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Strafanstatt, den Schützenstand, die Gasfabrik und das Absonderungshaus errichtete.
Strafanstatt, den Schützenstand, die Gasfabrik und das Absonderungshaus errichtete.
(Kt. Aargau). 386 m. Hauptort des Kantons Aargau und des Bezirks Aarau. 47° 23' 31" nördl. Br.; 50° 42' 45" OL. von Paris. Auf einem nordöstl. gegen die Aare abfallenden Felskopfe eines südl. Ausläufers des Jura gelegen. Aarau zählte 1908 rund 8500 Ew. Ausserdem arbeiten in den Aarauer Industrien 2500 Arbeiter, die in den benachbarten Dörfern wohnen. 1798: 2271;
1836: 4057;
1856: 4657;
1870: 5449;
1880: 5944;
1888: 6699;
1900: 7995, wovon 6012 Protestanten, 1776 Katholiken, 17 Juden, 26 Andere.
Die Stadt besass bis in den Anfang des 19. Jahrh. hinein ihr völlig mittelalterliches Gepräge mit Turm und Tor, Mauer und Graben. 1812 fielen Laurenzenturm und -tor, um die selbe Zeit das Aaretor, 1820 wurde der Hirschengraben eingedeckt, man baute Häuser an die Grabenmauer, und wo der kleine Rundturm stand, wurde ein Eingang in die Stadt gebrochen. Um 1870 wurde auch der Pulverturm zum grossen Teil abgetragen. Allein es blieben noch Stücke der Ringmauer an andern Stellen. Es blieb das Schlössli, der obere Turm, der Turm Rore, um den das städtische Rathaus herum gebaut worden ist, das Obere und das Haldentor.
Auch dem Innern der Stadt blieb das altertümliche Bild: Die vorragenden bemalten Walmdächer, der durch die Hauptgassen fliessende offene Stadtbach, einige wenige grosse Brunnen, besonders der Gerechtigkeitsbrunnen. Von dem allem hat manches den Forderungen des modernen Verkehrs weichen müssen (Umbau der Rathausgasse 1905), und mancher alte Giebel ist vom Feuer zerstört worden. Ueberall sind moderne Fassaden entstanden. Indem sich so das neue zwischen das alte drängte, hat das einheitliche Bild etwas gelitten. Immer aber ist Aarau als ein sauberes Städtchen gerühmt worden, und auf diesen Ruhm darf es auch heute noch stolz sein. Jetzt erheben sich als zeitgemässer Schmuck Denkmäler auf öffentlichen Plätzen: Heinrich Zschokke, Augustin Keller, Emil Welti. Andern Männern sind an passenden Stellen ausserhalb der Stadt Denktafeln errichtet worden: Joh. Rud. Meyer, Franz Xaver Bronner, Karl Feer-Herzog.
Aaraus Bedeutung liegt in erster Linie darin, dass es Kantons- und Bezirkshauptort ist und die entsprechenden Institutionen mit den nötigen Gebäuden in seinen Mauern birgt. Da ist das Regierungsgebäude (aus dem ehemaligen Gasthof zum Löwen erweitert), dahinter das Grossratsgebäude mit der Kantonsbibliothek, welche gegen 100000 Bände (darunter eine grosse Anzahl Wiegendrucke, viele wertvolle Manuskripte, Karten, Bilder) umfasst; das neue Kantonsschulgebäude (1894-96 errichtet) und daneben das kant. Gewerbemuseum, welches eine Handwerkerschule und die ihr dienenden Sammlungen, ferner die kantonale antiquarische Sammlung mit den herrlichen Glasgemälden aus dem Kloster Muri, einem Mosaikboden aus Lunkhofen, der Gemäldeausstellung (Böcklin, Stäbli, Fröhlicher etc.) und der Münzsammlung (etwa 6000 römische Münzen, meist aus Vindonissa) enthält.
An Schulhäusern zählt Aarau: das 1896 eröffnete neue Kantonsschulgebäude in einem prächtigen Parke;
das alte Kantonsschulhaus, das jetzt dem Lehrerinnenseminar und Töchterinstitut dient;
das neue Bezirksschulgebäude, gegenwärtig (1910) im Bau, das grosse städtische Schulhaus.
