den
Krieg fort. Nachdem er mit den
Schweden
[* 2] 1611 einen Waffenstillstand geschlossen, ward er von Sigismund III. zur Fortsetzung
des
Krieges mit
Rußland berufen, den die
Polen zur Unterstützung des falschen Demetrius begonnen hatten und der für sie,
obgleich sie
Moskau
[* 3] besetzt hielten, eine üble
Wendung zu nehmen begann. Vergebens suchte Chodkjewicz die
Mannszucht
herzustellen; er mußte
Moskau verlassen und zog in
Rußland umher, bis er nach vielen Mühseligkeiten 1618 im
Vertrage von
Dywilin freien Rückzug nach
Polen erlangte. Darauf übernahm Chodkjewicz den Oberbefehl gegen die
Türken, starb aber mitten unter
unglücklichen Kämpfen 1621 bei Chotin. Sein Leben hatNaruszewicz beschrieben (neue Aufl., 2 Bde.,
Lpz. 1837).
(spr. -wjetzki),DanielNikolaus,
Maler und Kupferstecher, geb. zu
Danzig,
[* 4] kam nach dem
Tode des
Vaters (1740) als Lehrling in eine Spezereihandlung seiner Vaterstadt, 1743 in das
Geschäft seines Oheims
Ayrer nach
Berlin,
[* 5] in welchem er auch nach Vollendung seiner Lehrzeit bis 1754 verblieb. Seine freie Zeit benutzte Chodowiecki zum
Zeichnen nach der Natur oder zum
Kopieren von Kupferstichen. Nachdem er die Handlung verlassen, fing er an, selbständig zu
arbeiten, übte sich im
Malen und fertigte namentlich Miniaturbilder für Dosen. In Rodes
Akademie vervollkommnete er sich
im Naturzeichnen und in der
Ölmalerei, bis er 1757 seine ersten Versuche im Radieren machte. Chodowiecki zeichnete und stach zunächst
[* 1]
Figuren aus dem Volksleben (den Würfelspieler, Bettelbuben, Soldatenweiber, russ.
Gefangene u. s. w.), sowie einzelne
Blätter zur Zeitgeschichte (z. B. die
ApotheoseFriedrichs II.), welche die
Aufmerksamkeit
des preuß. Königs erregten. In diese Zeit fällt auch der
Abschied des
JeanCalas von seiner Familie,
ein Ölbild, das er 1767 in der
Größe des Originals zweimal in Kupfer
[* 6] stach und mit welchem er seinen Ruf begründete. Die
Akademie der Künste wählte ihn 1797 zum Direktor. Er starb
Chodowiecki war bis zu seinem
Tode unermüdlich thätig. Er lieferte u. a.
Illustrationen, Titelkupfer und
Vignetten
zu dem
Berliner
[* 7] und dem Göttinger Genealogischen
Kalender, zu «Lessings Minna von Barnhelm» (1763),
zu Werken
Stolbergs,
Bürgers,
Gellerts,
Claudius’, Geßners, Matthisons, Höltys,
Blumauers,
Nicolais,
Klopstocks,
Goethes (s.
Tafel:
Deutsche Kunst
[* 8] VIII,
[* 1]
Fig.
5) und
Schillers; zu
Basedows«Elementarwerk», Salzmanns «Elementarbuch»,
Lavaters «Physiognomischen Fragmenten». Im ganzen hat der Künstler den
Stich zu 2075
Darstellungen auf 978 Platten besorgt. Außerdem lieferte er 2000 Zeichnungen, die zum
Teil von andern geätzt
sind. Berühmt ist für solche die Hebichsche Sammlung in
Hamburg.
[* 9] Die köstlichsten seiner Handzeichnungen (in der Kunstakademie
zu
Berlin) schildern in 100
Blättern seine
Reise von
Berlin nach
Danzig 1773 (Berl. 1883 in Lichtdruck veröffentlicht).
Außerdem erschienen:
Daniel Chodowiecki, Auswahl (136) aus des Künstlers schönsten Kupferstichen (in Lichtdruck, 2. Aufl.,
Berl. 1884) und Aus
DanielC.s Künstlermappe. 98 Faksimiledrucke nach Handzeichnungen im Privatbesitze (aus der Hebichschen
Sammlung; ebd. 1885).
Viele seiner Radierungen enthalten sog. Einfälle, kleine geistvolle, in
den Plattenrand als flüchtige
Gedanken leicht radierte
[* 1]
Figuren, die der Künstler nach wenigen
Abdrücken ausschleifen ließ.
Chodowiecki wußte auf einem kleinen Raume seinen charakteristischen
und geistvollen
[* 1]
Figuren
eine solche psychol. Wahrheit zu geben, daß er als ein in seiner Art unübertroffenerSitten- und Seelenmaler
zu bezeichnen ist. Sein Können ist indes auf ein kleines Format beschränkt; auch idealen
Darstellungen war er nicht gewachsen.
Von seinen minderwertigen Ölbildern sind noch zu nennen: Das Blindekuhspiel und Der Hahnenschlag, im
Berliner, und Der Ruheplatz
im
Tiergarten, im
Leipziger Museum. Eine vollständige Sammlung seiner
Blätter mit allen Seltenheiten und
in allen
Abdrücken besitzen die
Erben des Buchhändlers Dr. W. Engelmann in
Leipzig,
[* 10] der auch ein erschöpfendes Verzeichnis
(«C.s sämtliche Kupferstiche», Lpz. 1857; Nachtrag 1860) herausgegeben hat. Seine
Werke sind für die Kulturgeschichte des 18. Jahrh. von größter Wichtigkeit.
Vgl. Ferd.
Meyer,
Daniel Chodowiecki, der Peintre-Graveur
(Berl. 1888). -
Gottfried Chodowiecki, sein jüngerer
Bruder, geb. gest. 1781, radierte teils nach eigener,
teils nach des
Bruders Erfindung und malte vorzügliche Jagdstücke und kleinere Landschaften. - Wilhelm Chodowiecki, der Sohn
von
Daniel Chodowiecki, geb. 1765, gest. arbeitete
als Kupferstecher in
Berlin in des
VatersManier.
