dem Schneller
(Drücker) und aus dem
Bügel
(Bogen)
[* 2] mit der
Sehne bestand.
Schon im
Altertum kam das der Armbrust
[* 3] zu
Grunde liegende Princip
bei dem
Bau einer Anzahl größerer Wurfmaschinen (s. d.) zur Anwendung; der griech.
Bauchspanner (Gastraphetes) scheint ein Mittelding zwischen Handwaffe und
Maschine
[* 4] gewesen zu sein. Im westl. Europa
[* 5] ist der Gebrauch der Armbrust als Kriegswaffe vermutlich während der Kreuzzüge aufgekommen. Besonders ausgedehnt
war die Verwendung der in
Frankreich, jedoch vermochten die franz. Armbrustschützen den engl.
Bogenschützen (s. d.) nicht das
Gleichgewicht
[* 6] zu halten; nach den
Zeiten des Königs
Franz I. werden Armbrustschützen in den
franz.
Heeren nicht mehr erwähnt. In England war die Armbrust als Kriegswaffe besonders im 13. Jahrh.
beliebt, im 14. Jahrh. wurde sie vollständig vom
Bogen verdrängt. Im 14. und 15. Jahrh. waren besonders die genues. und
venet.
Armbrustschützen berühmt, weshalb sie häufig in fremden
Sold genommen wurden. In
Deutschland
[* 7] wird die Armbrust zuerst im 12. Jahrh.
erwähnt; man unterschied die große Armbrust oder Rüstung
[* 8] (s. d.) und
die kleine Armbrust oder Schnepper (s. d.). Die aus der Armbrust geschleuderten
Geschosse
[* 9] waren
Bolzen (s. d.) verschiedener Form oder Pfeile (Strale); später verwendete
man auch hartgebrannte
Lehm- und Thonkugeln sowie Marmor- und Bleikugeln. Zu diesem Zwecke hatten die Armbrust statt
des gewöhnlichen Bolzenstegs einen verdeckten Lauf. Eine besondere Form zum
Schießen
[* 10] mit
Kugeln ohne verdeckten Lauf war
der
Balester (s. d.). Die Gattung der Repetierwaffen in der Reihe der Armbrust wird
vertreten durch eine chinesische Armbrust, die 20 in einem kastenförmigen
Aufsatz befindliche Pfeile hintereinander verschießt.
alsBedachte.Wenn in einer letztwilligen
Verfügung die Armen als bedacht bezeichnet sind, so erhebt sich der
Zweifel, wer damit gemeint sei. Das Sächs.
Bürgerl. Gesetzb. in den §§. 2164, 2165 und im Anschlüsse daran neuere
Entwürfe
haben darüber besondere Vorschriften getroffen. Nach Gemeinem
Rechte ist die letztwillige Zuwendung an die
Armen gültig.
Nach einem
Urteil des
Deutschen Reichsgerichts gilt, wenn ersichtlich ist, daß der
Erblasser die
Armen eines bestimmten Ortes,
im betreffenden Falle die seines Wohnsitzes, bedenken wollte, die Gemeinde dieses Ortes zur Klage legitimiert.
(frz.). im weitern
Sinne die gesamte Landmacht eines
Staates, gleichbedeutend mitHeer; im
engern
Sinne eine für einen bestimmten Zweck oder
Kriegsschauplatz gebildete, unter einheitlichen Oberbefehl gestellte größere
Truppenmasse, deren
Umfang und Zusammensetzung sehr verschieden sein kann. Eine Armee wird in
Armeekorps (s. d.) gegliedert, die
wieder in Divisionen und
Brigaden zerfallen. Stellt eine Macht mehrere Armee auf, so bezeichnet man sie am
einfachsten durch bloße Numerierung: Erste,
Zweite, Dritte Armee, wie 1870-71 bei dem deutschen
Heere;
andere Unterscheidungen
finden statt nach der
Himmelsrichtung, wie Nord-, Ostarmee;
nach geogr. Gegenständen, wie
Alpen-, Main-,
Elb-, Rhein-, Loirearmee;
nach speciellen Zwecken, wie Invasions-, Occupations-, Observationsarmee.
Man spricht auch von
Operations-
oder Feld-, Reserve- und Besatzungsarmee. Diejenige Armee, bei der sich der Höchstkommandierende persönlich befindet,
wird in der Regel Hauptarmee (unter
Napoleon I. auch
Große Armee) genannt. Die aktive Armee eines
Staates umfaßt die zur
Erfüllung
ihrer Dienstpflicht wirklich Einberufenen, im Gegensatze zu den Beurlaubten.
Die staatsrechtliche Besonderheit des kaiserl. Oberbefehls gegenüber andern kaiserl.
Anordnungen liegt darin, daß letztere verfassungsmäßig der Gegenzeichnung eines verantwortlichen Organs, des Reichskanzlers,
bedürfen, während ersterer von jeder staatsrechtlichen Verantwortung frei ist. Militär.
Anordnungen,
welche nicht
Ausfluß der Befehlsgewalt sind, sind staatsrechtlich wie gewöhnliche Verordnungen (s. d.)
zu behandeln. Die Grenze zwischen Oberbefehl und Verordnungsgewalt läßt sich nicht mit jurist. Sicherheit ziehen; im Zweifel
wird nach preuß.
Tradition für den Oberbefehl zu vermuten sein. Maßgebend ist die preuß. Kabinettsorder
vom
die größte schon im Frieden vorhandene Gefechtseinheit eines
Heers. Aus mehrern Armeekorps werden im
Kriege die
Armeen (s. d.) zusammengestellt. Ein Armeekorps besteht
aus allen Truppengattungen und ist mit Verwaltungsbehörden,
Trains u. s. w. derart ausgerüstet, daß es zu einer selbständigen
kriegerischen Thätigkeit jederzeit befähigt ist.
