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Deutsche. [* 2]
Deutsche. [* 2]
Legion, diejenigen Truppen und Offiziere, welche nach der Besetzung Hannovers durch die Franzosen und nach der Auflösung des hannov. Heers durch die Konvention zu Sulingen (s. d.) entlassen und sofort von England angeworben wurden. Diese Deutsche Legion des Königs unter Befehl des Herzogs von Cambridge bestand fast nur aus Deutschen und zwar meist Hannoveranern; Briten, Franzosen und Italiener durften nicht eingestellt werden. Die Franzosen bedrohten Werber wie Geworbene mit dem Tode und versuchten eine Französisch-Hannoverische Legion zu errichten, doch ohne Erfolg.
Die Deutsche Legion zählte 13322 Mann und 3773 Pferde, [* 3] die in 5 Kavallerieregimenter, 10 Infanteriebataillone und 6 Batterien eingeteilt waren; die in Aussicht genommene Etatsstärke von 18000 Mann ist nie erreicht worden. Als selbständiger Verband [* 4] trat die Legion nirgends im Felde auf, sie war stets abteilungsweise verschiedenen Unternehmungen auf den verschiedensten Schauplätzen zugeteilt, focht aber überall, besonders im Halbinselkriege und bei Belle-Alliance, mit großer Auszeichnung. Ihre Verdienste wurden durch Gnadenbeweise der Regierung anerkannt, und nach der Schlacht von Salamanca erhielten alle Offiziere der Deutsche Legion bleibenden Rang in der brit. Armee. Am wurde sie aufgelöst und als Stammtruppe für das hannov. Heer verwendet. (S. auch Russisch-Deutsche Legion.) -
Vgl. Beamisch, Geschichte der königlichen Deutsche Legion (Hannov. 1832).
Lehrerversammlung, allgemeine, s. Lehrervereine.
Levante-Linie, Schiffahrtsgesellschaft zu Hamburg. [* 5] Schon längere Zeit war in Hamburg der Gedanke erörtert worden, den Verkehr mit der Levante durch direkte Dampfschiffverbindung zu heben; der Plan gewann erst feste Gestalt, als die preuß. Eisenbahnverwaltung sich geneigt zeigte, ihn durch Einführung direkter Eisenbahn- und Seefrachtsätze, unter Gewährung besonderer Ermäßigungen ersterer, zu begünstigen. 1890 wurde die Levante-Linie gegründet, und schon 15. Juni trat der Levantetarif für den Verkehr von Stationen der preuß. und sächs. Staatsbahnen [* 6] nach dem Peiraieus, Syra, Smyrna, Saloniki, [* 7] Konstantinopel, [* 8] Galatz, Küstendže in Kraft. [* 9]
Inzwischen sind andere deutsche Bahnen beigetreten, und der Verkehr ist auf die Binnenstationen der bulgar. und orient. Bahnen sowie die ägypt. Häfen ausgedehnt worden. Seitdem die Flotte von 4 auf 7, auch mit erstklassigen Kajüteneinrichtungen versehene Dampfer vermehrt ist, sind an Stelle der anfangs dreiwöchentlichen Fahrten zwei Kurse, nämlich ein vierzehntägiger nach Peiraieus, Syra, Smyrna, Konstantinopel, Varna, Burgas, Braila, und ein dreiwöchiger nach Malta, Alexandrien, Smyrna, Saloniki, Dedeaghatsch eingerichtet. Die bedeutende Entwicklung des Verkehrs Deutschlands [* 10] mit der Levante in den letzten Jahren ist jedenfalls großenteils auf diese Linie zurückzuführen.
[* 2] Linke, parlamentarische Partei in Österreich, [* 11] s. Vereinigte Deutsche Linke.
[* 2] Litteratur. Von einer Deutsche Litteratur im engern Sinne, d. h. von schriftlich aufgezeichneten poet. oder prosaischen Schöpfungen in deutscher Sprache, [* 12] kann füglich erst die Rede sein seit Karl d. Gr. und der Herrschaft des Christentums: die altgerman. Runen [* 13] (s. d.) dienten Vorzugsweise religiösen, nicht litterar. Zwecken. Von Mund zu Munde und im Gedächtnis pflanzte sich die deutsche Dichtung der heidn. Zeit fort; nur sehr wenige Reste, dazu die Ergebnisse der vergleichenden Poetik, der altdeutsche Wortschatz und die Zeugnisse lat. und griech. Autoren gewähren dürftige Einblicke in das poet. Leben der Vorzeit.
I. Vorlitterarische heidnische Periode (bis etwa 750 n. Chr.). Schon aus der indogerman. Gemeinschaft brachten die Germanen gewisse poet. Stoffe (z. B. die Sage von dem nur an einer Stelle verwundbaren Helden: Achilles-Siegfried, von dem Kampf des Vaters und Sohnes: Ödipus und Laios, Hildebrand und Hadubrand, Rostem und Sohrab), Gattungen (religiöse Aufzüge, [* 14] Rätsel, Zaubersprüche u. a.), Formeln und Formen mit. Die indogerman. Strophe aus zwei Langzeilen (s. d.) wurde germanisch meist verdoppelt, die beiden Hälften der Langzeile durch Allitteration (s. d.) verknüpft.
Allitteration durchdringt bald die ganze german. Sprache. Denn der Priester, in ältester Zeit der Hauptträger von Kunst und Wissenschaft, wendet diese poet. Form auf relig., jurist., mediz. Stoffe gleichmäßig an: alle gehobene formelhafte Rede ist damals poetisch. Religiöse und profane Feiern wurden begangen mit Aufführungen, bei denen Tanz, Dichtung und Musik zusammenwirkten (gotisch laiks, hochdeutsch leich). Die wichtigsten Instrumente waren Harfe und Flöte.
