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Eine Preßordonnanz vom 1. Juni, die das System der Verwarnungen einführte und die Entscheidung darüber den Verwaltungsbehörden in die Hand [* 2] legte, und mehrfache Maßregelungen folgten den Abgeordneten nach. Als die Regierung im Herbst die Kammer aufs neue auflöste, kehrten die Oppositionsparteien in gleicher Stärke [* 3] zurück.
Die Fortdauer dieser peinlichen Zustände mochte Österreich [* 4] Mut machen, einen kühnen Schritt in der deutschen Verfassungsfrage zu thun. Der Versuch, eine Delegiertenversammlung einzuberufen zur Beratung von Civilprozeß und Obligationenrecht, war gescheitert; auch der Bundestag hatte den Antrag mit geringer Mehrheit abgelehnt. Aber eine starke Spannung, namentlich zwischen Österreich und Preußen, [* 5] war geblieben, welcher Bismarcks Unterredungen mit dem österr.
Gesandten Grafen Károlyi und seine Cirkulardepesche vom einen bezeichnenden Ausdruck gaben. So reifte der Plan der österr. Regierung, die Bundesreform in größerm Maßstabe anzugreifen, während gleichzeitig schon einen Augenblick die europ. Spannungen zum kriegerischen Ausbruch zu kommen drohten. Kaiser Alexander bot, durch die Einmischungen Frankreichs und Österreichs gereizt, dem Könige von Preußen gemeinsame Kriegführung gegen beide an. Der König, von Bismarck beraten, lehnte aus persönlichen und polit.
Gründen ab; vor allem hatte er keine dauernde Bürgschaft für Rußlands Haltung. Anfang Aug. 1863 lud Kaiser Franz Joseph sämtliche Fürsten des Bundes zu einem Kongreß nach Frankfurt, [* 6] der 17. Aug. wirklich eröffnet ward. Außer einigen Fürsten der Kleinstaaten fehlte vor allen der König von Preußen, der auch wiederholtem Drängen unzugänglich blieb. Der von Österreich vorgelegte Entwurf einer Reformakte stellte an die Spitze des Bundes ein Direktorium von fünf Fürsten, in welchem Österreich den Vorsitz führte, ließ den Bundestag für die Behandlung der laufenden Geschäfte fortbestehen und wollte der Forderung eines deutschen Parlaments durch eine Versammlung von Delegierten der Landtage der einzelnen Staaten entsprechen.
War Österreich, wie es der Fall war, der Mittelstaaten sicher, so hatte es sowohl im Direktorium als in der Delegiertenversammlung die Mehrheit und konnte, da über die wichtigsten Fragen, sogar über Krieg und Frieden, mit einfacher Stimmenmehrheit entschieden wurde, über Preußens [* 7] Kräfte gegen dessen Willen verfügen. Hatte anfangs der Entschluß zu einer gründlichen Reform in einem großen Teile von Deutschland [* 8] Freude und Teilnahme erweckt, so mäßigte sich doch diese Stimmung bei genauer Betrachtung des einzelnen.
Nicht wenig trug dazu der 21. Aug. gleichfalls in Frankfurt zusammentretende Abgeordnetentag bei, der zwar die Initiative der Regierungen nicht zurückwies, aber in einer eingehenden Kritik des österr. Entwurfs dessen Mängel und Gefahren für die Einheit wie für die Freiheit nachwies. Die Fürstenversammlung wurde 1. Sept. geschlossen und der verbesserte Entwurf verkündet; aber bei dem Widerstande Preußens war seine Ausführung eine Unmöglichkeit. Das positive Gegenprogramm Bismarcks aber war ein Veto Preußens und Österreichs gegen jeden Bundeskrieg, der zur Verteidigung nichtdeutschen Gebietes unternommen werden sollte; die Gleichstellung Preußens mit Österreich im Vorsitz und in der Leitung des Bundes; eine nicht aus Delegationen der Landtage, sondern aus direkten Wahlen hervorgehende Volksvertretung mit reichlicher zugemessenen Befugnissen, als dies bei dem österr. Projekt der Fall war.
Inzwischen gedieh auch die schlesw.-holstein. Frage zur Reife, die während des verflossenen Jahrzehnts ungelöst geblieben war. Die beiden deutschen Großmächte, welche die Verabredungen von 1851 und 1852 getroffen hatten, beschwerten sich 1856 bei Dänemark [* 9] über Nichterfüllung der eingegangenen Verpflichtungen. Dänemark suchte teils durch Ausflüchte die Sache hinzuziehen, teils die auswärtigen Großmächte für sein Interesse zu gewinnen und die Frage als eine europäische hinzustellen.
Als indessen Österreich und Preußen die Angelegenheit an den Bund zu bringen drohten, versprach man in Kopenhagen, [* 10] den holstein. Ständen einen revidierten Verfassungsentwurf vorzulegen und dieselben sich frei und ungehindert darüber äußern zu lassen. Die im Aug. 1857 berufene Ständeversammlung vermochte jedoch auf die dän. Vorschläge nicht einzugehen, und so kam die Angelegenheit doch wieder an den Bund. Im Febr. 1858 erklärte der Bundestag, daß er die Gesamtstaatsverfassung mit den Grundsätzen des Bundesrechts nicht vereinbar finde, überhaupt in den seither erlassenen Gesetzen und Anordnungen die Beachtung der 1851 und 1852 eingegangenen Verpflichtung vermisse.
