Kredit
(Bodenkredit), nach dem Zweck der Kreditaufnahme entweder Besitzkredit oder Produktivkredit.
Der erstere dient zum Erwerb von Grundbesitz oder zur
Abfindung von
Miterben und belastet den Grundbesitz, ohne daß, der Regel
nach, der Ertrag durch die Kreditaufnahme gesteigert würde. Der Produktivkredit hingegen dient zur Herstellung von Bodenverbesserungen
und Wirtschaftsgebäuden, zur Beschaffung von Inventar und sonstigen
Betriebsmitteln; die geliehenen Kapitalien
finden also eine wirtschaftlich-produktive Verwendung und bringen bei zweckentsprechendem Vorgehen des Schuldners ihre eigene
Verzinsung hervor.
Für die eigentümlichen Formen, welche der landwirtschaftlicher Kredit angenommen hat, ist die zuerst von Rodbertus
(s. d.) mit aller
Schärfe betonte
Thatsache von Wichtigkeit geworden, daß der
Boden wohl eine Jahresrente
abzuwerfen vermag, daß er ein bloßer «Rentenfonds» ist, hingegen niemals
aus dem laufenden Betrieb ein
Kapital liefern kann. Ein zum Zweck des
Besitzerwerbs aufgenommenes
Darlehn kann nur verzinst
und günstigenfalls in kleinern
Abschlagszahlungen zurückerstattet werden; die allein angemessene Form des Besitzkredits
ist daher das unkündbare
Darlehn.
Hinsichtlich des Produktivkredits ist zu unterscheiden zwischen solchen Darlehen, welche der Beschaffung von stehendem
Kapital
(Bauten,
Drainagen, Bewässerungsanlagen,
Maschinen für die landwirtschaftliche
Industrie u. s. w.) dienen, und solchen, die
nur eine vorübergehende Ergänzung des umlaufenden
Kapitals bezwecken. Die stehenden Kapitalien unterliegen einer allmählichen
Abnutzung und bedürfen nach einer gewissen Frist der Erneuerung. Sind sie leihweise beschafft worden,
so muß innerhalb jener Frist die
Tilgung erfolgen, aber sofern größere Beträge in Frage kommen, in der Zwischenzeit der
Landwirt vor
Kündigung sicher sein.
Hier sind also die unkündbaren und amortisationspflichtigen Darlehen am Platze. Die umlaufenden Kapitalien hingegen (Saatgut,
Futtermittel,
Arbeitslöhne u. s. w.) werden innerhalb eines Produktionsprozesses
vollständig verbraucht; sie müssen wirtschaftlicherweise aus dem Ergebnis desselben, also namentlich aus dem nächsten
Ernteertrage, zurückgezahlt werden. Es handelt sich hier meist nur um eine Schuldaufnahme für wenige
Monate; aber Unglücksfälle
können die
Notwendigkeit längerer Fristen mit sich bringen.
Nach der Art und
Weise der Sicherung der
Gläubiger unterscheidet man Real- und
Personalkredit. Der erstere
sichert den
Gläubiger durch Pfand, und zwar durch Verpfändung von Immobilien (Immobiliar- oder Hypothekarkredit) oder von
Mobilien, wie Getreide,
[* 2]
Spiritus,
[* 3]
Wolle u. s. w. (Mobiliarkredit); der
Personalkredit wird im Vertrauen auf die Persönlichkeit
und die allgemeinen Vermögensverhältnisse des Schuldners und seiner
Bürgen auf bloßen Schuldschein
oder Wechsel gegeben. Bei langfristigen Krediten kommt durchgängig der Hypothesenkredit in Frage, während bei kurzfristigen
Darlehen der Mobiliar- und
Personalkredit in Anwendung tritt.
Was die Kreditorganisation betrifft, so spielt, obwohl bei weitem der Hauptteil aller landwirtschaftlichen Kreditierungen
denjenigen Fällen angehört, welche unkündbaren, langfristigen Hypothekarkredit erfordern, und einzelne Kapitalisten
selten die im Interesse der Landwirte notwendigen
Bedingungen erfüllen können,
doch der Individualkredit, d. h. der unmittelbare
Verkehr mit dem einzelnen
Gläubiger und Schuldner, noch die Hauptrolle. Aber der Anstaltskredit befindet sich in rascher
Ausdehnung
[* 4] und drängt den Individualkredit allmählich zurück. In allen Kulturstaaten und in besonders vielseitiger
Entwicklung inDeutschland
[* 5] haben sich Anstalten gebildet, welche den Kreditverkehr vermitteln.
Diese Kreditanstalten zerfallen in drei
Klassen: a. genossenschaftliche Kreditinstitute, wie die namentlich in Norddeutschland
verbreiteten sog. Landschaften (s. d.); b. staatliche
oder kommunale Kreditinstitute (s. Landeskreditkassen). Ferner besitzen alle altpreuß.
Provinzen sog. Provinzialhilfskassen.
Sie wurden 1847 mit Staatszuschüssen gegründet und unterstehen der provinzialen Selbstverwaltung. Zunächst
sind sie
nur für gemeinnützige Unternehmungen der öffentlichen
Verbände und der Genossenschaften bestimmt; aber mehrere
dieser Provinzialhilfskassen (in Ostpreußen,
[* 6]
Schlesien,
[* 7]
Posen,
[* 8] Rheinland) haben sich in allgemeine Realkreditinstitute umgewandelt.