1)
Kreis
[* 11] im nordöstl.
Teil des Gebietes Samarkand im russ.-centralasiat. Generalgouvernement
Turkestan, hat 22802,6 qkm, 246700
E., meist
Tadschik und
Usbeken,
Ackerbau, Viehzucht
[* 12] und Baumwollbau. Der Seidenbau ist im
Verfall. - 2) Kreisstadt im
Kreis Chodschent, 150 km
südlich von
Taschkent, an der
Straße nach Samarkand und
Buchara, in 254 m Höhe, unweit des Einflusses
des Chodscha-Bakargan in den
Syr-darja, hat (1885) 34800 E., 1 russ.
Kirche, 202 Moscheen, 24 Medresse, 40 Schulen, 5 Karawanseraien;
Seidenweberei und -Färberei,
Stickerei, Anfertigung baumwollener
Stoffe,
Baumwoll-, Obst-,
Wein- und
Gartenbau. Nach
Rußland
werden von hier
Baumwolle,
[* 13] Leder, Rosinen und andere
Früchte ausgeführt. Chodschent wurde 1866 von den
Russen
erobert.
Alexander, poln. Gelehrter und Schriftsteller, geb. in
Krzywicze, studierte in Wilna,
[* 16] trat dann in das
OrientalischeInstitut des Ministeriums des
Auswärtigen in
Petersburg
[* 17] und gab
dort 1829 einen
Band
[* 18] «Poezye» heraus (neue Ausg.,
Posen 1833), in welchem auch
Übersetzungen arab. und pers. Gedichte enthalten
sind. Er war 1829-41 russ. Konsul in
Rescht am
KaspischenMeere, ging dann nach
Paris
[* 19] und wurde daselbst 1857 als Mickiewicz’
Nachfolger Professor der slaw. Litteratur am Collège de
France. Er bekleidete diese
Stelle bis 1884 und
starb in Juvisy. Chodzko schrieb «Le
[* 20] Ghilan ou les marais caspiens»
(Par. 1839),
«Grammaire paléoslave suivie de textes paléoslaves» (ebd. 1869),
«Légendes slaves du
moyen âge 1169-1237» (ebd. 1859),
«Théâtre persan, choix de téaziés ou drames»
(ebd. 1878),
«Les chants historiques de l’Ukraine et les chansons de Latyches des bords de
la Dvina occidentale etc.» (ebd. 1879). Er veröffentlichte außerdem kurd.
Studien (1857) und ein engl.-poln. Wörterbuch
(ebd. 1874).
Ignacy, poln. Schriftsteller, Vetter des vorigen, geb. auf
einem Gute bei Wilna, studierte 1811 in Wilna, übernahm dann sein väterliches Gut und starb In
einer
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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mehr
Reihe von Erzählungen schildert er in lebensvoller, anschaulicher Weise den litauischen Adel des 18. Jahrh. Dahin gehören:
«Litauische Bilder» (13 Bde., Wilna 1840-62),
«Litauische Traditionen» (4 Serien, ebd. 1852-58). Ins Deutsche überseht wurden:
«Die Aprikose» (von Chodzko von Wurzbach in Herlossohns «Komet», Lpz. 1843),
«Die große Redoute
[* 22] und der Türke»
und «Das Ehrenfräulein» in Woykes «Sitten- und Charakterbilder aus Polen und Litauen» (Berl. 1861), wo sich auch eine biogr.
Notiz über den Dichter findet.
Leonard Jakob, poln. Geschichtschreiber, geb. in Oborek in der
Woiwodschaft Wilna, war auf der Universität zu Wilna Lelewels Schüler, begleitete 1819 den Fürsten Michael
Oginski auf dessen Reisen, blieb darauf in Paris und nahm 1830 an der Julirevolution regen Anteil, weshalb ihn Lafayette zu
seinem Adjutanten ernannte. Nach dem Ausbruch der poln. Revolution ward er Bevollmächtigter der poln. Nationalregierung und
trat dann in das Komitee der Emigrierten. Er starb in Poitiers. Chodzko veröffentlichte: «Observations
sur la Pologne et les Polonais, pour servir d’introduction aux mémoires de Michel Oginski» (Par. 1827),
«Histoire des légions
polonaises en Italie» (2. Aufl., 2 Tle., ebd. 1829),
oder Kannentag, der zweite Tag des athenischen Festes der Anthesterien, der fröhlichem
Genusse geweiht war. Man glaubte, daß um diese Zeit das Kind der Demeter
[* 23] aus der Unterwelt in das Reich des Lichtes zurückkehre
und sich mit seiner Mutter und Dionysos
[* 24] vereinige. Solche Gedanken fanden geheimnisvollen Ausdruck in einer hochheiligen Ceremonie,
welche von Staats wegen in dem nur an diesem Tage geöffneten Heiligtum zu Limnä durch die Basilissa,
die Gattin des ArchonBasileus, und vierzehn edle Frauen, die sog. Gerarai, d. h.
Ehrwürdige, begangen wurde. Die Basilissa, welche dem Dionysos als Gattin vermählt wurde, betrat allein das Innerste des
Tempels.
Stadt in der pers. ProvinzAserbeidschan, am Kotur und an der Karawanenstraße nach Erzerum,
in 1188 m Höhe, in fruchtbarer Lage, Hauptort des pers. Armeniens, zählt 20-30000 E.
(spr. schŏăsöll), eine der größern unter den deutschen Salomoninseln in der
Südsee, im N. von der InselBougainville durch die Bougainvillestraße geschieden, etwa 5850 qkm groß, steil, gebirgig, ist
fast noch unbekannt.
(spr. schŏăsöll angbŏahs’), Etienne François, Herzog von, franz. Staatsmann, geb. 1719, focht
als Graf von Stainville im Österreichischen Erbfolgekriege, stieg zum Oberst und Generallieutenant auf,
gewann durch Heirat ein gewaltiges Vermögen und kam durch seine Verbindungen mit der Marquise von Pompadour in diplomat. Thätigkeit
rasch empor.
