alte Volkssage, nach der Mittwoch vor
Ostern die Kirchenglocken nach
Rom
[* 2] zum Papst fliegen und am
Sonnabend
darauf an ihre
Stellen zurückkehren, oder vielmehr ihre
Geister, denn die
Glocken selbst sieht man in den
Türmen hängen.
Die
Meinung knüpft an das Schweigen der
Glocken vom Gründonnerstag bis Karsonnabend an.
das Eigentumsrecht an den Kirchenglocken. Es ist unzweifelhaft, daß dieGlocken
seit uralter Zeit zwar Pertinenzen der
Kirchen sind und vorzugsweise zu religiösen Zwecken verwendet werden, daß von ihnen
aber daneben auch in den verschiedensten Fällen, die mit dem Gottesdienste gar keinen Zusammenhang haben, Gebrauch gemacht
wird. Die ursprüngliche Bestimmung der
Glocken ist die,
Personen zusammenzurufen, und zwar nicht bloß zum
Gottesdienst oder zu irgend einer feierlichen Kultushandlung, sondern auch zu weltlichen Versammlungen (Bürgersprachen,
Gerichtstagen, Innungsberatungen
u. dgl.) oder zur Hilfeleistung in der
Not (Sturmglocke, Feuerglocke) oder zur Verfolgung
von Flüchtlingen u. s. w.
Da die
Glocken im liturgischen
Apparat einen Platz einnahmen, so schrieb sich die
Kirche eine besondere Kompetenz darüber zu;
die Kirchenglocken wurden eingesegnet und sogar geweiht (s.
Glockenweihe);
sie wurden zu den kirchlichen Sachen (res sacrae)
gerechnet;
den Pfarrern wurde die
Aufsicht und
Verfügung über dieselben zugewiesen und ihnen die Anstellung der Glöckner
und die Dienstgewalt über dieselben übertragen. In sehr vielen Gemeinden dienen dieselben
Glocken kirchlichen und profanen
Zwecken, und zwar sind sie regelmäßig in dem Kirchturm angebracht.
Hier entstehen häufig
Konflikte über den Gebrauch der
Glocken, indem die Pfarrer auf
Grund des kath. Kirchenrechts die ausschließliche
Verfügung darüber beanspruchen, die Gemeindebehörden
dagegen die Befugnis des Gebrauchs der
Glocken auch für sich beanspruchen.
Glockenrecht (frz. Droit surles cloches) war sonst auch die Bezeichnung
für ein altes Herkommen, nach welchem die
Glocken einer eroberten Festung
[* 6] dem Kommandanten der
Artillerie des Belagerers gehörten,
von welchem sie die städtischen
Behörden zurückerkaufen mußten. Einen
Teil dieser
Summe behielt der Kommandant für sich,
den Rest verteilte er unter die Mannschaft. Noch 1807 verfuhr Napoleon I. nach der Eroberung von
Danzig
[* 7] dem Glockenrecht gemäß, und auf ausdrückliche Verordnung des
Kaisers erhielt jeder Mann des Belagerungskorps einen
Teil des Erlöses
ausgezahlt.
(Glöckchen),
der
Ton, welcher entsteht, wenn man auf einer
Violine oder
Viola eine freie
Saite kräftig
anstreicht, den
Bogen
[* 8] aufhebt und die Tonbildung durch sanftes Reißen der
Saite mit einem Finger unterstützt.
sind Zusammenstellungen von
Glocken verschiedener
Größe, die nach der diatonischen oder diatonisch-chromatischen
Tonleiter gestimmt sind, um vermittelst
Klaviatur
[* 10] oder
Walze durch bewegliche Hämmer zum Erklingen in Melodien gebracht
zu werden. Anfänge von solchen finden sich schon in frühen
Zeiten, so im 5. Jahrh. das bombulum, bestehend aus einer metallenen
Stange mit wagerechtem Kreuzbalken, an dem die
Glocken hingen, auch nolae und tintinnabula genannt.
Aus dem 10. bis 12. Jahrh. sind
Beschreibungen und Abbildungen von solchen Glockenspiele erhalten. Klavierinstrumente
größerer Art,
Carillons genannt, kommen seit dem 16. Jahrh. auf
Türmen und öffentlichen
Gebäuden besonders in den
Niederlanden
vor. In
Deutschland
[* 11] vermochten sie sich weniger einzubürgern, kommen aber in niederdeutschen Gegenden hier und da vor (z. B.
im
GrauenKloster zu
Berlin,
[* 12] Garnisonkirche zu
Potsdam).
[* 13] Während in den
Niederlanden 115, in
Belgien
[* 14] 97 in
Gebrauch sind, weist
Deutschland deren nur 8 auf; das erste kam 1487 mit nur wenigen
Glocken und sehr einfachem Mechanismus
in
Aelst in Flandern in Anwendung.
Zur leichten Handhabe dient eine Erfindung des
Holländers Smulders. Ein Tastenapparat ermöglicht es, getragene Tonstücke
aller Art zur Ausführung zu bringen. Nach diesem
System ist
das neue Glockenspiele der St. Petrikirche in
Hamburg
[* 15] mit 40
Glocken eingerichtet.