Einen berufsmäßigen Sängerstand in der Art der kelt. Barden (s. d.), der spätern nordischen Skalden (s. d.), gab es bei den Germanen nicht. Aus Taeitus' «Germania» [* 15] wissen wir, daß sie damals (um 100 n. Chr.) kosmogonische und mythische Lieder zu Ehren ihres Stammvaters Tuisto und seines Sohnes Mannus sowie des Hercules (Donar?) sangen; ihre Heldenlieder zum Ruhme des Nationalhelden Arminius klangen vielleicht in der Siegfriedsage fort; Gesänge geleiteten sie zu und aus der Schlacht, wenn auch der berühmte barditus (barritus, s. Barden) eher ein Geheul als eine gesungene Dichtung war.
Als in den Stürmen der Völkerwanderung die Kulturvölker des Altertums der jugendlichen Kraft ¶
der Germanen erlagen, da erwuchs in diesen nationales Selbstgefühl und histor. Bewußtsein. Den poet. Ertrag dieses german. Heldenzeitalters barg die deutsche Heldensage (s. d.). Sie vertritt bei den Germanen die Geschichte; der Historiker der Goten, Jordanis, der der Langobarden, Paulus Diaconus, der der Franken, Gregor von Tours, [* 17] schöpften aus Heldenliedern und Heldensage, die ihre erste Blüte [* 18] bei den Goten, dem begabtesten der damaligen deutschen Stämme, erlebte.
Got. Fürsten, wie Ermanrich und namentlich Theoderich d. Gr., ihre Freunde und Feinde, wie Attila und Odoaker, traten in den Mittelpunkt der Sage, die durch fahrende Sänger in alle Teile Deutschlands getragen wurde. Die nahe Berührung mit der antiken Kultur verlieh den Goten und den mit Unrecht verrufenen Vandalen eine hohe Bildung; ihre Könige dichteten lateinisch und deutsch; ihre Sänger waren so berühmt, daß der Frankenkönig Chlodwig sich von Theoderich einen got. Sänger erbat. Der Bischof der zum arianischen Christentum übergetretenen Westgoten, Vulfila oder Ulfilas (s. d.), setzte zuerst eine deutsche Schrift an die Stelle der Runen; er übertrug die Bibel [* 19] ins Gotische und gab damit den Anstoß zu andern theol. Arbeiten in got. Sprache (skeireins, Kalender). Daß sein Vorgang nicht nachhaltiger wirkte, lag an dem von der orthodoxen röm. Kirche verketzerten Arianismus der Goten, der auch politisch ihr Verhängnis wurde.
Politisch wie geistig erbte ihre führende Stellung der seit Chlodwig (496) orthodox christl. Stamm der Franken. Nicht so genial produktiv wie die Goten, besaßen sie mehr die Gabe der Ausgestaltung. Bei ihnen bildete sich um 600 aus dem frank. Siegfriedmythus durch Verbindung mit der burgund. Gunthersage, mit Elementen der merowing. Geschichte, endlich mit Teilen der got. Sage das bedeutendste Glied [* 20] der deutschen Heldensage, die Nibelungensage, vor der sogar der Sagenkreis Dietrichs von Bern, [* 21] noch mehr die frank.
Sagen von Hug- und Wolfdietrich, von Walther und Hildegunde und die in den Wikingerzügen des 8. Jahrh. aus alten Mythen herausgewachsene Gudrunsage zurücktreten. Verbreitet wurden all diese Sagen oder Sagenkomplexe durch strophische Einzellieder; nur ein einziges, das Hildebrandslied (s. d.) in seiner erhaltenen Gestalt aus dem Ende des 8. Jahrh., ist bruchstückweise auf uns gekommen. In ein anderes Gebiet der ausgehenden heidn. Dichtung gewähren Einblick die aus dem 8. bis 10. Jahrh. erhaltenen Zaubersprüche und Segen, die teils rein heidnisch sind, wie die Merseburger Sprüche, teils oberflächlich christlich übertüncht.
Von all den andern poet. Gattungen der merowing. und früh-karoling. Zeit, von denen Glossen und Zeugnisse melden, den Fest- und Schlacht-, den Braut- und Leichengesängen, den Spott- und Lehrversen, den Rätseln und Gleichnissen, den Hirten- und Schifferliedern, selbst von den gewiß reich vertretenen Liebesliedern (winileot) und Liebesgrüßen ist so gut wie nichts mehr vorhanden, dank dem rücksichtslosen Haß, mit dem die bekehrende christl. Kirche nicht nur alle heidnische, sondern überhaupt alle weltliche Dichtung verfolgte. Sie hat die Sangeslust unsers Volks nicht auf die Dauer hemmen können, aber die Kunde von seiner poet. Vergangenheit hat sie schwer verkümmert.
II. Althochdeutsche Periode (etwa 750-1050). Am Beginn steht die gewaltige Herrschergestalt Karls des Großen. Nicht mit Unrecht hat man ihn den Vater unserer Litteratur genannt. Drei Richtungen, die sich sonst scharf befehdeten, die christliche, die antike und die nationale, vereinte er in seiner Person. In Italien [* 22] mit tiefer Bewunderung für die alte Kultur erfüllt, pflegte er an seinem Hofe zu Aachen [* 23] in einer gelehrten Akademie, der der Angelsachse Alkuin, der Langobarde Paulus Diaconus, der Franke Einhard, der Italiener Petrus von Pisa [* 24] u. a. angehörten, Kunst und Wissenschaft, zumal lat. Dichtung, und ließ durch Alkuin für die Schulbildung von Laien und Klerus, sogar mit Hilfe des Schulzwangs sorgen.
