hätten alle beobachteten
Staaten eine, und zwar zum
Teil recht ansehnliche Volkszunahme gehabt. Ein Geburtenüberschuß, freilich
von sehr verschiedener
Größe, zeigt sich nämlich überall. Bemerkenswert ist, daß neben
Finland es ausschließlich die
german.
Staaten sind, in denen die natürliche Volksvermehrung eine Höhe erreicht, an die dje übrigen nicht heranreichen.
Auffallend gering ist der Überschuß in
Frankreich, dessen äußerst schwache Geburtsfrequenz (s.
Zweikindersystem)
eine Zunahme verhindert.
Der letztern kommt dort aber der starke Zuzug vom
Auslande zu gute.
Frankreich gehört zu den wenigen europ.
Staaten, denen
die Wanderungen einen" Gewinn bringen. Sonst verringert fast überall die
Auswanderung mehr oder minder die
einheimische
[* 2] ohne genügenden Ersatz durch Zuzug von außen, besonderem
Irland, dessen trostlose agrarische Verhältnisse
eine massenhafte
Auswanderung der ländlichen Bevölkerung verursachen. 1841 hatte dieses unglückliche Land 8 199 853 E., 1851 noch 6 514 473,
seitdem ist die Zahl beträchtlich gesunken, so daß nur hier das Gesamtergebnis ein ungünstiges ist.
In allen andern
Ländern hat die Bevölkerung zugenommen, am meisten in
Finland und im industriereichen
Großbritannien,
[* 3] so daß im
Vereinigten
[* 4] Königreich die Wirkung der schärfsten wirtschaftlichen Gegensätze sichtbar wird. Die europ.
Auswanderung (s. d.) kommt in erster Linie den
Vereinigten Staaten von
Amerika
[* 5] zu gute, deren Bevölkerung von 3 929 214 i. J. 1790 auf 62 622 250 i.
J. 1890, also um jährlich 3,17 Proz. anwuchs, womit dieses Land die europ.
Verhältnisse weit hinter sich läßt.
Diejenige Wissenschaft, welche sich die Erforschung der auf die Bevölkerung als solche bezüglichen Fragen zur
Aufgabe macht, wird
als
Bevölkerungslehre bezeichnet. Sie zerfällt in drei
Teile:
1) Die
Bevölkerungsstatistik (s. oben), welche die thatsächlichen Bevölkerungszustände ermittelt
und beschreibt;
Litteratur.Quetelet,Sur l'homme on essai de physique sociale (2 Bde., Par.
1835; deutsch von Riecke, Stuttg. 1838; neu bearbeitet u. d. T.
Physique sociale, 2 Bde., Brüss.
und Par. 1869);
Censimento della popolazione del Regno d'Italia al 31 dic. 1881. Relazione generale e confronti internazionali
(Rom
[* 8] 1885);
Cheysson, La question de la population en
France et à l'étranger (Par. 1885);
Levasseur, La population
française
(2 Bde., ebd. 1889-91);
Supan, Die Verschiebung der in den industriellen Großstaaten Westeuropas im letzten Jahrzehnt
(1881-91) in Petermanns «Mitteilungen», Bd. 38, Heft III (1892).
die
Lehre
[* 9] von denAufgaben und
Mitteln der
Staatsgewalt, auf die Gestaltung
der Bevölkerungsverhältnisse eines
Landes bestimmend einzuwirken. Insbesondere ist es die Frage der Förderung oder
Hemmung der
Volksvermehrung, welche die Staatsmänner vielfach beschäftigt hat und je nach den Verhältnissen und dem
Grade der gewonnenen
Einsicht verschieden beantwortet worden ist. Die
Wohlfahrtspolitik der im 17. und 18. Jahrh, herrschenden
merkantilistischen Staatspraxis betrachtete eine möglichst dichte
Bevölkerung als notwendige Vorbedingung einer gesunden
Volkswirtschaft und die
Steigerung der Volkszahl daher als eine ihrer wichtigsten
Aufgaben.
Genährt wurden diese, auch von den damaligen Theoretikern, unter den deutschen namentlich von
Seckendorff,
Süßmilch, von
Justi,
Sonnenfels u. a., befürworteten Bestrebungen durch das wachsende Verlangen
der aufkommenden absolutistischen
Staaten nach Steuerzahlern und
Soldaten sowie durch die argen Verheerungen, die namentlich
in
Deutschland
[* 10] der Dreißigjährige
Krieg unter der
Bevölkerung angerichtet hatte. Zur
Hebung
[* 11] der Volkszahl schlug man verschiedene
Wege ein, stets aber suchte man möglichst direkt das Ziel zu erreichen.
Ein beliebtesMittel war die Förderung der Kinderzeugung durch
Begünstigung der
Eheschließungen und durch
Aussetzung besonderer Prämien. So schon bei den
Römern die Lex Papia Popaea (s. d.) vom Jahre 9 n. Chr.
In neuerer Zeit sagte Colbert 1666 allen denjenigen Geldbelohnungen zu, die vor dem 20. Jahre heirateten oder 10 eheliche
Kinder am Leben hätten.
Rationeller waren die auf die Heranziehung fremder Einwanderer gerichteten Bestrebungen,
zumal hierdurch Leute im kräftigen
Lebensalter dem
Lande gewonnen wurden, deren Gewerbfleiß
die Industrie ihrer neuen
Heimat
beleben konnte.