Demgemäß wurde Dänemark aufgefordert, einen Zustand herzustellen, der den Bundesgesetzen und den frühern Zusagen entspreche. Die dän. Regierung suchte teils durch willkürliche Auslegung dem Bundesbeschlusse die Spitze abzubrechen, teils mit neuen Ausflüchten Zeit zu gewinnen, und sah sich hierin durch die matte Haltung der Mehrheit am Bunde anfangs einigermaßen unterstützt. Da führte die Initiative des Prinzen von Preußen zu dem Bundesbeschlusse vom der mit der Bundesexekution drohte. Die Antwort Dänemarks war (Nov. 1858) die Aufhebung der Gesamtstaatsverfassung für Holstein und Lauenburg. [* 11]
Der Bund wollte aber den Ausgang der Verhandlung mit den auf Jan. 1859 einberufenen holstein. Ständen abwarten, ehe er weitere Maßregeln ergriff. Die Stände forderten als Mindestes das Recht der Zustimmung für gemeinschaftliche Angelegenheiten. Die Regierung erklärte, die Stände hätten ihre Kompetenz überschritten, und schloß die Versammlung. Inzwischen war der Umschwung in Preußen eingetreten, der eine energischere Behandlung der Sache hoffen ließ, und auch im deutschen Volk regte sich wieder ein frischeres Interesse für die Herzogtümer. In Schleswig, [* 12] dessen Stände im Jan. 1860 zusammentraten, war es trotz aller vieljährigen Mißhandlung nicht gelungen, das deutsche Element zu überwältigen; in der Ständeversammlung überwog es entschieden und protestierte gegen die Gewaltthätigkeiten des bestehenden Regiments, den rechtlosen Zustand, die Auflösung der Verbindung mit Holstein und die nationale Unterdrückung.
Die Antwort der Regierung bestand in der Auflösung (März) der Versammlung und in gehässigen persönlichen Verfolgungen. Auch die deutschen Ständeversammlungen, namentlich das preuß. Abgeordnetenhaus, erhoben sich nachdrücklich für das Recht der Herzogtümer. Ein Bundesbeschluß vom deutete darauf hin, das Exekutionsverfahren wieder aufzunehmen, wenn Dänemark nicht binnen sechs Wochen in vollkommen sichernder Weise den Forderungen des Bundes Genüge leiste. Ehe die Frist ablief, wußte indes Dänemark ¶
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abermals die Drohungen des Bundes aufzuhalten. Es legte den holstein. Ständen den verlangten neuen Entwurf einer Gesamtstaatsverfassung und einen Gesetzentwurf über die provisorische Stellung Holsteins zu der Gesamtmonarchie vor. Beide Vorlagen wurden von den Ständen einstimmig abgelehnt; allein der Bund hatte die Exekution aufgeschoben.
Die holstein-lauenburg. Angelegenheit, wie sie am Bunde hieß, war allmählich wieder zur schleswig-holsteinischen erwachsen und damit der Kern der Streitfrage wieder berührt worden. Die bisherige Politik, nur für Holstein-Lauenburg das Recht Deutschlands [* 14] zu wahren, hatte dazu geführt, daß Dänemark Schleswig nur noch enger an sich zog. Ein Versuch, den England im Sept. 1862 machte, gerade über Schleswig ein vermittelndes Übereinkommen auf Grundlage einer wirklichen Selbständigkeit desselben zu treffen, fand wohl bei Österreich und Preußen Gehör, [* 15] selbst bei Rußland Unterstützung, aber nicht bei Dänemark, das die bindende Kraft [* 16] der Versprechungen von 1851 und 1852 leugnete. Die Eiderdänenpartei agitierte wieder lebhafter für die Einverleibung Schleswigs, wiewohl die europ. Großmächte und selbst England dies für unzulässig erklärt hatten. Im dän. Landsthing ward (Jan. 1863) eine darauf bezügliche Adresse an den König beschlossen und durch Volksdemonstrationen der Kasinopartei unterstützt.
Die Frucht war ein Patent vom welches Holstein aus der Gemeinsamkeit mit der Gesamtmonarchie ausschied, das Normalbudget von 1856 zum definitiven erhob und nur für die darüber hinausgehenden Forderungen die Zustimmung der Stände für notwendig erklärte. In Holstein und in Schleswig erregte dieser Schritt Empörung, und Österreich und Preußen legten Protest ein. Der Bund forderte (9. Juli) die dän. Regierung auf, das Patent aufzuheben und die Versprechungen von 1852 zu erfüllen, widrigenfalls er sich genötigt sehe, das Exekutionsverfahren wieder aufzunehmen und in betreff Schleswigs alle geeigneten Mittel zur Geltendmachung der Rechte desselben in Anwendung zu bringen. Dänemark gab dieser Aufforderung keine Folge. So beschloß denn der Bundestag, unbeirrt durch die Abmahnungen Englands, die Einleitung des Exekutionsverfahrens (1. Okt.) und Dänemark die Einverleibung Schleswigs. ward die neue Verfassung für Dänemark-Schleswig vom dän. Reichsrat beschlossen und ihre Einführung auf den festgesetzt. Für Holstein ward zwar die ständische Zustimmung zum ganzen Budget versprochen, aber Schleswig sollte auf immer davon getrennt sein. Zwei Tage später starb König Friedrich VII. (15. Nov.), und mit ihm erlosch der Mannsstamm der Königslinie.
In Dänemark bestieg nach dem Londoner Vertrag Christian IX. den Thron, [* 17] der alsbald, persönlich widerstrebenden Herzens, die neue Verfassung und damit die Einverleibung Schleswigs proklamieren mußte Auf die Herzogtümer erhob aber der bisherige Erbprinz von Augustenburg als Herzog Friedrich VIII. Anspruch. Während sich in Schleswig und in Holstein der Widerspruch gegen die Erbfolge des Londoner Protokolls regte und in Holstein sofort Körperschaften und Einzelne den Eid verweigerten, erscholl auch im übrigen Deutschland wieder der Ruf nach Befreiung der Herzogtümer.