Daneben aber sammelte der german. Volkskönig die alten deutschen Heldenlieder wie die leges barbarorum und arbeitete an einer deutschen Grammatik. Ein frommer Christ, dem die innerliche Bekehrung seines Volks tiefste Herzenssache war, sorgte er durch strenge Erlasse dafür, daß den Deutschen die Hauptlehren des christl. Glaubens auch in deutscher Sprache zugänglich wurden. So veranlaßte er eine nicht unbeträchtliche deutsche Prosalitteratur, deutsche Gebete, Tauf- und Beichtformeln, Katechismusstücke aller Art, aber auch größere theol. Übersetzungen, die zwar meist über schülerhafte Interlinearversionen kaum hinausgingen, aber doch in den sog. Monseer Fragmenten (hg. von Hench, Straßb. 1890), der trefflichen Version des Matthäusevangeliums, eines Traktats Isidors von Sevilla [* 25] (hg. von Hench, Straßb. 1893) und einiger Predigten eine rühmliche Höhe erstiegen.
Der Nordwesten Deutschlands, in dem Karl d. Gr. Hof [* 26] hielt, ist dem Süden damals in freiem, selbständigem Gebrauch der deutschen Prosa entschieden überlegen; auch das im bayr. Kloster Wessobrunn schlecht erhaltene Wessobrunner Gebet (s. Wessobrunn), ein halb allitterierendes, halb prosaisches fragmentarisches Gemisch heidnisch-christl. Formeln, weist durch sächs. Sprachformen nach dem Norden [* 27] hin, der uns damals auch das Hildebrandslied rettete. Dom- und Klosterschulen waren die Heimat jener frommen Litteratur: damals oder im spätern Mittelalter ragten in der Schweiz [* 28] St. Gallen und Reichenau, im Elsaß Murbach und Weißenburg, [* 29] in Bayern [* 30] Freising, [* 31] St. Emmeram und Benediktbeuern, in Österreich Monsee, Melk, Vorau und Millstädt, in Mitteldeutschland Fulda, [* 32] wo Hrabanus Maurus 804-822 lehrte, als Pflegestätten christl. Kultur rühmlich hervor.
Karls borniert bigotter Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme machte sich die nationalen Bestrebungen des großen Vaters nur insofern zu eigen, als sie zugleich der Kirche zu gute kommen mußten. Unter seiner Regierung wurde es der Geistlichkeit klar, daß der verhaßte heidn.-profane Volksgesang durch bloße Verbote nicht beseitigt werden könne. Sie suchte ihn jetzt durch christl. Dichtung zu verdrängen. So entstand um 830 außer anderm Verlorenen das schöne Gedicht eines talentvollen sächs. Geistlichen, der Heliand (s. d.), das sich bewußt und verständnisvoll an den german.-epischen Stil anlehnte und nur statt der gesungenen strophischen Einzellieder ein unstrophisch fortlaufendes recitiertes Epos einführte; so entstand später (um 870) die minder volkstümliche, mit gelehrten Spekulationen und Deutungen überladene Evangelienharmonie unsers ersten mit Namen bekannten Dichters, des Weißenburger Mönches Otfried (s. d.), der zuerst in einem größern Werk die Allitteration durch den aus der christl.-lat. Dichtung geläufigen, aber auch in deutschen Gedichten nicht mehr fremden Endreim ersetzte. Dieser wurde schnell die herrschende poet. Form. Zwar ist das unter Ludwig dem ¶
Deutschen (um 880) aufgezeichnete, aber erheblich ältere interessante Gedicht vom Weltuntergang, das Muspilli (s. d.), das christl. Anschauungen in vielfach heidnischen, wundervoll epischen Formeln schildert, noch fast ganz stabreimend; jedoch zeigen zahlreiche kleinere geistliche Dichtungen, unter denen das schwungvolle, naiv kräftige Ludwigslied (s. d., 881) hervorragt, gereimte Strophen, und spätestens im 10. Jahrh. herrscht der Reim auch im volkstümlich weltlichen Liede, wie St. Galler Verse von einem verwundeten Rieseneber beweisen.
Zu den einseitig und engherzig kirchlichen Bestrebungen Ludwigs des Frommen und seiner Nachfolger bildet einen starken Gegensatz die Litteratur des Zeitalters der Ottonen. Den glänzenden polit. Aufschwung begleitet schnelles Wachstum der weltlichen Bildung und fröhliche, üppige Lebenslust. Aber der deutschen Dichtung kam dieser Wandel nur wenig zu gute. Die Sprache der höfischen Dichtung dieser Jahre war ausschließlich lateinisch, und fast nur aus Zeugnissen wissen wir, daß deutscher Volksgesang sich mit den geschichtlichen Ereignissen der Zeit und mit der Heldensage beschäftigte.
Immerhin drangen damals die Gestalten Ottos mit dem Barte und Herzog Ernsts in das Interesse des Volks; die aus Italien und dem Orient eingeführten sehr weltlichen Schwänke und Novellen, die an den Höfen, zum Teil in der schwierigen ungleichstrophigen Form der Modi (s. d.), lateinisch gesungen wurden, gingen dem Volke ebensowenig verloren, wie die damals aus Indien und Griechenland [* 34] über Rom [* 35] importierten Tierfabeln; andererseits fand in den lat. Hexametern des trotz seiner virgilischen Sprache von echt german. Geiste durchwehten Epos «Waltharius» (s. d.) von dem St. Galler Mönche Eckehart I. (925) die Heldensage auch die Teilnahme der Geistlichen.
Denn auch sie huldigen dem weltlichen Geiste der Epoche unbedenklich; selbst die knappen lat. Prosadramen der kernhaften Gandersheimer Nonne Roswitha behandeln, obgleich sie als christl. Dichtungen den Heiden Terenz verdrängen sollen, höchst anstößige Themata mit unbefangenem Realismus, und die ganze lachende Lebensfülle der Zeit mit ihrer naiven Freude an Glanz und Stoff faßt zusammen das prächtige, farbenreiche lat. Rittergedicht «Ruodlieb» eines Tegernseer Mönches (um 1025). Im 10. Jahrh. erlebte das Kloster St. Gallen seine höchste Blüte.
