Deutsche Gesellschaft zur Beförderung etc. - Deutsche Handelsmarine
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Erfindungen, die fortwährende
Kontrolle der jeweils üblichen Materialien, die allmähliche erfahrungsgemäße
Begründung
einheitlicher, sicherer Methoden und Materialien für die verschiedenen Zweige der Malerei, die unentgeltliche Erteilung
von Auskünften sowie
die Hebung und Förderung aller den technischen
Teil der Malerei betreffenden Bestrebungen und Angelegenheiten.
Erster
VorsitzenderFranz vonLenbach; Sekretär
[* 2] Chemiker
Keim in Grünwald bei
München.
[* 3]
[* 4]GesellschaftzurRettungSchiffbrüchiger, hat sich die allseitige
Beförderung des Rettungswesens an den
deutschen
Küsten der Nord- und Ostsee zur
Aufgabe gemacht. Sie hatte (März 1894) 117 Rettungsstationen, darunter 68 an der
Ostsee, 49 an der Nordsee; 49 dieser
Stationen sind Doppelstationen, ausgerüstet mit
Rettungsboot und
dem
Raketenapparat (s. d.), 52 sind nur
Boots-, 16 nur Raketenstationen. Die Zahl der Geretteten betrug bis 2108.
Die Gesellschaft wurde als nationales
Institut nach langen Bemühungen, die besonders von
Bremen
[* 6] und dem kleinen Weserhafen
Vegesack ausgingen, zu Kiel
[* 7] vorläufig gegründet und konstituierte sich endgültig zu
Hamburg
[* 8] Sie vereinigte
in sich die im Anfange der sechziger Jahre gegründeten einzelnen Rettungsvereine, übernahm in der Folge auch die bereits
seit 1860 von der preuß. Regierung an der Ostsee eingerichteten Rettungsstationen, sodaß
sie gegenwärtig die gesamte organisierte Rettungsthätigkeit an den deutschen Seeküsten leitet.
Der in
Bremen befindliche Centralvorstand ist an die
Beschlüsse einer jährlich zu berufenden Versammlung des Gesellschaftsausschusses
gebunden, die besondere
Verwaltung der
Stationen erfolgt durch die Küstenbezirksvereine. Diese sowie die Binnenbezirksvereine,
zusammen 59, und 290 über ganz
Deutschland
[* 9] zerstreute sog. Vertreterschaften bemühen sich auch, die
für die Zwecke der Gesellschaft erforderlichen Geldmittel aufzubringen. Ordentliche Mitglieder zählt die Gesellschaft annähernd 50000 mit
einem regelmäßigen Jahresbeitrage von insgesamt etwa 145000 M. An außerordentlichen Zuwendungen, wie sog.
Stifterbeiträgen (von 75
M. an aufwärts), Vermächtnissen u. s. w. fließen der Gesellschaft jährlich 70-80000
M. zu.Darin enthalten sind die Erträgnisse der Sammelbüchsen mit etwa 25000 M. Das Ausgabebudget beläuft
sich jetzt auf 190-200000 M. jährlich.
Für die Rettung von Menschenleben aus Seegefahr sowie für besondere Verdienste um das Rettungswesen verteilt die Gesellschaft
Belohnungen, bestehend in Geldgaben, Ehrenmedaillen und Ehrendiplomen.
Protektor der Gesellschaft ist
Kaiser Wilhelm II.,
Ehrenpräsident Prinz
Heinrich von
Preußen,
[* 10]
Vorsitzender (vom Bestehen der Gesellschaft an) Konsul H. H. Meier-Bremen. Veröffentlichungen:
«Von den
Küsten und aus See» (Vierteljahrsschrift,Brem. 1871 fg.);
«Festschrift zur 25. Wiederkehr des Gründungstages» (ebd.
1890), beides im Selbstverlag der Gesellschaft. (S. Rettungswesen zur See.)