Die versammelten Kammern, der Nationalverein, die bedeutendsten Städte sprachen sich sofort für das Recht der Herzogtümer aus. Mehrere kleinstaatliche Regierungen, Baden, [* 18] Coburg [* 19] u. a., erkannten den Herzog Friedrich an. Der gewaltigen populären Bewegung entsprechend war auch die Haltung der Mittelstaaten. Es trieb sie in diese Richtung einerseits die Rücksichtnahme auf die patriotisch erregte Bevölkerung, [* 20] andererseits die Abneigung gegen das ohne Mitwirkung des Bundestags beschlossene Londoner Protokoll, das für alle künftigen Erbfolgestreitigkeiten in Deutschland ein gefährliches Präjudiz war.
Eine völlige Schwenkung der österr. Politik trat jetzt ein. Bisher mit den Mittelstaaten gegen Preußen vorgehend, machte es jetzt mit diesem gemeinsam Front gegen das Drängen der Mittelstaaten auf Zerreißung des von den beiden Großmächten einst mitabgeschlossenen Londoner Protokolls. Verweigerte Dänemark, wie zu erwarten war, die Aufhebung der seine Versprechungen von 1851 und 1852 verletzenden Verfassung vom 18. Nov. und kam es darüber zum Kriege, so waren alle frühern Verträge von selbst zerrissen. So wurden denn von Österreich und Preußen jetzt die einzelnen Regierungen aufgefordert, die Exekution ins Werk zu setzen.
Mit acht gegen sieben Stimmen wurde vom Bundestag die Exekution im Sinne Österreichs und Preußens beschlossen. Überall bildeten sich Vereine für Schleswig-Holstein. [* 21] Am 21. Dez. versammelten sich in Frankfurt gegen 500 Mitglieder deutscher Landesvertretungen und erklärten sich einmütig für die Loslösung der Herzogtümer von Dänemark, für die Nichtigkeit des Londoner Vertrags und für das Erbfolgerecht Herzog Friedrichs VIII. Ein Ausschuß von 36 Mitgliedern, den die Versammlung wählte, sollte den Mittelpunkt der gesetzlichen Thätigkeit des deutschen Volks in dieser Frage bilden.
Einen Tag später traten in Hamburg [* 22] die Mitglieder der holstein. Ständeversammlung zusammen und erklärten sich, mit Ausnahme einer kleinen Minderheit, für die Rechte der Herzogtümer und Herzog Friedrichs. Am 23. Dez. überschritten die Bundestruppen, Sachsen [* 23] und Hannoveraner, die Grenze Holsteins. Überall fanden in Holstein jetzt Demonstrationen für Herzog Friedrich statt, der 30. Dez. selbst in Kiel [* 24] eintraf. Das preuß. Abgeordnetenhaus forderte 2. Dez. die Anerkennung des Augustenburgers und lehnte die Bewilligung einer Anleihe von 12 Mill. Thlrn. ab. Die geordneten Finanzen Preußens erlaubten indes der Regierung, auch ohne Kriegsanleihe den Krieg zu führen.
Auch die europ. Verhältnisse gestalteten sich günstig. England hatte sich vergebens bemüht, den Frieden zu vermitteln und die Exekution aufzuhalten. Frankreich, seit Englands Zurückhaltung in der poln. Verwicklung verstimmt, widerstand allen Zumutungen von London [* 25] aus, benahm den Dänen die Hoffnung auf Hilfe und zeigte sich in seinen diplomat. Eröffnungen an die deutschen Regierungen den Rechtsansprüchen Deutschlands mehr geneigt als dem «ohnmächtigen Werke» des Londoner Vertrags (Jan. 1864). In Rußland war Kaiser Alexander weit entfernt, um Dänemarks willen mit Preußen zu brechen. Als der Antrag Österreichs und Preußens, auf Grund der Vereinbarungen von 1851 und 1852 Schleswig in Pfand zu nehmen, vom Bundestag mit 11 gegen 5 Stimmen abgelehnt war, erklärten die beiden Großmächte, daß sie nun die Angelegenheit in ihre eigenen Hände nehmen müßten. Ohne sich an die Verwahrungen der Bundesmehrheit zu kehren, ¶
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verlangten sie von Dänemark die Aufhebung der Novemberverfassung und drohten, falls dieselbe nicht sofort erfolge, mit Abbruch der diplomat. Beziehungen. Als die Dänen die Forderung ablehnten, rückten Österreicher und Preußen rasch in Holstein vor, um an Stelle der Exekution zur Occupation zu schreiten.
Inzwischen bereitete sich in dem Auftreten Österreichs und Preußens die von Bismarck vorausgesehene Wendung vor. England beantragte Ende Januar, die beiden Mächte sollten von Besetzung Schleswigs abstehen, falls Dänemark sich gegenüber den Unterzeichnern des Londoner Protokolls verpflichte, die Aufhebung der Novemberverfassung seinem Reichsrate zu empfehlen. Österreich und Preußen lehnten es 31. Jan. ab, allerdings noch unter vorläufiger Anerkennung der dän. Integrität, aber mit der Erklärung, sich im Falle fernerer Weigerung Dänemarks, nicht daran gebunden zu fühlen. Am 30. Jan. verlangte Wrangel, der Oberbefehlshaber der Österreicher und Preußen, die Räumung Schleswigs und überschritt, als die Dänen sich weigerten, 1. Febr. die Grenze. In einem siegreichen Feldzug (s. Deutsch-Dänischer Krieg von 1864) wurde Schleswig, Jütland und selbst die Insel Alsen erobert. Am 15. Juli ward von Österreich und Preußen ein Waffenstillstand gewährt, dem sofort eine Unterhandlung über Friedenspräliminarien folgen sollte.
