Germanen (Studentenverbindung) - Germania (geographisch)
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Rede sein kann; in dieser
Beziehung könnte man besonders die verwandtschaftlichen
Sympathien der deutschen Nordseeschiffer,
zumal der
Hamburger, für die Engländer vergleichen.
Heute giebt es drei große german. Volksstämme ^[richtig: Volksstämme:] die mit finn.-lappischen
Stämmen vermischten Skandinavier
oder Nordgermanen (zerfallend in
Schweden,
[* 2] Dänen, Norweger und
Isländer);
die mit den kelt. Britten
(Kymren,
Schotten und
Iren) vermischten Engländer und die mit romanisierten
Kelten (in West- und Süddeutschland) und
Slawen (in Ostdeutschland)
vermischten
Deutschen, zu denen auch die
Niederländer gehören und denen sich die Friesen assimiliert haben.
Diese Dreiteilung
hat sich durch die geschichtlichen Verhältnisse der german.
Völkerwanderung herausgebildet. Vor derselben zerfielen
die in zwei besondere große Gruppen: die Westgermanen (Deutsche,
[* 3] Friesen und Engländer) einerseits und die
Ost- und Nordgermanen
andererseits. Von den westgerman.
Stämmen sind nur die nach
Italien
[* 4] gewanderten Langobarden gänzlich romanisiert worden.
Die ostgerman. Gruppe existiert heute nicht mehr: die ihr angehörenden Goten, Gepiden,
Rugier,
Vandalen undBurgunden
sind in den roman. Nationen aufgegangen.
Die Grenze zwischen West- und
Ostgermanen bildete zu Beginn unserer Zeitrechnung etwa die
Wasserscheide der
Elbe und Oder. Beide
Hauptstämme unterschieden sich schon zu Beginn unserer Zeitrechnung nicht unerheblich durch ihre Mundart, ihre Kleidung
und
Bewaffnung, ihre Bauart,
Verfassung u. a. m. Wichtiger noch war der Unterschied, daß die
Westgermanen dem Bereich der röm. (vor
Cäsar der kelt.) Kultur angehörten, die
Ostgermanen aber unter dem Einfluß der griech.
Kultur standen.
Die letztere Einwirkung ist durchgreifender gewesen, weil die Handelsbeziehungen der griech.
Kaufleute in Olbia (heute Odessa),
[* 5] welche den ostpreuß.
Bernstein
[* 6] von den Goten bezogen, in eine ältere
Zeit hinaufreichen. So finden wir denn, daß im 5. und 6. Jahrh. n. Chr.
die ostgerman. Goten und die ihnen stammverwandten
Völker gesitteter waren, geistig höher standen und empfänglicher waren,
die antike
Bildung in sich aufzunehmen, als die wildern und rohern westgerman.
Stämme.
Über die einzelnen west- und ostgerman.
Stämme und ihre Wohnsitze sowie über die Abgrenzung der Skandinavier von den
Ostgermanen s. Westgermanen
und
Ostgermanen.
Über öffentliche und private Zustände vgl.
Germanisches Altertum.
Körperliche
Merkmale der Germanen sind blondes
Haar
[* 7] und blaue
Augen und ein größerer und kräftigerer Körperwuchs als bei den
Mittelmeervölkern. In
Deutschland
[* 8] ist der blondeTypus entschieden der vorherrschende, besonders in Norddeutschland,
am geringsten im Oberelsaß und in Ostbayern. Die Blondheit der Skandinavier ist noch kein
Beweis der Reinheit der Rasse,
weil auch die
Finnen flachsblond sind. In Britannien läßt sich noch vielfach der hochgewachsene blonde
Angelsachse von dem
kleinen und dunkeln anglisierten
Kelten scheiden.
Ähnlich in
Deutschland (s.
Deutsches Volk 2 und 3, Bd. 5, S. 94
b und 95 a). Im allgemeinen aber überwiegen
Mischformen. Hinsichtlich der Schädelform scheint sich die Rasse verändert zu haben. Wenigstens haben die Friesen, die
nebst den Dänen von allen german.
Stämmen sich am reinsten erhalten haben, nach neuern Messungen meist
mittelköpfige Schädel, die obendrein noch zur Kurzköpfigkeit hinneigen und
sehr niedrig sind: das gerade Gegenteil von
den langköpfigen Schädeln der fränk. und alamann.
Reihengräber aus der Zeit der
Völkerwanderung. Während bei den Friesen auf 100 Schädel 51
Mittel-, 31 Kurz- und nur 12 Langköpfe
kommen, hat man berechnet, daß unter 100 dän. Schädeln 57 Lang-, 37
Mittel- und 6 Kurzköpfe sind.
In
Deutschland herrscht im Norden
[* 9] der mittelköpfige
Typus vor mit Neigung zur Langköpfigkeit, im
Süden der kurzköpfige.
(S.
Deutsches Volk 3.) Wahrscheinlich repräsentiert schon der Urgermane und selbst der Urindogermane keinen anthropologisch
reinen Rassentypus, sondern einen Mischtypus.
Beobachtungen
(in A. Kirchhoffs «Anleitung zur deutschen
Landes- und Volksforschung», S. 329-380, Stuttg. 1889).
Wie viele
Menschen heute rein german.
Abstammung sind, läßt sich auch nicht annäherungsweise mehr bestimmen. Jedenfalls
ist die Zahl der Entgermanisierten unvergleichlich geringer als die der
Angehörigen anderer Nationen, welche eine
german.
