Vergünstigungen beim Friedensschluss. Dies gab dann Ursache zu einem hässlichen Familienstreit und lang andauernder despotischer
Beamtenwillkür. Das Jahr 1797 brachte auch dem Appenzellerland die Revolution unter dem Vorwand einer Gesetzesverbesserung.
Dabei brachen Uneinigkeiten los über Entsendung von Truppen nach der Westschweiz. Aber bald standen französische Truppen
im Land und zwangen es zur Annahme der Konstitution. Mit einem grossen Teil des Kantons St. Gallen
bildete Appenzell
nun den Kanton
Säntis.
Gegen diese Ordnung der Dinge suchte sich das Appenzellervolk zu verschiedenen Malen aufzulehnen, ohne andern Erfolg als
den grosser Exekutionen. Erst die Mediationsakte 1803 brachte wieder Ruhe und Ordnung auf lange Zeit.
Die grosse Hungersnot von 1817 schlug dem Land tiefe Wunden. Eine von der Obrigkeit von Ausserroden vorgenommene Verbesserung
der Gesetze wurde 1821 von der Landsgemeinde stürmisch verworfen. Darauf suchten einsichtige Männer das Schulwesen zu heben,
und zwar mit Erfolg. Es wurden gemeinnützige Anstalten gegründet, durch gute Schriften im Volk der
Sinn für das Schöne und Edle angefacht. So ward der Boden vorbereitet, auf dem 1834 ein neuer zeitgemässer Verfassungsentwurf
angenommen werden konnte.
Im Jahre 1859 nahm das Volk von Appenzell
A. R. auf einer Landsgemeinde zu
Hundwil eine neue Verfassung an. Als aber 1874 die Bundesverfassung
revidiert ward, musste ihr auch die appenzellische Verfassung angepasst werden. Dies war in der Hauptsache
das Werk des spätem Ministers
Arn.
Roth von
Teufen; unter seiner Leitung kam eine neue Verfassung zustande, die am in
einer ausserordentlichen Landsgemeinde angenommen wurde.
Um das Gleichgewicht zwischen unserm ursprünglichen Artikel, worin wir
uns möglichster Kürze befliessen, und der Behandlung später folgender Kantone durch andre Autoren einigermassen herzustellen,
wollen wir noch einiges nachtragen, ohne auch damit auf absolute Vollständigkeit Anspruch zu machen.
1. Grœsse und Grenzen.
Infolge
einer 1903 angestellten Nachrechnung fand das eidg. topographische Bureau, dass es bisher das
Gebiet von
Oberegg Ausserroden zugeschieden hatte. Die bereinigte Rechnung ergibt nun für Appenzell
Innerroden einen Flächeninhalt
von 172,88 km2, so dass auf den km2 78,08 Einwohner kommen. Die Grenze zwischen Innerroden und Ausserroden wurde im
allgemeinen durch den Landteilungsvertrag von 1597 und etwas genauer durch den Konferenzabschied von 1667 festgesetzt,
wobei indessen das Gebiet von
Oberegg gegenüber den anliegenden ausserrodischen Gemeinden (bes. gegenüber
Reute) nie genau
ausgeschieden wurde.
Hier vor allem, aber auch in andern Grenzgebieten galt lange der Grundsatz, dass die Besitztümer von Katholiken zu Innerroden,
diejenigen reformierter Bewohner zu Ausserroden gehören, wie ja der katholische
Appenzeller Bürger selbst
ein Innerroder, der Reformierte ein Ausserroder war. Dadurch entstanden mit den Jahren den ungefähren Grenzlinien entlang
eine ganze Anzahl sogen. exempter
Güter, d. h. von ausserrodischem Gebiet umschlossene Liegenschaften, die zu Innerroden
gehörten, und umgekehrt.
Dies war besonders dem
Rothbach entlang der Fall, was zu vielen Anständen und Verhandlungen führte.
Erst im Jahr 1870 wurden die Grenzen unter Mitwirkung des eidg. Kommissärs, Landammann Aepli von St. Gallen
in gegenseitigem Uebereinkommen
genau festgelegt, wobei die meisten exempten
Güter an Ausserroden fielen und
Oberegg in 2 nirgends zusammenhängende Teile
zerrissen wurde, weil Innerroden in erster Linie die Zugehörigkeit der beiden exempten
KlösterWonnenstein
und
Grimmenstein für sich retten wollte. Die Grenzen sind darum oft selbst da nicht natürliche, wo eine solche in der Nähe
gelegen hätte.
