Französische Litteratur (Altfranzösische Periode bis 1150)
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Die jüngste franz. Malerschule bildete diese Grundsätze fort. Hatten sich Corot, Daubigny
und ihre Genossen in die ländliche Umgegend von
Paris
[* 2] zurückgezogen, um dort ihren Naturbeobachtungen in Seelenfrieden obzuliegen,
während auch ein edler Friede sich in ihren meist abendliche Stimmungen darstellenden Werken äußert, kehrten die jüngern
Maler wieder nachParis zurück, um nur Selbsterschautes darzustellen, aber nicht wie es ist, sondern wie
es unter dem Einfluß des Lichts, der Reflexe der Sonnennebel erscheint
(Impressionisten, s. d.). Manet, Monet, Pissaro, Gervex,
Bastien-Lepage, Lhermitte, Morisot und zahlreiche andere haben nach dieser
Richtung gewirkt. Namentlich ist ihr Streben, die
Wirkung des grellen
Sonnenlichts, das Zittern der erhitzten Luft darzustellen. Man nennt ihre Kunst daher
auch im Gegensatz zu der mit tiefen, satten, bräunlichen Schatten
[* 3] arbeitenden ältern Schule Hellmalerei (s. d.).
Eine vermittelnde
Stellung nehmen der feine Beobachter und phantasievolle Darsteller Henner, ferner
Carolus-Duran, Antigna
u. a. ein, welche zwar die
Impression erstreben, doch im
Ton und im Gegenstande sich der ältern Schule
nähern.
Die franz. Malerei befindet sich zur Zeit in einem Übergangszustand. Die Anregungen der
Hellmaler, namentlich des
Bastien-Lepage, haben eine völlige Umgestaltung der Behandlung des Lichts und somit des Gesamttones
der
Bilder mit sich gebracht, der vom Bräunlichen ins Bläuliche übergeschlagen ist. Der Darstellungskreis
ist trotz vieler Fehlgriffe der
Jüngern erstaunlich erweitert und dem modernen Empfinden näher geführt worden. Eine außerordentliche
Kraft
[* 4] im Verwirklichen des beabsichtigten Eindruckes ist der modernen franz. Malerei eigen.
Dabei eine große Thatkraft im Zustreben auf die neuen Ideale. Immer aufs neue werden malerische Fragen angeregt und gelöst.
Künstler wie Dagnan-Bouveret, Roll, Gervex, Boldini, Béraud,
Carrière, Duez überraschen mit jedem
Jahre durch neue Lösungen. Die schillernde Farbengebung des Besnard hat in jüngster Zeit das Interesse am lebhaftesten
angezogen. Zahlreiche in
Paris lebende und ausstellende Nordamerikaner,
Spanier,
Schweden,
[* 5] Norweger,
Polen und auch Deutsche
[* 6] erhöhen die Mannigfaltigkeit der
Bilder. Als eine der neuesten Schulen ist die der mysticierenden Symbolisten
zu nennen. Unzweifelhaft bewegt sich die auf Französische Kunstauf allen Punkten vorwärts und ist die regsamste in
Europa.
[* 7]
Vgl. Silvestre, Les artistes français (Par. 1878);
E. Chesneau, La peinture au XIXe siècle.
Les chefs d'école (3. Aufl.,
ebd. 1883);
ders., Peintres et statuaires romantiques (ebd. 1880);
Litteratur.In derGeschichte der franz. Nationallitteratur lassen
sich zwei Hauptperioden unterscheiden, eine mittelalterliche (altfranzösische) und eine moderne (neufranzösische).
Die erstePeriode reicht
bis in die Zeit
Franz' I., wo das franz. Schrifttum, durch die Renaissance und die
Reformation von neuen Ideen befruchtet, neue
Stoffe und Darstellungsformen aufnahm und die
Bande der mittelalterlichen Überlieferung
durchbrach.
1) Von den Anfängen bis etwa 1150. Die Anfänge der
Dichtung verlieren sich im Dunkel der vorlitterar. Zeit. Man darf den
Ursprung des
Französischen mit den ersten röm.
Ansiedelungen im nördl.
Gallien beginnen lassen, aber
als in den folgenden Jahrhunderten die Urbewohner des
Landes ihre
Sprache
[* 8] mit der lateinischen vertauschten und in die röm.
Bildung sich einlebten, wurde das Latein der Gebildeten in der Litteratur und im höhern Verkehr allein gebräuchlich;
daher sind alle aus diesem Zeitraume überlieferten Erzeugnisse litterar.
Geistes auf gallischem
Boden in das Bereich der röm. Litteraturgeschichte zu ziehen. Auch nachdem seit dem 4. Jahrh.
die Christianisierung
Galliens schnelle Fortschritte gemacht hatte, blieb die röm. Kultur bestehen, obgleich man
ihren heidn.
Geist durch einen christlichen zu verdrängen trachtete. So schreiben die ersten christl.
Schriftsteller des
Landes ihre Werke in lat.
Sprache. Erst nach dem Niedergange des Weströmischen
Reichs, als die in jeder
hervorragenden Stadt
Galliens vorhandenen Bildungsstätten verkümmerten und ihre
Auflösung sich beschleunigte unter dem Druck
der german. Invasionen und der Feindseligkeit, die allmählich das
Christentum gegen die heidn.
Wurzeln der röm.Bildung ergreifen mußte, verengerte sich immer mehr der
Kreis
[* 9] der Gebildeten, der sich
der lat. Bildungssprache bediente. Die neueingerichteten
Klosterschulen konnten und wollten die
Verbindung mit der klassischen
Latinität nicht aufrecht erhalten, und seit dem 6. Jahrh. brach eine fast litteraturlose
Zeit ein, deren Zeugen das barbarische Latein einfältiger Legenden und dürftiger
Annalen reden. Doch
wurde die eigentliche Volkssprache, die galloroman.
Vorläuferin des
Französischen, darum noch nicht schriftgemäß; selbst wenn sie im Verkehr eine ganz andere Bedeutung gegen
früher erhielt.
Daß man schon während des 6. oder 7. Jahrh. in dieser Volkssprache gedichtet hat, dürfte
ohne ausdrückliche Zeugnisse anzunehmen sein. Wichtig für die Anfänge einer franz.