Die preuß. Politik ist reich an
Beispielen dieser Art. Auf der andern Seite wurde die
Auswanderung nach Möglichkeit zu erschweren
gesucht oder gänzlich untersagt. Im 19. Jahrh. trat ein Umschwung der
Anschauungen ein, der theoretisch namentlich durch
das Werk von Malthus (s. d. und
Bevölkerungstheorie), praktisch aber durch die gedrückte
Lage der
Masse der
Arbeiter in der
Zeit des Übergangs zur neuern
Industrie verursacht wurde. Man hielt es jetzt vielfach für nötig, die
Auswanderung zu begünstigen, und in einigen deutschen
Staaten wurden die
Eheschließungen der Unbemittelten durch die Gesetzgebung
wesentlich erschwert, eine Maßnahme, die eine starke
Vermehrung der unehelichen
Geburten im Gefolge hatte.
Das norddeutsche Bundesgesetz vom beseitigte deshalb mit
Recht diese
Beschränkungen und gewährte der Selbstverantwortlichkeit
des Einzelnen wieder einen größern Spielraum. Dieses Gesetz wurde auch in
Württemberg
[* 12] und
Baden
[* 13] eingeführt,
nicht aber in
Bayern,
[* 14] wo zwar auch die frühern Bestimmungen über den obrigkeitlichen Ehekonsens aufgehoben wurden, aber
durch das Gesetz vom den Gemeinden in bestimmten Fällen ein Einspruchsrecht gegen eine beabsichtigte
Eheschließung vorbehalten ist. Als Gebiet zur
¶
mehr
praktischen Bethätigung der Bevölkerungspolitik können gegenwärtig wohl nur noch die Angelegenheiten der Auswanderung (s. d.) in Frage kommen,
da die öffentliche Gesundheitspflege selbständig zu betrachten ist. -
Vgl. von Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen
des Rechtsstaats, Bd. 1, S. 97-174 (3. Aufl., Tüb. 1832-34);
auch Bevölkerungslehre im engern Sinne oder Populationistik (s. d.). Die Bevölkerungstheorie sucht die von der
Bevölkerungsstatistik erforschten Thatsachen (s. Bevölkerung) auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen. Im Vordergrunde
des theoretischen und praktischen Interesses stehen dabei die das Wachstum der Bevölkerung betreffenden
Fragen. Das Verdienst, dieselben zum erstenmal als wissenschaftliches Problem mit Erfolg behandelt zu haben, gebührt dem
Engländer R. Malthus. Dieser hat, wenn auch nicht ohne Vorläufer, gegenüber der bis dahin allgemein üblichen, einseitigen
Überschätzung der Vorteile einer zahlreichen Bevölkerung (s. Bevölkerungspolitik), als erster mit Nachdruck
und in geschickter Formulierung auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die aus einer uneingeschränkten Volksvermehrung entspringen.
In seinem «Essay on the principles of population» (Lond.
1798) weist Malthus darauf hin, daß die Menschen das Streben und die Fähigkeit haben, sich unbegrenzt zu vermehren, was
auch zweifellos geschehen würde, wenn nicht mancherlei Hemmnisse (checks) jenem natürlichen Triebe entgegenwirkten.
Den der Volksvermehrung entgegenstehenden Faktor sieht Malthus in der Unzulänglichkeit der Nahrungsmittel,
[* 17] die sich nach seiner
Annahme nur in arithmet. Progression, also wie 1, 2, 3, 4 u. s. w. vermehren lassen,
während die Bevölkerung in geometr. Progression steigt, also wie 1, 2, 4, 8 u. s. w.
Das natürliche Wachstum der Bevölkerung wird daher nach Malthus notwendig durch natürliche Repressivmittel, Hunger, Not,
Elend, die namentlich auf die Kindersterblichkeit einwirken, zurückgehalten, wenn sich die Menschen nicht freiwillig zur
Anwendung von Präventivmitteln, namentlich Vorsicht in der Eheschließung und zur Enthaltsamkeit (moral restraint) entschließen.
Gegen diese Malthussche Bevölkerungstheorie läßt sich freilich einwenden, daß das für die
Vermehrung der Nahrungsmittel aufgestellte Schema ein ganz willkürliches ist, das auch Malthus eigentlich nur als Beispiel
angenommen hat. Ferner kann überhaupt auf viele Jahrhunderte hinaus nicht von einem objektiven Mangel an Nahrungsmitteln
die Rede sein, solange ungeheure Strecken der Erde noch gar nicht oder nur sehr ungenügend ausgenutzt
sind und auch in den alten Ländern das mögliche Maximum der Intensität des Ackerbaues, das wir noch gar nicht kennen, nicht
erreicht ist.
Trotz dieser und anderer Ausstellungen im einzelnen muß jedoch der Kern der Malthusschen Lehre, die Behauptung eines nicht
nur möglichen, sondern oft auch thatsächlich vorhandenen Mißverhältnisses zwischen der Vermehrung der Bevölkerung auf
der einen und der der Unterhaltsmittel auf der andern Seite als unumstößliche Wahrheit anerkannt werden. Insbesondere ist
zuzugeben, daß in den dichtbevölkerten Kulturländern die äußerste, d. h. die ärmste Schicht
der Bevölkerung fortwährend durch Not
und Elend vermindert wird, wie die Ziffern über die Kindersterblichkeit
in dieser Schicht im Vergleich mit den bemittelten Klassen deutlich beweisen; daß ferner auch in den besser gestellten Klassen
durch die vermehrte Konkurrenz viele leicht in Arbeitslosigkeit verfallen und dadurch auf jene unterste Stufe herabgedrückt
werden.
Dieses Übel ist aber wesentlich ein sociales. Tausende sterben jährlich an Entbehrungen und Hungerkrankheiten,
nicht weil die Nahrungsmittel, deren sie bedürfen, nicht vorhanden wären, sondern weil sie nicht die Mittel haben, sie sich
zu verschaffen; und wenn die unbemittelten Klassen jede augenblickliche Besserung ihrer Lage nur benutzen, um leichtsinnige
Heiraten zu schließen und sich proletarisch zu vermehren, so ist nicht abzusehen, wie jenes Übel auf dem
Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung gehoben werden könnte.
