zungen des Rückenmarks, die bei Gelegenheit eines Eisenbahnunfalls entstehen. Gewöhnlick ist auch das
Gehirn
[* 2] in Mitleidenschaft
gezogen (s.
Gehirnerschütterung). Neuerdings faßt man derartige
Krankheiten des
Nervensystems infolge von
Unfällen der verschiedensten
Art auch unter der Bezeichnung
Traumatische Neurose (s. d.) zusammen.
Litteratur.M. M. vonWeber, Die Gefährdungen des
Personals beim
Maschinen- und Fahrdienst der Eisenbahnen
(Lpz. 1862);
Rigler,Über die Folgen der Verletzungen auf Eisenbahnen, insbesondere der Verletzungen des Rückenmarks (Berl.
1879);
ders., Die im Eisenbahndienst vorkommende
Berufskrankheit und
Mittel zu ihrer Abhilfe (ebd. 1880);
Großmann,Über die
Anforderungen des Eisenbahndienstes an die menschliche Gesundheit
(Wien
[* 3] 1882);
Jahresbericht über die
Fortschritte auf dem Gebiete der
Hygieine, von Uffelmann (Jahrg. 1886, Braunschw. 1887);
Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens,
hg. von Roll, Bd. 1
(Wien 1890).
Störungen in der regelmäßigen
Entwicklung des
Eisenbahnnetzes, sind in verschiedenen
Ländern zu verschiedenen
Zeiten eingetreten. Sie erscheinen in der Regel als
Rückschlag auf einen vorhergegangenen, das gewohnliche
Maß überschreitenden Aufschwung im Eisenbahnbau,
[* 4] wodurch in verhältnismäßig kurzer Zeit zu große Kapitalien beansprucht
wurden. Die Eisenbahnkrisen treten dann meist in
Verbindung mit allgemeinen wirtschaftlichen Krisen auf. Als die bedeutendste Eisenbahnkrise
ist die in den vierziger Jahren zu erwähnen, wo Stockungen nach und nach in fast allen
Ländern eintraten,
die mit dem Eisenbahnbau mehr oder minder rasch vorgegangen waren. Auch nach den sog. «Gründerjahren»
trat 1873 eine ziemlich allgemeine Eisenbahnkrise ein. -
Vgl.
Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens, hg. von Roll, Bd. 3
(Wien
1891).
das ausschließliche
Recht, Eisenbahnen zu bauen und zu betreiben. Ein Eisenbahnmonopol im rechtlichen
Sinne (s.
Monopol) besteht bisher in keinem
Staate. Selbst in den
Ländern mit
Staatsbahnsystem (s. Eisenbahnpolitik) werden noch Privatbahnen,
[* 5] wenn auch in beschränktem
Umfange, zugelassen. In
Deutschland
[* 6] ist ein Eisenbahnmonopol im rechtlichen
Sinne ausgeschlossen, da die gesetzlichen
Bestimmungen, welche, wie z. B. das preuß. Eisenbahngesetz
vom bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von
Parallel- und Konkurrenzbahnen
einräumen, durch Art. 41 der Reichsverfassung aufgehoben sind, und zugleich die Verleihung eines solchen Widerspruchsrechts
in künftig zu erteilenden Genehmigungen untersagt ist.
Dagegen ist, wie von der Leyen im
Artikel Eisenbahnmonopol in Rolls
«Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens», Bd. 3
(Wien
1891) ausführt, nicht zu bestreiten, daß die Eisenbahnen ein faktisches oder natürliches
Monopol besitzen. Einmal ist die
Eisenbahn innerhalb ihres Gebietes von verschiedenen Verkehrsmitteln das vollkommenste und schließt damit andere Verkehrsmittel
thatsächlich aus; dann aber erfordert die Herstellung einer Eisenbahn so bedeutende Geldmittel, daß
nach
Anlage einer Eisenbahn zwischen zwei Endpunkten es
thatsächlich bisher nicht gelungen ist, zur
Anlage einer weitern Eisenbahn
in derselben
Richtung und zwischen denselben Endpunkten die erforderlichen Geldmittel aufzubringen. Das Bestehen des natürlichen
Eisenbahnmonopol ist für die
Länder des Staatseisenbahnsystems der Hauptgrund gewesen, die Eisenbahnen für den
Staat
zu erwerben, da nur die
Staatsverwaltung die Gewähr für eine gemeinnützige Verwertung des Eisenbahnmonopol bietet. -
Vgl. Sax,Transport-
und Kommunikationswesen in dem «Handbnch der polit. Ökonomie», hg. von
Schönberg, Bd. 1 (3. Aufl., Tüb.
1890);
planmäßige Sammlung der für die
Entwicklung des Eisenbahnwesens wichtigen Probestücke, aus denen
die baulichen
Anlagen und Betriebseinrichtungen der Eisenbahnen von ihrer Entstehung an zu entnehmen sind. Für
Preußen
[* 7] ist 1881 mit
der Sammlung von Gegenständen für ein künftiges Eisenbahnmuseum begonnen und dieselbe 1884 einstweilen der Lehrmittelsammlung
der
Technischen Hochschule zu Charlottenburg
[* 8] einverleibt worden. In
Bayern
[* 9] besteht ein von der
Generaldirektion der bayr.
Staatsbahnen gegründetes Eisenbahnmuseum in
München,
[* 10] das außerordentlich reichhaltige Sammlungen, insbesondere auch der zur Herstellung
der Eisenbahnfahrzeuge erforderlichen Werkzeuge
[* 11] enthält. Eisenbahnmuseum bestehen ferner bei der
Generaldirektion der österr. Staatsbahnen
und bei der Direktion der
Kaiser-Ferdinands-Nordbahn in
Wien.
Die Eisenbahnökonomie betrachtet die Eisenbahnen als wirtschaftliche Unternehmungen und
erörtert zunächst Bedeutung und
Beruf derselben in der
Volkswirtschaft, wie auch die Umgestaltung, die die
wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Eisenbahnen erfahren haben (s. Eisenbahnen III, 2). Sie
prüft die Frage, welche Gestaltung des Eisenbahnwesens die Zwecke der Gemeinwirtschaft am meisten fördert, ob größere
oder kleinere
Betriebssysteme, ob Staatsbahnen oder Privatbahnen u. s. w. (s.