Vulgärpoesie wurde aber die
Aufnahme des seit dem 5. Jahrh. im
Lande heimischen german. Elements in das galloröm. Volkstum.
Auf die
Dauer konnten die an Volkszahl gegen die Galloromanen weit zurückstehenden german. Ansiedler
ihre Nationalität nicht behaupten, besonders im Westen und im Innern desLandes gelangte die
Sprache,
der die
Franken wenigstens den
Namen
(französisch = francensis, d. h. fränkisch) und eine große Anzahl von Wörtern geschenkt
haben, zur allgemeinen
Anerkennung, aber während die
Germanen ihre
Sprache verloren, vererbten
sie der neu sich bildenden Nationalität,
in der sie aufgingen, ihren deutschen Heldengesang. Diese Erbschaft ist die Grundlage der reich entwickelten
epischen Volksdichtung der
Franzosen geworden, deren
Geist selbst in spätmittelalterlicher Umbildung noch den german. Ursprung
zeigt.
Schon unter der Herrschaft der
Merowinger und der
VorfahrenKarls d. Gr. gab es galloroman. (französische) Lieder, die, zunächst
wohl unmittelbare Nachbildungen fränk. Heldengesänge, das Andenken von Thaten einschneidender
Bedeutung und von hervorragenden Männern wach erhielten. Obgleich keins dieser Lieder erhalten ist,
wird doch ihr einstiges Vorhandensein bezeugt; bei
Gregor von
Tours,
[* 10] bei Fredegar, in den «Gesta Francorum» finden sich
Stellen,
die auf Lieder des 6. und 7. Jahrh.
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zurückgehen; auch die alte Biographie des heil. Faro, Bischofs vou Meaux im 6. Jahrh., beruft sich ausdrücklich auf den epischen
Volksgesang, aus dem sie zum Ruhme des Heiligen einige Verse in lat. Umbildung wörtlich anführt. (Vgl. Pio Rajna, Le
[* 12] origini
dell'epopea francese, Flor. 1884.) Aus der Zusammenfassung einzelner derartiger Lieder
und aus ihrer Bearbeitung durch volkstümliche Sänger gehen dann förmliche Epen (Chanson de geste) hervor, deren Vorhandensein
schon für das 9. Jahrh. angenommen wird und für das 19. Jahrh.
durch das sog. Haager Fragment sicher bezeugt ist.
Denn dieses ist als die Bearbeitung einer Chanson de geste aus dem Sagenkreise des Wilhelm von Orange
in lat. Prosa nachgewiesen. (Vgl. G. Paris, Histoire poétique de Charlemagne, Par. 1865, S. 50.) In dieser Zeit war Karl d. Gr.
die in dem Mittelpunkt einer reichentwickelten volkstümlichen Epik in franz. Sprache stehende Persönlichkeit geworden, und
selbst die Thaten seiner Vorgänger (Karl Martels) wurden auf ihn übertragen. Kämpfe gegen äußere
Feinde (Saracenen), Fehden mit unbotmäßigen Vasallen und der Geschlechter untereinander (wie der Lothringer Cyllus) bildeten
den Inhalt der epischen Dichtung jener Zeit; doch ist in ursprünglicher Gestalt nichts davon erhalten, da vor dem 11. Jahrh.
keine Aufzeichnungen stattfanden.
Das Wiederaufblühen der lat. Bildung unter Karl d. Gr. war auch nicht günstig für die selbständige
Entwicklung der Litteratur in der Vulgärsprache. Nur das praktische Interesse der geistlichen Erbauung und des Unterrichts
veranlaßte seit Beginn des 10. Jahrh. einzelne Kleriker, Gedichte in der Vulgärsprache zu
schreiben, die mit Benutzung der schon in der weltlichen Epik ausgebildeten Versformen das Leiden
[* 13] Christi
und die Lebensgeschichte von Heiligen in gebundener Rede behandelten.
Von dieser Klerikerlitteratur ist das älteste erhaltene Zeugnis die Sequenz von der heil. Eulalia
aus dem 9. Jahrh. (zuerst hg. von Hoffmann, «Elnonesia»,
Gent
[* 14] 1837). Aus dem 10. Jahrh. sind überliefert: das Leben des heil.
Leodegar und die Passion Christi (hg. von Diez, «Zwei altroman.
Gedichte», Bonn
[* 15] 1852). Das umfangreichste und wichtigste Denkmal ist aber das um 1050 entstandene Alexiusleben (hg. von G.
Paris, Par. 1872). Weniger bedeutend ist die hymnenartige Bearbeitung des Hohenliedes aus dem
Anfange des 12. Jahrh. und die «eingeschobene Epistel» (Epistre farcie) auf den heil. Stephan. (Die beiden
letztern und die übrigen Denkmäler bei Foerster und Koschwitz, «Altfranz. Übungsbuch», Tl. 1, Heilbr. 1884.) Auch von den
ältesten Versuchen in franz. Prosa, Bearbeitungen geistlicher Stoffe, sind einige aus dieser Zeit erhalten: das Fragment
einer Predigt über den ProphetenJonas (10. Jahrh.), eine Übersetzung der Psalmen (11. Jahrh.) und der
vier Bücher der Könige (11. und 12. Jahrh.). Dagegen ist von den in den karoling.
Überlieferungen wurzelnden altfranz. Heldenliedern, deren es im 11. Jahrh. schon eine beträchtliche
Anzahl gegeben haben muß, nur eins auf uns gekommen, das Rolandslied (s. d.),
das nicht allein die älteste und altertümlichste, sondern zugleich die poetisch gehaltvollste, epische
Dichtung der volkstümlichen Litteratur Frankreichs ist. Ein dem Rolandslied vielleicht gleichalteriges Denkmal ist «Karls d. Gr.
Reise nach Jerusalem»
[* 16] (hg. von E. Koschwitz, 2. Aufl., Heilbr. 1883;
vgl. auch Romania, Bd. 10),
ein halb ernstes, halb komisches «heroisches Fabliau» in der Form des Heldenliedes
(Chanson
de geste),
das auf der halbgelehrten Sage von Karls friedlicher Pilgerfahrt nach Jerusalem beruht.