Den Unterrichtszwecken dient auch das sehr ansehnliche naturhistorische Museum im ehemaligen Kasino, namentlich ausgezeichnet durch die geologische und die ornithologische Sammlung.
Da Aarau auch eidg. Waffenplatz ist, finden wir hier zwei Kasernen, für Infanterie und Kavallerie, diese mit den nötigen Stallungen und zwei grossen Reitbahnen; ferner das grosse eidg. und das kant. Zeughaus mit reichhaltiger Waffensammlung. Als Exerzierplatz dient der unmittelbar an die Stadt stossende Schachen, der, einst sogar Artillerieschiessplatz, nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt auch nicht mehr von der Infanterie zum Schiessen benutzt werden kann. Ausserhalb der Stadt steht der grosse Kantonsspital (nach Pavillonsystem eingerichtet.) Projektiert sind ein neues eidg. Postgebäude, Erweiterung der militärischen Anstalten, ein kant. Chemiegebäude.
Die Bezirksbehörden haben ihren Sitz im Amtshaus und im städtischen Rathaus. Dieses dient vorab der ¶
städtischen Verwaltung. Aarau hat zwei Kirchen:
1) die protestantische (auch den Christkatholiken eingeräumt) in einfachen Formen nach dem gotischen Stil, dreischiffig ohne Querschilf, mit Lettner; der Turmaufsatz ist barock. Der vorzüglichen Akustik der Kirche entspricht eine bemerkenswert schöne Orgel, deren Rokokoverkleidung aus der Mitte des 18. Jahrh. stammt.
2) die römisch-katholische Kirche ist ein einfacher, einschiffiger, gefälliger moderner Bau (ca. 1880), der sich in seinen Formen an den romanischen Stil anlehnt.
Bedeutung hat Aarau ferner durch seine Lage an der Aare, wo von N. her mehrere Jurapässe Zusammenkommen und von S. einige Nebenthäler einmünden. Für die Stadt ist daher von besonderer Wichtigkeit die Aarebrücke, deren Existenz im 14. Jahrhundert erwiesen ist. Doch brachte sie den Aarauern schwere Sorgen, da der Strom sie unzählige Male teilweise oder ganz wegriss, zum letzten mal 1843. Seit 1850 ist die Brücke, den Fluten unerreichbar, an Ketten aufgehängt, der Fluss hat seine unabänderliche Bahn zwischen den massiven steinernen Widerlagern. War also Aarau wichtiger Strassenknotenpunkt, so gilt jetzt das selbe hinsichtlich der Eisenbahnen. Die Stadt liegt an der Hauptlinie Genf-Bern-Neuenburg-Zürich-Bodensee der Bundesbahnen; hier münden die Bahnen Arth-Goldau-Aarau, Wettingen-Aarau, Zofingen-Aarau, die elektrischen Bahnen aus dem Suhren- und aus dem Winenthal; projektiert ist eine Bahn Frick-Aarau über die Staffelegg.
Und endlich hat sich Aarau durch den Gewerbsfleiss, die Handelstätigkeit und den Kunstsinn der Bewohner eine Bedeutung verschafft, die weit über das, was die Einwohnerzahl erwarten liesse, hinausgeht. Drei Industriekanäle an der Aare mit dem an einem davon gelegenen grossen, städtischen Elektrizitätswerk und der Stadtbach, der die Mühlen und eine Anzahl Motoren treibt, liefern die Triebkraft für die Industrie. Seit 1600 hatte Aarau eine Färberei und Bleiche, etwa 1680 brachten die Hugenotten Seidenzucht und Seidenindustrie;
1703 wurde eine Wolltuchfabrik errichtet;
1722 begann man das Bohnerz des Hungerberges auszubeuten, was aber nicht mehr Gewinn abwarf als das Goldwaschen in der Aare;
gegen Ende des 18. Jahrh. führte der Wohlthäter der Stadt, Joh. Rud. Meyer, die Seidenbandfabrikation ein;
1810 errichtete Joh. Herzog, der nachmalige Bürgermeister des Kantons Aargau, eine mechanische Baumwollspinnerei.