Sprache
[* 10] angenommen haben, besonders wenn man an die Ausbreitung der engl.
Sprache denkt. (S.
Germanische Sprachen.)
Litteratur. K. Zeuß, Die
Deutschen und die Nachbarstämme
(Münch. 1837);
J.
^[Jakob]
Grimm, Geschichte der deutschen
Sprache
(2 Bde., Lpz. 1848; 4. Aufl.,
ebd. 1880);
[* 15]
(Germanien) hieß bei den
Römern erstens das Land im Norden der Donau und im
Osten des Rheins bis zur Weichsel,
welches die von ihnen nicht unterjochten
Germanen bewohnten (Germania magna); zweitens das meist auch
von
Germanen bewohnte, aber seit
Augustus als eine militär. Grenzprovinz (Provincia Germania) organisierte linke Ufer
des Rheins. Dieses zerfiel in Germania superior mit Mainz
[* 16] und Germania inferior mit Köln
[* 17] als Hauptort. An der Donau wurden
die röm.
Provinzen Rhätien, Noricum und Pannonien gebildet.
Das Land zwischen Rhein und Donau, das durch den
«Pfahlgraben» abgegrenzt und durch eine Postenkette an und hinter demselben
bewacht wurde, hatte Domitian an Kolonisten gegeben: es waren die
Agri decumates oder Decumatischen
Äcker (s. d.). Soweit
nicht röm. Kultur eindrang, sahen die
Römer
[* 18] Germania als ein rauhes und sumpfiges Waldland an, das indessen
reich an Vieh und zum
Ackerbau nicht ungeeignet sei. Quer durch von Westen nach
Osten strich nach ihrer
Vorstellung der Hercynische
Wald¶
mehr
(Hercynia silva), in dem die alten Geographen die Gabreta (Böhmerwald), das Asciburgische oder Vandalische Gebirge (Riesengebirge),
die Sudeta (Erz-, Fichtelgebirge und Thüringerwald), den Teutoburgerwald, die Bacenis (Harz), den Taunus, die Abnoba oder den
Marcianischen Wald (Schwarzwald) unterschieden. Von den Strömen kannten sie Rhein und Donau nebst den Nebenflüssen; aber auch
die Ems
[* 20] (Amisia), Weser (Visurgis) und Elbe (Albis) hatten die Kriege ihnen bekannt gemacht. Handelsbeziehungen brachten ihnen
die Kunde von Oder und Weichsel, von der Ostsee und Skandinavien. (Hierzu Karte: Germanien im 2. Jahrhundert nach Christus.)
Im Mittelalter nannte man Germania oft schlechthin das Land östlich vom Rhein, und bei Italienern (Germania),
Engländern, Amerikanern (Germany) ist es noch heute die Bezeichnung des DeutschenReichs.
Eine Hauptquelle unserer Kenntnis von den Germanen bildet die gewöhnlich «Germania» genannte Schrift des Tacitus (s. d.),
deren
vollständiger Titel wahrscheinlich «De origine situ moribus ac populis Germanorum liber» war. Ihre Genauigkeit wird allerdings
durch den rhetorischen Ausdruck und die romantische Stimmung, die auf dem Ganzen ruht, getrübt. Die Ausgaben
sind zahlreich, ebenso die Erläuterungsschriften. Zusammenzufassen suchte sieAnt. Baumstark in «Urdeutsche Staatsaltertümer»
(Berl. 1874); ders., «Ausführliche Erläuterung des
allgemeinen Teiles der Germania» (Lpz. 1875); ders., «Ausführliche
Erläuterung des besondern völkerschaftlichen Teiles der Germania des Tacitus» (ebd. 1880). -
Vgl. Bergk, Zur
Geschichte und Topographie der Rheinlande (Lpz. 1882);
Riese, Das rhein. Germanien in der antiken Litteratur (ebd. 1892).
[* 15] die Personifikation Deutschlands, ist durch die bildenden Künste mehrfach als eine edle Frauengestalt im
Waffenschmuck dargestellt worden. Unter den Gemälden sind Lorenz Clasens Germania auf der Wacht
am Rhein (im Rathaus zu Krefeld)
[* 21] sowiePhil. Veits Germania (Museum zu Leipzig)
[* 22] die bekanntesten. Die zur Erinnerung au die deutschen
Siege von 1870 und 1871 errichteten zahlreichen Sieges- und Kriegerdenkmäler zeigen meist ähnliche Typen; so die Germania auf dem
Altmarkt zu Dresden
[* 23] (1880; modelliert von Rob.
Henze, in Marmor ausgeführt von Cellai in Florenz),
[* 24] die bronzene Kolossalstatue der Germania von Joh. Schilling auf dem 1883 enthüllten
Nationaldenkmal auf dem Niederwald (s. d.), die Germania von Siemering (Bronze)
[* 25] auf dem 1888 enthüllten Siegesdenkmal zu Leipzig;
ferner die 1893 von R. Begas modellierte und von Heinr. Seitz in München
[* 26] in Kupfer
[* 27] getriebene Kolossalgruppe
der Germania (8,5 m; die Germania zu Roß, zur Rechten geführt von einem Krieger, zur Linken vom Genius des Ruhms), bestimmt für das neue
Reichstagsgebäude in Berlin.
[* 28]
Die Germania wurde begründet
und war in erster Linie für die Katholiken Berlins und der Diaspora bestimmt, wurde aber nach Bildung der
Centrumsfraktion des
preuß. Abgeordnetenhauses und des Reichstages Hauptorgan und, namentlich im Kulturkampf, Stimmführerin
dieser Partei.