1756 wurde er an den röm. Hof
[* 26] als Gesandter geschickt; schon nach wenigen Monaten löste er in Wien
[* 27] den AbbéBernis, der das Ministerium des Auswärtigen übernahm, ab und folgte diesem im Nov. 1758 auch als Minister.
Die kriegerischen Unternehmungen Frankreichs gegen Preußen
[* 28] und England, die Choiseul-Amboise von Bernis und der Pompadour übernahm, endigten
allen militär. und diplomat. Anstrengungen C.s zum Trotz für Frankreich unglücklich. Vergebens war es, daß er 1761 das
Ministerium des Krieges selbst übernahm, den Bund mit Osterreich fester knüpfte und Spanien
[* 29] und Italien
[* 30] im Bourbonischen Hausvertrag
(s. d.) an die franz. Politik fesselte. Es blieb
ihm nur übrig, die Wunden, die der Kampf dem Staate geschlagen, zu heilen.
Hierin entwickelte er seit dem Pariser Frieden (1763) eine vielseitige und rege Thätigkeit. Begabt, glänzend,
gedankenreich, aber weder tief noch stetig, hat der geschickte Hofmann und Verwalter eine Anzahl von Zeitideen wenigstens
in die Oberfläche des franz. Staatslebens eingeführt. Es gelang ihm, die Flotte neu zu
schaffen, Handel und Industrie emporzubringen. Domingo, Martinique, Guadeloupe wurden unter seiner Regierung für
das Mutterland von ungeahnter Bedeutung. Er legte Militärschulen an, bildete das Artillerie- undGeniewesen mit Hilfe sachkundigster
Berater aus und reformierte die Armee nach den Grundsätzen Friedrichs II. im Sinne der Einheit, der Erhebung aus einer Privatunternehmung
zum vollen Staatsinstitut.
Dabei unterließ er nicht, den so gestärkten Einfluß Frankreichs in der europ. Politik aufrecht zu erhalten.
So unterstützte er die poln. Konföderation, verwickelte Rußland in den Krieg mit der Pforte und erwarb Corsica.
[* 31] der franz.
Krone trotz Englands Eifersucht. Choiseul-Amboise wandte, im Geiste der Physiokraten, dem Ackerbau und Getreidehandel zuerst wieder eifrige
Sorge zu;
in seiner Behandlung der Städte zeigt sich ein gleichmachender und liberaler Zug;
mit dem Parlament
kam er trotz mancher finanziellen Reibungen besser aus als irgend ein Minister seiner Zeit;
ihn verband mit jenem die gleiche
antiklerikale Gesinnung.
Dem Parlament nachfolgend hob Choiseul-Amboise, allmählich fortschreitend, die Jesuiten 1764 für Frankreich auf;
die Gemeinschaft der bourbonischen Höfe dehnte diese Maßregel über Spanien und die befreundeten Länder
bis nach Rom
[* 32] selbst aus: der franz. Gesandte Bernis verpflichtete den neuen Papst Clemens XIV. im voraus zu Handlungen gegen
die Jesuiten. Eben an diese kirchliche Politik knüpfte die franz. Opposition wider Choiseul-Amboise an;
als die Gräfin Dubarry mit seinen Gegnern, dem Herzog von Aiguillon, Abbé Terray und dem Kanzler Maupeou,
sich verbündet hatte, ward er gestürzt. Eine Bewegung der auswärtigen Politik half jener Gruppe; Choiseul-Amboise dankte 1770 ab und
lebte auf seinem Landsitz Chanteloup, um so mehr von Popularität umgeben, je verhaßter seine Gegner im Ministerium wurden.
Ludwig XVI. rief ihn 1774 nach seiner Thronbesteigung wieder an den Hof, ohne ihm jedoch ein Ministerium
zu geben. Choiseul-Amboise starb -
Vgl. K. von Schlözer, Choiseul-Amboise und seine Zeit (Berl. 1848);
Filon, L’Ambassade de à Vienne 1757 et 1758 (Par.
1872);
Jobez, La France sous Louis XV, Bd. 5 u. 6 (ebd. 1869-73);
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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1752, reiste 1776 nach Griechenland
[* 34] und legte die Ergebnisse der Reise in der «Voyage pittoresque de le Grèce» (1782; neue
Ausg. von Müller und Hase,
[* 35] 4 Bde., Par. 1841)
nieder, die ihm 1784 die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften verschaffte. Später zum franz. Gesandten in Konstantinopel
[* 36] ernannt, betrachtete er sich auch nach dem Sturze der Bourbons als deren Vertreter und schickte seine Noten
an die in Deutschland
[* 37] lebenden BrüderLudwigs XVI. Die republikanische Armee am Rhein fing diese Korrespondenz auf, und der
Konvent beschloß im Okt. 1792, ihn in Konstantinopel verhaften und nach Frankreich abführen zu lassen. Choiseul-Gouffier entkam
indes nach Rußland an den HofKatharinas II. und wurde später von Paul I. zum Staatsrat und Direktor der Kunstakademie sowie
zum kaiserl. Bibliothekar ernannt. Er kehrte 1802 wieder nach Frankreich zurück und ward nach der Restauration Pair von Frankreich
und Mitglied des Kabinettsrates. Seine bedeutende Sammlung von Altertümern wurde von Ludwig XVIII. angekauft
und mit dem Museum im Louvre vereinigt. Choiseul-Gouffier starb zu Aachen.
