Otto, Sanskritist, geb. 30. Mai(11. Juni n. St.) 1815 in
Petersburg,
[* 5] studierte seit 1833 an der
Universität zu
Petersburg orient.
Sprachen, neben dem
Arabischen undPersischen
namentlich Sanskrit, ging 1835 nach
Berlin,
[* 6] dann nach
Bonn, von wo er 1842 als
Adjunkt der kaiserl.
Akademie der Wissenschaften
nach
Petersburg zurückkehrte. 1855 wurde er zum ordentlichen Mitglied der
Akademie, 1860 zum Wirkl.
Staatsrat, 1875 zum Geheimrat
ernannt. 1868 siedelte er nach
Jena über; seit 1885 lebt er inLeipzig.
[* 7] Die
Arbeiten B.s, sowohl im Sanskrit
als im
Türkischen und den verwandten Dialekten, zeichnen sich durch Genauigkeit und Sorgfalt, besonders in der Behandlung
des Grammatischen und Lexikalischen aus. Von seinen vielen
Schriften sind hervorzuheben: die
Ausgabe von Paninis
«AchtBüchern
grammatischer Regeln» (2 Bde.,
Bonn 1839-40),
«K'hândogjopanishad,
kritisch herausgegeben und übersetzt» (ebd. 1889),
«Bṛhadâranjakopanishad,
Text und
Übersetzung» (Petersb. 1889),
«Daṇdins
Poetik,
Text und
Übersetzung» (Lpz. 1890). Außerdem erschienen von ihm mehrere
Abhandlungen, unter denen hauptsächlich die
«Über den
Accent im Sanskrit» (1843) zu erwähnen ist, in den «Mémoires»
der
PetersburgerAkademie der Wissenschaften, sowie kleinere Mitteilungen im
«Bulletin» derselben
Akademie und in andern gelehrten
Zeitschriften. Verschiedene wichtige
Arbeiten über die Litteratur der Upanischaden hat er neuerdings in den
Berichten der
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften veröffentlicht. Sein Hauptwerk ist das mitRud.
Roth in
Tübingen
[* 9] bearbeitete große «Sanskrit-Wörterbuch» (7 Bde.,
Petersb. 1853-75), welches den Sprachschatz der altind. Litteratur in möglichster Vollständigkeit
darlegt. Eine Bearbeitung desselben in kürzerer Fassung umfaßt gleichfalls 7
Bände (ebd. 1879-89).
die nördlichste der Westprovinzen
Schwedens, bildet mit dem westlichsten
Teile der
Provinz
Westergötland (Umgegend von
Gothenburg) das Göteborgs- und Bohus-Län, eine Landeshauptmannschaft, die den schmalen Küstenstrich
am
Skagerrak von der untern Götaelf bis zum Swinesund an der norweg. Grenze begreift, hat
5101,3 qkm, davon 89,8 qkm Seen, und (1892) 302 494 E.,
d. i. 59
auf 1 qkm. Die 150 km lange
Küste ist ungemein zerrissen und bietet mit ihren
Inseln, unter denen Orust und Tjörn die bedeutendsten sind, und den zahllosen
nackten, von aller
Vegetation entblößten Klippen
[* 10] und
Schären ein trauriges
Bild.
Doch besitzt dieselbe viele gute Häfen und das
Meer einen großen Reichtum an Fischen, weshalb auch Schiffahrt
und Fischerei
[* 11] die Hauptnahrungszweige der zum
Teil sehr wohlhabenden Bewohner sind. Bei vielen Küstenorten befinden sich
zum
Teil stark besuchte Seebäder, wie Marstrand mit 1495 E. und 2000 Badegästen,
Lysekil mit 1750 E. und über 2000 Badegästen,
Strömstad mit 2608 E. und
Moorbädern u. a. DasInnere des
Landes hat viel fruchtbaren
Boden, der Getreide
[* 12] über den Bedarf hervorbringt; die Waldungen, auch im Innern des
Landes nur spärlich, bedecken etwa 12,5 Proz. der gesamten
Oberfläche. Unter den Bewohnern, einem eigenartigen Menschenschlage, lebt ein reicher Schatz altnordischer Sagen fort, und
zahlreiche vorgeschichtliche
Denkmale sind erhalten. - Die Landschaft gehörte während des ganzen Mittelalters
zu
Norwegen,
[* 13] mit diesem
Lande seit 1380 zu
Dänemark,
[* 14] obgleich die
Schweden ihr
Lehnsrecht über dasselbe behaupteten und es 1658 im
Frieden zu Noeskilde auch wirklich erhielten. -
Benannt ist die Landschaft nach
Bohus-Slott, das auf dem kleinen Felseilande
Elfvebacken am nördl. Ende derInsel Hisingen in der Götaelf bei der Stadt Kongelf liegt und früher
eine wichtige norwegische, mehrfach vergeblich belagerte Grenzfestung gegen
Schweden bildete. Die Ruinen der
Burg gehören
zu den schönsten in
Schweden.
Heinr.
Christian, Schriftsteller, geb. zu Meldorf, studierte 1764-67 in
Jena die
Rechte und ging 1769 nach Göttingen;
[* 16] 1776 wurde er Stabssekretär in Hannover,
[* 17] kehrte 1781 als dän.
Justizrat und Landvogt in
Süderdithmarschen nach Meldorf zurück und starb daselbst Voll
Begeisterung für die
deutsche
Poesie, entschloß er sich 1770 zur Herausgabe des ersten deutschen (Göttinger) «Musenalmanachs»
(s. d.), den er bis 1775 fortsetzte.
