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unaufgeklärten Volksseele, wie er in Hamann und Herder lebte, hat dem selbstgefälligen Treiben der Aufklärer zuerst einen Dämpfer [* 2] aufgesetzt. Beide Männer waren Ostpreußen. [* 3] Hamann (1730-88), der Magus des Nordens, war ein wunderlich fragmentarischer und paradoxer Schriftsteller, der sich in gesuchten Anspielungen, in mystisch unverständlicher barocker Schreibweise gefiel, der aber in seiner Weltanschauung starke Fermente besaß, höchst geeignet auf andere revolutionierend zu wirken. Er verachtet die Aufklärung, die Herrschaft des Verstandes in tiefster Seele: tausendmal mehr gilt ihm der Glaube, die Anschauung.
Alles Regelwerk ist ihm ein Greuel, zumal in der Poesie, die er als die Muttersprache des Menschengeschlechts liebt; nur das Genie, das keine Regel kennt, ist wahrhaft berufen. In der Überzeugung von der hohen Schönheit der Urpoesie als der Schöpfung der naiven unverbildeten Seele berührt er sich mit Rousseau, dessen Ideen noch fruchtbarer aufgingen in Hamanns großem Schüler Herder (1744-1803). Auch Herder war kein Dichter; er besaß poetisch nur die Gabe der Anempfindung, die seinen Übersetzungen (z. B. dem «Cid», erschienen 1805) zu gute kam.
Sie machte ihn zum ersten deutschen Litterarhistoriker: mit tiefem geschichtlichem Verständnis versenkt er sich ohne jeden Hochmut in die Dichtung aller Zeiten und Völker, in die Bibel [* 4] wie in die Lieder der Wilden. Da geht ihm die Erkenntnis auf von dem hohen erfrischenden Werte des Volksliedes, die ihn zu seiner schönen Sammlung «Volkslieder» (1778) veranlaßt und die er auf Goethe überträgt. Wie er forschend und vergleichend die Litteraturen möglichst vieler Völker überschaut, so hegt er das Idealbild einer Weltlitteratur, in der der Deutsche [* 5] zum Vermittler berufen sei.
Herder stellt mit sicherm Gefühl für das urwüchsige Geniale Shakespeare himmelhoch über die Franzosen. Sein Widerwille gegen die Aufklärung treibt ihn in der Theologie zeitweilig bis zu einer mystischen Symbolik, der gewaltige poet. Bilder entwachsen. Aber darüber kommt er hinaus, und seine geistige Höhe erreicht er in der grandiosen geschichtsphilos. Anschauung von der natürlich fortschreitenden histor. Kulturentwicklung der Menschheit, die er in seinen «Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit» (1784) niederlegte. An dieser Stelle traf er genau mit den evolutionistischen Überzeugungen zusammen, die sein größter Jünger Goethe längst auf die gesamte Natur angewendet hatte.
Es war ein folgenschwerer Zufall, der den Johannes des Sturms und Dranges, Herder, 1770 in Straßburg [* 6] mit dem jungen Goethe zusammenführte. Schon hatte dieser gelernt, in seiner anakreontischen Lyrik die Stimme des Herzens mit Wahrheit zum Ausdruck zu bringen. Jetzt weist ihn der ältere Freund nachdrücklich auf die Griechen, auf Shakespeare und Rousseau, auf das deutsche Volkslied und die deutsche Vergangenheit. Alle diese Saatkörner gehen auf und tragen üppige Frucht.
Die Anfänge des «Faust», der genialsten Goetheschen Conception, gelangen noch lange nicht auch nur zum vorläufigen Abschluß. Aber mit seinem shakespearisierenden Ritterdrama «Götz von Berlichingen» (1773), das nicht nur die strenge Dramenform revolutionär zersprengt, sondern auch in sich etwas vom gärenden Geiste polit.-socialer Unzufriedenheit enthält, erzielt er unerhörte Wirkung. Von ihm geht das überreiche patriotische und romantische Ritter- und Räuberdrama aus bis auf Kleists «Käthchen von Heilbronn» [* 7] und die Birchpfeiffer, bis auf Webers «Euryanthe» und «Preziosa», auf ihm beruht gar der Ritter- und Räuberroman von Spieß und Cramer; die Gestalten und Motive des «Götz» haben ein fast unabsehbares Fortleben gehabt.
Und als Goethe im «Werther» (1774) an Stelle blasser Richardsonscher Tugendhelden einen wirklichen, lebensvollen, schwachen Menschen von Rousseauscher Gemütsweiche und zugleich von echt Goethescher Lebenswahrheit setzt, als er da für das Recht des guten zarten Herzens gegenüber der Konvention eintritt, da entfesselt er eine bis zur epidemischen Krankheit ausartende Empfindsamkeit, die weit über die Grenzen [* 8] Deutschlands [* 9] nach Italien [* 10] und Frankreich fortwirkte und Nachahmungen, wie Millers «Siegwart» (1776),
Foscolos «Ortis» u. a. hervorrief.
Die geistige Revolution, die nach dem Titel eines Klingerschen Dramas (1776) mit dem Stichwort Sturm und Drang benannt wird und als deren Oberhaupt Goethe seit dem «Götz» ziemlich unbestritten dasteht, zeigt zwei sehr verschiedene Seiten. Dem Kreise, [* 11] der in Straßburg und Frankfurt [* 12] sich zusammenfand und der wenigstens während des J. 1772 an den von dem kaustischen Darmstädter Merck redigierten «Frankfurter gelehrten Anzeigen» eine Art Organ besaß, kam es wesentlich an auf die litterar.