Außerdem gehört hierher das allerdings handschriftlich erst aus dem 14. Jahrh. überlieferte
Fragment «Gormont und Isembart» (vgl. Roman. Studien, Bd. 3, 1879).
Mit Beginn des 12. Jahrh. beteiligen sich mit besonderm Eifer die Normannen an der Pflege der und Dichtung.
Seit 911 im festen Besitz des Landes, das nach ihnen den NamenNormandie empfangen hat, haben diese nordischen Germanen bald die
eigene Sprache mit der französischen vertauscht und selbst allen Stoffen der volkstümlichen Heldendichtung der Franzosen eine
freundliche Aufnahme bereitet. Gerade die ältesten franz. Epen sind uns in Niederschriften
von frankonormann. oder anglonormann.
Sprachfärbung überliefert (so das Rolandslied). Denn als der Normannenherzog Wilhelm 1066 die engl.
Krone gewann, wurde auch die franz. Sprache in England heimisch und behauptete hierüber 150 Jahre die Vorherrschaft als Sprache
der Dichtung und des höhern Verkehrs. Die frühesten noch vorhandenen selbständigen Erzeugnisse auf
diesem Gebiete der knüpfen an die Überlieferung der ältern geistlichen DichtungFrankreichs an. Es sind Legenden und
Traktate zu kirchlichen Zwecken. So schrieb Philippe von Thaon (aus der Gegend von Caen) um 1115 seinen «Cumpoz» (lat. Computus),
einen Kalender in Versen, und um 1120 für die engl. Königin ein Tierbuch (Bestiaire, s. d.), während
der Verfasser der gleichzeitigen Legende vom heil. Brandan nicht genannt wird. Außer verschiedenen Heiligenleben von Wace,
die etwas späterer Zeit angehören, zeugen noch die ältesten franz. Reimchroniken, die
bei den Normannen entstanden, von lebendigem Interesse für die eigene Vergangenheit: Geoffroi Gaimar, Wace und
Benoit (de Sainte-More) waren in dieser Richtung als poet. Geschichtschreiber für den engl.-normann. Hof
[* 17] thätig.
2) Die Blütezeit der altfranzösischen Periode (etwa 1150-1230). Die Werke der beiden letztern entstanden schon in den Jahren,
in denen die des Mittelalters sich zu reicher Blütenfülle entfaltete. In diesem Zeitraum hatten die
franz. Könige ihre unmittelbare Machtsphäre kräftig erweitert in siegreichen Kämpfen
gegen mächtige Lehnsfürsten und besonders gegen die als franz. Vasallen und Träger
[* 18] der Krone Englands gefährlichen Plantagenets.
Auf sicherer Grundlage ruhte hinfort die Zukunft der franz. Nationalität, und ihre Sprache und Litteratur gewann an Kraft,
Ausbreitung und Geltung. Und wie die Pariser Schulen gleichzeitig in der Gelehrsamkeit des Abendlandes
die Führung übernahmen, ebenso wirkte der Aufschwung und Reichtum der franz. Dichtung auf die litterar. Entwicklung der roman.
und german. Nachbarvölker. Vornehmlich die epischen Werke der Trouvères, in denen der Geist des seit den Kreuzzügen erblühenden
Rittertums herrschte, erlangten internationale Geltung.
Es hat den Anschein, als ob der Übergang von der höfischen Reimchronik zum höfischen Roman in Versen zuerst mit der Behandlung
antiker Sagenstoffe gemacht wurde, neben denen aber bald auch die kunstmäßigen Bearbeitungen epischer Überlieferungen
erscheinen, die in der breton. Volkssage wurzeln, Stoffe, die, mit Freiheit behandelt, sich als ungemein
fruchtbar erwiesen für die poet. Verwirklichung und Verklärung ritterlicher Lebensverhältnisse und Zeitideale. Für die
frühzeitige Behandlung der Alexandersage¶
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spricht ein aus dem Anfang des 12. Jahrh. stammendes Bruchstück des Alberich von Besançon
[* 20] (vgl. P. Meyer, Alexandre le Grand, 2 Bde.,
Par. 1886). Um 1150 entstanden die Bearbeitungen von Statius' Thebais als «Roman de Thèbes» (hg. von Constans, 2 Bde., Par.
1891),
von Virgils Äneide als «Roman d'Énéas» (hg. von Salverda de Grave, Halle
[* 21] 1892). Am meisten Anklang
fanden die Sage von der Eroberung Trojas und die Geschichte Alexanders d. Gr.; die Autoritäten der franz. Trouvères bildeten
die Erzeugnisse der spätgriech. und spätlat. Litteratur, Dictys und Dares, Pseudo-Kallisthenes u. a. Der «Roman de Troie»,
die ins rittermäßige umgearbeitete Erzählung von der Zerstörung Trojas von Benoit de Sainte-More, einem
Normannen, entstand um 1180 (hg. von Joly, 2 Bde., Par.
1870-71). Von den Bearbeitungen der Alexandersage hatte der vor 1188 von Lambert li Tors und Alexandre de Bernay verfaßte «Roman
d'Alexandre» (hg. von Michelant, Stuttg. 1846) den größten Erfolg, und die in ihm
verwendete zwölfsilbige Langzeile erhielt durch diesen Roman ihren NamenAlexandriner.
Bearbeitungen bretonischer Sagenstoffe. Bereits in der nach der lat. Geschichte des Geoffrey
of Monmouth bearbeiteten Reimchronik «Le roman deBrut» des normann. Trouvère Wace finden sich die ritterlich umgewandelten
Bestandteile der Sagen von Arthur und seinen Helden, die hier zuerst als Ritter der Tafelrunde erscheinen.
Aber schon vor dem Bekanntwerden dieser Reimchronik (1155) hatten normann. Spielleute die in England und Nordfrankreich vorgetragenen
kelt. Lieder (Lais, s. d.) der breton. Sänger sich angeeignet,
ihren Sageninhalt in franz. Verse gebracht und bis nach Italien
[* 22] verbreitet (vgl. Rajna in der Zeitschrift «Romania», XVII).