Die W.-Grenze gegen Ausserroden beginnt in der Mitte des Windmesserhäuschens auf der Säntisspitze, steigt hinunter zur
Einsattelung zwischen dem
BlauenSchnee und der Tierwies und hinauf zur
Girenspitze (Vereinbarung von 1896),
von da hinunter zur
Kammhalde (Grenzstein Nr. 1), deren
Grat sie folgt, bis er sich verliert. Dann wendet sie sich gegen
¶
mehr
den Weissbach, dem sie etwa 2,5 km weit folgt, um dann die Lauftegg zu übersteigen, das Thal des Kronbachs zu durchqueren und
im ganzen nord-ostwärts auf die HundwilerHöhe zu steigen. Von da folgt sie dem Grat bis Steigershöhe, dann dem Buchenbach
nach bis zur Sitter und dieser bis zur Mündung des Rotbaches. Dieser bildet dann die N.-Grenze bis unterhalb
Bühler, wo sie in einem ziemlichen Bogen nach S. ausweicht und dann erst 2 km weiter oben den Bach wieder trifft. Bald verlässt
sie diesen wieder, zieht sich durchschnittlich südöstlich gegen den Hohen Hirschberg, an dem sie 500 m nördlich
vorbeistreicht, um in ö. Richtung die Brandegg (Grenzstein Nr. 46) und dann in einem Bogen, nördlich ausweichend, den Hörchelkopf
zu erreichen.
Hier beginnt die O.-Grenze gegen den Kant. St. Gallen.
Diese befindet sich bis über Fähnern hinaus am O.-Abhang der Höhen, geht dann beim
Unterkamor auf die W.-Seite des Berges über, steigt aber bald wieder zur Spitze des Kamors auf und hält
sich nun auf der Wasserscheide über den Hohen Kasten, Furgglenfirst, Roslen, Kraialpfirst (wo sie S.-Grenze wird), Altmann,
Rotstein, bis zum Säntis. (Auf der topographischen Karte ist die Grenze östlich der Fähnern falsch angegeben, indem sie
den Forstsee berühren sollte.)
Von der Landmarch weg, wo noch etwa 200 m der Ruppenstrasse auf innerrodisches Territorium fallen, zieht sich die erst 1875 in
Kraft getretene Grenzlinie des äussern Landesteils bald auf die Wasserscheide zwischen Rheinthal und appenzellischem Hügelland
und behält diese (aber immer nur ungefähr) bis an die Strasse Oberegg-Rehetobel bei, um von da die unregelmässigsten
Kurven gegen Heiden, Reute und Wolfhalden zu beschreiben. Im weitern Verlauf gegen Walzenhausen weicht sie nicht mehr zu sehr
von der Geraden ab, steigt von 760 m auf 935 und sinkt wieder auf 657 m. Die Grenze gegen St. Gallen
bleibt immer am Abhange
des Rheinthales zwischen 600 und 700 m, während der oberste Grat zwischen 800-1100 m schwankt. Sie steigt nur im westlichen
Abschnitt wieder zur Landmarch bis 1023 m auf.
Dass hier das (auch ausserrodische) Appenzeller Gebiet überall den Abhang hinabgreift, rührt ohne Zweifel daher, dass es
von unten her besiedelt wurde und sich erst später politisch vom Unterland losgetrennt hat. Beweis hiefür
ist nicht nur eine bemerkenswerte Uebereinstimmung der Dialekte, sondern auch die frühere Zugehörigkeit dieser Gegenden
zu den Kirchen von Höchst (Vorarlberg) und St. Margrethen. Kleinere Gebiete sind heute noch nach Berneck und Marbach kirchgenössig.
Im
Gegensatz dazu geht im südl. Teil die Grenze ostwärts über die Wasserscheide hinab, weil hier die
Bevölkerung von N. her eindrang und der Bergabhang mit Wald bedeckt blieb, der nach Bedürfnis von oben und unten in Anspruch
und Besitz genommen wurde.
2. Geologie, Mineralogie, Botanik etc.
sind, soweit unser ursprünglicher Artikel nicht genügt, ausführlicher in den Artikeln Sæntis und Sankt Gallen
behandelt, so dass wir auf diese verweisen können. Zur Fauna ist vielleicht nachzutragen, dass die Kreuzotter (Pelias berus)
trotz gegenteiligen Behauptungen mit Sicherheit in unserm Gebiete noch nicht nachgewiesen werden konnte und wahrscheinlich
gar nicht vorkommt, dass aber die Ringelnatter (Colubernatrix) und die österreichische Natter (C. austriacus)
sich finden, ebenso der Fadenmolch (Triton helveticus) und die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans).