Kleinere Glockenspiele mit besondern
Tasten waren auch in den alten Orgeln. Bei Militärmusiken und festlichen
Aufzügen hatte man tragbare
Carillons, die mit Klöppeln geschlagen wurden. An die
Stelle dieser trat in neuerer Zeit
die
Lyra
[* 16] oder das
Stahlspiel, bestehend aus abgestimmten, auf einem lyraförmigen
Rahmen befestigten Stahlstäben, die mit einem
Hammer
[* 17] geschlagen werden.
eine Vorrichtung, in welcher die größern
Glocken aufgehängt werden und schwingen. Da
durch das Schwingen der
Glocken eine Schwingung
[* 18] des ganzen
Turms hervorgerufen wird, muß der Glockenstuhl möglichst fest stehen; er
soll daher auch mit den
Mauern des
Turms nicht in fester
Verbindung stehen. Die
Glocken werden durch schmiedeeiserne
Bänder mit
ihren
Kronen
[* 19] an starke eichene Riegel befestigt. Diese tragen an ihren Stirnseiten eiserne Lagerzapfen,
mittels deren sie in den im eigentlichen Glockenstuhl angebrachten Lagern ruhen und in diesen drehbar sind. Der Glockenstuhl selbst
ist ein aus Winkel- und
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mehr
Flacheisen, wie in umstehenden
[* 20]
Fig. 1 u. 2 (Vorder- und Seitenansicht), oder aus starken Eichenbalken gebildetes Gerüst, welches
auf einer Balkenlage
[* 21] im Glockenturm aufgestellt wird. Die Bewegung der Glocke geschieht durch ein Hebelwerk, welches von unten
angezogen wird.
(ital. nota sostenuta), eine Gesangsmanier, die in dem
schnellen Wechsel von Crescendo (s. d.) und Decrescendo auf einem und demselben Tone besteht und in der Wirkung dem Tone der
Glocke nahe kommt.
Nürnberger Künstlerfamilie, deren Mitglieder als Miniaturmaler berühmt waren. Das älteste war Georg
der Ältere (gest. 1515); sein Sohn Albrecht soll eine große poet. Begabung besessen und auch als Formschneider
sich ausgezeichnet haben. Den größten Namen aber erwarb sich NikolausGlockenton (gest. 1534), der das berühmte Meßbuch für Albrecht
von Mainz
[* 22] 1524 ausführte, das jetzt in Aschaffenburg
[* 23] aufbewahrt wird, wo auch ein von ihm illustriertes Gebetbuch sich befindet.
Die Bibliothek zu Wolfenbüttel
[* 24] besitzt von ihm eine Bibel
[* 25] mit Miniaturen nach Dürers Holzschnitten.
(Chasmorhynchus), Gattung der Fruchtvögel (s. d.). die in vier Arten das tropische kontinentale Amerika
[* 27] bewohnt. Die Tiere haben einen platten, niedergedrückten, weit gespaltenen Schnabel, sind an der Kehle und den Wangen nackt.
Die Geschlechter sind in der Färbung sehr verschieden. Eine der bekanntern Arten ist der Schmied oder
Glöckner (ChasmorhynchusnudicollisTemm., s. beistehende
[* 20]
Figur), bei der das Männchen schneeweiß ist, das
Weibchen aber graugrün, unten heller mit dunkeln Längsstreifen, mit schwarzem Scheitel und schwarzer Kehle. Länge 25 cm,
wovon auf den Schwanz 7 cm entfallen. Die Tiere haben einen außerordentlich lauten, Glockengeläute vergleichbaren
Ruf, den sie nach Sonnenuntergang erschallen lassen.
Glockentaufe, Feierlichkeit bei Einweihung einer Glocke. Die in der kath. Kirche noch gegenwärtig gebräuchliche
Glockenweihe ist erst seit dem 8. Jahrh. üblich geworden. Sie ist
nicht überall gleich;
wesentlich besteht sie darin, daß unter dem Gesange des Miserere und des 28. Psalms die Glocke mit geweihtem
Wasser besprengt, mit heiligem Öl gesalbt, bekreuzigt, mit der Taufformel geweiht und beräuchert wird. Die Glocke erhält
eine heilige Person als Paten und führt deren Namen. Die Reformation hat die Glockenweihe als einen Mißbrauch verworfen; doch findet
auch in der prot. Kirche bei der Einführung neuer Glocken eine angemessene kirchliche Feier statt. –
Vgl. Steffens, Kirchenweihe
und Glockensegnung aus dem röm. Pontifikale (Essen
[* 28] 1893).
oder Großglockner, nächst dem Ortler (3902 m) und dem Königsspitz (3857 m) der höchste Gipfel des österr.
Alpengebietes, der zehnthöchste in den Ostalpen (s. d.),
erhebt sich in den Hohen Tauern an der Grenze von Tirol
[* 29] und Kärnten zu 3798 m Höhe. Der Berg, eine der schlanksten Eispyramiden,
gehört nicht dem Hauptkamme an, sondern entsteigt dem 11 km langen Grat, der sich vom Eiskögele (3439 m) südöstlich bis
zur Mündung des Leiterbachs in die Möll unweit Heiligenblut (s. d.)
erstreckt.