Speciell für die Förderung von Meliorationsunternehmungen sind mehrfach sog. Landeskulturrentenbanken
(s. d.) unter staatlicher oder kommunaler Leitung ins Leben gerufen worden,
c. Die
Hypotheken- oder
Bodenkreditbanken (s. d.) sind
Aktiengesellschaften und haben eine größere Bedeutung für den städtischen
als für den ländlichen Immobiliarkredit. Nur in Süddeutschland haben sie auch für den letztern eine Art von
Monopol, weil
es an öffentlichen oder genossenschaftlichen Kreditanstalten fehlt.
Neben den genannten Anstalten, welche die Befriedigung des Hypothekarkreditbedürfnisses als ihre wesentlichste
Aufgabe ansehen, giebt es solche, die ihre zu andern Zwecken angesammelten Geldbestände nebenher durch Ausleihen an
Grundbesitzer nutzbringend anzulegen versuchen. Dies gilt von den Lebensversicherungsgesellschaften, den
Sparkassen, manchen
Stiftungen, neuerdings auch von den
Alters- und Invaliditätsversicherungsanstalten. Die betreffenden Darlehen entsprechen
meist nur unvollkommen den landwirtschaftlichen Bedürfnissen, weil sie regelmäßig kündbar, dem Amortisationszwange
nicht unterworfen und die geforderten
Zinsen ziemlich hoch sind. Man schätzte die hypothekarisch ausgeliehenen
Summen 1885 für
die preuß. Landschaften auf rund 1½ Milliarden, für die deutschen Hypothekenbanken, einschließlich
der städtischen Beleihungen und der ausgegebenen Kommunalobligationen, auf 2 Milliarden, für die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften
und
Sparkassen auf 1
bez. 1½-2 Milliarden M.
Im allgemeinen ist in
Deutschland für den Immobiliarkredit der landwirtschaftlichen
Bevölkerung
[* 9] in sehr ausgiebiger
Weise
gesorgt. Aber die hierher gehörigen Einrichtungen entsprechen nicht durchweg den berechtigten wirtschaftlichen Anforderungen
der
Landwirtschaft. Nur die landschaftlichen, staatlichen und die meisten kommunalen Anstalten geben den Kredit nicht
nur in geeigneten Formen, sondern auch so billig, wie es der Geldmarkt irgend gestattet. Die Landschaften reichen aber wegen
ihrer centralisierten und vielfach etwas formenschweren
Verwaltung nicht überall bis zu den kleinern Grundbesitzern herunter;
viele von ihnen kommen nach wie vor trotz zweckentsprechender Neuerungen fast ausschließlich dem größern Grundbesitz zu
statten.
¶
mehr
Eine viel weniger befriedigende Organisation hat bisher der Mobiliar- und Personalkredit gesunden. Der Mobiliar- oder Lombardkredit
leidet unter der Schwierigkeit, die landwirtschaftlichen Produkte aufzubewahren und zu transportieren. Die erforderlichen
öffentlichen Lagerhäuser sind in Deutschland erst vereinzelt errichtet worden. Der Personalkredit ist den Landwirten im ganzen
deshalb weniger leicht zugänglich als andern Berufsklassen, weil ihr Vermögen hauptsächlich aus Immobilien
besteht, deren Realisierung, d. h. freiwilliger oder zwangsweiser Verkauf, meist längere Zeit
erfordert.
Bankinstitute befinden sich in Deutschland nur in den größern Städten, sie haben thatsächlich allein für den Großgrundbesitz
Bedeutung und gewähren auch meist auf zu kurze Termine Kredit. Von den bestehenden Realkreditinstituten
haben nur wenige zugleich Einrichtungen für den Personalkredit geschaffen. Hauptsächlich kommen hier nur die landschaftlichen
Darlehnskassen zu Berlin,
[* 11] Königsberg,
[* 12] Danzig
[* 13] und Breslau
[* 14] und einige Sparkassen in Betracht. Die Lückenhaftigkeit der Kreditorganisation
hat daher bewirkt, daß die Landwirte, namentlich die Bauern, in vielen Gegenden durch Kapitalisten der niedrigsten Sorte
ausgebeutet werden. (S. Wucher.) Aus dem Kampf gegen den Wucher sind andererseits in neuerer Zeit örtliche
Genossenschaften hervorgegangen, die vornehmlich dem Personalkredit ihrer Mitglieder dienen und sich als die wirksamsten Heilmittel
gegen die Bewucherung erwiesen haben. Es sind dies die nach ihren geistigen Schöpfern benannten Raiffeisenschen Darlehnskassenvereine
(s. d.) und die Schulze-DelitzschschenVorschuß- und Kreditvereine (s. d.).
Da die Ausbreitung dieser Verbände nicht selten, namentlich in solchen Gegenden, welche einen wenig zahlreichen und räumlich
zerstreuten Bauernstand haben, große Schwierigkeiten findet, sind neuerdings mannigfache Reformvorschläge für den anderweitigen
Ausbau der ländlichen Kreditorganisation aufgetaucht. Man denkt namentlich an die stärkere Decentralisierung der bestehenden
landschaftlichen, staatlichen und kommunalen Kreditinstitute, unter gleichzeitiger Schaffung von lokalen
Filialen für den Personalkredit, die jedoch da wegfallen können, wo schon örtliche Kreditvereine bestehen. Es ist indessen
wahrscheinlich, daß das Problem der bessern Kreditorganisation nicht anders als im Zusammenhang mit der andern Frage eine
Lösung finden wird, wie der zunehmenden Verschuldung der Landwirte zu steuern sei.