Cäsar, geb. im Sept. 20 v. Chr., war der Sohn des Nero Claudius Drusus Germanicus, des Bruders
des Tiberius, und der jüngern Antonia, einer Tochter des Triumvirs Antonius. Nach dem Willen des Augustus, der sogar daran gedacht
hatte, ihn zu seinem Nachfolger zu machen, adoptierte ihn 4 n. Chr. sein von Augustus adoptierter Oheim Tiberius, sodaß nun
sein voller Name Germanicus Julius Cäsar war. Er stand diesem sodann im Kriege gegen die Pannonier und Dalmatier
in den J. 7-9 n. Chr. mit solcher Auszeichnung zur Seite, daß ihm nach seiner Rückkehr
die Insignien des Triumphs verliehen wurden. Im J. 11 begleitete er den Tiberius nach der Niederlage des Varus auf dem Heerzuge
nach dem Rhein, zur Sicherung der german. Grenzen.
[* 30]
Nachdem er in Rom
[* 31] das Konsulat im J. 12 verwaltet hatte, erhielt er den Oberbefehl über Gallien und die acht Legionen, die am
Rhein standen. Nach Augustus' Tode im J. 14 brach unter den Soldaten der vier niederrhein. Legionen, welche Erhöhung desSoldes
und Abkürzung der Dienstzeit forderten und aus Abneigung gegen Tiberius den Germanicus zum Nachfolger des Augustus
ausrufen wollten, ein Aufstand aus, den Germanicus durch Milde, sein Legat Cäcina durch Gewalt unterdrückte. Germanicus führte hierauf, um
seine Soldaten zu beschäftigen (denn nach des Tiberius' Wunsch sollte Germanicus nur die Rheingrenze kräftig schützen, in
Germanien keine neuen Eroberungen machen), die Legionen bei Xanten im Okt. 14 über den Rhein, überfiel die Marser zwischen
der obern und mittlern Lippe
[* 32] und Ruhr bei einem nächtlichen Feste und zerstörte ihr berühmtes Heiligtum der Tamfana. Über
seine weitern Kämpfe in Germanien s. Arminius.
Nachdem Germanicus im J. 17 nach Rom zurückberufen worden war, sandte ihn Tiberius mit ausgedehnten Vollmachten
ab zur Ordnung der Angelegenheiten des Orients; zugleich ernannte er den CalpurniusPiso zum Statthalter von Syrien, der aber,
sei es infolge geheimer Aufträge des Tiberius, sei es aus eigenem Antriebe, dem Germanicus überall entgegenwirkte. Germanicus starb bald nach
seiner Rückkehr von einer Reise nach Ägypten
[* 33] 9. Okt. 19 zu Daphne in der Nähe von Antiochia, wie er und seine Umgebung, schwerlich
mit Recht, glaubten, von der Frau des Piso, Plancina, vergiftet. Seine Asche wurde zur Beisetzung im Grabmal des Augustus von
seiner Gattin Agrippina (s. d.) nach Rom gebracht. Diese selbst und zwei ihrer Söhne fanden später durch
Sejans Intriguen einen elenden Tod; ein dritter, Gajus (Caligula), wurde verschont. Auch drei Töchter überlebten ihn, darunter
Agrippina (s. d.).
Germanicus besaß bedeutende litterar. Bildung; als Redner wie als Dichter in lat. und griech. Sprache wird er von Zeitgenossen wie
von spätern gerühmt. Eine freilich nicht sehr hoch anzuschlagende Probe seiner dichterischen Thätigkeit
ist noch erhalten in den (mit Unrecht von manchen Gelehrten für ein Jugendwerk des Domitianus gehaltenen) «Aratea»
(«Phaenomena» und «Prognostica»,
letzteres nur in Bruchstücken),
einer freien Bearbeitung der astron. Gedichte des Aratus, welche im spätern röm. Altertum
als Schulbuch benutzt worden ist (beste Ausgaben¶
mehr
von Orelli als Anhang zu dessen «Phädrus», Zür. 1832,
von Bährens in «Poetae latini minores», Bd. 1, Lpz.
1879, und, mit den reichhaltigen noch vorhandenen Scholien, von Breysig, Berl. 1867). -
Vgl. E. von Wietersheim, Der Feldzug
des Germanicus an der Weser (Lpz. 1850);
Altertum, in der Kulturgeschichte Bezeichnung desjenigen Zweiges dieser Wissenschaft, der die Zustände
bei den Germanen (s. d.) der Urzeit, bis auf Karl d. Gr. nach den privaten und öffentlichen Seiten behandelt. Grundlegend
für unsere Kenntnis von dem ist die Schilderung der ältesten Zustände in der «Germania» des Tacitus
(s. d.); ihre wichtigste Ergänzung findet sie in den SchilderungenCäsars und denjenigen, welche die Schriftsteller namentlich
des 4. bis 6. Jahrh. von den Goten, Alamannen, Franken u. s. w. machten, die bis zur Gründung ihrer Staaten auf röm. Boden
in wesentlich den gleichen Verhältnissen fortlebten, in denen Cäsar und Tacitus die Germanen fanden.