Gleichzeitig ward Boie der Mittelpunkt eines Kreises junger Dichter, die, durch das
Studium
des klassischen
Altertums angefeuert und von Liebe für das Vaterländische beseelt, den Göttinger Dichterbund (s. d.)
bildeten. Nachdem Boie die Herausgabe des «Musenalmanachs»
an
Voß (der B.s Schwester Ernestine heiratete) abgetreten hatte, gründete er mit nationaler
Tendenz 1776 das «Deutsche
[* 18] Museum»,
eine der vielseitigsten und gehaltreichsten Zeitschriften des 18. Jahrh., die er seit 1788 (bis
1791) als
«NeuesDeutsches Museum» fortführte. Sein umfänglicher Briefwechsel ist literarhistorisch wichtig. -
(spr. bŏajälldĭöh),FrançoisAdrien, franz.
Opernkomponist, geb. zu Rouen,
[* 20] wo sein
Vater Sekretär
[* 21] in der erzbischöfl. Kanzlei war, erhielt Musikunterricht
als Chorknabe an der
Kathedrale daselbst. Hier brachte er 1793 eine kleine
Oper: «La fille coupable», deren
Text sein
Vater verfertigt
hatte, mit Beifall zur Aufführung und ließ 1795 «Rosalie
et Mirza» folgen.
OhneMittel, etwa 19 J. alt, wandte er sich nun nach
Paris,
[* 22] wo er sich mit
Romanzen und Liedern den Weg
¶
mehr
243 zur Komischen Oper ebnete. Den ersten Erfolg in ihr errang er mit dem Einakter: «La dot de Suzette» (1795). Daran schlossen
sich: «La famille suisse» (1796),
«Mombreuille et Merville» (1797),
«L'heureuse nouvelle» (1797),
«Zuraïme et Zulnare» (1798),
«Les méprises espagnoles» (1798),
«Beniowski» (1800). Sie gehören alle der dramatisch aufregenden
Richtung an, die infolge der Revolution und der Schreckenszeit die franz. Oper ergriffen hatte. Inzwischen war Boieldieu Professor
am Konservatorium geworden. Außerordentliche Erfolge hatte 1801 seine Oper«Le
[* 24] Calife deBagdad», die mehr als 700 Vorstellungen
in Paris selbst erlebte und den Namen des Komponisten auch im Auslande bekannt machte. Ihr folgte 1802 «Matante Aurore». Infolge seiner unglücklichen Verheiratung mit der Tänzerin Mafleuroy wandte sich Boieldieu 1803 mit
seinen Freunden Rode und Lamare nach Petersburg, wohin er als kaiserl. Kapellmeister berufen war.
Hier schrieb er mehrere Opern: «Abderkan», «Calypso»,
«Les voitures versées», «Aline», «Rien de trop» u. a.
und kehrte 1811 nach Paris zurück, wo er die Oper«JeandeParis» komponierte, die Anfang 1812 zur Aufführung
kam und durch ihre reizende, noch heute frisch wirkende Musik vielen Beifall fand. 1813 folgte «Lenouveau seigneur de village», 1816 «Lafête du village voisin». Mit diesem Werk schließt die zweite Periode in B.s Schaffen. Ihr Kennzeichen
ist die Aufnahme ital. Elemente, die durch die Rivalität mit Isouard und Rossini veranlaßt war und eine größere Leichtigkeit
des Konversationsstils zur Folge hatte.
Das Hauptwerk dieser Periode ist «JeandeParis». Nachdem Boieldieu 1817 an Méhuls Stelle Mitglied der Akademie geworden war, hatte
er 1818 mit «Lechaperon rouge» («Rotkäppchen»)
einen glänzenden Opernerfolg. Die nächsten Jahre verlebte er angegriffener Gesundheit wegen auf seinem Landgute Jarcy,
wenig mit Musik beschäftigt, doch das ihm inzwischen übertragene Amt als Kompositionsprofessor am Konservatorium versehend. 1825 trat
er wieder in die Öffentlichkeit mit der «Dameblanche», seinem Meisterwerke, das als höchst graziöse
und geistreiche Oper sowohl in Frankreich wie im Auslande den größten Beifall fand und bis auf den heutigen Tag bewahrt hat.
Eine neue Oper, «Les deux nuits» (1829), hatte keinen Erfolg. Die Werke dieser
dritten Periode zeichnet ein volkstümlicher Charakter in der Melodie und ein größerer Gehalt der dramat.
Grundidee aus. Boieldieu starb auf seinem Landgute Jarcy. Er war ein liebenswürdiger und geistreicher Mensch und Künstler,
bühnenkundig, gewandt und anmutig in seinen Erfindungen, aber als Musiker nur in der Oper von Bedeutung. –
Vgl. Pougin,
Boieldieu, savie, ses œuvres, son caractère,sacorrespondance (Par. 1875).
– Ein Sohn B.s, Adrien Boieldieu, geb. zu Paris, hat sich als talentvoller Tonsetzer bekannt gemacht durch Romanzen und
einige Opern, von denen «Lebouquet de l'Infante» (1847) den meisten Erfolg
hatte. Er starb im Juli 1883 in Paris.
(spr. bŏalloh däpreoh), Nicolas, franz.
Dichter, geb. zu Paris, erhielt eine gute gelehrte Bildung, studierte die Rechte, widmete sich dann ganz den Schönen
Wissenschaften, vornehmlich der Dichtkunst, und machte sich zuerst durch «Satiren» (1666, 1669 u. ö.)
bekannt, die wegen ihres eleganten Versbaues, ihres feinen Witzes und rhythmischen Wohllauts schnell berühmt wurden. Auch
seine «Episteln» (1669–77) fanden großen
Beifall, und die der «Ars poetica» des Horaz nachgebildete Poetik«L'art poétique»
(1672; mit den Anmerkungen von de Castres neu hg. von Klautzsch, Lpz. 1874) erhielt nicht nur in Frankreich, sondern auch im
Auslande das Ansehen eines ästhetischen Gesetzbuchs. Boileau-Despréaux billigte die bestehenden Regeln und
Darstellungsformendes franz. Klassicismus und brachte dessen Poetik zum Abschluß, indem er den Grundsatz aufstellte, daß
nur das Wahre schön sei und wahr nur das Vernünftige.