Der eigentliche Schöpfer der Armeekorps war Napoleon I. Er stellte sie im
Kriege unter
Befehl eines Marschalls je nach Bedürfnis
aus allen Truppengattungen zusammen. Bis zu den letzten Feldzügen verfuhren die meisten
Staaten, außer
Preußen,
[* 12] so.
In denKriegen von 1866 und 1870 bis 1871 trat der Wert der schon im Frieden gewohnten Korpsverbände, besonders
auch für die Sicherheit und Schnelligkeit der Mobilmachung, so auffallend hervor, daß jetzt alle
Staaten schon im Frieden
Armeekorps formieren.
Ein Armeekorps besteht in der Regel aus 2 (in einigen
Staaten 3) Infanteriedivisionen (s. Division). Die einem
Armeekorps zugeteilte
Kavallerie beläuft sich meist auf 1
Brigade zu 2 Regimentern. Bei einigen
Armeen ist die
Kavallerie dauernd gleichmäßig
auf die Infanteriedivisionen verteilt (z. B. jede hat ein Regiment). Mehr als eine Kavalleriebrigade
dauernd im
Kriege dem Armeekorps zuzuteilen, ist nur in der russ.
Armee üblich. Man formiert vielmehr aus der
Masse der
KavallerieKavalleriedivisionen, denen
vor der Front oder auf den Flügeln der
Armee selbständige
Aufgaben zufallen.
Für den Frieden sind die
Kavalleriedivisionen oft den einzelnen Armeekorps unterstellt. Die
Artillerie eines Armeekorps ist
fast immer in einem
Teil¶
mehr
den Divisionen zugeteilt (Divisionsartillerie, in der Stärke
[* 14] von etwa je 6 Batterien), im andern Teil steht sie als Korps-
(auch wohl Reserve-) Artillerie zur ausschließlichen Verfügung des Korpscommandeurs (meist 8-9 Batterien, davon einige reitende).
Der kommandierende General hat in der Korps-Artillerie ein Mittel, in das Gefecht seiner Divisionen an dem
von ihm selbst gewollten Punkte wirkungsvoll einzugreifen. Der Korpsbrückentrain giebt das Mittel, auch breitere Flüsse
[* 15] zu
überbrücken, wenn die Divisionsbrückentrains nicht ausreichen.
Ein mobiles in gewöhnlicher Formation auf einer Straße marschierend, hat eine Länge von fast 30 km, mit allen Trains und
Kolonnen von fast 50 km. Zu dem Generalkommando eines Armeekorps gehören
außer dem kommandierenden General (im DeutschenReich ein General der Infanterie oder Kavallerie, seltener ein Generallieutenant)
der Generalstab und die Adjutantur. Jedes Armeekorps hat ferner einen Generalarzt, die Intendantur, das Auditoriat, die Feldgeistlichkeit,
ein Feldpost- und ein Proviantamt. Eine Telegraphenabteilung sorgt für die telegr. Verbindung. Militärisch
organisierte (Wagen-)Kolonnen führen den Vorrat an Munition, Proviant und Fourage dem Armeekorps nach. Eine Feldbäckereikolonne
stellt den Brotbedarf her, ein Pferdedepot sichert den Ersatz an Pferden. Die Sorge für die Kranken und Verwundeten ist den
Sanitätsdetachements der Divisionen und den Feldlazaretten übertragen.
Ein deutsches Armeekorps besteht in mobilem Zustande im allgemeinen aus: armeekorps 2 Infanteriedivisionen zu je 2 Infanteriebrigaden
zu 2-3 Regimentern à 3 Bataillonen, event. 1 Jägerbataillon, 1 Kavallerieregiment zu 4 Eskadrons, 1 Feldartillerieregiment
zu 2 Abteilungen à 3 Batterien, 1-2 Feldpioniercompagnien mit Divisionsbrückentrain, i Sanitätsdetachement;
zusammen rund 45000 Mann, 12000 Pferde.
[* 16] In Österreich
[* 17] und Italien
[* 18] beträgt die Stärke eines mobilen Armeekorps 28000 Mann, in Frankreich dagegen 50000 Mann, in Rußland bei 2 Divisionen
36000, bei 3 Divisionen 52000 Mann.
der im J. 1889 bei der deutschen Kavallerie und Artillerie eingeführte Sattel (s. d.) soll die Vorzüge
des ungar. Bocksattels und des engl. Pritschensattels in sich vereinigen. Als Grundlage hat er zwei
nach Art der engl. Pritsche geschweifte und ausgeschnittene Trachten, auf denen ein Polster aufgeschnallt
wird. Die nach Art der Bäume des engl. Sattels geformten Zwiesel sind durch einen nach hinten breit verlaufenden Sitzriemen
verbunden, auf dem ein nach Art der engl. Pritsche geformtes Sitzleder aufgeschnallt ist. Die
Anbringung des Gepäcks ähnelt der beim Bocksattel. Schweißblätter und Bügelschnallvorrichtung sind wie beim engl. Sattel.
der Teil des brandenb. Aufschlags (s. d.) am Waffenrockärmel, welcher in Form eines Rechtecks senkrecht
über den Rand des Besatzes hinaufragt und drei Metallknöpfe trägt.
Der
Staat oder die Gemeinde haben nur dort für die Heilung eines Kranken zu sorgen, wo
die Kraft
[* 19] oder die Mittel desselben nicht ausreichen. Diese Aufgabe folgt aus dem Interesse, der zunehmenden Erwerbsunfähigkeit
zu wehren, deren Eintritt die Gemeindemittel dauernd belasten würde. Die Grundsätze, nach welchen hierbei Staat und Gemeinde
verfahren, gehören in das Armen- und Hilfswesen und wechseln in den verschiedenen Staaten je nach den
herrschenden Anschauungen über die Principien der Verwaltung.