Aus diesen episodischen Erzählungen gingen durch Zusammenordnung, Umdichtung, durch eigene Erfindungen
und anderswoher entlehnte Zuthaten der Bearbeiter die höfischen Romane von Artus (s. d.) und seinen Helden hervor. Die ältesten
breton. Romaneder handelten von Tristan und Isolde. Zwei Bearbeitungen, die eine von Bérol, die andere vonThomas, sind
in Bruchstücken erhalten. Der erfolgreichste höfische Umdichter der breton.
Stoffe war Chrétien de Troyes (1130-90), der im «Erec», im «Chevalier
au lion», im «Lancelot» und «Perceval» den Höhepunkt der ritterlichen Kunstepik
erreicht.
Auch die Legende von Joseph von Arimathia, dem Überbringer der Abendmahlsschüssel (des Grals), wurde zuerst von Robert von
Boron (um 1170) mit dem Kreise
[* 23] der Tafelrunde in Verbindung gebracht und in weiterer Verquickung legendenartiger
christl. und sagenhaft breton. Motive zur Unterlage der Darstellung eines geistlichen Rittertums. Während Chrétien und seine
Fortsetzer den Stoff in gebundener Rede behandelten, bearbeiteten gelehrte Kleriker (clercs) die Geschichte des Grals und die
übrigen breton. Stoffe in ausführlichen Prosaromanen, wovon die meisten in verjüngter Gestalt gegen
das Ende des 15. und im Laufe des 16. Jahrh. noch im Druck erschienen. Hierher gehören der
Prosaroman vom heil. Gral (um 1200), die «'Suche des heil. Grals» («Queste du St. Graal»),
der Roman von Merlin, von Lancelot du
Lac, «La mort Artur», der Roman von Tristan. (Vgl. P. Paris, Les romans de la Table ronde, 5 Bde., Par.
1868-77.)
In derselben Weise wurden auch biblische und orientalische Sagen bearbeitet, nachdem die Bibel
[* 24] durch Paraphrasen der
Geistlichen,
der Orient durch das Schwert der Kreuzritter auch den Laien und weltlichen Sängern des Occidents aufgeschlossen
worden waren, wie z. B. in den epischen Gedichten von Judas Makkabäus, Barlaam und Josaphat von Gui de Cambrai (hg. von Zotenberg
und Meyer, Stuttg. 1864), Heraklius von Gautier d'Arras (um 1218), Cléomadès von Adenes li Rois (hg. von Van Hasselt, 2 Bde.,
Brüss. 1865-66), Flore und Blancheflor nach maur. Sagen (hg. von Bekker, Berl. 1844, und von Du Méril,
Par. 1856) u. s. w. - Endlich sind teils vereinzelte lokale, teils gemischte Sagen, die nur äußerlich an einen der größern
volkstümlichen Sagenkreise angelehnt wurden, auch in größern epischen Gedichten bearbeitet worden. So in den Romanen «Méraugis»
von Raoul de Houdenc (hg. von Michelant, Par. 1869),
«Partenopeus de Blois» (hg. von Crapelet, ebd. 1834),
und dieselbe Sage in mehr kunstgemäß-ritterlicher Form und mit lyrischen
Einschaltungen im «Roman de la Violette» von Gerbert de Montreuil aus dem ersten Viertel des 13. Jahrh. (hg.
von Michel, ebd. 1834). Eine dem letztern ähnliche Form und Behandlung des Stoffs zeigen die Romane «Chastelain de Coucy» und
«Guillaume de Dole», und die halb in Prosa, halb in Versen verfaßte Erzählung «Aucassin
et Nicolete» (hg. von Suchier, 3. Aufl., Paderb. 1889; deutsch von Hertz, Wien
[* 25] 1865) u. s. w.
Während ein großer Teil dieser Dichtungen infolge ihres ritterlich- oder geistlich-internationalen Charakters sich zur Aufnahme
und Nachbildung bei den Nachbarvölkern Frankreichs eignete, ist im ganzen die volkstümliche Heldendichtung, die auch in
diesem Zeitraum den Höhepunkt erreichte, seltener über die Grenzen
[* 26] des franz. Sprachgebietes
hinausgewandert, obgleich auch hier einzelne Dichtungen, wie das Rolandslied, schon frühzeitig von Deutschen,
Engländern, Skandinaviern und insbesondere von Italienern bearbeitet und übertragen wurden.
Im 12. Jahrh. werden die ältern Gesänge erneuert, verjüngt, hier und da ergänzt und untereinander in Übereinstimmung
gebracht. Zuletzt treten die Spielleute mit ganz neuen Erfindungen hervor, die schon Anklänge an die Artusromane und
die morgenländ. Sagenstoffe enthalten, und mit dem Reize ritterlicher Liebesverhältnisse und Abenteuerlichkeit ausgestattet,
von dem alten Thema des Heldenliedes vollständig abweichen. Um die Masse von Gedichten, deren handschriftliche Überlieferung
zwischen 1150 und 1470 fällt, in Gruppen zu ordnen, sind verschiedene Versuche gemacht worden. Am einfachsten ist folgende
Einteilung: a. Lieder, die von den Kriegen handeln, in denen unter Führung der Könige mit den Feinden
des Reichs und des Christenglaubens gestritten wurde.
Sie enthalten die ältesten Bestandteile der nationalen Epik. Außer den Gedichten aus der vorhergehenden Periode sind hierher
zu rechnen die «Chanson des Saisnes» (bearbeitet von Jehan Bodel, Ende des 12. Jahrh.),
«Aspremont», «Les
enfances Ogier le Danois», «Berte», «Mainet»),
«Couronnement de Louis», und ferner der aus dem Süden stammende, in der Folgezeit
ungemein reich entwickelte Sagenkreis von Guillaume d'Orange u. a. b. Epen, welche die Kämpfe der Feudalherren mit dem Königtum
und untereinander darstellen. In der ersten Gruppe treten hervor «Renaud
de Montauban») oder «Les quatre fils Aimon» (hg. von Michelant,
Stuttg. 1862),
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«Girard de Roussillon», «Huon de Bordeaux»;
[* 28] aus der zweiten Gruppe, in der die Kämpfe der Barone untereinander während der
Schwäche des Königtums im 10. Jahrh. behandelt sind, seien erwähnt «Raoul
de Cambrai», «Auberi le Bourgoing» und vor allem «Die Lothringer» («Les
Lorrains»),
ein Cyklus von fünf Liedern, in denen mit ungemeiner Kraft die Fehde zwischen den Lothringern
und den Bordelaisen geschildert wird. c. Gedichte, deren Inhalt aus verschiedenen, teils orient. teils byzant. Quellen stammt.