Die Ostseite dieses Grats, in dem sich zum letztenmal gegen O. die ganze Großartigkeit der Hochalpen entfaltet, fällt gegen
den mächtigen Gletscher der Pasterze (s. d.) ab; südwestlich gegen die Oberstufe des Kalserthals
senken sich vom Schneewinkelkopf (3412 m), dem Romariswandkopf (3547 m) und der Glocknerwand (3721 m)
das Laperwitz-, Frusnitz- und Teischnitzkees; südlich hangen vom Glockner und der Adlersruhe (3463 m) das Ködnitz-
und das Leiterkees gegen die gleichnamigen Thäler hinab.
Der Grat besteht aus Chloritschiefer, der an der Ostseite von gelblichweißem Kalkglimmerschiefer unterteuft wird. Der Gipfel
besteht aus zwei durch eine bald felsige, bald übereiste Scharte getrennten Spitzen, dem Kleinglockner
und dem etwas höhern Großglockner, mit einem 2 m hohen Kreuz.
[* 30] Die Aussicht erstreckt sich über den ganzen Kranz der Alpen
[* 31] vom Ortler bis zum Triglav, nordwärts bis zum Böhmerwald, südwärts bis zum AdriatischenMeer. Die Besteigung ist durch Erbauung
von 5 Schutzhütten jetzt sehr erleichtert; es sind dies: das Glocknerhaus auf der Elisabethruhe (2101
m), die Hofmannshütte an der Pasterze (2438 m), die Salmhütte im Leiterthal (2805), an Stelle der alten, verfallenen Hütte
errichtet, die Stüdlhütte auf der Vanitscharte (2800 m) und die Erzherzog Johannhütte auf der Adlersruhe (3464 m);
Die ersten Versuche zur Besteigung wurden aus Anregung des Kardinals und Fürstbischofs von Gurk,
¶
mehr
Fürst Salm-Reifferscheid, unternommen. Zwei Heiligenbluter Bauern gelangten bis zur Adlersruhe und 23. Juni bis dicht
unter den Kleinglockner. Am 19. Aug. bezog eine Expedition von 30 Personen unter Leitung des Fürstbischofs selbst eine Unterkunftshütte
im Leiterthal. Die Gesellschaft drang bis zur Adlersruhe, 4 Bauern(24. Aug.) bis zum Kleinglockner vor, wurden
jedoch durch Unwetter zur Umkehr genötigt. Endlich25. Aug. wurde der Kleinglockner (3765 m) von einigen Bauern bestiegen. Am
abermals unter Salms Leitung, wurde eine zweite Expedition unternommen (62 Personen).
Diesmal wurde, 28. Juli, die Spitze des Großglockners selbst von den Heiligenbluter Bauern und Pfarrer Horrasch
aus Dellach erreicht und am folgenden Tage von den Bauern und dem jungen Mathematiker Valentin Stanig nochmals bestiegen. Kurz
nachher gelangte auch der Naturforscher Dr. Schwägrichen auf die höchste Spitze; 1802 fand die dritte Salmsche Expedition
statt, wobei auch der Fürstbischof den Kleinglockner bestieg. Seitdem wurde der Glockner häufiger
bestiegen, unter andern von FranzKeil, der ein Relief, und von Markus Pernhart, der ein Panorama des Berges entwarf. - Mit der
Ausarbeitung eines Glockner-Reliefs in dem großen Maßstabe von 1:2000, wobei der Großglockner ohne Überhöhung eine Höbe
von 1,9 m erhalten wird, ist der Geoplast P. Oberlercher in Klagenfurt
[* 33] beschäftigt. Das Relief wird
eine Länge von 7 m und eine Breite
[* 34] von 3 m besitzen und wird im Landesmuseum zu Klagenfurt aufgestellt sein; es soll 1893 vollendet
werden.
2) Glogau, auch Großglogau, zum Unterschied von Oberglogau (s. d.), Kreisstadt im Kreis Glogau und Festung zweiten Ranges (s. Deutsches Festungssystem),
links an der Oder und an den Linien Breslau-Stettin und Lissa-Hansdorf der Preuß. Staatsbahnen,
[* 38] ist Sitz des Landratsamtes,
eines Landgerichts (Oberlandesgericht Breslau)
[* 39] mit 15 Amtsgerichten (Beuthen
[* 40] a.O., Carolath, Freistadt, Glogau, Grünberg,
[* 41] Guhrau,
Halbau, Herrnstadt, Kontopp, Neusalz a.O., Polkwitz, Priebus, Sagan,
[* 42] Sprottau,
[* 43] Steinau a.O.), eines Amtsgerichts, Hauptsteueramtes,
Eisenbahnbetriebsamtes (423,14 km Bahnlinien) der Eisenbahndirektion Breslau, einer Reichsbankstelle (Umsatz
1892: 377,926 Mill. M.), Wasserbauinspektion, Fortifikation, eines Artilleriedepots, Proviantamtes, der Kommandos der 9. Division,
der 17. und 18. Infanterie- und der 9. Kavalleriebrigade und hat (1890) 20529 (11165 männl., 9364 weibl.)
E., darunter 5989 Katholiken und 863 Israeliten, in Garnison (3171 Mann) das 58. Infanterieregiment,
die 1. Abteilung des 5. Feldartillerieregiments von Podbielski, das 1. Bataillon des 6. Fußartillerieregiments von Dieskau
und das 5. Pionierbataillon; Postamt erster Klasse mit Zweigstelle, Telegraph,
[* 44] Fernsprecheinrichtung, städtische Feuerwehr,
Wasserleitung
[* 45] (seit 1442), Kanalisation, Gasanstalt der
Schlesischen Gasaktiengesellschaft.