Befreiung des Individuums von formalem Zwang und gefühlertötender Konvention: immerhin konnte es nicht ausbleiben, daß sich revolutionäre Elemente anderer Art mit einschlichen. Zu den ältern, Merck, Herder, Goethe, tritt da eine Gruppe wüstnaturalistischer Dramatiker, wie der unglückliche Lenz, der kraftvolle, aber forcierte Klinger, der sich später dem polit. Lehrroman zuwandte, der rohe H. L. Wagner; mehr abseits steht der von der Idylle ausgegangene Maler Müller. Die letzten Ausläufer dieser Richtung bilden die ungestümen Jugenddramen (1781-84) des Schwaben Friedr. Schiller; der aus schwäb. Verhältnissen besonders erklärliche Tyrannenhaß dieser Dramen fand sein Gegenstück in der ebenso fürstenfeindlichen Lyrik seines Landsmannes Schubart (1739-91).
Aber wie der Sturm und Drang zum freien Herzen hält gegenüber den Schranken der Sitte, so bekennt er sich zum gläubigen Gemüt im Gegensatz zu der platten Verstandesherrschaft der Aufklärung. So zeigt er eine mystische Seite, die auch Herder und Goethe, zumal aber Hamann, wohl vertraut ist. Sie tritt hervor in den Selbstbekenntnissen (1777) eines der Stillen im Lande, des schlichten Jung-Stilling, in der unklaren, frommen Gefühlsphilosophie Friedr. Heinr. Jacobis, in dem anspruchsvollen, aber bestechenden Prophetentum Joh. Casp. Lavaters, und hat fortgewirkt bis in die Zeiten der Romantik, die in mancher Hinsicht das Erbe des Sturmes und Dranges antrat.
Ihr konnte nicht einmal die kritische Methode Immanuel Kants (1724-1804) etwas anhaben, da er Glauben und Verstand sorgfältig voneinander sonderte. Kant war sozusagen ein Spätling der Aufklärung, ihr letzter größter Jünger und ihr überzeugtester Anhänger. Aber gerade seine Kritik der Vernunft selbst half das seichte übertriebene Vernunftvertrauen untergraben, und der uneigennützig harte und konsequente Pflichtbegriff, den Kant vertrat, enthielt einen erziehlichen und sittlichen Schwung, der dem rechten Aufklärer immer unheimlich war. Und wenig ¶
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wußte der auch anzufangen mit Kants ästhetischen Arbeiten, die vielmehr in Schiller den rechten Interpreten und Fortbildner finden sollten.
Im J. 1775 folgt Goethe einem Rufe des jungen Herzogs Karl August nach Weimar. [* 14] Er findet dort Wieland, es gelingt ihm Herder dahin zu ziehen. Die goldenen Tage von Weimar beginnen. Für Goethe ist der Wechsel des Schauplatzes und der Lebensaufgaben von entscheidender Bedeutung. Im geregelten Hofleben, im Verkehr mit dem höfischen Adel lernt er Selbstbeherrschung und Sitte schätzen;
seine reiche Beamtenthätigkeit gewährt ihm tiefe und weite Einblicke in Menschenleben und Natur, die ihm eine wunderbare Vielseitigkeit der Interessen verschaffen;
das Gefühl der Verantwortlichkeit, die bildende Freundschaft einer edeln Frau mäßigt ihn mehr und mehr;
der Revolutionär wird auf einer höhern geistigen Stufe der wärmste Verfechter schöner Form und ruhiger Entwicklung.
Wieder wird unserer Litteratur das mitthätige Interesse des Adels gewonnen. Goethes ital. Reise (1786), seine unmittelbare Berührung mit der Antike bringt einen lange vorbereiteten Umschwung nur zum Abschluß. Der Jünger Shakespeares schafft in «Iphigenie» (1787) und «Tasso» (1790) Seelendramen des edelsten, vornehmsten Stils; der frühere Verfechter des charakteristisch Nationalen bekehrt sich, geleitet von der antiken Kunst, zur reinen Menschlichkeit. Im selben Jahre, als die «Iphigenie» erschien, hatte der schwäb. Stürmer, Friedr. Schiller, den Weg von der naturalistischen Prosa seiner Jugenddramen zu dem hinreißenden rhetorischen Freundschafts- und Freiheitspathos seines «Don Carlos» (1787) gefunden.
Die harte geistige Zucht der Kantschen Philosophie, die bereichernden histor. Studien, zu denen ihn sein Beruf zwang, reiften den Feuerkopf heran für Goethes Freundschaft. Der Bund der beiden Männer, der sich zuerst in den «Horen», [* 15] dann in dem staubaufwirbelnden Xenienalmanach von 1796 manifestierte, bedeutet den Gipfel unserer gesamten Dichtung. Wohl war Goethe, auf der Höhe einer allumfassenden Weltanschauung angelangt, der zugleich reichere und tiefere; aber Schillers rastloser, von den Interessen der Gegenwart stark bewegter Geist verstand es, auch des Freundes Produktivität zu stacheln, ihn aus seiner vornehmen Abgeschlossenheit in die litterar.
Bewegungen des Tags hereinzuziehen. Damals verfaßte Goethe «Hermann und Dorothea» (1797),
das köstlichste deutsche Familienidyll, und «Die natürliche Tochter» (1804),
in denen beiden er zur Französischen Revolution Stellung nimmt; unter Schillers Antrieb vollendet er «Wilhelm Meisters Lehrjahre» (1795), einen Entwicklungsroman, der tief in die ästhetischen und socialen Fragen der Zeit hineinführte und eine Fülle der Gestalten und Motive zeigt, reich wie das Leben selbst; auf Schillers Drängen fördert er den ersten Teil des «Faust» näher zum Abschluß. Unendlich mehr dankte Schiller dem Bunde, der ihn zu seinen klassischen Schöpfungen anfeuerte.
Bei ihm zeitigt der Verkehr mit dem bewunderten Freunde ästhetische Schriften, die in der Unterscheidung der naiven und sentimentalischen Dichtung (1795) einen außerordentlich fruchtbaren Gedanken zu Tage förderten; jetzt schuf er seine Balladen (1797), jetzt die lange Reihe seiner Dramen vom «Wallenstein» (1800) bis zum «Tell» (1804); das Weimarer Theater, [* 16] das unter Goethes Leitung stand, schaffte dem populärsten deutschen Dramatiker auch die nötige Bühnenkunde.