An ersten Gipfelbesteigungen sind (nach Lüthi und Egloff) bekannt: 1825 Altmann (Apotheker Fröhlich), 1884 Freiheit (Bodenmann,
Eugster und Dörig), 1890 Türme (Nänny und J. B. Fässler), 1891 Lisengrat (Nänny), 1894 Hängeten (Egloff).
Es ist natürlich trotz diesen Angaben nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere Höhepunkt schon früher von einem
Jäger oder Hirten bezwungen worden ist.
Die erste Unterkunftshütte auf dem Säntis wurde 1845 von Jakob Dörig, genannt Schribers Jock, errichtet, der dann gleichfalls 1850 die
erste Hütte zur Aufnahme von Touristen auf dem Hohen Kasten erbaute.
wird seit 1905 die Kraft bezogen (etwa 300 PS.) für das «Elektrizitätswerk Appenzell",
,
das vom und für das Dorf Appenzell
erstellt wurde, aber auch an die zwischenliegenden Gegenden Licht und Kraft abgibt, so wie für
den Betrieb der kommenden Säntisbahn in Aussicht genommen ist. Die Sitter mit ihren Nebenadern treibt
in Innerroden 8 Sägemühlen und 1 Mühle, der Auer- und der Kronbach je eine Sägemühle, der Fallbach mit Nebenbächen 4 Sägen
und 1 Mühle.
4. Die Viehzählungen
ergaben folgende Resultate:
1866
1896
1906
Rindvieh
6748
8998
10257
Pferde
262
118
170
Maultiere
-
-
4
Schweine
2446
9572
9323
Schafe
919
327
265
Ziegen
4825
4850
3813
Wie aus diesen Angaben ersichtlich, nimmt die Zahl
¶
mehr
der Pferde, die infolge der Eisenbahnen zurückgegangen war, allmählich wieder zu. Die Rindviehzucht zeigt eine fortwährende
Progression, die vermutlich ihren Höhepunkt erreicht haben wird, da jetzt schon bedeutende Futtermittel eingeführt werden
müssen, um die vorhandenen Tiere zu ernähren. Die Schweine sind an Zahl, wohl nur vorübergehend, etwas zurückgegangen;
immerhin hat Appenzell
I. R. mit 676 Stück auf 1000 Ew. noch verhältnismässig den grössten Bestand an diesen
Borstentieren, nicht nur von allen Kantonen, sondern sogar von allen Zählbezirken. Die Schafe nehmen, wie fast in der ganzen
Schweiz und aus den selben Ursachen, konstant ab. Die Ziegen haben ihren Tiefstand überschritten (1901:
3282), was mit rationellerer Züchtung und daher rührendem besserm Absatz zusammenhängt. Besonders nach N.-Deutschland
findet ein fast regelmässiger Export unserer Ziegen statt.
Wie aus dieser Zusammenstellung leicht ersichtlich, geht die Bevölkerungszunahme nur langsam vor sich.
Es ist dies keineswegs eine Folge geringer Fruchtbarkeit oder starker Sterblichkeit, da im Gegenteil Jahr für Jahr ein Ueberschuss
der Geburten über die Sterbefälle von durchschnittlich mehr als einem Prozent (1896 bis 1906 = 1544 Personen) konstatiert
werden kann. In der Tat hat Appenzell
I. R. durch die inländische Wanderung prozentual (ausser Schaffhausen)
am meisten von
seiner Wohnbevölkerung verloren, nämlich 12,1% der im Lande Geborenen, wozu noch die ins Ausland Wandernden zu rechnen
wären, die eine verhältnismässig nicht geringe Zahl ausmachen. Dass diese Abwanderung nicht von heute ist
und auch nicht im letzten Jahrzehnt eingesetzt hat, können wir leicht daraus schliessen, dass die Anzahl der überhaupt
in andern Kantonen lebenden Bürger
(also inklusive die auswärts Gebornen) 32,5%, also beinahe einen Drittel der Bürgerschaft
ausmacht, in welcher Beziehung wir nur von Thurgau
und Schaffhausen
übertroffen werden. Die im Ausland Lebenden würden ohne
Zweifel den Drittel überschreiten lassen. Die Gesamtzahl der in der Schweiz wohnenden Bürger Innerrodens (also samt den
zu Hause gebliebenen) beträgt 17458, demnach 3959 mehr als die Totalbevölkerung des Kantons.