Die Stadt ist im O., S. und W. mit Festungswerken umgeben, die 1881 nach Osten zu erweitert wurden und eine
Ausdehnung
[* 46] der Stadt zur Folge hatten. Über die Oder im Norden
[* 47] führt eine große hölzerne Brücke
[* 48] nach der befestigten Dominsel.
Die Stadt hat je drei evang. und kath. Kirchen, unter letztern der Dom auf einer Oderinsel, ferner zwei Synagogen, ein königl.
Schloß, jetzt Sitz der Behörden, mit dem Hungerturm zur Erinnerung an den Hungertod der von HerzogJohann II. eingesperrten
Magistratspersonen, ein Rathaus mit Turm
[* 49] (80 m), neues Postgebäude, Garnisonlazarett; an Unterrichtsanstalten ein königlich
evang. Gymnasium, 1708 als Seminarium gestiftet, seit 1812 Gymnasium (Direktor Dr.
Langen, 16 Lehrer, 8 Klassen, 172 Schüler), königlich kath. Gymnasium, 1626 von den Jesuiten gegründet
(Direktor Jungels, 15 Lehrer, 7 Klassen, 190 Schüler), eine Kriegsschule, simultane höhere Mädchenschule, Knaben- und Mädchenmittel-,
Handwerkerfortbildungsschule; ferner zwei Freimaurerlogen, Stadttheater, städtische Krankenanstalt mit Siechenhaus und Bürgerspital,
Diakonissenanstalt, Kloster und Krankenhaus
[* 50] der Grauen Schwestern zur heil. Elisabeth, Domhospital, Armen-, Waisenhaus, israel.
HeiligesStift. – Die Industrie (25 Fabriken mit etwa 1000 Arbeitern) erstreckt sich auf Fabrikation von Zucker
[* 51] (die Raffinerie
Glogau ist eine Zweiganstalt der Zuckerfabrik Fraustadt),
[* 52] Stärke,
[* 53] Sirup und Dextrin, Thonwaren,
[* 54] Maschinen und Turmuhren, Eisengießerei,
[* 55] Dampfstellmacherei, große Eisenbahnwerkstätten. Bedeutend ist das geogr. Institut von Carl Flemming (s. d.) sowie der Weinhandel.
Neben der Reichsbankstelle bestehen Kommanditen des Schlesischen Bankvereins und der Breslauer Wechslerbank, ein Vorschußverein,
eine Kreis- und eine städtische Sparkasse. Glogau ist der Geburtsort des Dichters Gryphius und des Fürstbischofs Heinr.
Förster. – Ehedem war Glogau Hauptstadt des Fürstentums Glogau, welches der dritte Sohn des niederschles.
HerzogsHeinrich II. oder des Frommen, Konrad II., in dem Teilungsvertrag von 1252 erhielt. Es begriff
damals den ganzen nördl. Teil von Niederschlesien oder Glogau, Sagan und Crossen
[* 56] in sich. Durch Herzog Konrad, der viele deutsche
Kolonisten ins Land zog, wurde die Stadt ansehnlich erweitert und erhielt Deutsches Recht. Sein Sohn HerzogHeinrich III.
erweiterte sein Besitztum durch Erwerbung des größten Teils des Fürstentums Breslau; doch zerfiel es unter dessen Söhnen 1309 wieder
in vier Teile.
Die damals von Przemislaw gestiftete Sonderlinie Glogau starb mit demselben 1331 wieder aus, worauf die beiden andern
glogauischen Sonderlinien, die von Sagan und von Steinau, das Land, jedoch jetzt unter böhm. Hoheit,
geteilt in Besitz nahmen. Das nunmehr unter HerzogHeinrich IV. neugebildete Herzogtum Glogau wurde bald wieder in mehrere Teile
zersplittert, deren Fürsten 1476 ausstarben, worauf nach langen Streitigkeiten 1481 der HerzogJohann von Sagan mit Glogau, jedoch
mit Ausnahme von Schwiebus,
[* 57] Züllichau und Crossen, die an den Kurfürsten AlbrechtAchilles von Brandenburg
[* 58] kamen, belehnt wurde. Mit seinem gewaltthätigen SohneJohann II., der 1489 seiner Länder verlustig wurde, starb der piastische
Stamm der Herzöge von Glogau völlig aus, und seit 1506 hörte Glogau auf, ein eigenes Herzogtum
¶
mehr
84 in dem böhm. Schlesien
[* 60] zu bilden. In der letzten Periode der piastischen Fürsten, 1329–1481, war die Stadt Glogau geteilt
und gehörte halb den Herzögen von Teschen, halb den Besitzern des Fürstentums. Im Dreißigjährigen Kriege wurde Glogau mehrmals
von den Schweden
[* 61] und wieder von den Kaiserlichen erobert. Friedrich II. nahm sie in der Nacht vom 9. zum durch
Sturm ein und ließ sie stärker befestigen. Nach der Schlacht von Jena
[* 62] 1800 wurde Glogau nach geringem Widerstande3. Dez. an Vandamme
übergeben. Am fiel es an Preußen
[* 63] zurück. –
Vgl. Berndt, Geschichte der Stadt Großglogau
während der ersten Hälfte des 17. Jahrh. (Glog. 1879);
ders., Geschichte der Stadt Großglogau vom Ende des Dreißigjährigen
Krieges bis zum Ausmarsch der Franzosen 1814 (ebd. 1882);
Minsberg, Geschichte der Stadt und Festung Großglogau vom ersten
Zeitraum bis 1850 (2 Bde., ebd 1853);
von Below, Zur Geschichte des J. 1806. G.s Belagerung und Verteidigung
(Berl. 1893).
