Körpers des Patienten in die geöffnete Leibes- oder
Brusthöhle frisch geschlachteter, noch lebenswarmer
Tiere. Solange man
noch in der tierischen Wärme
[* 2] specifische
Lebensgeister zu sehen glaubte, knüpfte man auch an solche
Bäder große Hoffnungen;
vorzugsweise wurden gelähmte
Glieder,
[* 3] seltener auch zu früh geborene
Kinder auf diese
Weise behandelt. Jetzt weiß
man, daß die
tierische Wärme nicht anders wirkt als Wärme überhaupt, und die Erfahrung hat auch gelehrt, daß die tierischen
Bäder keinen Vorzug vor andersartiger passender Anwendung der feuchten Wärme haben.
Ihre Anwendung ist daher nur noch eine
sehr beschränkte.
ein
Verfahren der Färberei und Zeugdruckerei, durch das die Baumwollfaser mit Eiweißkörpern
(Albumin oder
Casein) imprägniert und dadurch befähigt wird, die Farbstoffe in ähnlicher
Weise zu fixieren, wie die Wollfaser.
Der Eiweißkörper wird aus
Milch oder aus Fleisch gewonnen. Im ersten Falle scheidet man aus abgerahmter, sauer gewordener
Milch die Käsematte und trocknet diese nach sorgfältigem
Auswaschen ein. Im andern Falle löst man zerhacktes
und ausgewaschenes Fleisch in schwacher Natronlauge und füllt dann mit einer Säure; der Niederschlag wird wie oben behandelt.
Die so erhaltenen
Eiweißstoffe löst man in
Ammoniak und versetzt die Lösung mit 3 Proz.
Olivenöl und gelöschtem Kalk unter
Umrühren, so daß eine emulsionartige
Masse sich bildet, die entweder als
Mordant (s.
Beize) oder zur Bereitung
von
Tafelfarben (s.
Applikationsfarben) Anwendung findet.
auch Flußharz genannt, ein mit dem Kopalharz (das die Engländer fälschlich auch Animeharz nennen)
verwandter und oft mit jenem verwechselter
Stoff von noch zweifelhafter Herkunft. Lange Zeit hat man Hymenea courbarilL.,
eine der Stammpflanzen der verschiedenen Kopalharzsorten (s. Kopal), für den Animebaum gehalten,
bis die
Abstammung der Kopalsorten genau ermittelt war. Gegenwärtig sind die Pharmakognosten der
Ansicht,
daß
IcicaIcicariba DC., ein zu den
Burseraceen gehörender
Baum Westindiens und
Brasiliens, welcher auch das Elemiharz (s. d.)
liefert, die Stammpflanze des Animeharz sein möge. Es kommt in unförmlichen, weißlich bestäubten, leicht zerbrechlichen
und zerreiblichen
Stücken in den
Handel, welche einen schwachen Weihrauchgeruch besitzen, über
Feuer sich
gleich dem
Mastix erweichen und sich in kochendem
Alkohol leicht auflösen. Durch letztere Eigenschaft unterscheidet sich das
Animeharz, welches zu
Räucherungen, technisch bei der Siegellackfabrikation und zu Firnissen Verwendung findet, sehr wesentlich
von den schwer löslichen Kopalharzsorten. Es ist im
Handel selten geworden.
das von G. E.
Stahl (s. d.) zu Anfang des 18. Jahrh. aufgestellte
System in der
Medizin, wonach die vernünftige Seele (anima) als das Princip des Lebens betrachtet wird. Die
Krankheiten, lehrte
Stahl, seien Reaktionen der Seele gegen die Krankheitsursachen, d. h.
innerliche
Bewegungen, welche die Seele im Kampfe mit jenen
Ursachen ausführe, und die
ärztliche Behandlung müsse sich daher
darauf beschränken, die der Einwirkung entgegenstehenden Hindernisse wegzuräumen
und sie im Kampfe gegen die Krankheitsursachen
zu unterstützen. Die
AnhängerStahls wurden
Animisten genannt. Sein entschiedenster Gegner war Friedr. Hoffmann (s. d.).
- In der neuern anthropol. Forschung ist Animismus als
Ausdruck für die bei allen Naturvölkern beobachtete
Neigung eingeführt worden, die ihnen mechanisch unerklärlichen Wirkungen der Dinge sich durch
Annahme seelischer Kräfte
oder handelnder Persönlichkeiten in den Dingen begreiflich zu machen.
oder
Aniene oder
Teverone (im
Altertum Anio,
Anien), ein 110 km langer linker Nebenfluß des
Tiber in der ital.
ProvinzRom,
[* 4] entspringt 70 km östlich von
Romin den Monti Sabini am Monte-Ceraso, fließt, nach kurzem südl.
Laufe, durch ein Querthal, von
Trevi (Treba) bis Anticoli gegen NW. durch das Längenthal von
Subiaco und drängt sich darauf
bei Vicovaro
(Varia) durch ein anderes Querthal nach
SW. Nachdem er rechts die Licenza (Digentia) aufgenommen, tritt er bei
Tivoli
(Tibur) in die
Campagna di
Roma,
[* 5] die er gegen W. 30 km weit durchschneidet bis zur Mündung, 4 km
nördlich von
Rom, da wo einst Antemnä stand. Im obern Längenthale liegt unweit
Subiaco in schauerlicher Felskluft die
«HeiligeHöhle», wo der heil.
Benedikt drei Jahre zubrachte; jetzt steht unter dem überhängenden Felsen ein Benediktinerkloster.