Rühmlichst bekannt sind die Aarauer Messerschmiede aus dem 18. und 19. Jahrh., deren Ansehen heute noch eine einzige Firma aufrecht erhält. Alt ist auch das Hafner- und Töpfergewerbe; ebenso die Glocken- und Kanonengiesserei, die Büchsenmacherei. Aus dem Anfang des 19. Jahrh. datiert die Begründung der Reisszeugfabriken, die sich einen Weltruf erobert haben. Eine Druckerei besass Aarau seit etwa 1750; 1802 etablierte sich J. J. Christen und 1804 H. R. Sauerländer in Aarau, der seine Offizin alsbald durch H. Zschokkes Schweizerboten, dann durch die Stunden der Andacht bekannt machte. An der Aare war ein wichtiger Flösserstapelplatz.
Das 19. Jahrh. hat diesen alten Industrien noch zahlreiche neue hinzugefügt; es seien erwähnt: Zementfabrikation, Ziegelfabrikation, mechanische Strohflechterei, Seidenweberei, Tuch- und Baumwollfabrikation, Färbereien für Seide, Stroh, Wolle;
Maschinenwerkstätten, Eisen- und Stahlgiesserei, Bau- und Möbelindustrie, Kunstschlosserei, Fabrikation chemischer Produkte, von Firnissen, Siegellack und Tinte, lithographische Kunstanstalten, Buchbindereien, elektrische Installationsgeschäfte, Fabrikation elektrischer Apparate und Glühlampen, Schokoladefabrikation, Zuckerwarenindustrie, Brauerei, Mühlenbau, Schuhfabrikation, Handels- und Kunstgärtnerei.
Aarau hat an Geldinstituten: die aargauische Bank, die aarg. Kreditanstalt und drei Ersparniskassen.
Der Kunstsinn der Bevölkerung von Aarau hat sich besonders auf dem Gebiete der Musik betätigt. Schon 1704 wurde hier ein Kollegium Musicum begründet, und, nach dem es nach etwa 40jährigem Bestande eingegangen war, 1768 wieder aufgefrischt. Später, im 19. Jahrh., gab es einen Instrumentalverein, der 1850 den Anstoss zur Gründung des Zäzilienvereins gab. Seit 1853 besteht eine Stadtmusik; bald reihten sich andere musikalische Vereinigungen an, eine Anzahl Gesangvereine, eine zweite Stadtmusik, ein Orchesterverein und a. m. Die Konzerte fanden meist in einem Saale des städtischen Rathauses statt, im Kasino oder in der Kirche. Die Lage Aaraus zwischen Bern, Basel, Zürich und Luzern ermöglichte es, die in diesen Städten auftretenden Musikkoryphäen auch für unsere Stadt zu gewinnen, was ihrem musikalischen Leben stets neuen Impuls gab.
Ein ständiges Theater hatte Aarau nie, seit mehr als einem Jahrhundert aber fanden sich Wandertruppen mit ihren dramatischen Darbietungen ein. Theaterlokal war ¶
die sog. Tuchlaube über der städtischen Metzg (noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh.) oder der Saal eines Wirtshauses. Gegenwärtig dient für Konzerte und Theater, wie für gesellige Zwecke überhaupt der 1882 erbaute Saalbau, der aber jetzt schon den Anforderungen nicht mehr genügt. Der gesellige Trieb der Aarauer äussert sich in einem regen Vereinsleben. Es bestehen gegen 100 Vereine und Gesellschaften, welche die allgemeine oder die fachliche und berufliche Ausbildung der Mitglieder bezwecken, der Gemeinnützigkeit dienen oder der Kunst und dem Sport huldigen.
Die städtische Organisation beruht auf dem kantonalen Gemeindeorganisationsgesetz (1841 mit seitherigen Aenderungen), welches zwei gesonderte Verwaltungen, die der Ortsbürgergemeinde und der Einwohnergemeinde, kennt. Die Leitung beider Gemeinden liegt in der Hand des Stadtrates von 7 Mitgliedern, dessen Präsident der Stadtammann ist. Alle Gemeindeangelegenheiten werden von der versammelten Ortsbürger- oder Einwohnergemeinde behandelt und erledigt; die Absicht, in einem revidierten Gemeindeorganisationsgesetz den grossem aarg. Gemeinden eine Art Volksvertretung («Grosser Stadtrat») zu gewähren, ist durch die negierende Volksabstimmung 1908 vereitelt worden. Das Organ der Gemeinde, das gegenüber dem Stadtrat die finanzielle Kontrolle ausübt, ist die Rechnungskommission. Besondere Verwaltungszweige der Stadt sind das Elektrizitätswerk und die Wasserversorgung; das Gaswerk ist Privatunternehmung.
