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Hochverratsklage nur durch Flucht, Oxford [* 2] mußte in den Tower. Wie zur Vergeltung entstand darauf 1715 eine gefährlich aussehende jakobitische Bewegung durch die Erhebung des Grafen Mar in Schottland und die dortige Landung des Prätendenten, der als Sohn Jakobs II. sich Jakob III. nannte. Sie wurde jedoch schnell niedergeschlagen, ihre Folge war nur eine stärkere Befestigung der prot. Dynastie und eine für die Zukunft sehr wichtige Maßregel, die Einführung siebenjähriger Wahlperioden des Parlaments (1716), statt der seit Wilhelm III. bestehenden dreijährigen, zunächst nur hervorgerufen durch den Wunsch, bei der damaligen unruhigen Stimmung eine Parlamentsneuwahl zu vermeiden.
Seit 1717 war der Staatssekretär des Auswärtigen Stanhope und neben ihm Sunderland Leiter des Kabinetts. Aber die Verwicklung mehrerer Mitglieder in den Schwindel, der 1720 mit den Aktien der Südseegesellschaft getrieben wurde, erschütterte ihre Stellung, und als 1721 Stanhope starb, übernahm Robert Walpole (s. Oxford), der 1715 im Zerwürfnis mit ihm ausgetreten war, als erster Schatzlord die Führung der Staatsgeschäfte, die er 20 Jahre lang zu behaupten wußte.
Walpole leitete eine lange Epoche der Ruhe und friedlichen Weiterentwicklung ein, während der er durch geschickte Finanzverwaltung, das Fernhalten polit. Aufregung und durch systematische Bestechungen sich eine große gefügige Parlamentsmehrheit zu erhalten wußte. Sein Vorgänger hatte in der Quadrupelallianz von 1718 zur Wahrung des Utrechter Friedens gegen Eroberungsgelüste Spaniens einen kurzen Krieg gegen diese Macht führen müssen, hierzu wurde auch Walpole durch den notwendigen Beitritt zu dem Herrenhauser Bündnis mit Frankreich und Preußen [* 3] (1725) gezwungen. Er strebte aber sofort wieder einem Ausgleich zu. Vorübergehend wurde er seiner Stellung enthoben, als Georg II. (1727-60), der ihn haßte, zur Regierung kam, doch bald rief er den Unentbehrlichen zurück.
Die allmählich sich regende Parlamentsopposition der sog. «Patrioten» (s. d.), erspähte den Moment eines Handelsstreites mit Spanien, [* 4] um den widerstrebenden Walpole in einen Krieg hineinzudrängen und während desselben (1742) zu stürzen. Nach einigen Schwankungen behauptete Walpoles alter Anhänger Pelham die Führung. England war dem Österreichischen Erbfolgekrieg (s. d.) als Bundesgenosse Österreichs gegen Frankreich beigetreten, und in der entscheidenden Schlacht bei Dettingen führte Georg II. selbst das Kommando.
Auch Frankreichs Angriff zur See, der Landungsversuch des von ihm unterstützten Stuartprätendenten Karl Eduard 1744 mißglückte, und als dieser kecke Abenteurer im folgenden Jahre sich nach Schottland warf, dort sich zuerst siegreich behauptete und selbst in England eindrang, wurde er schließlich bei Culloden durch den Herzog von Cumberland völlig geschlagen, und den jakobitischen Herstellungsversuchen damit für immer ein Ende gemacht. Der Aachener Friede (s. d.) stellte dann 1748 im wesentlichen den Zustand vor dem Kriege wieder her.
Die schwierige Lage beim Ausbruch des Siebenjährigen Krieges (1756) und der Mangel anderer geeigneter Männer zwang den König, den ihm persönlich mißliebigen William Pitt (s. Chatham) zur Regierung zu berufen und nach kurzer Unterbrechung (1757) dauernd im Amte zu lassen. Auf der ganzen Erde führte dieser als Bundesgenosse Friedrichs d. Gr. den Krieg gegen Frankreich und Spanien. Namentlich wurde in Canada mit Glück gegen die Franzosen gekämpft; auch in Ostindien [* 5] wurden sie von Lord Clive verdrängt und mit der Eroberung Bengalens der Grund zu dem Angloindischen Reiche gelegt. (S. Ostindien.) Als aber nach des Königs Tod sein Enkel, der junge Georg III. (1760-1820) zur Regierung gekommen war, schob er den großen Minister zur Seite (1761) und drängte mit schmählicher Preisgabe des Preußenkönigs durch seinen schott. Günstling Graf Bute zur Beendigung des Krieges.
Durch den Frieden von Paris [* 6] (1763) erhielt England in Nordamerika [* 7] Canada, die Anerkennung des Mississippi als westl. Grenze, Florida und mehrere Inseln. Walpoles friedliche Arbeit sowie Pitts glückliche Kriegführung hatte Britannien zur ersten Handels- und Kolonialmacht und zur Beherrscherin der Meere erhoben. Trotz der Kriegsopfer und der gewaltig angewachsenen Staatsschuld flossen ihm neue Reichtümer zu, und Handel und Industrie entfalteten sich zu immer größerer Blüte. [* 8] Da gab Georg III. selbst den Anstoß zu der ersten schweren Einbuße, zum Abfall der eben erst gegen Frankreich gesicherten amerik. Kolonien.
Mit Georg III. hatte die lange Herrschaft großer geschlossener Parlamentsparteien ihr Ende erreicht. Eifersüchtig auf die Macht der führenden Minister wollte er ein selbst regierendes Königtum wieder an deren Stelle setzen. Bei seiner eigenen Unfähigkeit war das Ergebnis aber nur ein höchst trauriges: er verdrängte Pitt durch den unfähigen Bute und sprengte die große Whigpartei, indem er die Opposition durch eine besondere Partei der «Königsfreunde» stärkte, die er durch Bestechung mit Ämtern und Geld zusammenbrachte. So konnte sich bei den ausgelösten und schwankenden Parteiverhältnissen kein Ministerium lange halten, zumal immer Georgs unberechenbarer Eigenwille störend eingriff.