[* 4]Goethe-Gesellschaft (offiziell nur
Goethe-Gesellschaft). Die Deutsche Goethe-Gesellschaft konstituierte sich zu
Weimar
[* 11] unter dem Protektorat des
Großherzogs von
Sachsen;
[* 12] die Mitgliederzahl betrug Ende 1893: 2869, das Vermögen in
demselben
Jahre 46874 M. Zweck der Deutsche Goethe-Gesellschaft ist die Pflege der mit
GoethesNamen verknüpften Litteratur und die
Vereinigung der auf diesem
Gebiete sich bewegenden Forschung.
Ihre Thätigkeit lehnt sich an das
Goethe-Archiv (s. d.) zu
Weimar, an
das ebenda bestehende
Goethe-National-Museum (Direktor
Geh.
Hofrat Ruland), gebildet aus den dem
LandeWeimar angefallenen Kunstsammlungen
des Dichters in seinem ehemaligen Hause, an das weimarische
Theater,
[* 13] das für die Inscenierung Goethescher
Dramen zu Hilfe
kommt, und an eine
Goethe-Bibliothek, deren möglichste Vervollständigung die Gesellschaft anstrebt.
Das von ProfessorL.Geiger zu
Berlin
[* 14] herausgegebene «Goethe-Jahrbuch» (Bd.
1-15, Frankf. a. M. 1880-94) dient der Gesellschaft als regelmäßiges Organ ihrer Mitteilungen.
Die Mitglieder vereinigen sich um die Pfingstzeit jeden Jahres in
Weimar, dem ständigen Sitze der Deutsche Goethe-Gesellschaft, auf einer Generalversammlung
zu Vorträgen, Theateraufführungen und geschäftlichen Abmachungen. Für den Jahresbeitrag von 10 M.
erhalten sie das «Goethe-Jahrbuch» und die besondern
«Schriften der
Goethe-Gesellschaft» (bisher 8 Bde., darunter ein
Heft mit 22 Goetheschen Handzeichnungen; der Briefwechsel von
GoethesMutter mit ihrem Sohn, der Herzogin
Anna Amalia u. s. w.).
Vorsitzender des von 11 Mitgliedern gebildeten Vorstandes ist Reichsgerichtspräsident
a. D. Dr. von Simson
zu
Berlin,
Vorsitzender des aus 12 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden
AusschussesGeh.
Hofrat Dr. Ruland zu
Weimar. Die
Deutsche Goethe-Gesellschaft ist verbündet mit dem unter Professor Schröer errichteten
Goethe-Verein zu
Wien
[* 15] und der durch Professor
MaxMüller zu
London
[* 16] errichteten
Goethe-Gesellschaft.
[* 4]Grundkreditbank in Gotha,
[* 17] konzessionierte
Bank. Ihr Aktienkapital beträgt 15 Mill. M.; doch sind
davon nur 7500000 M. voll, der Rest nur mit 40 Proz., im ganzen also 10500000 M. eingezahlt. Die
Bank begab 1869 (18 Mill. M.) und 1871 (30 Mill. M.) 5prozentige Prämienpfandbriefe und fspäter noch andere Pfandbriefe
ohne Prämienverlosung. Das Reichsgesetz vom verhinderte sie mit der Begebung von Prämienpfandbriefen fortzufahren;
sie gab aber zu 110 Proz. rückzahlbare aus.
Als dann in den folgenden Jahren ein starkes Sinken des Zinsfußes eintrat, fand sich die
Bank außer stande, ihren Pfandbriefen
(mit oder ohne Prämie) die zugesicherte Verzinsung zu leisten. Die sachsen-coburg-gothaische Regierung
kam der
Bank darauf mit dem Gesetz vom zu Hilfe. Die Verlosungspläne der Pfandbriefe blieben unverändert; die
Verzinsung wurde aber vom auf 3 ½ Proz. herabgesetzt. Hierdurch erzielte man eine
«Sanierung» der
Bank. Die Rentabilität der
Aktien ist gewesen 1870-82: 8 ¼, 9, 9 ½, 8, 9, 8, 8, 8,
6, 5, 5 ½, 4, 4 Proz;
1883-90 = 0 Proz.;
1891 und 1892 3 ½ Proz. Während die
Bank 1884 eine
Unterbilanz von 5 Mill. M.
aufwies, verfügt sie jetzt wieder über das volle Aktienkapital von 10 ½ Mill. M. und besitzt eine
Reserve von 21,8 Proz. des Aktienkapitals.