In dem Seitenthale der Licenza sprudelt unter dem Monte-Gennaro
(Mons
[* 6] Lucretilis) die klare
Quelle
[* 7] dieses
Flüßchens, die von
Horaz gefeierte Fons
Bandusiae, hervor, in deren Nähe man die Überreste der Villa des Dichters, des
Sabinum, zeigt. Am Südende der Stadt
Tivoli (s.
Tibur), da wo auf einem Felsvorsprung die Ruine eines runden
Tempels derVesta
oder der Tiburtinischen Sibylle sich befindet, stürzte früher der in eine Felsschlucht, dann noch tiefer in die
Grotte des
Neptun.
Da aber der
Fluß bei
HochwasserTeile seines Ufers fortriß und den Fels, auf dem der
Tempel
[* 8] steht, zu unterwühlen drohte,
so ließ
Leo XII. den
Fluß durch einen
Kanal
[* 9] (271 m) unter dem Monte-Catillo ableiten, der 1835 vollendet
wurde; deshalb liegt der 96 m hohe Fall jetzt etwas weiter von der Stadt. Die Neptunsgrotte ist seit 1835 fast ganz eingestürzt.
PimpinellaanisumL., eine einjährige
Pflanze aus der Familie der
Umbelliferen
[* 11] (s. d.), in
Griechenland,
[* 12]
Ägypten
[* 13] und dem
Orient, blüht im Juli, reift
Früchte gegen Ende
August, hat herzförmig-rundliche Grundblätter, doppelt-dreizählige
Stengelblätter, hüllenlose
Dolden, kleine, weiße
Blüten und breit-eiförmige, von der Seite ein wenig zusammengedrückte,
etwa 2
mm lange, graugrüne, kurz grauhaarige, feingerippte Früchtchen von eigentümlich aromatisch-süßem
Geschmacke und starkem gewürzhaftem
Geruch. Sie sind als
Fructus Anisi oder
Aniskörner offizinell. Aus ihnen bereitet man durch
Destillation
[* 14] das
Anisöl (s. d.),
¶
mehr
desgleichen die Anisessenz, ein wohlriechendes Wasser. Auch werden die Anissamen als Küchengewürz, zu Backwerk und zur
Liqueurfabrikation gebraucht. Die Anispflanze wird in Spanien,
[* 16] Italien,
[* 17] der Levante, südl. Frankreich sowie in Thüringen, besonders
in der Umgegend von Erfurt,
[* 18] und in Rußland als Feldfrucht angebaut. Sie verlangt zum Gedeihen ein warmes, trocknes
Klima
[* 19] sowie lockern, kraftreichen Boden. Von ähnlichem Geschmacke wie der gemeine Anis ist der Sternanis (s. d.). Feinde des Anis sind
die Maden der Anismotte(Depressaria nervosaHaw.), ferner die rote Lohe oder das Rotwerden und Faulen der Samenkörner bei
beginnender Reife. Die von der Krankheit befallenen Pflanzen müssen sofort herausgezogen und verbrannt
werden. Die Anismotte legt ihre Eier
[* 20] an die Samen,
[* 21] wo sie bei trockner Aufbewahrung zwei Jahre lebensfähig bleiben. Die Maden
entwickeln sich erst, nachdem die Samen in die Erde gebracht sind und zu keimen beginnen und gehen, wenn dies nicht erfolgt,
im dritten Jahre zu Grunde. Man verwendet deshalb an Orten, wo die Anismotte aufgetreten ist, dreijährigen
Samen zur Aussaat.
entsteht aus Anethol (s. d.) durch Oxydation mit Chromsäure, wenn man einen Überschuß von Anethol anwendet
und dadurch die Oxydation nicht bis zur Bildung der Anissäure (s. d.) treibt. Man wendet dazu auf ein TeilAnethol ein Gemisch
von zwei Teilen Kaliumbichromat (s. Kaliumchromate) mit verdünnter Schwefelsäure
[* 22] an. Man destilliert
den Anisaldehyd im Dampfstrome ab und erhält ihn als farbloses Öl, das bei 248° siedet und in Wasser unlöslich
ist. Der Anisaldehyd ist als Methyläther des Paraoxybenzaldehyds, C6H4(OCH3)CHO ^[C6H4(OCH3)CHO], aufzufassen. Durch
alkoholische Kalilauge wird er in Anissäure und Anisalkohol, C6H4(OCH3)CH2OH ^[C6H4(OCH3)CH2OH],
verwandelt.
ein ätherisches Öl, das durch Dampfdestillation der zerquetschten Aniskörner, den Früchten
von PimpinellaanisiumL. (s. Anis), oder des Krautes der getrockneten Pflanze gewonnen wird. Es ist farblos oder schwach gelblich
gefärbt, von charakteristischem Gerüche und besteht zum überwiegend größten Teile, bis zu 90 Proz., aus Anethol (s. d.)
und erstarrt infolgedessen bei niedern Temperaturen zu einer krystallinischen Masse, die bei etwa 18°
C schmilzt.
Der beim Krystallisieren des Anethols flüssig bleibende Teil ist wenig untersucht. In mangelhaft verschlossenen, höherer
Wärme ausgesetzten Gefäßen aufbewahrtes Anisöl erleidet eine Veränderung und scheidet dann in der Kälte kein Anethol mehr aus.
Die Fabrikation des Anisöl findet in einigen thüring. Städten, im größten Maßstabe aber in Leipzig
[* 25] statt;
im Handel wird außer diesem das aus dem südl. Rußland (Sarepta) kommende Öl besonders geschätzt. Das Anisöl wirkt sehr energisch
auf tierische Parasiten und wird z.B. gegen Kopfläuse und Krätze angewandt.
eine ätherisch riechende Flüssigtcit, die bei 152° siedet und bei der Destillation von Anissaure mit
Kalk oder beim Erhitzen von Phenol mit Kali und Methyljodid entsteht.