Während es in Frankreich überhaupt keine vom Staate oder von der Gemeinde besoldeten Armenarzt giebt, vielmehr die Armenkrankenpflege
ausschließlich in Hospitälern stattfindet, und während in England die Armengesetzgebung erst neuerdings nach dieser Richtung
hin Sorge zu tragen sucht, findet man in allen größern StädtenDeutschlands
[* 20] Armen- oder Distriktsärzte
mit der Verpflichtung, jeden, der ihnen von den Kommunalbehörden oder von der Armenkommission zugewiesen wird, auf Kosten
der Gemeinde zu behandeln. In ländlichen Distrikten treten meist mehrere kleinere Gemeinden zur Bestellung eines Armenarzt zusammen.
In größern Städten giebt es armenärztliche Polikliniken, ärztliche Hilfsstationen u. dgl., die in
Universitätsstädten auch als Unterrichtsanstalten benutzt werden. -
Vgl. Roth, Armenfürsorge und Armenkrankenpflege mit
besonderer Berücksichtigung der heutigen Stellung des Armenarzt (Berl. 1893).
ist ein Werk der neuern, auf die Reformation folgenden Zeit, hervorgegangen aus den Zuständen, die
zumal in prot. Ländern durch Einziehung der Kirchengüter geschaffen wurden. Vorbereitet war die staatliche
Armengesetzgebung auch durch die gegen den Schluß des Mittelalters eintretende Lockerung in den feudalen Verbänden der Hörigkeit und ländlichen
Gebundenheit, der Zünfte und Genossenschaften (Gilden), die während des Mittelalters für ihre Angehörigen in Notfällen
unterstützend eingetreten waren.
Aus diesen Gründen erklärt es sich, weswegen in demjenigen prot. Lande, wo sich die neuere Volkswirtschaft
zuerst in großartigster Weise entfaltete, d. h. in England, auch zuerst der Staat in einschneidender Weise die Aufgaben der
in Angriff zu nehmen veranlaßt war. Ihren Ausgangspunkt hatte die staatliche in der Erkenntnis, daß Landstreicherei und Bettelei
mit der öffentlichen Ordnung unvereinbar seien, oft genug eine Quelle
[* 21] der Eigentumsverbrechen würden, und, daß mit strafrechtlichen
Verboten und polizeilichen Zwangsmaßregeln der Bettelei auf die Dauer nicht entgegengewirkt werden könne. (S. Armenrecht.)
Der Entwicklungsgang, den die in England genommen hat, ist ein höchst lehrreicher und in vielen Stücken für
den neuern Industriestaat vorbildlicher. Die Aufgabe, die bisher zu lösen war, bestand darin: einerseits im öffentlichen
Interesse zu sorgen, daß zur Verhinderung gesellschaftlicher Störungen verarmten Personen das zum Lebensunterhalt Notwendigste
dargereicht werde, andererseits aber auch zu verhindern, daß durch Versorgung aus öffentlichen Mitteln der wirtschaftliche
Erwerbstrieb in den untersten Schichten des Volks eine Abminderung erleide. Mit Rücksicht auf diese Gefahr,
daß durch Armenversorgung Leichtsinn, Trägheit und Unwirtschaftlichkeit befördert werden könnte, hat man von jeher Bedenken
getragen, den Satz anzuerkennen, daß dem Armen ein Versorgungsrecht
¶
mehr
gegenüber dem Staate oder der Gemeinde zustehe. Diese Principienfrage zu entscheiden, ist jedoch nicht notwendig. Sicher
ist vom Standpunkte der Erfahrung, daß ein gesetzliches Eingreifen des Staates unvermeidlich wird, wo die Armut große Kreise
[* 23] der Gesellschaft erfaßt hat und die kirchliche oder private Wohlthätigkeit sich als unzureichend erweist, ohne daß
nach der Gesamtheit der obwaltenden Verhältnisse dem Verarmten Gelegenheit geboten wäre, sich durch Benutzung vorhandener
Erwerbsgelegenheiten selbst zu helfen.
Beachtet man diese Gesichtspunkte, so erscheint es durchaus nicht auffallend, wenn die engl. Pflanzstaaten in
Amerika
[* 24] sich meistenteils um die staatliche Armensorge nicht zu bekümmern hatten, weil in Nordamerika
[* 25] einerseits die
Erwerbsgelegenheiten für arbeitsfähige Personen einem andern Maßstabe unterliegen als in den europ. Kulturstaaten, und
andererseits für erwerbsunfähige Personen die Privatwohlthätigkeit in ausreichender Weise einzutreten pflegt.
Aus dem Umstände, daß in den roman.-kath. Ländern die Kirche trotz gelegentlich erlittener Erschütterungen ihre gesellschaftlich
einflußreiche Stellung bisherzu behaupten vermochte, erklärt sich auch, daß die staatliche Armengesetzgebung sich
nicht in derselben Weise zu bethätigen genötigt war wie im prot. Norden
[* 26] Europas. Dies zeigt sich vor allem in Frankreich
und Italien, wo fakultative, d. h. nicht oder nicht völlig zu einer Rechtspflicht entwickelte
Leistungen noch den breitern Raum einnehmen. Bis in die neueste Zeit haben die geistlichen Kongregationen
hier die Armenpflege beherrscht.
Je nachdem sich die in der negativen Richtung, also zum Zwecke der Verhinderung mißbräuchlicher und unwirtschaftlicher Versorgungsansprüche
bethätigt, oder in positiver Richtung, also zur Regelung und Verteilung der meistenteils als schwere Last empfundenen Armenpflege,
bezeichnet man deren Aufgaben entweder als armenpolizeiliche oder als armenpflegerische (s. Armenwesen).