Beiden Männern sind die Griechen der Typus schönster Menschlichkeit, beiden ist humanistisch-ästhetische Erziehung ohne Einseitigkeit die Bedingung gesunden Fortschritts der Menschheit. Goethe verlor die verständnisvollste Seele, den einzig ihm selbst vergleichbaren Vertrauten seiner innersten künstlerischen Gedanken, als ihm der Tod den Freund entriß (1805). Jetzt erst beginnt für ihn die imposante Einsamkeit, in der er mehr und mehr als der größte Dichter und Weise Deutschlands streitlos anerkannt, hoch über dem gewöhnlichen litterar. Treiben thronend, bewundert von den Besten, gehaßt von dem litterar. Pöbel, bis ans Ende das geistige Scepter führt.
Wir sind gewöhnt, in Goethe und Schiller die beiden hochragenden Wipfel unsers Dichterwaldes anzustaunen und das Unterholz zu ihren Füßen kaum zu beachten. Aber diesen heute selbstverständlich erscheinenden Platz in der Schätzung des Publikums gewannen die Freunde erst seit dem Anfang dieses Jahrhunderts mit schnell wachsender Entschiedenheit. Die Lieblinge weiter Kreise waren sie zunächst nicht; das Volk holt sich die ihm bequeme geistige Nahrung anderswo.
Besonders charakteristisch ist dafür das Repertoire, das Goethe an der Weimarer Bühne abspielen lassen mußte: wie treten seine und Schillers Dramen zurück hinter den Schau- und Lustspielen der Bühnenbeherrscher, des tüchtigen, gut beobachtenden, aber doch unbedeutenden und über ein flott gezeichnetes Genrebild nicht herausstrebenden Iffland, des fleißigen und bühnengeschickten, an effektvollen Erfindungen reichen F. L. Schröder, des grobkörnigen Großmann, vor allem des höchst talentvollen und produktiven, aber leichtfertigen und frivol weichlichen Aug. von Kotzebue (1761-1819). Seine süßliche Rührseligkeit verhöhnt satirisch Mahlmann (1803); das biedere Soldatenstück im Stil der «Minna von Barnhelm» kultiviert der Wiener Stephanie; als Lustspieldichter waren Jünger und Bretzner beliebt, letzterer der Verfasser des Textbuches für Mozarts «Entführung».
Zauberstücke, wie sie Schikaneder z. B. in der «Zauberflöte» (1793) leistete, gediehen zumal in Wien, [* 17] so durch Hafner, Perinet, Hensler, den Dichter des «Donauweibchen» (1792);
meist werden sie durch glückliche Kompositionen unterstützt;
die Musik kam auch den Singspielen und Melodramen Gotters zu gute;
das vaterländische und Ritterdrama fand namentlich an den Bayern [* 18] Babo und Törring achtbare, an dem Österreicher Weidmann einen fruchtbaren Vertreter.
Eine absonderliche Specialität hatte der Litterat Plümicke in der bühnengerechten Verarbeitung fremder, namentlich Schillerscher Stücke.
Dieselbe Bevorzugung sentimentalen Kitzels oder roher Aufregung vor den feinen geistigen Genüssen der klassischen Werke zeigt sich auf dem Gebiete des Romans. Nicht nur daß die Ritter- und Räuberromane der Spieß, Cramer, Vulpius, Schlenkert verschlungen wurden, einen womöglich noch schlimmern Reiz boten die lüsternen Produkte Lafontaines, Langbeins, Althings, auch des talentvollen Jul. von Voß. Während K.' Phil. Moritzens «Anton Reiser» (1785), ein psychol. Roman hohen Ranges, nur eine sehr kleine Leserzahl gewann, jubelt man bis in die höchsten Kreise begeistert dem Romancier der Mode zu, dem geistreich empfindsamen Jean Paul (1763-1823), dessen Ruhm seiner Zeit den der Klassiker weit überholte. Es war ein Ruhm des ¶
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Tags, obgleich er selbst Männer wie Herder blendete: wir vertragen diese formlose, bei einer Fülle genialer Einzelbilder und glänzender witziger Aphorismen doch in ihrer Gesamtheit zusammenhangslose und zerfahrene Schriftstellerei nicht mehr. In Jean Paul lebt der Humor Sternes auf, ein satir., sentimentaler, zerfließender Humor, der sich dann in empfindsamen Reisebeschreibungen von Thümmels «Reise in die mittäglichen Provinzen Frankreichs» (1791) über Seumes «Spaziergang nach Syrakus» [* 20] (1803) bis zu Heines «Harzreise» (1826) fortpflanzte.
Gesündere Kost bieten die bei aller melancholischen Färbung des Humors kräftigern Romane des Ostpreußen Hippel. Der ideale Roman fand einen edeln Vertreter in dem «Hyperion» des unglücklichen Schwaben Hölderlin, dessen poet. Meisterleistung aber doch seine vom antiken Geiste und von Schillers Rhetorik durchtränkten lyrischen Gedichte waren, die ein tiefes, an den Weltschmerz mahnendes Sehnsuchtsleid in festgegossene Rhythmen zwingen. Wie weichlich erscheint dem gegenüber die elegische Lyrik eines Matthisson und Salis, von den behaglichen Tändeleien und Plaudereien verspäteter Anakreontiker wie Joh. Georg Jacobi und Göckingk abgesehen. Im epischen Idyll errang Kosegarten, im Lehrgedicht Tiedge Beachtung.
Die Erkenntnis von der unvergleichlichen Höhe Goethes und Schillers ist zuerst zu voller Klarheit gediehen in dem Brüderpaare Humboldt; der ältere zumal, Wilh. von Humboldt, der spätere große Staatsmann, Ästhetiker und Sprachforscher, hat, durch Verehrung und Freundschaft den beiden Dichtern verbunden, auch als ihr Interpret für ein vertieftes Verständnis ihrer Schöpfungen gesorgt. Der maßvolle geistige Feinschmecker berührte sich in diesem Bemühen zeitweise mit Tendenzen einer Richtung, die in ihrer Neigung zum Umstürzen, in ihrem Haß gegen die Aufklärung an die versunkenen Bestrebungen der Stürmer und Dränger anzuknüpfen schien, mit der Romantik.