Nachdem diese 25. Juli in Wien [* 27] eröffnet worden, ward daselbst 1. Aug. ein Vertrag geschlossen, in welchem Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen abtrat, und der definitive Frieden in Wien unterzeichnet. Das künftige Schicksal der Herzogtümer jedoch lag noch im Dunkel. Während die öffentliche Meinung in Deutschland und den Herzogtümern dem Herzog von Augustenburg zugewandt blieb, hatte sich noch vor dem Ende des Krieges, auf angebliche alte Rechte und einen russ. Verzicht gestützt, Oldenburg [* 28] als Prätendent erhoben und seine Ansprüche auch beim Bunde begründet.
Neben diesen streitenden Prätendenten trat nun auch die feste Absicht Preußens hervor, wenigstens die unbedingte Verfügung über die Land- und Seemacht der Herzogtümer zu erhalten. Die Spannung Preußens mit den Mittelstaaten führte zu einigen Konflikten, bis endlich 5. Dez. der Bundestag den Abmarsch der Exekutionstruppen aus den Herzogtümern beschloß. Österreich aber begann, im Hinblick auf Preußens Absichten in den Herzogtümern, wieder Fühlung mit den Mittelstaaten zu suchen; freilich war noch die Situation nicht so beschaffen, daß es die preuß. Bundesgenossenschaft leichthin missen konnte.
Seine Stellung in Italien [* 29] blieb nach wie vor eine gespannte, und auch mit Ungarn [* 30] war keine Verständigung hergestellt, die finanzielle Lage ließ noch immer nicht die Herstellung des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben absehen, während die innern Reformen auch noch zu keiner Beruhigung führten. Inzwischen zogen sich die Verhandlungen zwischen Österreich und Preußen über das Schicksal der Elbherzogtümer von Monat zu Monat hin. Preußen sprach seine Forderungen für den Fall einer selbständigen Konstituierung der Herzogtümer aus: außer den militärischen und der Abtretung von Friedrichsort und Sonderburg-Düppel noch Eintritt in den Zollverein und Abgabe des Post- und Telegraphenwesens an Preußen.
Österreich erklärte vor allem die militär. Forderungen für gänzlich unannehmbar. Daß Preußen sich dauernd in den Herzogtümern festzusetzen entschlossen war, zeigte die 24. März verfügte Verlegung der preuß. Marinestation von Danzig [* 31] nach Kiel und die Erklärung des preuß. Kriegsministers im Abgeordnetenhause, daß Preußen den Kieler Hafen niemals aufgeben werde. Wieder erhob Österreich Protest, ohne die Thatsache selbst aufzuhalten. Die früher schon gemachte und 24. Juni wiederholte Andeutung Österreichs, die Annexion der Herzogtümer zu gestatten gegen Abtretungen schles. Bezirke, wurde abgelehnt. Im Juli bereitete die preuß. Regierung ernstlich den Krieg vor und ließ in Italien anfragen, ob es bereit fei, mitzukämpfen. Von Napoleon wurde ihr, freilich nicht in bindender Form, wohlwollende Neutralität in Aussicht gestellt. Doch gab Österreich diesmal nach, durch eine Verfassungs- und Finanzkrisis im Innern bedrängt. Es gelang, in der Konvention von Gastein 14. Aug. einen vorläufigen Ausweg zu finden (s. Gasteiner Konvention).
Indes hatte Preußen nach wie vor die Fortdauer des innern Konflikts zu beklagen. Dagegen war es der Regierung gelungen, auf dem handelspolit. Gebiete große und tiefgreifende Erfolge zu erringen. 1863 schien die Auflösung des Zollvereins bevorzustehen. Bayern [* 32] und die gleichgesinnten Staaten, namentlich Hannover, [* 33] Württemberg, [* 34] die beiden Hessen [* 35] und Nassau, wollten erst die Unterhandlung mit Österreich erledigt wissen, ehe sie dem franz. Handelsvertrage zustimmten; Preußen forderte vor allem die Wiederherstellung des Zollvereins.
Dahin drängten auch in den Mittelstaaten die Handelsinteressen der Bevölkerung. Es gelang Preußen, im Laufe des J. 1864 erst Sachsen, die thüring. Staaten, Baden, Kurhessen, Braunschweig, [* 36] Oldenburg, Frankfurt, dann auch Hannover zu einer Wiederherstellung des Zollvereins auf den neuen Grundlagen zu vereinigen und dadurch endlich auch Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt und Nassau zu bestimmen, daß sie noch vor der festgestellten Frist (1. Okt.) ihren Beitritt erklärten. Die Einführung der neuen Tarife wurde auf festgestellt. Nun begannen neue Unterhandlungen mit Österreich; nach langem Kampfe kam ein Handelsvertrag zwischen Österreich und dem Zollverein zu stande, der dem frühern Vertrage von 1853 im wesentlichen nachgebildet war. Hieran reihten sich Unterhandlungen des Zollvereins mit den auswärtigen Staaten, die zunächst zur Abschließung von Handelsverträgen mit Belgien, [* 37] England und Italien gediehen. Eine neue wirtschaftliche Epoche war damit für Deutschland angebrochen.