Auch hat sie 1891 ihre Emissionsthätigkeit mit
Ausgabe von 4prozentigen pari rückzahlbaren
Pfandbriefen wieder aufgenommen. Seit 1885 besitzt die
Bank keine Bauterrains mehr.
Handelsmarine, s.
Deutschland^[= und Deutsches Reich, an Flächeninhalt der viertgrößte und an Einwohnerzahl der zweitgrößte ...] und
Deutsches Reich,
Verkehrswesen.
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Karten, im Gegensatz zu den französischen solche Spielkarten (s. d.), mit denen die urdeutschen Kartenspiele,
wie Schafkopf, Skat u. s. w. gespielt werden.
Kolonien wurden in der Mitte der achtziger Jahre dieses Jahrhunderts in Afrika
[* 19] und in der Südsee gegründet.
Das seit 1870 erstarkte Nationalgefühl, welches in zahlreichen neuentstandenen Kolonialvereinen zum Ausdruck
kam, verlangte nach Entfaltung deutscher Macht in überseeischen Ländern, nach dem Schutz der bestehenden oder zu gründenden
Handelsniederlassungen durch die eigene Regierung, um unabhängig von engl. Verwaltung und Bevormundung zu werden und um erweiterte
Absatzgebiete für die heimische Industrie zu gewinnen.
unmittelbar darauf folgte die
kühne Expedition Dr. Peters' nach Ostafrika;
den Schluß bildeten die Flaggenhissungen in Oceanien im Namen von deutschen Handelscompagnien.
Kamerun und Togo wurden von der Reichsregierung sofort in eigene Verwaltung genommen. Die übrigen Kolonien,
durch kaiserl. Schutzbriefe international sicher gestellt, versuchten zuerst unter der Administration großer Korporationen
selbständig sich zu entwickeln; allein bei dem allmählich eintretenden Bedürfnis von bedeutendern Macht- und Geldmitteln,
als der Gesellschaft zur Verfügung standen, ergab sich die Notwendigkeit, daß auch hier das Reich die
polit. Leitung übernahm. Mit 1890 war diese Übergangsperiode bei sämtlichen Deutsche Kolonien abgeschlossen.
Doch wurde für das Schutzgebiet der Neuguinea-Compagnie in der Südsee 1892 wieder das frühere Verhältnis hergestellt,
indem die Gesellschaft aufs neue auch die Ausübung der Landeshoheit übernahm.
Die Grundlage für die Verfassung der Deutsche Kolonien bildet das Reichsgesetz vom «Die
Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete» betreffend, das aber durch das Gesetz vom erheblich abgeändert
wurde. Anfangs war der Kaiser allein berechtigt, über Einnahmen und Ausgaben in den Schutzgebieten zu verfügen. Doch die
zunehmende Bedeutung derselben und der wachsende Umfang ihrer Finanzverwaltung führten die Regierung
zu dem Entschluß, den Haushalt der Kolonien durch Gesetz zu bestimmen. So kam ein Reichsgesetz zu stande, wonach
alle Einnahmen und Ausgaben der deutsch-afrik. Schutzgebiete für jedes Jahr veranschlagt und auf den Etat der Schutzgebiete
gebracht werden müssen und wonach über die Verwendung der Einnahmen dem Reichstag jährlich Rechnung
abzulegen ist. Für Ostafrika gilt dies Gesetz seit 1894. Auf die Schutzgebiete in der Südsee findet es seine Anwendung,
da deren Verwaltungskosten allein von den Kolonialgesellschaften zu bestreiten sind.
[* 4] Kolonisation in Posen
[* 22] und Westpreußen,
[* 23] s. Ansiedelung. ^[= Neugründung einer menschlichen Wohnstätte außerhalb einer im Zusammenhange gebauten Ortschaft. ...]
Kunst, die vom deutschen Volke seit dessen staatlicher Einigung aus verschiedenen Stämmen zu einem nationalen
Reiche hervorgebrachte Kunst. Sie beginnt demnach mit der Regierung der sächs.