Aber diese ist aristokratischer als der Sturm und Drang. Verwirft sie die geschlossene Kunstform, so geschieht es, weil sie für eine möglichst individualistische Ausdrucksweise eintritt, die sie sich nur fragmentarisch, launisch, subjektiv ironisch vorstellen kann. Begeistert die Romantik sich für Freiheit der Persönlichkeit, so ist es doch nicht sowohl die Freiheit des Gemüts oder gar des Verstandes, auf die es ihr ankommt, als vielmehr die Entfesselung der Phantasie; geht sie aus vom Griechentum und von Goethe, so gelangt sie bald im scharfen Gegensatz dazu in eine extreme Vorliebe für das christl. Mittelalter.
Keine klaren, scharfen Formen erstrebt sie, sondern Stimmung, Töne, Farben, so verschwimmend wie möglich: die geheimnisvollen Nachtseiten des Menschen und der Natur sind der Lieblingsstoff der Romantik. Die «mondbeglänzte Zaubernacht» der Kunst wird maßlos über das platte, nüchterne Leben erhoben; eine unklare, ahnungsvolle Sehnsucht, vielleicht in ein unbekanntes Jenseits, das geisterhaft in unser Dasein hereinschimmert, vielleicht in eine schöne, große Vergangenheit, vielleicht in die unserer Kultur verlorene Unschuld der Natur, des Volks, ist geradezu das Leitmotiv der Romantik. Diese Welt- und Kunstanschauung war reich an Verirrungen; trotzdem trug sie durch ihren wunderbaren Stimmungsgehalt nicht nur für die Poesie reiche Frucht; aus ihr erwuchs die Blüte [* 21] der histor. Wissenschaften, aus ihr die staatenbildende Idee des deutschen Kaiserreichs, die späterhin durch ein wundersames Spiel der Gegensätze an die polit. Erben der Aufklärung, an die Liberalen, überging.
Die ältere Romantik, die ihren Hauptsitz in Jena [* 22] und später in Berlin [* 23] aufschlug, hatte ein besonders starkes theoretisches Element an den Brüdern Schlegel. Des großen Jenaer Philosophen Fichte [* 24] Wissenschaftslehre, seine gesteigerte Hochhaltung des Ich spiegelt sich ab in den individualistischen Kunstanschauungen namentlich des jüngern Friedr. Schlegel, während der ältere August Wilhelm, mehr als geschmackvoller Litterarhistoriker, als Virtuos der formalen Technik, zumal der Verskunst, und als Meister der Übersetzung hervorragt: ihm danken wir, daß Shakespeare uns vertraut und lieb ist wie ein deutscher Dichter.
Friedrichs Stärke [* 25] lag in den geistreichen, blendenden, stets aphoristischen Kunstbemerkungen, die er zumal in dem Hauptorgan der ältern Romantik, im «Atheneum» (1798) niederlegte; der erotisch-fragmentarische Roman «Lucinde» (1799),
in dem er einen poet. Haupttrumpf auszuspielen dachte, zeigt, so lärmend er die Emancipation des Fleisches proklamiert, doch nur peinliche künstlerische Impotenz, und es ist schwer zu begreifen, wie diese «Lucinde» einen Ritter an dem jungen Theologen Schleiermacher hat finden können, der im selben Jahre seinerseits die romantische Gefühlsreligion in den berühmten «Reden über die Religion» klar und eindrucksvoll vorträgt. Es gehören weiter zu der Gruppe eine Anzahl geistreicher, vorurteilsfreier Frauen, wie Caroline, zuerst A. W. Schlegels, dann Schellings Gattin, ferner Schelling selbst, der Schöpfer der Identitätsphilosophie, der neben der Persönlichkeit nun auch die Natur im philos.
System zur nachdrücklichen Geltung brachte; die eigentlichen poet. Talente des Kreises aber waren Hardenberg (1772-1801) und Tieck (1773-1853). Jener, ein mystischer Schwärmer von großer lyrischer Begabung, schuf in seinem «Heinrich von Ofterdingen» der Romantik das Symbol der blauen Blume; dieser, ein mehr leichtes als tiefes Talent, arbeitete sich durch allerlei Künstlerromane («Sternbalds Wanderungen», 1798),
Volksbücher, Märchendramen mit mehr oder weniger satir. Tendenzen («Octavian», «Der gestiefelte Kater»),
lyrische Spielereien durch zu seiner Domäne, einer ergiebigen Novellenproduktion, die von phantastischen Anfängen allmählich bis zu einem fast nüchternen, modernen Realismus sich auswächst.
Mit seinen Neigungen zur volkstümlichen und mittelalterlichen deutschen Poesie geriet Tieck bereits in die Strömungen herein, die für die jüngere Romantik besonders charakteristisch sind. Ihr Hauptsitz war Heidelberg, [* 26] wo ihre beiden bedeutendsten poet. Vertreter, der liebenswürdige klarschauende Märker Achim von Arnim und der genial zerrissene Frankfurter Clemens Brentano gemeinsam, Herdersche Ideen fortführend, die Volksliedersammlung «Des Knaben Wunderhorn» anlegten und ihre kurzlebige «Einsiedlerzeitung» herausgaben (1806). Beide Arbeiten waren so recht Ergebnisse der schweren Not der Zeit. Als Deutschland [* 27] hoffnungslos unter dem Joch der Fremdherrschaft ächzt, da steigert sich der Stolz auf die einzig übrigen Ruhmestitel des deutschen Namens, auf die herrliche Litteratur, auf das deutsche Volkstum, die deutsche Vergangenheit. 1808 erschien der vollendete erste Teil des «Faust»; er wird mit einer stürmischen Begeisterung aufgenommen, die Goethes unpolit. Geist schwerlich ganz ¶
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verständlich war; Goethes «Faust» wird geradezu ein geistiges Banner, um das die staatlich zerrissenen Deutschen in Liebe und Stolz sich scharen. Der märkische Baron de la Motte-Fouqué beschwört in Dramen und Romanen mit unermüdlichem Eifer urdeutsche Heldengestalten aus dem Grabe; der junge Schwabe Uhland debütiert mit Romanzen im Tone des Volksliedes; Arnim und Brentano steigen von Erneuerungen älterer deutscher Werke zu eigenen prächtigen Erzählungen auf, die freilich neben gesunden alter- und volkstümlichen Elementen verzerrt spukhafte Partien oft allzu reichlich aufweisen.