Nach Ablauf [* 9] des ersten Jahrzehnts regierte er bereits mit seinem fünften Ministerium. Nun hatte in dem ganz richtigen Gedanken, daß die amerik. Kolonien zur Tilgung der gewaltigen Kriegsschuld beisteuern sollten, das Ministerium Grenville die amerik. Eingangszölle erhöht und besonders durch die Stempelakte (s. d.) eine neue Abgabe (1765) eingeführt. Drückend war diese nicht und besonders gerechtfertigt, weil der Krieg zum guten Teil im Interesse der Kolonien geführt war; aber sie führte sofort zu der grundsätzlichen Frage, ob das brit. Parlament das Recht habe, die Kolonien ohne ihre eigene Zustimmung zu besteuern. In Amerika [* 10] wurde diese Frage entschieden verneint, und auf Pitts Drängen hob das folgende Ministerium Rockingham die Stempelakte wieder auf.
Die einsichtigern Staatsmänner erkannten die Berechtigung des amerik. Standpunktes an, nicht aber Georg. Er hatte 1770 den gefügigen Lord North an die Spitze der Geschäfte berufen und zwang diesen, energisch auf dem letzten noch beibehaltenen Theezoll zu beharren und der Widersetzlichkeit der Amerikaner mit Zwangsmaßregeln, Sperrung des Bostoner Hafens, Aufhebung des Freibriefs von Massachusetts, zu begegnen. Die vereinte Parlamentsmehrheit der Tories und Königsfreunde leistete ihm hierbei Folge. Ein Kongreß der Amerikaner zu Philadelphia [* 11] (1774) verbot dafür allen Handel mit dem Mutterlande; auf beiden Seiten rüstete man, 1775 brach der Krieg aus, und 1776 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung der 13 Vereinigten Staaten [* 12] von Amerika (s. d.). ¶
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1778 trat ihnen Frankreich, dann Spanien zur Seite, 1780 vereinigten sich die meisten übrigen Festlandmächte zu einer bewaffneten Seeneutralität, um den eigenen Handel gegen Englands Übergriffe zu schützen; dem Anschluß Hollands kam England mit der Kriegserklärung zuvor. Trotz seiner gewaltigen Hilfsquellen war es aber diesem ungleichen Kampf nicht gewachsen. Nach einem Vorfrieden mit den Vereinigten Staaten der deren Unabhängigkeit anerkannte und England nur Canada und Neufundland ließ, folgte 1783 der allgemeine Friede von Versailles, [* 14] in dem England neben kleinen Abtretungen an Frankreich in Westindien [* 15] und Afrika [* 16] an Spanien Florida und Minorca verlor.
Während man noch im Kampf begriffen war, hatten die unterdrückten Iren die Verlegenheiten Großbritanniens zu einer Erhebung benutzt (1779), sie forderten Religions- und Handelsfreiheit, vor allem aber die Aufhebung des Gesetzes von 1720, das sie den Beschlüssen des brit. Parlaments unterwarf; 1782 mußte die gesetzgeberische Unabhängigkeit des irländ. Parlaments gegenüber dem großbritannischen zugestanden werden. Daneben hatten andere Unruhen England und Schottland erregt; eine Toleranzbill von 1778, welche die Katholiken von ihren schlimmsten bürgerlichen Beschränkungen befreite, rief eine Erhebung fanatischer schott. Presbyterianer hervor, diese verpflanzte sich nach England, und hier brachen 1780 die sog. Gordonschen Unruhen aus (s. Gordon, Lord George), die London [* 17] für mehrere Tage der Herrschaft plündernder Pöbelhaufen überlieferten.
Alle diese Schläge hatten das Ministerium North erschüttert, 1782 mußte es abtreten, Rockingham und Shelburne folgten schnell, der Abschluß des Versailler Friedens von 1783 war dann das Werk einer Ministerkoalition, die, auf die Unterhausmehrheit gestützt, dem König ihre Zulassung zum Amt abgezwungen hatte. Diese Koalition war geschlossen zwischen dem extremen Whig Fox und dem schnell abtrünnig gewordenen Königsfreunde und Tory North. Aber Georg benutzte die erste Gelegenheit, ein von Fox eingebrachtes Gesetz, das den Mißbräuchen der Ostindischen Compagnie steuern sollte, durch seinen Einfluß im Oberhause zu Falle zu dringen und darauf hin im Dez. 1783 das Koalitionsministerium zu entlassen. Er berief an dessen Stelle den jüngern William Pitt.
Mit dem Eintritt des erst 24jährigen Pitt begann eine neue, die ruhmvollste Epoche in Georgs III. Regierung, in der dieser den fähigen Staatsmann gewähren ließ. Mit seltenem Mut und Geschick behauptete sich der neue Premierminister gegen die von Fox geführte oppositionelle Unterhausmehrheit. Er erreichte, daß diese in erbittertem Kampf sich selbst zerrieb und die Neuwahlen im Frühjahr 1784 ihm eine überwältigende Mehrheit brachten. Er schuf sich eine neue Torypartei, die er fest zusammenzuhalten wußte, und mit der er fast zwei Jahrzehnte gegenüber einer jährlich mehr zusammenschmelzenden Opposition regierte.
Vor allem suchte er die Finanzen zu ordnen und den Druck der Staatsschuld von 243 Mill. Pfd. St. zu erleichtern. Umsonst aber waren seine Bemühungen, den Hebel [* 18] zu einer Reform des Unterhauses anzusetzen. (S. Reformbill.) Der Eindruck der franz. Revolution brachte alle derartigen Versuche zum Scheitern, war aber insofern vorteilhaft für ihn, als die Whigs sich spalteten in begeisterte Revolutionsfreunde unter Fox und ihre scharfen Gegner unter Burke, die schließlich die ministerielle Partei verstärkten.