Seitdem Rodbertus 1868 zuerst darauf hingewiesen hat, ist es durch alle neuern Untersuchungen bestätigt worden, daß die
große Menge aller Hypothekenschulden der Landwirte nicht produktiv wirkenden Kreditgeschäften, sondern dem Besitzkredit
entstammt, d. h. aus rückständigen Kaufgeldern oder eingetragenen Erbteilen besteht. Die
eingetragenen Kapitalien sind also der Landwirtschaft als solcher niemals zugeflossen; ihre Verzinsung
ist ein bloßer Abzug vom Reinertrag, ohne daß dieser Verzinsung ein mit Hilfe der Schuldaufnahme erhöhter Ertrag gegenüber
stände.
Nach den Erhebungen im Königreich Preußen
[* 15] kann man annehmen, daß der bäuerliche Grundbesitz im Durchschnitt bereits die
Verschuldung des ersten und besten Wertdrittels seines Grundbesitzes vollendet hat und anfängt, das
zweite Drittel fortzugeben, daß hingegen der größere Grundbesitz schon über die Hälfte seines Wertes hinaus verschuldet
ist. Dabei steigt die Verschuldung trotz rückgängiger Preiskonjunkturen unaufhörlich (s. Hypothekenschulden), und es ist
zu fürchten, daß die Landwirtschaft einem Zustande entgegengeht, bei welchem die Mehrheit ihrer Angehörigen als
überschuldet gelten muß.
Das aus der internationalen Konkurrenz hervorgegangene Sinken der Getreidepreise
[* 16] hat, eben wegen der bestehenden hohen Belastung
der Landwirte die schwere Krisis zur Folge gehabt, welche in allen vorwiegend Getreide bauenden Gegenden ausgebrochen ist.
Unter dem Eindruck jener Krisis sind verschiedene Pläne vor die Öffentlichkeit getreten, welche das
bestehende Agrarrecht durch Einführung von Verschuldungsbeschränkungen reformieren wollen. Zu den meistbesprochenen gehört
der Vorschlag eines Heimstättenrechts (s. Heimstättengesetze) und die Schäfflesche Idee einer
Inkorporation des Hypothekenkredits, d. h. der Gründung von landwirtschaftlichen Zwangsgenossenschaften,
die nicht nur Kredit vermitteln, sondern auch die ganze Kreditgebarung ihrer Mitglieder unter Ausschluß alles Besitzkredits
überwachen und unter Umständen die Grundstücke der Schuldner übernehmen und verpachten sollen. Soll
die Festsetzung von Verschuldungsgrenzen praktisch große Bedeutung erlangen, so muß unbedingt eine Schuldentlastung vorausgehen.
Dieser Gedanke ist zuerst zu ernstlicher legislatorischer Behandlung gekommen in Österreich,
[* 17] dessen Regierung 1893 einen entsprechenden
Entwurf dem Reichsrat unterbreitet hat.
Litteratur. Rodbertus-Jagetzow, Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot. I u. II (Jena
[* 18] 1868-69);
Schäffle, Inkorporation des Hypothekarkredits (Tüb. 1883);
Vereine,Vereinigungen von Landwirten behufs Erörterung und Förderung der gemeinsamen Berufsaufgaben
und Standesinteressen. Die Anfänge des landwirtschaftlichen Vereinswesens fallen in die erste Hälfte des 18. Jahrh.; doch
ging die Entwicklung zunächst langsam von statten, erst seit den sechziger Jahren erlangten die «Ökonomischen
Gesellschaften» allgemeinere Verbreitung. Wie in der Entwicklung der Landwirtschaft selbst, so ging auch
in der des Vereinswesens England voran.
Die ersten rein landwirtschaftliche Vereine Großbritanniens waren die 1715 in Schottland gestiftete HighlandSociety und die 1723 gegründete Society
of Improvers in the knowledge of agriculture. Das von Schottland gegebene Beispiel zog sehr bald die Gründung ähnlicher Vereine
in England und Irland nach sich. Durch die zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrh. überall gebildeten
Lokalvereine fand die Thätigkeit der bereits vorhandenen größeren und umfassendern Vereine die wirksamste Unterstützung.
In Frankreich erstand
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mehr
der erste Verein 1750 in der Bretagne. Bedeutungsvoll für das Vereinswesen wurde hier die Anregung, welche die Förderung der
landwirtschaftlichen Interessen durch die physiokratische Theorie erhielt; doch gingen die bestehenden Vereine größtenteils
in den Stürmen der Revolution unter. Zu Beginn des 19. Jahrh. war die Zahl der Vereine und Gesellschaften
jedoch wieder zu einer beträchtlichen Höhe angewachsen; man schätzte ihre Zahl auf vierzig. Wie in England und Frankreich,
so bestanden um diese Zeit in allen übrigen europ. Staaten (die Türkei
[* 21] ausgenommen) derartige Vereine.
Die Gesellschaft war damals vorzugsweise bemüht, auf die Beseitigung der Schranken, die das überlieferte Agrarrecht für
den Landbau enthielt, hinzuarbeiten und den Landwirt anzuleiten, wie er dem der alten Fesseln ledigen Boden höhere Erträge
abzugewinnen vermöchte. Die bahnbrechende Thätigkeit dieses Vereins wurde später der Ausgangspunkt für
die epochemachende Wirksamkeit Thaers (s. d.). Unter den süddeutschen Gesellschaften wirkte die 1769 errichtete
Physikalisch-Ökonomische Societät zu Lautern in der Rheinpfalz besonders segensreich auf die Gesetzgebung.