Doch haben die Helden dieser Chansons de geste karoling. Namen erhalten. In diese Klasse gehören «Amis et Amiles», «Jourdain
de Blaivies», «Beuvon d'Hanstone» (german.
Ursprungs) u. a. Aus Reimchroniken, die über den ersten Kreuzzug berichteten,
entstand ferner ein Cyklus von Heldenliedern, deren Mittelpunkt Gottfried von Bouillon ist, mit dessen Namen in diesem Cyklus
zugleich die Schwanensage in Verbindung gebracht wird (vgl. Pigeonneau, «Le
cycle de la Croisade», St. Cloud 1877). Die älteste dieser Kreuzzugsdichtungen, die «Chanson
d'Antioche», wurde um 1130 von Richart le Pelerin verfaßt und um 1200 von Graindor de Douay neu bearbeitet.
In derselben Zeit entstanden: «La chanson de Jérusalem», «Le chevalier au cygne» und die «Enfances
Godefroi».
Eigentümlich entwickelt sich aus der antiken Tierfabel das die Heldendichtung heiter parodierende franz. Tierepos. Die ältesten
Versuche, einzelne Fabeln von Wolf, Fuchs
[* 29] und Löwen
[* 30] in epischem Zusammenhange zu behandeln, stammen aus
flandr. Klöstern und sind (im 12. Jahrh.) in lat. Versen gedichtet.
Um 1150 muß es schon einen franz. «Roman de Renart» gegeben haben, doch gehören die ältesten von den 32 Branchen des erhaltenen
Tierepos in eine spätere Zeit (ungefähr 1200).
Vgl. E. Martin, Roman de Renart (3 Bde., Straßb.
1882-87);
Voretzsch, in der «Zeitschrift für roman. Philologie», Bd. 15, 16. - Über die epische Dichtung des franz. Mittelalters
vgl. K. Nyrop, Den oldfranske Heltedigtning (Kopenh. 1883);
speciell über die nationale Epik G. Paris, Histoire poétique
de Charlemagne (Par. 1865);
L. Gautier, Les épopées françaises, Bd. 1, 3, 4 (2. Aufl.,
ebd. 1878-82), Bd. 2 (ebd. 1892);
P. Rajna, Le origini dell'epopea francese (Flor. 1884).
Außer dem Tierepos kennt die desselben Zeitraumes auch Fabelsammlungen oder Ysopets (um 1170 von Marie de France u. a.),
die Äsopische und andere Fabeln orient. Herkunft in franz. Nachdichtung
enthalten. (Vgl. Lyoner Yzopet, hg. von W. Foerster, Heilbr. 1882.) Die Novellistik vertreten die kürzern
Verserzählungen «Contes», «Lais», «Fabliaux». Die Lais sind meist ritterliche Geschichten nach breton. Überlieferung erzählt,
wie in der Sammlung der Marie de France, die Fabliaux (s. d.) sind mehr bürgerlich, Schwänke, Anekdoten
von Bauern, Clercs, Bürgern u. s. w., Erzählungen, in denen die franz.
Spottlust und der neckische Hang des Volks zum Ausdruck kommt, und die vielleicht schon lange von Mund zu Mund gewandert waren,
ehe sie in Fassungen aus dem Ende des 12. und dem Anfang des 13. Jahrh. zur
Niederschrift gelangten. Hierher gehören ferner die beiden indopers. Apologensammlungen Bidpai und Sendabad in dem franz.
«Dolopathos» von dem Trouvère Herbert (hg. von Brunet und de Montaiglon, Par. 1856),
nach dem lat. Dolopathos des Joh. de Alta
Silva (hg. von Österley, Straßb. 1873)
gedichtet, und die ältere anonyme Dichtung «Li romans des sept
sages» (hg. von G. Paris, Par. 1876) sowie die aus arab. Quellen hervorgegangene «Disciplina clericalis» des getauften span.
JudenPetrus Alfonsi im «Chastoiement d'un père à son fils» (hg. im «Nouveau
recueil de fabliaux» von Méon, Bd. 2, Par.
1824).
Außer diesen schon die Belehrung des Lesers ins Auge
[* 31] fassenden Beispielsammlungen entstehen um das Ende
des 12. und in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrh. mancherlei religiös-didaktische und
satirisch-lehrhafte Dichtungen, wie das Tierbuch («Bestiaire divin») und «Le Besant Dieu» von Guillaume le Clerc aus der Normandie
(hg. von E. Martin, Halle 1869),
die geistlichen Erzählungen des Gautier de Coinci (1177-1236),
die orient.-christl.
Legende von «Barlaam und Josaphat» (von Chardry),
der satir. Zeitspiegel («Bible», hg. von Wolfhart und San Marte, Halle 1881)
des Guiot de Provins, und die ersten allegorisch-didaktischen Dichtungen: «Roman des ailes» (von Raoul de Houdenc),
«Le songe
d'enfer» (von dems.) und das «Tournoiement d'Antecrist» (von Huon
de Méry) u. a. Populäre Weisheit enthält in der Form eines «Débat» die weitverbreitete
Spruchsammlung «Salomon et Marcoul». Lehrbücher für den Verkehr in der
vornehmen Welt sind das «Chastiement des dames» des Robert von Blois und das «Doctrinal de courtoisie».