[* 38]
(spr. schŏăsih lĕ rŏá)), Stadt im Kanton
[* 39] Villejuif, Arrondissement Sceaux des franz. Depart. Seine,
südlich von Paris, an der Linie Paris-Orléans der Franz. Orléansbahn, hat (1891) 8129, als Gemeinde 8449 E.,
Post, Telegraph,
[* 40] Reste eines von Ludwig XV. erbauten Schlosses, viele Landhäuser, ein Bronzedenkmal Rouget de l'Isles, der
hier 1836 starb; Fabrikation von Porzellan, Leder, Seife und Chemikalien, Wein- und Kohlenhandel. Choisy-le-Roi ist beliebter Ausflugsort
von Paris und durch Omnibus mit ihm verbunden. Im Sept. und Nov. 1870 fanden hier wiederholt Ausfallsgefechte
statt, darunter das des Generals Vinoy gegen das 6. preuß. Armeekorps.
bore (engl., spr. tschohkbohr),Würgebohrung, eine Bohrung, bei der sich der Gewehrlauf kurz vor der Mündung
etwas verengt und dann bis zu dieser wieder kugelgleich verläuft;
bewirkt größeres Zusammenhalten des Schrotes und gestattet
weiteres Schießen.
[* 41]
Gewöhnlich ist bei Doppelgewehren nur der linke Lauf Choke bore
(spr. tschocktah), Chactaw, Chacta, richtiger Tschachta, ein mit den Chickasaw (s. d.) und den Creek (s. d.)
sprachlich verwandter Indianerstamm, bewohnten die mittlern und südl. Teile des heutigen Staates Mississippi,
vom Lande der Chickasaw durch Berge und Wälder getrennt. Zur Zeit der Entdeckung bewohnten sie 50-70 Dörfer. Die franz. Kolonisten
in Louisiana bedienten sich der Sprache
[* 42] der Choktaw im Verkehr mit den verschiedenen Indianerstämmen, da sie von diesen allgemein
verstanden wurde. Jetzt sind die Choktaw in schwachen Überresten im Indianergebiete angesiedelt,
nur wenige Familien finden sich noch in der alten Heimat. - Über dieSprache der Choktaw vgl. F. Müller, Grundriß
der Sprachwissenschaft,
Bd. 2 (Wien 1882) und Forchhammer im «Compte rendu» des zweiten Amerikanistenkongresses (Par.
1877).
ein Volk der Maya
[* 43] (s. d.), das einen besondern, dem der Tzental und
Zo'tzil verwandten Dialekt spricht. Sie scheinen gegenwärtig auf fünf Dörfer des Depart.
Palenque im mexik. Staate Chiapas beschränkt zu sein. In ihrem Gebiete liegen die großartigen, jetzt von Urwald überwucherten
Ruinen von Palenque (s. d.). Sie sollen in vergangener Zeit über die Gebirgsgegenden
von Chiapas und die Wälder der AltaVera Paz bis zur Lagune von Izabal (Golfo dulce) und den Küsten der
Bai von Honduras
[* 44] verbreitet gewesen sein. -
Vgl. Stoll, Zur Ethnographie
[* 45] der Republik Guatemala
[* 46] (Zür. 1884).
(grch.), künstliche (operative) Verbindung der Gallenblase mit dem Darm
[* 47] bei Verschluß der Gallenwege,
um den Tod durch Cholämie (Gelbsucht) zu verhindern.
(vom grch. choléra, Dachrinne, danach Brechdurchfall, nach andern vom grch. cholé, Galle, oder auch vom hebr.
Cholē ra, d. i. böse Krankheit), überhaupt ein massenhaftes, rasch eintretendes Erbrechen und Laxieren, ein Brechdurchfall.
Dieser häufig vorkommende Zustand beruht auf sehr verschiedenen, die Magen- und Darmschleimhäute reizenden
oder entzündenden oder die Nerven
[* 48] dieser Unterleibsorgane sonst erregenden Ursachen (Vergiftungen, Genuß unverdaulicher oder
verdorbener Speisen und Getränke, Verletzung gewisser Nervenpartien u. s. w.). In den heißen Sommermonaten namentlich kommen
nach Erkältungen und Diätfehlern, insbesondere nach dem Genuß von schlechtem Bier, unreifem Obst u. dgl. solche
Zustände alljährlich vor, die man unter Brechruhr, Sommer- oder europäischer, auch einheimischer Cholera (Cholera nostras) begreift
und die nur ausnahmsweise so heftig werden, daß überreiche weiße, reiswasserähnliche Entleerungen nach oben und unten
mit Blauwerden und allgemeiner Kälte der Haut,
[* 49] Einfallen des Gesichts, Wadenkrämpfen, Unfühlbarwerden des Pulses und Heiserkeit
der Stimme sich zeigen. Ähnliche Symptome stellen sich im Sommer bei künstlich aufgefütterten Kindern
nach dem Genuß von zersetzter und verdorbener Milch ein und sind als Cholera der Kinder (Cholera infantum) sehr gefürchtet (s.
Durchfall). Bei zweckmäßiger Behandlung (Bettruhe, absolutes Fasten, warme Tücher oder Umschläge auf den Leib, Eispillen,
Opium, bei Schwächezufällen Cognac oder Champagner, theelöffelweise genommen) gehen die Symptome der
ein-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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heimischen Cholera meistens rasch vorüber und führen nur sehr selten zum Tode. Die europäische Cholera tritt immer sporadisch auf und
steckt nicht an.
Die asiatische Cholera ergreift als verheerende Seuche gleichzeitig oft viele Menschen in einem Orte, von denen in der Regel über
die Hälfte stirbt.
Entstehung und Verbreitungsweise. Die Cholera ist seit alter Zeit in gewissen TeilenOstindiens (Niederbengalen,
Malabarküste) heimisch, doch erst seit 1817 zeigt sie eine auffallende Neigung zur Ausbreitung und Wanderung. Nachdem sich
bereits 1816 an den Gangesmündungen zerstreute kleinere Choleraherde gebildet hatten, dehnte sich die Krankheit im folgenden
Jahre über die ganze Halbinsel aus, hatte am Schluß des J. 1818 bereits ganz Ostindien
[* 51] durchwandert,
richtete dann auf den Inseln des ind.-chines. Archipels große Verheerungen an, verbreitete sich 1820-21 über
ganz China
[* 52] und drang über Persien
[* 53] bis nach Astrachan.