Klarer Verstand, reiner Stil und treffender Ausdruck sind namentlich Vorzüge der Dichtungen B.s, die aber mehr Erzeugnisse der
Reflexion
[* 25] als des poet. Genies sind. Seine Gegner, die ihm Mangel an Phantasie und an Originalität vorwarfen,
zu widerlegen, schrieb er das komisch-epische Gedicht «Lelutrin» (1678),
ein Meisterwerk des Humors. Seine wenigen Oden und die im Alter verfaßten Satiren (10–12) und Episteln (10–12) sind geringwertig,
bemerkenswert der «Traitédu sublime» (1674, übersetzt aus Longin). Im Leben vereinigte Boileau-Despréaux mit
einem sanften, liebenswürdigen Charakter eine selbst im Verkehr mit dem Hofe bewahrte Freimütigkeit und Unbestechlichkeit
des Urteils. Er wurde 1677 neben Racine Reichshistoriograph, 1684 in die Französische Akademie aufgenommen und starb zu
Paris.
Mit Moliere, La Fontaine und Racine innig befreundet, gehörte er zu den Männern, die der Regierung Ludwigs
XIV. Glanz verliehen, und trug durch Schriften und Lehren
[* 26] wesentlich zur stilistischen Vervollkommnung der franz. Litteratursprache
bei. Auf die Litteratur seiner und der folgenden Zeit hatte er außerordentlichen Einfluß, und erst durch die romantische Schule
des 19. Jahrh. wurde seine Autorität im Reich des poet. Geschmacks bei den Franzosen erschüttert.
B.s Schriften wurden oft herausgegeben. Hervorzuheben sind die Ausgaben von Brossette und Du Monteil («Œuvres deBoileau-Despréaux», 2 Bde.,
Amsterd. 1718),
(spr. bŏajih), Louis Leopold, franz. Maler, geb. zu La Basses bei Lille,
[* 27] malte bereits mit 12 Jahren
zwei religiöse Bilder, die sich noch heute in seiner Vaterstadt befinden. Dann in Douai, seit 1777 in Arras
[* 28] besonders mit der
Anfertigung von Bildnissen beschäftigt, kam er 1786 nach Paris, wo er bald durch seine vorzüglichen Bildnisse und Genrebilder
zu hohem Ansehen gelangte. Von seinen zahllosen Werken sind hervorzuheben: Ankunft einer Diligence im
Posthof (1803; im Louvre);
(spr. bŏasahr),Jean Jacques François Marie, franz. Fabeldichter, geb. zu
Caen, bekleidete mehrere Verwaltungsposten, war dann Sekretär des Grafen von Provence, verlor diese Stelle infolge der Revolution
und starb ¶
mehr
Er machte sich namentlich im «Mercure de France»durch seine Fabeln bekannt,
deren erste Sammlung 1773 erschien. Unter allen franz. Fabeldichtern ahmt Boisard Lafontaine am wenigsten nach und kommt ihm doch
am nächsten. Seine spätern Dichtungen finden sich in den «Fables» (Bd. 1 u. 2, Par. 1773-77; Bd. 3, Caen 1803)
und in den «Mille et une fables» (Caen 1806). Die Akademie zu Rouen krönte 1790 seine «Ode sur le déluge».
(spr. bŏá düwáll),JeanAlphonse, franz. Arzt und Naturforscher, geb. zu
Ticheville, gest. ebenda schrieb namentlich mehrere Werke über die europ.
und amerik.
Schmetterlinge,
[* 35] wie «Histoire générale et iconographique des lépidoptères
et des chenilles de l'Amérique septentrionale» (mit Leconte, Par. 1829-47),
«Icones historiques de lépidoptères nouveaux»
(2 Bde., 1832-41) u. s. w.
(spr. beus' ßitti), Hauptstadt des TerritoriumsIdaho in den Vereinigten Staaten von
Amerika
[* 36] und des County Ada, am Boise-River, einem Nebenfluß des Snake-River, in schöner und fruchtbarer Gegend, hat (1890) 2311 E.
und eine Zweigbahn zur Hauptlinie der UnionPacific.
Frede, dän. Politiker, geb. zu
Stiörpinge bei Slagelse, studierte Theologie und begann 1869 seine parlamentarische Laufbahn als Abgeordneter
für Stege auf Moen. Er schloß sich gleich der Linken an und ist seit 1877 Führer der gemäßigten Opposition.
In den letzten
Jahren Führer der sog. dänischen Linken, hat er 1890 durch Einbringung mehrerer finanzieller
Gesetze den Versuch gemacht, die Verhandlungen des Folkethings mit dem Ministerium Estrup wieder anzubahnen.
(spr. bŏaggobeh), Fortuné Castille, genannt du Boisgobey, franz. Schriftsteller, geb. zu
Granville (Normandie), wurde Zahlmeister in der Armee und fand Gelegenheit, in AlgierLand und Leute kennen
zu lernen und dort für seine Phantasie befruchtende Eindrücke aufzunehmen. Seit 1868 schrieb er für Journale abenteuerlich-romantische
Romane, wie «L'homme sans nom», «Forçat colonel», «Tresse blonde», «As de cœur», «Mystères du nouveau Paris (3 Bde., 1876),
»L'épingle rose" (3 Bde., 1879),
«Le pouce crochu» (1885),
«Mariage d'inclination», «Le
chalet des pervenches» (1888),
«Décapitée» (1889). Er veröffentlichte auch
«Du Rhin au Nil» (1876), sensationelle Reiseberichte, und starb Ende Februar 1891.