Görres schreibt ein Buch über die deutschen Volksbücher; die Brüder Grimm sammeln und erzählen im schlichtesten treuherzigsten Tone ihre «Kinder- und Hausmärchen» (1812). Die gesteigerte Liebe zur deutschen Art stärkt den Willen und die Kraft, [* 29] sie vor dem Fremdling zu schützen. In dem von Franzosen besetzten Berlin hält Fichte 1808 seine zur That treibenden, von patriotischem Feuer durchloderten «Reden an die deutsche Nation»;
Ernst Moritz Arndt schlägt den rechten Ton an für wuchtige volksmäßige Prosapamphlete;
der unglückliche Heinrich von Kleist (1776-1811),
vielleicht unser größter Dramatiker, dazu ein ausgezeichneter knapper Novellist von packender Anschaulichkeit und Belebtheit, geht nicht auf in der süßen romantischen Traumseligkeit seines «Käthchen von Heilbronn»;
er verherrlicht als der Erste die sittliche Macht der Disciplin, die im preuß. Staate lebt, durch seinen «Prinzen von Homburg» [* 30] und weiß in der «Hermannsschlacht», in polit.
Liedern Laute des wildesten Hasses gegen die Vaterlandsfeinde zu finden. Diesem melancholischen Genius, der an dem Elend des Vaterlandes unverstanden mit zu Grunde ging, war es nicht beschieden, die nationale Erhebung zu erleben. Aber sie trat ein: das abgelebte Preußen [* 31] der Aufklärung verjüngt sich durch den Kantschen Pflichtbegriff und die Einkehr in die deutsche Vergangenheit, wie die Romantik sie lehrte;
die leidenschaftlichen, nur etwas zu künstlichen «Geharnischten Sonette» Friedr. Rückerts, die begeisterten Schlachtlieder Arndts, Schenkendorfs, Körners, die Wehrmannslieder des Österreichers Jos. von Collin erklingen zu den Siegen [* 32] der Freiheitskriege.
Höchst betroffen sieht Goethe, wie das aufbäumende Nationalgefühl seines Volks den großen Corsen aus dem Sattel wirft; leider urteilte er richtig, wenn er die polit. Folgen der Befreiungskämpfe nicht eben hoch anschlug. Alles kehrte ermüdet ins alte Gleis zurück. Daß sie die vollkommene Reaktion beförderte, lag völlig im Wesen der Romantik; wie gedieh in ihrer Sphäre die Lust zum kath. Konvertitentum, dem von Friedr. Schlegel bis zu dem begabt tollen Dramatiker Zach. Werner, dem Dichter Luthers, eine Reihe der angesehensten Romantiker anheimfiel! Hallen aus der burschenschaftlichen Bewegung vereinzelte lyrische Klänge des finstern polit. Fanatismus hervor (die Brüder Follen), so bleiben sie doch vorerst ganz isoliert, und die Demagogenhetze, die auf das Wartburgfest und Kotzebues Ermordung antwortete, bringt jede polit. Poesie zu tiefem Schweigen.
Die Zeit der polit. Abspannung, die den Freiheitskriegen folgt, ward eine Epoche ruhiger Sammlung, der Wissenschaft und Kunst nicht ungünstig. Zumal die histor.-philol. Wissenschaften gedeihen in dem durch die Romantik bereiteten Boden zur höchsten Blüte. Das von den Schlegeln angebahnte Sanskritstudium, die von W. von Humboldt geistvoll geförderte Sprachwissenschaft findet bald in Franz Bopp einen bahnbrechenden Meister. Die Wissenschaft der deutschen Sprache [* 33] und Litteratur wird von den Brüdern Grimm so recht aus dem volkstümlich vaterländischen Sinne der Romantik heraus begründet.
Karl Lachmann, der Jugendfreund des romantischen Epikers Ernst Schulze, bringt die philol. Kritik zur höchsten Schärfe und Sicherheit. Aug. Böckh versenkt sich in die klassische Altertumswissenschaft. Savigny wird der Vater der histor. Rechtswissenschaft. Niebuhr macht mit der Kritik der geschichtlichen Überlieferung rücksichtslos Ernst und überholt schnell die mehr kompilatorische Thätigkeit früherer Historiker, wie des in Gelehrsamkeit und Darstellungsgabe hochbedeutenden, aber menschlich schwachen Johannes von Müller. Daß die mystischen Neigungen der Romantik auch in der Wissenschaft hervorbrechen, machte sich minder in den mytholog.
Verirrungen Creuzers und Kannes als vor allem in den wüsten naturphilos. Spekulationen (z. B. von Steffens und Oken) fühlbar, die eine Zeit lang das Gedeihen gesunder Naturwissenschaft geradezu hemmten. Doch auch das währte nicht lange: an den Namen A. von Humboldts knüpft sich auf diesem Gebiete gleichfalls starker Aufschwung in Forschung und schriftstellerischer Gestaltung. Mit reger Teilnahme jeden Fortschritt verfolgend, steht Goethe mitteninne in dieser gewaltigen wissenschaftlichen Entwicklung.