Pitt hielt sich anfangs neutral; erst die gefährlichen Versuche, die Revolutionsideen nach England und Irland zu verpflanzen, brachten beschränkende Gesetze. Als Frankreich dann Belgien [* 19] besetzte und dadurch auch engl. Interessen verletzte, entstand eine Spannung zwischen beiden Mächten, die endlich durch die franz. Kriegserklärung vom zu offenem Kriege führte. In England wuchs die revolutionsfeindliche Stimmung, der Krieg war populär, obwohl er zu Lande in den Niederlanden von Unglück begleitet war (s. Französische Revolutionskriege), und in Irland eine neue Erhebung durch die «Vereinigten Irländer» unter Fitzgeralds Führung ausbrach, die mit grausamer Strenge niedergeworfen wurde.
Zur See behauptete sich England; Kapland, Ceylon [* 20] wurden den Franzosen entrissen, und die Sorge, die Napoleons Ägyptische Expedition (s. d.) für den Besitz Indiens erweckte, schwand vor Nelsons glänzendem Sieg bei Abukir (1. und Dabei aber herrschte Teuerung im Lande, die Bank von England stellte vorübergehend ihre Zahlungen ein, und auf der Flotte brachen gefährliche Meutereien aus. Die übrigen Verbündeten gegen Frankreich hatten zu Basel [* 21] (1795) und Campo-Formio (1797) ihren Sonderfrieden geschlossen; erst 1799 wurde eine zweite europ. Koalition zusammengebracht. Um aber die beständige, von Irland drohende Gefahr dauernd zu beseitigen, suchte Pitt dessen völlige Vereinigung mit Großbritannien [* 22] durchzusetzen; beide Parlamente sollten verbunden, jeder Verkehr frei, jedes Recht gleich sein.
Nach schweren Mühen und schließlich nur durch vielfache Bestechungen wurden Pitts Anträge im Herbst 1800 Gesetz; 100 Gemeine und 28 auf Lebenszeit gewählte Lords mit vier Bischöfen stellte Irland für das Gesamtparlament. Aber der Ausschluß der dort weit überwiegenden Katholiken machte die That zu einer halben. Pitt war entschlossen, die beschränkenden Katholikengesetze aufzuheben, stieß aber bei dem Eigensinn des Königs auf einen so energischen Widerstand, daß dieser Febr. 1801 lieber seinen großen Staatsmann entließ, als daß er in sein Begehren eingewilligt hätte.
Durch Pitts Rücktritt war der Weg zum Frieden mit Napoleon gebahnt, für den auch in England viele Stimmen laut wurden. Inzwischen hatte nämlich eine Landexpedition nach Holland unter dem Herzog von York mit dessen Kapitulation zu Alkmaar (1799) ein unrühmliches Ende gefunden, Kaiser und Reich hatten sich im Frieden von Lunéville (Febr. 1801) wieder von der Koalition gelöst, und die Nordmächte hatten einen Bund geschlossen zum Schutz des neutralen Handels gegen die dauernden Übergriffe der Engländer.
Freilich hatte Nelson durch einen Angriff auf Dänemark [* 23] dieses bald zum Austritt zu zwingen und die Freiheit des Sundes zu erkämpfen gewußt, und die Thronbesteigung Alexanders I. (1801) ermöglichte einen friedlichen Schiffahrtsvertrag mit Rußland, dem Schweden [* 24] und Dänemark beitraten. Darauf unternahm es Addington, Pitts schwächlicher Nachfolger, nun auch den großen Kampf mit Frankreich zu einem Abschluß zu bringen; wurden in London die Friedenspräliminarien unterzeichnet, der Friede von Amiens [* 25] geschlossen, der England von allen seinen Eroberungen nur Trinidad und Ceylon ließ und gegenüber Napoleons Politik, der in demselben Jahre sich zum lebenslänglichen Konsul aufschwang, nur ein Scheinfrieden sein ¶
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konnte. Napoleons dauernde Eroberungsgelüste riefen schon Englands neue Kriegserklärung hervor, im Lager [* 27] von Boulogne sammelte der Eroberer seine Truppen zu einer Landung in England; aber die überlegene Flotte des Gegners durchkreuzte das Vorhaben. Die drohende Gefahr rief Pitt wieder als den Retter zurück (1804). Sofort verhandelte er eine neue Koalition gegen den zum Kaiserthron gelangten Napoleon, 1805 wurde sie zwischen England, Rußland, Österreich [* 28] und Schweden geschlossen, während Spanien zu Frankreich stand und Preußen in seiner Neutralität verharrte.
Aber im Dezember schlug Napoleon die Russen und Österreicher bei Austerlitz, [* 29] und nur Nelson hatte wieder 21. Okt. bei Trafalgar einen Seesieg über die vereinigte franz. und span. Flotte erfochten. Ungeheuer waren die Lasten, die der Krieg dem Reiche auferlegte. England mußte eine Seemacht von 907 größern Schiffen mit 165000 Mann Bemannung, dazu außer der Miliz eine Landmacht von 143000 Mann erhalten; die für 1806 vorausgeschätzten Ausgaben überstiegen die Einnahmen um 22 Mill. Pfd. St., dazu fiel Österreich im Preßburger Frieden (Dez. 1805) wieder von dem Bündnis ab, und noch war ein Ende des Krieges nicht abzusehen.
Pitt erlag den überwältigenden Sorgen (1806), die Friedensverhandlungen, die sein Nachfolger Grenville anknüpfte, zerschlugen sich, Preußen brach bei Jena [* 30] zusammen (1806), in Tilsit [* 31] erzwang Napoleon den Frieden und schloß mit Rußland ein enges Bündnis (1807). Sein Plan war, das unangreifbare England in seinem Handel zu vernichten. Ein von Berlin [* 32] aus erlassenes Dekret verhängte die Kontinentalsperre gegen England, die brit. Inseln wurden in Blockadezustand erklärt und alle engl. Schiffe [* 33] von den europ. Häfen ausgeschlossen.