Von Notker I. Balbulus, dem Geschichtschreiber, Musiker und Sequenzendichter (gest. 912), reicht eine lange Reihe talentvoller lat. Historiker und Dichter, Musiker, Architekten und Maler, Schulmeister und Ärzte bis auf Notker III. Labeo oder Teutonicus (gest. 1022), den fruchtbaren und geschickten Übersetzer und Erklärer christl. und antiker Litteratur, den ersten bedeutenden Prosaiker in deutscher Sprache, den einzigen deutschen Schriftsteller seiner Zeit: er hat zuerst die Muttersprache auf wissenschaftliche Dinge angewendet und den Bedürfnissen abstrakter Darstellung angepaßt.
Diesem freien künstlerischen und wissenschaftlichen Leben in den Klöstern der Ottonenzeit machte die cluniacensische Reform (s. Cluny) ein trübseliges Ende. In Haß gegen Bildung und Weltlust, in ascetischer Disciplin erzogen, sucht die Geistlichkeit des 11. Jahrh. auch in den Laien alle Lebensfreude durch finstere Bußpredigt zu ertöten. Um 1050 dichtete nahe bei St. Gallen ein Notker sein düsteres «Memento mori». Wieder war dieses Strebens unüberwindlicher Feind der Volksgesang, der namentlich in Bayern und Niederdeutschland blühte, und wieder suchte man ihn zu bekämpfen durch geistliche Poesie, natürlich in deutscher Sprache; sie war eine wirksame Ergänzung der damals an Bedeutung wachsenden deutschen Predigt.
III. Mittelhochdeutsche Periode (von der Mitte des 11. bis in die Anfänge des 14. Jahrh.). In ihrem Beginn steht eine lange Zeit fast ausschließlich geistlicher Dichtung; neben ihr tritt die nur spärlich vorhandene geistliche Prosa weit zurück, die in der stilistisch üppigen allegorischen Paraphrase des Hohen Liedes von dem Ebersberger Abt Williram (um 1060) immerhin ein glänzendes Werk aufzuweisen hat, und von weltlicher Poesie ist höchstens das Fragment einer abenteuerlichen poet.
Erdbeschreibung, der «Merigarto» (um 1050) zu nennen. Jene geistliche Dichtung, die namentlich in der Vorauer, der Millstädter und der Straßburg-Molsheimer Handschrift erhalten ist oder war, wirkt im großen und ganzen ermüdend und einförmig, wenn auch örtliche und zeitliche Unterschiede nicht fehlen. Österr. Epen, die um 1070 und später Genesis und Exodus schlicht und ursprünglich erzählen, verraten noch Einfluß des Heldensangs. Auf alamann. Gebiet erwuchs die anmutige geistliche Allegorie von der «Hochzeit». In Franken gedeihen strophische hymnenartige Gesänge, unter denen Ezzos Lied von dem Anegenge (um 1065) den höchsten Rang einnimmt.
Hier und am Niederrhein blüht die Legendendichtung, die auch von Spielleuten geübt (die sog. Ältere Judith u. a.) wurde und in dem fragmentarisch erhaltenen mittelfränk. Legendar um 1125 sogar ein großes Sammelgedicht hervorbrachte. Seit etwa 1100 wirkt die bedeutende franz. Theologie, zumal die Lehren [* 36] Abälards (s. d.) und die encyklopäd. Arbeiten des Fanatikers Honorius von Autun nach Deutschland [* 37] herüber, so auf die neutestamentlichen Dichtungen der Frau Ava (gest. 1127) und aus die wüsten Kompilationen des kärnt.
Priesters Arnold über die Siebenzahl. Es ist dies die erste Etappe franz. Einflusses auf die mittelhochdeutsche Zeit. Mehr und mehr drängt Sündenklage und Bußpredigt alle andern Stoffe zurück. Sie herrscht in dem «Credo» des Armen Hartmann, zeigt in den socialen Betrachtungen der kärnt. Dichtung «Vom Rechte» ihre demokratische Seite und gipfelt in den gewaltigen, derb realistischen Sittengemälden des genialen, rücksichtslos harten Satirikers Heinrich von Melk (um 1160) und des geistesverwandten Zeitgenossen, der das Priesterleben mit kühner Schärfe geißelte. (Vgl. Piper, Die geistliche Dichtung des Mittelalters, in Kürschners «Nationalliteratur», Bd. 3.)
Doch die Freuden der Welt sind stärker als die Drohungen der Kirche, der weltliche Spielmann siegt beim Publikum über den geistlichen Dichter. Die Kreuzzüge, anfangs eine starke Waffe in den Händen der Kirche, schaffen ein internationales Rittertum, für das wiederum Frankreich den Ton angab, und dem die Wunder des Orients eine weltliche Abenteuerlust, seine glühenden Farben, seine üppigen Genüsse eine Freude an sinnlicher Pracht einflößten, die von den alten Idealen des Glaubenskampfes weit abführte; auch die Ideale feinster Sitte, die aus Frankreich nach Deutschland drangen, die Pflege höfischen Minnedienstes, die strenge gesellschaftliche Isolierung des Rittertums stimmte wenig zu den Tendenzen der Kirche. ¶
Aber um nicht den Einfluß zu verlieren, machte die Geistlichkeit jenen weltlichen Neigungen Zugeständnisse. Der Pfaffe Lamprecht schilderte nach franz. Quellen die Wunderfahrten Alexanders d. Gr. (um 1125), der Pfaffe Konrad von Regensburg [* 39] übertrug das franz. Nationalepos, das «Rolandslied» (um 1130). Vom Niederrhein wanderten diese Themata nach Bayern, wo der Welfenhof ein litterar. Centrum bildete. Und wie schon im Anfang des Jahrhunderts die Legende vom heil. Anno im mittelfränk.