Aber auch wenn man sich irgendeine socialistische oder kommunistische Idealorganisation verwirklicht denken wollte, so würde
auch diese eine uneingeschränkte Vermehrung der Bevölkerung, wie sie der natürlichen Tendenz entspricht, auf unbegrenzte Dauer
nicht ertragen können, es müßte doch schließlich wieder die menschliche Vernunft dem zügellosen Naturtriebe
entgegentreten. Daß diese Zügelung ohne Mitwirkung des menschlichen Willens von selbst durch ein automatisch wirkendes organisches
Naturgesetz erfolge, wie Doubleday, Sadler, Spencer, Carey, Proudhon u. a. meinen, ist eine ganz willkürliche, meistens auf
theologisierenden Mysticismus oder bodenlosen Optimismus gestützte Behauptung.
Doubleday behauptet, die Fruchtbarkeit der Menschen nehme um so mehr ab, je besser sie sich nähren, und er beruft sich dafür
auf die Beobachtungen an gemästetem Vieh. Sadler hat ähnliche Ansichten, und die andern genannten meinen, die Entwicklung
des Nervensystems und die geistige Thätigkeit ständen im umgekehrten Verhältnis zur Fortpflanzungsfähigkeit;
je mehr der Mensch sich geistig entwickle, um so weniger werde er sich vermehren. Daß der Mensch sich nicht in so starkem Verhältnis
vermehren kann wie die niedern Tiere, wird niemand in Abrede stellen, aber seine wirkliche Vermehrbarkeit kann recht wohl
mit Rücksicht auf die gegebenen wirtschaftlichen und socialen Daseinsbedingungen der Einzelnen zu einer
thatsächlichen Übervölkerung führen, die dann auf empfindliche und schmerzliche Weise ihr Heilmittel aus sich selbst erzeugt.
Daß hierin ein Widerspruch mit den sonst herrschenden Naturgesetzen liege, wird angesichts der heute anerkannten Lehre vom
Kampfe ums Dasein in der Natur niemand mehr behaupten wollen. Wenn die fortschreitende geistige Entwicklung
der Menschheit Abhilfe bringen soll, so wird dies sicherlich nicht auf automatisch-organischem, sondern auf dem Wege der
bewußten Selbstbeherrschung geschehen. Auf absehbare Zeit aber ist die Übervölkerung nur eine von der Volkszahl und Volksdichtigkeit
unabhängige, also nur relative Erscheinung, die mit wirtschaftlichen und socialen Mißverhältnissen zusammenhängt und
durch Herstellung eines bessern Gleichgewichts von Produktion und Konsumtion, unter Umständen auch durch Auswanderung beseitigt
werden kann.
Unter dem Eindruck der starken Vermehrung insbesondere des großindustriellen Proletariats ist in England neuerdings eine
unter dem Namen Neo-Malthusianismus bekannte Bewegung entstanden, die ihren Mittelpunkt in der 1877 geschlossenen
¶
mehr
Vereinigung der«Malthusian League» gefunden hat und u. d. T.
«The Maltusian» eine eigene Monatsschrift herausgiebt. Die Anhänger dieser auch auf dem Kontinent vertretenen Richtung erwarten
von der «fakultativen Sterilität» eine Beschränkung der Bevölkerungszunahme auf ein den wirtschaftlichen Verhältnissen
entsprechendes Maß. Im Gegensatz zur Übervölkerung entsteht die Entvölkerung teils durch anhaltendes Überwiegen
der Sterbefälle über die Geburten, wie bei den aussterbenden Naturstämmen, teils durch starke freiwillige oder erzwungene
Auswanderung, wie z. B. in Spanien
[* 19] durch die Vertreibung der Mauren.
Die Wirkung beider Ursachen wird begünstigt durch Hungersnot, verheerende Kriege, Druck fremder Eroberer und andere Übel.
Bei dem gegenwärtigen Stande der Kulturentwicklung ist natürlich die völlige Entvölkerung irgend eines
Landes, das für den Menschen überhaupt bewohnbar ist, nicht zu erwarten, sondern bei der starken Vermehrung der Kulturvölker,
die durch Verbesserung der Hygieine und namentlich durch die Verminderung der Kindersterblichkeit befördert wird, werden
alle durch Verschwinden der Ureinwohner überseeischer Gebiete entstehenden Lücken rasch ausgefüllt, wie
auch die nur dünn bevölkerten Länder allmählich zu einer größern Bevölkerungsdichtigkeit gelangen.
Die Entvölkerung ist daher nur eine relative und zeitweilige Erscheinung. Sie ist z. B.
gegenwärtig in Kleinasien und Nordafrika zu beobachten, wenn man die Bevölkerung dieser Gebiete zur Zeit ihrer höchsten
Blüte
[* 20] im Altertum in Vergleich stellt; ebenso wies Deutschland nach dem Dreißigjährigen Kriege im Vergleich
sowohl mit dem frühern als auch mit dem gegenwärtigen Zustande eine furchtbare Entvölkerung auf. Man kann übrigens nicht
jede selbst längere Zeit dauernde Abnahme der Bevölkerung als Entvölkerung im eigentlichen Sinne bezeichnen, denn dieser Abnahme
ist vielleicht eine übermäßig starke Vermehrung, eine Übervölkerung, vorhergegangen, auf die nunmehr
eine naturgemäße Reaktion folgt.