England säumte nicht, Gegenmaßregeln zu treffen, es verbot seinerseits allen Verkehr mit Frankreich, verhängte Blockade über alle Staaten, in denen die brit. Flagge vom Handel ausgeschlossen war, und suchte Dänemarks Beitritt zu dem Kontinentalsystem durch einen Gewaltakt zu verhindern. Canning, der Minister des Auswärtigen, ließ Kopenhagen [* 34] bombardieren und die dän. Flotte hinwegführen (Sept. 1807). Der entscheidende Schritt Cannings war aber die Verbindung mit der aufständischen span. Junta (Jan. 1809) und die Entsendung von Hilfstruppen unter Arthur Wellesley, dem spätern Herzog von Wellington, die es den Spaniern ermöglichten, Napoleon erfolgreich Widerstand zu leisten (s. Französisch-Spanisch-Portugiesischer Krieg von 1807 bis 1814), dessen Hauptkräfte durch den Krieg mit Österreich in Anspruch genommen wurden. Gleichzeitig zeigte England zur See seine vollkommene Überlegenheit, eine Kolonie nach der andern wurde den Franzosen entrissen, dagegen erlagen die gegen Antwerpen [* 35] geschickten engl. Streitkräfte auf der Insel Walcheren (1809).
Neue Übergriffe der Engländer gegen neutrale Handelsschiffe riefen ein Zerwürfnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika hervor. Währenddessen nötigte die unheilbare Geisteskrankheit Georgs III., Jan. 1811, zur Übertragung der Regentschaft an seinen Sohn, den spätern Georg IV. Wider Erwarten ließ dieser frühere Freund der Whigs die bestehende Toryregierung am Ruder, ja er ersetzte sie nach Percevals Ermordung durch eine gleiche unter Lord Liverpool [* 36] mit Castlereagh (s. Londonderry) als Minister des Auswärtigen. All dieser Wechsel in den obersten Regierungskreisen beeinflußte aber in keiner Weise die auswärtige Haltung oder die von Wellington geleitete Kriegführung.
Als 1812 das Zerwürfnis mit Amerika den offenen Krieg hervorrief, trat auf dem Festlande die entscheidende Wendung ein durch die Katastrophe, in der die große Armee Napoleons im russ. Feldzuge vernichtet wurde. Schon während dieses Feldzuges war Wellington siegreich in Spanien vorgedrungen und in Madrid [* 37] eingezogen, jetzt folgte die Erhebung Deutschlands, [* 38] der Anschluß Österreichs und der Siegeszug der Verbündeten bis Paris. (S. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg von 1812 bis 1815.) Im Frieden von Paris s. Pariser Friede) gab England seine kolonialen Eroberungen, außer Tabago, St. Lucie und Isle-de-France, an Frankreich zurück und behielt außerdem Malta, Ceylon und das Kap der Guten Hoffnung. Auch der amerik. Krieg, der England zum erstenmal kleine Nachteile zur See gebracht hatte, wurde unter russ. Vermittelung im Frieden von Gent [* 39] beendet und der alte Zustand hergestellt.
Auf dem zur Regelung der europ. Verhältnisse zusammentretenden Wiener Kongreß stellten sich Österreich und England in Verbindung mit Frankreich den sächs. und poln. Forderungen Preußens [* 40] und Rußlands entgegen, und schon drohte ein Krieg zwischen den bisher Verbündeten, als Napoleons plötzliches Erscheinen in Frankreich die Gegner wieder vereinte. Dem glänzenden Tag von Waterloo [* 41] wo Wellington nach heldenmütigem Widerstande durch das rechtzeitige Erscheinen der Preußen unter Blücher gerettet wurde, folgte die Verbannung Napoleons nach St. Helena und der zweite Friede von Paris.
Großbritannien hatte sich in dem Riesenkampfe glänzend behauptet; trotz vieler Mißerfolge hatte es seinen Ruhm als erste Seemacht ungeschwächt erhalten können und ging mit vergrößertem Kolonialbesitz [* 42] aus dem Kriege hervor. Aber ungeheuer waren die Opfer, die er gefordert hatte. Die Schuld war auf die schwindelnde Höhe von 861 Mill. Pfd. St. gestiegen; zu dem schweren Steuerdruck, der hauptsächlich die niedern Klassen traf, gesellte sich deren große wirtschaftliche Not.
Die Kontinentalsperre hatte dem Handel und Gewerbefleiß trotz des ausgedehnten Schmuggelwesens den stärksten Abbruch gethan. Nachdem im Anfang des Krieges die Industrie über den Bedarf erzeugt hatte, stockte nun der Absatz, und überall lagerten unverkäufliche Waren. Zu der Arbeitsnot kam Teuerung durch Mißernten, ohne daß die im Parlament herrschenden Grundbesitzer sich veranlaßt gesehen hätten, die hohen Kornzölle zu ermäßigen; die Selbstsucht der Gesetzgeber vergrößerte vielmehr die herrschende Not, aus der Not entstanden Verbrechen, bei stürmischen Volksversammlungen kam es zu Gewaltthätigkeiten und Blutvergießen.