Kaiser im 10. Jahrh. und entfaltet sich nach langem Brachliegen unter diesen und ihren
Nachfolgern schnell und kräftig zu selbständiger Größe. (Hierzu die Tafeln: Deutsche Kunst I-VIII. - Taf. I-III: Baukunst.
[* 195] Taf. IV-V: Bildnerei. Taf. VI-VIII: Malerei.)
I. Die Baukunst entwickelte sich aus der Altchristlichen Kunst (s. d.)
zunächst in den Werken KaiserKarls d. Gr. Das Münster zu Aachen (s. Taf. I,
[* 138]
Fig. 4-6) zeigt die Übertragung der frühchristl.
Kuppelanlagen auf deutschen Boden in höchster Vollendung. Verwandt sind die Kirchen zu Ottmarsheim im Elsaß und zu Essen.
[* 196] Aus diesen Anfängen entwickelte sich selbständig in Deutschland der RomanischeStil (s. d.) und zwar zunächst
an kleinern Klosterbauten des 10. Jahrh.; Reichenau am Bodensee mit den Kirchen zu Ober-, Unter- und Mittelzell, der Krypta
von Konstanz
[* 197] und Füssen bilden den einen Ausgangspunkt, Quedlinburg
[* 198] mit der dortigen Wipertikirche, Gandersheim und Gernrode
(961 erbaut) einen zweiten, Corvei und Paderborn
[* 199] weitere.
Die Formen dieser Bauten sind streng und schwer, über Bedürfnis massiv, die antiken Anklänge wiegen
noch vor. Freier schon gestaltete sich die Baukunst des 11. Jahrh. zunächst in Niedersachsen. BischofBernward (s. d.) begann
seine großartige Bauthätigkeit mit der Michaelskirche zu Hildesheim
[* 200] (1033 geweiht), einer flachgedeckten Basilika.
[* 201] Großartige
Basiliken schließen sich diesem Bau an (Dom zu Hildesheim, 1061 geweiht; Abteikirche zu Gandersheim; Kaiserdom
zu Goslar, 1050 geweiht und 1817 abgebrochen: Schloßkirche zu Quedlinburg, 1070-1129 u. a.). Doch führte man auch das System
der reinen Säulenbasilika in fein abgewogenem Aufbau nach dem Norden
[* 202] über (St. Moritzkirche zu Hildesheim, zweite Hälfte
des 11. Jahrh.; Klosterkirche zu Hersfeld,
[* 203] 1038-1144; die Dome zu Minden,
[* 204] Bremen, Paderborn). Am Rhein,
namentlich im Sprengel der hochstrebenden Erzbischöfe von Köln,
[* 205] suchte man den Centralbau mit der Basilika zu vereinen, indem
man zuerst bei Sta. Maria im Kapitol zu Köln (1049 geweiht) an eine Vierung mit drei mächtigen halbkreisförmigen, abgeschlossenen
Kreuzflügeln als vierten ein basilikales Langhaus anlegte und somit eine großartige Raumentfaltung
auf Grund eines hochentwickelten Wölbsystems erhielt. Die großen rheinischen und mainischen Kirchen aber zeigen alle die
Basilikaform mit kräftigem Querschiff; so die gewaltigen Dome von Mainz
[* 206]
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(1016 geweiht), Speyer
[* 208] (1030 gestiftet) und Worms
[* 209] (1036 geweiht), welche in späterer Zeit eingewölbt wurden, die Klosterkirchen
zu Limburg an der Hardt, die Dome zu Würzburg,
[* 210] Konstanz u. a.
Während allen diesen Bauten des 11. Jahrh. noch eine gewisse Befangenheit im Detail, wie in der Technik anhaftet, erlangte
der romanische Stil in Deutschland seine höchste Blüte
[* 211] im 12. Jahrh. in der Zeit der durch die Kreuzzüge
hervorgerufenen religiösen Begeisterung. Die Einwölbung der Basiliken wird nun zur Regel, das System des roman. Kirchenbaues
gelangt zu seiner vollendetsten Ausbildung, und zwar geschieht dies mit gewissen provinziellen Verschiedenheiten in fast
allen Teilen des damaligen Deutschland.