Die franz. Dichtung des Mittelalters ist vorwiegend episch. Auch haben die ältesten Denkmäler der volkstümlichen
Lyrik vielfach epische Färbung. So die altertümlichen Romanzen («Chansons d'istoire», «Chansons
de toile»),
von denen eine größere Anzahl aus dem 12. Jahrh. überliefert ist, kleine lyrisch-epische
Lieder, die zum Teil im 13. Jahrh. durch Audefroi le Bastard eine kunstmäßigere Form erhielten. Ferner die Pastourellen,
Liebesepisoden aus dem Hirtenleben; während rein lyrisch gehalten sind die Refrainlieder (Rotrouenges),
die Tanzlieder (Rondels) und die Lais, Nachahmungen breton. Lieder von künstlichem Bau. (Vgl. Bartsch, Altfranz. Romanzen und
Pastourellen, Lpz. 1870; Wackernagel, Altfranz. Lieder und Leiche, Bas. 1846.) Um 1150 entsteht eine den Provençalen nachgeahmte
Hof- und Kunstlyrik; diese wird besonders unter den Auspizien der Königin Eleonore von England und ihrer
Tochter Marie von Champagne gepflegt.
Das künstliche Liebeslied («Chanson d'amour»),
der «Salut d'amour», das «Jeu parti» und die übrigen provençalischen Gattungen
wurden besonders im Nordosten Frankreichs heimisch. Das Kreuzlied, das auch in die höfische Sphäre gehoben wird, war den
Franzosen schon früher bekannt. Die hervorragenden Lyriker sind höfische Trouvères und vornehme Herren,
Chrétien von Troyes, Conon von Béthune (gest. 1224), Jehan Bodel, Richard von England (gest. 1199), Gasse Brulé, Blondel de
Nesle, Gui de Coucy (gest. 1201), Thibaut IV. von der Champagne, König von Navarra (gest. 1243). -
Lieder (Berl. 1853); Raynaud, Bibliographie des chansonniers français (2 Bde., Par.
1884); Jeanroy, Les origines de la poésie lyrique en France (ebd. 1889).
Noch fallen in diese Periode die Anfänge der nordfranz. Dramatik. Das ernste Schauspiel entwickelte sich auch hier, wie überall,
aus dem religiösen Kultus und wurde aus der bloß mimischen Darstellung einer Handlung zur dialogischen
und
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eigentlich dramatischen, nachdem die objektive und subjektive Richtung in der epischen und lyrischen Form jede für sich so
durchgebildet waren, daß eine Verschmelzung beider in der dramatischen möglich war. So waren zunächst kleine liturgische
Dramen entstanden, als Weihnachts- und Osterspiele in lat. Sprache von Geistlichen zur Feier der Geburt und
der Auferstehung des Erlösers gespielt, die allmählich franz. Sätze aufnahmen, ihren liturgischen Charakter abstreiften,
vollständig zur Volkssprache übergingen und dann nicht mehr in, sondern seit Mitte des 12. Jahrh.
vor derKirche von Laien gespielt wurden.
Von einfachster Gestalt ist das franz.-lat. Spiel von den klugen und thörichten Jungfrauen aus dem Anfang
des 12. Jahrh. (hg. von E. Böhmer in dessen «Roman. Studien», Bd. 4, Bonn 1879); rein französisch ist bereits das dem 12. Jahrh.
noch angehörende geistliche Schauspiel «Adam» (hg. von Graß, Halle 1891) und das aus dem 13. Jahrh. stammende Fragment «La
résurrection du Sauveur»; von den Miracles (d. h. dramatisierten
Heiligenlegenden) ist das «Jeu de Saint
[* 33] Nicolas von Jehan Bodel aus Arras,
[* 34] um 1200, das älteste, das in seinen eingestreuten
komischen Episoden, die hier einen breiten Raum einnehmen, schon die Keime zum heitern weltlichen Schauspiel enthält. (Vgl.
Petit de Julleville, Les mystères, 2 Bde., Par.
1886.)
Als ältestes geschichtliches Prosawerk, das in franz. Sprache geschrieben ist, verdient die «Conqueste
de Constantinople» von Villehardouin hervorgehoben zu werden.
3) Von der Regierung Ludwigs IX. bis zur Thronbesteigung der Valois (ungefähr 1230-1330). Seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrh.
hat der ritterlich-abenteuerliche und volkstümlich-epische Geistin der sich ausgelebt. Das Bürgertum,
unter dem Schutze eines starken Königtums neben dem Rittertum zu einer Macht geworden, erstreckt jetzt auch seinen Einfluß
auf den in der Dichtung wirkenden Geist. Von der geistlichen Wissenschaft (Scholastik) und Poesie entlehnen bürgerliche Poeten
die Allegorie und den Hang zum spitzfindigen Grübeln, der sich mit der dem dritten Stande eigentümlichen
Neigung zur Satire gern verbindet.
Die Reflexionspoesie beherrscht den litterar. Markt: die Quellen der Inspiration für das nationale und ritterliche Heldentum
sind verschüttet, das allegorisch-satir. und allegorisch-moralisierende Epos tritt auf den Plan. Das erfolgreichste litterar.
Erzeugnis des franz. Mittelalters entsteht in dieser Epoche: der «Roman de la Rose», der bis tief ins 16. Jahrh.
sein Ansehen als klassisches Werk behauptet hat. Dieses Gedicht, von Guillaume de Lorris um 1237 begonnen und von Jean de Meung,
genannt Clopinel, um 1280 beendet, ist der ersten Anlage nach eine zarte allegorische Liebesgeschichte, die aber von dem zweiten
Dichter zu einem von scharfer Satire und cynischen Wendungen erfüllten allgemeinen Zeitbilde ausgedehnt
wird («Le roman de la Rose», hg. von Fr. Michel, 2 Bde., Par. 1864). Seit
dem beispiellosen Erfolg des Rosenromans wurde die Vision eine beliebte poet.
Einkleidungsform und die Allegorie ein bevorzugtes Darstellungsmittel. Es entstand eine allegorische moralisierende Bearbeitung
der Metamarphosen (vor 1305, von Chrétien Legouais, «Les métamorphoses d'Ovide moralisées»),
eine «Allégorie
sur les membres du corps humain» u. a. In «Renart
le nouvel» von Jacques Gelée (1288) wird das
Tierepos allegorisch zu moralisierenden Zwecken behandelt, im «Roman de Fauvel»,
von François de Rues, eine polit.-satir. Schrift gegen die Tempelherren in das Gewand der Allegorie gehüllt.