(spr. bŏaggijbähr),Pierre le Pesant, Sieur de (auch Boisguilbert), Gerichtsbeamter
zu
Rouen, war mit Vauban (s. d.) zur Zeit des Niederganges in Frankreich einer der ersten Kritiker der innern Politik der Regierung.
In seinen scharfen Schriften «Le détail de la France» (1697; abgedruckt in: E. Daire, «Économistes financiers du XVIIIIe
siècle», 2. Aufl., Par. 1851),
«Factum de la France» (1707) legte er die Fehler des übertriebenen Colbertismus
(s. d.) und die Schäden des Privilegienwesens bloß; er dringt auf eine mehr
physiokratische Handelspolitik, vor allem aber auf die Gleichheit der Besteuerung. 1712 ließ er seine Denkschriften u. d. T.
«Polit. Testament des Marschalls Vauban» gesammelt erscheinen. Er starb 1714.
(frz., spr. bŏassoh), soviel wie Scheffel, ein
früheres Getreidemaß in Frankreich und Belgien.
[* 39]
Der Pariser Boisseau enthielt 13 l. In Brüssel
[* 40] diente ein Boisseau für Hafer
[* 41] =
63,66 l, ein anderer für Salz
[* 42] = 56,88 l. In mehrern Gegenden Frankreichs hieß ferner ein Feldmaß (d. i. «Scheffel Aussaat»);
dasselbe war von sehr verschiedener Größe, zwischen 7/10 und 3 1/5 a schwankend.
(spr. bŏaß'reh), Sulpiz und Melchior, zwei Brüder, hochverdient um Sammlung, Erhaltung und Würdigung
der Werke der ältern deutschen Malerschulen, waren beide zu Köln,
[* 43] der erstere der letztere geboren.
Angeregt durch die romantische RichtungTiecks und Schlegels sowie durch Cornelius, gewannen beide frühzeitig ein lebhaftes
Interesse für die ältere deutsche Kunst. Im Herbst 1803 machten sie mit ihrem Freunde Joh. BaptistBertram
(gest. zu München)
[* 44] in Paris kunstgeschichtliche und ästhetische Studien, namentlich an den altdeutschen Meisterwerken,
welche sich unter den damals in Paris zusammengehäuften Kunstschätzen fanden. In Begleitung F. von Schlegels 1804 zurückgekehrt,
begannen sie Kunstwerke zu sammeln, zu welchem Zwecke sie die Rheingegenden und die Niederlande,
[* 45] dann
auch andere TeileDeutschlands
[* 46] bereisten.
Ihr Beispiel ermunterte viele zu ähnlichem Sammeleifer, z. B. Lyversberg in Köln, und regte
Goethe zu seinen Betrachtungen über altdeutsche Malerei an. 1818 siedelten sie nach Stuttgart
[* 47] über, wo ihnen der König von
Württemberg
[* 48] ein Gebäude für ihre schon bedeutende Sammlung (etwa 200 Gemälde) überwies. Um diese für
die Zukunft zu sichern und bleibend zugänglich zu machen, überließen sie dieselbe 1827 für 120000 Thlr.
dem König Ludwig I. von Bayern,
[* 49] der das Ganze 1828 zu Schleißheim und 1836 die bedeutendsten Gemälde in der Pinakothek zu
München aufstellen ließ.
Etwa 40 Gemälde kamen nach Nürnberg
[* 50] in die St. Moritzkapelle. Die Brüder und Bertram folgten der Sammlung
nach München. Melchior Boisserée, der sich vorzugsweise mit der altdeutschen Malerei beschäftigte, widmete sich
hier der Vollendung des mit Strixner begonnenen lithographischen Werks über die «Sammlung
alt-, nieder-und oberdeutscher Gemälde» (38 Hefte, Stuttg. u. Münch. 1821-40; 117 Blatt
[* 51] in Folio). Sulpiz
Boisserée, der sich insbesondere dem Studium mittelalterlicher Kirchenbauten, vornehmlich aber des Kölner
[* 52] Doms gewidmet hatte, gab
mit dem Architekturmaler Anton Quaglio das Prachtwerk «Ansichten, Risse und einzelne Teile des Doms zu Köln» (Stuttg. 1822-31; 2. kleinere
Ausg. 1842) heraus;
¶
mehr
ferner «Denkmale der Baukunst
[* 54] am Niederrhein vom 7. bis 13. Jahrh.» (ebd. 1831-33, 72 lithographierte
Blätter in Folio; neue Ausg. mit franz. Text 1842; mit deutschem Text 1844),
«Über den Tempel
[* 55] des heil. Gral» (in den Abhandlungen
der Akademie 1834) und «Die Kaiserdalmatika in der Peterskirche zu Rom»
[* 56] (ebd. 1842). Er wurde 1835 zum
bayr. Oberbaurat und zum Generalkonservator der plastischen Denkmale des Königreichs ernannt, nahm aber schon nach 1½ Jahren
seine Entlassung, um nach dem südl. Frankreich und Italien
[* 57] zu gehen. Seit 1845 lebten beide Brüder in Bonn, um in der Nähe
des Kölner Dombaues zu weilen, für welchen sie mit großem Eifer eintraten. Melchior Boisserée starb
hier sein Bruder Sulpiz Die Biographie und den Briefwechsel des letztern gab seine Witwe u. d. T. «Sulpiz
Boisserée» (2 Bde., Stuttg.