Das städtische Verwaltungsbudget für 1909 zeigt folgende Ziffern auf:
Einwohnergemeinde | Einnahmen Fr. | Ausgaben Fr. |
---|---|---|
Schulwesen | 42800 | 214750 |
Eigentl. Gemeindeverwaltung | 283600 | 535600 |
Steuern | 426100 | 2150 |
Total | 752500 | 752500 |
Ortsbürgergemeinde | . | |
Bürgergut | 19550 | 9950 |
Armenverwaltung | 51200 | 51200 |
Wälder | 83320 | 83320 |
Elektrizitätswerk | 500000 | 50000 |
Wasserversorgung | 91000 | 91000 |
Da Aarau nicht gross ist, keine eigentliche Grossindustrie besitzt, und da vor allem der grösste Teil der Arbeiter nicht in der Stadt, sondern in den umliegenden Dörfern wohnt, kann von schroffen sozialen Gegensätzen nicht gesprochen werden. Neben der städtischen Armenfürsorge und den polizeilichen Massregeln (wie Arbeitsvermittlungsamt, Lebensmittelpolizei) ist es die private Tätigkeit, die helfend und lindernd einspringt. Die Hilfsgesellschaft nährt u. a. arme Kinder mit Milch und Suppe; sie hat im Jura ein Ferienheim für die bedürftigen Kinder errichtet; ähnlichen Zwecken dienen der Frauenarbeitsverein, der Verein gegen Hausbettel, die Krankensuppenanstalt. Der Fürsorge für Kinder in ungünstigen Verhältnissen widmen sich der Fünfrappenverein, der Armenerziehungsverein; geistig zurückgebliebene Kinder nimmt die Anstalt auf Schloss Biberstein auf, andere Unglückliche die Taubstummenanstalt auf Landenhof. Verschiedene Krankenkassen sorgen für die Tage der Krankheit.
Aus alter Zeit haben sich allerlei Bräuche erhalten. Ein Fest der Jugend ist der Maienzug, von dem schon aus dem 16. und 17. Jahrh. Nachrichten vorliegen. Besonders lebhaftes und kriegerisches Gepräge erhält das Fest durch das Kadettenkorps, das nachmittags Manöver abhält. Dieses Korps ist eines der ältesten der Schweiz (gegründet 1789) und hat sich ununterbrochen bis heute erhalten. Der Bachfischet ist die Zeit der Reinigung des Stadtbaches, zu welchem Zweck das Wasser aus dem Bachbett abgelenkt wird. Wenn es dem Bache wieder zugeleitet wird, zieht die ganze Jugend vor die Stadt hinaus ihm entgegen und holt es mit Lampions und Rutenzweigen, einen Vers zur Begrüssung singend, wieder ab.
Aarau ist landschaftlich wohlgelegen. Die Umgebung ist reich an Waldungen, die sorgsam gepflegt und mit Wegen und Bänken gut versehen sind. Ein idyllischer Ort ist der Wildpark im Roggenhauserthälchen. Die Annehmlichkeiten, zu denen namentlich auch die zentrale Lage und die guten Eisenbahngelegenheiten gehören, hat es verursacht, dass Aarau sehr oft als Versammlungsort schweizerischer Vereine und Gesellschaften auserkoren wird.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass da, wo heute die Stadt Aarau steht, einst eine römische Ansiedlung bestanden habe; dafür sind die in der Erde aufbewahrten Ueberreste zu geringfügig und zu unbedeutend. Dagegen ging die von Salodurum nach Vindonissa führende Strasse der Römer bei Aarau vorbei; von ihr haben sich Reste am «obern» oder «Siechenweg», dem «Hochgesträss», wo die heutige Bahnhofstrasse sich hinzieht, gefunden. Ebensowenig darf mit Sicherheit von einem Aarübergang in römischer Zeit gesprochen werden.