Anisidinponceau, ein Teerfarbstoff, ist ein scharlachrotes, in Wasser lösliches Pulver und besteht aus
dem Natriumsalz der Anisolazobetanaphtholmonosulfosäure.
eine organische Säure von der Zusammensetzung C8H8O3 , die bei der Oxydation
von Anethol (s. d.) mit Chromsäure gebildet wird und auch synthetisch ans Paraoxybenzoesäure dargestellt werden kann.
Sie
ist der Methyläther dieser Säure: C6H4(OCH3).COOH
^[C6H4(OCH3).COOH].
Aus heißem
Wasser krystallisiert die in farblosen Nadeln;
[* 26]
eine auf dem Gute Anjala in Finland gestiftete Adelsverschwörung gegen König Gustav III. von Schweden,
[* 27] der 1788 ohne Beratung der Stände das im Kriege gegen die Türkei
[* 28] befindliche Rußland angriff und sich dadurch
einer Übertretung der Fundamentalgesetze des Reichs schuldig machte. Gleichzeitig benutzten einflußreiche Finländer die hierdurch
entstandenen Wirren, um einen Plan zur Erreichung der polit. Unabhängigkeit für ihr Land zu entwerfen. Der Anjalabund wandte sich
um Schutz der schwed. Verfassung direkt an die russ. Kaiserin und überreichte zu derselben
Zeit dem Könige eine von 113 Offizieren unterzeichnete Schrift, worin sich die Unterzeichner eidlich verpflichteten,
den König zum Frieden und zur Berufung eines Reichstags zu vermögen. Es kam in der That zu einem Waffenstillstand, aber auf dem
Reichstag von 1789 gelang es dem König mit Unterstützung des Volks den Widerstand des Adels zu brechen
und seine eigene Macht zu erweitern. Befehle zur Verhaftung der leitenden Männer wurden erteilt, die Eiferer für die finn.
Selbständigkeit entflohen nach Rußland, den übrigen ward in Stockholm
[* 29] ein Prozeß gemacht, jedoch nur Oberst Hästesko zum
Tode verurteilt. -
(spr. andscher), Hafenplatz und Fort in der niederländ. Residentschaft Bantam an der Nordwestspitze Javas und
der Mündung der Sundastraße in die Binnensee des Archipels, hat 3000 E. und eine 11 km lange Wasserleitung.
[* 30] In Anjer laufen
die durch die Sundastraße fahrenden und die nach Batavia
[* 31] bestimmten Schiffe
[* 32] an, um sich mit frischem Wasser
und Lebensmitteln zu versehen. Auch werden daselbst die nach Batavia bestimmten Briefbeutel abgegeben und die Reisenden gelandet,
die den Landweg (über Serang, den Hauptort der Residentschaft) nach dem 105 km entfernten Batavia vorziehen, der in einem
Tage zurückzulegen ist, während die Schiffahrt viel länger dauern kann. Anjer wurde durch
die Erdbebenflut, die einem Vulkanausbruch auf Krakatau folgte, vollständig zerstört, ist jedoch wieder aufgebaut.
(spr. angschuh), ehemalige, von Maine, Bretagne, Poitou und Touraine umgebene Provinz des nordwestl. Frankreich,
etwa 9000 qkm groß, umfaßt das heutige Depart. Maine-et-Loire und Teile von Indre-et-Loire, Mayenne
und Sarthe. Die Hauptstadt war Angers (Andegavum). - Das alte
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mehr
Grafengeschlecht, das von dem Lande den Namen führte, erlosch 1060; die Schwester des letzten Grafen, Gottfried II., brachte
Anjou an das Haus Gatinais, dem Gottfried V., der Ahnherr der Plantagenet (s. d.), entsprang. Er heiratete 1128 Mathilde,
die Tochter Heinrichs I. von England; ihr Sohn bestieg 1154 als Heinrich II. den engl. Thron
[* 34] und Anjou gehörte
nun zu den franz. Besitzungen der engl. Krone. Durch Philipp II. August ward es aber 1204 wieder für Frankreich gewonnen; 1246 wurde
Karl, der jüngste Sohn Ludwigs VIII., damit belehnt, der auch Provence und Neapel-Sicilien erwarb (s. Karl I. von Anjou).
Diese ältere Linie von Anjou-Neapel kam dann auch in Ungarn
[* 35] zur Regierung. Karl II. von Sicilien gab Anjou seiner
Tochter Margarete bei ihrer Vermählung mit Karl vonValois, dem Bruder Philipps des Schönen. Dieser erhob Anjou 1297 zur Pairie.
Der Sohn Karls und Margaretens wurde 1328 als Philipp VI. König von Frankreich und vereinigte Anjou mit der
Krone. Sein Sohn Johann verlieh Anjou seinem zweiten SohneLudwig, der 1360 ebenfalls auf den Thron von Neapel
[* 36] kam und dort die jüngere
Linie Anjou begründete. Sein Enkel René, Titularkönig von Neapel, wurde von Ludwig XI. des Herzogtums Anjou beraubt, der es 1480 mit
der franz. Krone vereinigte. Mit Rene's BruderKarl erlosch 1481 das Haus Anjou. Seitdem gab es nur noch einen
Titel für königl. Prinzen ab. Heinrich III. führte ihn vor seiner Thronbesteigung, ebenso der Enkel Ludwigs XIV., der 1701 als
Philipp V. König von Spanien wurde. -
Vgl. Port, Dictionnaire historique, géographique et biographique
de Maine-et-Loire (3 Bde., Par. 1879);
Bodin, Recherches historiques sur l'Anjou (2 Bde., Saumur 1821-22).