1862) heraus.
Edmond, schweiz. Botaniker, geb. in Genf,
[* 58] bereiste mehrfach die
Mittelmeergegenden, das südwestl.
Asien
[* 59] und Australien.
[* 60] Die Resultate seiner Reisen legte er nieder in den Werken: «Voyage
botanique dans le midi de l'Espagne pendant l'anée 1837» (2 Bde.
mit 208 Taf., Par. 1839-45) und «Flora orientalis» (5 Bde., Genf
1867-84).
(spr. bŏassieh),Gaston, franz. Gelehrter, geb. zu Nimes,
[* 62] besuchte
die Normalschule in Paris, war 1846-56 Lehrer der Rhetorik in Nimes, dann am Lyceum Charlemagne zu Paris und hält seit 1861 am
Collège de France, seit 1865 all der Normalschule Vorlesungen über die lat. Litteratur. 1876 wurde
er Mitglied der französischen Akademie. B.s Werke beruhen auf einem reichen Wissen und zeichnen sich durch gewandte Darstellung
aus. Er schrieb: «Le poète Attius, étude sur la tragédie latine pendant la république» (Par. 1857),
«Étude sur la vie
et les ouvrages de M. T. Varron» (gekrönt 1859, ebd. 1861),
«Cicéron et ses amis, étude sur la société
romaine du temps de Césars» (ebd. 1866; neueste Aufl. 1892; deutsch von Döhler, Lpz.
1870),
(spr. bŏassiöh),Jean Jacques de, franz. Kupferstecher und Maler, geb. 1736 zu Lyon,
[* 63] vervollkommnete sich
in Italien und Paris namentlich im Kupferstich, lebte meist zu Lyon, wo er 1810 starb. Er stach besonders
nach Gemälden von Ruisdael, Dujardin, van de Velde und nach eigenen Zeichnungen in Tusche und Kreide.
[* 64]
Sein 124 Blatt umfassendes
Werk wurde neu herausgegeben (Par. 1824) von Chaillon-Potrelle.
(spr. bŏassonahd),JeanFranç. Boissonade de Fontarabie, franz. Hellenist, geb. zu
Paris, war während der Revolution längere Zeit Beamter im Ministerium des Auswärtigen, dann 1801 Generalsekretär des Depart.
Haute-Marne, entsagte aber dieser Stellung bald, um sich den Wissenschaften zu widmen. Er wurde 1809 zum Adjunkten und 1812 zum
Professor der griech. Litteratur an der PariserUniversität ernannt und 1828 an das Collège de France
versetzt. Boissonade starb zu Passy. Er lieferte größere philol.-kritische Arbeiten,
namentlich über spätere griech.
Schriftsteller, wie Theophylaktos Symokatta, Michael Psellos, Äneas und Chorikios Gazäos, Pachymeres, Tzetzes u. s. w., ferner
Ausgaben von des Marinus «Vita Procli» (Lpz.
1814),
des «Syntipas» (Par. 1828) und der Fabeln des
Babrius (2. Aufl., ebd. 1844). Durch seine «Sylloge
poetarum graecorum» (24 Bde., ebd. 1823-33) leistete er
den klassischen Studien in Frankreich wesentlichen Vorschub. Wichtig für die byzant. Geschichte und das Studium der griech.
Grammatiker sind B.s «Anecdota graeca» (5 Bde., Par.
1829-33) und «Anecdota nova» (ebd. 1844). Auch hat Boissonade mehrere franz. Schriftsteller
herausgegeben. Aus seinem Nachlasse erschien noch «Critique littéraire sous le
premier Empire» (2 Bde., Par. 1863).
d'Anglas (spr. bŏassih danglah),Franç. Antoine, Graf von, franz. Staatsmann und Publizist, geb. zu
St. Jean Chambre im Depart. Ardèche aus prot. Familie. Durch litterar. Arbeiten verschaffte er sich Aufnahme
in die Akademien von Nimes und Lyon, bis ihn die Stelle eines Maitre d'Hötel beim Grafen von Provence (Ludwig XVIII.) zeitweilig
nach Paris führte. BeimAusbruch der Revolution ward er von Annonay in die Generalstände gewählt. In der Konstituierenden
Nationalversammlung gehörte er zu den gemäßigten Konstitutionellen. Im Konvent stimmte er in dem Prozeß
des Königs für Haft und Verbannung, sobald die Sicherheit des Landes diese gestatte.
Während der Schreckensherrschaft hielt er sich bis zu Robespierres Sturz zurückgezogen. Dann ward er Mitglied des Wohlfahrtsausschusses,
in dem er Mäßigung und Klugheit an den Tag legte. Beauftragt, die Verproviantierung von Paris zu leiten,
galt er dem Volke als einer der Urheber der Hungersnot und hatte während der Unruhen vom 12. Germinal und 1. Prairial 1795 einen
äußerst schweren Stand. Nachher kam in den Rat der Fünfhundert, dessen Präsident er mehrmals war.
Dem Direktorium feindlich gesinnt, wurde er des Einverständnisses mit dem monarchistischen Klub Clichy
beschuldigt und 18. Fructidor 1797 zur Deportation verurteilt, der er durch Flucht nach England entging. Bonaparte berief ihn
zuerst zum Tribunat und dann mit dem Grafentitel in den Senat. Ludwig XVIII. ernannte ihn zum Pair.
Nach der zweiten Restauration ward er, weil er während der Hundert Tage in der Pairskammer Platz genommen
und von Napoleon den Auftrag zur Organisierung Südfrankreichs angenommen hatte, aus der Pairsliste gestrichen, schon im Aug. 1815 aber
wieder aufgenommen; er verteidigte das Wahlgesetz, die Jury, die Preßfreiheit und trat in Opposition gegen die Hofpartei.