Gustav, Philosoph, geb. 6. Juni 1844 zu Laukischken bei Labiau in Ostpreußen,
[* 64] studierte 1863–68 in Berlin
zuerst Medizin, dann Philologie und Philosophie. Er machte den Feldzug von 1870 mit und wurde bei Beaumont verwundet, wirkte
dann in Halle,
[* 65] Neumark und Winterthur als Lehrer und habilitierte sich 1878 als Privatdocent der Philosophie
in Zürich.
[* 66] 1882 wurde er daselbst Professor der Philosophie am Polytechnikum, 1883 außerord. Professor in Halle a. S. und 1884 ord.
Professor in Kiel.
[* 67] Er schrieb u. a.: «Steinthals psychol. Formeln zusammenhängend entwickelt» (Berl. 1876),
Marktflecken in der österr. Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen
[* 68] in Niederösterreich, in 439 m
Höhe, an der Schwarza und der Linie Wien-Triest der Österr. Südbahn, hat (1890) 2249, als Gemeinde 4480 E., Post, Telegraph,
Fernsprecheinrichtung, Bezirksgericht (315,85 qkm, 18 Gemeinden, 69 Ortschaften, 22312 E.), romantisch gelegenes Schloß,
bis 1803 eine Benediktinerabtei, deren Gründung durch den Grafen Eckbert von Pütten in das 11. Jahrh. zurückreicht,
mit Kirche (gute Gemälde, Gruft und Denkmäler der gräfl. Familie Wurmbrand seit 1265); Baumwollspinnerei, Filz- und Wollwaren-,
Cellulose-, Papier-, Schokolade- und Feigenkaffeefabriken, große Gips-, Federweiß- und Holzschleifewerke. Die Braunkohlengruben
bei dem benachbarten Dorfe Enzenreut sind seit 1881 aufgelassen. Zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag übersteigt die Südbahn 896 m
hoch den Semmering; 2 km von Gloggnitz und ebenfalls an der Bahn die große, ehemals ärarische Papierfabrik Schlöglmühl,
jetzt Aktiengesellschaft.
Staatsbahnen (erste Siebenbürger Eisenbahn), hat (1890) 4152 meist kath. (448
Griechisch-Orientalische) deutsche E. (361 Rumänen, 110 Magyaren), Post, Telegraph, blühenden Ackerbau;
der hier erzeugte
Tabak
[* 69] genießt eines vortrefflichen Rufs.
der größte FlußSkandinaviens, entspringt im norweg. Amte Söndre Trondhjem im Aursund-See,
einem kleinen Bergsee unweit Röros, durchfließt dann die waldreichen ThälerÖsterdalen, Solör und Odalen, biegt bei Kongsvinger
gegen Westen, durchfließt den See Öjeren, geht, verstärkt durch die Gewässer des Vormen-Elv und Mjösensees, wieder in
südl. Richtung, bildet bei dem Gute Hafslund unweit Sarpsborg (s. d.)
den 22 m hohen Fall Sarpsoß oder Sarpen und mündet bei Frederiksstad in den Skagerrak. Der Fluß, 567 km lang, ist bis Sarpen
(12 km) sowie auch oberhalb des Falls 32 km weit schiffbar; bei hohem Wasserstande geht ein Teil seines Wassers in den schwed.
See Wenern. Das Flußgebiet bedeckt 41000 qkm. Die Bahn benutzt sein Thal.
[* 70]
Heiligenschein, der helle Ring, den man bei tiefstehender Sonne
[* 73] auf einer betauten Wiese um den Schatten
[* 74] seines Kopfes sehen kann, wobei die den Kopfschatten nahe umgebenden Wassertropfen aus ihrem Innern heraus zu leuchten scheinen.
in besonderm Sinne bei Griechen und Römern die Bezeichnung für unbekannte,
dunkle, nur in bestimmten Dialekten oder in dichterischer Sprache gebräuchliche oder veraltete Wörter. Deren Sammlung und
Erklärung knüpfte sich zuerst an die Erklärung Homerischer Gedichte und wurde in alexandrinischer
Zeit ein besonderer Zweig der grammatischen Studien. Zahlreiche Sammlungen von Glosse (Glossare) sind aus dem Altertum vorhanden.
Den Anfang zu einer Bearbeitung der Glossare machte schon H. Stephanus (1573); etwas späterBon. Vulcanius, (1679)Chr. Car.