«Annolied» in die Beleuchtung [* 40] der Welthistorie gerückt war, brachte derselbe Pfaffe Konrad in Bayern auf Grund niederrhein. Vorarbeiten eine große profane Weltgeschichte in Reimen zu stande, die «Kaiserchronik», deren Hauptreiz die novellistischen Episoden waren (um 1150). Umgekehrt verließen die Spielleute die allzu profanen Stoffe des 10. Jahrh., putzten die Heldensage im König Rother, die histor. Sage im Herzog Ernst im Zeitgeschmack mit Kreuzzugsabenteuern aus und zogen sogar Legenden, wie die von Orendel und Oswalt (um 1190), ungeniert in ihren verwegen übertreibenden burlesken Spielmannston herab.
Ein elsäss. Fahrender, Heinrich der Gleißner, brachte die von niederländ. und franz. Geistlichen satirisch ausgebildete Tiersage (s. d.) in seinem «Reinhart» nach franz. Gedichten zuerst in deutsche Verse (um 1175). So nähern sich im Wettbewerb um die Gunst des ritterlichen Publikums die Geistlichen und die Spielleute einander in der Wahl der Stoffe. Vermittelte doch zwischen den feindlichen Parteien eine Zwittergattung, auch aus Frankreich überkommen, die Vaganten, verlodderte Studenten der Theologie und mißratene Kleriker, die singend und bettelnd durchs Land zogen und eine köstliche, ausgelassene Wander-, Trink- und Liebeslyrik voll heidn. Weltlust in leichtflüssigem Latein schufen (s. Carmina burana). Diesen Kreisen gehörte der geniale Archipoeta (s. d.) an, ihnen entstammte der oratorienhafte «Ludus de Antichristo», die glänzendste Verherrlichung des hohenstaufischen Kaisertums (etwa 1155).
Aber alle diese, Geistliche, Spielleute und Vaganten, traten zurück, als gegen das Ende des 12. Jahrh. der Adel aufhörte bloß Publikum zu sein, und selbst, die Fürsten nicht ausgeschlossen, mit glänzendem Erfolge der Dichtkunst sich widmete. Auch darin waren die nordfranz. Trouvères, die südfranz. Troubadours (s. Französische Litteratur) mit gutem Beispiel vorangegangen. Das deutsche Rittertum stand unter den Staufern auf der Höhe seines Ansehens; dem Kriegsruhm verband sich, ebenso wie in den vorbildlichen franz. Romanen von König Artus (s. d.) und seiner Tafelrunde, elegante gesellschaftliche Bildung und Sitte, deren treueste Wächter, die Frauen, beherrschender Verehrung genossen; die deutsche Dichtung, die sich eine eigene, zwischen den Dialekten vermittelnde Sprache schuf, hat kaum je wieder eine so hohe formelle Vollendung erreicht wie in den Händen dieser Ritter.
Freilich, ihr Horizont [* 41] war eng; nur der ganz konventionelle, aus Frankreich importierte Minnesang (s. d.) und das in erträumten Märchenverhältnissen schwelgende, stilisierte Ritterepos der keltisch-franz. Artusromane galten dem vornehmen Adel als standesgemäß; höchstens verarmte fahrende Adlige, wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach, wagten sich an das Lehrgedicht, den polit. Spruch und schilderten das Leben ausnahmsweise auch einmal mit realistischem Humor, wie es war oder doch sein konnte. In unsern Augen bezeichnen diese Männer, die die Bande des Konventionellen brachen, den Höhepunkt der Periode: aber nie wäre ihre künstlerische Höhe möglich gewesen ohne die virtuose Durchbildung von Form und Geschmack, die damals selbst den adligen Durchschnittspoeten eigen und die doch in Deutschland stets so selten war.
Sie war nicht mit einem Schlage da. Die Anfänge ritterlicher Dichtung, die entzückenden volksliedartigen Gedichte des ältesten österr. Minnesangs (Kürenberg, Dietmar von Aist) und das prächtige, von gesundem Patriotismus zeugende, mitteldeutsche epische Gedicht vom Grafen Rudolf (um 1170) entbehren ihrer noch, entschädigen freilich durch frische Ursprünglichkeit. Auch der hildesheimische Ministeriale Eilhart von Oberge, der zuerst einen franz. Minneroman, das für den höfischen Minnedienst vorbildliche Thema von Tristan und Isolde, verdeutschte, schwankt noch unbeholfen zwischen volkstümlichem und höfischem Stil und ist formell mangelhaft.
Als Vater der höfischen Dichtung galt schon seiner Zeit der Mastrichter Heinrich von Veldeke, auch er ein Norddeutscher, wie denn der franz. Einfluß am stärksten durch die Niederlande [* 42] hereinflutete; aus seiner Lyrik übertrug er die Reinheit der Form und die höfische Minnereflexion in sein berühmtes Epos, die «Eneide» (um 1180). Schnell siegt die neue höfische franz. Richtung auf der ganzen Linie: der vornehme Pfälzer Friedrich von Hausen (gest. 1190), vor allem der Elsässer Reinmar der Alte, der in Wien [* 43] wirkte, treiben die melancholisch zartfühlende, aller Sinnlichkeit bare Modepoesie des höfischen Minnesangs auf den Gipfel blendender, aber unwahrer Virtuosität, und der feinsinnige, aber leidenschaftslose Schwabe Hartmann von Aue übertrug im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrh. Artusromane des humorvoll genialen Nordfranzosen Chrétien de Troyes und andere Vorlagen überaus elegant, aber farblos und mit Verwischung alles Charakteristischen in wunderbar glatte Verse, gewählte Worte und durchsichtige Sätze. Das war der Triumph beschränkt höfischer Kunst.