Der Abgang wird bei weitem nicht durch Zuwanderung gedeckt, indem Ausländer und Schweizerbürger andrer Kantone zusammen
nur 12,7% der Bevölkerung ausmachen. Schweizerbürger anderer Kantone sind zwar bei uns prozentual nicht
am wenigsten zahlreich, indem wir erst die 5. Stelle einnehmen, wohl aber ist die absolute Zahl die kleinste, und in Bezug
auf Ausländer haben wir in beider Hinsicht die geringste Zahl. Das nämliche Bild zeigt sich beim Sprachenverhältnis,
wo Innerroden sowohl absolut als relativ am wenigsten Leute mit andrer als deutscher Sprache aufweist. Allerdings mag die
nächste Volkszählung vielleicht ein andres Resultat zu Tage fördern; italienisch Sprechende kommen immer mehr nicht bloss
als vorübergehend Arbeit suchende Maurer, Erdarbeiter etc. hieher, sondern sie lassen sich mehr und mehr
mit ihren Familien als Handwerker, Wirte oder Krämer nieder.
Bekanntlich gehörte unser Gebiet ursprünglich zu Rätien und kam dann unter die Herrschaft der Alemannen. Die beiden Typen
scheinen jetzt noch unterscheidbar zu sein, wenn auch wohl keiner mehr in voller Reinheit vorhanden ist. Ziemlich deutlich
heben sich Brachy- und Dolichozephalen voneinander ab, dagegen verteilen sich neben der braunen Haarfarbe,
die hellblonde und schwarze, nebst entsprechender Iris, keineswegs sichtlich auf die eine oder andre Kopfform. Leider lässt
uns die Statistik hierüber, wie noch über manchen andern Punkt, im Stiche. Doch überwiegen jedenfalls die Brachyzephalen,
die zugleich einen kurzen, gedrungenen Wuchs haben, so dass der Appenzeller zu den kleinern Leuten der
Schweiz und die Appenzellerin zu den zierlichem Gestalten gerechnet werden kann.
Die Dolichozephalen mit hohem, schlankem Wuchs sind nicht so zahlreich, um den allgemeinen Eindruck zu ändern, obwohl selbstverständlich
auch Uebergangsformen aller Art Vorkommen. Man darf ferner sagen, dass der Appenzeller wenig zur Fettleibigkeit
neigt, wie auch die Breitschultrigkeit (des Berners z. B.) ganz selten gefunden wird.
Der Appenzell-Innerroder zeichnet sich durchwegs weniger durch Freude an intensiver Arbeit, als durch Sparsamkeit und natürliche
Anlagen für den kleinen Handel aus; er ist witzig, schmiegsam und ohne grosse Bedürfnisse. Seine engere
Heimat liebt und schätzt er über alles; was ausser ihren Marken liegt, heisst «fremd», und «frönt»,
wie er sagt, hat immer einen Beigeschmack von Verachtung. In gleicher Weise ist er der Kirche zugetan, wie die zahlreiche
Teilnahme an Gottesdienst, Andachten, Prozessionen, Wallfahrten und Missionen zeigt.
Dass gleichwohl die gemischten Ehen zunehmen (von 1870 bis 1900 von 1 auf 4%) erklärt sich hinreichend
aus der an protestantische Gebiete anstossenden Lage und aus der (wenn auch langsam) wachsenden Verschiebung der Bevölkerung.
Der Innerroder ist sonst für Neuerungen nicht sehr eingenommen. «Nüz Nüs»
d. h. «Nichts Neues» hat schon öfter an Landsgemeinden
und eidg. Abstimmungen eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Trotzdem verschwinden manche alte Bräuche im Strom der Zeit.
¶
mehr
So beschränkte sich früher die Hochzeitsreise auf einen Tag, wenn im Lande selbst die Kopulation stattfand; wurde sie nach
Einsiedeln oder Rorschach verlegt, so begnügte man sich mit der Reise dahin. Dafür hatte man am Abend der Heimkehr in einem
Gasthof ein Nachtessen, zu dem Freunde und Verwandte geladen wurden und das ein «sitzendes»
oder «tanzendes» sein konnte, d. h. bei welchem man sich nur am Tische unterhielt oder wo der Tanz das Hauptvergnügen bildete.
Während des Essens hielt Einer, der hiefür eigens bestellt und frei gehalten war, eine rührende Hochzeitsrede.