Der durch die Gasteiner Konvention nur mit Mühe beschwichtigte Konflikt loderte schon in den ersten Monaten des J. 1866 mit aller Gewalt wieder auf. Der österr. Statthalter in Holstein duldete, im Einverständnis mit seiner Regierung, sehr bald wieder die offenen Kundgebungen der Bewohner für Augustenburg. Bismarck forderte 26. Jan. die österr. Regierung dringend zur Abstellung dieses Systems auf. Die Antwort des Grafen Mensdorff vom 7. Febr. gab an Entschiedenheit nichts nach. Man sprach gegenseitig bereits offen von dem Bruch des Bündnisses, und in Berlin [* 38] wie in Wien wurde die Kriegsfrage erörtert. Beide Teile suchten Bundesgenossen zu gewinnen. Österreich fand sie in den Mittelstaaten, denen zu Liebe es, im Widerspruch zu seinen Verträgen mit Preußen, die Entscheidung der schlesw.-holstein. Sache wieder dem Bunde ¶
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zuweisen wollte; Preußen aber hielt den Augenblick zur Lösung der deutschen Frage jetzt gekommen. Freilich fand zunächst sein Antrag auf Berufung eines deutschen Parlaments (9. April) bei den Regierungen entweder Abneigung oder Mißtrauen. Unmittelbar vorher (8. April) aber war das Kriegsbündnis mit Italien zum Abschluß gekommen. Die Kunde davon beschleunigte in Österreich die schon vorher begonnenen kriegerischen Vorbereitungen. Unsicher war die Haltung Napoleons. Er verlangte von Preußen als Kompensation seiner Machtvergrößerung Gebietsabtretungen an Frankreich, bot ihm auf dieser Grundlage ein Defensiv- und Offensivbündnis an, empfahl aber anderseits (5. Mai) auch Italien, sich Venetien abtreten zu lassen, wenn Österreich sich Schlesiens bemächtigt haben werde. Sowohl Preußen wie Italien lehnten ab, und Napoleon schloß nun 9. Juni mit Österreich einen Vertrag, der ihm im Fall eines österr. Sieges Erwerbungen am Rhein in Aussicht stellte. In einem Schreiben vom 11. Juni enthüllte Napoleon gleichzeitig sein deutsches Programm, das die Rivalität Österreichs und Preußens in Deutschland bestehen ließ und durch Anlockung der Mittelstaaten eine neue Rheinbundpolitik einleitete. Die Anrufung des Bundestags durch Österreich zur Entscheidung der schlesw.-holstein. Frage (1. Juni) führte zur Besetzung Holsteins durch die Preußen, zur Verdrängung der österr. Truppen aus Holstein und zur entscheidenden Bundestagssitzung vom 14. Juni, wo der österr. Antrag auf Mobilisierung des Bundesheers gegen Preußen mit neun gegen sechs Stimmen angenommen wurde. Der preuß. Gesandte erklärte infolgedessen den Bundesvertrag für gebrochen und erloschen und verkündigte Preußens Absicht, einen neuen zeitgemäßen Bund zu errichten.
Der Krieg begann und führte die Preußen zu raschen Siegen [* 40] (s. Deutscher Krieg von 1866). Die preuß. Politik verstand es, die militär. Erfolge maßvoll auszunutzen, die Möglichkeit einer spätern Verständigung mit Österreich nicht abzuschneiden und der drohenden Einmischung nicht nur von seiten Frankreichs, sondern auch Rußlands, das einen europ. Kongreß anregte, durch schnellen Abschluß der Präliminarien von Nikolsburg 26. Juli zuvorzukommen; ihnen folgten der Friede von Prag [* 41] 23. Aug. und die Friedensverträge zu Berlin mit den süddeutschen Staaten.
Durch jenen verlor Österreich seine Stellung in Deutschland, Preußen bekam freie Hand zu Annexionen und neuen Bundesgestaltungen, die vier süddeutschen Staaten erhielten eine internationale, unabhängige Existenz und die Ermächtigung zur Gründung eines Südbundes, der mit dem Norddeutschen Bunde in Verbindung treten konnte; die teilweise von Dänen bewohnten nördl. Distrikte Schleswigs sollten durch freie Abstimmung über ihre etwaige Wiedervereinigung mit Dänemark entscheiden dürfen.
Die süddeutschen Staaten hatten Kontributionen zu bezahlen, Bayern und Hessen auch kleinere Gebiete abzutreten; Bayern, Württemberg und Baden schlossen vorerst noch geheimgehaltene Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen, worin sie sich verpflichteten, im Kriegsfall ihre Truppen unter preuß. Oberbefehl zu stellen; Hessen-Darmstadt schloß eine Militärkonvention mit Preußen, nahm in die Festung [* 42] Mainz [* 43] eine preuß. Besatzung auf und ließ Oberhessen am Norddeutschen Bunde teilnehmen.
Die Geneigtheit der süddeutschen Staaten zum Abschluß dieser Bündnisse war die Folge der ihnen von Bismarck gemachten Enthüllungen über Napoleons Kompensationsforderungen. Letzterer, der bei den Friedensunterhandlungen seinen Einfluß nicht in dem Grade geltend zu machen vermochte, als er wünschte, und sein deutsches Programm bedeutend überholt sah, hatte 5. Aug. Bismarck einen Vertragsentwurf zuschicken lassen, worin er für Frankreich die Grenzen [* 44] von 1814, Rheinbayern und Rheinhessen nebst Mainz und Auflösung jeder polit. und militär. Verbindung Luxemburgs mit Deutschland forderte, erhielt jedoch eine abschlägige Antwort. Da auch bei den Friedensverhandlungen zwischen Österreich und Italien neue Schwierigkeiten sich erhoben hatten, so bestand einen Augenblick die Gefahr eines Doppelkrieges mit Frankreich und Österreich, die aber durch Italiens [* 45] Nachgeben beseitigt wurde. Die offizielle Auflösung des Deutschen Bundes fand in Augsburg [* 46] statt, wohin sich schon 14. Juli die Bundesversammlung zurückzog.
8) Von der Gründung des Norddeutschen Bundes bis zur Errichtung des Deutschen Kaiserreichs, 1866-71. Für Deutschland brach jetzt eine neue Ära an. Vorerst bestand noch die Teilung zwischen Nord und Süd, indes war dies nur ein Übergangsstadium. Preußen annektierte Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt, Schleswig-Holstein, berief die Bevollmächtigten sämtlicher nördlich vom Main gelegenen Staaten 15. Dez. nach Berlin und vereinbarte mit diesen die neue Verfassung des zu gründenden Norddeutschen Bundes.