Eisenbahnfusion und Eisenbahnpolitik); sie untersucht ferner die Verhältnisse, die für das Zustandekommen und
die Ausführung des Unternehmens in Betracht kommen, wie das
Anlagekapital zu beschaffen ist und wie dieses
Kapital am besten
verwertet werden kann. In
Bezug auf die bei den Eisenbahnunternehmungen in sehr großer Zahl erforderlichen
Arbeitskräfte
verschiedener Art wird geprüft, durch welche Gruppierung und
Einteilung desBau- und Betriebspersonals die nötige
Arbeitsteilung am besten bewirkt wird, in welcher Art das
Personal für seine Thätigkeit zu lohnen ist, ob durch feste Bezahlung
oder durch Anteil an dem Gewinn, wie die
Verwaltung einzurichten ist, damit die Betriebskosten im Verhältnis zu den Einnahmen
sich möglichst verringern u. s. w.
¶
forlaufend
874
Mit der wichtigste Teil der Eisenbahnpolitik ist die Ermitte- lung der Preise für die von den Eisenbahnen geleisteten Transporte, also die
Feststellung der Tarife (s. Eisenbahntarife). Die Ware der Eisen- bahnverwaltungen ist die Transportlcistung, dcr Preis für
diefe Leistung kann nicht unter die Selbst- kosten fallen; soll bei dem Unternehmen etwas ver- dient
werden, so muh der Preis die Selbstkosten um etwas übersteigen. Auf die Selbstkosten des Trans- ports wirken aber wesentlich
ein: die Verschieden- artigkeit der zum Transport kommenden Gegen- stände, die Verschiedenheit der Entfernungen, aus welche
die Gegenstände befördert werden, die Men- gen, in welchen die Gegenstände zur Versendung kommen,
und noch viele andere weniger bedeu- tende Umstände.
Eine unentbehrliche Hilfswissenschaft der Eisenbahnpolitik ist die Eisenbahnstatistit (s. d.),
durch wclchc die Er- scheinungen des Eisenbahnwesens, insbesondere des Verkehrs, ermittelt und ziffernmäßig zur Darstel-
lung gebracht werden. Die statist. Aufnahmen bilden die Hauptgrundlage für die Beurteilung des Ein- flusses
der Eifenbahnen auf die wirtschaftliche Ent- wicklung eines Landes; sie allein gewähren einen zuverlässigen Anhalt
[* 13] bei Entscheidung
der Frage, wie der Privatwirtschaftsbetrieb der Eisenbahnen im In- teresse der Gemeinwirtschaft einzurichten fei.
Den statist. Aufzeichnungen verdanken wir, um nur einige Beispiele anzuführen, nachstehende interessante Zah- lenangaben über
die E n t w i cklu n g d erE if e nb a h - nen auf der Erde und ihre wirtfchaftlichen Leistungen. 1875 waren
auf den 143187 km langen Eifenbahnen Europas 42000 Lokomotiven, 90000 Personen- und 1 Mill. Güterwagen, auf den 296000 km
langen Eisenbahnen der ganzen Erde 62000 Lokomotiven, 112000 Personen- und 1465000 Güterwagen vor- handen.
Mit diesen Betriebsmitteln wurden damals jährlich in Enropa 1140 Mill. Personen und 540 Mill. t Güter, auf der ganzen Erde
aber 1550 Mill. Personen und 800,5 Mill. t Güter befördert, sodaß im Durchschnitt täglich mehr als 4 Mill. Personen auf
allen Schicnenstraßen der Erde verkehrten und ungefähr 2,2 Mill. t Güter an ihren Bestimmungs- ort gebracht
wurden.
Zehn Jahre später, 1885, waren in Europa
[* 14] auf den 195 665 km langen Bah- nen bereits über 56 550 Lokomotiven, 116500 Per- sonen-
und 1360000 Güterwagen, auf der ganzen Erde aber bei einer Eisenbahnlänge von 486188 km ungefähr 94000 Lokomotiven, 141600
Personen- und 2436000 Güterwagen im Betrieb. Hiermit wurden gefahren in Europa: über 1500 Mill. Per- sonen und 781 Mill.
t Güter, auf der ganzen Erde: über 2030 Mill. Personen und nahezu 1262 Mill. t Güter. Am Schlüsse des I. 1888, als die Länge
der Eisenbahnen der Erde bereits auf 572 570 kin ge- stiegen war, finden sich schon 105000 StückLoko- motiven.
Wird die Leistungsfähigkeit einer Loko- motive durchschnittlich zu 300 Pferdestärken an- genommen und erwogen, daß ein
Pferd
[* 15] auf der glatten ^chienenbahn etwa 7-10mal so viel Last fortbewegen kann, als auf der befestigten
Straße, so ergiebt sich eine Gesamtkraft von etwa 250 Mill. Pferdestärken, welche durch die Eifenbahnen und die auf
ihnen fahrenden Lokomotiven für die Gcmein- wirtschaft dienstbar gemacht ist. In dcm im franz. Ministerium
der öffentlichen Arbeiten herausgege- benen «^.Idum äs 8tgti8tiqno FVHpliitiue
cl6 1888»
wird ein interessantes Beispiel aufgeführt, in welchem Umfange durch die Eisenbahnen die Reise- zeit abgekürzt
und die Reisekosten vermindert worden sind.
Die Reise von Straßburg
[* 16] nach Paris
[* 17] dauerte 1650 218 Stunden 1782108 " 1814 70 » 1834 47 "
1845 10 » 40 Minuten 1887 8 « 49 » Die Beförderungskosten
betrugen 1798(Diligence II. Klasse» 73 Frs., 1887 (Eisenbahn II. Klasse) 44 Frs. Die wissenschaftliche Behandlung
der Eisen- bahnen in ihren wirtschaftlichen Beziehungen ist erst in neuerer Zeit gepflegt und gefördert worden, ins- besondere
durch Sax, Cohn und Wagner. Litteratur. Sax, Die Ökonomik der Eisenbah- nen (Wien 1871);
ders., Die Verkehrsmittel in Volks-
und Staatswirtschast, Bd. 2: Die Eisenbahnen
(ebd. 1879);
ders., Das Transport- und Kommuni- kationswesen (in Schönbergs «Handbuch der polit.