Die herrschende Regierung engherziger Tories wußte von keiner andern Hilfe als gewaltsamen Zwangsmaßregeln; statt der Reform der Getreidezölle, des aberwitzigen Kriminalrechtes, das den kleinsten Diebstahl wie gemeinen Mord bestrafte, der widersinnigen Zusammensetzung des Unterhauses (s. Reformbill), verfügten sie die Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte, das Verbot öffentlicher Versammlungen und die Beschränkung der Presse. [* 43] Die Antwort waren verbrecherische Anschläge, wie die Cato-Street-Verschwörung unter Arthur Thistlewood, die auf die Ermordung des ganzen Ministeriums abzielte. In dieser Gärung ¶
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bestieg der bisherige Prinz-Regent als Georg IV. (1820-30) den Thron. [* 45] Seine erste Regierungshandlung, welche die ganze Gemeinheit dieses Mannes offen zu Tage treten ließ, die Anstrengung des skandalösen Scheidungsprozesses gegen seine Gemahlin Karoline, regte die allgemeine Erbitterung gegen Thron und Regierung nur noch stärker auf. Dazu gesellten sich unbequeme äußere Verwicklungen. Die von Castlereagh, dem leitenden Geist des Kabinetts Liverpool, geführte auswärtige Politik entsprach durchaus der reaktionären innern und schloß sich eng an das System der Heiligen Allianz und deren Legitimitätsgrundsätze an. Von diesem Standpunkt aus sah Castlereagh auch die Revolutionen in Spanien, Neapel [* 46] und Griechenland [* 47] an; er selbst wollte gerade zum Fürstenkongreß nach Verona [* 48] abreisen, als er sich in einem Irrsinnsanfall selbst entleibte worauf Canning mit der Leitung des Auswärtigen betraut wurde, der sogleich einen Umschwung einleitete. Er vertrat in der europ. Politik im Gegensatz zu Metternich und seinen Anhängern den Grundsatz der Nichteinmischung und sprach die Anerkennung der von Spanien abgefallenen südamerik.
Kolonien als selbständiger Freistaaten aus. Er verschärfte auch das schon früher durchgesetzte Verbot des Sklavenhandels, indem er ihn mit denselben Strafen belegte wie Seeräuberei. Der steigenden Bewegung in Irland unter Führung Daniel O'Connells für die Befreiung der Katholiken von ihren bürgerlichen Beschränkungen suchte er mit einem Gesetzesvorschlag entgegenzukommen, den aber die Lords verwarfen (1824). Der liberale Umschwung, der mit Cannings Eintritt in das Toryministerium Liverpool zur Erscheinung gekommen war, wuchs, als er im April 1827 dessen Chef wurde.
Zwar der schon vorher mit seinem Freunde Huskisson gemachte Versuch, durch die Einführung der «gleitenden Skala» (s. Getreidezölle) einen ersten Schritt gegen die Kornzölle zu thun, hatte durch den Widerstand der Lords nur einen Teilerfolg (1828). Dafür aber bahnte er in der auswärtigen Politik noch das Eintreten der Mächte für die Griechen an, ehe er selbst einem frühen Tode erlag Nach einem Übergangsministerium Goderichs (s. Ripon) trat Wellington, der unter Canning als strenger Tory ausgeschieden war, an die Spitze der Regierung.
Das Ministerium Wellingtons hatte sowohl bei seinem Eingreifen in die griech.-türk. Verhältnisse (s. Griechenland) wie in Portugal Mißgeschick; vor allem aber wuchs die Unzufriedenheit in Irland, weil man in der Ernennung Wellingtons die Ankündigung neuen Rückschrittes sah. Dieser zeigte sich jedoch zu Konzessionen bereit. Die thatsächlich längst nicht mehr zur Ausführung gekommene Korporations- und Testakts wurde 1829 auf Russells Antrag auch formell aufgehoben, und damit erhielten wenigstens die prot. Dissenters gesetzliche Gleichstellung. Aber der erneute Versuch, die Ausschließung der Katholiken vom Parlament zu beseitigen, scheiterte anfangs im Oberhause, und auch den Starrsinn Georgs IV. mußte Wellington erst durch die Drohung mit seinem Rücktritt brechen; die Bill ging endlich auch bei den Lords durch, und war die Katholikenemancipation Gesetz.
Diese Niederwerfung der religiösen Schranke war nur der Anfang zu der weit tiefer greifenden Reform des Unterhauses in seiner ganzen Zusammensetzung. Die Verteilung der Vertretung im Unterhause und des Wahlrechtes überhaupt war in den Jahrhunderten seines Bestehens für die modernen Verhältnisse zur reinen Karikatur geworden; thatsächlich wurden die meisten Unterhaussitze von der Krone und mächtigen Adelsfamilien geradezu vergeben oder durch Bestechung erkauft, nur wenige hatten ihre Selbständigkeit wahren können. Alle Anträge, die Besitzer der Macht zu einer Reform zu bewegen, waren bisher zurückgewiesen worden. (S. Reformbill.) Mit der Annahme der Katholikenbefreiung wurden auch die so oft getäuschten Hoffnungen auf Parlamentsreform wieder lebendig, aber zunächst noch ohne Erfolg; einen dahin zielenden Antrag Russells (Febr. 1830) verwarfen schon die Gemeinen. Etwas besser wurden die Aussichten, als nach Georgs IV. Tode sein Bruder, der bisherige Herzog von Clarence, als Wilhelm IV. (1830-37) den Thron bestieg. Im November trat Wellington zurück, und ein alter, maßvoller Vorkämpfer der Reform, Graf Grey, übernahm als erster Schatzlord die Leitung eines Whigkabinetts. Sein erstes Reformgesetz (Febr. 1831) fiel im Unterhause.
Das nach einer Parlamentsauflösung neu gewählte nahm die zweite Reformbill an (März 1832), sie scheiterte aber im Oberhause, bis endlich unter persönlicher Einwirkung des Königs bei der dritten Reformbill die Lords nachgaben. Am wurde sie Gesetz. Verrottete Wahlflecken (rotten boroughs, s. Borough) wurden angehoben, bisher nicht vertretene Städte mit dem Wahlrecht begabt, dieses gegenüber der frühern Willkür gleichmäßiger verteilt, sodaß alle städtischen Steuerzahler, deren Wohnung mindestens 10 Pfd. St. Mietwert hatte, wahlberechtigt wurden, sowie von den Landbewohnern die Freigutsbesitzer mit mindestens 10 Pfd. St. und alle Pächter auf 20 Jahre mit 50 Pfd. St. Rente.