Seine köstliche Selbstbiographie «Dichtung und Wahrheit» (1811 fg.) ist geradezu die erste auf die Quellen geschichtlich eingehende Analyse einer künstlerischen Persönlichkeit und steht damit ebenso wegweisend in den Anfängen unserer Litteraturwissenschaft, wie sie ein Muster ruhiger geschichtlicher Prosa giebt. Nur zur romantischen Philosophie fehlte Goethe ein näheres Verhältnis: wie schon früher Kant, so waren die drei nacheinander an der recht eigentlich aus der patriotischen Erregung der Romantik hervorgewachsenen Universität Berlin regierenden philos. Machthaber Fichte, Schelling, Hegel ihm zu abstrakt, als daß er ihnen tiefere Wirkungen gestattet hätte. Um so stärker wirkten sie auf andere, zumal Hegel, dessen scheinbar fest geschlossenes System trotz seiner äußerst schwierigen Kunstsprache sich weithin unbedingte Anhänger erwarb und dessen dem preuß. Staat auf den Leib geschnittene Staatslehre zeitweilig eine polit. Macht war.
Diesem bis heute fortwirkenden Aufschwung der Wissenschaft steht ein gleichwertiger Fortschritt der Dichtung seit den Freiheitskriegen nicht mehr zur Seite. In den Ausläufern der Romantik, wie dem genialen Stilisten E. T. A. Hoffmann, dessen vielgelesene Erzählungen eine gespenstische Welt mit der nüchternsten Realität in bald verschwimmenden, bald grellen Übergängen verquicken, dominieren die mystisch-phantastischen Ausschreitungen allzusehr über das berechtigt Symbolische hinaus; diese Extravaganzen machen die in Schillerschem Pathos oft höchst effektvoll gedachten Dramen des bizarren Zach. Werner auf der Bühne zumal ungenießbar. Sein bekannter «Vierundzwanzigster Februar» (1809) mit seinen gesuchten Greueln eröffnet die Reihe der eigentlichen Schicksalsdramen, die, halb mißverständlich angelehnt an griech. Muster wie den «König Ödipus» des Sophokles, durch Schillers «Braut von Messina» [* 34] weiter vorbereitet, in den Händen Müllners, Houwalds u. a. bald zur Karikatur ausarteten. Zu dieser Richtung gehörte der Erstling des ¶
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jungen Österreichers Franz Grillparzer (1791-1872), eines lange nur wenig beachteten, erst neuerdings zu voller Würdigung gelangten vornehmen und hohen Dichters, dessen Dramen Goethes seelische Vertiefung mit Kleists realistischer Belebtheit verbinden, charakteristisch sind, aber maßvoll, dabei von keuschem herbem Reize. Mit ihm tritt Österreich [* 36] endlich wieder kräftig in das Leben unserer Litteratur ein. Grillparzers Weltanschauung, der ein stilles zufriedenes Herz das Höchste ist, spiegelt die müde, quietistische, unter dem starken polit. Drucke großgezogene Gleichgültigkeit des damaligen Österreichers bezeichnend wieder.
Gedankenflucht in die zeitliche oder räumliche Ferne ist freilich auch die Signatur des übrigen Deutschlands. Gestattet die Reaktion nicht freie Regungen in der eigenen Heimat, so begeistert man sich für die Freiheit der revolutionierenden Völker hinten weit in der Türkei. [* 37] Dem Philhellenentum kam außer der ehrlichen Sympathie für ein mutiges Volk, das unerträgliche Fesseln brach, der Dank für unendliche Wohlthaten zu gute, den Deutschland dem antiken Griechentum schuldete; selbst der kunstbegeisterte bayr. Kronprinz Ludwig, ein mehr eifriger als glücklicher Poet, der bald als König München [* 38] zu einer Kunststadt ersten Ranges hob, trat für die Freiheit der Hellenen ein, und sie fanden an dem romantischen Sänger der «Griechenlieder» (1821),
dem Dessauer Wilh. Müller, bald einen beredten poet. Anwalt. Aber noch weiter nach Osten ging der poet. Gedankenzug, seit Goethe im «Westöstlichen Diwan» (1819) eigene Weisheit und Liebe in ein vortrefflich passendes orient. Kostüm [* 39] gesteckt hatte. Die unmittelbare Frucht waren Rückerts «Östliche Rosen» (1822) und Platens «Ghaselen» (1821). Der Franke Friedrich Rückert (1788-1866),
ein unendlich reiches und leichtes poet. und formales Talent, leider ohne künstlerische Konzentration und Strenge, hat zwar in seinem «Liebesfrühling» auch schlichte deutsche Lieder von einfacher Schönheit geschaffen, blieb aber doch der Vorliebe für den Osten sein Leben lang treu und steht an der Spitze jener quietistisch epikureischen, dabei träumerisch fatalistischen Lehrpoesie, die über Schefers «Laienbrevier» sich bis zu Bodenstedts «Mirza Schaffy» fortpflanzt; der mannhafte Franke Platen (1796-1835) arbeitet, in jeder Hinsicht ein Schüler Goethes, sich aus orient. Weichlichkeit bald zur strengen klaren Schöne der Antike durch. Populär ist er nie geworden; aber in unermüdlichem künstlerischem Ernst und glühendem Ehrgeiz errang er sich eine edle Pracht der Sprache und des Rhythmus wie kein zweiter deutscher Dichter, und seine glänzenden Litteraturkomödien sind immerhin im Kampfe gegen die triviale Mittelmäßigkeit nicht erfolglos geblieben.
Diese Mittelmäßigkeit lagert sich seit den Freiheitskriegen ganz besonders breit und behaglich nieder in der Gunst des Publikums. Die sprachliche Technik war durch die Klassiker geschaffen; der polit. Druck rückt die Modelitteratur, rückt Leihbibliothek und Theater unverhältnismäßig stark in den Vordergrund der Interessen. Es ist die Zeit der Taschenbücher und Almanache, der ästhetischen Thees, der seichten und geschwätzigen Belletristen. Besonders schlimm ist der Kreis, [* 40] der sich um die von Th. Hell herausgegebene «Dresdener Abendzeitung» schart: außer dem Herausgeber, einem federgewandten Übersetzer schwacher franz. Lustspiele, gehören z. B. Fr. Kind dazu, der Dichter des «Freischütz», Clauren, der Autor vielbeliebter süßlich lüsterner Romane, Weisflog, ein Humorist im Stile E. T. A. Hoffmanns, der seichte, selbstgefällig witzelnde Laun, die fruchtbaren Novellisten Blumenhagen, von Tromlitz und van der Velde.