Ökonomie», 3. Aufl., Tüb. 1890; Bd.
1, in Verbin- dung mit von Scheel: «Die Erwerbseinkünfte als Art der Staatseinnahmen, insbesondere die Eisen- bahnen»; Bd.
3, ebd. 1891);
Schima, Studien und Erfahrungen im Eisenbahnwesen, Teil 2: über die Ausgaben des Eisenbahnbetriebes
(Prag
[* 18] 1881); Cohn, System der Nationalökonomie, Bd. 1 u. 2 (Stuttg. 1885 u.
1889);
A. Wagner, Das Eisenbahn- wesen als Glied
[* 19] des Verkehrswesens, insbesondere der Staatsbahnen (in dessen «Finanzwissenschaft», 3. Aufl.,
Lpz. 1883);
Lannhardt, Theorie der Tarif- bildung der Eisenbahnen (Berl. 1890);
Ulrich, Eisen- bahntariswcsen
(ebd. 1886; sranzösisch ergänzte Aus- gabe, Par. und Verl. 1890);
Neumann-Spallart, Übersichten der Weltwirtschaft (Stuttg.
1881,1887; Fortsetzung von Franz von Iuraschek, Verl. 1885 -89); Wilczek, Gedanken über die Sicherheit und Ökonomie des Eisenbahnbetriebs
(Wien 1893). Gifenbahnperfonenbeförderung, inter - nationale, s. Eiscnbahnrecht (S. 881 d). Gisenbahnpolitik,
der Inbegriff derjenigen Grundfätze, nach denen feitens einer Staatsregie- rung das Eisenbahnwesen behandelt
wird; sie ist in den verschiedenen Ländern sehr verschieden. In Be- ziehung auf das Verhältnis des Besitzes und Be- triebes
der Eisenbahnen zum Staate treten die nachstehenden Erscheinungsformen auf:
1) Privat- eigentum und Privatbetrieb der Eifenbahnen, 2) Staatseigentum und Privatbetrieb
der Eifen- bahnen, 3) Privateigentum und Staatsbetrieb der Eisenbahnen, 4) Staatseigentum und Staatsbetrieb der Eisenbahnen.
Bei den beiden ersten Formen ist die Fürsorge des Staates für die Erreichung feiner Zwecke eine mittelbare, indem die Aufsicht
des Staates über dic Privatthätigkeit die letztere regelt und beschränkt. Die Aufsicht des Staates in
dem erstm Fall ist lediglich die auf Gesetz und Konzession (s. Eisenbahn!onzession) beruhende, während sie in dem zweiten
Fall verstärkt wird durch die Vorbehalte des Eigentümers.
Bei den beiden letzten (dritten und vierten) Gestaltungsformen ist die Fürsorge des Staates eine unmittelbare, indem an die
Stelle der Privatthätigkeit die Thätigkeit des Staates tritt. Die letztere ist in dem dritten Falle beschränkt
durch die Vorbehalte des Privateigentümers, in dem vierten Fall dagegen unbeschränkt. In England und m den Vereinigten Staaten
[* 20] von Amerika
[* 21] ist Bau und Be- trieb ausschließlich der Privatthätigkeit überlassen, in den meisten andern Ländern findet sich
ein
¶
forlaufend
He-875
mischtes Privat- und Staatsbahnsystem. Die Staa- ten haben dabei die Privatbauthätigkeit vielfach unterstützt durch Zuschüsse
zu den Baukapitalien, durch Übernahme von Zinsgarantien für die zum Bau verwendeten Kapitalien, durch unentgeltliche Überlassung
von im Staatsbesitz befindlichen Flächen, Gewährung von Steuerfreiheit u. s. w. Die Ver- bindung von Staatseigentum und Privatbetrieb
der Eisenbahnen ist in der Form der Verpachtung von Staatseisenbahnen an Privatunternehmer zur Anwendung
gebracht, wie z. B. in Holland (s. Nieder- ländische Eisenbahnen) und in Italien
[* 23] (s. Italieni- sche Eisenbahnen).
Vgl. Denkschrift
zu dem ersten Verstaatlichungsgesetz in Preusicn vom (Drucksachen des Hauses der Abgeordneten 1879/80, Nr. 5).
Die Frage, ob Privat- oder Staatsbahnen vor- zuziehen seien, ist bestritten. Die Gegner der Staats- bahnen
berufen sich auf die allgemeinen Nachteile staatlicher Aetrieve und behaupten, der Staat baue und verwalte teurer als Privatunternehmer.
Durch die Vereinigung der Eisenbahnen in der Hand
[* 24] des Staates würde die belebende Privatthätigkeit lahm gelegt und die
Macht des Staates bedenklich er- weitert; es liege die Gefahr vor, dah die wichtigsten Verkehrsfragen nicht im allgemein wirtschaftlichen
Interesse des Landes, sondern nach einseitigen bu- reaukratischen Rücksichten entschieden würden.
Auch erscheine der Staatskredit gefährdet, wenn von dem Staate solch ungeheure Summen, wie sie Bau und Betrieb von Eisenbahnen
erforderten, aufgewendet würden und das Gleichgewicht
[* 25] des Staatshaushalts von den schwankenden Vcrkchrseinnahmen
der Eisen- bahnen abhängig sei. Demgegenüber wird von den Verteidigern der Staatsbahnen darauf hingewie- sen, daß eine
wirtschaftliche Verwendung des Na- tionalvermögens, das durch die Anlaye und den Betrieb von Eisenbahnen in so großartigem
Maße in Anspruch genommen werde, nur bei dem Staats- eisenbahnsystem möglich sei.
