Wassertiefen begrenzen, auf einzelnen
Plänen großen Maßstabes auch noch Zwischenlinien.
Die 10 m-Tiefenlinie, die sog. 10 m-Grenze,
bezeichnet die Grenzlinie, bis zu der große Schiffe
[* 2] ein Fahrwasser bei jedem Wasserstande der Gezeiten benutzen können.
An den Flußmündungen und im Wattenmeer sind die S. durch
Ablagerungen, durch Verschiebungen (von der Kraft
[* 3] der Strömungen oder heftiger
Stürme) häufigen, zuweilen sogar plötzlichen Änderungen ausgesetzt.
Diese Umstände bedingen
fortwährende Überwachung und Neuvermessung der Küstenfahrwasser solcher Gegenden und Korrektur der S. auf den Seekarten.
(Cataracta zonularis), eine angeborene oder in den ersten Lebensjahren erworbene Form des
GrauenStars (s.
Star), bei welcher der durchsichtige Linsenkern von einer mehr oder weniger dicken Schicht trüber
Linsensubstanz umgeben ist, auf die nach außen hin wieder durchsichtige Schichten folgen.
Die durch den S. bedingte Sehstörung
erfordert eine operative Behandlung und zwar bei kleinem Durchmesser der trüben Schicht eine
Iridektomie (s. d.), bei größerm
Durchmesser die Beseitigung der ganzen Linse.
[* 5]
Stratifikation, in der Geologie
[* 6] die Erscheinung, daß die Sedimente (s. d.)
in Form von mehr oder minder mächtigen, d. h. dicken, von parallelen ebenen
Flächen begrenzten und ursprünglich horizontal
gelagerten Platten (Schichten) auftreten. Bei der
Ablagerung der Sedimente erhält eine Schicht ihren
Abschluß nach oben entweder
durch eine Änderung des Materials oder durch eine Pause in der Zufuhr des Materials. Wo Schichten ungestört
übereinander liegen, da ist notwendig jede obere Schicht jünger als irgend eine untere; man kann deshalb aus ihrer gegenseitigen
Lage ihr relatives
Alter bestimmen, worauf auch ursprünglich und zum
Teil noch jetzt die Feststellung des relativen
Alters aller
sedimentären Formationen beruht. Hat eine
Aufrichtung (s. d.) der Schichten stattgefunden, dann bestimmt
man ihre
Stellung durch Angabe von
Streichen und Fallen
[* 7] (s. d.).
Das
Bild brachte ihm
Anerkennung und eine Reihe von
Aufträgen für Bildnisse, von welchen einige aus der Familie W. von
Humboldts,
in dessen Hause zu
Rom er heimisch geworden war, hervorragen. Sein Hauptwerk
wurde jedochApollon
[* 13] unter
den Hirten (1807;
Galerie zu
Stuttgart). Nach der Gemäldeausstellung von 1809 auf dem
Kapitol überreichten ihm ital. und franz.
Künstlerdeputationen den Preis und die Ehrenkrone. Im Herbst 1811 in die
Heimat zurückgekehrt, starb er schon in
seiner Vaterstadt. –
Vgl. Haakh, Beiträge aus
Württemberg
[* 14] zur neuern deutschen Kunstgeschichte (Stuttg.
1863).
Margarete Luise, Sängerin, geborene Hamel, geb. zu Mainz,
[* 15] gest. in
Berlin,
[* 16] ist neben der
Mara eine der ersten Frauen, welche in der Zeit der ital. Musikherrschaft deutsche Gesangskunst
zu Ehren brachten. In
Berlin wirkte sie seit 1794, besonders in Gluckschen Rollen
[* 17] bewundert.
alles, was dem
Menschen ohne sein Zuthun begegnet, namentlich wofern es in sein Leben tief und erschütternd
eingreift.
Leicht verbindet sich mit dem Worte die
Vorstellung einer unentfliehbaren, blinden, gegen unser Wohl und
Wehe gleichgültigen
Macht, der wir willenlos unterworfen wären. In dieser Bedeutung ist der
Begriff des S. (lat. fatum, griech.
heimarménē) namentlich den Alten geläufig, bei denen es sich vielfach steigert bis zu dem
Glauben an eine
Vorherbestimmung
einzelner Begebenheiten, denen man nicht entrinnen könne, selbst wenn man sie voraussehe und alles thue, sie zu vermeiden.
(S. Fatum.)
eine
Tragödie, die das tragische
Leid des
Helden auf die Einwirkung einer höhern
göttlichen Macht baut. In diesem
Sinne ist die gesamte
Tragik der Alten
S., und die berühmteste S. ist
Sophokles’ «König
Ödipus».
Bei den Alten war die S. vollkommen berechtigt, da sie mit dem Schicksalsglauben der griech.
Religion zusammenhing. Eine Verirrung dagegen ist es, wenn einzelne neuere Dichter versuchen, die
tragischen Motive von einer unentrinnbaren äußern geheimnisvollen Macht abzuleiten; denn unserm
Denken fehlt für Motive
dieser Art aller
Anhalt.
[* 18]
Schiller hat in der
«Braut von Messina»
[* 19] zu dieser mißverstandenen Nachahmung der
Antike den Anstoß gegeben; Müllner, Zach.
Werner, Houwald haben die Schicksalsidee zur Karikatur verzerrt. Platen zog in der «Verhängnisvollen
Gabel» glänzend dagegen zu Felde. Die bekannteste deutsche S. ist Grillparzers
«Ahnfrau». O.