Ferner sind Waffen,
[* 37] Geräte und andere Reste des Lebens, Altertümer im engern Sinne, erhalten und mehrfach gesammelt und beschrieben
worden. Auch die ältesten Gesetze, namentlich die Lex Salica, sodann die Weistümer über Marknutzungen u. s. w. enthalten
noch vieles, was zum Verständnis der Angaben des Tacitus und anderer Alten dient. Schon zur Zeit des Arminius
waren die Germanen seßhaft, trieben Ackerbau und hatten feste Ordnungen für Ehe und Recht; aber der Tag verzehrte den Erwerb,
es wurden noch nicht erhebliche Arbeitsresultate in Besserung des Ackers, in Straßen und Häusern angesammelt; deshalb löste
sich das Volk noch leicht vom Lande, wenn irgend ein Anstoß dazu drängte.
Wie die Wanderungen uns nicht über die Seßhaftigkeit täuschen, so darf die Bedeutung des Geschlechts im Staat nicht dazu
verlocken, die Verfassung dieser Zeit als Geschlechterstaat zu bezeichnen. Das Recht der Geschlechter fand an den Ordnungen
des Staates eine scharfe Grenze. Auch zu Tacitus' Zeit ergriff der Staat den Mann unmittelbar, nicht durch
die Familie. Der Knabe wurde in bestimmtem Alter (etwa im 12. Jahre) aus der Gewalt der Familie entlassen und dem Staat unterstellt.
Die Gewalt des Hauses und die Gewalt des Staates wurden als Gegensätze gefühlt, die sich gegenseitig
ausschlossen. Die Familie hatte die Gewalt über die Kinder und die Frauen, der Staat über die Männer; jene Gewalt war mundium
(die Munt), diese lex.
Von den Ständen bildeten die Masse des Volks die Freien, die Frilinge oder Kerle, unter ihnen stand der Unfreie, über sie erhob
sich der Adel. Die Unfreien zerfielen in Knechte und Freigelassene, doch waren letztere nicht zahlreich,
und ihre Lage unterschied sich thatsächlich meist nur wenig von der der Knechte. Der Knecht war rechtlos wie das Tier oder
die Sache, der Herr konnte ihn töten, wenn er wollte; doch war
seine Lage gewöhnlich nicht allzu hart,
denn einfacher und roher konnte seine Wohnung und Speise nicht wohl sein als die der Freien es war; nur das unterschied die
Knechte, daß sie im Gebrauch der Waffen, auch wohl in der Tracht, namentlich des Haares, gewissen Beschränkungen unterlagen
und daß sie das Feld bebauen, das Vieh hüten u. s. w. mußten, während
der Herr im Nichtsthun den Tag hinbrachte.
Knechtschaft entstand regelmäßig aus Gefangenschaft und durch Geburt von unfreien Eltern. Kinder des Herrn mit einer Sklavin
konnte der Vater wie seine echten Kinder halten. Der umgekehrte Fall kam nicht vor. Eine freie Mutter konnte von einem Knecht
keine Kinder gewinnen, sie verfiel sonst der schmählichsten Todesstrafe. Denn ein Weib galt nicht selbst
als Herrin; sie war in fremder Gewalt, in der des Familienhaupts. Die Zahl der Unfreien wechselte mit dem Kriegsglück, aber
regelmäßig hatten nur wenige Familien eine größere Zahl.
Auch Handel wurde mit Sklaven getrieben. Die Stellung des Adels war verschieden nach den Stämmen und Zeiten,
aber allgemein gilt, daß die höhere Ehre, die dem Adel überall, und die Vorrechte, die ihm hier und da zustanden, die Freiheit
und Bedeutung der Gemeinfreien nicht gefährden konnten; sie waren weder waffenlos noch wirtschaftlich abhängig. Das Heer
war das Volk, der Acker gehörte der Gemeinde, und wer Genosse der Gemeinde war, hatte auch Teil am Acker.
Privatbesitz am Acker kennt weder Cäsar noch Tacitus noch die Lex Salica, aber schon zu Tacitus' Zeit waren nicht die Geschlechter,
sondern die Dorfgemeinden die Eigentümer des Ackers. Es gab eine engere und eine weitere Markgenossenschaft.
Wald und Weide
[* 38] waren noch im Mittelalter mehrern Dörfern, bisweilen der ganzen Hundertschaft, ja dem Gau gemeinsam, aber die
Feldmarken waren den Dörfern ausgeschieden. Die Feldgenossen waren die Dorfgenossen. Soviel Bauern da waren, in soviel Anteile
wurde der Acker geteilt. Die wirtschaftliche Selbständigkeit der Familie ruhte auf dem Besitz an Vieh,
Sklaven und Gerät, und an dem Haus mit der Hofstelle, wenn diese aus der gemeinen Mark ausgeschieden war.
Der Ackerbau war eine rohe Feldgraswirtschaft. Hatte der Boden eine oder einige Ernten abgegeben, so blieb er als «Dreesch»
liegen, bis er sich wieder erholt hatte. Man baute Hafer,
[* 39] Gerste,
[* 40] Weizen, dazu einige Gemüse und Flachs.
Die Viehzucht
[* 41] hatte größere Bedeutung als der Ackerbau, und die Jagd mußte noch einen erheblichen Beitrag zum Unterhalt
liefern. An Haustieren hatten die GermanenPferde,
[* 42] Rindvieh, Schafe,
[* 43] Schweine,
[* 44] an Geflügel namentlich Gänse. Große Sorgfalt
wendeten sie auf ihre Jagdtiere; verschiedene Arten von Hunden und Falken, auch gezüchtete Hirsche
[* 45] werden
erwähnt.