Labbäus; auf eigentliche Sichtung des Stoffs ist man erst in neuerer Zeit ausgegangen; ein Hauptarbeiter
auf diesem Feld war Glosse Löwe (vgl. seine SchriftenProdromus corporis glossariorum¶
mehr
85 latinorum. Quaestiones de glossar. latin. fontibus, Lpz. 1876, und Glossaenominum, ebd. 1884). An Löwes (gest. 1883)
Stelle trat Glosse Goetz in Jena, der drei weitere Bände (Bd. 2, Lpz. 1888; Bd.
4, 1889; Bd. 3, 1892) zum «Corpus
glossarium latinorum» beigesteuert hat. Erst viel später wurde es üblich, unter Glosse oder
Glossēm auch die Erklärung selbst zu verstehen. Im Mittelalter hießen Glosse einzelne Worte in der Landessprache,
die, meist für den Bedarf der Klosterschule, erklärend zu schwierigen Worten der lat. Schriftsteller hinzugeschrieben
wurden.
Standen sie zwischen den Zeilen, so hießen sie Interlinearglossen (glossae interlineare), standen sie am Rande,
Marginalglossen (glossae marginales). Ist jedes Wort eines Textes mit Glosse überschrieben, so entsteht eine Interlinearversion.
Solche Glosse wurden auch alphabetisch oder sachlich zu Wörterbüchern geordnet. Glosse gehören zu den ältesten
und wichtigsten altdeutschen Sprachdenkmälern; so namentlich die sog. Keronischen und Hrabanischen
Glosse (Übersetzung eines lat. Wörterbuchs um 740) und der sachliche «Vocabulariuslibellus St.Galli» (um 760). –
Vgl. Steinmeyer und Sievers, Die althochdeutschen Glosse (2 Bde.,
Berl. 1879 u. 1882).
In der Rechtswissenschaft hat Glosse eine besondere Bedeutung. Als im 11. Jahrh. in
den Rechtsbüchern Justinians eine neue Quelle
[* 79] rechtlicher Kenntnisse und reichhaltiger, bestimmter Rechtsvorschriften gefunden
worden war, bestanden die ersten wissenschaftlichen Bemühungen in der Erläuterung dieser Bücher durch
Interlinear- oder Marginalglossen. Die eine bewundernswürdige Kenntnis des gesamten Inhalts desCorpus juris bezeugenden
Glosse haben heute noch eine große Bedeutung, weil sie überall die Parallelstellen mitteilen.
Der erste hervorragende Lehrer und Bearbeiter dieser Art war Irnerius, gest. vor 1140; seine nächsten
und berühmtesten Nachfolger waren die vier Doktoren Bulgarus, Martinus Gosia, Hugo und Jacobus de Porta Ravennate. Accursius
(s. d.) brachte die Glosse seiner Vorgänger in ein Ganzes (Glossaordinaria), welches nun allgemein und ausschließend in Gebrauch
kam. Diese Glosse ist auch in den glossierten Ausgaben des Corpus juris abgedruckt. Die Glossatoren gewannen
ein solches Ansehen, daß diejenigen Stücke des röm. Rechts, welche sie nicht mit ihren Erläuterungen versahen, auch keine
Gültigkeit hatten, nach dem Satze: «Quicquid non agnoscit glossa, nec agnoscit curia» («Was
die Glosse nicht anerkennt, das erkennt auch das Gericht nicht an»).
Nach Accursius gewann die formale Kasuistik der Scholastik Einfluß auf die Rechtswissenschaft (Postglossatoren),
bis im 16. Jahrh. mit dem Aufblühen der humanistischen Studien wieder die philol.-archäol. Behandlung vorherrschend wurde.
Wie das röm. Recht wurden auch andere Rechtsbücher des Mittelalters, das päpstl. Recht(decretum, decretales u. s. w.), die
Lehnrechtsgewohnheiten (libri feudorum) und in Deutschland der «Sachsenspiegel» glossiert.
(grch.) oder Makroglossie, Zungenvorfall (Prolapsus linguae), angeborene,
seltener durch chronische Entzündungszustände erworbene Vergrößerung der Zunge, wobei die letztere nicht mehr genügenden
Raum in der Mundhöhle
[* 80] findet, sondern als rundliche, trockne, an ihrer Oberfläche meist rissige oder selbst
geschwürige
Geschwulst mehr oder weniger weit aus dem Munde hervorragt und das Kauen, Schlingen und Sprechen außerordentlich
erschwert. Die Krankheit, deren Ursachen gänzlich unbekannt sind, entwickelt sich bald rasch und unter periodischen Fiebererscheinungen,
bald langsam und schleichend und kann nur auf operativem Wege (durch Abtragen des vorragenden Teils vermittelst des Messers
oder der galvanokaustischen Schneideschlinge) beseitigt werden.
eine eigentümliche Erscheinung religiöser Verzückung in den ältesten Christengemeinden, nicht, wie die Darstellung des
Lukas vom Pfingstfeste es sagenhaft ausschmückt
(Apostelgesch. 2,1. fg.), ein wunderbares
Reden in fremden, dem Redenden selbst unbekannten Sprachen, sondern, wie die Beschreibung des Paulus (besonders
1 Kor.
14). beweist, ein Reden in unverständlichen Lauten, wobei das wache Bewußtsein zurücktrat. Die älteste Christenheit sah
in diesen ekstatischen Gebetslauten einen Hauptbeweis für das «Herabgekommensein»
des HeiligenGeistes auf die Betenden, und rechnete die Glossolalie daher unter die Geistesgaben (s. d.), deren die
Gläubigen gewürdigt worden seien. Späterhin trat die Glossolalie von selbst zurück. Doch traten ähnliche Erscheinungen
noch bei den Kamisarden (s. d.) und Irvingianern (s. d.)
hervor. –
Vgl. Hilgenfeld, Die in der alten Kirche (Lpz. 1850).