Ludwigs «Erbförster» nähert
sich derartigen Schicksalsmotiven nur scheinbar. –
Vgl. Minor, Die S. in ihren Hauptvertretern (Frankf. 1883);
Aug.,Pädagog und Schriftsteller im Handelsfach, geb. zu
Straßburg
[* 21] i.
Els., studierte anfangs
Medizin
und wurde dann
Kaufmann. 1817‒19 leitete er ein von ihm gegründetes Handelslehrinstitut in
Frankfurt
[* 22] a. M. Seit 1831 war
er Direktor der neu gegründeten Öffentlichen Handelslehranstalt in
Leipzig,
[* 23] die er bis 1850 leitete
und zu einer Musteranstalt machte. Er starb S. darf mit
Büsch (s. d.) als Schöpfer der Handelswissenschaften
bezeichnet werden und bildete namentlich die technische Seite derselben aus in zahlreichen Lehrbüchern, die später meist
von Odermann (s. d.) bearbeitet wurden: «Die
Lehre
[* 24] von den Wechselbriefen» (Lpz. 1818; 4. Aufl.
von H.
Brentano, 1877),
«Die Lehre von der Buchhal- tung» (Lpz. 1836; 13. Aufl. 1891),
«Auswahl deut- scher Zandelsbriefe» (ebd. 1837; 10. Aufl.
1894). Schiebebrücken, soviel wie Rollbrücken (s. d.).
Schiebebühnen, s. Eisenbahnbau(Vd.5,S.841^). Schiebeleitern, s. Feuerleitern. Schieber, eine Absperrvorrichtung
für Flüssig- keilen, Gase,
[* 27] Dämpfe, körnige oder pulverförmige Materialien, bei welcher der Abschluß durch eine verschiebbare
Ebene bedeckt wird. Der^. findet unter anderm Verwendung als Regnlierorgan bei Epeise- vorrichtungen (z. B.
vieler Zerkleinerungsmaschi- nen), als Rauchschieber zur Regulierung des Zuges im Schornstein einer Feucrungsanlage,
bei Mo- toren, besonders der Dampfmaschine,
[* 28] als Steue- rungsteil u. s. w. Vollkommener als
der S. ar- beitet in vielen Fällen das Ventil
[* 29] (s. d.). Schiebezüge, anch Wechsclzüge
oder Dop- pelzüge, eine der größten Vervollkommnungen, die die gezogenen Vordcrladerkanonen erfuhren, bevor zur Hintcrladung
und damit zur Pres- sionsführung übergegangen wurde.
Das Princip der S. war, daß beim Laden die Fübrungsteile des Geschosses eine Zahl von weitern Zügen
bequem passierten, während sie beim Schuß eine andere Reihe von engen und genau passenden Zügen, die immer abwechselnd
zwiscken crstern Zü- gen lagen, passieren muhten; um von den einen Zügen in die andern zu gelangen,
muhte das Ge- schoß im Ladungsraum gedreht werden. Durch die S. wurde eine genanere Centrierung des Geschosses und daher größere
Trefffähigkeit erreicht.
Schiebkarren, s. Karren.
[* 30] Schiedam (spr. schihd-),Hafen und Fabrikstadt in der niederländ. Provinz Südbolland, 6 km west-
lich von Rotterdam
[* 31] (Dampftrambahn), an der Mün- dung der Schie in die Maas, zählt (1893) 25280 E., welche
hauptsächlich von der (neuerdings zurück- gehenden) Industrie der Gencverbereitung leben. Die Brennereien bereiten nur Malzwein
(Korn- branntwein, s. d.), der durch Destillation
[* 32] zu Genever (Wacholderbranntwein) verarbeitet wird.
Durch den Brennungsprozeß wird zugleich Gä'scht produziert. Diese Produkte bilden Ausfuhrartikel. Ein Abfall- produkt ist
die sog. Spülung (8p06linF), womit in der Umgegend das Vieh gefuttert wird.
Wicktig ist auch Stcarinekcrzenfabrikation und Getreidchandel. ^. ist Sitz eines deutschen Konsularagenten. Schiedsämter,
soviel wie Einigungsämter (s.d. und Gcwcrbegerichte, Bd. 7,
S. 978). Schiedseid, zugeschobener Eid, s. Eid (Bd. 5, S. 770a). Schiedsgericht, s.
Schiedsrichter.
Schiedsmann. Das Institut der S., zuerst 1827 in die Provinz Preußen, demnächst auch in andere ältere
Provinzen Preußens
[* 33] eingeführt, im Anschluß an die Reichsjustizgesetze durch das preuß. Gesetz
vom für den ganzen Umfang des Staates neu geordnet, ist in letzterm Gesetz als ein öffentliches Amt behufs der
i^ühneverwaltung über streitige Rechtsangelegcnheiten bezeichnet. In jeder Gemeinde oder in jedem Gutsbezirk
sind ein oder mehrere S. durch die Gemeindevertretung oder Gemeindeversammlung oder durch den Gutsvorstcher zu wählen. Das
Amt ist ein Ehrenamt und erfor- dert Vollendung des 30. Lebensjahres, Wohnsitz in dem Schiedsmannsbezirk und Unbescholtenheit.
- In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten findet
eine Sühneverhandlung nur über vermögcnsrecht- liche
Ansprüche auf Antrag einer oder beider Par- teien statt. Aus schiedsmännischcn Vergleichen findet die gerichtliche Zwangsvollstreckung
nach Maßgabe der Deutschen Civilprozeßordnung statt. - Bei den nur auf Antrag zu verfolgenden Beleidigungen und Körperverletzungen
ist der S. für die Sühneverhandlung, welche nach ß. 420 der Deutfchen Strafprozeßordnung der Privatklage
voraufgehen muh, die zustehende Vergleichsbehörde.