Milch, Käse, Brei und Brot,
[* 46] vor allem Fleisch bildeten die Nahrung, Bier und Met das Getränk. Ihre Kleidung war von selbstgemachtem
Woll- oder Linnenstoff oder aus Tierfellen. Die Männer trugen als oft einziges Gewand einen anliegenden Rock, als Umhang ein
Stück groben Wollzeugs oder ein Fell. Der Frauenrock war ohne Ärmel, der Mantel am liebsten von Leinwand.
Eine Spange heftete den Umhang zusammen. So blieb die Tracht auch in den folgenden Jahrhunderten. Der sächs. und langobard.
Männerrock war länger als der fränkische. Um die Hüften schloß sich der Gürtel.
[* 47] Reichere trugen Schuhe. Die Tracht
des Haares war nach den
¶
mehr
Stämmen verschieden. Die Kunst des Webens übten die Frauen und erreichten nicht selten darin einen höhern Grad von Fertigkeit.
Schmieden war noch kein Handwerk, sondern eine seltene Kunst. Metallwaffen aus Bronze oder Eisen
[* 49] galten als etwas Kostbares.
Der gemeine Mann bediente sich noch meist aus Holz
[* 50] und Stein hergestellter Waffen und Geräte; auch die
Lanzen hatten nur kurze Eisenspitzen. Das Hans war meist ein rohes Blockhaus, einen einzigen Raum umschließend, daneben eine
durch Dünger gegen Frost geschützte kellerartige Winterstube. Durch den Verkehr mit den Römern lernten die GermanenGeld und
Wein kennen sowie andere Bedürfnisse und die Mittel sie zu befriedigen.
Die Ehe ward in bestimmten Formen geschlossen, unter denen die Zahlung einer Summe (d. h. eine Anzahl von Kühen oder anderm
Vieh) an den Vater oder Vormund die wichtigste war. Das Mädchen ging aus der Gewalt der einen Familie in die der andern über.
Der Mann konnte mehrere Frauen haben, hatte aber regelmäßig nur eine in rechter Ehe geworbene Frau.
Bei einigen Stämmen durfte die Frau nach dem Tode des Mannes nicht wieder heiraten; bei den Herulern sollen sie sich auf dem
Grabe ihres Mannes erhängt haben.
Der Abschluß der Ehe, die Übergabe der Braut, fand im Kreise
[* 51] der Verwandten (der Sippe) statt, nicht in der
Gerichts- oder Landesversammlung. Die Toten wurden in ältester Zeit begraben, später (schon im 1. Jahrh. n. Chr.)
verbrannt, und zwar Vornehme oft mit Kleidung, Waffen und andern Beigaben. (Vgl. Weinhold, Die heidn. Totenbestattung in Deutschland,
Wien
[* 52] 1859.) Tempel
[* 53] hatten die Germanen nur wenig, meist verehrten sie die Götter in heiligen Hainen und
auf Bergen;
[* 54] ein Baum, eine Quelle,
[* 55] ein heiliges Symbol (ein Holz, ein Stein, ein Schwert) galt wohl als Sitz des Gottes. Es wurden
Opfer gebracht und nicht selten auch Menschenopfer; bezeugt sind sie bei den Cimbern und Teutonen und bis ins 8. Jahrh. Es
gab Priester und Priesterinnen, aber keinen Priesterstand und keine Priesterherrschaft. (S. Deutsche Mythologie.)
Die Staaten waren klein, die Gewalt lag in der Versammlung der Freien. An der Spitze standen Fürsten, die entweder den Titel
Könige führten oder den minder glänzenden eines Führers und Richters (princeps, judex). Der König konnte
hoffen, daß sein Sohn ihm einst folge, aber er folgte nur durch Wahl und Anerkennung der Gemeinde. Könige und Fürsten oder
auch sonst an Ruhm und Reichtum hervorragende Männer sammelten eine Schar (s. Gefolge) freier Männer um sich, mit denen sie
zusammen lebten.
Das Gefolge oder Gesinde (so bei den Langobarden) schuldete Gehorsam, hatte neben dem Führer zu kämpfen
und sein Los zu teilen, wäre es auch Tod oder Gefangenschaft. Grundsatz des Rechtslebens war: Selbsthilfe des Geschädigten
oder Fordernden, aber in vom Staate gebotenen Formen. Das Gericht war die versammelte Gemeinde, der Richter war Vorsitzender;
der Kläger machte nicht Anzeige bei dem Richter, damit dieser den Schuldigen lade, sondern hatte ihn selbst
zu laden.
Das Urteil war kein Urteil über die Sache, sondern darüber, wer den Beweis für seine Behauptung zu erbringen habe und durch
welche Beweismittel. Diese waren entweder der Eid mit Eideshelfern (s. d.) oder das Gottesurteil, im besondern
das des Zweikampfes. Die Strafen waren Bußen, d. i. Geldstrafen. Mord kam nicht vor Gericht. Der
Mord erzeugte die Pflicht der
Rache für die Verwandten, aber der Mord des Rächers erzeugte neue Rachepflicht. Um so einem endlosen Morden vorzubeugen, sind
schon früh Formen ausgebildet worden, in denen dem MordeSühne geschafft werden konnte. Der Staat begann
so der Rache Schranken zu ziehen, namentlich die verletzte Familie zu zwingen, die vom Thäter gebotene Sühne anzunehmen. Doch
fallen davon nur die Anfänge in diese Periode. -
Vgl. Gaupp, Die german. Ansiedelungen und Landteilungen in den Provinzen des
röm. Westreiches (Bresl. 1844);
Museum, offiziell Germanisches Nationalmuseum genannt, eine Anstalt in Nürnberg,
[* 57] die bestimmt ist, «die
Kenntnis der deutschen Vorzeit zu erhalten und zu mehren, namentlich die bedeutsamen Denkmale der deutschen Geschichte, Kunst
und Litteratur vor der Vergessenheit zu bewahren und ihr Verständnis auf alle Weise zu fördern». Sie
verdankt ihre Entstehung der privaten Thätigkeit des FreiherrnHans von und zu Aufseß (s. d.). Wiederholt wandte er sich mit
seinen Plänen an die Gelehrtenwelt wie an die histor.