Der Rückschlag blieb nicht aus. Die bis zur Langenweile überfeinerte Reflexionsdichtung seines Lehrers Reinmar überholte der größte mittelhochdeutsche Lyriker, der Österreicher Walther von der Vogelweide, dem Anregungen des bei aller höfischen Formvollendung heißblütigen Thüringers Heinrich von Morungen zu gute kamen, durch Liebeslieder, in denen sich die geistige und formale Kunstvollendung des höfischen Sanges mit der Kraft, der Frische und dem Humor des Volksliedes paarte; vom wandernden Spielmann, wie der Bayer Spervogel einer war, entnahm er die bis dahin vom Adel verschmähte lehrhafte Spruchpoesie (s. Spruch) und schwang sich in seiner kaisertreuen und papstfeindlichen polit.
Dichtung zum machtvollsten oratorischen Pathos auf. Der Bayer Wolfram von Eschenbach erhob in seinem «Parzival» eine schwache franz. Vorlage durch allerfreieste Erweiterung und Motivierung zu einem grandiosen psychol. Epos, das in seiner Verherrlichung der Ritter des heil. Grals dem konventionell faden und äußerlichen Artusrittertum geradezu den Krieg erklärt und tief sehnsüchtige, selbst ketzerische Mystik mit launiger, naiv rücksichtsloser Ursprünglichkeit der Darstellung vereinigt. Und durch das Verdienst ¶
unbekannter Dichter feiert der Heldengesang, der unter der Oberfläche der Litteratur fortgelebt hatte, jetzt eine ruhmvolle Auferstehung in den Epen von den Nibelungen und von Gudrun, in denen die alten Einzellieder zwar mit Beibehaltung der strophischen Form, aber sonst in freier, dem höfischen Geschmack angepaßter Umdichtung zu einheitlichen Gedichten zusammengefaßt wurden. Die geistigen Mittelpunkte dieser mittelhochdeutschen Blüte waren Walthers Lieblingsaufenthalt, der Hof der Babenberger zu Wien, und der gastfreie Hof Hermanns von Thüringen auf der Wartburg; dem poet. Treiben, das hier herrschte, setzte noch um 1250 ein Festspiel, das sog. Fürstenlob des Wartburgkrieges (s. d.), ein ehrendes Denkmal.
Diese lichteste Höhe der altdeutschen Ritterpoesie fällt ins erste Jahrzehnt des 13. Jahrh. Nur kurze Dauer war ihr beschieden: schon Walther klagt über den Verfall höfischer Zucht und Kunst;
diese klagen nehmen von Jahr zu Jahr zu, und als der vornehme steirische Ministeriale Ulrich von Liechtenstein [* 45] 1255 die Memoiren seines «Frauendienstes» abschloß, da wirkten sie in der veränderten geistigen Atmosphäre schon wie der Traum eines Don Quixote des Minnedienstes.
Der Ritterstand verarmt, während die Städte an Macht und Reichtum gewinnen; die ritterlichen Epigonen bleiben weit hinter den klassischen mittelhochdeutschen Dichtern zurück, und es fehlt dem Adel je länger je mehr an Lust und Geld, um die Kunst durch freigebige Gönnerschaft zu fördern; selbst der ritterliche Fahrende darf es nicht mehr verschmähen, auf den Geschmack von Bürgern und Bauern Rücksicht zu nehmen, wenn er vom Sange leben will. Und diesem demokratischen Zuge der Zeit entspricht es, daß neben dem Adel mehr und mehr bürgerliche, meist auch gelehrte Dichter, die sog. Meister, eine maßgebende Rolle spielen. Am wenigsten im eigentlichen Minnesang.
Ihm dienten in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. noch treffliche adlige Talente, namentlich in Schwaben (Burkart von Hohenfels, Ulrich von Winterstetten, Gottfried von Neifen u. a.), die nur der epigonenhaften Sucht der formellen Verkünstelung sich nicht immer entzogen; daneben freilich regte sich in dem Fahrenden Tannhäuser der alte genial-frivole Geist der lat. Vaganten; und der begabte bayr. Ritter Neidhart von Reuental (um 1220) brachte durch seine Tanzlieder, die sog. höfische Dorfpoesie, welche Liebesabenteuer und Prügeleien der Bauern spöttisch schilderte, den Minnesang auf eine abschüssige Bahn, die zu wüster Verrohung führte, ohne daß seine sentimental-höfischen Züge ganz abwelkten (Steinmar, Hadlaub).
Andererseits wurde die Spruchpoesie, deren einziger namhafter adliger Vertreter nach Walther der wohlmeinende, aber pedantische Reinmar von Zweter (1225-50) war, bald fast ausschließlich von Meistern gepflegt (Marner, Friedrich von Sonnenburg, dem Meißner); die polit. Seite dieser Dichtung verschwand ganz; eine gesunde reale Lebensweisheit vertraten in ihr zumeist ein paar ungelehrte Norddeutsche, voran der wachse Raumsland; dafür wucherte eine anspruchsvolle und doch so dürftige scholastische Gelehrsamkeit, die «Kunst», immer üppiger, bis sie den Doktor der Theologie Heinrich Frauenlob von Meißen [* 46] (gest. 1318) auf einen Gipfel der Selbstüberhebung geführt hatte, von dem der begabte, aber eitle Mann verachtungsvoll auf die Meister der mittelhochdeutschen Blüte hinabsah.