Auch in einigen andern deutschen Staaten findet sich nach preuß. Vorbild die Einrichtung der S. (S. Friedens- gerichte
und Sühne.) Schiedsrichter und Schiedsgericht. Im Privatrecht ist Schiedsrichter eine Perfon, welche dnrch Privatwillen
dazu bestellt ist, durch ihr Ur- teil, ibren Schiedsspruch, einen Rechtsstreit zu entscheiden. Die Vereinbarung,
daß ein Rechts- streit durch Schiedsspruch erledigt werden solle, heißt Schieds vertrag. Das schiedsrichterliche Verfahren
normiert die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich
[* 34] in ihrem letzten (zehnten) Buche.
Danach ist ein schiedsvertrag insoweit zulässig, als über den Streitgegenstand die Parteien einen Vergleich abzuschließen
befugt sind;
über künftige Rechtsstreitigkeiten ist ein Schiedsvertrag nur rechts- wirksam, wenn er
auf ein bestimmtes Rechtsver- bältnis und die daraus entfpringenden Rechts- streitigkeiten sich bezieht;
seine Form bestimmt
sich nach Civilrecht;
ist danach ein mündlich abge- schlossener Schiedsvertrag gültig, so kann doch jede Partei Errichtung
einer schriftlichen Urkunde über den Vertrag verlangen.
Wenn der Schiedsvertrag üdcr die Ernennung der
Schiedsrichter keine be- sondere Bestimmung enthält, so ernennt jede Par- tei einen. Steht beiden Parteien die Ernennung
von Schiedsrichtern zu, so hat die betreibende Partei dem Gegner den Schiedsrichter schriftlich mit der Aufforderung zu bezeichnen,
binnen einer einwöchigen Frist seinerseits ein Gleiches zu thun; nach fruchtlosem Ablauf
[* 35] der Frist ernennt
auf ihre Klage den Schiedsrichter das zuständige Gericht.
Aus den Gründen, welche zur Ablehnung eines Richters befugen, kann auch ein Schiedsrichter ab- gelehnt werden, außerdem auch,
wenn er ungebühr- lich die Erfüllung feiner Pflichten verzögert; ab- gelehnt können ferner werden Frauen, Minder- jährige,
Taube, Stumme und Personen, welchen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind. Ein Schiedsrichteramt
zu übernehmen ist niemand ver- pflichtet. Das Verfahren, sofern es nicht etwa im Schiedsvertrag geregelt ist, bestimmt das
freie Er- messen des Schiedsrichters; an die Regeln des Prozeßrechts ist er nicht gebunden, wie er auch bei der Beurteilung
der Sache selbst die Billigkeit walten lassen kann.
Nur hat er die Parteien zu hören, wenn nicht etwa der Schiedsvertrag auch davon entbindet. Er kann Zeugen und Sachver- ständige,
die freiwillig vor ihm aussagen, abhören, ^ aber keinen Eid abnehmen. Eine vom Schiedsrich- ter sür nötig erachtete und
zulässige Handlung, zu der nicht die Schiedsrichter, sondern nur die Ge- richte des Staates befugt sind,
ist auf Parteiantrag vom zuständigen Gericht vorzunehmen. Sind meh- rere Schiedsrichter bestellt, so entscheidet die abso-
lute Majorität, wenn nicht der Schiedsvertrag etwas anderes bestimmt; wird solche nicht erzielt,
¶
forlaufend
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so ist der Schiedsvertrag hinfällig. Der Schieds- spruch ist schriftlich abzufassen, von dem Schieds- richter zu unterschreiben,
in Ausfertigung den Par- teien zuzustellen, das Original unter Beifügung der Beurkundung der Zustellung auf der Gerichtsschrei-
berei des zuständigen Gerichts niederzulegen; er ist mit Gründen zu versehen, wenn nicht der Schieds-
vertrag etwas anderes statuiert. Der Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkung eines rechts- kräftigen gerichtlichen
Urteils; aus gesetzlich (Civil- prozeßordn. §. 867) bestimmten Gründen nur kann seine Aufhebung beim zuständigen Gericht
be- antragt werden; eine Zwangsvollstreckung indessen kann aus ihm erst stattfinden, nachdem durch staats- gerichtliches
Urteil ihre Zulässigkeit ausgesprochen ist. Wie durch Vertrag, so kann auch durch letzt- willige Verfügung,
Vercinsstatut u. s. w. ein Schieds- gericht augeordnet werden. - Eine besondere Art der
Schiedsgerichte sind die im Gewerbeverkehr vor- kommenden Einigungsämter und Gewerbe- gerichte (s. d.); bezüglich der letztern
enthält §. 108 der Deutschen Gewerbeordnung vom die nähern Bestimmungen. - Schiedsrichter,
die sich haben bestechen lassen, oder die sich einer Beugung des
[* 37] Rechts schuldig machen, werden nach ßß. 334 und 336 des
Reichsstrafgesetzbuches mit Zuchthaus bestraft. Im Staats recht ist in allen Streitfällen, in denen es an einer richterlichen
Gewalt fehlt, die Un- terwerfung unter einen schiedsrichterlichen Spruch das natürlichste und einfachste
und in vielen Fällen einzige Mittel der Veileguug, wenn es nicht zum Kriege kommen soll; daher hat das Schiedsgericht in völkerrechtlichen
und staatsrechtlichen Verhält- nissen ein besonders wichtiges Anwendungsgebiet. Im Mittelalter diente dasselbe bei dem Verfall
der Gerichtsgewalt des Kaisers zur Abwendung der Fehde; die Landfriedensgefetze machten es den Für- sten,
Herren und Korporationen zur Pflicht, für eine bestimmte Zeit und innerhalb eines gewissen Ge- bietes auf alle Selbsthilfe
zu verzichten und ihre Streitigkeiten vor Korrichtern oder Schiedsrichtern auszutragen.