Seit 1816 war er Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Boissy d'Anglas starb zu Paris.
Er schrieb: «Essai sur la vie, les écrits et les opinions de M. Malesherbes»
(3 Bde., Par. 1819-21) und «Études
littéraires et politiques d'un viellard» (6 Bde., ebd.
1825).
Arrigo, ital. Komponist und Dichter, geb. erhielt seine Ausbildung am
¶
mehr
246 Mailänder Konservatorium, an dem er jetzt als Lehrer wirkt. Auf wiederholten Reisen nach Paris, Deutschland
[* 66] und Polen wurde
Boito mit der Musik Richard Wagners und mit St. Gobatti, einem der eifrigsten Anhänger dieses Meisters unter den ital. Musikern,
näher bekannt. Von seinen Opern ist am bekanntesten «Mefistofele», das ital.
Seitenstück zu Gounods «Margarete». Bei der ersten Aufführung in Mailand
[* 67] (1808) abgelehnt,
hat das musikalisch dürftige, aber charaktervolle Werk allmählich die bedeutendsten Opernbühnen der Welt erobert. Seine
einaktige musikalische Idylle «Abenddämmerung» erzielte 1891 in Hamburg
[* 68] einen guten Erfolg. Großes Ansehen genießt Boito als
Textdichter. Die Bücher zu Ponchiellis «Gioconda», Bottesinis «Hero und Leander» und zu Verdis«Othello»
sind von ihm.
Camillo, ital. Kunstschriftsteller, geb. zu
Rom, widmete sich zu Venedig
[* 69] und Padua
[* 70] der Architektur und Litteratur, zog sich, von der österr. Regierung verbannt, 1856 nach
Toscana zurück und wurde 1860 Professor der Architektur an der Brera zu Mailand, wo er seither, auch als
praktischer Architekt thätig (Museum zu Padua), wirkt. Er schrieb: «Storiellevane», Novellen (2 Bde., Mail.
1876–79),
1) Stadt im wend. Kreis
[* 72] (Herzogtum Güstrow)
[* 73] des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, 56 km südöstlich von Hamburg, an der
Mündung der Boize in die Elbe und an der Linie Wittenberge-Hamburg der Preuß. Staatsbahnen,
[* 74] von der eine
Nebenbahn zum Hafen führt, hat (1890) 3672 E., Post zweiter Klasse, Telegraph,
[* 75] Dampferstation, Amtsgericht (Landgericht Schwerin),
[* 76] Domänen-, Steuer- undAichamt, 1 Bürger-, 1 Gewerbe- und 1 Warteschule; Branntweinbrennerei, Eisengießerei,
[* 77] 2 Schiffswerften, 1 Dampfmühle, 2 Seifensiedereien
sowie lebhaften Handel, Schiffahrt und Fischerei. – 1255 durch den Grafen Guncelin von Schwerin als Stadt
gegründet, 1267 mit Lübischem Recht ausgestattet, war Boitzenburg von 1374 bis 1349 Residenz der Grafen von Schwerin. Das fürstl.
Schloß wurde 1644 vom kaiserl. GeneralGallas zerstört. In denKriegen des 17. Jahrh. litt Boitzenburg vielfach durch Dänen und Schweden,
und wurde 1709 durch eine Feuersbrunst fast gänzlich zerstört. Von 1734 bis 1763 war die Stadt Sitz des kurfürstlich hannov.
Oberaufsehers über das an Hannover verpfändete Domänenamt Boitzenburg 1768 gehörte Boitzenburg durch Verpfändung
zu Hannover. –
2) Marktflecken im KreisTemplin des preuß. Reg.-Bez. Potsdam,
[* 78] an dem Flüßchen Quillow und einem See
gelegen, hat (1890) 770 E. und schöne Parkanlagen, die von der gräfl. Familie Arnim (s. d.) herrühren. Die GrafschaftBoitzenburg des
Grafen von Arnim-Boitzenburg umfaßt 165 qkm, wovon 110 hkm Wald.
Kap, Vorgebirge an der Nordwestküste Afrikas unter 26°6'57'' nördl. Br. und 14°28'21'' westl. L. von Greenwich,
ein von N. allmählich ansteigender, nach S. steil zum Meere abfallender, 30 m hoher Sandsteinfels. Die
Umsegelung des Kaps durch die Genuesen Vivaldi und Doria
1251, die Fahrten des Cataloniers Ferrer 1346 (bis 23°39') und andere
Leistungen waren vergessen und das Kap Bojador galt lange Zeit als der südlichste erreichbare Punkt der Westküste
Afrikas; wegen der starken Meeresströmung (bis 7½ Seemeile in der Stunde) und der zahlreichen Untiefen an der Küste wagte man
nicht weiter vorzudringen. Der Portugiese Gil Eanes (Gilianes) umfuhr 1432 im AuftrageHeinrichs des Seefahrers das Kap zum erstenmal.
Jetzt bildet es die nördl. Grenze des von den Spaniern in Besitz genommenen Küstenstrichs.
Fluß in Oberalbanien, Abfluß des Skodrasees ins Adriatische Meer, vereinigt sich mit einem Arm des Drin (s. d.),
hat geringes Gefälle und so beträchtliche Tiefe, daß es 1876 den Türken möglich war, zwei kleine Monitors
auf demselben in den Skodrasee zu bringen.