Stratificieren, die zur Saat vorbereitende Behandlung von Samen, die zur Entwicklung des Keims längerer
Zeit und anhaltender Bodenfeuchtigkeit bedürfen und unmittelbar in das Land gesät, sehr spät, unter Umständen nur teilweise
oder gar nicht aufgehen würden. Diese Vorbehandlung hat den Zweck, die starke, lederartige oder knochenharte Decke
[* 38] solcher
Samen in ungleich kürzerer Zeit mürbe zu machen und dadurch den Durchbruch des Keims zu beschleunigen.
Mittel hierzu sind das Aufweichen der Samen in erwärmtem Wasser und das Zusammenschichten derselben mit feuchtem Sande.
Verbindet man hiermit den Zweck, eine vollkommenere Lösung der im Samen aufgespeicherten Nahrungsstoffe herbeizuführen,
so bedient man sich hierzu sog. Beizen, d. i. verdünnter Säuren. Will man in andern Fällen den Samen beim
Keimen reichlichere Nahrung zuführen, so weicht man sie in Stalljauche ein. Alle hartschaligen Gehölzsamen, wie die des Weißdorns,
der Hundsrose u. a., die erst im zweiten Jahre nach ihrer Reife und Aussaat keimen, werden in Erdgruben in Sand eingeschichtet
und erst im zweiten Frühjahr ausgesät.
[* 39] ein Weinmaß (zum Teil auch Branntweinmaß) von verschiedener Größe und nur in Dänemark,
[* 40] Rußland, sowie bis Ende 1891 auch in Finland noch von gesetzlicher Geltung. In Dänemark ist der Anker gesetzlich = 38¾, im Großhandel
aber = 39 Pott, also = 37,437 (37,079) l. In Rußland hat der Anker 3 Wedro = 36,898 l, in Finland 39,260 l.
In England heißen bei Branntwein 10 Imperial-Gallons
(= 45,436 l) ebenfalls ein Anker. Der in den niederländ. Kolonien und in
Südafrika
[* 41] noch vorkommende alte Amsterdamer Anker enthält 38,806 l. Unter den bis Ende 1871 in den norddeutschen Staaten gesetzlich
geltenden Maßen war der Anker auch und zwar von verschiedener Größe. Der preuß. von 30 Quart,
[* 42] die Hälfte
des preuß. Eimers, war = 34,351 l. Fast überall hießen 4 Anker ein Ohm und 6 Anker ein Oxhoft.
im Schiffswesen das Werkzeug, welches von einem Schiffe mittels einer Kette oder eines Taues in die Tiefe gelassen
wird, sich vermöge seiner Gestalt und Schwere im Grunde eingräbt und dadurch das Schiff
[* 43] festhält. Die
Hauptteile eines Anker sind der Schaft, die Arme mit den Flüen (Flügeln) und der Stock. Erstere beide sind aus Schmiedeeisen
verfertigt. Der Stock besteht bei den Anker neuern Modells aus Eisen,
[* 44] bei den schwerern ältern Modells aus
Holz. An dem untern Ende des Schaftes, der das Mittelstück des Anker nach altem Modell, Admiralitätsanker genannt,
bildet, gehen die Arme bogenförmig aus und endigen in die schaufelförmigen, mit einer Spitze zum Eingraben versehenen Flüen.
Der Stock ist senkrecht zu den Armen um den obern Teil des Schaftes befestigt. Ist er von Eisen, so geht
er durch ein Loch im Schaft; die hölzernen Stöcke sind aus zwei Hälften zusammengesetzt, die um den viereckigen Schaft
gelegt und durch eiserne Bänder zu einem Ganzen verbunden werden Der Stock ist länger als die Sehne zwischen den beiden Flüen,
so daß er sich, sobald die Ankerkette oder das Tau straff gezogen wird, in eine wagrechte Lage wirft. Dadurch
wird eine der Flüen dem Grunde zugekehrt und zum Eingreifen gebracht.
Der Schaft ragt über den Stock hinaus und hat hier eine runde Öffnung zur Aufnahme eines beweglichen eisernen Ringes, des
Röhrringes, in dem die Ankerkette oder das Tau befestigt ist. Alle größern Schiffsanker haben nur zwei
Arme, dagegen Bootsanker und Anker für Flußfahrzeuge deren fünf bis sechs, dann fehlt ihnen der Stock; letztere heißen Draggen.
Bisher waren die Arme fest an den Schaft geschmiedet. In neuerer Zeit macht man sie auch beweglich, indem
man die als ein Ganzes geschmiedeten Arme durch einen Bolzen mit dem untern Ende des Schaftes verbindet.
Die Folge dieser Konstruktion, Porteranker genannt, ist, daß, wenn sich der eine Arm eingräbt, der andere sich nach unten
biegt, bis die Spitze seiner Flüe gegen den Schaft liegt. Man will hierdurch einen «unklaren»
Anker vermeiden. Hierüber s. Vertäuen. Eine andere Konstruktion ist das System von Martin. Die aus einem Stück geschmiedeten
Flüen sind in der Weise durch ein Scharnier mit dem Stock verbunden, daß die durch sie gelegte Ebene nicht wie bei den übrigen
Anker senkrecht, sondern parallel zur Ebene des Stocks liegt.