Darauf wurde dieselbe dem konstituierenden Reichstag, der auf der Grundlage des Wahlgesetzes von 1849 in allgemeiner und geheimer Abstimmung gewählt und eröffnet worden war, zur Beratung vorgelegt. Der Entwurf wurde mit geringen Abänderungen 16. April vom Reichstag angenommen und am folgenden Tage die Gültigkeit der Verfassung verkündigt. In die Hand der Präsidialmacht Preußen wurde die Leitung des Militärwesens und der Diplomatie gelegt, das Recht der Gesetzgebung zwischen dem Bundesrat, dem Vertreter der einzelnen Staaten, und dem Reichstag, dem Vertreter der einzelnen Volksstämme, geteilt und auf allen Gebieten des staatlichen Lebens den nationalen Bestrebungen freie Bahn geöffnet. Bismarck hatte nicht ohne Absicht durch das allgemeine Wahlrecht die breitesten Schichten des Volks herangezogen, denn ihnen traute er vor allem nationale Gesinnung zu. Um so entschiedener bestand er auf der Verweigerung von Diäten für die Reichstagsmitglieder, entgegen dem Reichstagsbeschlusse vom
Die erste Gefahr, die dem neuen Staatswesen von außen erwuchs, zeigte sogleich, in welch geschickten Händen die Leitung seiner Politik ruhte. Nach den geringen Erfolgen der franz. Politik bei der Friedensvermittelung 1866 war es für Napoleon dringendstes Bedürfnis, der aufgeregten öffentlichen Meinung in Frankreich Ersatz zu bieten. Als Objekt bot sich dafür Luxemburg dar. So ließ denn Napoleon im Aug. 1866 noch in Berlin einen Vertragsentwurf vorlegen, wonach Preußen die käufliche Erwerbung Luxemburgs seitens Frankreichs unterstützen und letzterm mit den Waffen [* 47] beistehen sollte, falls Napoleon Belgien erobern wollte. Dafür versprach Napoleon die preuß. Annexionen anzuerkennen und der Aufnahme der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund sich nicht zu widersetzen. Diesen Antrag konnte Bismarck nicht direkt ¶
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ablehnen; er behandelte ihn also «dilatorisch». Napoleon aber knüpfte nun mit König Wilhelm von Holland Verhandlungen über den Verkauf von Luxemburg an, die Ende März 1807 dem Abschluß nahe waren. Jedoch die Antwort, die Bismarck auf eine Anfrage des Königs von Holland, und 1. April auf eine Interpellation Bennigsens im Norddeutschen Reichstag erteilte, gab maßvoll, aber deutlich zu verstehen, daß Preußen die Abtretung zu hindern entschloßen sei. Die franz. Kriegsdrohungen wurden mit der Veröffentlichung der süddeutschen Bündnisverträge beantwortet, und da die Heeresverfassung Frankreichs einer gründlichen Verbesserung bedürfte, so mußte Napoleon den Rückzug antreten. Durch die Vermittelung Rußlands kam eine Konferenz zu London zu stande, und diese unterzeichnete 11. Mai einen Vertrag, wonach Luxemburg als neutraler Staat bei Holland blieb, Preußen sein Garnisonsrecht aufgab, die Festung geschleift wurde, das Land im Zollverein blieb.
Zur weitern Einigung mit den süddeutschen Staaten schloß Bismarck mit diesen den Zollvertrag vom wodurch die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen durch die Mehrheitsbeschlüsse des Norddeutschen Bundesrats und Reichstags, in welche für diesen Fall die Vertreter Süddeutschlands einzutreten hatten, festgestellt werden sollte. Noch war die süddeutsche Bevölkerung für solche Einigungspläne nur teilweise empfänglich. In Baden und Hessen wurden die Verträge ohne Anstand angenommen. In Bayern sträubte sich die Reichsratskammer, in Württemberg die Abgeordnetenkammer.
Nur mit Mühe wurde die Annahme durchgesetzt. Auch die Einführung der preuß. Heereseinrichtungen fand Schwierigkeiten. Nur Baden, das dem preuß. General Beyer das Kriegsministerium übertrug, schloß sich vollständig an das preuß. System an; Hessen hatte nach Abschluß seiner Militärkonvention keine Wahl mehr. Die unter ungeheurer Agitation und Aufregung vollzogenen Zollparlamentswahlen vom Febr. und März 1868 waren ein Maßstab [* 49] für die polit. Stimmung Süddeutschlands. In Hessen siegte die nationale Partei, in Baden gleichfalls, jedoch mit geringer Mehrheit, in Württemberg wurde infolge der Koalition der Regierung mit Demokraten und Ultramontanen auch nicht ein einziger nationaler Kandidat gewählt, in Bayern errangen die antinationalen Parteien eine bedeutende Mehrheit.
Daraus ergab sich von selbst als Programm des Zollparlaments: strenges Festhalten an der Kompetenz, unerbittliche Zurückweisung jedes Antrags auf Ausdehnung [* 50] derselben, jeder Debatte über rein polit. Gegenstände. Dies hat denn auch die aus Ultramontanen und Demokraten zusammengesetzte «süddeutsche Fraktion» konsequent durchgeführt, und sie hat in den drei Sitzungen des Zollparlaments, die und eröffnet wurden, sich als den eifersüchtigsten Wächter des Buchstabens des Zollvertrags gezeigt.