Stadt im Kreis Isernia der ital. ProvinzCampobasso, am rechten Ufer des Biferno, in einer tiefen Schlucht am
Nordostabhange der Berggruppe Matese (2050 m), welche 4 Monate des Jahres hindurch dem Sonnenlicht den Zugang zur Stadt
verwehrt, ist Sitz eines Suffraganbistums von Benevent, hat (1881) 3728, als Gemeinde 5708 E., 1 Kathedrale, 5 Pfarrkirchen, 1 Seminar,
Post und Telegraph. – Bojano, das antikeBovianum oder Bojanum, ursprünglich Stadt der SamnitesPentri, seit KaiserAugustus röm.
Veteranenkolonie, wurde im 9. Jahrh. von sicil. Arabern eingeäschert und hatte viel von Erdbeben,
[* 79] zuletzt
1805, zu leiden. Reste eines Theaters, eines Tempels und beim Dorfe Civita auf hohem Felsen über der Stadt die mächtigen
Mauern der alten samnitischen Burg sind erhalten.
Stadt im Kreis Rawitsch des preuß. Reg.-Bez. Posen,
[* 80] 21 km im SW. von Kröben an der schles. Grenze,
in sandiger Gegend an der Linie Breslau-Lissa und der Nebenlinie A.-Guhrau (15,10 km) der Preuß. Staatsbahnen, hat (1890) 1918 E.,
darunter 258 Katholiken und 72 Israeliten, Post, Telegraph, Amtsgericht (Landgericht Lissa),
[* 81] evang. Kirche, Synagoge, höhere
Bürgerschule; 2 Maschinenfabriken, Spiritusbrennereien, Hornwaren- und Tuchfabriken, Flachsbereitungsanstalt und 25 Windmühlen.
– Bojanówo entstand 1638, als ein Herr von Bojanowsky luth. Flüchtlingen hier Aufenthalt gewährte. 1857 brannte
die Stadt fast völlig nieder; dem um ihren Wiederaufbau verdienten Generaldirektor Schmückert ist auf dem Marktplatze ein
Marmordenkmal errichtet worden.
russ. bojárin, in der ältesten Zeit in Rußland Mitglied des Standes der Großen, Vornehmen, die zugleich Krieger
waren. Man unterschied Landesbojaren und fürstliche Bojar. Die erstern waren es kraft ihrer Stellung unter ihren Landgenossen
als Großgrundbesitzer, die letztern als die vornehmsten Mannen der Fürsten. Die erstern haben sich nur in Galizien und in
Nowgorod (s. Nowgorod-Weliki) längere Zeit erhalten und es zu größerer Bedeutung gebracht. In
Nowgorod hören sie mit der Vernichtung der Selbständigkeit auf (1478). Im übrigen Rußland gab es vom 13. Jahrh.
an nur noch fürstliche Bojar In der ältesten Zeit standen die Bojar noch den fürstlichen, d. h.
von Rurik abstammenden Geschlechtern im Range nach, später verschmolzen sich die angesehensten fürstl. Familien mit dem
Bojarentum. Der Rang unter den
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Bojar ward nach dem Alter der Familien im Dienste
[* 83] des Staates bemessen. (S. Mestnitschestwo.) Die Stellung der Bojar war nie erblich,
wenn auch gewöhnlich nur Söhne von Bojar diese Stellung erlangten. In der Gefolgschaft (s. Drushina) der Fürsten im 10. bis 12. Jahrh.
spielen die Bojar eine sehr bedeutende Rolle. Als die Fürsten ansässig und Grundeigentümer
wurden, wurden ihre es auch. Ihre Besitzungen bilden die ausgeprägteste Form des Eigentums an Grund und Boden. Daher heißt
noch in späterer Zeit alles in Privatbesitz befindliche Land bojárskaja zemljá., selbst wenn es nicht Bojar, sondern
niedern Dienstleuten gehörte, und die Sklaven hießen bojárzkije ljúdi, auch wenn sie nicht Bojar gehörten.
In den einzelnen russ. Fürstentümern bildete die Gesamtheit der Bojar den Landesverwaltungsrat
des Fürsten. (S. Duma.) In Moskau
[* 84] leiteten unter den ersten Fürsten die erfahrenen Bojar die moskauische Politik. Da die moskauischen
Großfürsten als Oberstatthalter der Mongolenchane die führende Macht unter den russ.
Fürsten waren, so zogen sich die vornehmsten Bojarenfamilien aus den übrigen Fürstentümern nach Moskau und trugen dadurch
wesentlich zur Stärkung Moskaus bei.
Erst Iwan III. suchte sich vom Einfluß der Bojar unabhängig zu machen, ebenso sein Sohn Wassilij III. Während der Unmündigkeit
von dessen Sohn, IwanIV. dem Schrecklichen, wo die Regierung ganz in den Händen der Bojar war, überboten
sich diese gegenseitig in Kabale und Willkürwirtschaft und pflanzten in die Seele des jungen Zaren jene blutdürstigen Triebe,
die sich später so entsetzlich gegen sie kehrten, als er ihre Macht vernichtete und die reine Despotie durchführte.
Übrigens hatten die Bojar nie irgend ein festes bestimmtes Recht beansprucht, sondern stets die absolute
Macht des Großfürsten und Zaren in den Vordergrund gestellt, freilich sollte der absolute Zar nach ihrem Rat regieren. Nach
dem Sturze des ersten falschen Demetrius wurde der Bojar Fürst Wassilij Schuijskij von den und ihrem Anhange zum
Zaren ausgerufen. In seinem Manifest verpflichtete er sich eidlich, die Regierung nach gemeinsamem Rate zu führen. Nach seinem
Sturze übernahmen sieben Bojar die Regierung, ließen sich huldigen und boten Wladislaw, dem Sohne Sigismunds III. von Polen,
die Zarenwürde an. Die Wahlkapitulation kam zu stande, und Moskau erhielt eine poln. Besatzung.