Diese Reform bezeichnet einen der wichtigsten Abschnitte in der engl. Geschichte, denn sie verdoppelte die alte Wählerzahl von 400000 Seelen, befreite das Wahlrecht einigermaßen von den alten Schranken der Patronage und Bestechung und gab statt einer engen, durch das Unterhaus herrschenden Adelsoligarchie dem Mittelstand die ausschlaggebende Macht im Staatsleben. Thatsächlich scheidet sich hier das früher von der Krone, dann von einer Adelsoligarchie regierte alte England von dem England des 19. Jahrh., das sich den aus Frankreich stammenden, unser Jahrhundert beherrschenden demokratischen Ideen geöffnet hat.
Großartiges hatte die alte Parlamentsoligarchie geleistet; ihr war vor allem die Ruhe und Stetigkeit verliehen, die Dauerministerien, wie Walpoles und Pitts, möglich gemacht hat. Nur eine Oligarchie der Welt, der röm. Senat, ist an polit. Einsicht und Leistungsfähigkeit mit der des engl. Parlaments im 18. Jahrh. vergleichbar. Dennoch konnte sie nie den Charakter einseitiger Klassenvertretung abstreifen und zeigte ihre Unfähigkeit, den innern staatlichen Aufgaben der neuern Zeit zu genügen.
7) Die ersten Jahre nach der Parlamentsreform bis zu den Zoll- und Finanzreformen Peels (1833-46). Am begannen die Sitzungen des ersten, nach der Reform gewählten Parlaments. Weitaus das Übergewicht hatten die Whigs, aber neben diesen hatte sich eine neue radikale Partei gebildet, der die bisherige Reform bei weitem nicht genug that. Der Brennpunkt der ersten polit. Kämpfe war die irische Frage. Mit der 1829 den widerstrebenden Tories abgerungenen Katholikenbefreiung waren weder die Forderungen ¶
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des unterdrückten Irland erfüllt, noch die bedrohliche Unruhe daselbst beseitigt. Vor allem richtete sich der Widerstand der kath. Iren gegen die Zahlung des Kirchenzehnten an die anglikan. Geistlichkeit. Der systematischen Zahlungsverweigerung dachte das Ministerium Grey durch Zwangsmaßregeln zu begegnen und brachte ein Gesetz, die sog. Zwangsbill, zur Annahme im Parlament, das dem Vicekönig zeitweise die Anwendung des Kriegsrechts gestattete. Gleichsam einen Entgelt dafür sollte die Kirchenreformbill bieten, welche die übertrieben hohen Einkünfte der Kirche ermäßigte und überflüssige Stellen beseitigte. Zu den bedeutenden Thaten dieser Session gehörte die völlige Abschaffung der Sklaverei in den engl. Kolonien, die Aufhebung der Handelsprivilegien der Ostindischen Compagnie und die Freigabe des Handels nach dem Osten.
Die Zehntbill der Regierung, die in Irland an Stelle der vom Pächter entrichteten Zehnten eine vom Grundherrn zu zahlende Geldabgabe setzte, kam zu Fall, namentlich wegen einer Zusatzbestimmung der sog. Appropriationsklausel (s. d.), welche die neugewonnenen Überschüsse aus dem irländ. Kirchenvermögen für gemeinnützige Zwecke, besonders für Schul- und Armenwesen, verwenden wollte. Obendrein hatte sich Zwiespalt im Ministerium gezeigt, sodaß Grey 1834 abtrat und der bisherige Minister des Innern Melbourne [* 50] die Leitung übernahm.
Der Charakter der Whigregierung blieb durch diesen Personenwechsel unberührt, nur wurde die viel angefeindete Zwangsbill gemildert. Wieder wurde die Zehntbill eingebracht und vom Unterhause angegenommen ^[korrekt: angenommen], vom Oberhause dagegen abgelehnt, worauf das Parlament vertagt wurde. Als aber jetzt der stürmisch-agitatorische Kampf gegen die Regierung in der Öffentlichkeit fortgesetzt und das Ministerium des Einverständnisses mit dem irländ. Agitator O'Connell verdächtigt wurde, entschloß sich der König zu der plötzlichen Entlassung des Kabinetts
Auf Wellingtons Empfehlung beauftragte er Robert Peel mit der Bildung eines Torykabinetts; die Neuwahlen (1835) brachten jedoch keine ministerielle Mehrheit, und Peel sah sich schon April 1835 zum Rücktritt bewogen, worauf Melbourne wieder an seine Stelle trat. Dieser unternahm eine wichtige Reform durch die Einführung der engl. Städteordnung Ähnlich wie in der Parlamentsregierung vor der Reform sah es in den städtischen Verwaltungen aus, wo die von jedem Zusammenhang mit der Bürgerschaft gelösten, sich selbst ergänzenden Magistrate ein eigennütziges und drückendes Willkürregiment führten; das neue Gesetz gab die Wahlen der städtischen Beamten an die Steuerzahler.
Die Regierung hatte inmitten der alten Tories und der neuen Radikalen eine schwierige Stellung und überhaupt mit den ungewohnten, durch die Reform veranlaßten Parteiverschiebungen zu rechnen. Ihre Mehrheit bestand aus den alten Whigs und den weit über sie hinausgehenden Radikalen, neben diesen aus den mit eigenen Wünschen sich vordrängenden Iren unter O'Connell. Sie mußte 1836 gegen die Orangelogen (s. d.) in Irland einschreiten, in denen sich die engl.-prot.