Vereine. Seine Vorschläge fanden nicht den nötigen Anklang, sodaß er sich entschloß, auf eigene Hand
[* 58] eine Anstalt ins Leben
zu rufen, die seine Anschauungen verwirklichen sollte. Nachdem er in bescheidenen Anfängen eine solche angelegt hatte, gelang
es ihm, eine Versammlung der deutschen Geschichts- und Altertumsforscher, die im Aug. 1852 in Dresden tagte, zu veranlassen,
die von ihm ins Leben gerufene Anstalt als eine nationale zu erklären, sie den Regierungen und dem Volke
zur Unterstützung zu empfehlen. Es bildete sich sofort ein Verwaltungsausschuß, als dessen Vorsitzender sowie als Direktor
von Aufseß ernannt wurde.
Während der Deutsche Bundestag, die bayr. und andere deutsche Regierungen der Anstalt ihre Anerkennung bald zu teil werden
ließen, während das Publikum sich rasch organisierte, um die der Anstalt nötigen Zuflüsse zu sichern,
fand das Unternehmen in den gelehrten KreisenWiderstand, weil dieselben das Programm zu umfassend, unausführbar fanden. In der
That zeigte sich auch bald, daß der Gedanke, ein großes Generalrepertorium, ein Personen-, Orts- und Sachregister über das
gesamte Urkunden- und Handschriftenmaterial, die gesamte Litteratur, die sämtlichen kultur- und kunstgeschichtlichen
Denkmale herzustellen, zunächst beschränkt, wahrscheinlich aber ganz aufgegeben werden müsse.
Bald nach der 1866 erfolgten Übernahme der Leitung des Museums durch Aug. von Essenwein (s. d.)
wurden die Sammlungen, die nach dem ursprünglichen Plane nur eine Art Illustration jenes Generalregisters bilden, an die Spitze derAufgaben der Anstalt gestellt. Diese wurde durch eine Satzungsänderung zu einem Deutschen kulturgeschichtlichen
Centralmuseum bestimmt, dessen Sammlungen unter Essenweins Leitung in so ungeahnter Weise zunahmen, daß nun auch die Gelehrtenkreise
das Museum gern unterstützten.
¶
mehr
Im J. 1857 wurden die Ruinen der frühern Kartause in Nürnberg erworben, um, nach den Plänen Essenweins ausgebaut, den stets
wachsenden Sammlungen als Aufbewahrungsort zu dienen. Bis Anfang 1888 war dieser Ausbau zum größern Teile beendet und es
waren bereits in über 80 Sälen, Hallen, Zimmern und Kabinetten die Sammlungen ausgestellt. Diese bestanden
aus folgenden, gewissermaßen selbständigen, doch aber organisch miteinander verbundenen Abteilungen:
1) vorgeschichtliche, 2) römische, 3) germanische und frühmittelalterliche Denkmäler;
4) architektonische Denkmäler, Modelle ganzer Bauten, Fußböden, Thüren, Schlosserarbeiten, Öfen
[* 60] u. s. w.;
19) Denkmäler des häuslichen Lebens vom großen Mobiliar an bis zu den geringsten Gebrauchsgegenständen, die in sich wieder
eine Reihe von Abteilungen bilden;
31) Sammlung von Abbildungen. Die Bibliothek umfaßt alle Zweige der allgemeinen wie Kultur- und Kunstgeschichte Deutschlands.
Das Archiv hat dazu gedient, vieles zum Teil überaus kostbare Material vor Vernichtung zu retten, und ist so zu einem ergänzenden
Bestandteil fast jedes Einzelarchivs in Deutschland und namentlich Deutsch-Österreichs geworden.
Die Entwicklung der Anstalt ist noch nicht abgeschlossen und somit die Möglichkeit gegeben, daß noch einzelne Abteilungen
sich angliedern, um das Bild zu vervollständigen. Das Germanisches Museum veröffentlicht seit 1853 eine in Monatsheften
erscheinende Zeitschrift: «Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit» (seit 1884 u. d. T. «Anzeiger
des Germanischen Nationalmuseums», welche Zeitschrift nur den Gönnern und Förderern des Germanisches Museum gratis geliefert wird). Von
sonstigen Veröffentlichungen sind neben einer Reihe kleinerer Broschüren, neben den Katalogen der kirchlichen
Geräte, Bauteile, Gewebe, Gemälde, Glasgemälde. Spielkarten, Kupferstiche des 15. Jahrh., prähistor. Altertümer, Bucheinbände,
Originalskulpturen, Bronzeepitaphien, Drechslerarbeiten, alter Originalholzstöcke u. s. w.
und Führern durch die Sammlungen zu nennen: die faksimilierte Nachbildung einer umfassenden Bilderhandsckrift des 15. Jahrh.
u. d. T. «Mittelalterliches Hausbuch»
(Lpz. 1866; 2. Aufl., Frankf. 1887) sowie «Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen» (4 Lfgn., Lpz.