Die ältesten Bauten gehen wohl nicht über das Jahr 1000 zurück. Es sind die drei Türme, die sich am Rande des Felsenplateaus, auf welchem die Stadt steht, erhoben: der Turm des «Schlössli», der Turm Rore und der obere Turm. Sie schützten wohl den «Pass» über die Aare, bei dem sich die Wege über Staffelegg, Benken und Schafmatt vereinigten. Hier wurde die Stadt etwa um 1200 angelegt und zwar durch die Kiburger. Die grosse Regelmässigkeit der ältesten Anlage (eine Ringstrasse, welche ein Kreuz von zwei breiten Strassen umschliesst), lässt die Annahme eines allmählichen Entstehens nicht zu. Mit einbezogen wurden zwei der Türme, während das «Schlössli» nie zur eigentlichen Stadt gehörte. Bald kamen im NW. und im O. Vergrösserungen mit Ausdehnung der Befestigung hinzu, während die im S. sich vorlagernde Vorstadt stets ausserhalb von Mauer und Graben blieb. 1256 ist Aarau (Arovo) zuerst genannt, 1270 erscheint sie als mit Mauern umgeben, und am erhält sie von König Rudolf I., dessen Geschlecht in den Besitz der Kiburger eingetreten war, Stadt- und Marktrecht mit einigen Rechten und Freiheiten.
Wie die ursprüngliche Ansiedlung zur Markgenossenschaft Suhr gehörte, war Aarau auch kirchlich von der Mutterkirche Suhr abhängig, bis es im Anfang des 14. Jahrh. selbständig ward. Unter der österreichisch-habsburgischen Herrschaft entwickelte sich die Stadt; die Herren vermehrten ihre Rechte, (so erlangte sie das Recht der Schultheissenwahl und den Blutbann). Dafür leisteten die Bürger getreulich ihre Dienste, besonders in den vielen Kriegen der Herzoge.
Wie der gesamte Aargau, so litten auch die Aarauer unter den Verheerungen der Gugler. Bei Sempach fielen mehrere Bürger der Stadt, mit ihnen soll auch der Schultheiss Burkhart Vogt umgekommen sein; und zwei Jahre nach der Schlacht (1388) verbrannten die vorüberziehenden Berner die Vorstadt, die erst seit etwa 20 Jahren mit der Stadt verburgrechtet war, aber keinen Schutz irgend welcher Befestigungen genoss. Der Chronist berichtet, dass die Vorstadt damals ein Haus mehr zählte als die Stadt. 1415 eroberten die Berner mit dem Aargau auch die Stadt Aarau, die sich nach wenigen Schüssen mit Rücksicht auf ihre «kranken Muren» ergab (18. April). Bern anerkannte die Rechte der Stadt; aber diejenigen der Herrschaft Oesterreich übernahm es selbst und suchte mit der Zeit auch Aaraus Privilegien zu einem grossen Teile illusorisch zu machen. Die Reformation brachte auch für Aarau eine bewegte Zeit; denn es herrschte über die Glaubensfrage keineswegs Einstimmigkeit: an der offiziellen Abstimmung, welche Bern am vornehmen liess, stimmten 146 für den neuen, 125 für den alten Glauben. Nach der Glaubenstrennung versammelten sich die Abgeordneten der reformierten Kantone häufig in Aarau; und der Friede, der den Toggenburgerkrieg (1712) beendete, ward in Aarau abgeschlossen.