Die Verwaltung der Eisenbahnen, deren gewinnwirtschaftliche Inter- essen mit den Interessen der Gemeinwirtschaft viel- fach,
insbesondere auf dein wichtigen Gebiete des Tarifwesens, in Widerspruch ständen, könne nie- mals von auf Erwerb bedachten
Privatgefellschaf- ten, sondern nur allein vom Staate in einer dem Gemeinwohl entsprechenden Weise geleitet
werden. Auch ließe sich die einheitliche staatliche Betriebs- verwaltung dilliger gestalten, als dies bei der großen Wenn
gleichwohl die in den Kammerucrhand- lungen und in der Presse
[* 26] hervortretenden Meinun- gen über die Vorzüge des Privat- und
des Etaats- bahnsystems immer noch geteilt sind, so gewinnt doch bei den maßgebenden Stellen aller Kultur-
länder immer mehr die Ansicht die Oberhand, daß es dem öffentlichen Interesse am besten entspricht, wenn der Staat mindestens
alle wichtigern Bahnen selbst besitzt und auch selbst betreibt.
Soweit die be- sondern Verhältnisse der einzelnen Länder es aus- führbar erscheinen lassen, wird deshalb auch überall
an die Verwirklichung der Idee, den Bau und Be- trieb der Eisenbahnen dem Staat zu übertragen, geschritten. Am entschiedensten
sind in dieser Be- ziehung die deutschen Staaten vorgegangen. Der Versuch, an Stelle der Einzelstaaten das Deutsche
[* 27] Reich als
solches zum Träger
[* 28] der Eisenbahnpolitik zu machen und es zunächst in den Besitz eines einflußreichen Eisen- bahnnetzes,
der preuh.
Staatsbahnen, zu setzen, mißglückte. Das
preuß. Gesetz vom wegen Übertragung
des Eigentums und sonstiger Rechte desStaates an Eisenbahnen auf das Deutsche Reich ist bisher, infolge des Widerspruchs der
deutschen Mittelstaaten, nicht zur Ausführung ge- kommen. Preußen sah sich daher genötigt, allein vorzugehen.
Seit 1879/80 ist das reine Staatsbahn- system durch den. inzwischen bewirkten Ankauf fast sämtlicher wichtigern Privatbahnen
durch den Staat sichergestellt (s. Preußische Eisenbahnen): in Bayern, Sachsen,
[* 29] Württemberg
[* 30] und Baden
[* 31] gehören die vorhandenen
Eisenbahnen fast aus- schließlich den betreffenden Staaten. Eisenbahnen.) Der österreichische Staat, der im Dränge
der Finanznot in den fünfziger Jahren sei- nen Eisenbahnbesitz verkauft hatte, sucht wieder in den Besitz der Eisenbahnen
zu kommen und hat be- reits eine Reihe wichtiger Linien angekauft und in Betrieb genommen.
Ungarn
[* 32] bedurfteeinerselbstän- digen nationalen Tarifpolitik für die Beförderung seiner landwirtschaftlichen Massenprodukte,
und da eine solche mit den Privatbahnen nicht durchzuführen war, so wurden letztere für den Staat erworben
und befindet sich dort jetzt der größte Teil der Eisenbahnen in den Händen des Staates. (S. Österreichisch-Un- garische
Eisenbahnen.) In Dänemark
[* 33] sind nur noch wenige Bahnen im Privatbesitz. (S. Dänische Eisenbahnen.) In Norwegen
[* 34] sind die Bahnen
von Anfang an fast nur vom Staat gebaut und be- trieben worden, und in Schweden gehört ein großer Teil
der vorhandenen Eisenbahnen dem Staate. (S. Norwegische Eisenbahnen und schwedische Eisenbahnen.) In denNiederlanden sind die
zum größten Teile dem Staate gehörenden Linien an zwei Privatgesellschaften, die Gesellschaft für den Betrieb Niederländischer
Staatsbahnen und die Holländische Eisenbahngesellschaft,
[* 35] verpachtet.
Durch das Gesetz vom ist ferner die Verstaatlichung der niederländ. Rheinbahn
geneh- ! migt, und neuen mit den Vetriebsgesellschaften ab- ! geschlossenen Verträgen, durch welche die Regierung sich weitgehende
Befugnisse bezüglich der Einwir- kung auf die Gestaltung der Tarife und Fahrplüne vorbehalten hat, die
Bestätigung erteilt worden. (S. Niederländische
[* 36] Eisendahnen.) Ebenso gehört in Belgien
[* 37] ein großer Teil des Eisenbahnnetzes
dem Staat und wird von demselben betrieben. (S. Belgische Eisenbahnen.) In der Schweiz
[* 38] be- steht einstweilen noch das reine
Privatbahnsystem, dessen Mängel sich aber im Laufe der Zeit fo fühl- bar gemacht haben, dah schon feit
Jahren der Er- werb aller Bahnen für den Bund erörtert wird.
Nachdem der 1887 versuchte Ankauf der Nord- ostbahn vereitelt wurde, hat die Bundesregierung einen neuen Weg bcfchritten
und die Aktien eini- ger größerer Privatbahnen (Iura-Simplon- und Centraldahn) erworben, um sich maßgebenden Ein- fluß
in der Verwaltung dieser Bahnen zu sichern und den Erwerb derselben durch den Staat vor- zubereiten. (S.
Schweizerische Eisenbahnen.) In Italien befindet sich die überwiegende Mehr- zahl der Bahnlinien im Besitz des Staates. Die-
selben sind, wie schon bemerkt, in ähnlicher Weise, wie es in Holland geschehen, an Privatunternehmer verpachtet. (S. Italienische Eisenbahnen.)
InNuß - land, wo für die Eisenbahnen im Privatbesitz vom Staat sehr hohe Beihilfen gezahlt werden müssen,
wnrde in neuester Zeit ein ausgedehntes Netz von Privatbahnen für den Staat erworben, auch wurden
¶
forlaufend
876
umfangreiche Linien für Staatsrechnung hergestellt. ! (S. Russische Eisenbahnen.)