Zum Schlusse ging die Wirtin herum und veranstaltete eine Sammlung für die Neuvermählten, die dadurch
über die Kosten des Essens hinaus noch einen Beitrag an ihre ersten Anschaffungen erhielten. Der Wirt wurde erst am Sonntag
darauf, dem «Eierischmalz», bezahlt, an dem ihn die Neuverheirateten wieder
in vollem Staate besuchten. Er musste diesen nun gratis ein Nachtessen offerieren, das wohl ursprünglich
aus in Butter (Schmalz) gekochten Eiern bestand. Bei einem «tanzenden»
Mahl begleitete am Schlusse die ganze Gesellschaft samt der aus Geigen und Hackbrett bestehenden Musik das Hochzeitspaar bis
zum Haus oder vors Dorf, wo es im Freien die 3 letzten Tänze aufführte. Heute kommt dieser Brauch nur selten vor.
Bei Todesfällen wird fortwährend bei der Leiche gebetet. Verwandte und Befreundete stellen sich regelmässig
ein, und für die Nacht wird ein besonderer «Vorbeter» angestellt, der
auch bei der Beerdigung und den Gedächtnisfeiern den Teilnehmenden am Grabe zu danken hat. Früher wurde der Leichnam auf
einem Brette aufgebahrt, das dann schwarz bemalt, mit dem Namen oder den Initalien des Verstorbenen versehen,
als Rêbrett aussen am Hause befestigt wurde. Jetzt sind bald die letzten dieser Bretter verschwunden. Dagegen wird die Sitte,
dass alle Männer, die das letzte Geleite geben, einen langen, schwarzen Mantel tragen, sich wohl noch eine Zeit lang erhalten.
Dieser Mantel ist indes nicht nur Trauer-, sondern auch Festkleidung. An der Landsgemeinde z. B. erscheinen
Standeskommission und Kantonsgericht damit, ebenso an Prozessionen (z. B. Fronleichnamsfest) der Kirchenrat, an der Prozession
nach dem Stoss die Vertreter der Behörden u. s. w. Bei Taufen, zu denen der Mantel auch getragen wird, ist es üblich, dass
nach vollendeten Zeremonien die Paten mit Kind und Pflegerin in ein Wirtshaus gehen, um «das
Kind zu vertrinken».
Für die Kosten hat der Pate aufzukommen. Zum Teil unserm Kanton eigentümlich sind die «Stubeten,
Leiten und Spinnen». Der Innerroder (die Innerroderin nicht weniger) ist nämlich ein grosser Freund des Tanzes. Auf
jeder grossem Alpe ist deshalb jeden Sommer eine Stubete, zu der Verwandte und Bekannte der Sennen vom
Thale aufsteigen, um ein Tanzfestchen zu feiern. Früher wurde sie immer an einem Sonntag abgehalten; seit aber das Tanzen
für Einheimische und Fremde an allen Sonntagen verboten ist, wird am Montag getanzt.
Auch bei «Leiten und Spinnen» ist der Tanz die Hauptsache.
Als «Leite» bezeichnet man die Herschaffung eines Quantums Holz, zu der sich im Winter eine Anzahl junger Burschen mit ihren
Handschlitten, selten mit Pferden, dem Besitzer an einem Tage zur Verfügung stellen. Zur «Spinne»
werden die an der Aufrichtung einer Baute Beschäftigten eingeladen. Dem allgemeinen Tanz gewidmet sind
dann noch die «Kilbi» (Kirchweih),
an den grössern Orten mit Markt verbunden, und die sog. «Reestage»,
nämlich Fastnachtdienstag,
Landsgemeindemontag und Gesellenschiessen (in der Regel am ersten Mittwoch im Oktober). Der Landsgemeindemontag führt noch
den Namen Narrengemeinde, weil ehemals an diesem Tag die Landsgemeindeverhandlungen in fröhlichem oder
auch bitterm Spott nachgeahmt wurden. Es scheint, dass die letzte derartige Veranstaltung 1872 in Oberegg stattfand.
7. Beschæftigung.
Nach der Betriebszählung von 1905 beschäftigen sich in Appenzell
I. R.:
mit
Betriebe
Personen männlich
weiblich
Total
a) Gewinnung der Naturerzeugnisse
1501
2439
279
2718
b) Veredlung der Natur- und der Arbeitserzeugnisse
f) Persönliche Dienste und nicht bestimmbarer Beruf
31
1
32
50
0.4
Total
4204
2559
6763
13095
97.0
g) Ohne Verhältnis zu einem Beruf
193
211
404
404
3.0
Total
4397
2770
7167
13499
100%
Abgesehen von den Veränderungen, die in den 5 Jahren eingetreten sind, stimmen die beiden Aufnahmen
auch deshalb nicht, weil bei der Betriebszählung solche, die in 2 Betrieben tätig sind, auch doppelt gerechnet, dagegen
Geistliche, Lehrer etc., weil nicht in einem «Betriebe» stehend, weggelassen
wurden, während die Volkszählung jeden unter seine Hauptbeschäftigung rubrizierte. Doch geht aus beiden Statistiken hervor,
dass die Grosszahl der männlichen Bevölkerung sich mit Gewinnung der Naturerzeugnisse, d. h. vorzugsweise
mit Landwirtschaft und Viehzucht beschäftigt, das weibliche Geschlecht hingegen mit Veredlung der Natur- und Arbeitserzeugnisse,
d. h. mit Handstickerei, Ausschneiden, Seidenweberei und ähnlichen Arbeiten.