Die Führung übernehmen die Rheinlande, in welchen die großen Dome von Worms, Mainz und Speyer nun ihrer Vollendung entgegen
gingen, in Köln das dort an Sta. Maria im Kapitol ausgebildete System der halbkreisförmigen Endung der Querschiffe in St.
Aposteln und Groß St. Martin, aber auch die völlig entwickelte Centralanlage in dem ovalen Kuppelbau
von St. Gereon (1219-27) großartige Entfaltung erhielten. Die Zahl der stattlichen, namentlich auch im Detail und der Gruppierung
reichen Kirchen mehrt sich derart, daß es unmöglich wird, die Bauten hier einzeln aufzuführen.
Hervorzuheben ist jedoch der 1235 geweihte Dom zu Limburg a. d. Lahn mit 7 Türmen (s. Taf. I,
[* 207]
Fig. 7 u. 8).
Strenger und derber zeigen sich die Bauten Westfalens, sowohl hinsichtlich des Schmuckes als der malerischen Anordnung in Aufriß
und Grundriß. Die Dome zu Soest,
[* 212] Osnabrück,
[* 213] Münster und Paderborn, obgleich stattliche Bauwerke, erheben sich doch nicht zur
Wirkung der rhein. Anlagen. Interessant sind die sächs. Schöpfungen, die Klosterkirchen
zu Paulinzelle, Hamersleben, Wechselburg, Riddagshausen, die Dome zu Braunschweig
[* 214] (1194), Naumburg,
[* 215] Königslutter, Arnstadt,
[* 216] die
Godehardskirche zu Hildesheim (1133-72) u. a., in denen noch vielfach Säulen
[* 217] die Schiffe
[* 218] trennen, die Überdeckung eine flache,
erst später durch Gewölbe
[* 219] verdrängte ist.
Hier zeigen sich zuerst reichere Chorentwicklungen, die den Einfluß der burgundischen Bauschule und des
Cistercienserordens erkennen lassen, indem einerseits Kapellenkränze an die Chorumgänge gelegt (Hildesheim) erscheinen,
andererseits eine reichere Ausgestaltung der rechtwinkligen Chöre (Riddagshausen, Loccum, Altzelle) angeordnet wurde. In
Franken erhält der Stil seine üppigste Entfaltung: der Dom zu Bamberg
[* 220] mit doppelten Chören und vier stattlichen Türmen (s.
Taf. II,
[* 207]
Fig. 9), die Klosterkirchen zu Ebrach, Aschaffenburg,
[* 221] Seligenstadt, Bronnbach legen Zeugnis hierfür
ab. Der Oberrhein nimmt burgundische Anregungen (Emporen, offene Vorhallen) früher auf als der fernere Westen und bedient
sich der dort entfalteten technischen Meisterschaft mit praktischem Sinn für das Erreichbare und Notwendige in Abmessung
und Ausschmückung seiner Bauten.
Böhmen
[* 228] hat in vielen Beziehungen besondere Kunstformen, namentlich bei kleinen Anlagen eine unverkennbare Vorliebe
für Centralkirchen (Karner). Ebenso bildet die an Hausteinen arme norddeutsche Tiefebene ein getrenntes Gebiet, worin der
Backstein die Ornamentation bedingt. Die Dome zu Jerichow, Brandenburg,
[* 229] Salzwedel,
[* 230] Dobrilugk, Ratzeburg, Lübeck
[* 231] und die sich
ihnen anschließenden Kirchenbauten der baltischen Länder (Dom zu Riga, Kirche zu Üxküll u. a.) zeigen bei typischen Grundformen
vielfach eigenartige Detailbehandlung.