England. Die englische Armengesetzgebung entwickelte sich stufenweise. In der Regierungszeit Heinrichs VIII. übernahm der Staat zuerst die
Aufgabe einer gesetzlichen Ordnung, indem er die Gemeinden (Hundertschaften, Städte und Kirchspiele) verpflichtete, für den
Unterhalt ihrer Armen zu sorgen, damit diese nicht genötigt seien, öffentlich zu betteln. Die Mittel zur
Bestreitung dieser Armenpflege sollten durch milde Gaben aufgebracht werden, die zuvörderst durch die Geistlichen und die
Ortsbehörden an Sonn- und Feiertagen eingesammelt werden sollten.
England scheint damals mit Bettlern überschwemmt gewesen zu sein, eine Thatsache, welche die jenem Zeitraum angehörenden
harten Strafbestimmungen erklärt. Gesunde Bettler sollten ausgepeitscht, im Rückfalle durch Stutzung
des rechten Ohres gekennzeichnet, das dritte Mal eingekerkert und von den Assisen als Verräter gerichtet werden. Bedeutsamer
und wichtiger als diese ersten Anfänge war die Armengesetzgebung aus dem Zeitalter der Elisabeth. Für die folgenden
Jahrhunderte maßgebend war das aus dem 43. Regierungsjahre herrührende Gesetz (43. Elizabeth c.2), welches
bestimmte:
1) Das Kirchspiel (parish) hat für seine Armen zu sorgen. Verantwortlich für die regelmäßige Wahrnehmung dieser Pflicht
sind die Kirchenvorsteher und zwei oder mehrere Armenaufseher, welche dafür sorgen, daß Arbeitsfähige beschäftigt, Arbeitsunfähige
unterstützt, Armenkinder zur Arbeit erzogen werden.
2) Die notwendigen Mittel werden durch eine Armensteuer, unter Aufsicht der Friedensrichter, nach
Maßgabe
des Ertragswertes der Liegenschaften im Kirchspiele aufgebracht. Für den Fall der Überbürdung eines Kirchspiels mit Armenlasten
sollen andere Kirchspiele derselben Hundertschaft oder weitere derselben Grafschaft zur Steuer herangezogen werden. Die Strafbestimmungen
gegen die Bettler, welche ehedem eine besondere Rolle in der Gesetzgebung spielten, fehlen in dem Armengesetz
der Elisabeth gänzlich.
Durch die sog. Settlement Act von 1662 wird die Pflicht der Unterstützung im Falle der Bedürftigkeit an das Heimatsrecht
geknüpft. Das Kirchspiel hat hinfort nur die in ihm heimatsberechtigten Armen zu unterstützen. Das Heimatsrecht wurde erworben:
durch Geburt, eigene Wirtschaft, Aufenthalt, Dienst- oder Lohnverhältnis während eines Zeitraums von
mindestens 40 Tagen. Die nicht in dem Kirchspiel heimatsberechtigt sind, können im Falle der Bedürftigkeit nach ihrer Heimat
zurückgeschickt werden; ja dies kann auch schon dann erfolgen, wenn die Wahrscheinlichkeit vorliegt, daß die betreffenden
Personen verarmen könnten. Da die nachfolgende Gesetzgebung den Erwerb einer neuen Heimat an immer schwerere
Bedingungen knüpfte (erst 1795 erfolgte eine teilweise Besserung), so hat vor allem die Arbeiterklasse hierunter schwer zu
leiden gehabt.
Das Gesetz von 1834 hatte die Verbindung des Armenwesens mit dem Heimatsrechte bestehen lassen. Erst 1846 wurde dieser Grundsatz,
vornehmlich durch die Bemühungen Sir Robert Peels, dadurch durchbrochen, daß unabhängig von dem Erwerbe
eines Heimatsrechts die Ausweisung im Falle der Bedürftigkeit dann ausgeschlossen wurde, wenn der Betreffende fünf Jahre
lang im Kirchspiele gewohnt hatte. Die spätere Gesetzgebung hat die Fälle dieser sog. Irremovability
noch erweitert, so daß gegenwärtig die Unterstützung am Aufenthaltsorte die Regel bildet.
Die Einführung der grundsätzlichen Unterstützungspflicht des Aufenthaltsortes dürfte nur eine Frage
der Zeit sein; damit würde die Unterstützung der Armen (wie das unter dem Gesetz der Elisabeth der Fall war) wieder den
Charakter einer staatlichen Verpflichtung erhalten, deren Erfüllung nur aus Zweckmäßigkeitsgründen bestimmten örtlichen
Bezirken übertragen worden ist. Durch die Union Chargeability Act von 1865 wurde der Armenverband an Stelle
des Kirchspiels zum Träger
[* 27] der gesamten Armenlast gemacht. Für einzelne Aufgaben der Armenverwaltung erwies sich aber auch
der Armenverband als zu klein. Daher wurde 1879 der Centralbehörde die Befugnis gegeben, zwei oder mehrere Armenverbände,
wo sich dies als wünschenswert herausstellte, zu vereinigen. Vor allem hat man jetzt allgemein das Bestreben,
die sog. geschlossene Armenpflege größern Bezirken zu überweisen.
Mit der Entwicklung der neuern Großindustrie und dem riesigen Wachstume ehemaliger Mittelstädte, vornehmlich also seit der
Erfindung und Ausbeutung der Dampfmaschine,
[* 28] erwies sich diese frühere Gesetzgebung als veraltet; war doch das Armengesetz
der Elisabeth, abgesehen von den Gesetzen, welche aus der Verbindung des Unterstützungswesens mit dem
Heimatsrecht sich ergaben, in nennenswerter Weise nicht geändert. Gegen Ende des 18. Jahrh. und noch mehr nach dem Ende der
Napoleonischen Kriege zeigten sich schwere Gebrechen: Überlastung der kleinern ländlichen Kirchspiele, Unsicherheit im Zusammenhange
mit den Herumwanderungen Arbeit suchender Personen, Ungerechtigkeiten in der Verteilung der Armenlasten,
Begünstigung des
¶
mehr
Müßigganges durch die Unmöglichkeit, in jeder Gemeinde Arbeitshäuser und Arbeitsgelegenheiten zu beschaffen. Aus der Erkenntnis
dieser Übelstände erwuchs das neuere engl. Armenrecht, beruhend auf dem Gesetze vom (nach der engl. Citierweise 4 u. 5. Will.