Etwas früher schon, 1765, war inBayern
[* 25] die «Kurbayrische Landes-Ökonomie-Gesellschaft in Oberbayern», die zuerst bis 1802 zu
Altötting, später in Burghausen bestand, mit landesherrlicher Unterstützung ins Leben gerufen. Gleichzeitig
entstand die Ökonomische Hessencasselische Gesellschaft des Landbaues. Unter den ältern Gesellschaften des damaligen Preußen
ragten die zu Anfang der siebziger Jahre errichtete Patriotische Gesellschaft in Schlesien zu Breslau sowie die aus den neunziger
Jahren stammende Ökonomische Societät zu Potsdam
[* 26] hervor.
Dem 19. Jahrh. war es jedoch vorbehalten, das Vereinswesen auf breitester Grundlage sich entwickeln zu
sehen, namentlich infolge stärkerer Beteiligung der praktischen Landwirte selbst. Von 1820 bis 1840 betrug die Zahl der
im preuß. Gebiete neu errichteten Vereine über 100, von 1840 bis 1860 belief sich der Zuwachs derselben sogar auf 400, um
in dem folgenden Zeitraum noch höher anzuschwellen. 1810 wurde außerhalb Preußens
[* 27] der LandwirtschaftlicheVerein in Bayern ins Leben gerufen, der heute mehr denn je ein Hauptträger des landwirtschaftlichen Kulturfortschritts in
diesem Lande ist, unterstützt in seinem Wirken durch die Wanderversammlung bayr. Landwirte. Gegenwärtig
erfreut sich das landwirtschaftliche Vereinswesen in allen wichtigern Kulturländern einer hohen Blüte.
[* 28]
Was Ausbreitung und Organisation betrifft, steht zur Zeit Deutschland im Vordergrunde. Man unterscheidet hier centralisierte
Vereine, d. h. solche, die ihrerseits wieder zu größern Gesamtverbänden zusammengefaßt
sind, und nicht centralisierte Vereine oder solche, die sich dieser Gesamtorganisation nicht angeschlossen haben. Die
centralisierten
Vereine schließen sich in ganz Deutschland im allgemeinen an die polit. Einteilung an. In Preußen gab es 1890 15 Provinzial-
und Centralvereine mit 1201 Zweigverbänden und 158000 Mitgliedern.
Die Zahl der nicht centralisierten Vereine ist ebenfalls sehr erheblich. In der Regel besteht für eine Provinz ein Centralverein,
einige Provinzen besitzen indessen deren zwei. In einzelnen Landesteilen wird die Gliederung dadurch bereichert,
daß zwischen die Centralvereine und die Lokalvereine sich Haupt- und Kreisvereine als besondere Zwischenverbände einschieben.
Zu diesen, allgemeine landwirtschaftliche Zwecke verfolgenden Vereinen gesellen sich Vereinigungen, die besondere Einzelziele
verfolgen: Garten-, Obst-, Hopfenbauvereine, Pferde-, Rindvieh-, Geflügel-, Bienenzuchtvereine u. s. w. Diese Sondervereine
gehören teils der allgemeinen centralisierten Organisation an, teils bilden sie unter sich besondere
Gesamtverbände, teils endlich sind sie überhaupt keinem größern Verbände angeschlossen. Im Gegensatz zu Preußen bildet
in den übrigen Staaten (Sachsen ausgenommen) das ganze Staatsgebiet den Bezirk eines Centralvereins.
Einzelne kleine Staaten, wie Gotha
[* 29] und Sondershausen,
[* 30] sind einem fremden Centralverbande beigetreten. Im übrigen ist die
Organisation der preußischen ähnlich. In Bayern gliedert sich der LandwirtschaftlicheVerein in ein Generalkomitee zu München,
[* 31] in 8 Kreiskomitees - je eins für jeden Regierungsbezirk - und (1888) 226 Bezirkskomitees. Die
Gesamtzahl der Mitglieder belief sich (1888) auf 56467. Die nicht centralisierten Vereine sind fast ausschließlich Sondervereine.
In Sachsen wird die Verbindung der Lokalvereine untereinander und mit dem Ministerium des Innern durch 5 Kreisvereine
vermittelt, deren Ausschüsse durch die Vorstände aller zugehörigen Lokalvereine gebildet werden.
Ein gemeinschaftliches Zusammenwirken und Handeln der Kreisvereine wird durch das Institut der Direktorialkonferenzen ermöglicht,
das sich aus den Kreisvereinsvorständen sowie dem Vorsitzenden und Generalsekretär des Landeskulturrats
zusammensetzt. Der LandwirtschaftlicheVerein von Württemberg
[* 32] gliedert sich in 12 Gauverbände mit 64 Bezirksvereinen. Jeder
Gau entsendet einen Vertreter in die Centralstelle für die Landwirtschaft. Der 1819 gegründete badische LandwirtschaftlicheVerein zerfällt in 67 Bezirksvereine, von denen je 4-10 zu einem Gauverbande gruppiert sind.
Das Präsidium und der Centralausschuß bilden die Centralstelle. In Hessen
[* 33] stehen über dem Bezirksverein 3 Provinzialvereine.
In Oldenburg,
[* 34] Braunschweig
[* 35] und Mecklenburg
[* 36] sind hingegen sämtliche Lokalvereine zu einem einzigen Centralverein verbunden,
während in Sachsen-Weimar wiederum die 5 den Verwaltungsbezirken entsprechenden Hauptvereine die Verbindung vermitteln zwischen
den Lokalvereinen, aus deren Vorständen sie sich zusammensetzen, und der aus den Vorständen der Hauptvereine
bestehenden Centralstelle.