[* 40] In den Balkanländern Serbien,
[* 41] Rumänien und
Bulgarien ist das Staatsbahnprincip vorherrschend, während in der Türkei
[* 42] durch einseitige Verträge die Entwicklung der Eisenbahnen
lange Jahre gehemmt war, und der Staat erst jetzt mit Hilfe hauptsächlich deutschen Kapitals an den Bau neuer
Eisenbahnen geht. lS. Türkische Eisenbahnen.) Ebenso geschieht in Griechenland
[* 43] der Ausbau des Eisenbahnnetzes mit Hilfe fremden
Kapitals unter Gewährung von Staatsunterstützung. In Fr a n trci ch sind in neuerer Zeit ebenfalls Staatsbahnen gebaut wor-
den; von der 1878 beabsichtigten Durchfübrung des Staatsbahnsystems ist indes später abgesehen und das Privatbahnsystem
im Wesentlichen bis jetzt bei- behalten worden. (S. Französische Eisenbahnen.) In Spanien
[* 44] besteht das Privatbahn-, in Portu-
gal das gemischte System, teils Staats-, teils Privatbahnen. (S. Spanische Eisenbahnen
[* 45] und Portugiesische Eisenbahnen.) In England,
das zur Zeit nur Privatbahnen besitzt, worden vielfach Klagen über die Tarifmißwirtschaft der Privat- bahnen laut, und
auch hier haben schon viele Stim- men gefordert, daß der Staat die Eisenbahnen, ebenso wie es mit den Posten und Telegraphen
[* 46] geschehen ist, in eigenen Betrieb nehmen solle.
In den engl. Kolonien dagegen, besonders in Indien und Australien,
[* 47] finden sich viele Staatsbahnen. Auch in Nordamerika,
[* 48] wo mehr
und mehr der Eisen- bahnbesitz sich in den Händen einzelner reichbegüter- ter Männer vereinigt und von
denselben oft in rück- sichtsloser Weise ansgebentet wird, ist der Ruf nach Übernahme der Eisenbahnen durch den Staat von
dem durch die Eisenbahnkönige (s. d.) geschädigten verkehrtreibenden Publikum
schon mehrfach erhoben worden, ohne indessen bis jetzt einen Erfolg erzielt zu haben. -
Vgl. von der Leyen,
Eisenbahnpolitit (im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 3, Jena
[* 49] 1892, S. 172 fg.), wo auch die weitere Litteratur
angegeben ist. Eisenbahn-Radreifenbrüche, s. Eisenbahn unfälle (S. 910 fg.).
Gisenbahnrate, s. Eisenbahnbeiräte. Gifenbahnrecht, der Inbegriff derjenigen Rechtsgrundsätze, welche die Verhältnisse
der Eisen- bahnen betreffen. (ÜberBegriff und Einteilung der Eisenbahnen und die Grundlagen des Eisenbahn-
wesens, s. Eisenbahnen I u. III.) I. Das Eisenbahnrecht gehört
teils dem Staatsrecht, teils dem Privatrecht an, je nachdem es sich um öffentliche oder privatrechtliche Verhältnisse handelt.
Man unterscheidet daher ein Eisenbahnstaats- und ein Eisenb ahn privatr echt.
Einen wichtigen Teil des Eisenbahnprivatrechts bildet das Eisen- bahnfrachtr echt, der Inbegriff der Rechts-
grundsätze für die Regelung des Frachtgeschäfts (s. Frachtvertrag). Äuf beiden Gebieten, dem
öffentlichen und dem Privatrecht, hat die besondere Natur der Eisenbahnen, ihre hohe wirtschaftliche und militär.
Bedeutung, die monopolistische Art des Eisenbahnbetriebes, die gefährliche Natur des- selben und der
internationale Charakter der großen Linien auf die eigentümliche Gestaltung der Rechts- verhältnisse der Eisenbahnen ihren
Einfluß aus- geübt.
Die wirtschaftliche Aufgabe der Eisen- bahnen, die unentbehrliche stetige Benutzung der- selben für alle Arten wirtschaftlicher
Betriebe, sowie andererseits die große Gefahr, die mit jeder Störung der Betriebsordnung naturgemäß ver-
bunden ist,
bedingen die Notwendigkeit des staat- lichen Schutzes durch polizeiliche und strafgesetzliche Anordnung. Aus der
Notwendigkeit einer plan- mäßigen Entwicklung des Eisenbahnnetzes eines Landes und der Bestimmung der Eisenbahnen, als öffentliche
Verkehrsanstalten zu dienen, erwächst dem Staate die Pflicht, sich einen weitgehenden Ein- fluß auf Anlage und Betrieb der
Eisenbahnen nach den verschiedensten Richtungen zu sichern. Es sind deshalb anch in allen Staaten auf die Eisenbahnen bezügliche
Gesetze erlassen worden, und überall sind die Eisenbahnen einer mehr oder minder starken staatlichen Aufsicht unterworfen
worden, und zwar auch in deu Staaten, in denen sonst, wie in Eng- land und den Vereinigten Staaten von Amerika,
der freien Privatthätigkeit der weiteste Spielraum gelassen wird.
Von wesentlichem E'mstuß aus die Gestaltung des Eisenbahnrecht in den verschiedenen Staaten ist die Eisenbahnpolitik (s. d.) desselben
gewesen. Der Darstellung des Eisenbahnrecht werden gewöhnlich die einzelnen Entwicklungsstufen der Eisenbahnen (Entstehung,
Verwaltung, Staatsaufsicht, Verhält- nis zu andern Verwaltungszweigen und Ende) zu Grunde gelegt, da die
im Anschluß an das System des allgemeinen Rechts sonst naheliegende Schei- dung in öffentliches und Privatrecht insofern
große Schwierigkeiten bietet, als sich die Grundsätze des öffentlichen und des Privatrechts im E. gegenseitig so mannigfach
durchdringen und durchkreuzen, daß ein Auseinanderhalten beider kaum möglich ist. Neuerdings hat Gleim,
«Das Recht der Eisenbahnen in Preußen» (Berl. 1891/92), den erfolgreichen Ver- such gemacht, das öffentliche und
das private Eisenbahnrecht gesondert zu behandeln. II. 1) Deutschland.