Die Kirche auf dem Harlunger Berg bei Brandenburg und die Michaelskirche zu Schleswig
[* 232] (beide zerstört) waren als Centralbauten
in stattlichen Abmessungen durchgeführt. So war in ganz Deutschland die kirchliche Kunst auf Grund altchristl. Anregungen zu
durchaus nationaler Entfaltung gelangt. Die reichste Ornamentik, die zierlichste Durchbildung der Säulenknaufe, der
Rundbogenfriese (s. Taf. I,
[* 207]
Fig. 1-3), der Thoranlagen und Giebelfelder
mit einem aus unerschöpflicher Phantasie hervorquellenden Gestaltungsdrange geben den Bauwerken einen steigenden Reiz.
Auch profane Aufgaben, namentlich großartige Klostersäle, Burgen
[* 233] und Pfalzen (Kaiserhaus zu Goslar; s. Tafel: Burgen II,
[* 207]
Fig.
1), Festungsanlagen und bürgerliche Wohnhäuser
[* 234] schuf sie in reichlicher Fülle und mit völliger Beherrschung
des architektonischen Systems, welches keineswegs in seiner Durchbildung abgeschlossen oder gar erschöpft war, als in der
Mitte des 12. Jahrh. das in der Umgegend von Paris erfundene System des GotischenStils (s. d.) eine allgemeine Wandlung des
Baues herbeiführte.
Zunächst wurde dieser nur teilweise aufgenommen (sog. Übergangsstil).
Schon am Kuppelbau von St. Gereon zu Köln (1219-27), am Dom zu Limburg (s. oben), an der Cistercienserkirche zu Heisterbach
tritt der Spitzbogen vereinzelt auf. Er wird zur bestimmenden Konstruktionsform zuerst in Deutschland am Dom zu Magdeburg
[* 235] (1207
begonnen), der schon jene der Gotik eigene Neigung zu schlanker Höhenentwicklung und in der Emporenanlage
burgundische Einflüsse zeigt.
Das gotische System tritt zuerst völlig klar an der merkwürdigen Centralanlage der Liebfrauenkirche zu Trier
[* 236] (1227-43) hervor,
bemächtigt sich des Kölner
[* 237] Grundrißsystems in der Elisabethkirche zu Marburg
[* 238] (1235-83), die zugleich die erste durchgebildete
Hallenkirche (s. d.) darstellt. Der Dom zu Wetzlar
[* 239] und andere hess. Bauten schließen sich unmittelbar
an sie an. Früh nahm der schon während der roman. Zeiten dem Westen sich zuneigende Oberrhein die Gotik auf, wo das Münster
zu Freiburg
[* 240] i. Br. (s. Taf. II,
[* 207]
Fig. 4,
sowie
[* 207]
Fig. 2 u. 3) und das Münster zu Straßburg (s. Taf. II,
[* 207]
Fig. 10) großartige Denkmale der neuen Richtung
sind, an denen die feinere und reichere Formensprache der gleichzeitigen franz. Gotik vollendete Ausbildung erhielt.
Straßburg wird durch die hohe Kunst seines Steinwerkes zum wichtigsten Sitz der got. Bauschule. Neben ihm erhielt sich Köln
seine Bedeutung, wo seit 1248 der Dom (s. die Tafel: Kölner Dom) in engem Anschluß an das Vorbild der
Kathedrale von Amiens
[* 241] durch Meister Gerhard von Rile entstand. Die Kirchen zu Altenberg, ferner die zu Xanten, Oppenheim und Wimpfen
im Thal
[* 242] zeigen den got. Stil alsbald in durchgebildetster Form. In Sachsen äußert sich am Dom zu Halberstadt
[* 243]
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der Übergang von noch romanisierenden zu got. Formen, den man an den meisten Bauten jener Lande bemerken kann, bis in der
zweiten Hälfte des 13. Jahrh. der got. Stil in reiner Durchbildung hervortritt (Dom zu Meißen,
[* 245] Minden, Blasienkirche zu Mühlhausen).
[* 246] Als eine der edelsten Werke der Hochgotik ist der Dom zu Regensburg (1275 begonnen) zu bezeichnen, bei
dem das franz. Vorbild nachweisbar, aber die deutsche Grundstimmung unverkennbar ist. Diese
zeigt sich am unvermischtesten in den Backsteinbauten des Nordens, vielfach großräumigen und ernsten Hallenanlagen.