Ausgehend von einer neuen Epidemie, die 1826 in Bengalen ausgebrochen war, erreichte die Cholera 1829 von neuem
die Ufer der Wolga, trat 1830 in Astrachan und zwei Monate später in Moskauauf und hielt nun ihren ersten großen Seuchenzug
über Europa,
[* 54] indem sie sich über das ganze europ. Rußland ausbreitete, 1831 als verheerende Seuche Deutschland zum erstenmal
überzog und 1832 nach England und Frankreich drang. In demselben Jahre wurde die Cholera durch Auswandererschiffe
nach Amerika
[* 55] gebracht.
Bis 1838 folgten dann in Europa viele kleinere Epidemien, dann trat eine vollständige Pause bis 1846 ein, in welchem Jahre
wiederum von Indien aus über Persien und Syrien ein neuer Seuchenzug sich bildete, welcher 1848 die deutschen Grenzen
[* 56] erreichte,
sich von hier aus über den größten Teil Europas und Nordamerikas ausdehnte und bis 1859 verschiedene
größere Epidemien auf der ganzen nördl. Hemisphäre der Erde verursachte. Eine vierte Cholera-Pandemie,
1865-75, unterschied sich von allen frühern durch ihren eigentümlichen Verlauf und die Schnelligkeit, mit der sie von Asien
[* 57] nach Europa gelangte.
Während nämlich sonst die Krankheit stets von Indien über Afghanistan,
[* 58] Persien und das asiat. Rußland
nach Europa vordrang und mehr als ein Jahr gebrauchte, ehe sie die europ. Grenzen erreichte,
gelangte sie diesmal in nur wenigen Tagen auf dem Seewege von der KüsteArabiens aus nach Südeuropa und überzog innerhalb
weniger Wochen einen großen Teil Europas. Eine weitere Cholera-Epidemie brach, durch franz. Schiffe
[* 59] von
Indien eingeschleppt, 1884 in Toulon
[* 60] und Marseille
[* 61] aus, dehnte sich von da nach Italien, besonders Neapel,
[* 62] aus und suchte 1885 Spanien
heim. In Spanien trat sie auch 1890 auf. Im Sommer 1892 drang die Cholera von Persien aus nach Baku und Astrachan,
überzog von hier aus fast ganz Rußland und wurde im Aug. 1892 nach Hamburg (s. d.) verschleppt; gleichzeitig erschien sie
in Frankreich (Paris, Havre,
[* 63] Rouen)
[* 64] und in Belgien
[* 65] (Antwerpen);
[* 66] 1893 traten in Europa nur noch vereinzelte Fälle auf. Diese Epidemie
gab die Veranlassung zur Vereinbarung internationaler Maßregeln gegen die Verbreitung der Cholera auf dem 1893 in
Dresden
[* 67] abgehaltenen Hygieinekongreß (s. Hygieine) und Ausarbeitung eines deutschen Seuchengesetzes, das im Herbst 1893 an den
Reichstag gelangte.
Der Verlauf der asiatischen, epidemischen oder indischen Cholera ist in der Regel folgender: Meist gehen tagelang Abgeschlagenheit,
Verdauungsstörungen, namentlich schmerzlose wässerige Durchfälle (Cholerine) voraus;
oft
fehlen aber
auch solche Vorboten, sodaß das Übel gleichsam blitzschnell auftritt.
Plötzlich, meist in der Nacht, treten stürmische
und zahlreiche Ausleerungen ein, welche nur im Anfange noch aus gefärbtem Darminhalt, bald aber aus einer eigentümlichen
reiswasserähnlichen, alkalischen, zahllose Epithelzellen des Dünndarms sowie Fetttröpfchen, Blutkörperchen,
[* 68] Tripelphosphatkrystalle
und verschiedene Pilzformen enthaltenden Flüssigkeit bestehen. Dazu gesellt sich reichliches Erbrechen,
durch welches zuerst Mageninhalt und Galle, später aber gleichfalls eine reiswasserähnliche Flüssigkeit entleert wird.
Bei der sog. trocknen Cholera (Cholera sicca), einer besonders gefährlichen Form, die
aber selten auftritt, fehlen die reiswasserähnlichen Ausleerungen gänzlich, weil der zeitig gelähmte Darmkanal die in ihm
ausgeschwitzten Stoffe nicht auszutreiben vermag. Mit dem Eintritt der wässerigen Ausleerungen stellt sich ein quälender
Durst sowie ein beträchtliches Sinken der Eigenwärme und des Pulses ein, der Herzschlag wird matt, die Glieder,
[* 69] Nase
[* 70] und Ohren
werden blau und leichenkalt, das Gesicht
[* 71] ist verfallen, die Augen tiefliegend, die Stimme wird heiser und
klanglos, die Harnentleerung hört auf, es stellen sich schmerzhafte Krämpfe in den Waden und Füßen ein u. s. w. Man pflegt
dieses Stadium als das Kältestadium (Stadium algidum) zu bezeichnen.
Endlich verschwinden, zuweilen unter Nachlaß der Ausleerungen, der Puls, der Herzstoß, sogar die Herztöne gänzlich und der
Tod erfolgt gewöhnlich unter dem Zeichen eines allgemeinen Blutstillstandes und einer Nervenlähmung (Asphyktische
Cholera). Im glücklichen Falle aber kommen nach und nach die Körperwärme, der Puls und Herzschlag sowie die Harnentleerungen
wieder, Schlaf und Kräfte kehren zurück, die Stuhlgänge werden wieder gallenhaltig und fäkulent u.s.w. Oft aber tritt
in diesem Zeitabschnitt (der Reaktionsperiode) eine eigentümliche Fieberkrankheit ein, welche dem Typhus
ähnlich verläuft, das sog. Choleratyphoid, das bisweilen wochenlang dauert und die Befallenen oft noch hinwegrafft.
Die Leichenöffnung der an der Cholera Gestorbenen zeigt zwei Haupterscheinungen: einen heftigen, mit massenhafter
Ausschwitzung verbundenen Darmkatarrh und eine beträchtliche Eindickung der gesamten Blutmasse mit ihren beiderseitigen Folgen.