Die eigentliche Entvölkerung beginnt erst, wenn die Bevölkerung unter das Niveau sinkt, das nach den natürlichen Hilfsquellen
des Landes und nach seinen geschichtlich gegebenen wirtschaftlichen Existenzbedingungen als das normale angesehen werden
muß. Wo diese Grenze liegt, läßt sich nur schätzungsweise und nur für den konkreten Fall, nicht allgemein
angeben. IrlandsBevölkerung hat seit 1846 fortwährend abgenommen (s. Bevölkerung, S. 928a, 929), doch wird man mit Rücksicht
auf die allgemeinen Verhältnisse des Landes auch bei der jüngsten Ziffer noch nicht von einer eigentlichen Entvölkerung sprechen
können.
Auch innerhalb eines und desselben Landes finden Verschiebungen der Bevölkerung statt, die man wohl als
Entvölkerung einzelner Landesteile bezeichnet. So kommt in den Kulturstaaten nicht selten eine absolute Verminderung
der Bevölkerung gewisser ländlicher Bezirke und kleinerer Städte vor, während die Großstädte immer mehr Einwohner an sich
ziehen. Unter einer solchen örtlichen Entvölkerung werden einzelne Interessen zwar oft schwer leiden,
für die Nationalwirtschaft im ganzen aber wird die so entstehende Verteilung der Bevölkerung und der Produktivkräfte der
Regel nach die zweckmäßigste sein.
Litteratur. Doubleday, The true law of population (Lond. 1840; 2. Aufl. 1854);
Sadler, The law of population (2 Bde., ebd. 1830);
Minister (franz. Envoyé extraordinaire und Ministre plénipotentiaire),
seit der Mitte des 18. Jahrh. Bezeichnung des nach den Botschaftern (s. d.) rangierenden ordentlichen
Gesandten (s. d.), obwohl er in ordentlicher Stellung sich befindet und nicht unbedingte Vollmacht hat.
Rundholzstücke nicht scharfkantig, sondern nur so mit der Axt in der Längsrichtung beschlagen, daß 8 Seitenflächen
entstehen, von denen 4 eben und 4 bogig sind.
Statt Bewaldrechten sagt man auch schalkantig oder baumkantig beschlagen.
Das Bewaldrechten soll das Austrocknen des Holzes befördern und dieses dadurch transportfähiger machen.
oder Irrigation, das Mittel, dem Boden und durch ihn der Vegetation die erforderliche Feuchtigkeit,
eine der Bedingungen frischen und ergiebigen Pflanzenwachstums, zu verschaffen; sie ist dasselbe im großen Maßstabe, was
das Begießen bei der Gärtnerei im kleinen ist, und muß, gleich diesem, zu passender Jahreszeit mit Wasser von entsprechender
Beschaffenheit und auf einem Boden, welcher schon im voraus dafür empfänglich gemacht worden ist, vorgenommen
werden. Da in warmen Klimaten oder auf sonst sterilen Flächen häufig die Zufuhr von Wasser die einzige Bedingung der Fruchtbarkeit
eines Bodens ist, so ist die Bewässerung schon seit den ältesten Zeiten zu einer der bedeutendsten Meliorationen in der Landwirtschaft
und demgemäß auch in systematischer Weise zu einer Kunst ausgebildet worden, welche die eine Hälfte
der Aufgabe der landwirtschaftlichen Kulturtechnik bildet.
Schon die Bibel
[* 25] erwähnt an mehrern Stellen die Leitung von Wasser über die Saaten; das Land zwischen Euphrat und Tigris, Mesopotamien,
galt im grauen Altertum seiner zu Befruchtungszwecken durchgeführten Kanalisation halber für ein Vorbild landwirtschaftlichen
Fortschritts; die Länder der ältesten Kultur, China,
[* 26] Indien und Ägypten,
[* 27] haben von jeher und bis heute
die in jeglicher Weise zur Belebung ihrer Saaten benutzt. Das letztere Land begnügt sich keineswegs mit den periodischen
Überschwemmungen des Nilstroms, sondern leitet dessen Gewässer vermittelst eines in der Neuzeit durch großartige Dampfwasserhebewerke
unterstützten, weitverzweigten Kanalsystems durch sein ganzes Ertragsgebiet bis zum Rande der Wüste.
In Europa
[* 28] waren die Etrusker die ältesten Bewässerungskünstler. Von den riesigen Werken, welche sie ausschließlich zum
Zwecke der Wasserzufuhr für die Felder errichteten, geben noch gegenwärtig die
¶
mehr
kolossalen Reste der philistinischcn Kanäle zwischen Etsch und Po Zeugnis. Sie übertrugen ihre Kunst auf die Römer.
[* 30] Am höchsten
entfaltete sich die Organisation der in der Lombardei. Seit den Römerzeiten unablässig entwickelt und ausgebaut, erstreckt
sich deren Kanalnetz für landwirtschaftliche Bewässerungszwecke gegenwärtig über 430000 ha. Die Hauptkanäle wurden zum
Teil schon im frühesten Mittelalter von den Städten Mailand,
[* 31] Brescia, Cremona unter der Herrschaft der Visconti, Sforza, Pallavicini,
Maggi, im Mantuanischcn durch die Gonzaga angelegt, unter Benutzung der vorhandenen Wasserbauten der Alten.
Das Wasser liefern ihnen teils die Flüsse
[* 32] Adda, Tessin,
Brembo, Serio, Oglio, Mella, Clisio und Mincio, teils in
geringerm Maßstabe die Fontanili, gefaßte Quellen, von welchen insbesondere diejenigen geschätzt werden, welche auch in der
rauhen Jahreszeit ein warmes Wasser von durchschnittlich 10° R. ergießen, zur Anlageu nd Bewässerung der herrlichen Winterwiesen,
Marcite, die sich außer der Lombardei nur noch in Spanien vorfinden. Die Abschlüsse der Bewässerung münden sämtlich
in den Po, der durch sie große Mengen an Schlamm und Befruchtungsstoffen zu geführt erhält.