Die Klosterkirchen zu Doberan, Kolberg,
[* 247] der Dom zu Lübeck, die Marienkirchen zu Prenzlau,
[* 248] Kolberg, Frankfurt
[* 249] a. O.
sind Beweise hierfür; ebenso wie die Schlösser des deutschen Ritterordens in Preußen, namentlich die Marienburg
[* 250] (s. Tafel:
Burgen II,
[* 244]
Fig. 2 u. 3), Kunde von dem hohen Stande des Profanbaues ablegen. Die Ornamentation verjüngte sich stets aufs neue
an der Nachbildung der heimischen Pflanzenwelt (s. Taf. II,
[* 244]
Fig. 2 u. 3), bis gegen Ende des 13. Jahrh.
eine strengere Stilisierung in knollenartigen Gebilden, den sog. Krabben (s.
Taf. II,
[* 244]
Fig. 1 u. 8), sich bemerkbar macht.
Die Gotik des 13. Jahrh. beendet eine Zeit großartiger Bauthätigkeit und allgemeinen Aufschwunges.
Die großen Unruhen im 14. Jahrh., der Niedergang des Reichs, der Zusammenbruch der alten höfischen Gesellschaftsformen
führten einen allgemeinen Rückgang im Bauwesen herbei. Zudem befand sich dieser selbst in einer Zeit des Überganges aus
den Händen der früher vorwiegend geistlichen Bauleute an die bürgerlichen Steinmetzen. Auch wurden nun die Städte mit ihrer
wachsenden Volkszahl die eigentlichen Bauherren, während es bisher vorzugsweise die Klöster und Stifter
gewesen waren. Es wurde in den Kirchen größere Raumentfaltung gesucht; die Hallenkirche wurde daher bevorzugt, die Schiffe
wurden breiter, die Anlagen im ganzen einfacher, nüchterner, mehr dem Zwecke angemessen.
Die Führung im Bauwesen ging vom Westen an den Osten über, seit die luxemb. Kaiser in Böhmen eine großartige
Bauthätigkeit entfalteten. Der Dom zu Prag
[* 251] entstand seit 1344 nach dem Vorbilde von Bauten in Languedoc, die Klosterkirche
zu Zwettl, die Bartholomäuskirche zu Kolin,
[* 252] die Barbarakirche zu Kuttenberg, die Kreuzkirche zu Schwäbisch-Gmünd, die
Chöre des Münsters zu Freiburg
i. Br. und der Lorenzerkirche zu Nürnberg
[* 253] entstanden unter dem Einfluß der PragerBauschule (Matthias von Arras;
[* 254] die Familie Arler oder Parler von Gmünd)
[* 255] in ähnlichen Formen, nämlich als breite, aus dem Polygon
geschaffene, mit Umgang und mehrfach auch mit Kapellenkranz versehene Anlagen. In Bayern bieten München, Ingolstadt,
[* 256] Landshut
[* 257] derartige Anlagen. Daneben entstanden querschifflose Langhäuser, wie sie die Theynkirche zu Prag, die
Sandkirche zu Breslau,
[* 258] der Dom zu Schwerin,
[* 259] die Marienkirchen zu Rostock,
[* 260] Brandenburg, Wismar,
[* 261] Stralsund
[* 262] und Stargard
[* 263] bei verschiedenartiger
Choranlage (Umgang oder getrennten Abschlüssen vor jedem der drei Schiffe) aufweisen. Ähnlich sind die Hallenkirchen Westfalens,
namentlich die Lambertskirche zu Münster (s. Taf. II,
[* 244]
Fig. 7) mit ihren säulenartigen Pfeilern und
reich entwickeltem Netzgewölbe, die mächtige Stephanskirche zu Wien (1359 begonnen; s. Taf. II,
[* 244]
Fig. 5 u. 6), während an den
Münstern zu Überlingen und Ulm
[* 264] ein Chor zwischen zwei Türmen sich erhebt. Auch Centralbauten, wie
die Karlskirche zu Prag, Stiftskirche
zu Ettel, entstehen in dieser Zeit.