Hinsichtlich der Eisenbahn- gesetzgebung ist Preußen, das anfänglich dem Bau von Eisenbahnen in seinem Gebiet sehr kühl
gegen- überstand , allen Ländern vorangegangen. Bereits erschien das Gesetz über die Eisen-
bahnunternehmungen, das trotz seines über fünfzig- jährigen Bestehens im wesentlichen noch heute die rechtliche Grundlage
für das gesamte preuß. Eisen- bahnwesen bildet und später nur in einzelnen Tei- len durch besondere Gesetze, wie z. B.
das Deutsche Handelsgesetzbuch (1861) mit dem hierzu ergangenen Reichsgesetz über die Aktien-
gesellschaften, die Norddeutsche und Deutsche Reichs- verfassung, das Rcichshaftpftichtgesetz vom das Enteignnngsgesetz
vom u. s. w. abgeändert und ergänzt wurde.
Neuer- dings hat Preußen die Verhältnisse der dem Eisenbahngesetz vom nicht unter- stehenden
öffentlichen Bahnen aller Art, gleich- viel mit welcher Kraft
[* 50] sie betrieben werden (Klein- bahnen), sowie die Verhältnisse
derjenigen für den Privatverkehr bestimmten Bahnen, die zwecks Übergangs der Betriebsmittel (s. d.) an öffentliche Bahnen
anfchließen (Privatanschlußbahnen) durch Gesetz vom geregelt, das in Kraft getreten ist. Der
Mangel jeglicher gesetz- licher Bestimmungen auf diesem Gebiete hatte sich immer fühlbarer gemacht, je dringender das
Be- dürfnis hervortrat, neben dem Ausbau des allge- meinen Zwecken dienenden Eisenbahnnetzes auch die Entwicklung der kleinen,
ausW^eßlvch örtlichen Verkehrsinteressen dienenden Bahnen energisch zu fördern. Preußenwar in dieser Beziehung unver- kennbar
zurückgeblieben, besonders im Verhältnis
¶
forlaufend
877
zu andern Staaten, in denen, wie z. B. in Belgien, das Kleinbahnwesen in umfassender Weise geord- net ist. (S. Belgische Eisendahnen.)
Es ist zu er- warten, daß die Kleinbahnen nunmehr auch in Prenßen sich ausdehnen werden und ihrem Aus- bau das Privatkapital
sich mehr als bisher zuwen- den wird. Die Eisenbahnen im Sinne des Gesetzes von 1838 bedürfen landesherrlicher,
die Kleinbah- nen im Sinne des Gesetzes von 1892 nur polizei- licher Genehmigung. Welche Bahnen als Eisenbah- nen und welche
Bahnen als Kleinbahnen anzusehen sind, ist in jedem einzelnen Falle der Entscheidung im Verwaltungswege überlassen, da es sür
eine ge- setzliche Begriffsbestimmung an den notwendigen allgemeinen Merkmalen fehlt. Im allgemeinen wird
davon auszugehen sein, dah eine Bahn, auch wenn sie unbeschränkt dem öffentlichen Verkehr dienen soll, doch nur dann dem
Eisenbahngesetz von 1838 zu unterstellen ist, wenn sie nicht lediglich den ortlichen, sondern zugleich auch mehr oder weniger
den durch- gehenden Verkehr vermitteln soll.
Die übrigen deutschen Länder entbehren bis heute eines allgemeinen Eisenbahngesetzes. Die in einzelnen Staaten erlassenen
Eisenbahngesetze be- schränken sich, abgesehen von dem weitere Gebiete umfassenden Hess. Gesetz von 1842, dem württemb.
Gesetz von 1843, den bayr. Bestimmungen von 1855, vornehmlich auf die Regelung der Enteignung
lBraunschweig 1835, Sachsen 1835 und 1855, Bayern und Hessen
[* 52] 1836, Mecklenburg-Scbwerin 1842 und 1845, Oldenburg
[* 53] 1867) und die Bahn- polizei (Sachsen 1856, Oldenburg 1867). Gemein- sam für die deutschen Staaten sind die Bestim- mungen des
deutschen Handelsgesetzbuches.
Da- gegen hat die Norddeutsche und demnächst die Deutsche Reicksverfaffung vom in Art. 4,
Ziff. 8 und in Äbschn. VII die Eisenbahnen sowohl der Beaufsichtigung als auch, der Gesetzgebung des Reichs mit der Maß-
gabe unterworfen, daß auf Bayern die Art. 42-45 und Abf. 1 von Art. 46 keine Anwendung finden. Hiernach tonnen im ganzen
Reiche Eisenbahnen im Interesse der Landesverteidigung oder des gemein- samen Verkehrs durch Reichsgesetz
auch gegen den Widerspruch der berührten Bundcsstaaten für Reck' nung des Reichs angelegt oder an Privatunter- nehmer überlassen
werden.
Jede Eisenbahn muß sich den Anschluß neuer Eisenbahnen auf Kosten der letztern gefallen lassen. Die gesetzlichen Bestim-
mungen wegen Einräumung eines Widcrspruchs- rcchts an Eisenbahnunternehmer gegen Anlage von Parallel-
oder Konkurrenzbahnen (s. Eisenbahn- konzession) sind, unbeschadet bereits erworbener Rechte, aufgehoben (Art. 41). Für Anlage
und Ausrüstung der für die Landesverteidigung wicb- tigen Eifenbabnen können gefetzlich einheitliche Grundsätze aufgestellt
werden (Art. 46, Abs. 3). Den Anforderungen derReichsbebördcn wegen Be- nutzung der Eisenbahnen zur Verteidigung des
Reicks haben alle Eisenbahnvcrwaltungen Folge zu leisten: Militär und Kriegsmaterial sind zu gleichen er- mäßigten Sätzen
zu befördern (Art. 47). Die übri- gen - in Bayern nicht geltenden Bestimmungen - verpflichten die Bundesregierungen, ihre
Eisenbah- nen wie ein einheitliches Netz zu verwalten und auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen
Grundsätzen anzulegen und auszurüsten (Art. 42). Es sind daher übereinstimmende Betriebseinrich- tungen zu treffen, insbesondere
gleicbe Bahnpolizei- reglements
einzuführen und ist für genügende Aus- rüstung mit Betriebsmaterial zu sorgen (Art. 43).