Der Zweck ist, daß beide Flüen, die sich von der Achse des Stocks nur bis zu einem gewissen Winkel
[* 45] entfernen können, in
den Grund eingreifen und dadurch die Haltekraft des Anker verdoppeln. Die Folge davon ist, daß das Gewicht des ganzen
Anker bedeutend verringert werden kann (etwa 30 Proz.), letzterer daher
sowohl billiger als leichter zu handhaben ist. Außerdem haben die Martinsanker den Vorteil, daß man sie, weil Stock und Flüen
sich in dieselbe Ebene legen lassen, viel bequemer am Bord der Schiffe verstauen und befestigen kann. Im Princip ähnlich
sind die neuesten stocklosen Anker von Inglefield und Hall.
[* 46]
¶
mehr
Die Namen der verschiedenen waren in früherer Zeit, je nach Größe, Lage im Schiffe und Bestimmung, sehr mannigfaltig. In der
Neuzeit hat man diese Bezeichnungen vereinfacht und die einzelnen Klassen auch an Größe und Gewicht einander näher gebracht.
Die jetzt gebräuchlichen Benennungen sind für die größern Anker eines Schiffs Bug- und Rüstanker, je
nachdem sie am Bug oder in den Rüsten des Schiffs ihren Platz haben. Kriegsschiffe führen zwei von jeder Art, Kauffahrteischiffe
gewöhnlich nur zwei Buganker und einen Reserveanker, der meistens auf dem Oberdeck liegt.
Bug- und Rüstanker macht man jetzt gleich schwer. Für mittlere Handelsschiffe beträgt ihr Gewicht
1-1½ t, für Fregatten 2½-3 t, für größere Panzerschiffe
[* 48] bis zu 5 t. Außerdem unterscheidet man noch den Stromanker und
die Warpanker. Ersterer ist leichter als Bug- und Rüstanker und wird dort angewandt, wo man wegen veränderlicher Winde,
[* 49] Strömung
u. s. w. nur auf kurze Zeit ankert und die mit dem Gebrauche der großen
Anker verbundene schwerere Arbeit vermeiden will.
Die Warpanker sind noch leichter und werden zum Warpen (s. d.) benutzt. Man bringt
den Warpanker zu diesem Zwecke mit einem Boote aus und zieht dann das Schiff an dem im A. befestigten Tau nach dem gewünschten
Punkte hin. Ein Schiff treibt vor seinen Ankern, wenn diese nicht festhalten, sondern Wind oder Strömung
das Schiff treiben und den oder die Anker über den Grund nachschleppen. Dies kann sowohl durch unklare Anker als durch schlechte
Beschaffenheit des Ankergrundes herbeigeführt werden.
Ein guter Ankergrund darf nicht über 19 m Tiefe haben und muß sandig oder lehmig sein. Auf felsigem
Grunde faßt der Anker entweder nicht oder er kann leicht brechen. Zum Verankern von Feuerschiffen (s. d.) und Bojen (s. d.) verwendet
man Pilzanker, die sich in weichen Grund ganz einsenken und sehr fest halten, doch schwer zu lichten (heben) sind, oder Steinanker,
aus großen Quadersteinen bestehend. Das Lichten der Schiffsanker geschieht durch Einhieven (Eindrehen
der Ankerkette mittels des Spills, s. d.). Wenn so der Anker vor derKlüse (s. d.) hängt, wird er mittels zweier Takel, Katt und
Fisch genannt, außenbords an der Schiffswand so befestigt, daß er durch eine Hebellösevorrichtung, wenn nötig, sofort
wieder fallen gelassen werden kann. Treibanker bestehen aus einem durch Gewichte beschwerten Segel oder
Sack und werden von Booten in offener See oder Brandung benutzt, um das Boot gegen das Brechen der Wellenkämme zu schützen.
Anker im Bauwesen, eiserne Schienen oder Stangen oder auch hölzerne Balken, die bestimmt sind, Mauer- oder Holzwerken einen festern
Zusammenhang zu geben. Man unterscheidet Zuganker, welche der Seitenausweichung von Mauern, Gewölben, Dächern u. s. w. vorbeugen,
und Traganker, wodurch Vorbaue, Decken, Gewölbe
[* 50] u. s. w. am Herabstürzen oder Herabsinken verhindert werden sollen. Für Mauerwerk
werden gewöhnlich eiserne Zuganker angewendet. Diese bestehen aus einer einfachen oder auch aus einer aus mehrern Schienen
zusammengesetzten Stange, die an dem einen Ende einen angeschmiedeten oder angeschraubten Kopf besitzt,
an dem andern aber mit einer Öse versehen ist, durch welche eine Schließe oder Splint gesteckt wird.
Die Anker laufen entweder innerhalb der Mauern fort, oder sie liegen frei zwischen zwei gegenüberstehenden oder miteinander
einen Winkel bildenden Mauern oder Pfeilern, deren Auseinanderweichen sie
verhindern sollen. Eine besondere
Art der Zuganker bilden die Balkenanker, die an beiden Enden der durch die ganze Gebäudetiefe reichenden Balken angebracht
werden (s. Balken). Die Traganker bringt man meist in senkrechter, aber auch in wagerechter Lage an. Die Schließen erhielten
im Spätmittelalter und auch in neuerer Zeit oft eine künstlerische Verzierung, besonders an den Wohngebäuden
der niederländ. Städte, oder auch die Form von Ziffern (Jahrzahlen); sonst werden sie meist im Putz versteckt.
Anker, im Maschinenbau die zur Befestigung einer Maschine
[* 51] mit ihrem Fundamente benutzten Bolzen. Diese erhalten auf der einen
Seite einen Kopf, mit dem sie sich gegen die in das Mauerwerk eingelassene, meist gußeiserne Ankerplatte
anlegen, oder sie werden durch einen sich gegen die Platte stützenden Querkeil gehalten. Am andern Ende haben die Anker Schraubengewinde
(Ankerschrauben). Durch Anziehen der Mutter wird die Maschine und Fundament fest verbunden.