Die Gesamtzahl der Mitglieder aller landwirtschaftliche Vereine in Deutschland wird mit 300000 wohl noch unterschätzt. Die innere Verfassung der
Centralvereine zeigt bei aller sonstigen Verschiedenheit gewisse gemeinsame Grundzüge. Dem verschiedenartig gebildeten Vorstande
ist überall ein Generalsekretär als ständiger Geschäftsführer beigegeben. Die eigentliche Vereinsversammlung stellt
ein Ausschuß von Delegierten der Sondervereine dar. Nur diese Delegierten haben Stimmrecht in
¶
mehr
Vereinsangelegenheiten. Innerhalb des Vereins werden meist für die verschiedenen Thätigkeitsgebiete oder Kulturzweige einzelne
Sektionen gebildet. Die Centralvereine Preußens verkehren amtlich mit Übergehung aller untern Instanzen unmittelbar mit dem
Landwirtschaftsministerium.
Neben der rein technischen haben die landwirtschaftliche Vereine die geschäftliche und wirtschaftspolit. Seite
mit wachsendem Erfolge entwickelt. Von ihnen hat das kraftvoll entwickelte landwirtschaftliche Genossenschaftswesen
(s. Landwirtschaftliche Genossenschaften) seine besten Impulse empfangen.
Die landwirtschaftliche Vereine stehen zu den Staatsregierungen in bestimmten regelmäßigen Beziehungen. Sie sind verpflichtet, den Behörden Gutachten
zu erstatten und die gewöhnlichen statist. Erhebungen zu vermitteln. Andererseits gewährt ihnen der Staat beträchtliche
materielle Unterstützungen. In Preußen belaufen sich die Staatssubventionen auf etwa 900000 M. jährlich.
Ihnen stehen nur 485000 M. eigene Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen (durchschnittlich 3,08 M. pro Mitglied) gegenüber.
Auch in den übrigen größern deutschen Staaten erhalten die Vereine mehr oder minder erhebliche Zuschüsse, neben denen die
eigenen Einnahmen zurücktreten. Die ganze Entwicklung der Vereine drängt daher hauptsächlich infolge
dieser finanziellen Abhängigkeit vom Staate immer entschiedener dahin, den Centralvereinen den Charakter einer amtlichen
Vertretung der Landwirtschaft zu geben, sie in Landwirtschaftskammern (s. d.) umzuwandeln.
Neben den allgemeinen landwirtschaftlichen oder ihnen unmittelbar angeschlossenen Vereinen besteht in
Deutschland noch eine Anzahl von Vereinen, welche für gewisse Sonderzwecke die Interessenten für ganz Deutschland zusammenfassen.
Hierher gehören der Deutsche Pomologenverein (seit 1860), Deutsche Weinbauverein (seit 1874), Deutsche Hopfenbauverein,
Deutsche milchwirtschaftliche Verein (seit 1874); ferner die Vereine für technische Nebengewerbe, nämlich die Vereine der
Spiritusfabrikanten (seit 1857) und für die Rübenzuckerindustrie und der Verein zur Förderung der Moorkultur
(seit 1883), endlich der zweckverwandte Deutsche Fischereiverein (seit 1870) mit 35 Zweigvereinen.
Das verbreitete Bedürfnis, eine energische Gesamtvertretung der
landwirtschaftlichen Interessen in polit.
Richtung zu besitzen, hat sich mit geradezu elementarer Gewalt in der im Febr. 1893 zu Berlin erfolgten Gründung des Bundes
der Landwirte Geltung verschafft. Den äußern Anstoß zu der Gründung gab das Bekanntwerden des auf Abschluß des deutsch-russ.
Handelsvertrags gerichteten Planes, der die Herabsetzung der Getreidezölle auch Rußland gegenüber in
Aussicht nahm.
Der Zweck des Bundes ist, der Landwirtschaft durch Einwirkung auf die Wahlen eine ihrer Bedeutung entsprechende Vertretung in
den parlamentarischen Körperschaften zu verschaffen. Der Bund, der im Febr. 1894 bereits 178939 Mitglieder (155000 allein
in Norddeutschland ausschließlich Hessens) zählte, gliedert sich in Orts-, Bezirks-, Kreis- und Provinzialabteilungen
mit gewissen durch die Verschiedenheit der Vereinsgesetze gebotenen Modifikationen in einzelnen Staaten.
Die Kreisabteilungen decken sich mit den einzelnen Reichstagswahlkreisen. Den dem Vorstande zur Seite stehenden Ausschuß
bilden außer den Vorstandsmitgliedern die Vorsitzenden der Provinzialabteilungen. Die Beiträge der Mitglieder charakterisieren
sich als freiwillige Steuerzuschläge, die der Verschiedenheit der Steuerverfassung der Einzelstaaten
entsprechend vom Bundesausschusse festgesetzt werden. Für Preußen ist der Beitrag auf 5 Proz. der Grundsteuer bestimmt.
Alljährlich findet eine ordentliche Generalversammlung statt. Das Hauptorgan des Bundes bildet die «Illustrierte landwirtschaftliche
Zeitung». Vor der Gründung des Bundes der Landwirte bestand bereits der Deutsche Bauernbund, der sich fast ausschließlich aus
dem Kleinbesitzerstande Pommerns, Posens, Niederschlesiens, Thüringens und des Königreichs Sachsen rekrutierte. Seine polit.
Richtung war konservativ-antisemitisch. In praktisch-ökonomischer Hinsicht führte der Verein namentlich eine gemeinsame Beschaffung
künstlicher Düngemittel und eine Organisation der Trichinenschau durch.