Wenn das Berliner [* 41] ästhetische Niveau etwas höher stand, so dankte es das nicht Männern wie dem Biographen Varnhagen von Ense, der freilich lange als ein Meister deutscher Prosa galt, nicht dem ästhetischen Kritiker Rellstab, auch nicht dem Herausgeber des sehr achtbaren «Gesellschafters», Friedr. Wilh. Gubitz, sondern in erster Linie dem Einfluß zweier ausgezeichneter Frauen, der geistreichen Jüdin Rahel, Varnhagens Gattin, und der Gattin Arnims, der Schwester Brentanos, der urwüchsig temperamentvollen Bettina: in ihren Zirkeln herrschte ein Goethekultus, der zumal bei Bettina nahezu einen mytholog.
Charakter annahm, aber freilich das unbändig wuchernde Unkraut der Trivialität abwehren half. Ihr Tummelplatz ist und bleibt mit Vorliebe der Roman, dessen sich jetzt auch Damen wie Joh. Schopenhauer, Luise Brachmann, Henriette Hanke in langen Bändereihen annahmen. Wenig hat die Zeit überdauert: wer liest jetzt z. B. noch einen Humoristen wie den verstandesscharfen Benzel-Sternau, wer den jeanpaulisierenden Ernst Wagner, den wüsten Schwaben Waiblinger;
Contessas Novellen sind uns matt, des Ritters von Lang «Hammelburger Reisen» eine uninteressante Satire geworden, auch K. J. Webers «Demokritos» (1832 fg.) spannt unsere Geduld auf die Folter.
Und doch gehören sie alle noch zu den bessern Prosaikern der Zeit. Dauerhafter erwiesen sich Christ. von Schmids fromme Erzählungen (z. B. «Die Ostereier», 1816) und die Novellen Zschokkes, des Verfassers der «Stunden der Andacht» (1809 fg.); auch Pestalozzis pädagogische Bauerngeschichte «Lienhart und Gertrud» findet wohl noch Leser; der Ernst der Gesinnung, der alle drei trägt, ist auch ihren Werken zu gute gekommen. Aber sie sind vereinzelt. Einen nachhaltigen Aufschwung über Clauren und Konsorten bedeutet erst die Einwirkung des historischen Romans Walter Scotts: dem «Lichtenstein» (1826) des jung verstorbenen Schwaben Wilhelm Hauff folgen Spindlers talentvolle, wenn auch schnell gearbeitete Kulturromane und die meisterhaften märkischen Romane von Wilibald Alexis (1798-1871), die künstlerische Freiheit und histor. Treue in so glücklicher Mischung vereinigen, wie sie seitdem nicht wieder gelang.
Mit dem Roman wetteifert das Bühnendrama, das Theater, in der Beliebtheit und der Mittelmäßigkeit. Das ernste Jambendrama, dem die Klassiker den Weg gebahnt, hält sich nicht auf der Höhe; es artet in den Werken des Schwaben Aussenberg und des Bayern E. von Schenk in kalten Pomp aus, der ebensowenig wie die antiken Dramen des Österreichers Collin auf den Brettern Wurzel [* 42] fassen konnte. Das gelang dem maßvollen jüd. Dichter Mich. Beer zeitweilig mit seinem «Paria» (1823),
der schon durch sein glücklich gewähltes sociales Problem fesselte. Das Künstlerdrama, das mit des dän. Romantikers Öhlenschläger «Correggio» einsetzt, später zumal durch Deinhardstein vertreten, auch von Gutzkow und Laube gepflegt wird, ist schon seinen Stoffen nach zu unmittelbarer Wirkung nicht berufen. Karl Immermanns romantische Dramen sind bei reichen Schönheiten eine schwere, spröde Kost, sein gedankenvoller «Merlin» zumal war nur ¶
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als Lesedrama denkbar. Des genialen, aber früh verkommenen Grabbe theatralische Versuche schwanken zwischen holzschnittmäßiger Roheit, bühnenunmöglichen Übertreibungen und grandios wirksamen, gewaltigen Scenen haltlos hin und her. Die Bühne gehört unter diesen Umständen, wo sie ernste Dramen braucht, einem geschickten Fabrikanten, wie dem Braunschweiger Aug. Klingemann, und vor allem dem vielgescholtenen, aber unzweifelhaft talentvollen und bühnenkundigen Dichter des «Hohenstaufen-Cyklus», Ernst Raupach (1784-1852),
der mit «Schillers zehnmal abgebrühter Phrase» lange Jahre hindurch der unbestrittene Beherrscher des Berliner Schauspielhauses im klassicistischen und romantischen Drama war. Minderes Glück hatte er bei seinem Publikum mit den Lustspielen und Possen, in denen er typische [* 43] Figuren (etwa im Stil der Commedia del arte) heimisch zu machen suchte: da war die Konkurrenz der oberflächlich geistreichen Lustspiele des Freiherrn von Steigentesch, sowie der witzigen Berliner Farcen und Singspiele von Jul. von Voß, Albini, Karl Blum, vor allem des lustigen Angely doch zu groß.
Sie alle bringen wie die Hamburger Lebrün und Töpfer in ihren Possen charakteristische Gestalten und kräftige Situationskomik; Gemüt und namentlich Phantasie fehlt dieser norddeutschen Gruppe. Um so schöner und herzerquickender begrüßen uns diese ersten poet. Gaben bei dem naiven Klassiker der Wiener Volksbühne, bei dem liebenswürdigen Ferd. Raimund (1790-1836), der an das ältere Wiener Zauberstück anknüpft, seinen äußerlichen Späßen und Effekten aber einen neuen Gehalt von poet.