Die Zusammensetzung des Schieds- gerichts war öfters im Landfrieden bestimmt, und man pflegte dann das Schiedsgericht
selbst als den Landfrieden zu bezeichnen. Der Ewige Landfriede von 1495 machte die schiedsrichterliche Austragung den Reichsunmittelbaren
zur verfassungsmäßigen Pflicht und schuf dadurch eine wirkliche Austrägal- instanz (s. Austrägalgericht) an Stelle von
ordent- lichen Reichsgerichten. Auch die Deutsche Vundes- akte, welche jede gewaltthätige Selbsthilfe unter den deutschen
Vundcsstaaten verbot, verpflichtete die- selben, ihre staatsrechtlichen Streitigkeiten vor der sog. Bundesausträ'galinstanz
zu erledigen, und ebenso sind im jetzigen DeutschenReiche die Einzel- staaten verfassungsmäßig verpflichtet, ihre Streitig-
keiten gütlich auszugleichen und sich nötigenfalls zu diesem Zweck an den Bundesrat zu wenden (Reichs- verfassung Art. 76,
Abs. 1). Auch für Verfassungs- streitigkeiten zwischen der Regierung und den Land- ständen eines deutschen
Staates wurde durch einen Bundesbeschluß von 1834 ein Bundesschiedsgericht eingeführt, von dieser Einrichtung aber niemals
cin praktischer Gebrauch gemacht.
Gegenwärtig ist zur Ausgleichung solcher Streitigkeiten nach Reichs- versassung Art. 76, Abs. 2 das Reich zuständig. Der Austrag
völkerrechtlicher Streitigkeiten durch Schiedsgerichte war schon dem Altertum ge- läufig. Bei den Griechen
übertrug
man die Ent- scheidung einem dritten Staate, wie die Athener und Megarer in ihrem Streit über Salamis an Sparta, welches
dann eine Kommission von fünf Spartiaten damit beauftragte, oder einem ange- sehenen Bürger eines dritten Staates, wie Perian-
der einen Streit zwischen Athen
[* 38] und Mytilene über das Sigeische Vorgebirge, und Themistokles einen Streit
zwischen Korinth
[* 39] und Kerkyra über das Vor- gebirge Leukas entschied.
In dem Streit derselben Städte über die Pflanzstadt Epidamnos, der den Peleponnesischen Krieg herbeiführte, erboten sich
die Kerkyräer vergeblich, die Entscheidung dem Delphi- schen Orakel zu überlassen. (Vgl. Schömann, Griech.
Altertümer, II, 3. Aufl., Bert. 1873, S. 5 fg.) Bei den Römern entschieden die gemischten Gerichte der N6cup6i'iU0i-68 ebensowohl
über Ansprüche von Staat gegen Staat, wie von Angehörigen verschie- dener Staaten gegeneinander.
In der Zerklüftung des mittelalterlichen Lehnstaates liefen Völker- und staatsrechtliche Schiedsgerichte ohne scharfe Schei-
dung ineinander. Nur in den ruhelosen Macht- kämpfen des 16. bis 18. Jahrh, waren die völker- rechtlichen
Schiedsgerichte nahezu verschollen, und so erklärt es sich, daß sie mehr wohlmeinend als ein- sichtig seit der Mitte dieses
Jahrhunderts als ein ganz neues Universalheilmittel gegen den Krieg empfohlen wurden. (S. Friedensfreunde.) Daß die Schiedsgerichte
diese Wirkung nicht haben kön- nen, ist ohne weiteres klar, wenn man davon aus- geht, daß sie nach Nechtssätzen entscheiden
sollten.
Denn zu solcher Entscheidung ist nur eine der drei Arten völkerrechtlicher Ansprüche geeignet, die einen zulässigen Kriegsgrund
(s. d.) abgeben, und in die- sem Kreise
[* 40] bewegen sich ausnahmslos alle aus dem Altertum angeführten Fälle
eines Schiedsgerichts und alle Beispiele desselben aus neuester Zeit. Von allen großen Kriegen der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts ist aber keiner über solche Ansprüche entstanden. Nach welchen Rechtssätzen hätte z. B. 1853 und 1877 entschieden
werden sollen, ob die Forderung begründet sei, daß die Pforte sich einer oder allen Großmächten gegenüber
bezüglich der Be- handlung ihrer christl. Unterthanen vertragsmäßig binde? In vielen Fällen können
dritte Mächte durch Intervention (s. d.) eingreifen, aber auch dieses Mittel versagt, wenn es sich um tiefgreifende geschichtliche
Gegensätze handelt.
Auch der völkerrechtliche Schieds- spruch setzt einen Vertrag der streitenden Teile über den Gegenstand
der Entscheidung und die Stellung des oder der Schiedsgerichte voraus, mit etwa über Ort und Zeit getroffenen Nebenbestimmungen.
Es kann auch, wie im Vertrage von Washington
[* 41] zwischen England und den Vereinigten
[* 42] Staa- ten über den sog. Alabamastreit
(s. Alabamafrage), eine bestimmte Fassung der einschlagenden Rechts- sätze vereinbart werden, wie sie
von den Beteiligten als gültig anerkannt werden und das Schiedsgericht binden sollen.