Nach achtjährigem Bestehen löste er sich im J. 1893 zu Gunsten des Bundes der Landwirte auf, in dem
er mit seinen 44000 Mitgliedern völlig aufging. Sein Organ «Der Deutsche Bauernbund» wurde unter dem Titel: «Der Bund der Landwirte»
fortgesetzt. Nach dem Vorbilde des Bundes der Landwirte haben sich in jüngster Zeit in Bayern mehrere Bauernbünde gebildet,
die aber jenem Bunde nicht angeschlossen sind. Zur Zeit (1894) besteht ein oberbayr., ein niederbayr.
und ein unterfränk. Bauernbund. Die Tendenz dieser Bünde ist darauf gerichtet, die Bauernschaft von der polit. Führung des
Centrums, die in wirtschaftspolit. Hinsicht nicht befriedigte, zu emancipieren. Im Gegensatz zu diesen Vereinigungen wurde
in Unterfranken und Niederbayern je ein Bauernbund von Centrumsmitgliedern gegründet. Allgemeinere Ziele
verfolgen die Bauernvereine (s. d.).
Litteratur. Mentzel und von Lengerkes Landwirtschaftliche Hilfs- und Schreibkalender, besonders Jahrg. 1891 (Berlin);
Versuchsstationen, auch Agrikulturchemische Versuchsstationen genannt, Einrichtungen zu
Forschungen auf chem.-physiol. Gebiete der Landwirtschaft sowie zur Kontrolle der vom Landwirt gekauften Sämereien, Futter-
und künstlichen Düngemittel. Die ältesten in den vierziger Jahren entstandenen landwirtschaftliche Versuchsstationen waren
die zu Bechelbronn im Elsaß (einem Landgute Boussingaults) und zu Rothamstead (England). Jedoch beginnt
der Aufschwung erst mit der 1851 erfolgten Gründung der Versuchsstation in Möckern bei Leipzig.
[* 42]
Gegenwärtig giebt es in allen Ländern Europas 67 landwirtschaftliche Versuchsstationen, in Deutschland (1894) 48, nämlich zu Augsburg
[* 43] (1865), Bernburg
[* 44] (1882,
für Pflanzenphysiologie), Bonn
[* 45] (1856), Braunschweig (1862), Bremen
[* 46] (1877, für Moorkultur), Breslau (2 Stationen, 1856 und
1875), Cöthen
[* 47] (1864), Dahme (1857), Danzig (1877),Darmstadt
[* 48] (1871),Dresden
[* 49] (1890), Elbstorf (1871), Eldena (1878), Geisenheim
(1872, für Obst- und Weinbau), Göttingen
[* 50] (1857, und 1874 Kontrollstation), Halle a. S. (1863, ferner 1867 für Tierphysiologie
und 1891 für Pflanzenschutz), Hildesheim
[* 51] (1870), Hohenheim (1865 und 1874 für
Samenkontrolle), Insterburg
[* 52] (1858), Jena (1883),Karlsruhe
[* 53] (1859 und 1872, für Pflanzenphysiologie), Kiel
[* 54] (1871 und 1883 für
Samenkontrolle), Königsberg i. Pr. (1875 und 1877 für Milchwirtschaft), Köslin
[* 55] (1863), Magdeburg
[* 56] (1889),Marburg
[* 57] (1882),
Möckern (1851), München (1857), Münster
[* 58] (1871), Oldenburg (1876), Pommritz (1864), Poppelsdorf
(1856), Posen (1877), Rastatt
[* 59] (1875), Rufach (1874),Speyer
[* 60] (1860), Tharandt (1869, für Pflanzenphysiologie), Triesdorf (1874),Wiesbaden
[* 61] (1881) und Würzburg
[* 62] (1877).In denVereinigten Staaten
[* 63] von Amerika
[* 64] sind die landwirtschaftliche Versuchsstationen als Staatsinstitute in jedem Einzelstaate errichtet.
Während die Mehrzahl zu agrikulturchem. Untersuchungen im allgemeinen bestimmt sind, widmen sich einige derselben lediglich
speciellen Zweigen; so hat man Versuchsstationen für Spiritusfabrikation,
[* 65] Brauerei, Weinbau, Hopfenbau,
Milchwirtschaft u. a. m. Die deutschen landwirtschaftliche Versuchsstationen sind
zum geringern Teile staatliche Institute, meistens von landwirtschaftlichen Vereinen gegründet und von den betreffenden Staaten
subventioniert, nur wenige sind von den Provinzialverbänden errichtet. -
Vgl. Entwicklung und Thätigkeit der land- und forstwirtschaftlichen
Versuchsstationen in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens (Berl. 1877) und
die Zeitschrift: Die landwirtschaftliche Versuchsstationen (seit 1858).
Deutsche, eine allgemeine nationale Vereinigung, 1884 begründet, beschränkt sich auf
das Gebiet der landwirtschaftlichen Technik unter Ausschluß aller wirtschaftspolit. und gesetzgeberischen Fragen; sie widmet
dem Ausstellungswesen hervorragende Pflege, indem sie Jahr für Jahr abwechselnd in den verschiedenen
Teilen des Reichs eine allgemeine landwirtschaftliche Ausstellung veranstaltet. Mit dieser verbindet sie die ebenfalls jährliche
Wanderversammlung, während eine zweite Hauptversammlung im Februar in Berlin, dem ständigen Sitze der Gesellschaft, abgehalten
zu werden pflegt.
Das leitende Organ ist ein Gesamtausschuß, die laufenden Geschäfte besorgt der Vorstand durch ein Direktorium.