Die Länge aller lombard. Bewässerungskanäle beträgt über 7000 km.
Die Wasserzufuhr, zu 1 l per Sekunde und Hektar, beläuft sich auf 428 cbm in der Sekunde. Der größte Bewässerungskanal
der Lombardei ist der Naviglio grande, welcher, aus der Adda gespeist, die Wiesen, Hanf-, Lein- und Getreidefelder,
auch einige Reispflanzungen im östl. Teile des Mailändischen und in der Provinz Lodi, im ganzen ein Gebiet von 98000 ha bewässert;
er ist 50 km lang und zugleich schiffbar.
Noch größer ist als Kanal
[* 33] die 57 km lange Muzza, welche jedoch bloß auf zwei Dritteilen ihres Laufs
zur Bewässerung eines Gebietes von 16400 ha benutzt wird, welches die Gera
[* 34] d’Adda und Crema einschließt. An den
großen Naviglio schließt sich der Kanal von Bereguardo, an die Muzza mehrere von Brembo, Serio und Oglio gespeiste Kanäle
im Bergamaskischen; ihnen reihen sich an die von Pavia, Cremona, Gavardo, Martesana (mil dem Naviglio
interno, der die Spülwasser der Stadt Mailand aufnimmt), Fusa; die Wasserleitungen Vailata, Ritorto, Pallavicino, Lonata,
Calcinata, Aquanegra, Marchionale, Pozzola u. a. Minder ausgebildet als in der Lombardei ist das Bewässerungswesen im Piemontesischen;
doch hat dasselbe seit Erbauung des großen Cavourkanals (s. d.) einen größern Aufschwung genommen.
(Vgl. Hamm,
[* 35] Die Meliorationen in Italien,
[* 36] Wien 1875.)
Aus der Lombardei gelangte durch heimgekehrte Söldner im 18. Jahrh, die Kunst der Bewässerung nach Deutschland, zunächst an den Niederrhein,
wo sie sich besonders im Siegener Lande festsetzte und ausbildete. England, dessen Klima
[* 37] sie nicht bedarf, hat
wenig an Bewässerungsanlagen auszuweisen, desto mehr Frankreich, das in seinem Süden noch mehr darauf angewiesen ist als
die Lombardei; die bedeutendsten Bewässerungseinrichtungen finden sich hier in den Thälern der Loire und Garonne, ferner
in den Depart. Savoie und Haute-Savoie, Bouches-du-Rhône, Herault, Gard u. s. w. In Spanien haben schon die Mauren die
Bewässerung eingeführt; ihr verdankt die Huerta di Valencia
[* 38] einzig ihre üppige Fruchtbarkeit. Aber auch die Urvölker der Neuen Welt
wußten sie zu gebrauchen, wie die Überbleibsel der von den Azteken in Mexiko
[* 39] ausgeführten großartigen Bewässerungsanlagen
noch heute beweisen.
Die gegenwärtig in Anwendung befindlichen Bewässerungssysteme in Deutschland, meistens nur für Feuchterhaltung
und Befeuchtung von Wiesenflächen benutzt, lassen sich in drei Gruppen bringen, je nachdem sie gewöhnliches Wasser verwenden
oder zugleich eine Erdbewegung oder eine Düngung bezwecken. Zwar ist stets der wichtige Nebenzweck jeder Bewässerung eine
direkte oder indirekte Befruchtung;
[* 40] allein es kommt darauf an, welche Stoffe dem Wässerungswasser aufgeladen werden. Die
reine Bewässerung umfaßt die folgenden Systeme:
1) Einsickerung oder Infiltration. Sie besteht darin, daß das in Gräben oder natürlichen Läufen zugeführte Wasser auf
den Boden nur durch Eindringen von der Böschungsseite her wirkt, deshalb sich nicht über den Rand der Zuleitungen zu erheben
braucht. Eine solche Bewässerung ergiebt auf leichtem, durchlassendem Terrain, insbesondere auf Moorland, ausgezeichnete
Resultate; sie wird angewendet bei der Dammkultur der Moore und vorzugsweise in Lagen mit schwammigem Erdreich, deren Pflanzenwachstum
viele Feuchtigkeit erheischt, also bei den Plantagenwirtschaften der warmen Zone. Eine hohe Temperatur unterstützt wesentlich
die Wirkung der Infiltration.
2) Stauung (Submersion) oder Überstauung. Es wird dabei ein Boden seiner ganzen Ausdehnung
[* 41] nach mit Wasser
überflutet, welches so lange darauf stehen bleibt, bis er sich genügend vollgesogen hat. Es wird hierbei durch Absatz der
im Wasser suspendierten Stoffe zugleich eine Düngung der überstauten Fläche herbeigeführt. Die Zuleitung erfolgt gewöhnlich
mittels Schwellung eines Wasserlaufs durch Wehren oder Schleusen; das Wässerungsgrundstück muß in den
meisten Fällen eingedämmt werden. Die Stauung erfolgt nur im ersten Frühjahr oder im Spätherbst.
3) Rieselung (Irrigation). Bei diesem System wird der zu bewässernde Boden von laufendem Wasser unaufhörlich überrieselt,
weshalb er ein Gefälle haben muß. Je nachdem dieses natürlich ist oder künstlich hergestellt werden
muß, spricht man von natürlicher Bewässerung oder von Kunstbau. Läuft das Berieselungswasser bloß nach einer
Seite hin, also auf einseitig schiefer Fläche hinab, so nennt man diese Bewässerungsart Hangbau; werden auf künstliche
Weise zwei geneigte Flächen dachförmig aneinandergelehnt, so daß das Wasser von ihrer First aus beide überrieselt, so
ist dies ein Dach- oder Rückenbau.