Elemente gegen das kath. Irentum vereinigt hatten; denn diese hatten gegen die Katholikenbefreiung und die beabsichtigten Reformen eine der Regierung gefährliche Haltung einzunehmen begonnen, sodaß sie aufgelöst und unterdrückt werden mußten. Ein Gesetz zur Reform der irländ. Städteverfassung scheiterte am Widerstand des toryistischen Oberhauses. Ebenso bekämpften die Tories die Politik des Staatssekretärs des Auswärtigen, Palmerston, der zum Schutz der liberalen Verfassungen der Pyrenäischen Halbinsel gegen die absolutistischen Gelüste des Don Carlos und Dom Miguel schon mit Frankreich, Spanien und Portugal die Quadrupelallianz abgeschlossen hatte. Mitten im erbitterten Kampf um innere und äußere Fragen während der Session von 1837 starb König Wilhelm IV. in der Nacht vom 19. zum 20. Juni.
Mit seinem Tode erfolgte die Loslösung Hannovers, das die weibliche Thronfolge ausschloß, von dem großbrit. Reiche. Während dort ein jüngerer Bruder Wilhelms, der Herzog von Cumberland, als König Ernst August den Thron bestieg, folgte in Großbritannien die einzige Tochter eines ältern Bruders, des Herzogs von Kent, die achtzehnjährige Victoria [* 51] (s. d.).
Die von Melbourne für ihren königl. Beruf in whigistischem Sinne herangebildete Monarchin eröffnete der Whigregierung an ihrem Hofe bessere Aussichten, als sie unter dem verstorbenen König besessen hatte; aber die gesunkene Macht der Krone zeigte sich darin am deutlichsten, daß gerade damals die Whigs an Boden verloren. In dem neuen Parlament, das eröffnet wurde, war die liberale Mehrheit noch schwächer und schwankender als zuvor. Eine geringe Festigkeit [* 52] bewies das Ministerium gegenüber der Empörung in Canada (s. d., Bd. 3, S. 892). Der mit besondern Vollmachten abgesandte Graf Durham war streng und mit Erfolg gegen die Empörer eingeschritten.
Trotzdem gab die Regierung den Angriffen der Opposition gegen ihn nach und sprach dem Grafen ihre Mißbilligung aus, sodaß dieser voller Erbitterung seine Entlassung nahm. Auch die irische Zehntbill gelang es nur durch völligen Verzicht auf die Appropriationsklausel durchzubringen. Besondere Schwierigkeiten bereitete das Vorgehen der äußersten Radikalen, der sog. Chartisten (s. Chartismus) unter Führung O'Connors, die in ihrem Parteiprogramm, der «Volkscharte», äußerst demokratische Forderungen aufstellten, wie allgemeines Wahlrecht, jährliche Parlamente, geheime Abstimmung u. s. w. Sie arbeiteten mit Volksversammlungen und Massenpetitionen und beriefen 1838 einen Nationalkonvent nach London.
Als sie aber Sommer 1839 zur gewaltsamen Durchführung ihrer Charte schritten, wurden ihre Versuche mühelos unterdrückt und die Führer deportiert. Diesem Erfolg stand ein ähnlicher in der auswärtigen Politik zur Seite. Die zweifelsohne von Rußland unterstützte Bedrohung Herats durch den Schah von Persien [* 53] gab im Frühling 1839 den Engländern Gelegenheit zu einem siegreichen Zuge gegen Afghanistan [* 54] (s. d., Bd. 1, S. 171 b) und damit zur neuen Befestigung ihrer ostind.
Herrschaft. Gleichwohl begann die Febr. 1839 eröffnete Parlamentssession unter trüben Aussichten. Trotz der schlechten Ernte [* 55] und dem herrschenden Nahrungsmangel bestanden noch immer die hohen Getreidezölle, die, zur Zeit der ausschließlichen Toryherrschaft geschaffen, eine Getreideeinfuhr geradezu ausschlossen. Im Mittelpunkt der industriellen Bevölkerung [* 56] in Manchester [* 57] hatte sich 1838 unter Cobdens Leitung die Antikornzollliga (s. Anti-Corn-Law-League) gebildet, die auf die Beseitigung der hohen Zölle hinarbeitete. Ihr Vorgehen im ¶
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Parlament 1839 blieb noch ohne Erfolg, aber ihre Agitation, die Chartistenbewegung sowie die dauernden irländ. Verlegenheiten machten die Stellung des Ministeriums schwierig, und als es in einer Kolonialfrage nur fünf Stimmen Mehrheit erhielt, trat es zurück. Der Versuch Peels, ein neues Kabinett zu bilden, scheiterte an seiner Forderung, daß auch bestimmte Hofdamenstellen nach Parteirücksichten besetzt werden sollten. Nach einzelnen Personalveränderungen blieb daher das alte Ministerium im Amte.
Das J. 1840 brachte 10. Febr. die Vermählung der Königin mit dem Prinzen Albert von Sachsen-Coburg, dem es nur mit Mühe gelang, das anfängliche öffentliche Mißtrauen zu beseitigen. Mit China [* 59] (s. d., Bd. 4, S. 208) kam es zum Kriege, weil es die massenhafte brit. Opiumeinfuhr zu hindern suchte. Die Anfeindungen, die der Leiter des Auswärtigen, Palmerston, deshalb erfuhr, wurden einigermaßen wettgemacht durch die Niederwerfung des ägypt. Vicekönigs Mehemed-Ali, der sich gegen den Sultan erhoben hatte und nun von England im Bunde mit Österreich, Rußland, Preußen und der Türkei [* 60] (Sept. 1840) zur Unterwerfung gebracht wurde. (S. Ägypten, [* 61] Bd. 1, S. 248 b.) Der Hauptkampf der Parteien konzentrierte sich jedoch auf die Kornzölle, und in der Berechnung, die Zahl der eigenen Anhänger durch die Gegner der Kornzölle zu vermehren, brachte Melbourne April 1841 die Angelegenheit vor das Parlament. Es war vergeblich, einer Niederlage, die er dort erlitt, folgte eine gleiche bei den Wahlen; trat Peel an die Spitze einer konservativen Regierung, und nun begann, getragen von der großen Freihandelsbewegung, die denkwürdige Epoche der großen Zoll- und Finanzreformen dieses Ministeriums.