IV.
c. 76),. wodurch in der Hauptsache vorgeschrieben wird:
1) Herstellung einer staatlichen Centralbehörde zur Überwachung der Gemeindearmenpflege mit der Befugnis,
unbeschadet der Behandlung des einzelnen Falles, allgemein bindende Verwaltungsvorschriften zu erlassen.
2) Den Mittelpunkt der Ortsarmenpflege bildet das Arbeitshaus (work-house), so daß die Aufnahme in dasselbe die Vorbedingung
der Unterstützung zu bilden hat und Nichtinsassen (durch sog. out-door relief) nur ausnahmsweise
Hilfe geleistet wird.
3) Die Zentralbehörde, die späterhin den Titel eines «Armenrechtshofs» (Poor Law Board) erhielt, kann zur Herstellung eines
gemeinsamen Arbeitshauses Verbände aus mehrern Gemeinden (sog. unions) bilden und die Geldbeiträge der einzelnen
Gemeinden zu Zwecken der Armenpflege vereinigen, späterhin (1871) ist dann außerdem zur Entlastung
der Centralarmenbehörde ein Zwischenglied geschaffen worden zwischen der Staatsstelle und der Lokalverwaltung:
die kollegialisch zusammengesetzte Ortsarmenbehörde (Local Government Board), die über bezahlte Beamte verfügt, durch einen
von der Krone ernannten Präsidenten geleitet wird und, abgesehen von der Fürsorge für die Armen, zahlreiche andere Geschäfte
wahrzunehmen hat (Führung der Civilstandsregister, Maßregeln der öffentlichen Gesundheitspflege, Entwässerungsanlagen,
Wasch- und Badeanstalten u. s. w.). Schottland und Irland haben ihre eigene, von der englischen verschiedene Armengesetzgebung behauptet.
Läßt man nun dasjenige beiseite, was in besondern engl. Verhältnissen wurzelt, so dürfen
als bezeichnende Merkmale der englischen Armengesetzgebung folgende Punkte hervorgehoben werden: Zunächst die Einführung des
Abschreckungsprincips, beruhend auf dem Arbeitshaussystem. Die strenge Durchführung einer harten Zucht,
die sich einer Zuchthausordnung annähert, bewirkt eine Verminderung der Armenunterstützungsgesuche. Nur in äußersten
Notfällen sind in England hilfsbedürftige Personen bereit, ihre persönliche Freiheit daranzugeben.
Zwar wird Personen über 60 Jahren eine mildere Behandlung schon darin zu teil, daß Ehegatten im Arbeitshause zusammenbleiben
dürfen; doch überwiegt der Grundzug der Strenge. Die geschlossene Armenpflege wurde immer mehr auf das
Arbeitshaus beschränkt. Das Workhouse war für die drei Klassen der Unterstützungsbedürftigen bestimmt: für die Armenkinder,
für die arbeitsfähigen und arbeitsunfähigen Armen. Neuerdings hat man jedoch für bestimmte Klassen von Armen besondere Anstalten
geschaffen. Zunächst (seit 1844) für die Kinder durch Errichtung von Distriktsschulen; seit Beginn der
sechziger Jahre sucht man auch die armen Kranken in eigenen Anstalten unterzubringen; endlich hat man verschiedentlich für
die sog. Casual Paupers gleichfalls besondere Anstalten begründet oder doch besondere Abteilungen der Workhouses für dieselben
eingerichtet.
In der Schweiz
[* 30] bildet ebenfalls die Reformation einen Wendepunkt im Armenwesen. Die Aufhebung der Klöster
und die Säkularisation ihres Vermögens und zahlreicher Stiftungen entzog der bisherigen, überwiegend kirchlichen Armenpflege
die Mittel. So erwuchs auch hier allmählich eine Gemeindearmenpflege. -
Der Bund beteiligt sich weder mit direkten Leistungen
noch mit Zuschüssen. Die Bundesgesetzgebung hat auch nur insoweit eingegriffen, als es sich um Sicherstellung
der Niederlassungsfreiheit handelte.
Die der großen Mehrzahl der Kantone beruht im übrigen auf der deutschrechtlichen Auffassung, wonach die Fürsorge für Hilfsbedürftige
zu den Aufgaben der Gemeinden und örtlichen Korporationen gehört. Demgemäß sind die Leistungen innerhalb gewisser durch
die Gesetzgebung bezeichneter Grenzen
[* 31] als obligatorische formuliert. Der obligatorische Charakter zeigt
sich jedoch nur in einer öffentlich rechtlichen Zwangspflicht; ein im Rechtswege geltend zu machendes Recht auf Fürsorge
steht den Verarmten nicht zu.
In Österreich wurde unter Josephs II. Regierung eine Reform des Armenwesens durchgeführt. Jetzt, auf Grund des Gesetzes vom
erscheint das Heimatsrecht als Grundlage des Anspruchs auf öffentliche Armenversorgung. Nur Staatsbürger
können das Heimatsrecht in einer Gemeinde erwerben, aber jeder Staatsbürger soll in einer Gemeinde heimatsberechtigt sein.