Eine Vermittelung zwischen Stauung und Rieselung bildet die Bewässerungsmethode von Petersen in Wittkiel in Holstein (daher
auch Petersenscher Wiesenbau genannt) in Verbindung mit der Drainierung (s. d.); durch besondere von der Oberfläche durch Drähte
zugängliche Ventile können einzelne Drainabteilungen geschlossen werden, so daß das Wasser, welches
durch Berieselung zugeführt wird, unterirdisch nicht abfließen kann, sich staut und nun von unten den Boden und die Wurzeln
der Pflanzen durchtränkt, bei genügender Wassermenge aus den Ventilschachten heraustritt und die Wiese berieselt. Beim Öffnen
der Ventile wird der Boden durch die Drainanlage rasch entwässert und das Wasser steigt in eine neue tiefer
gelegene Abteilung, wenn deren Ventile geschlossen werden, unterirdisch empor. Durch ein derartig wiederholtes Anstauen und
Ablassen, verbunden mit einer oberirdischen Berieselung, wird nicht nur eine ausgiebige Bewässerung, sondern
¶
mehr
auch eine energische Durchlüftung des Bodens erzielt (S. Wiesen.)
4) Röhrenbewässerung. Die Zufuhr des Wassers geschieht in Röhren,
[* 43] die Verteilung mittels mechan. Vorrichtungen. Man hat
dazu entweder Spritzwagen von besonderer Konstruktion (Schweiz)
[* 44] oder läßt sogar das Wasser aus durchlöcherten Rinnen von
oben herab gleich einem Regen auf die Felder strömen (England). Mit diesem seltener angewendeten System
der Bewässerung läßt sich auch zugleich eine flüssige Düngung verbinden. Bewässerung mit Erdbewegung.
In vielen Gegenden findet diese in natürlicher Weise statt, z. B. in Ägypten durch die Überschwemmungen des Nils, welche stets
eine, wenn auch äußerst geringe Schlammschicht zurücklassen und auf diese Weise das Bodenniveau allmählich
erhöhen.
Diesen Effekt erzielt man aber auch auf künstliche Weise durch eine Bewässerung, deren Hauptzweck nicht die Zufuhr von Wasser, sondern
von Erde in feinzerteilter Gestalt ist, wodurch eine Niveauveränderung und Verbesserung des Bodens herbeigeführt wird. Ist
die erstere das Ziel, so heißt diese MeliorationAnschwemmung (Colmatage, s. Kolmation); wird bloß eine
befruchtende Wirkung beabsichtigt, Aufschwemmung (Limonage). Mittels der Colmatage (dies ist der gebräuchliche technische
Ausdruck) werden die größten Korrektionsarbeiten mit überraschenden Erfolgen durchgeführt, z. B.
Valdichiara, toscan.
Maremmen u. s. w. in Italien; Vallées de l’Arve (Haute-Savoie), de l’Arc et de l’Isere (Savoie) u. s. w. in Frankreich.
– Bewässerung mit Düngung. Hierbei hat die Bewässerung den Zweck, eine gleichmäßige
Zufuhr von befruchtenden Stoffen über größere Flächen zu vermitteln. Dies geschieht entweder mittels Druck durch stärkere
Motoren (Dampfkraft u. s. w.) oder im natürlichen oder künstlichen Gefälle. Die Bewässerung selbst
ist eine Rieselung. Man unterscheidet die Grubendüngerbewässerung (engl. Sewage) zur vorteilhaften
Verwertung und Abfuhr der städtischen Abfälle, und das schott. System der flüssigen Düngung mittels
unterirdischer Röhren und Schläuche, nach Kennedy.
Bei der Bewässerung wirkt nicht bloß die kühlende und erfrischende Feuchtigkeit, sondern auch noch die Eigenschaft
des Wassers, die unorganischen Pflanzennährstoffe im Boden löslich und den Gewächsen assimilierbar zu machen; ferner von
anderm Boden dergleichen befruchtende Stoffe herbeizuführen, diese den Pflanzenwurzeln zu überliefern,
den Boden locker zu erhalten, wohlthätige und nährende Gasarten in denselben zu bringen, kurz, ihre großen Erfolge resultieren
aus der Vereinigung und Konzentration aller Kräfte des Bodens, der Luft, der Wärme,
[* 45] des Lichts und der Feuchtigkeit, welche
sie den Pflanzen zugänglich macht. Über das Associationswesen in der Bewässerung s. Wassergenossenschaften.
Litteratur. Sers, Del’irrigation dans les contrées montagneuses (Par. 1861);
Nadault de Buffon, Hydraulique agricole (2
Bde. mit Atlas,
[* 46] ebd. 1862; Hauptwerk);
Hervé-Mangon, Expériences sur l’Emploi ds eaux dans les irrigations (ebd. 1863);
Laffineur, Guidepratique de l’ingénieur agricole,hydraulique irrigations (ebd. 1865);
Treuding, Ent-
und Bewässerung der Ländereien (Hannov. 1865);
Haag,
[* 47] Das Gesetz über die Be- und Entwässerungsunternehmungen zum Zwecke
der Bodenkultur (Münch. 1866);
(spr. bjuhdlĭ), Stadt in der engl. Grafschaft Worcester, auf einer Höhe am Severn, hat (1891) 2876 E., Gerbereien,
Leder- und Hornwarenfabrikation (Kämme) und Gelbgießereien.