Den lehrhaften Zug,
der durch die franz. Dichtung ging, bezeugen auch die verschiedenen gereimten Encyklopädien, die in diesem
Jahrhundert entstanden, so die «Image du monde» (um 1245) des Gautier von
Metz
[* 35] und der «Trésor» des FlorentinersBrunetto Latini (um 1270).
Die eigentliche epische Dichtung ist unfruchtbar geworden. Neuschöpfungen in der volkstümlichen Richtung
entstehen zur Ausfüllung von Lücken in den einzelnen epischen Kreisen. Sonst beschäftigt man sich damit, alte Chansons de
geste im Geschmacke der Zeit umzuarbeiten und auszuweiten (Remaniements). Diese Neubearbeitungen sind bestimmt, gelesen zu
werden. Ein geschickter Nachahmer der alten Heldenlieder ist Adenès li Rois, der um 1270 «Berte aux grans
piés», «Beuvon de Comarchis» u. a.
schrieb; sein Schüler Girart d'Amiens kompilierte um 1300 einen «Charlemagne» (Jugendgeschichte Karls d. Gr.) in Alexandrinern.
Adenès verfaßte auch ein Epos in höfischem Stil: «Cléomadès», und Philippe de Remi die beiden Versromane «La
manekine» (ein byzant. Stoff) und «Jehan de Dammartin» (1270-80). Einen
«Roman de Mahomet» schrieb (1258) Alexandre du Pont zu Laon. Auch die Prosa kommt jetzt auf diesem Gebiete zur Geltung. Bereits
zwischen 1250 und 1300 schrieb Baudouin Butors Romane aus dem Artuskreise in Prosa um, und die berühmtesten Heldenlieder,
Roland, Fierabras u. s. w., wurden prosaisch gefaßt.
Dasselbe Schicksal traf alte Verslegenden (Brandan) und andere epische Dichtungen früherer Zeit. NeueDichtungen
in Prosa aus dieser Zeit sind die «Palamides» («Guiron
li courtois») von Elie, die Kompilation der Geschichten des Artussagenkreises von Rusticien von Pisa
[* 36] (um 1270),
die Novelle
von König Flore und Belle Jehanne und der Roman von der Comtesse de Ponthieu. Bei dieser Bevorzugung der
ungebundenen Rede werden die gereimten Chroniken seltener; zu erwähnen ist die «Chronique rimée» des Philippe Mousket (aus
Tournai),
die Geschichte Frankreichs bis 1243 behandelnd, und aus späterer Zeit des Guillaume Guiart (von Orléans)
[* 37] «Branche
des royaux lignages» (die Jahre 1165-1306 umfassend). Dagegen waren die berühmten «Chroniques de Saint-Denis»
seit dem 12. Jahrh. in Prosa geschrieben. Die Zeit von 1180 bis 1260 behandelt eine interessante
Prosachronik von Reims.
[* 38] Die höchste Stelle gebührt aber dem Memoirenwerke des Herrn von Joinville, der eine «Histoire
de Saint Louis» schrieb (verfaßt 1305-9). Auch Marco Polo aus Venedig
[* 39] schrieb seine Reiseerlebnisse während
seiner Gefangenschaft in Genua
[* 40] (1296-98) in franz. Sprache.
Der Minnesang verstummt an den Fürstenhöfen und findet jetzt seine Pflege durch bürgerliche Dichter in den Städten des
nordöstl. Frankreichs. Hier entstehen die «Puys», poet. Gesellschaften, in denen
ursprünglich Lieder zu Ehren der Jungfrau Maria in dichterischen Wettkämpfen vorgetragen wurden, später
auch die weltliche Lyrik Eingang fand. Adam de la Halle (1235-88) aus Arras ist der hervorragendste Vertreter der bürgerlichen
Minnedichtung. Neben ihm ist als Vertreter der PariserPoesie Rustebeuf (gest. um 1280) zu nennen, dessen in der Form halb volkstümliche
Gedichte einen scharfen polemisch-satir. Zug
haben und in
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den Kämpfen zwischen der Kirche und PariserUniversität Partei nehmen. Auch der Spielmann Colin Muset gehört in diesen Kreis
bürgerlicher Sänger.
Große Bedeutung gewannen schon in diesem Zeitraum die dramatischen Aufführungen; doch ist von den geistlichen Schauspielen
nur eins, das «Miracle de Théophile» (von Justebeuf), erhalten. Wichtig
ist, daß nun auch neben dem religiösen Stücke selbständige weltliche Stücke von heiterm Charakter
erscheinen. Zwei Gesellschaften, die Innung der Pariser Prokuratorenschreiber (die Basoche, s. d.) und die Puys begründen die
komische Bühne. Aus dem Repertoire der letztern sind einige dramat. Scenen aus dem bürgerlichen
Leben, das «Jeu de la feuillée» (von Adam de la Halle),
aufgeführt 1264, erhalten und ein Schauspiel«Robin und Marion» desselben Verfassers. Die Basoche spielte an ihren Festtagen seit Beginn des 14. Jahrh. lustige Scenen aus
dem Gerichtsleben und kleine in dramat. Form gebrachte Schwänke aus dem Leben des untern Bürgerstandes. So entstanden die
Farcen (Schwänke oder Possen), von denen jedoch keine erhalten ist.
4) Das Jahrhundert der französisch-englischen Kriege (etwa 1330-1450). Dieser Zeitraum steht in litterar. Beziehung noch vielfach
unter den Einwirkungen der allegorisierenden Dichtung. Zugleich ist aber das bezeichnendste für die schriftstellerischen
Erzeugnisse ein polit.-histor. Zug.
Unter den Geschichtswerken, die wie die «Chronique anonyme des quatre premiers
Valois» (1327-93),
die Chronik von Jean Le Bel aus Lüttich
[* 42] (1326-61) die Ereignisse des 14. Jahrh. behandeln, erscheinen die
«Chroniques de France, d'Angleterre, d'Écosse, d'Espagne et de Bretagne» (1326-1400), von Jean Froissart, als das Bedeutendste
überhaupt, was die dieser Periode aufzuweisen hat. Weniger hervorragend ist Monstrelets Fortsetzung (1400-44)
von Froissarts Geschichtsmemoiren. Die Kriege mit den Engländern riefen auch Anläufe zur epischen Behandlung von Zeitereignißen
hervor, doch der Mangel poet.