In der Besetzung des Schiedsgerichts wiederholen sich noch immer die schon im Altertum üblich gewesenen Gestaltungen. Am häufigsten
ist die Übertragung des Schiedsspruchs an das Ober- haupt eines monarchischen oder den höchsten Beam- ten eines
republikanischen Staates und zwar so, daß diese in eigenem Namen, wenn auch mit dem erforderlichen Beirat, entscheiden. So
wurden Schiedssprüche zwischen England und Portugal
[* 43] über ihre afrik. Gebietsgrenzen und über die Dela- goabai von den Präsidenten
der franz. Republik i Thiers und Mac-Mahon gefällt. In demSan¶
forlaufend
425
Juan-Streite zwischen England und den Vereinig- I ten Staaten erließ der Deutsche Kaiser den Schiedsspruch. Auch
Angebörige eines dritten Staates, Gesandte, Rechtsgelehrte, Richter sind wiederholt zu Schiedsrichtern bestellt worden. Die
im Mittelalter oft angerufene religiöse Autori- tät des Papstes ist auch neuerdings um den Sckieds- spruch
zwischen Deutschland
[* 45] und Spanien üder die Karolinen 1885 angegangen worden. Den ro'm. 156cup6i-atm-68 entsprechen die manchmal,
besonders von England und den Vereinigten Staaten, bestellten schiedsrichterlichen Kommissionen aus Angebörigen beider Staaten,
jedoch mit einem Obmann aus einem dritten Staate. (Vgl. Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts, IV, Verl. 1888, S. 30 fg.)
Ganz eigen- tümlich war das durch den Vertrag von Wasbington von Italien,
[* 46] Brasilien
[* 47] und der Schweiz
[* 48] hatten
je einen Schiedsrichter zu ernennen, welche mit je einem von beiden Streitteilen Bestellten vereinigt das Schiedsgericht
bilden sollten; und zwar batte dies auf Grund einer durch Denkschriften vorberei- teten mündlich kontradiktorischen Verbandlung
zu erkennen, als deren Ort Genf
[* 49] bestimmt war. -
Vgl. Lindheimer, Das Schiedsgericht im modernen Civil- prozeß
(2. Aufl., Wien
[* 50] 1894). -
Über Schiedsrichter bei Truppenübungen s. Manöver. Schiedsspruch, s. Schiedsrichter. Schiedsvertrag.
Alle Differenzen, welcke zwi- scben den Streitenden durch einen Vertrag ausge- glichen werden können (auch Ehrenbändel; Streit,
wer Sieger im Wettkampf sei; vermögensrccktlicke und völkerrechtliche Differenzen), können so ausge-
tragen werden, daß sich Parteien von vornberein oder nach Ausbruch der Differenz der Entscheidung eines oder mehrerer Schiedsrichter,
event, eines von diesen zu wählenden Obmanns durch einen S. unterwerfen. (S. Schiedsrichter.) Über den Unter- schied des
S. vom Vertrag auf den Ausspruch von Arbitratoren s. Arbitrium.
Schiefblatt, Pflanze, s. L^onia. Schiefe
[* 51] Ebene, eine zur Horizontalebene ge- neigte Ebene. Liegt ein schwerer Körper auf einer
solchen geneigten Ebene, so kann man sich dessen Gewicht in zwei Komponenten zerlegt denken, wovon die eine als Druck senkrecht
gegen die Fläcke wirksam bleibt, die andere aber ein Hinabgleiten des Kör- pers längs der Fläche zu
erzeugen strebt, dem sich nur die Reibung
[* 52] entgegensetzt. Von der Größe des Winkels, den die S. E. mit der horizontalen einschließt,
hängt die verhältnismäßige Größe der beiden erwähnten Kräfte ab. Es genügt, die längs der Ebene wirksame Kraft,
die kleiner ist als das Gewicht, durch eine Gegenkraft aufzuheben, um den schweren Körper im Gleichgewicht
[* 53] zu balten; eine etwas größere Gegenkraft führt den Körper sogar aufwärts.
Hieraus ergiebt sich der praktische Vor- teil der S. E. Man nennt in der Mechanik jede all- gemeine Vorrichtung, an der ein
oder mehrere Kräfte schief gegen eine glatte Ebene wirken, eine S. E. und zählt dieselbe zu den sog.
einfachen Ma- schinen. (S. Maschine.)
[* 54] In der praktischen Me- chanik wird die S. E. vielfach zur Hcrvorbringuug von Bewegungen
sowie zur Ausübung von Druck augewendet; dies geschieht meist in der Weise, daß man sie als Keil (s. d.)
oder als Sckraube (s. d.) ausführt. Da bei einem auf einer S. E. herab- rolleuden Körper in jedem Augenblick derselbe Bruchteil
der Schwerkraft in der Bewegungsrich- tung
wirkt, so ist die Bewegung als ein verzögerter Fall zu betrachten.
Bei Kanälen sind die S. E. oder geneigten Ebenen Vorrichtungen, durch welche Schiffe zwischen zwei Kanalbaltungen
mittels Vabnen befördert wl'l- den. Nuben sie dabei, wie bei den Schiffseisenbahnen, unmittelbar auf Wagen, auf die das fchwimmende
Schiff
[* 55] fäbrt und die dann in die untere Kanal- baltung binuutcrrollen oder in die obere hinaufge- zogen werden, dann muß
in dieser das Schiff dadurch zum Schwimmen gebracht werden, daß die S. E. böher als die obere Kanalhaltung
geführt wird und dann von dem so gebildeten Eckeitel in sie hinab- reicht, oder dadurch, daß die S. E. in eine leere Schleusenkammer
vor der obern Haltung mündet, die aus dieser nach Schluß des Unterthores gefüllt wird, so 1788 bei
Ketley sowie Coalsport in Eng- land, 1825 beim Moriskanal und seit 1844 beim Elbing-OberländischenKanal
[* 56] (s. d.), der seit
den neuesten Umbauten 99,4? m Höhe durch 5 S. E. überwindet.