Der höchste Wert wird in dieser Zeit auf die Ausgestaltung der Türme gelegt, welche weit über das eigentliche
Bedürfnis des Erhöhens der Glocken hinaus zu Gegenständen des Wetteifers der bauenden Städte und Stifter wurden. Für das
StraßburgerMünster wie für den Kölner Dom waren davon alsbald zwei vorgesehen. Zugleich treten die einzelnen Baukünstler
mehr und mehr hervor, und zwar zumeist in weitverzweigten Familienverbindungen. Die erste dieser waren
die von Straßburg ausgehende Familie Erwins gewesen, dann waren die Prager Parler, die mythisch gewordenen «Jungherren von
Prag» gefolgt. Weiter sind die Ensinger zu nennen. Ulrich von Ensingen (gest. 1419) legte nach dem Vorbilde von Freiburg
i. Br.
einen Turm
[* 265] vor die Westfront des UlmerMünsters und führte den Nordturm des StraßburgerMünsters (s. Taf. II,
[* 244]
Fig. 10) bis
zum achteckigen Glockenhaus auf, den Joh. Hültz aus Köln (1439) vollendete. Von diesem dürfte
auch die durch ihren schönen Turm ausgezeichnete Frauenkirche zu Ehlingen (1406-1522) stammen. Matthäus von Ensingen arbeitete
am Dom zu Bern,
[* 266] an den Münstern zu Straßburg und Ulm, Vincenz in Bern
und Konstanz, Hans und Caspar Kun, Angehörige der Familie, in Ulm.
In Eßlingen
[* 267] bildeten sich die Böblinger aus, von denen HansBöblinger (gest. 1482) den Turmhelm vollendete, Matthäus (gest.
1505) nach neuem Plan den UlmerTurm fortführte.
In den Donaulanden war die scheinbar von den Pragern abstammende Schule von Krumau vorherrschend, der der seit 1404 den Südturm
der Stephanskirche in Wien (s. oben) bauende Meister Wenzel, wie der die Kirche zu Braunau errichtende, in Wien und Salzburg thätige
Stephan Krumauer sowie endlich die in Regensburg und Nürnberg thätige Familie der Roritzer angehört.
Alle diese Künstler zeigen ein hoch gesteigertes formales Können, eine gewisse Neigung zu mathem. Spitzfindigkeiten,
eine feste Schulung, die sich namentlich in einer außerordentlich entwickelten Meißelfertigkeit kundgiebt und die Spätgotik
zu ihren reichsten Formen ausbildet.
Diese fördert zu Ende des 15. Jahrh. unter dem Einfluß der beginnenden
religiösen Bewegung eine überaus vielseitige Thätigkeit zu Tage, weniger in der Anlage größerer neuer Kirchen, als in der
Um- und Ausgestaltung der vorhandenen. Auch der Profanbau findet in reichen Schloßanlagen, Rathäusern, Wohngebäuden, Brunnen
[* 268] (Markt-Brunnen zu Braunschweig, Schöner Brunnen zu Nürnberg; s. Tafel: Brunnen I,
[* 244]
Fig. 3 u. 4), Zierbauten,
Thorenu. dgl. vielfache künstlerische Ausbildung.
Gegen Ende des 15. Jahrh. machen sich zuerst Anzeichen geltend, daß die Gotik aus sich selbst heraus neue Gestaltungen zu
bilden bestrebt sei. Die Detaillierung wurde eine naturalistische, der Spitzbogen wird vielfach zu Gunsten willkürlicher
Bildungen aufgegeben, die Konstruktion in reiner Zweckdienlichkeit hervorgehoben. Namentlich an den
sächs. Schloßbauten, wie der Albrechtsburg zu Meißen (s. Tafel: Burgen II,
[* 244]
Fig. 7) und an den erzgebirgischen Kirchen tritt
das neue Streben hervor, bei letztern in Ausgestaltung von Predigtsälen mit Emporenumgängen (Schloßkirche zu Wittenberg,
[* 269] Kirchen zu Annaberg,
[* 270] Schneeberg, Brüx). Hier wie fast überall in Deutschland wurden die seit etwa 1515 zuerst
auftretenden Formen der
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