Anker, Armatur oder Induktor bei Dynamomaschinen ist der Teil, in dessen Windungen, der sog. Ankerwicklung
(s. d.), der Strom entsteht.
umfaßt sämtliche zum Verankern eines Schiffs gehörigen Vorrichtungen: die Anker, Ankerketten, Ankerbojen,
Davits (s. d.), Kranbalken (s. d.),
Spill (s. d.), Beting (s. d.).
(Eisenkalk), ein rhomboedrisches, mit dem Kalkspat
[* 54] isomorphes Mineral von lichtgelblich-grauer, durch Verwitterung
braun werdender Farbe, das vorwiegend aus Kalk- und Eisencarbonat, mit zurücktretendem Gehalt an Magnesia-
und Mangancarbonat, besteht und sich namentlich zu Admont und Eisenerz (Steiermark),
[* 55] bei Ems
[* 56] und Lobenstein findet, wo es bisweilen
als vorteilhafter Zuschlag bei der Verhüttung der Eisenerze benutzt wird.
aus Weicheisen bestehender Kern des Ankers der Dynamomaschine (s. d.). Anfangs machte
man denselben massiv, was aber insofern zu Unzuträglichkeiten führte, als auch in ihm Ströme induziert wurden, sog. Foucault-
oder Wirbelströme. Durch diese wurde unnütz Kraft
[* 57] verbraucht und bei längerm Gebrauch der Anker so stark erhitzt, daß
die Umspinnung der Drähte in Gefahr geriet. Seitdem man dies erkannt hat, sucht man das Entstehen jener
Ströme möglichst zu verhindern, indem man ihnen den Weg abschneidet durch möglichste Zerteilung des Kerns und Isolierung
der einzelnen Teile voneinander. Man bildet daher den Kern für Cylinderring- oder Trommelanker aus durch Papier voneinander
getrennten, auf die Achse aufgeschobenen Blechscheiben, für Flachring- oder Scheibenanker dagegen, den
anders gelegenen Strombahnen entsprechend, aus gleichfalls durch Papier getrennten Windungen schwachen Bandeisens, oder auch
wohl für beide Formen aus mit Asphaltlack überzogenem und lagenweise durch Papier isoliertem Eisendraht.
die Kette, durch welche der Anker mit dem Schiffe verbunden ist. Obwohl schon Cäsar bei der Invasion Englands
Ankerkette auf seinen Schiffen
¶
mehr
angewendet haben soll, wurden doch bis zu Anfang des 19. Jahrh. fast nur Taue statt der Ketten gebraucht. Erst Mitte dieses
Jahrhunderts wurden die Taue durch Ketten verdrängt, da letztere nicht nur viel bequemer zu handhaben, sondern auch durch
scharfen Fels, Sand oder Muschelgrund viel weniger der Beschädigung ausgesetzt sind. Nur fürStrom- und
Warpanker benutzt man leichtere Taue. Die gewöhnliche Länge der Ketten ist 220 m. In neuester Zeit verwendet man vielfach
statt der Ankerkette Stahldrahtankertaue, die leichter und haltbarer sind.
ein zum Dampfpfluge des Einmaschinensystems gehörender Apparat, dessen scharfe Räder tief in den Erdboden
schneiden und ihn dadurch festhalten (s. Dampfbodenkultur).
bei Dynamomaschinen der Inbegriff der aus gut isoliertem Kupferdraht, für stärkere
Ströme aber auch aus Stäben bestehenden Einzelwindungen, Spillen oder Abteilungen des Ankers, die je nach der Art und Form des
Ankers einerseits und der Zusammenfassung und Richtung der in ihr induzierten Ströme, der sog. Steuerung, andererseits verschieden
angeordnet und in verschiedener Weise an das Steuerorgan, den Kollektor,
[* 60] angeschlossen sind.
Im Gegensatz zur Civilklage, durch die die Entscheidung des Richters über privatrechtliche Streitfälle angerufen
wird, bezeichnet Anklage (accusatio) die bei Gericht angebrachte Anschuldigung einer bestimmten Person wegen
einer bestimmten Strafthat unter Verbindlichkeit des Anklägers, die Anschuldigung zu beweisen. Im Gegensatz zum Inquisitionsprincip
(s. d.) wird das Strafverfahren vom Anklageprincip beherrscht, wenn die Strafverfolgung denselben Grundsätzen wie der Civilprozeß
unterliegt, wenn also in Anwendung der Verhandlungs - oder Dispositionsmaxime Ankläger und Angeklagter als gleichberechtigte
Prozeßparteien gelten, der Richter nur über ihre Anträge und ihr Vorbringen zu entscheiden hat.
Im Gegensatz zum Inquisitionsprozeß (s. d.) wird der Anklageprozeß in seinem Gange und seinen Formen diesen Grundsätzen
entsprechend dem Civilprozeß nachgebildet. Während indes die gegensätzlichen Principien sich scharf auseinanderhalten
lassen, zeigt die geschichtliche Entwicklung des Strafprozesses (s. d.) in seinen wechselnden Formen bald
eine Verdrängung des einen Princips durch das andere, bald auch wieder eine Ausgleichung, eine gegenseitige Durchdringung.
In seiner reinsten Gestalt erscheint der Anklageprozeß im röm. und im german.
Altertum.