Die Eisenbahnverwaltungen haben die für den durch- gehenden Verkehr und zur Herstellung ineinander greifender Fahrpläne
nötigen Pcrfonenzüge mit ent- sprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des
Güterverkehrs nötigen Güterzügc mit direkten Abfertigungen unter Gestattung dc^ Übergangs der Betriebsmittel von Bahn zu
Bahn einzurichten (Art. 44). Dem Reiche steht die Aufsicht über das Tarifwesen zu. Insbesondere sind überein- stimmende Betriebsreglements,
gleichmäßige, thun- lichst niedrige Tarife auf größere Entfernungen, für die Rohgüter der Einpfennigtarif
(für 1 Centner und Meile 1 Pfg.) herbeizuführen (Art. 45). Bei Not- ständen kann der Kaiser auf Vorschlag des Vunde^- ratsausschusses
für Lebensrnittel niedrige Special- tarife feststellen und Überwachung dieser Bestimmungen wurde durch Gesetz vom 27.Iuui1873das
Reich sei send ahn- amt (s. Eisenbahnbehörden, S. 847a) eingesetzt.
Ein Reichseisenbahngesetz ist bisher nicht zu stände gekommen, Entwürfe von 1874, 1875 und 1879, welche die Aufsicht über
das Eisenbahnwesen im wcitcrn Umfange auf das Reich übertragen wollten, haben nicht die Zustimmung der gesetzgeben- den Teile
erlangt. Dagegen sind vom Reiche erlassen: ein Betriebsreglement (s. d.), das in neuer Bearbei- tung als
«Verkehrsordnung für die EisenbahnenDeutschlands»
[* 54] in Kraft trat (f. Eisen- bahn-Verkehrsordnung); ferner eine Betriebsord-
nung für die Haupteisenbahnen Deutschlands, eine Signalordnung für die Eisenbahnen Deutschlands, Normen für den Bau und die
Ausrüstung der Hauptcisendabnen Deutschlands und eine Bahn- ordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands, sämtlich vom und
an Stelle der bis- herigen Vorschriften in Kraft getreten ls. Bahnpolizei, Eisenbahnbau, Eisenbahn-Betriebs- ordnung
und Eisenbahnsignalc); weiter das Haft- pflichtgesetz vom das Gesetz über die Unzulässigkeit der Pfändung von
Eisenbahnsahr- betriebsmitteln vom u. s. w. a.
Entstehung der Eisenbahnen.
Die Eigen- schaft der Eisenbahnen als öffentlicher Verkehrs- anstalten und die Eigenart ihres Betriebes
bedingt die Genehmigung des Staates. Sie wird erteilt durch die Konzession (s. Eisenbahnkonzession). d. Verwaltung der Eisenbahnen.
Die Staatsbahnen werden durch staatlich eingesetzte Behörden, die Privatbahnen durch Direktionen ver- waltet, wclcbe die
Aktiengesellschaft, der die Bahn gehört, rechtlich vertreten. Der Aufsichtsrat über- wacht die Geschäftsführung
der Direktion. (S. Eisen- bahnbehörden, Eisenbahnbeiräte, Eisenbahnbeamte und Eisenbahnbetrieb.) Bei den Staatsbahnen wie
bei den Privatbahnen werden die Einnahmen zunächst zur Bestreitung der Ausgaben verwendet.
Die Überschüsse der erftern, die in den meisten deutschen Bundesstaaten zu einer mähigen Verzinsung des Anlagekapitals ausreichen,
werden mit den sonstigen Staatseinnahmen zur Be- friedigung der staatlichen Bedürfnisse verwendet. In Preußen ist aus Anlaß
der Verstaatlichung 1879, wie durch Gesetz vom über die Errich- tung von Bezirtseisenbahnräten und eines Landes-
cisenbahnrats (s. Eisenbahnbeiräte) eine wirt- schaftliche, fo durch das weitere Gefetz vom über
die Verwendung der
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forlaufend
Iabres-878
Überschüsse eine finanzielle Garantie für die Verwaltung der Staatsbahnen geschaffen worden. Danach sollen die Überschüsse
in erster Reihe zur Verzinsung der jeweiligen, für den auf 1498 858100 M.' festgestellten «Staatseisen-
baynkapitalschuld», dann zur Ausgleichung eines etwaigen, soiist durch Anleihe zu deckenden Fehl- betrags im Staatshaushalt
bis zur Höhe von 2 200000 M. und endlich zur Tilgung der Staats- eisenbahnkapitalschuld alljährlich zunächst
bis zur Höhe von 2/4 Proz. verwendet werden. Im Rech- nungsjahr 1892/93 hat sich das Anlagekapital der preuß. Staatsbahnen
in Höhe von 0605375014 M. mit 5,i5 Proz. verzinst. (S. Preußische Eisenbah- nen.) Die Überschüsse der
Privatbahucn werden zunächst zu den vorgeschriebenen Rücklagen in den Erneuerungsfonds und den Reservefonds sowie zur Verzinsung
und Tilgung etwa vorhande- ner Schuldverschreibungen (Prioritätsobligationeu) verwendet, der alsdann noch verbleibende Nein-
überschuß kommt als Dividende zur Verteilung an die Aktionäre.
Der Erneuerungsfonds soll den durch die Abnutzung der Vahn eintretenden Ver- schleiß decken und die
Mittel zur Erneuerung des Oberbaues (s. Eisenbahnbau) und der Betriebs- mittel (s. 0.) gewähren, während der Reservefonds
(nach §. 185 d des Reichsgesetzes über die Aktien- gesellschaften vom zur Deckung eines aus der Bilanz sich ergebenden
Verlustes bestimmt ist. Die jährlichen Rücklagen in den Erneuerungs- fonds werden nach dem Verkehr
der Vahn und der Leistung der Betriebsmittel die Rücklagen in den Reservefonds nach dem Rein- gewinn berechnet (mindestens 5 Proz.
des Neinge- winns so lange, bis der Reservefonds den zehnten oder höhern Teil des Gefamtkapitals nicht über- schreitet).