Eine hervorragende Rolle spielte Aarau in der Zeit der helvetischen Revolution. Hier versammelte sich am die Tagsatzung, um die drohenden Gefahren zu besprechen; aber es kam schliesslich nur zur Beschwörung der alten Bünde, welche am auf dem Schachen vorgenommen wurde. Indessen hatte der Vertreter Frankreichs, Mengaud, den grössern Teil der Bürger von Aarau für Frankreich zu gewinnen vermocht, und als die Tagsatzung sich aufgelöst hatte, erhob sich in Aarau der offene Aufruhr gegen Bern Doch schon wenige Tage nachher musste sich die Stadt den Bernern ergeben, deren Truppen, mit dem Landvolk um Aarau vereinigt, die Stadt ¶
angegriffen hatten. Nach Monatsfrist drangen die Franzosen ins Land und errichteten die Helvetische Republik, deren erste Hauptstadt Aarau war (12. April bis Durch die Mediationsakte (1803) wurde Aarau die Hauptstadt des neugegründeten Kantons Aargau. Eine aufgeregte Zeit erlebte Aarau im Winter 1830. Damals wurde die Stadt am 6., 7. und 8. Dezember von etwa 6000 bis 8000 Aufständischen aus dem Freienamt besetzt gehalten, welche von der Regierung die Zusicherung haben wollten, dass die zu schaffende neue Verfassung ohne Veränderungen, so wie sie aus den Händen des Verfassungsrates käme, dem Volke vorgelegt würde. Die Stadt litt unter dieser Besetzung nicht, da die Aufständischen treffliche Manneszucht hielten. In Aarau fand 1824 das erste eidg. Schützenfest, 1832 das erste eidg. Turnfest statt.
An bekannten und hervorragenden Männern, die in Aarau ihre Heimat hatten oder doch hier wirkten, sind zu nennen:
Heinrich Wirri von Aarau (nachgewiesen von 1544 bis 1571), ursprünglich Schneider, dann aber, vom Rhein bis zur Donau wandernd, als Schauspieler, fahrender Sänger und Pritschenmeister bekannt. Es sind von ihm 16 gedruckte Moritaten, Lieder, gereimte Hochzeits- und Schützenfestbeschreibungen vorhanden. - Hans Ulrich Fisch von Aarau (1583-1647), bedeutender Glasmaler. - Joh. Rudolf Meyer von Aarau (1739-1813), unternehmender Industrieller, ausgezeichnet durch Bürgersinn und Gemeinnützigkeit, war einer der Begründer der aarg. Kantonsschule, liess den ersten grossen Atlas der Schweiz erstellen. Von ihm ging auch die erste Idee zur Trockenlegung des untern Linthgebietes aus. - Ferdinand Rudolf Hassler von Aarau (1770-1843), berühmter Ingenieur im Dienste der Vereinigten Staaten von Nordamerika. - Franz Xaver Bronner aus Hochstädt in Bayern (1758 bis 1850), von 1804-10 und 1817 bis zum Tode als Lehrer der Kantonsschule, Kantonsbibliothekar und -Archivar in Aarau tätig. Verfasser historischer und poetischer Werke. - Heinrich Zschokke aus Magdeburg (1771-1848), seit 1802 in Biberstein und Aarau, dann in seiner 1817/18 gebauten Villa Blumenhalde bei Aarau; Staatsmann, Berg und Forstrat, Schriftsteller. - Karl Rud. Tanner von Aarau (1794 bis 1849), Obergerichtspräsident; Dichter. - Joh. Herzog von Effingen (1773 bis 1840), bedeutender Industrieller und Staatsmann. - Abraham Emanuel Fröhlich von Brugg (1796-1865), Lehrer an der Kantonsschule und Bezirksschule; Fabeldichter. - Augustin Keller von Sarmensdorf (1805-1883), Seminardirektor. Staatsmann. - Rudolf Rauchenstein von Brugg (1798-1879), Rektor der Kantonsschule, bedeutender Philologe und Pädagog. - Friedrich Frey-Herosé von Aarau (1801-1873), Führer der Regierungstruppen gegen den Freiämter Aufstand (1841), Dufours Generalstabschef im Sonderbundskrieg, Bundesrat 1848. - Heinrich Kurz (1805-1873), Lehrer an der Kantonsschule, bedeutender Litterarhistoriker. - Ernst Ludwig Rochholz von Ansbach (1808-1892), Lehrer an der Kantonsschule, bekannter Germanist. - Hans Herzog von Aarau (1817-1894), ausgezeichneter Artillerieoffizier, führte als schweizerischer General die eidg. Truppen während der Grenzbesetzung 1870 und 1871. - Karl Feer-Herzog von Aarau (1820-1880), Staatsmann und Nationalökonom, Gründer der aarg. Bank (1854), bedeutende Autorität im Münzwesen von europäischem Ruf, Vertreter der Schweiz an den Konferenzen der lateinischen Münzunion.