Die Pflicht der Gemeinde zur Armenversorgung ist nur eine subsidiäre. Sie tritt zunächst nur insoweit ein, als sich der
Arme den notwendigen Lebensunterhalt nicht mit eigenen Kräften verschaffen kann und nicht dritte
Personen nach dem Civilrecht oder andern Gesetzen zur Versorgung des Armen verpflichtet sind. Gelangt der Arme später zu Vermögen,
so ist er der Gemeinde gegenüber ersatzpflichtig. Das geltende Heimatsgesetz schließt die Erwerbung des Heimatsrechts durch
Ersitzung aus; die weitaus häufigste Erwerbsart ist die durch Geburt. Die Feststellung des Heimatsrechts,
die jedesmal bei eintretender Armenversorgung erforderlich ist, bereitet oft die größten Schwierigkeiten. Gerade nach dieser
Seite ist eine Reform der in Österreich geboten.
Deutschland. Nur in einzelnen mittelalterlichen Städteordnungen finden sich Anfänge einer kommunalen Armenpflege überliefert.
Ebenso haben die Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrh. für die positive
Seite der Armenpflege nichts Nachhaltiges geschaffen; vielmehr verknüpft sich die Armengesetzgebung mit der landespolizeilichen
Fürsorge der Regierungen und mit dem staatlichen Wohlfahrtszwecke, als dessen berufene Pfleger sich die Fürsten seit dem
Beginne des 17. Jahrh. allgemein betrachteten. In Preußen bildete das EdiktFriedrichs II. vom den
Ausgangspunkt einer im Preuß.
Landrechte vorgezeichneten Armengesetzgebung. Durch das Landrecht sind Stadt- und Dorfgemeinden für verpflichtet erklärt, ihre gemeindeangehörigen
Armen zu verpflegen, aushilfsweise sorgt die Gemeinde, zu deren Lasten der Verarmte zuletzt beitrug. Ihre Ergänzung erhielten
die landrechtlichen Grundsätze durch zwei unter dem ergangene Gesetze, von denen das eine
das Niederlassungswesen regelt. Im Vergleich zu England wahrt die preuß. Gesetzgebung viel besser den ehrenamtlichen Charakter
der in der Armenpflege thätigen Organe. Sie ermöglicht durch größere Decentralisierung der Verwaltung auch eine bessere
Handhabung der Armenpflege, indem bei Spendung der Almosen die persönlichen Verhältnisse des Hilfsbedürftigen im einzelnen
Falle genau untersucht und gewürdigt werden. Sie beschränkt endlich die allgemein bindende Ordnung des Gesetzes auf das
notwendige Maß, ohne die freie Bewegung der Verwaltungsorgane übermäßig zu behindern.
¶
mehr
Anderer-895 seits scheint freilich aus dem oft beklagten Überhandnehmen der Landstreicherei in Deutschland zu folgen, daß
eine gute Armenpflege eines auf Abschreckung der Müßiggänger berechneten Zusatzes nicht entbehren kann. Hierauf beziehen
sich die Bestimmungen des DeutschenStrafgesetzb. §. 361, Nr. 3 u. Nr. 5: Wer als Landstreicher umherzieht und wer
sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingiebt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalt
oder zum Unterhalt derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, die Vermittelung der Behörde in Anspruch genommen werden
muß, wird mit Haft bestraft. Bei der Verurteilung zur Haft kann erkannt werden, daß der Verurteilte
nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu übergeben sei. Die Landespolizeibehörde erhält dadurch die Befugnis
den Verurteilten zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Gegen einen
Ausländer kann Verweisung aus dem DeutschenReiche verfügt werden. Die wesentlichen Gebiete der Armengesetzgebung sind jetzt
folgende:
1) Planmäßige Fürsorge für außerordentliche Notfälle in solchen Gegenden, in denen vorübergehend oder ständig
die Bevölkerung (wie durch Überschwemmungen und Mißwachs) der Gefahr der Verarmung ausgesetzt ist. In solchen allgemeinen
Notstandsfällen kann nicht bezweifelt werden, daß der Staat die unzulänglich gewordene Kraft der Gemeinden zu ergänzen
hat.
2) Feststellung der zur Armenpflege verpflichteten Organe und der ihnen zu überlassenden Einnahmequellen.
3) Gesetzliche Ordnung des Niederlassungswesens im Sinne billiger Ausgleichung zwischen freier wirtschaftlicher Bewegung und
den durch den unbeschränkten Zustrom hilfloser Personen bedrohten Gemeindeinteressen.
4) Staatliche Aufsicht über Privatwohlthätigkeitsstiftungen, deren planlose Verwaltung, wie die engl. Erfahrungen lehren,
so große Mißstände hervorzurufen vermag, daß man sich in England 1853 veranlaßt fand, dem Staate
ein bestimmtes Aufsichtsrecht über zweckwidrige Privatstiftungen einzuräumen.
5) Begründung von Kreditanstalten, welche durch Ermöglichung von Darlehen den kleinen Mann gegen Verarmung und wucherische
Ausbeutung schützen. Im mittelbaren Zusammenhange mit der Armengesetzgebung stehen diejenigen Veranstaltungen, welche
entweder, wie die Sparkasseneinrichtungen, den wirtschaftlichen Erwerbsbetrieb heben sollen, oder gewissen
Klassen von armen Personen eine ihren leiblichen Bedürfnissen entsprechende sachverständige oder technische Behandlung sichern
sollen: das Taubstummen-, Blinden- und Irrenwesen. Überall ergiebt sich für den neuern Staat, der den Grundsatz des Schulzwanges
anerkannt hat, die Notwendigkeit, die Versorgung der Waisen teils nach den Gesichtspunkten der Armenpflege,
teils im Sinne vernünftiger Wirtschaftspolitik und Pädagogik zu ordnen.
Eine besondere Schwierigkeit umgiebt die in Staatenverbindungen, die ein einheitliches wirtschaftliches Gebiet darstellen.