Gelangt das Schiff in einen wasser- gefüllten Kasten (cNi38on) mit beiderseitigen Ab- schlußtboren, so wird dieser auf
Rollen binunter und hinauf bewegt, und es ist nur die Öffnung eines seiner Tbore und des anstoßenden
der betreffen- den Kanalhaltung nötig, um das Schiff in dieser schwimmen zu lassen (Monklandkanal in der Nähe von Glasgow
[* 57] und Dodge- oder Georgetown-Schleuse des Cbesapeake-Ohio-Kanals bei Washington). Eine von der franz. Gefellfchaft A. Hallier
und I. Dietz- Mounin für den geplanten Donau-Oder-Kanal projektierte S. E. soll mit 1100 in Länge 43,5 m Höbe überwinden
und zwei Schienenstränge tragen, auf deren einem sich auf 168 Nädern ein wasserge- fülltcr Kasten von 65,5 in Länge und
8,0 m abwärts und auf deren anderm sich ein ebensolcher, von jenem gezogen, aufwärts bewegt. Die Hinaufbe-
förderung des einen und event, gleichzeitig die Hinab- beförderung eines andern soll dabei nur 30 Minuten erfordern. -
über die S. E. im Eifenbahnwesen s. Seilebcnen.
Schiefelbein, Stadt, s. Schivelbein. Schiefendfläche, s. Pinakoid. Schiefer, Bezeichnung eines in dünnen, ebenen Platten brechenden
Gesteins, das diese Eigenschaft wesentlich dem Umstände verdankt, daß darin blätt- chenförmige oder
lamellare Mineralpartikel (ins- besondere glimmerigcr Natur) parallel gelagert sind. Man unterscheidet Glimmerschiefer, Quarzschiefer,
Thonfchiefer, Mcrgelschiefer, Kalkfchiefer, Horn- blendefchiefer u. s. w., die sich zum Teil zum Dach- decken (s. Tackschiefer),
zu Plattformen, Fußböden, Altanen u. s. w. sowie zu Schrcibtafeln eignen.
Dacksckiefer sind vorzüglich gewisse dunkle, eben- sckieferige, leicht spaltbare, im ThüringerWalde,
im Erzgebirge bei Lößnitz, am Harz, in den westfäl. Nheingegendcn, in den Ardennen, Wales u. s. w. vorkommende Varietäten
des Thonschiefers (s. d.). Kalksckiefer wird namentlich in der GrafschaftPap- penheim und im franz. Tepart. Aveyron bei Con-
flans, sckieferiger Zechstein im Mansfeldifchen, Sandsteinschiefer am ^olling bei Holzminden, schie-
fcrigplattiger Phonolith im Velay und in der Auvergne, Glimmer- und Quarzschicfer in den Alpen,
[* 58] in Norwegen
[* 59] und Schweden zum Dachdecken
angewendet. Ein guter Dachschiefer muß sich leicht ! in dünne große Platten spalten lassen, darf das i Wasser nicht zu
stark einsaugen, muß frei von ! fremdartigen Einmengungen, die seine
¶
mehr
rung herbeiführen, und hinlänglich fest und spröde, auch feuerfest sein. Der Dachschiefer wird erst in großen Blöcken
und mächtigen Platten gebrochen, darauf in passende Stücke geteilt und mit breiten dünnen Meißeln in Dachsteine von erforderlicher
Dicke gespalten, die nachher auf scharfkantigen Ambossen viereckig geschlagen, von dem Schieferdecker aber gelocht werden.
Zu Schieferstiften (s. d.) dient der Griffelschiefer (s. d.).
Zu Schiefertafeln (s. d.) werden sehr reine, harte und schwarze Abänderungen
des Thonschiefers verarbeitet, und in dieser Hinsicht sind besonders die Brüche bei Lehesten, bei Probstzella und Gräfenthal
im Saalfeldischen (der Kulmformation angehörig) u. s. w. bekannt. Man spaltet zu diesem
Behufe den S. in dünne Tafeln, schabt diese mit einem Schabeisen, schleift sie mit Sand und poliert sie
mit Tripel oder Bimsstein und Kohlenstaub, worauf sie in Rahmen gefaßt werden. – Über dieBituminösen Schiefer s. d. und die
Einzelartikel Brandschiefer, Kupferschiefer, Ölschiefer, Papierkohle.
künstliche Schiefertafeln, die aus dünner, glatter Pappe oder festem Schreibpapier durch beiderseitigen
dreifachen Anstrich (erst schwarze Ölfarbe, die nach dem Trocknen mit Bimsstein geschliffen wird, dann Kienruß, in Leinölfirnis
abgerieben und nach dem Trocknen gleichfalls geschliffen, endlich die nämliche Ölfarbe, mit Terpentinöl verdünnt
und mit Kienruß und Bimssteinpulver versetzt) hergestellt werden. Vor den eigentlichen Schiefertafeln hat das S. den Vorzug
dunklerer Färbung, wodurch die Striche des Schieferstifts deutlicher sichtbar werden, sowie den derBiegsamkeit, größern Leichtigkeit
und geringern Zerbrechlichkeit. Die Schrift läßt sich darauf ebenso wie auf dem Schiefer mit einem nassen Schwamm
auslöschen.