Chr. Oelhafen. Chronik der Stadt Aarau bis 1798. Aarau 1840. - G. Schmidt-Hagnauer. Chronik der Stadt Aarau bis 1820. Aarau 1881. - J. Müller. Die Stadt Aarau. Aarau 1865. - H. Boos in Argovia XI, 1880, p. III ff. -
W. Merz. Die mittelalterl. Burganlagen etc. Aarau 1904. - W. Merz. Die Stadt Aarau als Beispiel einer landesherrlichen Stadtgründung. Aarau 1909.
[Dr. Ernst Zschokke.]
Amtsbezirk des Kantons Bern. Die letzten Viehzählungen haben folgende Zahlen ergeben:
1901 | 1906 | |
---|---|---|
Rindvieh | 10565 | 12260 |
Pferde | 1448 | 1560 |
Schweine | 8127 | 7370 |
Ziegen | 2364 | 2059 |
Schafe | 646 | 690 |
Bienenstöcke | 1519 | - |
(Kt. Bern, Amtsbez. Aarberg). Siehe die Seite mit den richtig gestellten Wappen am Ende des Supplements. - Sehr interessante, gedeckte Holzbrücken aus dem Jahre 1557. Der ganze Handel der Südostschweiz ging einst über Aarberg, wo ihn die Eisenbahn abgelenkt hat. Die Zuckerfabrik, die während 3 bis 4 Wintermonaten etwa 250 Arbeiter beschäftigte, ist 1909 eingegangen. Kirchgemeinde.
(Kt. Aargau, Bez. Zofingen). Reformierte Kirchgemeinde. Die beiden Aarufer verbindet eine Drahtseilbrücke, die aber den Bedürfnissen der neuen Zeit nicht mehr genügt. - Das Städtchen Aarburg ist aus Ansiedlungen von Leuten entstanden, die zur Burg in Beziehung standen oder Schiffer waren. Es war durch Mauern, Turm und Tor geschützt, besass aber kein Stadtrecht und keine städtische Organisation. Nach dem Brand von 1844 sind die alten Befestigungen beseitigt worden. - Die Burg ist von den Grafen von Froburg im 11. Jahrhundert gegründet worden. Ende des 13. Jahrhunderts wurden die Herzoge von Oesterreich Besitzer der Burg; doch waren sie bald genötigt, die Aarburg der Familie Kriech zu verpfänden. Bei der Eroberung des Aargaus (1415) gingen die oberherrlichen Rechte an die Berner über.
Sie setzten einen Landvogt auf die Burg, dessen Herrschaft das untere Wigger-, Pfaffnern- und Murgthal unterstellt ward (ausser Zofingen). An der Burg nahmen die Berner bauliche Veränderungen vor, die bedeutendste im 17. Jahrh. Der Bauernkrieg (1653) und der Villmergerkrieg (1656) hatten die Notwendigkeit dargetan, durch ein festes Bollwerk die Verbindung des obern mit dem untern Aargau zu sichern und Luzern und Solothurn zu verhindern, sich über die Aare die Hand zu reichen. So erfolgte denn der Ausbau der Burg zur Festung. In späterer Zeit diente diese auch als Staatsgefängnis für politische Verbrecher. So befand sich hier 1740 der Genfer Micheli du Crest; dann füllte sich die Festung 1799 mit Gefangenen, welche das helvetische Direktorium dahin deportierte. Der neu gegründete Kanton Aargau verwendete die Festung als Zeughaus, dann als Zuchthaus (bis zur Eröffnung der Lenzburger Strafanstalt 1864). Seit 1893 beherbergt sie eine Zwangserziehungsanstalt. Vergl. Merz, W. Aargauische Burganlagen. 1904. - Escher, Herm. Die Staatsgefangenen auf Aarburg im Winter 1802/03. Zürich 1908 und 1909.