1872-77),
«Die Holzschnitte des 14. und 15. Jahrh. im Germanischen Nationalmuseum» (mit
144 Tafeln, Nürnb. 1874),
Die Anstalt ist, seit sie in Nürnberg dauernden Sitz genommen, von der bayr. Regierung mit den Rechten
einer juridischen Person ausgestattet und als Stiftung für Unterrichtszwecke unter Genehmigung der Satzungen, die ihre volle
Unabhängigkeit und Selbständigkeit aussprechen, erklärt worden. An ihrer Spitze steht ein aus 24-30 Gelehrten aus verschiedenen
Gegenden Deutschlands zusammengesetzter Verwaltungsausschuß, der sich bei Erledigung einer Stelle selbst ergänzt und sich
seinen Vorsitzenden wählt, der zugleich als Direktor die Beschlüsse der alljährlich stattfindenden
Versammlungen ausführt, die Vertretung der Anstalt ausübt, die Beamten anstellt, dem Plenum der Versammlung aber Rechenschaft
und Rechnungzu legen hat.
Erster Direktor ist seit 1894 Gustav von Bezold. Das Reich giebt der Anstalt seit 1894 jährlich 62000 M., der
StaatBayern
[* 65] 18000, die Stadt Nürnberg 5200 M.; diese 85200 M. sind nach einer Übereinkunft der drei genannten Geber zur Deckung
der laufenden Verwaltungskosten bestimmt, während die Einnahmen aus den freiwilligen Beiträgen deutscher Fürsten, Korporationen,
Vereine und Privatpersonen (etwa 50000 M.) und aus den Eintrittsgeldern (etwa 10000 M.) nur zur Erweiterung
der Sammlung dienen sollen. Auch Stiftungen sind der Anstalt zugeflossen. -
Vgl. außer den Jahresberichten des auch Germanisches Museumauch Hektor,
Geschichte des Germanischen Nationalmuseums von seinem Ursprunge bis zum J. 1862 (Nürnb. 1863);
Essenwein, Das Germanische
Nationalmuseum, dessen Bedarf u. s. w. (ebd. 1884);
Sprachen (mit Unrecht auch wohl Deutsche Sprachen, engl. Teutonic languages genannt), die von den german.
Völkern (s. Germanen) gesprochenen Sprachen, die, untereinander sehr nahe verwandt, zusammen den german. Zweig des indogerman.
Sprachstammes (s. Indogermanen) bilden. Eine nähere Verwandtschaft dieses Zweiges mit dem Litauisch-Slawischen, wie er früher
in der Sprachwissenschaft allgemeiner angenommen wurde, läßt sich nicht erweisen, noch weniger ein engerer
Zusammenhang mit dem Keltischen.
Die Germanische Sprachen unterscheiden sich von den übrigen indogerman. Sprachen am schärfsten durch die sog. Lautverschiebung (s. d.)
und durch die Zurückziehung der ursprünglich frei wechselnden Wortbetonung aus die Stammsilbe. Vom ersten geschichtlichen
Auftreten an erscheinen die Germanen in verschiedene Stämme geteilt und auch ihre Sprache mundartlich gespalten,
sodaß das Urgermanische, die allen Einzelsprachen und Mundarten zu Grunde liegende Form, nur wissenschaftlich erschlossen
und wieder hergestellt werden kann.
Die mundartlichen Verschiedenheiten der Germanische Sprachen waren in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung
noch nicht erheblich, sodaß man für die Zeit bis zur german. Völkerwanderung von einer urgerman. Sprache
reden kann. Von dieser sind zwar nur ganz vereinzelt ein paar Worte und eine größere Anzahl Eigennamen bei griech.
und röm. Schriftstellern und aus einigen röm. Inschriften überliefert, aber die Fortschritte der sprachvergleichenden Methode
ermöglichen, zumal bei Verwertung der ältesten Lehnworte, mit ziemlicher Sicherheit eine Rekonstruktion
der altgerman. Sprache.
Vgl. F. Kluge,
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Urgeschichte der altgerman. Dialekte (in Pauls «Grundriß der german. Philologie», Bd. 1, Straßb.
1889). Bis in das 4. Jahrh. n. Chr. zurück reichen die
ältesten Runeninschriften (s. Runen),
[* 67] die teils in Deutschland, namentlich aber in Dänemark
[* 68] und dem südl. Schweden und Norwegen
gefunden worden sind. Die früheste schriftliche Aufzeichnung in der heimischen Sprache ist die got. Bibelübersetzung
des Ulfilas (s. d.). Im übrigen beginnt die Überlieferung in England Ende des
7., in Deutschland Mitte des 8. Jahrh. In Skandinavien geben an 100 Runeninschriften Kunde von der Sprache des 4. bis 7. Jahrh.,
weit mehr für die folgenden Jahrhunderte; die handschriftliche Überlieferung beginnt hier erst seit
Ausgang des 12. Jahrh. Für die ausgestorbenen Sprachen der Rugier, Gepiden, Vandalen, Burgunden und Langobarden sind wir auf
Eigennamen und verstreut überlieferte Wörter angewiesen. Gar nichts weiß man über die Sprache des östlichsten der german.
Stämme, der Basternen (Bastarnen).