Im Darmrohr, zum Teil auch im Magen,
[* 72] findet man eine reichliche reiswasserähnliche Flüssigkeit, welche
aus massenhaft ausgeschwitztem Blutwasser und zahllosen abgestoßenen Darmepithelien besteht. Die Darmschleimhaut selbst ist
entzündet, zum Teil blutig unterlaufen und stellenweise ihrer schützenden Decke
[* 73] beraubt; ihre Zotten und Drüschen, oft auch
die Gekrösdrüsen, sind angeschwollen und hervorragend.
Das Blut ist dunkelblaurot, mehr oder weniger eingedickt, in den höhern Graden fast teer- oder pechartig
zähe. Es zeigt sich im Herzen angehäuft, fehlt hingegen in den Haargefäßen, sodaß das Zellgewebe, die Muskeln
[* 74] und andere
Teile blutarm, trocken, zähe und unelastisch, die Haut grau und runzelig, die serösen Häute klebrig gefunden
werden. Fast konstant sind die Nieren verändert und zeigen bei schweren Fällen die eigentümliche, unter dem Namen Eiweißniere
bekannte Entartung, welche sich auch bei Lebzeiten durch Eiweißgehalt des Harns und Zurückhaltung des Harnstoffs im Blute
kundgiebt. Nach alledem scheint somit der wesentlichste Teil der Krankheit die übermäßige Aus-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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mehr
schwitzung von Wasser aus den Blutgefäßen in die Höhle des Darmkanals zu sein, durch welche das Epithel der Darmschleimhaut
ganz ebenso abgehoben und schließlich abgestoßen wird, wie bei einer Verbrennung der äußern Haut die Oberhaut durch die
aus dem Blute ausgeschwitzte Flüssigkeit abgelöst und zu einer Blase emporgehoben wird. Durch den raschen
und übermäßigen Wasserverlust wird das Blut dickflüssig, bewegt sich langsamer und vermag nicht mehr die feinen Haargefäße
zu durchdringen.
Daher stockt der Atmungsprozeß in der Lunge,
[* 76] es tritt Atemnot und Beängstigung wie beim Ersticken ein. Das Gehirn
[* 77] wird infolge
der mangelhaften Blutcirkulation nicht gehörig ernährt, daher die Hirnsymptome. Da das eingedickte
Blut an Masse sehr beträchtlich abgenommen hat, so fehlt allen Teilen der Haut ihre sonstige Fülle. Die blaue Farbe desBlutes
erklärt sich aus der mangelhaften Atmung, denn nur der beim Atmen aufgenommene Sauerstoff färbt das Blut hellrot.
Gleichwie die gesamte Symptomengruppe der Cholera durch gewisse mineralische und organische Stoffe (z. B. weißen
Arsenik und giftige Schwämme)
[* 78] hervorgerufen wird, so nahm man schon seit längerer Zeit an, daß auch die asiatische
Cholera durch einen specifischen Infektionsstoff (wahrscheinlich einen niedrigen Organismus, Spaltpilzu. dgl.) hervorgerufen würde.
Die sichere Entdeckung des gesuchten Choleragiftes gelang aber erst Rob.
Koch, dem Führer der 1883 vom DeutschenReich zur Erforschung der Cholera nach Ägypten
[* 79] und Indien gesandten wissenschaftlichen
Expedition.
Koch fand in dem Darminhalt der Cholerakranken, in der Darmwand der Choleraleichen, in der Wäsche sowie in dem Boden der durchseuchten
Ortschaften ganz regelmäßig massenhafte eigenartige Spaltpilze, welche sich als die eigentlichen Erreger der
asiatischen Cholera erwiesen haben. Die Cholerabacillen
[* 80] sind kleine gebogene, sehr lebhaft bewegliche Stäbchen von der Form eines
Komma (Kommabacillen), die sich gern in Form eines S oder auch längerer, spirillenförmiger Fäden aneinanderlegen, sodaß
sie hiernach sogar zu den Spirillen gerechnet werden können; eine sichere Sporenbildung ist noch nicht bekannt. (S.
Tafel: Bakterien,
[* 75]
Fig. 5.) Die eigentümliche Form der Reinkulturen auf Gelatine beweist die Specificität
der Kommabacillen gegenüber zahlreichen ähnlichen Formen, die fälschlich für identisch mit ihnen erklärt worden sind
(namentlich der von Finkler und Prior gefundene Bacillus bei Sommerdiarrhöe der Kinder). In Gelatinekulturen entsteht bei
Zusatz von Mineralsäuren früher als bei andern Mikroorganismenkulturen eine Rotfärbung (sog.
Cholerarot) als Reaktion auf das darin gebildete Zersetzungsprodukt Indol.
Specifische Choleragifte sind aus den Kulturen noch nicht gewonnen worden, wenn auch einzelne Forscher gewisse Toxalbumine
und Toxoglobuline aus den Cholerakulturen dargestellt und als das specifische Gift bezeichnet haben. Bei geeigneter Temperatur
(17-40°, auf Kartoffeln nur über 24° C.) wachsen die Kommabacillen auf allen denkbaren Nährböden
(Reiswasser, Sagowasser, feuchter Wäsche, feuchter Erde), wenn dieselben feucht, nicht sauer und dem Zutritt von Sauerstoff
günstig sind.
Eintrocknung, Erhitzung u. a. tötet die Bacillen sehr rasch; ebenso verschwinden sie bald in Wasser, in welchem die gewöhnlichen
Wasserbakterien vegetieren. Säuren (Carbol-, Salzsäure) sind höchst verderblich für die Bacillen,
worauf die Widerstandsfähigkeit von Menschen
mit normal salzsaurem Magensaft gegen die Cholerainfektion beruht. Im alkalischen
Darminhalt der Cholerakranken (den «Reiswasserstühlen») finden sich die
Kommabacillen in ungeheurer Menge.
