und Venetien genommen sein würden, leistete der Rest von Truppen, der Franz geblieben, am Volturno Garibaldis weiterm Vordringen tapfer Widerstand. So sahen sich Cavour und Victor Emanuel gezwungen, selbst einzugreifen, um Garibaldi vor seinen Freunden wie vor seinen Feinden zu retten.
Trotz Österreichs drohender Haltung rückte Victor Emanuel durch den Kirchenstaat, in dem Lamoricière nur kurzen Widerstand leistete, nach der neapolit. Grenze, die er ohne Kriegserklärung überschritt, wie er erklärte, um die freie Abstimmung des Südens zu schützen. Diese fand 21. Okt. statt und ergab in Neapel und S. 1302074 und 432053 Stimmen für unmittelbare Eingliederung in Victor Emanuels Reich, gegenüber 10312 und 667 republikanisch-partikularistischen und bourbonischen Stimmen.
Willig beugte sich Garibaldi der Erklärung des Landes für den König, an dessen Seite er 26. Okt. in Neapel einzog. Nachdem Capua 2. Nov. von den Piemontesen und Garibaldinern genommen war, besuchte Victor Emanuel Palermo und nahm Besitz von dem Lande. Franz, eine Zeit lang noch von der franz. Flotte geschützt, dann auch von dieser verlassen, mußte nach tapferer Gegenwehr Gaeta räumen; bald darauf fielen auch die Citadelle von Messina (12. März) und zuletzt die Bergfeste Civitella del Tronto, die sich noch für ihn gehalten. Schon vorher war, ungeachtet der Einsprachen des Bourbonen, die Einverleibung des Landes in das Königreich Italien vom ersten ital. Parlament beschlossen und von Victor Emanuel bestätigt worden. Doch hatte die ital. Regierung noch einen schweren Kampf mit dem von Franz II. und von den Ultramontanen Frankreichs und Belgiens unterstützten Brigantentum, und daß die Folgen span. und bourbon. Mißwirtschaft noch keineswegs gehoben sind, zeigt das Fortwuchern der Camorra (s. d.) und Mafia (s. d.).
Litteratur. Giannone, Storia civile del regno di Napoli (4 Bde., Neap. 1723; Mail. 1824 u. ö.);
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