In ihnen kommt es darauf an, die Grundsätze der Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit, die sich auf das Gesamtstaatsgebiet
erstrecken, in Einklang zu bringen mit den Grundsätzen der den einzelnen Gemeinden in verschiedenen
Staaten obliegenden Unterstützungspflicht. Das Deutsche Reich
[* 33] suchte diese Schwierigkeiten durch das in allen Staaten mit Ausnahme
von Bayern
[* 34] und Elsaß-Lothringen
[* 35] geltende Gesetz vom (abgeändert zu lösen. Um einen
gemeinsamen Grundsatz
gegenüber der Verschiedenheit der in den Einzelstaaten zu gewinnen, ward der Unterstützungswohnsitz
(s. Heimatsrecht) nach der Regel geschaffen, daß jeder hilfsbedürftige Deutsche vorläufig von demjenigen Ortsarmenverbande
unterstützt werden muß, in dessen Bezirke er sich bei dem Eintritt seiner Hilfsbedürftigkeit befindet, diese Auslage aber
von demjenigen Verbande zu erstatten ist, in dem der Unterstützungswohnsitz durch Familienangehörigkeit
(Ehefrauen, Kinder) oder durch zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt erworben wurde.
Die Krankenkosten werden jedoch für den Zeitraum von 13 (bisher 6) Wochen von der Armenpflege desjenigen Ortes getragen,
an dem vermögenslose, dort gegen Lohn in Arbeit oder Dienst stehende Personen oder Lehrlinge erkranken. Wird die Unterstützungspflicht
zwischen mehrern Armenverbänden streitig, so entscheiden darüber, je nachdem diese demselben Staate oder
verschiedenen angehören, entweder die Landesbehörden oder das «Bundesamt für das Heimatswesen», letzteres auch bei Berufung.
Eine größere Anzahl deutscher Einzelstaaten hat jedoch seine Armenstreitsachen freiwillig an die letztere Behörde als oberste
Instanz übergehen lassen. Gegen die auf den Unterstützungswohnsitz bezügliche deutsche Gesetzgebung
ist vielfach Beschwerde erhoben worden; doch gelang es bisher nicht, ein besseres System nachzuweisen. Die Novelle vom hat
nur Einzelheiten geändert. Das bayr. Armenrecht beruht auf dem Heimatsprincip, das Armenrecht in Elsaß-Lothringen auf dem
ältern franz. System.
Danach ist die örtliche Armenpflege freiwillig: die Bezirksarmenpflege beruht teils auf freiwilliger
Übernahme, teils auf gesetzlicher Verpflichtung. Frankreich selbst hat durch Gesetz vom eine umfassendere Krankenpflegeverpflichtung
geschaffen. –
die Kommentare zum Unterstützungswohnsitzgesetz von F.
Arnold (ebd. 1872), von Rönne (ebd. 1879), Krech (ebd. 1894) u. a.; Seydel, Das bayr.
Heimatsrecht (in Hirths «Annalen», 1886, S. 720 fg.);
in seiner weitesten Ausdehnung,
[* 39] in der es aber entweder nie oder doch nur vorübergehend zu einem einzigen
Reiche unter einem Herrscher verbunden war, liegt zwischen 37 bis 49° östl.
L. von Greenwich und 37½ bis 41¾° nördl. Br. Seine größte Länge von O. nach SW. beträgt 975–1050, seine größte
Breite
[* 40] von N. nach S. etwa 525 km. Es umfaßt eine Flächenraum von etwa 200000 qkm und
erstreckt sich von dem
¶
mehr
896 KaspischenMeere und der pers. ProvinzAserbeidschan im O. bis nach Kleinasien im W. und von dem Flusse Kura (Cyrus) im N.
bis nach Kurdistan und Mesopotamien im S. Bodengestaltung. Armenien besteht aus archäischem Grundgebirge, über dem sich mesozoische
Gesteine
[* 42] abgelagert haben. Darüber hat dann eine außerordentlich ausgedehnte vulkanische Thätigkeit
gewaltige Massen von Eruptivgesteinen ergossen. Zahlreiche erloschene Vulkane
[* 43] gruppieren sich um den 5156 m hohen GroßenArarat,
und ziehen meist in nordwestl.
Richtung von dem Arasflusse über den Goktschasee nach der Küste des SchwarzenMeers hinüber. Armenien besteht aus einer Reihe nordwestlich
streichender Gebirgszüge, zwischen denen Hochebenen liegen. Die Gebirge gipfeln im GroßenArarat, der
durch eine Einsattelung von dem im OSO. davon gelegenen KleinenArarat (3914 m) getrennt ist. Bedeutende Höhen erreichen der
Vulkan Alagös, der Kjambil und Kengur, der Chori- und Ala-Dagh zwischen Bajasid und dem Wansee, der Bingöl-Dagh im S. von Erzerum.
Auch nahe der Küste des SchwarzenMeers steigt im Kartschchal-Dagh das Gebirge noch zu 3432 m auf. Im pers.
TeileA.s in Aserbeidschan erhebt sich der Sawalan zu 4813 m Höhe, im O. des Urmiasees der Sehend-Koh zu 3546 m. Gegen N. fällt
Armenien zur Kura-Rion-Linie ab, sendet jedoch einen Sporn zum Kaukasus hinüber, der bei Achalzich die Wasserscheide
zwischen Kura und Rion bildet; im S. begrenzt es der von Kurdistan ausgehende, westöstlich streichende armenische Taurus.
Bewässerung. Die GebirgeA.s tragen die Quellen des Euphrat (s. d.), der in zwei Quellarmen in der Gegend von Erzerum
und Bajasid entspringt, ferner des Tigris. Auf dem Bingöl-Dagh entsteht der Aras, der von W. nach O. durchzieht
und der Kura zufließt. Meist liegen die Ortschaften infolge des Hochlandcharakters A.s sehr hoch, Kars 1850, Erzerum gegen
1900, Alexandropol 1470, Wan 1650 m. Auf den Hochebenen finden sich bedeutende Gebirgsseen, wie der Wansee (1666 m),
der Urmiasee (1330 m), der Goktschasee in 1925 m Höhe; alle diese sind abflußlos. Dagegen wird der
Tschaldyr-Göl gegen S. zu dem Flusse Kars entwässert. (S. Karte: Westasien I, beim ArtikelAsien.)