in Stangen oder Stäbchenform geschnittener Griffelschiefer (s. d.) zum Schreiben
auf Schiefertafeln. Früher geschah die Herstellung der S. ausschließlich durch Handarbeit. Der bis zur Verarbeitung durch
Aufbewahrung in Kellern feucht erhaltene Stein wurde zuerst gespalten, dann mit dem Schabmeißel geschabt und abgeschliffen,
wobei man sich mit dem Abstumpfen der Kanten der prismatischen Stücke begnügte. In neuerer Zeit werden
Maschinen benutzt, mit welchen die Platten zunächst in prismatische Stücke zersägt, dann gespalten und die so erhaltenen
Stäbchen, nachdem die Kanten mittels des Schabmeißels bestoßen sind, mehrmals durch eine mit Löchern versehene Scheibe
hindurchgetrieben werden und so eine vollkommene Abrundung und Glätte erhalten. Die besten S. kommen
aus den südöstl. Gegenden des ThüringerWaldes.
Schreibtafeln, welche aus dem besonders im Harz, in Thüringen, Hessen-Nassau
[* 63] und bei Koblenz
[* 64] gebrochenen
Thonschiefer,
dessen grauschwarze Farbe von beigemengter Kohle herrührt, durch Spalten, Abschleifen und Einfassen mit einem
Holzrahmen hergestellt werden. – Über künstliche S. s. Schieferpapier.
Sie ist meist das Erzeugnis einer
andauernden und intensiven Druckwirkung auf die Gesteine und steht deshalb mit dem Prozeß der Gebirgsbildung
[* 67] durch
seitlichen Schub in inniger Beziehung.
Manche Eruptivgesteine (z. B. Phonolith) nehmen bei ihrer Erstarrung eine Art S. an.
FranzAnt., Sprachforscher, geb. 6. (18.) Juli 1817 zu Reval,
[* 71] studierte zu Petersburg
[* 72] die Rechte, widmete sich dann in Berlin vorzugsweise philol. und, nach Petersburg zurückgekehrt, seit 1846 orient. Studien.
Er war eine Reihe von Jahren Gymnasiallehrer in Petersburg und wurde 1852 Mitglied der Akademie, an welcher er seit 1863 auch
die Stelle eines Bibliothekars bekleidete. Er starb 4. (16.) Nov. 1879 in Petersburg. S. war ein Kenner
der großen mongol., turktatar., uralisch-finn. Sprachfamilien sowie der kaukas. und tibet.
Sprachen. Außer zahlreichen Beiträgen zum «Bulletin» der PetersburgerAkademie gehören hierher die Ausgabe von Târanâthas
«Geschichte des Buddhismus in Indien» (Text, Petersb. 1868; deutsche Übersetzung 1869); ferner «Ergänzungen und
Berichtigungen zu Schmidts Ausgabe des Dsanglun» (ebd. 1852). Ein ganz neues Gebiet der Sprachforschung haben S.sArbeiten über
die kaukas. Sprachen eröffnet; sie beruhen zumeist auf den in russ. Sprache
[* 73] autographierten und nicht in den Buchhandel gekommenen
Grammatiken des Barons von Uslar (s. d.). 1853–56 gab er im Auftrage der AkademieCastréns (s. d.) «Nordische
Reisen und Forschungen» heraus. Auch verfaßte S. eine deutsche Übersetzung des finn. Nationalepos «Kalevala»
(Helsingf. 1852) und eine rhythmische Bearbeitung der «Heldensagen der minussinschen Tataren» (Petersb. 1859). –
Schiefheit, die Rückgratsverkrümmungen, besonders die nach der Seite, die von den ÄrztenSchlangenkrümmungen
oder Skoliosen genannt werden und die stets in Form eines lat. S stattfinden, da der Ausbiegung
nach rechts immer eine tiefer unten befindliche Kompensationskrümmung nach links entspricht, und umgekehrt. Diese Wirbelsäulenkrümmungen
entstehen teils aus wirklichen organischen Leiden
[* 74] der Wirbelknochen, so namentlich häufig im Jugendalter
die winklige Knickung der Wirbelsäule (meist nach vorn als Kyphosis, Auswachsen, Buckel, Buckeligsein) im Gefolge von Entzündung,
Vereiterung und Zerstörung der Wirbelkörper (s. Wirbelsäule). In andern Fällen sind Krankheiten der Muskeln
[* 75] oder Bänder
der Wirbelsäule schuld an dem Krummwerden, in noch andern eine Unmöglichkeit, das Gleichgewicht des Körpers
anders als durch eine schiefe Rückenhaltung zu behaupten: z. B. wenn
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mehr
jemand immer eine schwere Last auf einem Arme trägt, wie manche Kindermädchen ihren Pflegling, oder wenn der eine Fuß zu
kurz, verbogen, steif oder beim Auftreten schmerzhaft ist. In den allermeisten Fällen aber ist das S. (die Wirbelsäulenverkrümmung)
eine Folge von schlechter Körperhaltung, von einer aus Bequemlichkeit oder Schwäche angenommenen falschen
Richtung der Wirbelsäule. Diese sog. Gewohnheitsskoliose, auch unter dem Namenhohe Schulter bekannt, findet sich am häufigsten
bei Kindern, die auf einem Beine (meist dem linken) zu stehen lieben, und bei jungen Mädchen, die im Sitzen, beim Schreiben,
Nähen, Sticken u. s. w. aus Ermüdung die linke Seite einsinken lassen und die rechte hinauskrümmen.