Sinnes und die Anwendung der verlebten Formen der alten Heldendichtung waren dem Epos nicht günstig. Der «Combat
des trente» (1351) ist von ritterlich-vaterländischem Geiste erfüllt, das gutgemeinte lange Gedicht
auf Duguesclin (um 1380) von Cuvelier zeigt das poet. Unvermögen, ebenso die «Geste de Liège» und die «Geste
des Bourguignons» (Anfang des 15. Jahrh.), die letzten Versuche in der einreimigen
Tirade der Chanson de geste. Das patriotische Lied findet seinen Vertreter in dem Walkmüller Olivier Basselin, der, nach der
Überlieferung, von den Engländern 1450 bei Formigny getötet wurde.
Von lyrischer Art ist auch das «Dittié» zum Lobe der Jeanne d'Arc, ein warm empfundenes Triumphlied von Christine de Pisan.
Als episches Erzeugnis gehört auch hierher der umfangreiche Prosaroman «Perceforest»,
ein breitspuriges Lehrbuch der Ritterlichkeit, das eine abenteuerreiche Erzählung mit reicher Fülle
antiquarischen, heraldischen Wissens und eine Darstellung feiner Lebensart verbindet. Die beliebteste feststehende poet. Form
des Zeitalters ist die Ballade, daneben der ähnlich gebaute Chant royal und das Rondel.
Die Ballade, obgleich ursprünglich Liedform, wird auch zu lehrhaft trocknen Auseinandersetzungen benutzt. Guillaume de Machault
(etwa 1290-1377) hat allein gegen 200 Balladen geschrieben (vgl. Académie des Inscriptions et belles-lettres,
Bd. 20), doch wurde sein
Dichterruhm bald verdunkelt durch den
vielseitigen Verskünstler Eustache Deschamps (etwa 1340-1410), einen BeamtenKarls VI., der mehr als 80000 Verse (darunter 1200 Balladen, 170 Rondels
und eine Poetik) verfaßt hat. (Vgl. Eust. Deschamps, ?uvres complètes, hg. von Le Queux de Saint Hilaire,
Bd. 1-6, Par. 1874-90.) Das anmutigste
Balladenwerk ist das dem Marschall Bouciquaut (um 1390) zugeschriebene «Livre des cent ballades», das eine in eine Erzählung
eingerahmte höfische Minnelehre enthält.
Die seit der letzten Hälfte des 14. Jahrh. am franz. Königshofe
heimische Dichtkunst bleibt nüchtern, gelehrt und schwerfällig. Christine de Pisan (1363-1431) und AlainChartier (1390-1433) behandeln die Verhältnisse des Staats-, Hof- und Kriegslebens in lehrhafter Weise. Der letztere ist ein
guter Patriot und ein Mann auch von praktischer Lebensweisheit. In seinen Jugendgedichten hat er der Minne seinen Zoll entrichtet.
Doch erscheinen seine und Froissarts Liebesdichtungen erkünstelt und ohne Geschmack im Vergleich zu den
Versen (Balladen, Chansons, Rondels) des HerzogsKarl vonOrléans (1391-1465). - Von allen litterar.
Gattungen gewinnt jetzt das mittelalterliche Schauspiel die höchste Geltung im öffentlichen Leben der Franzosen. Aus dem 14. Jahrh.
sind über 40 Mirakelspiele überliefert (vgl. Paris und Robert, Miracles de Nostre Dame par personnages,
Bd. 1-7, Par. 1876-85), in denen meist
Marienwunder dramatisiert sind. Um 1395 ist auch das «Histoire de Griselidis»
betitelte Schauspiel entstanden. Seit Beginn des 15. Jahrh. beherrschen die «Mystères»
(ein Name, der jetzt gebräuchlich wird, und mit dem man vorzugsweise die dramat. Behandlung
biblischer Stoffe bezeichnet) die religiöse Volksbühne.
Dergleichen Stoffe werden mit großem Aufwand in Scene gesetzt. In Paris hat seit 1402 eine Bruderschaft, die «Confrérie de la passion»
(s. d.), das Vorrecht für die Veranstaltung geistlicher Spiele erhalten. Unter den erhaltenen Mysterien, die ganze Cyklen, wie
den des Alten Testaments, den des NeuenTestaments umfassen, ist das berühmteste das Mystère vom Leben
Christi von Arnoul Greban (etwa 1420-60) und «Les actes des apostres» von
Simon Greban. Interessant, weil ein Thema aus der Zeitgeschichte behandelnd, ist das «Mystère du siège d'Orléans»
(um 1440; vgl. Französische Guessard und E. de Certain, Le mystère du siège d'Orléans,
Par. 1862). Gleichzeitig hat auch die Verbindung der Allegorie mit dem Volksschauspiel zwei neue Formen
des weltlichen Dramas ins Leben gerufen, die «Moralité» und die «Sottie».
Beide Formen sind von ausgesprochen satir. Richtung. Die Moralités, deren älteste erhaltene (entstanden um 1440) die «Farce
de la Pippée» ist, sind vielleicht von der Basoche zuerst aufgebracht worden, als diese, nachdem der
Passionsbruderschaft für geistliche Aufführungen ein Privileg erteilt worden, durch die Einführung einer neuen Art Schauspiel
ihren Darstellungen neue Anziehungskraft geben wollte. Die Moralitäten verfolgen einen moralischen Zweck, indem sie entweder
Tugenden und Laster personifizieren, oder auch in einer Mischung von allegorischen oder wirklichen
Personen ein geschichtliches Ereignis oder eine Parabel
[* 43] mit moralischer Nutzanwendung in Handlung umsetzen. Das komische
Gegenstück zur Moralité ist das Narrenspiel, die «Sottie» (vgl. E. Picot, La sottie en France, Romania, Bd. 7). Diese ist
höchst
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