[* 44]
Das KlimaA.s weist starke Gegensätze auf. Alexandropol in 1470 m Höhe hat im Juli +28,8, im Januar -10,9° C., Eriwan in 1000 m
Höhe im Juli +26,7, im Januar -10,9° C. In Alexandropol fallen jährlich nur 395 mmRegen, das Klima ist also trocken; am meisten
Regen fällt im Mai und Juni. Aber an vielen Orten bleibt der Schnee
[* 45] ein halbes Jahr liegen, viele Flüsse frieren ganz zu,
und das Land wird oft weit und breit mit einer dichten Schneemasse 1–2 m hoch bedeckt. In Hocharmenien
fällt Schnee 7–8 Monate, vom Oktober bis zum Mai; um Eriwan schneit es 5 Monate.
Weniger rauh zeigt sich das westliche in der Mitte, der südl. Teil mit den Tiefthälern von Kurdistan und der
Gegend von Diarbekr. Die Schneelinie, die im Kaukasus noch unter 3100 m liegt, steigt infolge der Trockenheit in Armenien bis nahe
an 4400 m, daher nur die Gipfel des GroßenArarat und des Alagös (4540 m) mit ewigem Schnee bedeckt sind; nur die südlicher
gelegenen Gebirge von Kurdistan und Bingöl haben die Schneelinie schon bei 3300 m.
In den wärmern Gegenden des Landes zeigt sich der Frühling schon im März, aber im allgemeinen brechen im April erst die Knospen
[* 46] hervor, und gegen Ende dieses
Monats wird gesät. In Erzerum herrscht noch im Juni empfindliche Kälte und in der Nacht gefriert
das Wasser, während in andern Teilen desselben Paschaliks die Kirschen reifen und das Getreide
[* 47] zur Ernte
[* 48] bereit steht.
Nach einem langen Winter folgt in Armenien ein kurzer Frühling, worauf ohne Übergang die Sommerhitze eintritt, so daß in drei
Monaten der schwarze, fruchtbare BodenSprossen, Blätter, Blüten treibt und die Früchte zur Reife bringt.
Auf die heißesten Tage folgt der Herbst, der nicht viel länger anhält als der Frühling, danach der lange Winter mit vielem
Schnee. Im Winter weht der Nordwind, im regnerischen Frühling der Westwind, im trocknen Sommer der Süd- und Ostwind. Da sonach
die Fluren leicht vertrocknen, hat man mit vieler Mühe und Kunst schon im grauesten Altertum zur Bewässerung
des LandesKanäle angelegt. Das Klima ist im allgemeinen gesund, mit Ausnahme der Gegend von Eriwan, nur Fieber und katarrhalische
Entzündungen sind die gewöhnlichen Leiden.
[* 49]
Die Pflanzenwelt ist dem extremen Klima
[* 55] angepaßt und berühmt durch die über den Steppen auftretende Hochsteppenflora
des Bingöl-Dagh und des Ararat. Die letzten Bäume reichen hier bis 2550 m hinauf, während erhebliche Wälder die Abhänge
A.s, besonders gegen Norden und Osten schmücken. Die Schneeregion aber beginnt erst über 4000 m Höhe, so daß ein weiter
Spielraum für die Stachelgesträuche der Höhe übrigbleibt. Diese wachsen selbst bei 3000 m unter der
starken Sonnenwirkung steppenartig zerstreut weiter und bilden keine geschlossenen alpinen Rasen. Bei 2000 m Höhe ist die
Weizenernte noch ergiebig, bei 2300 m endet am Bingöl-Dagh der Anbau der Gerste.
[* 56] Von Baumfrüchten gedeihen Aprikosen, Pflaumen,
Kirschen, Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Granaten,
[* 57] Maulbeeren; in den wärmern Gegenden gedeiht der Ölbaum,
Johannisbrot- und Feigenbaum, sowie Baumwolle,
[* 58] Sesam, Tabak
[* 59] und Flachs. Reis baut man in den östl. Gegenden.
Tierwelt. Seit den ältesten Zeiten sind die Jagdgründe des Landes berühmt, die mehrere Arten Hirsche,
[* 60] Eber, Gazellen und Büffel
bergen. Außer Hornvieh werden besonders Schafe
[* 61] gezüchtet. Berühmt sind die schnellfüßigen Pferde aus
Karabagh und Kurdistan, die früher von den Fürsten des Landes als Tribut an den pers. Hof
[* 62] gesandt wurden. Von reißenden Tieren
finden sich in den Wäldern und Einöden Tiger, Leopard,
[* 63] Hyäne, Luchs, Bär, Wolf, Fuchs,
[* 64] wilde Hunde
[* 65] und Esel u. s. w.; der
Löwe ist kaum mehr anzutreffen. Vögel
[* 66] und Fische
[* 67] sind in zahlreichen Arten vorhanden. Die Bienen liefern
besonders in den Gegenden am SchwarzenMeere reichlichen Honig.
Bevölkerungsverhältnisse. Die Armenier bilden ein Glied
[* 68] der iranischen Gruppe des indogerman. Völkerstammes. Sie sind von
hellerer Hautfarbe als die Perser, haben meist dunkles Haar,
[* 69] scharfgebogene Nasen und neigen sehr zur Fettleibigkeit. Schon frühzeitig
bekannten sie sich zum Christentum, innerhalb dessen sie einen besondern Lehrbegriff ausbildeten (s. Armenische Kirche). Die
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