8. Soziales.
An der Spitze der mit der Sorge für das Gesundheitswesen tätigen Körperschaften steht der Sanitätsrat,
dessen Präsidium jeweilen einem Mitglied der Standeskommission zugeteilt wird. In jedem Bezirk besteht eine Ortsgesundheitskommission.
Als private Vereinigungen sind zu nennen: ein Samariterverein, je eine Abstinentenliga für Erwachsene und Kinder, der Mütterverein,
der sich unter anderm die Unterstützung armer
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mehr
Wöchnerinnen zum Zweck gesetzt hat, und verschiedene Krankenvereine. Institute für Kranke sind das durch private Initiative
gegründete, 1878 eröffnete, 1897 an den Staat übergegangene Krankenhaus in Appenzell
mit Freibettenfonds und das dabei stehende,
neu erbaute Absonderungshaus, Oberegg gehört zum Rayon des Krankenhauses Heiden (Ausserroden), an das es seine jährlichen
Beiträge leistet. Für Augenkranke wurden von Wohltäterinnen zwei besondere Fonds gestiftet.
Die staatliche Fürsorge für die Armen und Waisen wird für den innern Landesteil vom Armleutsäckelmeisteramt dirigiert,
durch dessen Hand das meiste Geld für diesen Zweck fliesst, in Oberegg durch die Bezirksarmenkasse. An Anstalten sind vorhanden:
das 1903 eröffnete neue Armenhaus in Appenzell,
das samt Inventar auf nahezu 250000 Fr. zu stehen kam, die 1853 gegründete,
nun kaum noch genügende Waisenanstalt auf der Steig bei Appenzell
und die beiden Oberegger Anstalten: Gonzern (für Arme) und Dorfnest
(für Waisen und im Notfall ebenfalls für Arme).
Daneben bestehen mehrere freiwillige Frauen- und Armenvereine zur Unterstützung Notleidender. Für durchreisende
Arbeitsuchende wurde eine kantonale Naturalverpflegung ins Leben gerufen. Für Ausbildung junger Leute besteht unter Aufsicht
des Handwerker- und Gewerbevereins eine gewerbliche, daneben in jedem Schulkreise eine obligatorische Fortbildungsschule
(fürs 16.-19. Altersjahr). Jährlich werden unter Aufsicht der Industriekommission Fachkurse für Handstickerinnen veranstaltet.
Das Kapuzinerkloster errichtete 1908 ein Kollegium (Progymnasium und Realabteilung), wogegen die staatliche
Real- (Sekundar)schule, die 1872 von Privaten gegründet, 1887 vom Staat übernommen worden war, aufgehoben wurde, sodass
die 1902 in Oberegg entstandene Sekundarschule die einzige derartige bürgerliche Anstalt des Kantons ist.
Den Fortschritt in der Landwirtschaft sucht der kantonale landwirtschaftliche Verein durch Belehrung,
gemeinsamen Bezug von Dünger- und Futtermitteln, Austeilung von Obstbäumen etc. zu fördern; daneben bestehen einige Genossenschaft
für Rindviehzucht und eine für Ziegenzucht. Eine Vereinigung zur Hebung der Schweinezucht ist im Entstehen begriffen; ein
Fischereiverein hat sich 1909 gebildet. Dagegen ist ein Bienenzuchtverein, der sich der landw. Gesellschaft angeschlossen
hat, eingegangen.
Dem Nutzen des Landes will auch der Verkehrsverein dienen, dem geistigen Leben der historisch-antiquarische Verein und einige
Lesegesellschaften.
Die Schützenvereine haben wir schon erwähnt. Es existieren auch ein Unteroffiziers-, ferner je ein Schwing- und ein Turnverein,
dann Gesang- und Musikgesellschaften, unter den erstem mehrere Zäzilienvereine.