Die eigentliche Lehrdichtung ist nie beim Adel heimisch gewesen. Allerdings hat ein bayr. Ritter, der Winsbeke, und ein fränk. Edelmann, Thomasin von Zerklaere (1215), es nicht verschmäht, höfische Zucht in Reimen zu lehren. Aber der Vortrag der gemein menschlichen, d. h. damals bürgerlichen Lebensweisheit blieb unbestritten in den Händen bürgerlicher Fahrender, die biblische und volkstümliche Lehren sammelten, ohne durch eigene originelle Gedanken glänzen zu wollen: die Zeit schätzte nur das Altüberlieferte und gestattete den Einfällen des Individuums nirgend Raum. So war auch Freidank, der Verfasser der «Bescheidenheit», einer mittelhochdeutschen Laienbibel, lediglich Sammler, aber seine Wirkung litt nicht darunter; das redselige Lehrgedicht des Bamberger Schulmeisters Hugo von Trimberg (um 1300),
«Der Renner», plünderte ihn stark, und noch in Sebastian Brants «Narrenschiff» zeigen sich seine Spuren.
Selbst dem Artusromane, dieser eigentlichen Domäne adliger Dichtung, blieben die Meister nicht ganz fern. Schon Gottfried von Straßburg, [* 47] ein blendendes Stiltalent, des tiefsinnig grübelnden Wolfram oberflächlicher Antipode, der der schwülen Sinnlichkeit seines Themas von «Tristan und Isolde» ganz anders gerecht wurde als sein Vorgänger Eilhart von Oberge, war Meister. Immerhin blieben die Adligen Beherrscher der Gattung. Das Ritterepos trieb in den Händen einiger begabten Epigonen noch ein paar freundliche Blüten, den «Wigalois» des Franken Wirnt von Grafenberg, das liebliche Gedicht von der Kinderliebe «Flores und Blanscheflurs» von dem Schweizer Konrad Fleck u. a.; aber es mußte welken mit der ritterlichen Weltanschauung selbst.
Als man nicht mehr an den wunderbaren Beruf des Ritters glaubte, wurden diese Romane langweilig. Freilich herrschte noch lange fruchtbare Produktion: unvollendete Epen der Blütezeit wurden fortgesetzt (Ulrich von Türheim, Heinrich von Freiberg); [* 48]
man suchte die alten den Franzosen nacherzählten Abenteuer durch geistlose, wüste Neuerfindungen zu überbieten (Heinrich von dem Türlin, der bayr. Fahrende Pleier, Konrad von Stoffel u. s. w.);
auf Wolframs Pfaden gehend, schwellte ein gewisser Albrecht mit großem Erfolg die Titurellieder des Meisters zu einem ungeheuern strophischen Epos voll ultramontaner Mystik und langweiliger Pracht, dem «Jüngern Titurel», auf (1275), das lange für Wolframs Werk galt.
Aber all das konnte die erstorbene Dichtung auf die Dauer nicht neu beleben.
Die Legendendichtung fand wieder ein großes Publikum. Hatte früher Konrad von Fußesbrunnen sein Gedicht von der Kindheit Jesu höfisch aufputzen müssen, um Beifall zu finden, so hörte man jetzt große Epen von den Wunderthaten und Martern des heil. Georg und der heil. Martina geduldig an, und im Deutschordenslande, das damals auch durch histor. Dichtung sich auszeichnete, entstanden um 1300 umfängliche poet. Legendensammlungen, das «Passional» und das «Buch der Väter». Legenden und sagenhaft histor. Stoffe (von Alexander, dem Trojanischen Krieg u. ähnl.) bevorzugten auch die beiden letzten bedeutenden Epiker der Zeit, beide sehr fruchtbar, der Schweizer Ritter Rudolf von Ems [* 49] (um 1250) und der bürgerliche Konrad von Würzburg [* 50] (gest. 1287); jener, ein vornehmer anmutiger Erzähler, hat durch seine unvollendete Weltchronik zuerst die genauere Kunde des Alten ¶
Testaments unter die Ungelehrten getragen; dieser, ein ernst strebender Dichter, der die Kunst des mittelhochdeutschen Versbaues auf die höchste Stufe überfeiner Vervollkommnung steigerte, lieferte wahre Musterstücke der Reimnovelle, die mehr und mehr das Erbe des Reimromans antrat. Zahllose ernste und spaßige, moralische und schlüpfrige Geschichtchen, Anekdoten, Schwänke u. s. w. wurden in glatten Versen und flotter Erzählung unter dem stoffhungrigen Publikum verbreitet, so manche schon darunter, denen später Boccaccio einen Platz in der Weltlitteratur verschaffte.
Ein besonders fruchtbarer Dichter dieser kleinen Gattung war der in Österreich vagierende Stricker, der durch seine «Bîspel», Gleichnisse und Tierfabeln mit lehrhafter Tendenz, schon der berühmten Fabelsammlung des Berner Mönches Ulrich Boner, dem «Edelstein», voranging. Die Bayern und Österreicher übertreffen auch in dieser Zeit die andern Landschaften durch lebensvollen gesunden Realismus: keine einzige der zahllosen mittelhochdeutschen Novellen kann sich an kulturhistor. und poet.
Wert mit der entzückenden bayr. Dorfgeschichte «Meier Helmbrecht» von Wernher dem Gärtner messen. In dem unbekannten Verfasser der Seifried Helbling beigelegten Spruchgedichte erstand der Heimat Heinrichs von Melk wieder ein bedeutender Satiriker, und die Reimchronik des Steiermärkers Ottokar zeichnet sich vor der Überfülle damaliger Reimchroniken durch farbenreiches, lebenswahres Detail glänzend aus. Dem Heldengesange, der wieder unmodern geworden war, gedieh diese realistische Richtung freilich nicht zum Frommen: die Thaten Biterolfs und Dietleibs, Ortnits und Wolfdietrichs u. a., vor allem die unerschöpflichen Riesen-, Zwerg- und Heldenkämpfe Dietrichs von Bern werden aus dem mächtigen Pathos des alten Heldengesangs zu einem unwürdigen Bänkelsängerton erniedrigt, der mit dem landläufigen Ritterroman in der Gleichgültigkeit gegen seelische Probleme, der Vorliebe für das Abenteuerliche wetteiferte und die ehrfurchtgebietenden Heldengestalten oft genug zu trivialster Spaßhaftigkeit herabzog.