Zur Pflege besonderer Zweige des landwirtschaftlichen Gewerbes bildet sie Abteilungen und Sonderausschüsse. Die Landwirtschaftsgesellschaft vermittelt
den Ankauf von Düngemitteln, sowie den An- und Verkauf von Futtermitteln und Saaten, sie giebt den Mitgliedern Auskunft in
allen Fragen des landwirtschaftlichen Betriebes. Außer ihrem «Jahrbuch» giebt die Gesellschaft «Mitteilungen»
heraus, in zwanglosen Heften, die monatlich 2-3mal erscheinen, außerdem «Anleitungen»
für praktische Landwirte und «Arbeiten und Versuche» der Gesellschaft. Die Mitgliedschaft kann nur von physischen Personen
erworben werden. Die Gesellschaft zählt zu Beginn 1894 bereits mehr als 9500 Mitglieder, staatliche Unterstützung empfängt
und begehrt sie nicht. Trotzdem verfügt sie, da der Beitrag der Mitglieder auf 20 M. normiert ist, Anfang 1894 über 700000
M. Vermögen.
gesetzlich geordnete Korporationen, die, aus Wahlen hervorgehend, zunächst bestimmt sind,
die Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen Interessen der Regierung gegenüber durch Rat und Auskunftserteilung sowie
durch Geltendmachung von Wünschen und Forderungen zu vertreten, denen aber zugleich die Aufgabe zufällt
oder zugewiesen werden kann, durch allgemeine Anregungen, Maßnahmen und Unternehmungen das Gedeihen der Landwirtschaft innerhalb
des ihnen unterstellten Bezirks nach Möglichkeit thätig zu fördern.
Bis zu einem gewissen Grade sind den Landwirtschaftskammern die bestehenden landwirtschaftlichen Centralvereine (s.
Landwirtschaftliche Vereine) nach Stellung und Wirksamkeit verwandt; sie unterscheiden sich indessen von
diesen auf freier Vereinsbildung beruhenden Organen dadurch, daß sie ähnlich den meisten Handelskammern (s.
Handels- und Gewerbekammern) innerhalb der zugewiesenen Bezirke die Gesamtvertretung eines ganzen Berufszweigs darstellen,
dem entsprechend aus allgemeinen Wahlen hervorgehen, an denen jeder Landwirt teilzunehmen berufen ist, und vom Staate als öffentliche
Behörden anerkannt sind. Während die Vereine nur von ihren Mitgliedern Beiträge erheben können, giebt
die Stellung der Landwirtschaftskammern ihnen gegenüber der Gesamtheit der in ihnen vertretenen Berufsgenossen ein
Besteuerungsrecht, das sie für allgemein technische landwirtschaftliche Unternehmungen finanziell leistungsfähiger macht
als die freien Vereine.
Nachdem 1884 zum erstenmal, jedoch erfolglos, im preuß. Landesökonomiekollegium die Befürwortung
einer derartigen Berufsorganisation angeregt worden war, sprach 1892 dieselbe Körperschaft sich für fakultative Umwandlung
der bestehenden Centralvereine in Landwirtschaftskammern aus. Ebenso faßte das preuß.
Abgeordnetenhaus im Juli 1893 einen auf Schaffung einer allgemeinen landwirtschaftlichen Berufsorganisation abzielenden Beschluß.
Diese Anregungen, in Verbindung mit dem Anwachsen der agrarischen Agitation, veranlaßten die preuß.
Regierung im Jan. 1894, einen Gesetzentwurf behufs obligatorischer Errichtung von Landwirtschaftskammern dem Landtage
zu unterbreiten.
In der Regel sollen danach die Landwirtschaftskammern das Gebiet einer Provinz umfassen. Sie wären verpflichtet, sich auf Erfordern über die
auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse bezüglichen gesetzgeberischen und Verwaltungsmaßregeln gutachtlich zu äußern,
ohne daß die Regierung ihrerseits verbunden wäre, ihren Rat in solchen Fällen einzuholen. Auf technischem
Gebiete ist ihnen eine mit derjenigen der Centralvereine konkurrierende Wirksamkeit zugedacht, event.
ist sogar ein Aufgehen der Centralvereine in den Landwirtschaftskammern in Aussicht
¶
mehr
genommen. Überdies soll ihnen bei der Verwaltung der Produktenbörsen und bei den Börsen- und Marktnotierungen eine Mitwirkung
übertragen werden können. Der im Entwurf vorgeschlagene Wahlmodus ist der indirekte, obschon das Landesökonomiekollegium
seinerzeit sich für die direkte Wahl ausgesprochen hatte. Die allgemeine Bedingung des aktiven Wahlrechts ist die Vollendung
des 25., des passiven die Vollendung des 30. Lebensjahres. Im übrigen sind wahlberechtigt außer den
Eigentümern selbständiger Gutsbezirke nur die Besitzer oder Pächter spannfähiger Ackernahrungen.
Rein forstwirtschaftlich benutzte Grundstücke berechtigen zur Wahl nur bei einem Grundsteuerreinertrag von mindestens 150 M.
Indessen ist es den einzelnen Landwirtschaftskammern unverwehrt, das Wahlrecht auch auf die kleinern Besitzer und Pächter auszudehnen.
Wählbar sollen außer den vorgenannten die Pächter selbständiger Gutsbezirke, ferner Personen, die früher wahlberechtigt
waren, sowie andere Sachverständige sein. Jeder Landbezirk hätte mindestens zwei Mitglieder in die Kammer zu entsenden.