Im ältern röm. Recht gab es wegen unerlaubter Handlungen privatrechtliche Klagen. Das waren die Privatklagen (s. d.),
zum Teil auch die Popularklagen (s. d.). Sie wurden im Civilprozeß verhandelt. Daneben bildete
die Verfolgung und Bestrafung der gegen den Staat unmittelbar sich richtenden Strafthaten ein Recht des Staatsoberhaupts, ursprünglich
der Könige, später der Konsuln und Prätoren. Von diesen ging die Strafgewalt zunächst auf die Komitien über, bis sie allmählich
für einzelne Strafthaten auf besondere Kollegien, die questiones perpetuae, übertragen wurde.
Wenn nun auch gewissen Magistratspersonen die Verfolgung bestimmter Verbrechen oblag, so war doch andererseits im allgemeinen
jeder Bürger zur Erhebung der Anklage berechtigt. Der Ankläger mußte seine Absicht dem Prätor oder sonstigen Vorstand der questio
anzeigen (populare), sodann, falls er zugelassen wurde, den Namen des Beschuldigten angeben (nomen deferre),
das Verbrechen, welches er demselben zur Last legte, genau bezeichnen (crimen profiteri). War der Beschuldigte ebenfalls erschienen,
so fand eine Befragung desselben über die der Anklage zu Grunde liegenden Thatsachen (interrogatio) durch den Ankläger statt,
um auf diese Weise den Gegenstand des Verfahrens zu bestimmen (crimen contestari).
Die hiernach formulierte Anklage wurde protokolliert und vom Ankläger unterschrieben und bildete nun im Interesse
des Beschuldigten die Grenze des Verfahrens. Von dem Augenblick der Entgegennahme dieser Anklage durch den Richter (receptum nomen)
galt der Beschuldigte als Angeklagter (reus). Der Richter bestimmte nun den Verhandlungstermin, dessen Vorbereitung, insbesondere
durch Herbeischaffung der Beweismittel, Sache der Parteien war. An dem Tage der Verhandlung wurde zunächst aus der von Jahr
zu Jahr bezeichneten und öffentlich bekannt gemachten großen Anzahl von Richtern durch Auslosung und Verwerfung das Gericht
für den betreffenden Prozeß gebildet. Vor den ausgewählten und beeideten Richtern (judices selecti, jurati)
hielten die Parteien, zuerst der Ankläger, dann der Angeklagte, ihre Reden; dann folgte die Beweisaufnahme, bei welcher
die Zeugen von den Parteien, nicht von den Richtern vernommen wurden. Hierauf gaben diese ihre Entscheidung durch Stimmtäfelchen
ab, deren Ergebnis der Vorstand der questio, dem die äußere Leitung der Verhandlung oblag, verkündete.
Nach dem Spruche «Wo kein Kläger ist, ist kein Richter» wurde auch im deutschen Recht des Mittelalters der Strafprozeß durch
die Parteien betrieben. Der Ankläger erschien vor dem Richter, dem mit der Leitung des Gerichts betrauten, aber nicht zur
Urteilsfindung berufenen Träger
[* 61] der Gerichtsgewalt; dieser wählte aus der Versammlung sämtlicher Freien
die Urteiler, an deren Stelle seit Karl d. Gr. Schöffen (scabini) traten, die für längere Zeit, später auf Lebenszeit
und erblich bestellt wurden.
Sobald das Gericht gehörig versammelt und gehegt war, erhob der Ankläger selbst oder durch den ihm bestellten Fürsprech
in feierlichen Worten die Anklage. Wenn die Urteiler sein Begehren als rechtmäßig anerkannten, ward der Angeklagte
geladen. Erschien er und gestand, so wurde auf Anfrage des Richters das Urteil sofort gefällt. Leugnete er, so hatte er das
Recht und die Pflicht, sich von der Anklage zu reinigen. Dazu genügte im allgemeinen der Eid, wenn nötig unterstützt durch Eideshelfer
(s. d.). Angeklagte, welche die erforderlichen Eideshelfer
nicht finden konnten, die bereits als Diebe oder Räuber verurteilt oder sonst übel beleumundet waren, mußten sich durch
Gottesurteil (s. d.) reinigen. Als solches ist auch der Zweikampf anzusehen,
in welchem als Stellvertreter von Frauen und Gebrechlichen
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mehr
ein Kämpe eintreten konnte. Bei «handhafter That» wurde nicht der auf
frischer That ergriffene und vor Gericht geführte Angeklagte, sondern der Ankläger - ebenfalls mit Eideshelfern - zum Eide
verstattet. Hier konnte ein eigentlicher Zeugenbeweis darüber, ob handhafte That vorliege, vorangehen. Die Urteiler oder
Schöffen hatten nur darüber, welches Beweisverfahren zuzulassen, und nach dessen Ausgang darüber,
ob der Angeklagte sich gereinigt habe oder zu bestrafen sei, zu entscheiden.
Wenn auch die peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (s. Carolina) den Anklageprozeß gewissermaßen noch als die Regel
darstellt, so hatte doch thatsächlich der Inquisitionsprozeß inzwischen die Herrschaft gewonnen und behielt -
durch Wissenschaft, Gerichtsgebrauch und Partikulargesetzgebung weiter entwickelt - dieselbe bis zur Mitte des 19. Jahrh.
Nur in England blieb, wenn auch der Ankläger im Namen der Krone auftritt, die Form des Anklageprozesses vorherrschend.
Nach der Französischen Revolution fand derselbe in Frankreich wieder Eingang und 1808 durch den Code d'instruction criminelle
eine dauernde Gestaltung. Mit dem franz. Recht blieb auch der franz. Prozeß nach dem Sturz der Napoleonischen Herrschaft in
den für Deutschland
[* 63] wiedergewonnenen Rheinlanden in Kraft. Die polit. Umwälzungen des J. 1848 führten auch im übrigen
Deutschland und in Österreich
[* 64] zu Nachbildungen des franz. Verfahrens. Während die Gesetzgebung der folgenden
Jahre einige vielleicht übereilte Schritte rückgängig machte, manche Formen den heimischen Einrichtungen besser anpaßte,
während die Wissenschaft die Aufmerksamkeit mehr auf das engl. Vorbild lenkte, brachten in Deutschland die Ereignisse von
1870/71 nach Einführung eines einheitlichen Strafrechts auch die Forderung nach Einheit des Verfahrens wieder auf die Tagesordnung.