Leben, von Wahrheit und Wärme [* 44] zu geben weiß. Dieser große Künstler wird durch Nestroy beim Publikum verdrängt, einen amüsanten, aber kalten und niedrigen Komiker mehr nach der norddeutschen Art. Eine eigene Abart der Volkskomödie bildet die wachsend beliebte mundartliche Dichtung, so die Frankfurter Dialektpossen von Malß, die satir. Bauernstücke der Schwaben Wagner und Weitzmann, Arnolds elsäss. «Pfingstmontag». Die Mundart greift in Lyrik und Epos über bei dem Nürnberger Grübel, dem schweiz. Idyllendichter Usteri, zumal aber in den prächtigen «Alemann. Gedichten» Joh. Peter Hebels (1803), in denen die durch die jüngere Romantik neu belebte Liebe zum einfachen, heimatlichen Volkstum ihren urgesunden schwarzwaldduftigen Ausdruck findet.
Hebel [* 45] steht außerhalb des Kreises, den die Litteraturgeschichte im engern Sinne als Schwäbische Schule kennt; aber er trifft mit ihm zusammen in der volksmäßigen Lyrik. Die schwäb. Dichter, der große, formstrenge Balladensänger Ludwig Uhland (1737-1862) voran, der den Ton des Volksliedes so einzig traf, daß Lieder von ihm Volkslieder geworden sind, wurzeln in der Romantik. Aber der Verkehr mit Volk und Natur beseitigt oder mildert das hyperphantastische Element.
Die Ballade gelingt nach Uhland zumal Gust. Schwab; feinfühliges, schwermütiges Versenken in die Natur zeichnet den träumerischen Gemütsmenschen Justinus Kerner (1786-1862) aus, neben dessen naturgetränkten Liedern Karl Mayers zierliche Naturbildchen kleinlich erscheinen. Ein Spätling erwuchs dieser Gruppe in ihrem Landsmann Eduard Mörike (1804-75), der, in der Formsicherheit Uhland, in der Poesiefülle Kerner am nächsten verwandt, wohl der echteste deutsche Lyriker des 19. Jahrh. ward, aber auch in feingeschliffenen Erzählungen und einem düstern und phantastischen Roman Bedeutendes schuf.
Verwandte Geister traf die romantische Lyrik der Schwaben auch im Norden: [* 46] in dem Dessauer Wilh. Müller (1794-1827), dem Sänger der «Müllerlieder» und der «Winterreise», die Schuberts kongeniale Melodien uns besonders lieb gemacht haben; in dem geborenen Franzosen Adalb. von Chamisso (1781-1838),
dessen spröde Kunst besonders die Ballade pflegte und der im «Schlemihl» (1814) ein echtes ironisch romantisches Phantasiestückchen schuf; vor allem in dem natur- und schönheitstrunkenen Jos. von Eichendorff (1788-1857), dem Dichter des deutschen Waldes und des Wanderns, dem liebenswürdigen Schilderer des thatenlosen holden Träumens. Diese romantische Naturlyrik bedeutet den reinsten und schönsten Ausdruck romantischer Poesie, nach Goethe den Höhepunkt moderner deutscher Lyrik.
Von ihr ging auch Heinrich Heine (1799-1856) aus, ein glänzender Virtuos des Volkstons, wenn er wollte, aber viel zu witzig und selbstgefällig, viel zu beflissen, weltschmerzlich interessant zu erscheinen, zu sehr sittlich angekränkelt, um einem wahren, ehrlichen und reinen Gefühl sich hinzugeben. Trotzdem oder gerade darum fand sein «Buch der Lieder» (1827), das Perlen echter Poesie enthält, aber daneben viel prickelnd pikante ungesunde Kost bringt, ein großes Publikum, nicht zum Heile der deutschen Dichtung.
Die gärenden socialen Elemente, die in der Zeit lagen, waren Goethe nicht entgangen. Schon in den «Wahlverwandtschaften» (1809) beschäftigen ihn ernste gesellschaftliche, in «Wilhelm Meisters Wanderjahren» (1821) wichtige sociale Fragen, und im zweiten Teil des «Faust» (1832) weist er so modern wie möglich von der Idee zum praktisch thätigen Leben hin. Am stirbt er; zwei Jahre vorher hatte die franz. Julirevolution das polit. und geistige Leben Deutschlands in fiebernde Erregung versetzt, in ganz neue Interessen gestürzt.
VII. Periode, von Goethes Tode an. In dieser stehen wir noch heute mitteninne, ihre Entwicklung und ihre Ziele sind heute noch nicht abzusehen. Beherrschende geistige Führer fehlen ihr bisher; charakteristisch scheint für sie, daß in ihr die Poesie gern, doch glücklicherweise nicht ausschließlich zur Dienerin der Tages-, ja der Parteitendenzen herabgewürdigt wird.
Wie sehr durch diese Auffassung aller Dichtung der Stempel der Vergänglichkeit ausgedrückt wird, das lehrt besonders die Vergessenheit, der heutzutage die Schöpfungen des sog. jungen Deutschlands verfallen sind. So heißen nach der Widmung einer Wienbargschen Schrift die litterar. Vorkämpfer des franz. Liberalismus in den dreißiger Jahren. Es ist eine rein norddeutsche Schriftstellergruppe, die im Süden kaum Anklang fand; poet. Geistes bar, voll von Aufklärungstendenzen, die nur ins Politische gewendet sind, läßt sie in der Regel nur die Prosa als des modernen Schriftstellers würdig gelten. Und diese Prosa geht so weit, daß selbst sociale Grundsätze, die sie poetisch verklären möchten, wie der der freien Liebe, der Emancipation des Fleisches bei ihnen in einer so abschreckenden Nüchternheit auftreten, wie sie selbst Schlegels «Lucinde» und zumal Heinses «Ardinghello» keineswegs zur Schau tragen. Heine gehört ins junge Deutschland weniger durch die satir. Reime seiner Pariser Zeit als durch seine frivole, aber espritvolle ¶