Beide Kapitalsansammlungcn sollen so- viel als irgend möglich Gleichmäßigkeit in der Be- lastuug des
Aktienbesitzes durch die Ausgaben für die Erhaltuug des Unternehmens herbeiführen und ebenso auch etwaige Schwankungen in
den Über- schüssen vermeiden. 0. Aufsicht über die Eisenbahnen. Die Aufsicht über die deutscheu Eisenbahnen wird vom Reich
durch den Bundesrat und das Neichseisen- bahnamt ausgeübt. In den einzelnen Bundes- staaten sind die Eisenbahnen
noch der Landesauf- sicht unterworfen, die hinsichtlich der Privatbahnen in Preußen z. B. durch das Eisenbahnkommissariat
in Berlin
[* 56] und hinsichtlich der Staatsbahnen zu- gleich von den mit der Verwaltung derselben be- trauten königl. Eisenbahndirektionen
wahrgenom- men wird. (S. Eisenbahnbehörden.) d. Verhältnis der Eisenbahnen zu an- dern Verwaltungszweigcn.
Für die Ver- pflichtungen der deutschen Eisenbahnen (ausschließ- lich Bayern und Württemberg) zur Po st Verwal- tung gilt,
soweit nicht die früher erteilten Konzes- sionen maßgebend blieben, das Reichsgesetz (Eisen- dahnpostgcsetz) vom
wonach Briefe und Pakete bis zum Einzelgewicht von 10 K3 und das Postpersonal in einem von der Post gestellten
Wagen unentgeltlich zu befördern, weiter gehende Leistungen gegen Entschädigung auszuführen sind.
Für Nebenbahnen bestehen Erleichterungen. Neuer- dings haben interessante Ermittelungen über den Wert der Leistungen der
deutschen Eisenbahnen (ausschließlich Bayern und Württemberg) gegen- über der Reichspostverwaltung stattgefunden. (Vgl.
Hüll, Die deutsche Reichspaketpost, Jena
1892.) Danach sind diese Leistungen für 1889/90 auf rund 19,5
Mill. M. ohne Berechnung von Zinsen für das Anlagekapital der Eisenbahnen, und auf rund 28,5 Mill. M. zu schätzen, wenn man
die Zirpen An- rechnet.
Für Preußen (Staatsbahnen) stellen sich diese Zahlen auf rund 14,5 und 21,5 Mill. M. Dagegen hat die
Post den preuß. Staatsbahnen 3 859091 M. gezahlt, ein Betrag, der sich für das Reich aus 5128 732 M. stellen würde. Zieht
man diese Zahlungen ab, so bleibt ein ungedeckter Zu- schlag je nachdem man die Zinsen mitrechnet oder nicht, bei Preußen von
17,c^ und 10,64, beim Reich von 23,.-.? und 14,37 Mill. M. Dabei macht die Paket- post dem Fracht verkehr
der Eisenbahnen noch eine bedeutende Konkurrenz; es geschieht dies besonders durch die Zerlegung größerer Sendungen m Fünfzig-
psennigpatete.
Hüll giebt hierfür mehrere Beispiele an. So kam einmal am Schlesischen Bahnhof mehr als eine halbe Wagenladung
Hutschachteln von einem Fabrikanten aus Glogau
[* 57] an einen Kauf- mann inBerlin in Gestalt von Fünszigpfennig- paketen an; ein
anderes Mal 213 Kistchen Käse von einem Versender an einen Empfänger; 1891 trafen auf demselben Bahnhof täglich während
etwa 40 Tagen 4-5000 Korde mit Schnittbohnen als 5 kF-Pakete ein, die sämtlich nach der Centralmarkt-
halle gingen, d. h. es wurden täglich 20 Tonnen Hülscnfrüchte postmäßig von Österreich
[* 58] nach Berlin befördert.
An den oben bezifferten Leistungen der Eisendahnen ist die unentgeltliche Beförderung der Pakete im Gewicht dis zu 101(F zum
weitaus größten Teil, nämlich mit etwa 75 Proz. beteiligt. Der Telegraphenverwaltung haben
die deutschen Eisenbahnen (ausschließlich Bayern und Württemberg) nach dem Vundesratsbeschluß vom 2 I.Dez. 18i^8 die Benutzung
ihres außerhalb des Pro- fils belegenen Grund und Bodens zur Anlage von Telegraphenlinien unentgeltlich zu gestatten.
Zur Beförderung von Privattelegrammcn sind die Eisen- bahnen nach dem Reglement vom nur unter bestimmten
Voraussetzungen befugt. Bayern und Württemberg haben für die Post- und Telegra- phenverwaltung ein Reservatrccht; die Beziehungen
der Post-und Telegraphenverwaltung zu den Staats- bahncn sind im Verwaltungswege geregelt. Gegenüber der Zollverwaltung haben
die deutschen Eisenbahnen nach dem Vereinszollgesetz vom Abschn. VII, §z. 59-73
die Verpflichtung, an den für die Zollabfertigung be- stimmten Stationen die nötigen Räume zu stellen,
über die zollamtliche Behandlung der Güter und des Gepäcks bestimmt das vom Bundesrat beschlos- sene «Eisenbahuzollregulativ»
vom Für die Beziehungen der deutschen Eisenbahnen zur Militärverwaltung kommen vor allem die schon oben erwähnten
Art. 41, 46, Abs. 3, und 47 der Reichsverfassnng in Betracht, zu deren Aus- führung ergangen sind: das
Reichsgesetz über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden vom (§. 15), das Neichs- gcsetz
über die Kriegslcistungen vom nebst Ausführungsverordnung des Bundesrats vom sowie die hierzu
erlassenen Militär- transportordnungen im Frieden vom und im Kriege vom nebst Militär- tarif vom Danach
sind die Eisen- bahnen vornehmlich verpflichtet, die nötigen Aus- rüstungsgegenstände für die Beförderung der
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