Mit der Verjagung der Polen hatte auch das Bojarenregiment ein Ende; die Heerführer beriefen einen Landestag. Der von diesem
erwählte ZarMichaelRomanow soll den Bojar gegenüber die Verpflichtung übernommen haben, niemand ohne Urteil und Recht zum Tode
zu verurteilen oder seiner Güter zu berauben, die Regierung durch den Bojarenrat führen und nichts ohne
Wissen desselben vornehmen zu wollen. Seinem Sohne Alexei ist eine solche Verpflichtung bei seiner Thronbesteigung von niemand
abverlangt worden; er war eben geborener Zar. Unter ihm kam es auf, daß der Zar oft nur einzelne Bojar zu Beratungen berief und
die wichtigsten Sachen allein entschied, sodaß die Bojaren-Duma an Bedeutung verlor. Peter d. Gr. hob
mit den alten Dienstklassen (s. Dienstleute) die Bojarenwürde dadurch auf, daß er keine Bojar mehr
ernannte. Am starb der letzte russische Bojar, Fürst Iwan Jurjewitsch Trubezkoi.
Bei den Rumänen der Donaufürstentümer führte die Benennung Bojar im frühern Mittelalter eine
Art meist militär. Dienstadels, doch schon zu Anfang des
15. Jahrh. bedeutet dieser Titel ein bestimmtes Staatsamt. Eine Anzahl
von 14 bis 16 Bojar bildete den Rat der Regierung. Diese mußten den Fürsten überall begleiten und Stellvertreter auf ihren
Posten hinterlassen. Im Kriege waren die Bojar Anführer des Heers. Zur Zeit des militär. Verfalls der Fürstentümer
(17. und 18. Jahrh.) wurden die Civilbeamten ebenfalls Bojar genannt. Diese waren aber
Bojarensöhne, die als Großgrundbesitzer unentgeltlich Staatsdienste übernehmen mußten und dadurch auch den Adel in der
Familie erhielten; erblich war der Bojarentitel indessen nie.
Matteo Maria, Graf von Scandiano, ital. Dichter, geb.
gegen 1434 zu Scandiano, lebte in Ferrara
[* 85] am Hofe Borsos von Este, den er 1471 nach Rom begleitete, und Ercoles I. 1478 wurde
ihm das Gouvernement von Reggio, 1481 das von Modena übergeben, 1487 wieder die Stadt- und Burghauptmannschaft von Reggio,
welches Amt er bis zum Tode bekleidete. Sein Hauptwerk bildet das der Karlssage (s. d.)
zugehörige romantische Rittergedicht «Orlando innamorato», das er in drei Büchern oder 69 Gesängen unvollendet hinterließ
(Fortsetzung u. a. von Niccolò degli Agostini, 33 Gesänge, in mehrern alten Ausgaben).
Während die frühern Dichtungen über Roland ihren Helden nur als Vorkämpfer der Christenheit auffaßten,
suchte Bojardo, vertraut mit den Gedichten des Arthurkreises, der Sage durch Einführung der Frauenminne, der Zaubereien, durch
das ungläubige Lächeln, mit dem er dem Zeitgeiste gemäß hier und da den Stoff behandelt, einen neuen Charakter zu verleihen.
Seine Phantasie ist äußerst reich; doch fehlt den Erfindungen inneres Gemütsleben. Immerhin hat er
die Gattung des romantischen Rittergedichts geschaffen und seinen Nachfolgern, selbst Ariost, alle Charaktere und die Fäden,
die sie leicht fortzuspinnen vermochten, geliefert. Sein Werk wurde bis 1544 (zuerst vollständig zu Scandiano 1495) 16mal
gedruckt, schon im 16. Jahrh. ins Französische (von Vincent, Lyon 1544, Par. 1549 u. ö.; de Rosset, ebd.
1619; frei von Lesage, 2 Bde., ebd. 1717 u. ö.;
Tressan, ebd. 1780 und 1822), neuerdings fast in alle lebende Sprachen (deutsch zuerst in Prosa von Benedicte Naubert, hg.
von Schmidt, 3 Bde., Berl. 1819-20;
am besten von Gries, 3 Bde., Stuttg. 1835-37,
und Regis, Berl. 1840) übersetzt. Da in dem zu Ferrara gesprochenen Italienisch schrieb, erregte er bei
den Florentinern Anstoß.
Daher erschienen mehrere Umarbeitungen in reinem Toscanisch, von Berni (s. d.) 1541, Lodovico Domenichi 1545 (mit Agostinis
Fortsetzung des Bojardo), die jahrhundertelang das Original verdrängten. B.s eigene Fassung gab erst Panizzi wieder
heraus (Orlando innomorato di Bojardo: Orlando furioso di Ariosto, with an essay on the romantic narrative poetry
of the Italians, memoirs and notes, 9 Bde., Lond.
1830-34). Unter B.s übrigen ital. und lat. Werken sind hervorzuheben:
„Sonetti e canzoni" (Reggio 1499),
in drei Büchern, meist an seine Geliebte AntoniaCaprara gerichtet (neu hg. Mail. 1845),
«Il Timone», ein fünfaktiges Lustspiel nach Lucian (Scandiano 1500; Ferrara 1809),
ein lat. «Carmen bucolicum“
(Reggio 1500), »Asino d'oro" nach Apulejus (Vened. 1523). Auch übertrug er Herodot (ebd. 1533 u. ö.)
sowie Riccobaldis «Chronicon Romanorum imperatorum» ins Italienische. Eine Auswahl von B.s «Poesie» gab Venturi mit Erläuterungen
(Modena 1820) heraus.
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