Weit heftiger noch war der Widerstand in den Landtagen gegen einen engern Anschluß an den Norddeutschen Bund. Die aus Demokraten und Großdeutschen bestehende Mehrheit der württemb. Abgeordnetenkammer agitierte noch im März 1870, nachdem die «Volkspartei» einen Adressensturm organisiert hatte, für Einführung eines Milizheers. In Bayern errangen bei den Abgeordnetenwahlen von 1869 die Klerikalen die Mehrheit; der Rücktritt des nationalgesinnten Ministerpräsidenten Fürsten Hohenlohe, der 1867 durch die Sendung Tauffkirchens nach Wien einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, Österreich und Preußen einander zu nähern, wurde zur Notwendigkeit; die Patriotenmehrheit machte den Versuch, das ganze Militärwesen umzugestalten und Milizeinrichtungen einzuführen. In Baden dagegen, wo der Großherzog und die Kammermehrheit eines Sinnes waren, empfand man es schmerzlich, daß der Eintritt des Landes in den Norddeutschen Bund aus polit. Gründen noch nicht möglich war, denn Bismarcks ausgesprochene Absicht war es, jedes forcierte Vorgehen gegenüber den Südstaaten zu vermeiden und sie nicht durch die Aufnahme Badens zu verstimmen.
Im Norddeutschen Reichstag nahm die Arbeit an der freiheitlichen und nationalen Entwicklung des Bundesstaates ihren ungestörten Fortgang. Die Errichtung eines Bundesoberhandelsgerichts in Leipzig, [* 51] die Einführung eines neuen Strafgesetzbuchs, die Unterstützung des Baues der Gotthardbahn wurden in den Sitzungen von 1869 und 1870 beschlossen. Frankreich gegenüber, das die Reorganisation seiner Armee aufs eifrigste betrieb, wurde eine maßvolle, aber entschlossene Sprache [* 52] geführt.
Eine Depesche Bismarcks vom wies jede Einmischung in das Verhältnis zwischen Nord- und Süddeutschland aufs bestimmteste zurück, und ein franz. Versuch, die nordschlesw. Frage zu stellen, erhielt die gebührende Antwort. Den 1866 entthronten Fürsten war die preuß. Regierung 1867 durch Gewährung von Abfindungen bereitwillig entgegengekommen; aber als der Hof [* 53] König Georgs von Hannover zu Hietzing ein Mittelpunkt welfischer Agitation wurde, als die zuerst in Holland errichtete Welfenlegion 1868 aus der Schweiz [* 54] nach Frankreich übertrat und so die Verbindung mit Napoleon offen zu Tage lag, verfügte die preuß. Regierung die Beschlagnahme des Vermögens König Georgs.
Die gleiche Maßregel mußte auch gegen den Kurfürsten von Hessen verfügt werden. In der That waren jene Jahre erfüllt von welfischen Umtrieben in Wien und Paris, [* 55] und mehr noch: während Virchow im preuß. Abgeordnetenhause 1869 den Antrag auf Herbeiführung einer allgemeinen Abrüstung stellte, fanden zwischen Frankreich, Österreich und Italien Verhandlungen statt, die ihre Spitze gegen Preußen kehrten. Der Abschluß eines festen Dreibundes scheiterte an der von Napoleon zurückgewiesenen Forderung der Räumung Roms; aber zwischen Napoleon und dem Kaiser von Österreich kam es im Juni 1869 zu einem Einverständnis, welches dem erstern Österreichs Beistand zusicherte, falls Preußen an dem durch den Prager Frieden hergestellten Statusquo rührte.
Dazu kam nun, daß das Zollparlament die nationalen Hoffnungen nicht erfüllt hatte; Bayern und Württemberg schienen einer Lossagung vom Norden [* 56] näher zu stehen, als einem Anschluß an denselben, und die extremen Elemente unter den Antinationalen scheuten sogar eine Verbindung mit Frankreich nicht. Aber über alle Erwartung hinaus kam der Umschlag. Die das deutsche Nationalgefühl verletzende Weise, mit der das franz. Kabinett die span. Thronfolgefrage behandelte, die Kriegserklärung vom 19. Juli und der siegreiche Krieg selbst (s. Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871) räumten die der Einigung Deutschlands entgegenstehenden Hindernisse weg und führten zum Abschluß der Versailler Verträge. Die überraschenden ¶
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Waffenerfolge im Verein mit der Haltung Rußlands erstickten auch alle kriegerischen Gedanken in Österreich und Italien. Nachdem das deutsche Volk gesehen hatte, welch große Erfolge durch die militär. Einheit Deutschlands unter Preußens Führung errungen wurden, sträubte es sich auch im Süden nicht länger mehr, der polit. Einigung beizustimmen, und forderte den Anschluß an den Norddeutschen Bund. Die feindlichen Parteien in Bayern und Württemberg wagten keinen Widerstand.
Die bad. Regierung stellte jetzt den formellen Antrag auf Aufnahme in den Nordbund; gleichzeitig fanden im September Besprechungen Delbrücks mit den bayr. und württemb. Ministern in München [* 58] statt, bei denen die erstern freilich nicht geringe Forderungen stellten. Aber der Abschluß der Verfassungsverträge mit Baden und Hessen in Versailles [* 59] 15. Nov. drängte auch Bayern und Württemberg zur Nachfolge am 23. und 25. Nov. Die Reservatrechte, die Bayern sich ausbedungen hatte, waren erheblich: es behielt seine eigene Diplomatie, die Verwaltung des Heerwesens, der Post, der Telegraphen [* 60] und Eisenbahnen, besondere Besteuerung des Biers und Branntweins und wollte, um seine eigene kurz zuvor erst durchgeführte Gesetzgebung nicht umzustoßen, von den Bundesgesetzen über Heimats- und Niederlassungsverhältnisse nicht berührt werden. Minder wichtig waren die Bestimmungen über den diplomat. Ausschuß und das Verfassungsveto. Das bayr. Heerwesen hatte sich übrigens den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung gemäß einzurichten, und der Bundesfeldherr hatte das Recht der Anordnung der Mobilisierung und der Inspektion. Die Reservatrechte der drei andern süddeutschen Staaten waren bescheidener ausgefallen. (S. oben Staatsrechtliches, S. 146 fg.)