9. Verkehrswege.
Seit
der Niederschrift unseres ersten Artikels wurde die Appenzeller Strassenbahn St. Gallen-Gais bis Appenzell
ausgebaut, sodass nun
zwei Linien in den Kanton führen. Nächstens wird Appenzell
mit Oberriet durch eine Strasse verbunden, die eine Parallelstrasse zur
Ruppen- und Stossstrasse sein wird. Eine direkte Verbindung von Appenzell
mit der Stadt St. Gallen liegt zwar im
Plan vor, allein die Kosten werden das Werk noch nicht sogleich entstehen lassen.
Wir können schliesslich noch einige Passübergänge nachtragen, die im ersten Artikel nicht erwähnt wurden. Solche sind:
Rotsteinpass (2124 m) zwischen Säntis und Altmann (Appenzell-Alt St. Johann oder Wildhaus 7-8 Stunden);
Risspass (1287 m) an der Berührungslinie
von Kreide und Eozän, zwischen Kamor und Fähnern (Appenzell-Rüti 4 Stunden).
10. Von hervorragenden Mænnern
sind zu nennen: Landschreiber und späterer Landammann Joach. Meggeli, der neben Landammann Aebli an der Vermittlung bei
Kappel mitwirkte; Dr. Paulus Ulmann (1613-1680), Stifter des Wildkirchleins; Ulr. Sutter (1638-1708) und dessen Sohn,
Statthalter Joh. Bapt. Sutter (1664-1728), Verfasser und Fortsetzer einer schon oft benutzten, aber leider noch nicht
gedruckten Chronik; Hans Conrad Geiger (1632-1707), Hauptmann der kön. Leibgarde in Paris und 1689 Befehlshaber des eidg.
Beobachtungskorps bei Basel;
P. Clemens Geiger (1668 bis 1726), Verfasser einer Beschreibung der Appenzeller Gebirge, welche J. J.
Scheuchzer seiner Oreographia einverleibte; Ant. Jos. Sutter und Joh. Jakob Geiger, die beiden bekannten feindlichen
Landammänner, deren Gegnerschaft mit der Hinrichtung des erstern (1784) endete, das Land aber noch fast 50 Jahre in zwei
Lager spaltete;
J. A. Sutter, Dr. theol. et jur. utr. († 1803), der eine Unpartheiische Geschichte der bekannten Suter’schenStreitsache herausgab, wofür er von der herrschenden Partei verfolgt wurde, bei der er sich wohl auch
durch seinen Best gemeinten Unterricht an alle Demokraten nicht beliebt machte;
Pfarrer Manser, der sich im Anfang des 19. Jahrh.
um die Hebung unseres Schulwesens Verdienste erwarb;
Dr. med. Nepomuk Hautli, der sich den Titel «Freund der Armen» erwarb,
auch als Dichter bekannt;
Ständerat Rusch, Verfasser mehrerer Schriften, worin er Natur- und historische
Betrachtungen verknüpft;
Nationalrat Sonderegger, dem der Kanton vor allem die Anpassung seiner Verfassung an die des Bundes
verdankt und
¶
mehr
der an der Spitze aller neuzeitlichen Schöpfungen in Schul-, Kranken- und Verkehrswesen stand.
Bezirk des Kantons Appenzell
I. R., aus dem Hauptorte Appenzell,
Ried, Kau, Unterrain, Rütirain, Rinkenbach, Lank, Steig, Mettlen, Lehn und
Meistersrüte bestehend, von denen indes Kau, Unterrain und Lank in die benachbarten Bezirke übergreifen.
Das Dorf liegt in einem weiten Thal, das in der Eiszeit von Gletscherschutt überführt wurde, unter dem einige von den benachbarten
miozänen Hügeln ausgehende Klippen bis nahe an die Oberfläche reichen.
Die Sitter bahnte sich durch diesen Schutt, während der Gletscher abschmolz und die Wassermenge infolgedessen bedeutend war,
ein breites Bett, dessen Ränder noch als kurze steile Halden vorhanden sind, zog sich jedoch mit abnehmendem Wasserreichtum
in ein schmaleres, aber mannigfach gewundenes Bett zurück. Das Thal der Sitter und die Hochthäler von Gonten, Eggerstanden
und Meistersrüti, die sich gegen Appenzell
öffnen, bestimmten den Ort zum Zentrum des nähern Gebietes. Die sonnig
gelegenen, nach N. ansteigenden Hügel sind von zerstreuten Häusern und Scheunen übersät, was der Gegend ein sehr freundliches
Aussehen verleiht; die Abhänge im S., die mehr im Schatten liegen, sind zumeist von Waldung bedeckt.