Ein Mitglied mindestens muß dem nach den Bestimmungen der Kreisordnung gebildeten Wahlverbande der größern Grundbesitzer,
ein anderes dem Kreise
[* 67] der übrigen wählbaren Personen angehören. Die Wahl erfolgt auf sechs Jahre. Jedes Jahr wird ein Sechstel
der Mitglieder neu gewählt. Dem König ist das Recht vorbehalten, auf Antrag des Staatsministeriums jede Landwirtschaftskammer
durch Verordnung aufzulösen; doch wären in solchem Falle binnen drei Monaten Neuwahlen auszuschreiben.
Die von den Landwirtschaftskammern auszuschreibenden Umlagen sollen nach den Grundsteuerreinerträgen
bemessen werden und bedürften, sobald sie 1 Proz., bei Unterverbänden ½ Proz.
des Grundsteuerreinertrags übersteigen, der ministeriellen Genehmigung. Die vom Abgeordnetenhause eingesetzte Kommission
hat den Gesetzentwurf wesentlich verändert. Die Kammern sollen das Recht erhalten, bei allen die Landwirtschaft betreffenden
Fragen mitzuwirken, insbesondere auch das Recht, Initiativanträge zu stellen.
Die Übernahme der Anstalten, des Vermögens, der Rechte und Pflichten der landwirtschaftlichen Centralvereine soll den Kammern
nur gestattet sein auf Antrag der letztern; die Kreisvereine, Lokalvereine und landwirtschaftlichen Genossenschaften sollen
dagegen bestehen bleiben und von den Kammern unterstützt werden. Die Einrichtung von Unterverbänden
wurde beseitigt. Außerdem erfuhr das Wahlrecht der Pächter eine eingehende Regelung und wurde die Zahl der Wahlmänner für
die größern Gemeinden zu der Höhe des von diesen vertretenen Grundsteuerreinertrags ins Verhältnis gesetzt. Die Umlagen
sollen in der Regel nicht mehr als ½ Prozent des Grundsteuerreinertrags betragen. Sollte das Gesetz zu
stande kommen, so beabsichtigt die Regierung, die neuen Landwirtschaftskammern zunächst für die Regelung und Organisation
des landwirtschaftlichen Kreditwesens in Anspruch zu nehmen. -
Vgl. Grätzer, Die Organisation der Berufsinteressen (Berl.
1890).
auch Landwirtschaftliche Mittelschulen genannt, Anstalten, die den Schüler nicht nur in der
Fachdisciplin theoretisch ausbilden, sondern auch dem die Abgangsprüfung Bestehenden die Berechtigung
zum einjährig-freiwilligen Militärdienst erteilen. In Preußen erfolgte die Reorganisation der Landwirtschaftsschulen, die in der Regel provinzielle
Anstalten sind, jedoch vom Staate unterstützt werden und unter der Oberaufsicht des Landwirtschafts- und Kultusministeriums
stehen, 1875 und 1877 durch Aufstellung eines festen Lehrplans, Vorschriften über die Ausbildung des
Lehrpersonals u. s. w. 1893 gab es in Preußen 16 Landwirtschaftsschulen. Eine ähnliche Anstalt existiert in Helmstedt (Braunschweig).
im mittelalterlichen Recht das Delikt der Mitglieder von Diebs- und Raubbanden, die umherziehend durch Drohung
(s. d.) den Öffentlichen Frieden gefährden (s. Landfriede);
(spr. lehn), Edward William, engl. Orientalist, geb. in Hereford, studierte Mathematik in Cambridge und
ging dann nach London,
[* 68] wo er sich der Kupferstechkunst widmete. Die Frucht wiederholten Aufenthalts in Ägypten
[* 69] (1825-28
und 1833-35) ist das berühmt gewordene Werk «An account of the manners and customs
of the modern Egyptians» (2 Bde., Lond. 1836 u. ö.,
mit den von Lane selbst auf Stein gezeichneten Kupfern; deutsch von Zenker, 3 Tle., Lpz. 1856). Außer der trefflichen, mit belehrenden
Anmerkungen versehenen Übersetzung der «1001 Nacht» («The
thousand and one nights», 3 Bde., Lond.
1841),
«Selections from the Kur-ân» (ebd. 1843) ist zu nennen L.s monumentales
Werk, das er nach einem dritten Aufenthalt in Ägypten (1842-49) herauszugeben begann, das «Arabic-English Lexicon»,
von dem er selbst 5 Teile (1863-74) veröffentlichte. Lane starb Sein Neffe, Stanley Lane Poole,
setzte die Herausgabe des Lexikons fort; derselbe hat auch L.s Exkurse und Anmerkungen zu «1001 Nacht» in einem besondern
Bande («Arabian society in the middle ages», Lond.
1883) vereinigt herausgegeben.
Erzbischof von Canterbury, Scholastiker, geb. um 1005 zu Pavia, studierte in Bologna die
Rechte, trat in Pavia als Sachwalter und Lehrer der Jurisprudenz auf, begründete 1039 eine Lehranstalt zu Avranches, zog sich
aber 1042 ins KlosterBec zurück, dessen Prior er 1045 wurde. 1066 trat er als Abt an die Spitze des neugegründeten
Stephansklosters zu Caen, wurde 1070 als Erzbischof von Canterbury Primas der engl. Kirche und vertrat als solcher mit Energie
die Rechte desStaates gegenüber dem Papste. Lanfranc starb In seiner Hauptschrift «De corpore et sanguine domini» (zuerst
gedruckt Bas. 1528) bekämpfte er die Abendmahlslehre Berengars (s. d.). Seine Werke wurden herausgegeben
von d'Achery (Par. 1648),
Giles (2 Bde., Oxf. 1844-45) und
Migne (in der «Bibliotheca Patrum sive
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