Sie fand ihre Erfüllung in der Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich
[* 65] vom in welcher das
Anklageprincip wenn auch nicht für das Vorverfahren, so doch für die Hauptverhandlung im wesentlichen zur Herrschaft gelangt
ist. Noch strenger war dasselbe in der inzwischen eingeführten Österr. Strafprozeßordnung vom durchgeführt.
(S. auch Strafprozeß.) -
Vgl. von Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafprozeßrechts (2 Bde., Berl.
1877-79);
von Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts (Freib. i. Br. 1892);
oder Große Jury. Von dem Gedanken ausgehend, daß die Verwicklung in einen Strafprozeß, selbst wenn derselbe
zur Freisprechung führt, ein Übel ist, gewährt man in England einen Schutz gegen willkürliche Eröffnung
des Strafverfahrens dadurch, daß über die Eröffnung des Strafverfahrens die Geschworenen befinden. Der Sheriff wählt zu
diesem Behuf eine aus 13-23 Geschworenen bestehende Anklagejury (grand jury), die in geheimer Verhandlung nach Anhörung des Anklägers
und der Anklagezeugen mit einer Mehrheit von mindestens 12 Stimmen die Anklage entweder mit den Worten
«true bill» zuläßt, oder mit den Worten «no bill» verwirft. Während das Verfahren einerseits der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung
vorgreift, gewährt es andererseits dem Beschuldigten, den es nicht zuzieht, nur ungenügenden Schutz. Die Anklagejury ist
zwar 1791 in Frankreich eingeführt, in die spätern Gesetzgebungen aber nicht übergegangen.
(S. Anklagestand,
Eröffnung des Hauptverfahrens.)
Strafprozeßordnung steht dem Privatbeteiligten
(s. d.) bei auf Antrag verfolgbaren Strafthaten die Prinzipale, bei andern die subsidiäre Privatanklage zu;
die Bestimmungen
für Deutschland s. Nebenklage, Privatklage.
Die Prüfung der Anklage vor Eröffnung des Hauptverfahrens wurde durch die Gesetzgebung der Französischen
Revolution nach engl. Muster (s. Anklagejury) den Geschworenen, durch den Code von 1808 gelehrten Richtern übertragen. Insbesondere
bei Verbrechen (crimes) beschließt die Anklagekammer auf Grund der Voruntersuchung (s. d.) über die Versetzung in den Anklagestand (mise
en accusation) und Verweisung an das Schwurgericht. Dieses Verfahren ist mit verschiedenen Abweichungen in die
Strafprozeßgesetzgebung der deutschen Einzelstaaten übernommen. So war inPreußen
[* 66] nach den Gesetzen von 1849 und 1852 in
Schwurgerichtssachen eine doppelte Vorentscheidung erforderlich: die vorläufige Versetzung in den Anklagestand auf
schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluß der Ratskammer des Kollegialgerichts erster Instanz, die definitive
auf mündlichen Vortrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluß des Anklagesenats des Gerichts zweiter
Instanz. In andern Staaten fand nur eine einmalige Entscheidung teils bei den Gerichten erster, teils bei den Gerichten höherer
Instanz statt.
Wegen des heutigen Zustandes im DeutschenReich s. Eröffnung des Hauptverfahrens. Nach der Österr. Strafprozeßordnung von 1873 wird
die Versetzung in den der in Schwurgerichtssachen und im Verfahren gegen Abwesende eine Voruntersuchung
(s. d.) vorangehen muß (§. 91), durch Einbringung der Anklageschrift seitens
des Anklägers eingeleitet. Diese wird von dem Untersuchungsrichter oder dem Vorsitzenden der Ratskammer dem Beschuldigten
mitgeteilt. Meldet letzterer nicht binnen 8 Tagen - wenn er in Haft ist, binnen 24 Stunden - Einspruch
an, so ordnet der Gerichtshof erster Instanz die Hauptverhandlung an. Ist Einspruch erhoben, so entscheidet der Gerichtshof
zweiter Instanz nach Anhörung des Oberstaatsanwalts, ob derAnklage Folge zu geben ist oder nicht. Gegen diese Entscheidung
steht dem Ankläger und dem Beschuldigten Nichtigkeitsbeschwerde an den obersten Gerichtshof zu, wenn
die Vorschriften in Einbringung und Mitteilung der Anklageschrift nicht beobachtet sind oder der Gerichtshof unzuständig
oder nicht gehörig besetzt war (§§. 207 fg.). In demVerfahren vor dem Bezirksgerichte findet eine Verhandlung über die
Versetzung in den Anklagestand nicht statt (§. 451).
1) Kreis
[* 68] im preuß. Reg.-Bez. Stettin,
[* 69] hat 648,58 qkm und (1890) 30 689 (14 878 männl., 15 811 weibl.)
E., 1 Stadt, 54 Landgemeinden und 61 Gutsbezirke. - 2) Kreisstadt im Kreis Anklam, an der schiffbaren Peene, 81 km von ihrer Mündung,
an der Linie Angermünde-Stralsund der Preuß. Staatsbahnen,
[* 70] ist Sitz des Landratsamtes, eines Amtsgerichts (Landgericht Greifswald),
[* 71] Zoll- und
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