Das Dorf zerfällt in das eigentliche alte Dorf mit städtisch geschlossener Bauart, in das ursprünglich
und zum Teil jetzt noch als Armenquartier geltende Ried, in die langgestreckten Quartiere der Gontener- und Weissbadstrasse,
in das Villenquartier Blumenrain und in die Gaiserstrasse, ebenfalls mit einigen Villen. Das Ziel, mit grosser Stickerei und
der neuen protestantischen Kirche, ist zum grossem Teil auch dem Dorfe angegliedert worden.
Zu den früher genannten bemerkenswerten Gebäuden kamen seither hinzu: ein neues Schlachthaus (im Gebiet der Gemeinde Schwende),
das Kollegium beim Kapuzinerkloster, mit Progymnasium, die schon angeführte protestantische Kirche, ein vom Bund erstelltes,
neues Postgebäude, in das auch die Kantonalbank übersiedelte, ein mit Dampf betriebenes Sägewerk und auf einer aussichtsreichen
Terrasse ausserhalb des Dorfes das neue Armenhaus, das von Fremden in der Regel für ein Hotel angesehen wird. Am Rathaus
wurde 1903 ein Bronzerelief zum Andenken an den 500 Jahre früher erfolgten Heldentod Uli Rottachs angebracht.
Die Gesamtzahl der Häuser des Bezirks beträgt nach der Zählung von 1900: 608, die der Haushaltungen
990, die Einwohnerzahl 4485. Von den in den statistischen Berichten angegebenen Zahlen sind diejenigen für die beiden KlösterWonnenstein und Grimmenstein zu subtrahieren, da diese in willkürlicher Weise dem Bezirk Appenzell zugerechnet wurden, obgleich
sie eine staatsrechtlich ganz aussergewöhnliche Stellung einnehmen. Sie sind nämlich gar keinem Bezirk zugeteilt
und dadurch von Bezirks-, Schul- und ähnlichen Steuern befreit. Das Dorf im engem Sinn zählt heute 404 Häuser, (also 48 mehr
als 1900), das ganze Dorf 3184 Ew. (1900). Jetzt ist diese Zahl bedeutend höher anzunehmen.
Von den Bewohnern des Bezirks sind 3794 Bürger, 45 Bürger von Oberegg, 492 Bürger anderer Kantone und 154 Ausländer, 2085 männlich, 2400 weiblich, 4227 katholisch, 257 reformiert; 4453 deutsch, 6 französisch, 19 italienisch
und 6 romanisch sprechend.
Das Dorf besitzt seit 1886 eine Hydranten- und Hauswasserleitung, die jetzt bis 500 Minutenliter liefern kann; es werden
aber gewöhnlich nur 200 Liter gebraucht. Ebenso hat es seit 1905 ein Elektrizitätswerk, dessen Maschinen,
vom Wasser des Seealpsees und Dieselmotoren
getrieben, in den Auen (l½ St. vom Dorf) stationniert sind. Es gibt auch an die
dazwischen liegende Gegend Licht und Kraft ab.
Das Klima zeigte sich seit 1900 etwas besser, indem der durchschnittliche jährliche Niederschlag auf
1380, somit um gut 100 mm hinabging. Die gesamte Menge des Neuschnees schwankte sehr, nämlich zwischen 115 cm (1900-01)
und 406 cm (1906-7); im Durchschnitt betrug sie 237 cm. Gemeiniglich bringt der Februar am meisten Schnee; doch weist in dieser
Periode der Dezember 1906 mit 140 cm die höchste Summe auf.
(Kt. Wallis,
Bez. Conthey und Sitten, Gem. Nendaz und Sitten).
490 m. Dorf auf dem Alluvialboden der Prinze; 1 km w. von der Mündung
dieses Flüsschens und 4 km von Ardon. Postwagen Sitten-Aproz. 16 Häuser, 149 kathol. Ew. Kirchgemeinden
Nendaz und Sitten. Infolge der Ueberschwemmungen von 1902 hat ein Teil der Bevölkerung die Wohnungen verlassen.
Dieser Teil, mit Meiersboden, das im Thalgrund der Plessur liegt, hat für sich allein 36 Häuser, 222 Ew.
Araschga gehört auch zu verschiedenen Kirchgemeinden;
die Bewohner sind reformiert und deutscher Sprache;
ihre Beschäftigung ist Wiesenbau, Alpwirtschaft und Viehzucht.
Die nächste Eisenbahnstation, in 3,5 km, ist Chur.
Das Post-
und Telegraphenbureau ist im Kurhaus Passugg.