Brücken,
[* 50] Brücken, bei denen das Brückentragwerk (s. d.) oder ein Teil desselben beweglich ausgeführt ist,
um den Fahrzeugen, die auf dem überbrückten Land- oder Wasserwege verkehren, bei mangelnder Durchfahrtshöhe die Bahn freizugeben.
Je nach der Art, wie die Bewegung des Tragwerks erfolgt, unterscheidet man 6 Arten Bewegliche:.
1) Zugbrücken (s. d.), bei denen die Bewegung (Drehung) um eine horizontale am einen Ende des drehbaren Teils befindliche Achse
geschieht.
2) Klappbrücken (s. d.), bei denen das Tragwerk ebenfalls um eine horizontale,
jedoch zwischen den Enden des beweglichen Teils gelegene Achse gedreht wird.
3) Kranbrücken (s. d.), deren Tragwerk um eine vertikale
an den Enden befindliche Achse drehbar ist.
4) Drehbrücken
[* 51] (s. d.), bei denen die Drehung ebenfalls um eine vertikale, jedoch zwischen den Enden liegende Achse erfolgt.
5) Rollbrücken (s. d.), auch Schiebebrücken genannt, deren Tragwerk
auf Rollen
[* 52] in der Längsrichtung beiseite geschoben wird.
6) Hubbrücken (s. d.), bei denen der bewegliche Teil des Tragwerks in seiner ganzen Länge senkrecht
emporgehoben wird. in einem andern Sinne, insofern sie nämlich rasch aufgebaut und wieder abgebrochen werden können, sind
alle Arten Kriegsbrücken (s.d.), die man Feldbrücken
[* 53] (s. d.) nennt, wenn sie
aus improvisiertem, Trainbrücken (s. d.), wenn sie aus vorbereitetem, mitgeführtem Baumaterial
errichtet werden, und die je nach der erforderlichen Breite
[* 54] und Festigkeit
[* 55] die NamenBrückenstege, Laufbrücken, Kolonnenbrücken
führen. Auch die als schwimmende Brücken ausgeführten Schiffsbrücken
[* 56] (s. d.) oder Pontonbrücken, Floßbrücken
(s. d.) und Faßbrücken (s. d.),
welche drei sowohl Kriegs- als Friedenszwecken dienen, sind Bewegliche. Im weitesten Sinne rechnet man zu den auch
die oft als Fliegende Brücken bezeichneten Fähren (s. d.), von denen die Eisenbahnfähren (s. d.)
oder Trajektanstalten eine besondere Klasse bilden.
der Zustand der stetigen Ortsveränderung eines Körpers im Raume. Ob ein Körper in Ruhe
oder ob er in Bewegung ist, darüber können wir nur dann urteilen, wenn wir seine Lage mit derjenigen anderer Körper vergleichen,
die wir als ruhend betrachten; unser Urteil über die Bewegung eines Körpers ist deshalb auch stets ein relatives. Das
¶
mehr
Haus steht fest, es ist in Ruhe im Vergleich zu dem umgebenden Boden, zu den benachbarten Bäumen, Felsen, Bergen
[* 58] u. s. w. Aber
das Haus ist nicht in absoluter Ruhe, denn es teilt mit der ganzen Erdoberfläche die tägliche Umdrehung um die Erdachse
und durchläuft mit der Erde die Bahn, die dieselbe um die Sonne
[* 59] beschreibt; und auch diese steht nicht
still, wie überhaupt im ganzen Weltall kein Körper zu finden ist, von dem man behaupten könnte, daß er in absoluter Ruhe
wäre. (Vgl.L. Lange, Die geschichtliche Entwicklung des Bewegungsbegriffes, Lpz. 1887.) - Es ist nun die Aufgabe der Mechanik
(s. d.), die mannigfaltigen Bewegung der Körper zu
untersuchen und die Beziehungen festzustellen, die zwischen diesen Bewegung selbst und ihren Ursachen, den wirkenden Kräften, bestehen.
Die Bewegung der Körper ist aber im allgemeinen eine sehr verwickelte, da gewöhnlich jeder Punkt eines bewegten
Körpers eine besondere und besonders gestaltete Bahn beschreibt, wie dies schon der einfache Fall einer
rollenden Kugel zeigt. Die Mechanik geht daher, um sich ihre Aufgabe zu erleichtern, von dem Studium der Bewegung eines einzigen Punktes
aus. Denselben denkt man sich, um ihn der Wirkung von Kräften zugänglich zu machen, mit Körpermaterie oder Masse begabt
und findet als Grundbeziehung zwischen einer auf die Masse in dieses sog. materiellen Punktes wirkenden
Kraft
[* 60] P und der erzeugten Beschleunigung (s. d.), deren Größe φ sei, das einfache Gesetz: P = m·φ; in Worten: Kraft gleich
Masse mal Beschleunigung. Dieses Gesetz, welches auch das Gesetz vom Beharrungsvermögen (s. d.) enthält, ist der Ausgangspunkt
für alle weitern rechnerischen Untersuchungen. - Die Bewegung des materiellen Punktes ist geradlinig,
wenn die wirkende Kraft ihre Richtung beibehält, krummlinig, wenn sich dieselbe ändert, z. B. wenn weitere anders
gerichtete Kräfte auf ihn zu wirken beginnen.