Die Germanische Sprachen zerfallen in drei Gruppen:
1) Ostgermanisch, die Sprache der Ostgermanen (s. d.), deren Repräsentant für uns die got.
Bibelübersetzung ist;
3) Westgermanisch, die Sprache der Westgermanen (s. d.). Viele Gelehrte nehmen einen nähern Zusammenhang
des Ostgermanischen und Nordgermanischen an und teilen die Germanische Sprachen in zwei Gruppen,
indem sie den Namen Ostgermanisch auch auf die skandinav. Sprachen ausdehnen.
1) Die ostgermanischen Mundarten sind alle ausgestorben; man weiß aber, daß die Sprache der Gepiden und Vandalen dieselbe
war wie die gotische (s. Gotische Sprache und Litteratur). Etwas abweichend war die burgundische Mundart.
2) Der nordgermanische Sprachzweig zerfiel in der Zeit von etwa 700 bis 1000 in drei Mundarten: altnorwegisch, altschwedisch,
wozu auch die altgutnische Mundart zu rechnen ist, und altdänisch. Letztere beiden Mundarten stehen einander näher als
ersterer, sodaß man sie als ostnordische Gruppe zusammenfaßt und der westnordischen gegenüberstellt. Diese erhielt durch
die norweg. Besiedelung Islands um 900 einen räumlichen Zuwachs und zerfällt seitdem in eine norwegische und in eine isländische
Mundart. Erst im 11. Jahrh. wurden die mundartlichen Abweichungen so groß, daß man von vier Sprachen statt Mundarten reden
darf. Über die weitere Entwicklung dieser Sprachen s. Nordische Litteratur und Sprache, Schwedische Sprache,
Dänische Sprache und Litteratur, Norwegische Sprache und Litteratur, Isländische Sprache und Litteratur.
Die innere Geschichte der Germanische Sprachen weist eine Reihe übereinstimmender Züge auf. Das Urgermanische
besaß noch zum größten Teil die altindogerman. Mannigfaltigkeit der Flexion, wie sie aus der griech. Sprache bekannt ist.
Zur Zeit der german. Völkerwanderung bewirkten durchgreifende lautliche Veränderungen der Wörter, insbesondere durch den
Accent verursachte starke Verkürzungen ein lautliches Zusammenfallen vordem verschiedener Wortformen. Schon die Gotische Sprache
(s. d.) hat die Flexion erheblich vereinfacht. Im Mittelalter führte dieser
Prozeß und das Streben nach Ausgleichung von lautlichen Verschiedenheiten innerhalb derselben Formklasse (s.
Analogiebildung) schließlich zu einer großen Umwälzung des ganzen Charakters der alten Sprache, und
bereits vor Ausgang des Mittelalters herrschen überall die modernen Sprachen, deren Reste von Flexionsendungen den ursprünglichen
Reichtum der verschiedenen Deklinations- und Konjugationsklassen nicht mehr ahnen lassen.
In lautlicher Hinsicht sind die durchgreifendsten Veränderungen der Germanische Sprachen zur Zeit der german. Völkerwanderung vor sich gegangen
oder wurzeln wenigstens in dieser Zeit. Der Grund hierfür liegt einerseits in der Sprachmischung mit
den romanischen (bez. keltischen in Britannien, finnischen in Schweden und Norwegen) Volksgenossen, welche die german. Sprache
ihrer neuen Herren annahmen. Zum andern aber bewirkte eine Umgestaltung der Aussprache die Mischung der einzelnen german.
Stämme untereinander, deren jeder von Hause aus eine andere Aussprache mitbrachte. Im südl. Schweden mischten
sich Dänen und Schweden, in Dänemark die Dänen mit den Resten der anglofries. Urbevölkerung (s. Westgermanen), in England
Angeln, Sachsen
[* 71] und Jüten. Im großen und ganzen hat sich der Lautcharakter der Germanische Sprachen in den letzten 700 Jahren
nicht wesentlich verändert. Doch scheint es, daß in der Gegenwart der sprachliche Austausch innerhalb
des Bereichs jeder einzelnen german. Schriftsprache, eine Folge der großartigen Verkehrserleichterungen,
eine abermalige Umwälzung der ortsheimischen Aussprache anbahnt.
GrößereVeränderungen weist der moderne Wortschatz auf. Man hatte sich in der Urzeit mit verhältnismäßig geringem Wortvorrat
beholfen, wie noch heute der einfache Mann im gewöhnlichen Leben mit sehr wenig Wörtern auskommt. Die
fortschreitende geistige Entwicklung der Völker und ihre erweiterten Bedürfnisse drängten einerseits zur Aufnahme einer großen
Zahl von Lehnworten, so namentlich in den ersten Jahrhunderten n. Chr. und im 19. Jahrhundert
(s. Fremdwörter), andererseits zur Prägung neuer Wortformen und zu einer Verfeinerung der Nuancen der
Wortbedeutung.
Auch die Ausgleichung des Wortschatzes der einzelnen Mundarten hat den Wortreichtum der german.
Schriftsprachen erweitert, in Deutschland namentlich seit Luther. Insbesondere sind es aber die stetig wachsenden Bedürfnisse
der modernen Schriftsprachen, welche auch der gesprochenen Sprache neue Worte, neue Wortbildungen und neue Nüancen der Wortbedeutung
zuführen. Hinsichtlich seines Wortschatzes nimmt das Englische unter den Germanische Sprachen eine Sonderstellung ein
durch eine dermaßen massenhafte Übernahme franz. Wörter, daß
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