Die Erzeugung eines der Cholera gleichenden Krankheitsbildes bei Tieren durch die Bacillen gelingt bei gesunden
Tieren bei einfacher Verfütterung nicht; werden die Bacillen direkt in den Darm, oder durch den Magen nach vorheriger Alkalisierung
desselben eingebracht, so entsteht zwar eine etwas choleraähnliche Darmentzündung, doch kann das gleiche Krankheitsbild
bei diesem Verfahren auch durch andere Bakterien erzielt werden. Das negative Impfergebnis stimmt mit der Erfahrung überein,
daß die Cholera eine eben nur bei Menschen vorkommende Krankheit ist. Eine Infektion durch Cholerareinkulturen an einem damit arbeitenden
Arzt ist einmal in unzweifelhafter Weise bekannt geworden.
Sichere Schutzimpfungsmethoden (durch künstliche Abschwächung der Virulenz der Bacillen) sind bisher nicht bekannt; die
von Ferran versuchten sind wirkungslos. Neuerdings gelang es zwar Brieger, Kitasato und Klemperer, Tiere
teils durch abgeschwächte Cholerakulturen, teils durch Blutserum von Cholerakranken immun gegen eine Choleravergiftung zu
machen; jedoch fehlt es noch an Erfahrunq, inwieweit diese Versuche an Tieren sich auf den Menschen mit Erfolg übertragen
lassen.
Der Cholerabacillus ist ursprünglich ein Produkt des Bodens und des Klimas von Indien; aber obschon vom
BodenIndiens stammend, ist er doch auch in andere Länder und Weltteile durch den menschlichen Verkehr verbreitbar (verschleppbar),
wo er sich so lange erhalten und vermehren kann, als er gewisse örtliche Bedingungen vorfindet, deren er auch in seiner ursprünglichen
Heimat bedarf. Die Eigenschaft der Cholera, in ihrer Verbreitung zugleich vom Verkehr und von örtlichen Ursachen
(vom Boden und Drainageverhältnissen) abhängig zu sein, hat lange zu keinen richtigen Anschauungen über die Verbreitungsart
derselben gelangen lassen.
Anfangs faßte man die doppelte Abhängigkeit vom Verkehr und von der Örtlichkeit den herrschenden Schulansichten entsprechend
als etwas Gegensätzliches auf und dachte, daß die Cholera entweder vom Menschen, namentlich von Cholerakranken
verbreitet werde, und dann sei sie eine ansteckende, kontagiöse Krankheit, oder daß sie vom Boden stamme, und dann sei sie
eine miasmatische Krankheit. Erst die Untersuchungen Pettenkofers haben 1854 darauf hingewiesen, daß beides notwendig zusammengehören
könnte und sich nicht zu widersprechen brauchte. Auf diesem Grundgedanken, Cholerakeim und Choleralokalität
beide zusammen als wesentlich zu betrachten und gesondert zu behandeln, ist die neuere Lehre
[* 81] von der Verbreitungsart der Cholera entstanden.
Selbst in Indien sind es nur wenige Bezirke, wo die Cholera ständig, endemisch vorkommt, und auch dort giebt es Zeiten, wo sie
schlummert. Außerhalb der endemischen Bezirke scheint der Keim nach einiger Zeit, in 1-2 Jahren, immer wieder abzusterben,
und die epidemische Cholera bedarf zu ihrem Wiedererscheinen neuer Einschleppung. Daß das wenigstens in Europa der Fall ist, spricht
sich jedesmal sehr deutlich im Fortschreiten der Epidemien von Osten nach Westen oder von Meeresküsten
ins Innere aus. Ein schlagender Beweis für das Absterben des Keims nach einer abgelaufenen Epidemie und für die Notwendigkeit
einer neuen Einschleppung ist das zeit-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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mehr
liche Auftreten der Epidemien auf den InselnMalta und Gozzo im Mittelländischen Meere, welche seit 1835 bereits siebenmal von
der Cholera heimgesucht waren. Die beiden Inseln liegen sich sehr nahe, haben ganz gleichen Boden und gleiches Klima
[* 83] und haben sich
auch jedesmal gleich empfänglich für die Krankheit erwiesen, Gozzo verhältnismäßig sogar noch etwas
mehr als Malta; sie unterscheiden sich nur dadurch, daß Malta infolge seiner ausgezeichneten Häfen einen großen direkten
Verkehr mit allen Ländern hat, während Gozzo in Ermangelung jedes Hafens, ja selbst einer größern Bucht, mit der ganzen
übrigen Welt nur über Malta verkehrt. So oft nun Malta eine Cholera-Epidemie hatte, kam sie auch nach
Gozzo, aber jedesmal 3-4 Wochen später als nach Malta, was sich nur mit der Annahme verträgt, daß der Cholerakeim in Gozzo
nicht schon etwa von vorausgegangenen Epidemien her schlummernd vorhanden war, sondern jederzeit erst aus Malta wiedergebracht
werden mußte, denn sonst hätte die Cholera auf Gozzo hier und da gleichzeitig, manchmal sogar
früher als in Malta auftreten müssen. Es ist beachtenswert, daß die asiatische Cholera schon seit Jahrtausenden in Indien vorkommt,
jedenfalls so alt ist wie die ind. Kultur, daß sie aber doch erst im 19. Jahrh.
so um sich zu greifen und zu wandern anfing. Diese Thatsache hängt ohne Zweifel mit der Steigerung und
namentlich mit der Beschleunigung des Verkehrs in und außer Indien zusammen. Das Erscheinen des ersten Dampfschiffs in den
ind. Gewässern fällt in das J. 1826, das Erscheinen der Cholera in Europa ins J. 1831.