(grch.), Wahrsagung aus der Beschaffenheit der Zunge. ^[= # (Lingua, Glossa), das flache, vorn spitze, hinten breite Muskelorgan, das frei beweglich auf ...]
Stadt und Municipalborough in der engl. Grafschaft Derby, am Nordwestrande des High Peak,
im Thale des Etherow, der zum Mersey geht, und an einer Nebenlinie der Strecke Manchester-Sheffield, hat (1891) 22414 E. Glossop ist
Mittelpunkt der Baumwollindustrie der Gegend, außerdem wird Bleicherei, Tuchfabrikation, Färberei und Eisengießerei betrieben.
Unweit davon liegen die großen, stufenförmig aufsteigenden Teiche, aus denen Manchester
[* 81] sein Wasser
erhält.
Stimmritzenkrampf, s. Kehlkopf^[= (Larynx, s. Tafel: Der Kehlkopf des Menschen), das Organ der Stimmbildung, liegt in der Mittellinie ...] (Krankheiten 6).
(grch., Stimmritzengeschwulst), die wassersüchtige oder entzündliche Anschwellung der Kehlkopfschleimhaut,
insbesondere der falschen Stimmbänder und des Kehldeckels, wodurch der Eingang zum Kehlkopf außerordentlich verengt und hochgradige
Atemnot oder selbst Erstickungsgefahr erzeugt wird. Das Glottisödem, das sich bald ganz plötzlich, bald langsam
und schleichend entwickelt, entsteht am häufigsten durch Verbrennung der Rachenschleimhaut (vermittelst
heißer Flüssigkeiten, ätzender Säuren und Alkalien), durch Wespen- und Bienenstiche in der Mundhöhle, durch verschluckte
Fremdkörper (Gräten, Knochensplitter u. dgl.) oder infolge geschwüriger Prozesse im Kehlkopf oder seiner nächsten Umgebung
und erfordert bei eintretender
¶
mehr
Erstickungsgefahr sofortiges Einschneiden in die Geschwulst, wodurch die angesammelte wässerige Flüssigkeit entleert und
der Kehlkopfseingang wieder frei wird, oder die Vornahme des Luftröhrenschnitts, durch den die bedrohte Atmung so lange künstlich
unterhalten wird, bis das dem Glottisödem zu Grunde liegende Hindernis wieder beseitigt ist.
(spr. gloßtĕr), engl. Grafen- und Herzogstitel. Erster Graf von Gloucester war Robert, ein natürlicher Sohn König
Heinrichs I., der für seine Schwester Mathilde den Sieg bei Lincoln über Stephan von Blois erfocht (1139), letztern gefangen
nahm, aber später das gleiche Schicksal erfuhr und 1146 starb. – Gilbert von Clare, fünfter Graf von
Hertford und sechster Graf von Gloucester, stand nach König JohannsTod (1216) auf Seite des um die engl. Krone kämpfenden franz. Dauphins
(s. Ludwig VIII.) und starb 1230. Sein Sohn Richard (gest. 1262) spielte eine wechselnde Rolle
in den Parteikämpfen unter Heinrich III. Richards Sohn Gilbert «Der Rote», achter Graf von Gloucester, war neben
Simon von Montfort der zweite Führer der Baronenpartei gegen Heinrich III., focht entscheidend mit bei Lewes (1264), entzweite
sich aber mit Montfort, trat über zu der Partei des Königs und half hervorragend in der Schlacht bei Evesham (1265). Nach
HeinrichsTod (1272) führte er die Regentschaft für den auf der Pilgerfahrt abwesenden Eduard I. Er starb 1295. Seine
Gattin, eine Tochter Eduards I., hatte ihm neben drei Töchtern einen Sohn geboren.
Dieser, Gilbert, neunter Graf von ein Spielgenosse Eduards II., stand in dessen Kämpfen mit den Baronen auf königl. Seite.
Als Führer der Vorhut fiel er in der unglücklichen Schlacht von Bannockburn (s. d.) gegen die Schotten
(Juni 1314) und mit ihm erlosch die Grafenwürde von Gloucester, die allerdings noch dreimal erneut auf zwei seiner
Schwäger und einen Urgroßneffen übertragen wurde, dann aber, da auch diese ohne männliche Erben starben, erloschen blieb.
Die Herzogswürde von Gloucester übertrug 1385 Richard II. seinem Oheim Thomas vonWoodstock, Grafen von Buckingham,
geb. dem jüngsten Sohne Eduards III. Gloucester trat an die Spitze der parlamentarischen Opposition gegen den König, die 1386 die
Absetzung von dessen Räten erzwang und die Regierung völlig eigenmächtig führte, bis Richard sie ihnen 1389 entwand.
Acht Jahre hielt er mit seiner Rache zurück, 1397 aber glaubte er seine königl. Macht genügend gefestigt, die Genossen
G.s traf Tod oder Verbannung, er selbst starb in der Haft zu Calais
[* 84] (Sept. 1397).