(Kt. Bern, Solothurn, Aargau). Die Länge ihres Laufes beträgt 280 km. Die Pegelmessungen an der Aare haben bei Bern im Februar 1901 ein Minimum von 23 m3, im August 1897 ein Maximum von 406 m3, bei Brugg im Februar 1905 ein Minimum von 70 m3 und ein Maximum von 1873 m3, bei Döttingen im Februar 1905 ein Minimum von 110 m3 und im Jahre 1852 ein Maximum von 3350 m3 ergeben.
(Kt. Wallis, Bez. Visp, Gem. Visperterbinen).
1470 m. Maiensässe über dem Heidenweinberg, am Eingang ins Visperthal, in einer Lichtung zwischen dem Eiholzwald und dem Altwald.
Acht Hütten.
Kanton der schweizer. Eidgenossenschaft.
Der Kanton Aargau liegt im N. der Schweiz und zwar mit Bezug auf deren west-östl. Ausdehnung ziemlich genau in der Mitte, zwischen 7° 42' und 8° 25' OL. v. Greenwich und zwischen 47° 8' und 47° 37' NBr. Die Orte Kaiseraugst und Kaiserstuhl im N., sowie Murgenthal und Dietwil im S. bestimmen ziemlich genau seine Grenzpunkte. Im N. grenzt der Kanton durch den Rhein an das Grossherzogtum Baden, im O. an Zürich und Zug, im S. an Luzern, im W. an Bern, Solothurn und Basel Land. Ueberdies gehört zum Kanton die Exklave des Klosters Fahr am rechten Ufer der Limmat bei Schlieren.
Die Fläche umfasst 1404,1 km2, die Bevölkerung beträgt (1900) 206498 Seelen, die Dichte somit 147.
Orographie und Hydrographie. Am Aufbau des Landes sind ausser dem Gneiss und Granit des Grundgebirges geschichtete, meist aus dem Meere ursprünglich horizontal abgelagerte ausserordentlich manigfaltige Formationen beteiligt. Es sind in aufsteigender Reihenfolge: Von den paläozoischen Formationen nur unbedeutende lokale Spuren des «Rotliegenden» (in Schäffigen bei Laufenburg); von den mesozoischen Formationen alle Stufen der Trias (Buntsandstein, ¶
Muschelkalk, Lettenkohlendolomit und Keuper), des Jura (Lias, Dogger und Malm); von känozoische Formationen: eozäner Bohnerzton und Huppererde, Untere Süsswassermolasse, Meeresmolasse und Obere Süsswassermolasse.
Ganz besonders reich, wie sonst nirgends in der Schweiz und ringsum, ist das Diluvium oder Quartär (während der Vergletscherungen und in interglazialen Perioden erzeugte Ablagerungen) entwickelt. Der Neuzeit gehören die meisten Bergstürze, Trümmerhalden, Tuff, Torf, die Lehm- und Kieslagen der tiefsten Thalsohlen und die künstlichen Aufschüttungen an. Innerhalb der genannten Formationen spielen in der Orographie und Tektonik folgende Gesteine die wichtigste Rolle:
der Gips, Anhydrit, das Steinsalz und der Salzton des mittleren Muschelkalkes, die rauchgrauen Kalkbänke des Hauptmuschelkalkes;
die bunten Mergel, der Gips, Sandstein und Dolomit des Keupers;
die schwarzen Schiefermergel und dunkeln Kalke des Lias;
die dunkelgrauen Mergel des unteren und die braun anwitternden Rogensteine des mittleren Doggers;
die hellgrauen Mergel und Tonkalke des unteren Malmes (Argovien), die teils ockerfarbigen und etwas tonigen, teils reinweissen Kalkbänke des mittleren Malmes (Sequan) und oberen Malmes (Kimmeridien);
die meist olivenfarbenen Mergel und Sandsteine der Molasse, unter denen namentlich die Muschelsandsteinbänke der Meeresmolasse hervorstechen.
In den beiden Süsswassermolassen finden sich in verschiedenen Horizonten dünne Lager von Süsswasserkalk. Im obern Teil der Meeresmolasse liegt eine 2-20 m mächtige Bank bunter Nagelfluh. Im Diluvium sind fünf verschieden alte Schotter (älterer und jüngerer Deckenschotter, Hochterrassenschotter, Kiesablagerungen aus der Zeit der grössten Vergletscherung und ¶
[Abbildung.] ¶