So bedauernswert auch einzelne dieser Sonderbestimmungen den Nationalgesinnten erschienen, so glaubten sie doch die Einheit Deutschlands durch solche Konzessionen nicht zu teuer zu erkaufen, hofften auch, durch die gemeinsame parlamentarische Arbeit in der Zukunft manches verbessert oder gemildert zu sehen. So genehmigten der Norddeutsche Reichstag und die Landtage in Hessen, Baden und Württemberg die Versailler Verträge. In Bayern wurden sie von der Reichsratskammer mit überwiegender Mehrheit 30. Dez., von der Abgeordnetenkammer aber erst nach elftägiger Debatte mit 102 gegen 48 Stimmen genehmigt.
9) Von der Errichtung des Deutschen Reichs bis zum Tode Kaiser Wilhelms I., 1871-88. Nachdem König Ludwig von Bayern unter Zustimmung sämtlicher deutschen Regierungen dem König von Preußen den Titel eines Deutschen Kaisers angetragen hatte, erfolgte 18. Jan. im Versailler Schloß die feierliche Proklamierung der Kaiserwürde. Es folgten 28. Jan. die Kapitulation von Paris, 26. Febr. die Friedenspräliminarien von Versailles, 10. Mai der definitive Friedensschluß zu Frankfurt a. M. Die Wiedergewinnung von Elsaß und Deutsch-Lothringen mit Straßburg [* 61] und Metz [* 62] entsprach nicht nur den nationalen Wünschen des deutschen Volks, sondern war auch eine militär. Notwendigkeit. Nachdem von der Kriegskontribution von 5 Milliarden Frs. die letzte Rate 1873 abgezahlt worden war, begann die Räumung der noch occupierten Gebiete Frankreichs, und überschritt der letzte deutsche Soldat die franz. Grenze.
In der auswärtigen Politik des Deutschen Reichs nach den Siegen von 1870 und 1871 zeigte sich sogleich, von welchem Gewicht die neue Macht den übrigen Staaten erschien. In Ischl [* 63] und Salzburg [* 64] fand 1871 eine Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm mit Kaiser Franz Joseph statt. Die Entlassung des wenig preußenfreundlichen Grafen Beust und die Ernennung des Grafen Andrássy zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten Österreichs erleichterte die vollständige Versöhnung der Regierungen beider Reiche.
Andererseits ließ Kaiser Alexander II. von Rußland keine Gelegenheit vorübergehen, ohne seine Sympathie für Kaiser Wilhelm zu bezeugen. Die Drei-Kaiser-Zusammenkunft in Berlin, 5. bis war ein glänzender Ausdruck der Anerkennung des Deutschen Reichs und bekundete, auch ohne daß schriftliche Abmachungen zu stande kamen, das Bestreben der drei Kaiser, in allen großen Fragen der Politik im Einvernehmen miteinander handeln zu wollen. König Victor Emanuel von Italien, der 1870 um den Preis der Überlassung Roms bereit gewesen war, den Kaiser Napoleon im Kriege gegen Deutschland zu unterstützen, machte 1873, als er sich durch die klerikal-bourbonische Agitation in Frankreich bedroht sah, einen Besuch in Wien und Berlin, den Kaiser Wilhelm in Mailand [* 65] erwiderte.
Mit Frankreich wurde 1871 der diplomat. Verkehr wiederhergestellt. Deutschland suchte jeden Konflikt zu vermeiden, gab aber bei etwaiger Gelegenheit zu verstehen, daß es einem neuen Kampfe nicht ausweichen werde. Die Ermordung zweier deutschen Soldaten durch franz. Bürger und die Freisprechung der Mörder durch die franz. Geschwornen, die Angriffe auf die kaiserl. Person und Regierung in den Hirtenbriefen franz. Bischöfe (1873) wurden gebührend beantwortet, und in einem Rundschreiben (Jan. 1874) ließ die Reichsregierung keinen Zweifel daran übrig, daß sie, wenn der Zusammenstoß unvermeidlich sei, den für Frankreich passendsten Augenblick nicht erst abwarten werde. Im Frühjahr 1875 ließ sie eine ähnliche Warnung an Frankreich ergehen. Die mit verdächtigem Eifer daselbst betriebenen Heeresorganisationen legten den Gedanken nahe, daß hier zu einem Rachekriege gerüstet würde; dazu traten Gerüchte über ultramontane Bestrebungen in Österreich und Italien, um einen klerikalen Dreibund gegen Deutschland zu schaffen; aber das Einverständnis an den leitenden Stellen der drei Kaisermächte ließ eine Kriegsgefahr nicht aufkommen.
Der erste Deutsche [* 66] Reichstag wurde vom Kaiser in Berlin, der neuen Reichshauptstadt, eröffnet. Das neue Deutsche Reich, sagte die Thronrede, sollte ein Reich des Friedens sein, das ausschließlich seinen eigenen Angelegenheiten lebe. Als aber die nationalen Parteien eine Adresse beantragten, die eben diesen Gedanken betonte und jede Einmischung in das innere Leben anderer Völker von sich wies, widersprach die neugebildete kath. Centrumspartei, die die mittelalterlichen Römerzüge erneuern und die Macht des Reichs zur Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes benutzen wollte.
Die Centrumspartei, im Einklang mit den deutschen Bischöfen, die auf dem Vatikanischen Konzil von 1870 großenteils das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes bekämpft, bald darauf aber sämtlich dasselbe anerkannt und dessen Annahme allen Katholiken zur Glaubenspflicht gemacht hatten, drängte durch ihre maßlosen Forderungen und ihre Begünstigung poln. und welfischer Bestrebungen der Reichsregierung die Eröffnung des sog. Kulturkampfes auf. Ursprünglich war es ¶