Den schreienden Mißständen gegenüber hatte sich der konservative Staatsmann der Notwendigkeit nicht verschließen können, eine Reform in der finanziellen und wirtschaftlichen Politik anzubahnen. Entgegen der eigenen Parteiüberlieferung machte er die notwendigen staatsmännischen Zugeständnisse und schlug einen Mittelweg ein, auf dem er seine Gegner auf den beiden äußersten Flügeln fand, bei den radikalen Freihändlern wie den reformfeindlichen Schutzzöllnern. Am trat er mit dem ersten Antrag auf Zollermäßigung vor das Parlament, der nach heftigem Kampf mit den Extremen beider Flügel durchgesetzt wurde. Ebenso wurde eine Einkommensteuer von 3 Proz. angenommen, zum Ausgleich gegenüber den herabgesetzten indirekten Einnahmen und zur Beseitigung des dauernden Deficits. Auch in der auswärtigen Politik gab es manche Schwierigkeiten zu lösen. Mit Nordamerika war durch Grenzstreitigkeiten und einige andere Vorkommnisse eine Spannung entstanden, die durch den Vertrag von Washington [* 62] beseitigt wurde.
Den nachdrücklich geführten chines. Krieg endete der Friede vom der neben einer hohen Kriegsentschädigung und der Eröffnung mehrerer Häfen den Engländern die Insel Hongkong brachte. Eine Erhebung der Afghanen hatte zur Aufreibung eines ganzen brit. Heers geführt; unter dem Vicekönigtum von Lord Ellenborough wurde im Sommer 1842 ein blutiger Rachezug unternommen. (S. Afghanistan, Bd. 1, S. 172.) Zu gleicher Zeit gingen die Chartisten mit einer neuen Massenpetition vor, und in Irland betrieb O'Connell durch seine Repealvereine (s. d.) eine erfolgreiche demagogische Agitation für die Lostrennung Irlands von England. Als die Bewegung einen immer leidenschaftlichern Charakter annahm, setzte Peel in der Parlamentssession 1843 das Verbot der Waffeneinfuhr nach Irland durch und ließ O'Connell mit mehrern Genossen des Hochverrats anklagen. Die gerichtliche Verurteilung wurde zwar in letzter Instanz vom Oberhaus kassiert, indes war der Repealbewegung damit ein vernichtender Stoß versetzt worden.
Während die Antikornzollliga ihren Freihandelskampf in Parlament und in der Öffentlichkeit mit wachsendem Erfolg fortsetzte, ging Peel unbeirrt seinen Weg maßvoller Reformen weiter. Die Session von 1844 brachte das Bankgesetz (s. Bankakte), welches das auszugebende Papiergeld in ein bestimmtes Verhältnis zu den bestehenden Barbeständen setzte, und die Ermäßigung des Zuckerzolls bezeichnete ein weiteres Fortschreiten in der eingeschlagenen Richtung.
Immer weiter vollzog sich zugleich die unaufhaltsame Umgestaltung und Zersetzung der alten Parteiverhältnisse. Am deutlichsten trat sie im April 1845 gegenüber der Maynoothbill hervor, in der die Regierung für ein kath. irisches Seminar eine größere Staatsunterstützung forderte. Die alten Tones fielen ab, während eine größere Zahl von Whigs und Liberalen auf seiten des Ministeriums stand. Ähnlich blieb das Parteiverhältnis bei der Bewilligung der für die drei folgenden Jahre geforderten Einkommensteuer, der weitern Verminderung der Zuckerzölle und einer in größerm Umfange vorgenommenen Herabsetzung des allgemeinen Zolltarifs. Der Mißwachs der Kartoffeln brachte 1845 eine furchtbare Hungersnot in Irland hervor und führte die Macht und den öffentlichen Einfluß der Antikornzollliga auf ihre Höhe. Peel selbst fühlte die Notwendigkeit, den letzten entscheidenden Schritt zu thun. Als er (Dez. 1845) im Kabinett zuerst seinen Plan zu einer grundsätzlichen Aufhebung der Kornzölle vorbrachte, kam es zu einer vorübergehenden Krisis, die nach Russells vergeblichem Versuch zur Neubildung mit dem Wiedereintritt des Ministeriums Peel endete. Am brachte Peel in der neuen Parlamentssession seinen Reformplan vor das Unterhaus.
Wie der Grundbesitz das Opfer der Getreidezölle bringen sollte, so verlangte er von der Industrie, daß sie auf den Zollschutz für Fabrikate aus Baumwolle, [* 63] Wolle und Flachs verzichte. Nach langen Kämpfen, die zum Bruch mit der alten Torypartei führten, wurde die Annahme bis zum 26. Juni entschieden. Schon den Tag vorher war Peel jedoch gestürzt worden, denn als sich der von ihm nötig erachteten Zwangsbill zum Schutze von Leben und Eigentum in Irland die Liberalen und Radikalen widersetzten, traten ihnen auch die gegen Peel persönlich erbitterten Tories bei, und das Gesetz wurde mit 292 gegen 219 Stimmen abgelehnt. Peel trat daraufhin zurück, und es folgte ihm ein Whigkabinett unter Lord Russell, in dem Sir George Grey die innern, Palmerston die äußern Angelegenheiten leitete.
8) Die Whigherrschaft bis zum Ausbruch des Krimkrieges (1846-53). Die Erbschaft, welche die Whigs übernahmen, war nicht ungünstig. Das Verhältnis zu Frankreich war ein sehr freundliches, und neue Zwistigkeiten mit Nordamerika über die Oregongrenzfrage waren im Juni 1846 friedlich erledigt worden. Lord Ellenboroughs kriegerische Politik in Ostindien gegen die Afghanen sowie gegen die Mahratten hatte zu seiner ¶