Solche Kinder sind zugleich auch meistens muskelschwach, blutarm, bleichsüchtig und stubensiech. Je jünger die Kinder sind,
um so ungünstiger wirken die angeführten Schädlichkeiten ein. Die Verhütung dieser Verkrümmungen ist weit mehr Sache
der Erzieher und Eltern als der Ärzte. Vor allen Dingen muß das Kind täglich und stündlich zu Hause
und in der Schule nicht nur erinnert werden, die richtige Korperhaltung einzunehmen, sondern auch häufig mittels Drücken
auf Schulterblatt, Rippen u. s. w. in die richtige Stellung gebracht werden.
Von besonderer Wichtigkeit für die Verhütung der Skoliosen ist die Beschaffung zweckmäßiger Schulbänke, durch die eine
richtige Haltung des sitzenden und schreibenden Kindes erstrebt wird. (S. Schulhygieine.) Zur Heilung der
seitlichen Rückgratsverkrümmungen sind zweckmäßige und lange Zeit hindurch fortgesetzte gymnastische Übungen ganz unerläßlich
(s. Heilgymnastik); bedeutendere Wirbelsäulenkrümmungen sind den orthopäd. Heilanstalten (s.
Orthopädie) zuzuweisen, oder erfordern das Tragen genau angepaßter künstlicher Stützapparate, unter denen der Geradehalter
von Bouvier, der Bühringsche Apparat, die Nyropsche Maschine und das Gipskorsett am wirksamsten sind.
Sehr gute Erfolge sieht man auch von der länger fortgesetzten methodischen Massage der Rückenmuskeln. Auch die für unheilbar
erkannten Fülle bedürfen noch einer dauernden ärztlichen und gymnastischen Behandlung und Aufsicht. –
[* 76] (Strabismus), diejenige fehlerhafte Stellung der Augen, bei der nur ein Auge
[* 78] central fixierend auf das Gesichtsobjekt
eingestellt ist, während das andere in irgend welcher Richtung an ihm vorbeisieht. Je nachdem in dem
die Stellung und Bewegung der Augen regulierenden Muskelapparate oder in den denselben versorgenden Nerven
[* 79] die Ursache der fehlerhaften
Stellung (und Bewegung) des Auges liegt, spricht man von einem myopathischen (muskulären, konkomitiercnden)
und von einem neuropathischen
(paralytischen) S. Das muskuläre S. entsteht ohne Störung des nervösen Apparats dadurch, daß sich in
einem bestimmten Augenmuskel, am häufigsten dem innern oder äußern geraden, ein erhöhter Kontraktionszustand entwickelt,
infolgedessen das Auge entweder zu stark nach der Nase
[* 80] (Einwärtsschielen, strabismus convergens) oder nach der Schläfe (Auswärtsschielen,
strabismus divergens) gestellt wird. (S. nachstehende
[* 76]
Fig. 1 u. 2: a das fixierende, b das schielende
Auge.)
Figur 1 und 2:
Nach neuern Forschungen liegen dem S. hauptsächlich Anomalien der Refraktion zu Grunde, nämlich dem Einwärtsschielen die
Hyperopie (s. d., Übersichtigkeit), dem Auswärtsschielen die Myopie (Kurzsichtigkeit, s. d.). AlleMomente, die das Zusammenwirken
beider Augen dauernd oder vorübergehend stören, wie ungleiche Sehschärfe oder Refraktion der beiden Augen,
Entzündungen und Residuen derselben, begünstigen die Entwicklung des S. Durch den Gebrauch geeigneter Brillen und Erleichterung
des binokularen Sehaktes ist daher in vielen Fällen das S. auf unblutige Weise zu beseitigen, um so mehr, als im Anfange
seiner Entwicklung das S. meistens ein periodisches ist, d. h. nur bei gewissen
Anstrengungen der Augen hervortritt, und erst allmählich durch eine gewisse Verkürzung des betreffenden Muskels konstant
wird.
Bei alledem ist die operative Behandlung des S. noch immer unentbehrlich. Angeregt wurde dieselbe vonL.Stromeyer, zum erstenmal 1839 von
Dieffenbach ausgeführt, besonders entwickelt indessen von A. von Graefe, nachdem die ursprüngliche Methode
Dieffenbachs und seiner Zeitgenossen zu vielen Mißerfolgen, namentlich zu Sekundärschielen (s. d.),
Veranlassung gegeben hatte und die Schieloperation wieder zu verdrängen drohte. Die Operation besteht darin, daß der Ansatz
eines Muskels von dem Augapfel losgelöst wird und entweder weiter nach hinten, entfernter vom Hornhautrande
(Rücklagerung) oder weiter nach vorn, näher an die Hornhaut (Vorlagerung) zum Anheilen gebracht wird.
Beim paralytischen S. besteht zunächst eine Lähmung eines Augenmuskels, die rheumatischen Ursprungs oder von einer Störung
der Augenmuskelnerven oder ihrer Centralorgane bedingt sein kann. Anfangs tritt die falsche Stellung des Auges nur bei solchen
Blickrichtungen ein, in denen die Thätigkeit des gelähmten Muskels in Anspruch genommen wird; allmählich
aber entwickelt sich eine Kontraktion des Antagonisten und dann ist S. in allen Blickrichtungen, wenn auch in verschiedenem
Grade, vorhanden. Hier ist auch durch eine Schieloperation nur ein teilweiser Erfolg zu erzielen.
Frisch entstandenes, daher namentlich das paralytische S. ist fast immer mit störendem Doppelsehen verknüpft.
Wenn z. B. in vorstehender
[* 76]
Fig. 3 das linke Auge den Punkt A fixiert, das rechte nach
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