Neben dem Verkehr macht sich sowohl in Indien als außerhalb Indiens auch der Einfluß des Bodens und der
Jahreszeiten
[* 84] sehr deutlich bemerkbar. Es giebt Orte, welche sich bei jeder Gelegenheit als sehr empfänglich für die Cholera erweisen,
und andere, welche ihr auffallend und andauernd Widerstand leisten, wenn die Krankheit aus benachbarten, epidemisch ergriffenen
Orten auch mehrfach und wiederholt eingeschleppt wird. Unter den nichtempfänglichen (immunen) Orten
in Europa ist eins der merkwürdigsten Beispiele die große Fabrik- und Handelsstadt Lyon
[* 85] in Südfrankreich, durch welche sich
ununterbrochen der lebhafteste Verkehr zwischen zwei Hauptsitzen der Cholera, zwischen Marseille und Paris, zieht.
Orte in Gebirgen und Gebirgsthälern werden viel weniger und seltener ergriffen als in der Ebene, aber
auch da kommen ausgedehnte, oft von sehr armer Bevölkerung
[* 86] bewohnte Distrikte vor, welche verschont bleiben, so oft die Cholera in
ihrer Umgebung herrscht, z. B. die Moor- und Malariadistrikte an der Donau in Bayern
[* 87] und zwischen Spree und Röder in Sachsen.
[* 88] Sehr häufig wird beobachtet, daß ein und derselbe Ort Teile hat, welche ebenso regelmäßig von Cholera stark
zu leiden haben, als andere Teile des nämlichen Ortes ebenso regelmäßig verschont bleiben.
Die örtliche Immunität kann zweierlei Ursachen haben: Bodenbeschaffenheit und Grundwasserverhältnisse. Orte oder Ortsteile,
welche auf Alluvialboden, in Mulden oder an steilen Abhängen liegen, zeigen sich für Cholera-Epidemien
viel empfänglicher als Orte, welche auf einem für Wasser und Luft undurchdringlichen Boden, z. B. auf kompakten Felsen oder
auf der Höhe zwischen zwei Mulden, auf einem Kamme liegen, wenn dieser auch nicht aus Felsen, sondern aus porösem Boden besteht.
Im erstern Falle ist die Bodenbeschaffenheit, im zweiten die Drainage
[* 89] entscheidend.
Wenn
man das gruppenweise Auftreten von Ortsepidemien in einem größern Umkreise, in einem ganzen Lande verfolgt, so findet
man, daß sich dieselben nicht nach Landstraßen, Eisenbahn- und Schiffahrtslinien aneinander reihen, sondern daß sie sich
nach den natürlichen Drainagegebieten, nach Flußgebieten hauptsächlich gruppieren. Da man gegen den
Einfluß des porösen Bodens und seiner wechselnden Durchfeuchtung (des Grundwassers) immer das Vorkommen von Cholera-Epidemien
auf Malta und auf dem Felsen von Gibraltar
[* 90] geltend machen wollte, reiste Pettenkofer (1868) eigens dahin und fand, daß die
Stadt Gibraltar nicht auf einem kompakten Felsen, sondern auf einer Böschung von roter Erde liegt, welche
sich an den sehr zerklüfteten steilen Felsen lehnt und sehr viel Wasser schluckt und zurückhält, sodaß in der Stadt mehr
als 100 gegrabene Brunnen
[* 91] sind, deren Spiegel
[* 92] viel höher als der Meeresspiegel ist. Der Felsen von Malta saugt wie ein Schwamm
Flüssigkeit an, ist so weich, daß er mit der Säge
[* 93] und dem Messer
[* 94] geschnitten wird, und so porös, wie
der Sand von Berlin.
Die Cholera-Epidemien kommen und gehen in ihrer Heimat sowohl als auch außerhalb derselben sehr regelmäßig mit den Jahreszeiten.
Unter den verschiedenen Einflüssen der Jahreszeit macht sich aber nicht Warme und Kälte als das Entscheidende
geltend, denn sonst könnte die Cholera nicht vom Indischen bis zum Eismeer, von Kalkutta
[* 95] bis Archangel vorkommen, sondern es sind
die Regen- und die davon abhängenden Grundwasserverhältnisse. In Niederbengalen (Kalkutta), wo während der Regenzeit vom
Mai bis Oktober etwa 150 cm Regen fallen, trifft das Maximum der Cholera regelmäßig auf den April, das Minimum
auf den August.
Beide Monate haben gleiche mittlere Temperatur, aber der April ist der Gipfel der heißen trocknen und der August der heißen
nassen Jahreszeit. Im Nordwesten Indiens, im Pandschab (Lahaur), herrscht fast dieselbe Hitze wie in Bengalen, da fallen aber
in der gleichen Regenzeit nur etwa 50 cm Regen. Während in Niederbengalen die Cholera immer zugegen ist, bleibt
das Pandschab oft viele Jahre hintereinander von Cholera-Epidemien frei, und wenn sie auftreten, zeigen sie sich da hauptsächlich
während der Regenzeit. Es scheint daher gerade ein gewisser Wassergehalt des Bodens und eine gewisse Schwankung erforderlich
zu sein. Auch bei den Epidemien in Europa tritt der Einfluß gewisser Monate und Zeiten sehr deutlich hervor:
da sind Sommer- und Herbstepidemien die Regel. Winterepidemien die Ausnahme und der Frühling (März, April und Mai) bleibt
immer fast ganz frei.
Eine fernere Eigentümlichkeit der Cholera, welche sie jedoch mit allen epidemischen Krankheiten teilt, ist
die ungleiche Empfänglichkeit der Individuen (individuelle Disposition) dafür, sodaß bei gleicher Infektionsgelegenheit
die einen schwer, die andern leicht, die Mehrzahl gar nicht erkranken. Schwächliche und schlecht genährte Personen, deren
Organe sehr wasserhaltig sind, haben die größte Disposition, an Cholera zu erkranken. Ebenso wird die Disposition durch alle Umstände
gesteigert, welche auch sonst einem Individuum Diarrhöe verursachen. Sehr konstant verschieden ist die Disposition in verschiedenen
Altersklassen. Das Alter von 6 bis 20 Jahren wird am wenigsten ergriffen; bei jeder Epidemie überrascht die verhältnismäßig
geringe Zahl von Todesfällen unter der schulpflichtigen Jugend. Vom
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