Niederdeutschland hatte seit Heinrich von Veldeke kaum teil genommen an der Entwicklung deutscher Poesie. Wer dort dichtete, mußte die angestammte Mundart mindestens in den mitteldeutschen Dialekt umwandeln, um über den engsten Kreis [* 52] der Heimat hinaus bekannt zu werden; so schon Eilhart von Oberge, so später der sächs. Spruchdichter Raumsland, der Magdeburger Patricier Bruno von Schönebek, der Dichter eines Hohen Liedes (1276), so selbst der Lyriker Fürst Wizlav von Rügen.
Um so maßgebender wurde der niederdeutsche Norden für die Geschichte der deutschen Prosa. Hier verfaßte schon 1230 der Schöffe Eike von Repkow das erste Rechtsbuch, den «Sachsenspiegel» (s. d.), der durch seinen ungeheuern Erfolg für die Geschichte des deutschen Rechts, ja für die innere staatliche Entwicklung Deutschlands die überraschendste Bedeutung gewann; hier wurde etwa gleichzeitig das erste prosaische Geschichtswerk, die sogenannte sächs. Weltchronik, niederdeutsch verfaßt. Langsamer folgte der Süden, der gewohnt war, alles gehobene Deutsch in Reime zu kleiden. Aber auch er besaß schon im 13. Jahrh. eine reiche Predigtlitteratur, unter der die unwiderstehlich hinreißenden Volkspredigten des genialen Franziskaners Berthold von Regensburg (gest. 1272) obenan stehen. Im Gegensatz zu dieser demagogischen Beredsamkeit, die damals zuerst als eine Macht erkannt wurde, trägt ein aristokratisches Gepräge die edle, innerliche Prosa des Dominikaners und Mystikers Meister Eckhart (gest. 1327); auch andere Mystiker schrieben deutsch; in Susos Schriften lebte die schwärmerische Sprache des Minnesangs, aufs Göttliche angewendet, noch einmal auf. Diese oberrhein. Mystik zieht den Rhein abwärts; ihr dankt das noch heute viel gelesene Buch des Thomas a Kempis «Von der Nachfolge Christi» die Entstehung (1380).
IV. Frühneuhochdeutsche Periode (vom Anfang des 14. bis in den Anfang des 17. Jahrh.). Mit den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrh. ist die adlige Dichtung völlig überwunden; die tirolischen Spätlinge der Minnelyrik, der steife lehrhafte Hugo von Montfort (gest. 1423) und der fratzenhaft abenteuerliche Oswald von Wolkenstein (gest. 1445) sind Ausnahmen, und von dem alten Minnesang sind doch auch sie weit entfernt. Es giebt keine Kunstpoesie mehr, die, auf einen höchsten Stand beschränkt, sich von der Volksdichtung sondert; die höfische temperierte Sprache versinkt in den nur durch Schreibertraditionen modifizierten Mundarten; diese machen sich in den Dichtungen jetzt kaum minder fühlbar, als in den Urkunden, die seit 1300 immer häufiger deutsch abgefaßt werden.
Das Volk dominiert um so ausschließlicher, als der weltliche Gelehrtenstand, die Vorstufe der heutigen «Gebildeten», eben erst mit dem Aufkommen der Universitäten sich heranzubilden begann. Harte materielle Interessen überwiegen; das ideale Streben der Zeit gilt vorwiegend der kirchlichen Reformation, wie denn das Konzil von Konstanz, [* 53] die Hussitenkämpfe eine große Menge satir. Verse hervorriefen (z. B. «Des Teufels Netz»). Die Dichtung verroht unaufhaltsam.
Der stets aristokratische Sinn für Form geht dieser Zeit demokratischen Ringens der Städte und Bauern verloren. Das Publikum verlangt nur hungrig und wenig wählerisch nach derbem Unterhaltungsstoff. Selbst die bürgerliche Lehrdichtung, noch mehr die Ausläufer der Minnepoesie bedürfen mindestens einer stofflichen Einkleidung: von den Schachgedichten Heinrichs von Beringen, Konrads von Ammenhausen, den minniglichen Jagdgedichten des verdienstlichen Ritters Hadamar von Laber (um 1340) u. a. bis zu Brants «Narrenschiff» und Murners «Gäuchmatt» kann kein Lehrgedicht des allegorischen Aufputzes entbehren.
Die kurze Novelle, der zotige Schwank sind die Lieblinge des Publikums, selbst die Predigt muß sich mit Geschichten (Predigtmärlein) und derben Allegorien (Geiler von Kaisersberg) beladen, und Novellensammlungen, wie die «Gesta Romanorum», das «Buch von den 7 Meistern», das Hans der Büheler in seinem «Diocletian» (1412) reimte, werden in Versen und in Prosa die gesuchteste Lektüre. Von den alten Ritterfesten und -Tugenden spricht zumeist die ganz äußerliche Wappen- und Heroldsdichtung, deren Hauptvertreter Suchenwirt ist und die schnell zur Pritschmeisterei herabsinkt.
Der Heldengesang, der in «Heldenbüchern» gesammelt wurde, verfällt immer mehr in rohe Bänkelsängerei, soweit er nicht das Alte einfach nachspricht. An die oft geistreichen und bedeutenden Sprüche der wandernden Berufsdichter des 13. Jahrh. erinnert höchstens noch der vortreffliche, Frauenlob an Klarheit der Gedanken überlegene, an Reichtum vergleichbare Muskatblüt (um 1430); sonst ist die Spruchpoesie fast durchweg zum öden Meistergesang (s. d.) verknöchert. Seit der Schmied Regenbogen ¶