Eine geradlinige Bewegung wird gleichförmig, sobald die Kraft aufhört zu wirken, denn alsdann hört nach obiger
Gleichung auch die Beschleunigung auf, die Geschwindigkeit (s. d.) wird konstant. Wirkt eine konstante Kraft
(wie z. B. die Schwerkraft), so ist auch die Beschleunigung konstant, die Bewegung heißt dann gleichmäßig beschleunigt, wie bei
einem freifallenden Körper; wirkt eine solche konstante Kraft der ursprünglichen Bewegungsrichtung entgegen, wie z. B.
die Schwerkraft bei einem senkrecht nach oben geworfenen Körper, so heißt die Bewegung gleichmäßig
verzögert. Im allgemeinen ist die Bewegung eines Punktes bekannt, wenn man erstens die Gestalt seiner Bahn kennt und zweitens weiß,
welche Geschwindigkeit er in jedem Punkte dieser Bahn besitzt. Wird der materielle Punkt durch nichts gehindert, der Wirkung
der Kräfte zu folgen, so heißt seine Bewegung. Eine freie, schreibt man ihm jedoch eine bestimmte
Bahn vor, so ist seine Bewegung eine unfreie oder gezwungene. Frei bewegen sich alle Himmelskörper, unfrei ein Eisenbahnzug, die
Teile einer Maschine
[* 61] u. s. w.
Geht man nun zur freien Bewegung eines festen Körpers, d. h. eines ganzen Systems von starr miteinander verbundenen
materiellen Punkten über, so erkennt man, daß sich die einzelnen Massenteilchen, da sie fest miteinander verknüpft sind,
in ihrer Bewegung Gegenseitig beeinflussen; ferner beobachtet man an freibewegten Körpern sowohl fortschreitende
als drehende Bewegung oder Rotation (s. d.), wie bei fast allen Himmelskörpern.
Diese verwickelten Verhältnisse werden mit Hilfe des D'Alembertschen Princips
(s. d.)
in höchst eleganter Weise geklärt, indem man zu folgendem wichtigen Satze gelangt: Die freie Bewegung. Eines starren Körpers geschieht
so, als ob seine ganze Masse in dem Schwerpunkt
[* 62] (s. d.) vereinigt sei und dieser sich als materieller
Punkt unter dem Einfluß der wirkenden Kräfte frei bewege. Jede dabei vorkommende drehende Bewegung des
Körpers geht so vor sich, daß in jedem Augenblick die Drehachse, mag sie fest oder veränderlich sein, durch den Schwerpunkt
geht. - Bei der gezwungenen Bewegung, bei der dem Körper die Bahn vorgeschrieben wird, ist zu bemerken, daß er auf diese Bahn einen
Druck, Bahndruck, ausübt, der um so größer ist, je mehr die vorgeschriebene Bahn von derjenigen abweicht,
die der Körper einschlagen würde, wenn er ungehindert der Wirkung der Kräfte Folge leisten könnte. - Über die Bewegung bei
flüssigen und gasförmigen Körpern, bei denen die einzelnen Teilchen nicht fest miteinander verbunden sind, s.
Hydraulik und Aerodynamik. - Besonders zu betrachtende Bewegung sind die Kreiselbewegung
[* 63] (s. d.),
Pendelbewegung (s. Pendel),
[* 64] Wellenbewegung
[* 65] (s. d.),
Centralbewegung
[* 66] (s. d.).
Die Gesetze der in der Natur vorkommenden Bewegung waren den Alten unbekannt, deren mechan.
Kenntnisse sich auf die wenigen von Archimedes erkannten und bewiesenen Sätze der Statik (Hebel,
[* 67] Schwerpunkt und Gewichtsverlust
von in Flüssigkeiten untergetauchten Körpern) beschränkten. Eine wissenschaftliche Übersicht der
Bewegungsgesetze giebt Maxwell, Substanz und Bewegung (2. Aufl., Braunschw. 1881).
Weitere Litteratur s. Mechanik.
Die Bewegung lebender Organismen ist ein Akt der das Wesen des Lebens ausmachenden Selbstthätigkeit (oder Selbstregierung) und
als solche eine Haupteigenschaft des Lebens, und zwar insbesondere des tierischen. Bei denTieren gilt
sie zugleich als das wesentliche Kriterium des Lebens, indem man alle Körper, bei welcher sie nicht konstatiert werden kann,
als tot ansieht. An und für sich ist freilich keine bestimmte Grenze zwischen der Molekularbewegung infolge der Zersetzung
des toten Körpers und der Molekularbewegung der Ernährung zu ziehen, sowie diese wieder, bei Beteiligung
größerer Gruppen von Elementarteilen, in sichtbare Bewegung übergeht.
Übrigens ist diese letztere eine Eigenschaft der organischen Substanz selbst, des Zelleninhalts, und existiert als solche
auch bei den niedrigsten Organismen, wo, soweit wir wissen, keine Spur von Scheidung von Organen vorhanden ist. Die formlose
Substanz der niedersten Organismen (Protisten) und der Zelleninhalt der höhern, Pflanzen wie Tiere, ist ursprünglich kontraktil.
Aber bei den höhern Tieren, wo die Arbeitsteilung der Organteile weiter vorgeschritten ist, erfolgt die organische Bewegung, sowohl
die ortsverändernde des ganzen Körpers und einzelner Glieder,
[* 68] als die innere, den Umlauf der Ernährungs- und
Bildungssäfte u. s.w. bedingende Bewegung, z. B. des Herzens und der Gedärme, größtenteils durch Zusammenziehungen gewisser kontraktiler
Fasern, welche Muskelfasern (s. Muskeln)
[* 69] genannt werden. Nur die weißen Blutkörperchen
[* 70] und die Samentierchen zeigen bei den
höhern Tieren nebst den Flimmerepithelien selbständige Bewegung. Bei niedern Tieren (namentlich bei Seeschwämmen) ist dieselbe
häufiger und treten sog. Wanderzellen oder amöboide Zellen im Körpergewebe
auf.
Den Anstoß zu der Bewegung giebt in dem lebenden höhern tierischen Organismus das Nervensystem,
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