Humphrey, Herzog von Gloucester, geb. 1391, der jüngste Sohn Heinrichs IV., nahm teil an dem franz. Kriege und
der Schlacht von Azincourt und erhielt nach Heinrichs V. Tode (1422), während sein älterer Bruder, Herzog John von Bedford in
Frankreich weilte, das Protektorat über den unmündigen Heinrich VI. Nur getrieben vom selbstsüchtigsten persönlichen Ehrgeiz
stiftete er Unruhen in der Regierung, die schädlich nach außen wirkten, und durch seine Heirat mit Jacqueline
von Holland (1425), von der er sich schon nach fünf Jahren trennte, entfremdete er den Engländern den Herzog von Burgund,
ihren Bundesgenossen.
Geistig war er hochgebildet, aber sittenlos, trotz seiner Volksbeliebtheit eine der unheilvollsten Persönlichkeiten
der Epoche. Nach Heinrichs VI. Vermählung mit Margarete von
Anjou, 1445, wurde er von ihr und ihrem Günstling
Suffolk gestürzt und am Tage nach seiner Verhaftung tot in seinem Bett
[* 85] gefunden Nach ihm erhielten den TitelHerzog
von Gloucester 1461 der Bruder König Eduards IV., Richard, hernach König Richard III. (s. d.) und 1764 der
BruderGeorgs III., William Henry, geb. dritter Sohn des Prinzen Friedrich von Wales. Er machte durch seine geheime
Ehe mit der verwitweten Gräfin von Waldegrave (1766) viel von sich reden und starb Sein Sohn, William Frederick,
Herzog von Gloucester, geb. 1776 in Rom, focht in Holland, heiratete Marie, Tochter Georgs III., stand gegen Georg
IV. zur Opposition, besonders im Prozeß der Königin Karoline, ging später zu den Tories über und starb kinderlos 1834. Mit
ihm erlosch die Herzogswürde von Gloucester.
1) Grafschaft Westenglands mit dem Titel eines Herzogtums, zu beiden Seiten des untern Severnthals, hat
3171,40 qkm und (1891) 599974 E., d. i. 189 auf 1 qkm. Gloucester zerfällt in einenBerg-, einen Thal- und einen Walddistrikt. Der erstere begreift die Cotswoldhügel, die Wasserscheide zwischen Severn und Themse
und reicht von Chipping-Campden bis nördlich von Bath. Hier ist das Klima kühl, der Boden ziemlich ergiebig
und ausgedehntes Weideland für Schafherden. Der Thaldistrikt umfaßt das Niederland längs des Severn von der Nordgrenze
bis Bristol.
Der Walddistrikt, Forest of Dean, umfaßt das Land westlich vom Severn bis zur Stadt Gloucester und dann im W. des Leadon bis zur
Grenze von Hereford; er bietet neben Bauholz auch Eisen
[* 86] und Steinkohlen, überdies enthält Gloucester Zink, Blei,
[* 87] Marmor, Bergkrystall. Am fruchtbarsten und grasreichsten sind die Thäler; berühmt ist der Gloucesterkäse des Berkeleythals.
Auch Obst giebt es in Fülle. Jedes Pachtgut hat seinen Obstgarten und preßt Cider und Perry (Apfel- und Birnwein). Die Gewerb-
und Fabrikthätigleit ist ansehnlich. Es bestehen zahlreiche große Fabriken, hauptsächlich in Wolle, Baumwolle und Flachs;
dann aber auch in Metallwaren; ferner Gerberei und Mälzerei. Das Bahnnetz besteht aus Verzweigungen der Great Western Bahn.
Neben und vor der Hauptstadt Gloucester sind zu erwähnen: Bristol (221665 E.), Stroud, Tewkesbury, Cheltenham und Cirencester.
Gloucester schickt 5 Abgeordnete ins Parlament, 11 andere die Städte.
2) Hauptstadt der Grafschaft Gloucester, Parlaments- und County-Borough sowie Municipalstadt, auf einer Anhöhe am linken Ufer des
Severn, der hier die große Alney-Insel bildet, gelegen, ist Sitz eines Bischofs und eines deutschen Vicekonsuls und hat (1891) 39444 E.
Die vier Hauptstraßen, Northgate, Southgate u.s.w., zeigen noch den Grundriß des röm. Lagers. Unter
den 12 großen Kirchen ist die Kathedrale berühmt; sie steht an der Stelle eines Nonnenklosters aus dem 7. Jahrh. und wurde
im 11. Jahrh. begonnen und im 14. beendet.
Äußerlich in streng spätgot. (perpendikulärem) Stil, zeigt das Innere (Schiff,
[* 88] Kapitelhaus und Krypta)
den ursprünglich normann. Charakter. Der Chor enthält ein 22 m hohes Fenster mit prachtvollen Glasmalereien (14. Jahrh.),
einen Kreuzgang von 1351–92) mit Fächergewölben und Grabmäler zweier Söhne Wilhelms des Eroberers und Eduards II. Der
Bau ist 128 m lang und 34 m breit, der Turm erreicht 68 m Höhe. AndereGebäude sind Shire-Hall für die
Assisen, das Gefängnis, das Theater
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