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16. Militaerwesen.
Der Kanton Wallis gehört teils zum 1., teils zum 8. Divisionskreis; der erste umfasst so ziemlich das Gebiet, wo französisch gesprochen wird, der letztere die deutschen Bezirke. Die erste Division rekrutiert hier die drei Infanteriebataillone 11, 88 und 12, von denen das letztere hauptsächlich für den Dienst bei den Festungswerken von Saint Maurice bestimmt ist; die achte Division hebt da einzig das Bataillon 89 aus, das darum viel stärker ist, als die andern.
Im Jahr 1908 unterstanden dem Militärdepartement zur Verfügung der Eidgenossenschaft folgende Truppenbestände:
Auszug. | Mann |
---|---|
Infanterie : Füsilierbataillon 11 | 1004 |
Füsilierbataillon 12 | 1022 |
Füsilierbataillon 88 | 890 |
Füsilierbataillon 89 | 1236 |
Schützenkompagnie 2/IV | 227 |
Artillerie : Gebirgsbatterie 1 | 158 |
Verwaltungstrain 1 | 57 |
Verwaltungstrain 8 | 52 |
Genie : Geniebataillon 1 | 66 |
Pontonierkompagnie 1 | 8 |
Geniebataillon 8 | 6 |
Festungstruppen | 165 |
Sanitätstruppen | 240 |
Verwaltungstruppen | 37 |
Total | 5163 |
Landwehr. | |
Infanterie : Füsilierbataillon 104 | 963 |
Füsilierbataillon 130 | 1010 |
Schützenkompagnie 9/IV | 101 |
Artillerie : Gebirgskolonne 1 | 130 |
Gebirgskolonne 2 | 66 |
Landwehr-Train 1 | 27 |
Landwehr-Train 8 | 27 |
Genie : Sappeur-Kompagnie 2 | 28 |
Pionier-Kompagnie 1 | 10 |
Sappeur-Kompagnie 16 | 18 |
Festungstruppen | 3 |
Sanitätstruppen | 168 |
Verwaltungstruppen | 30 |
Total | 2581 |
Landsturm. | |
Bewaffneter Landsturm | 1592 |
Unbewaffneter Landsturm | 7764 |
Total | 9356 |
Zur Bezahlung der Militärpflicht-Ersatzsteuer sind verpflichtet | 13430 |
Von dieser Steuer befreit | 185 |
17. Oeffentlicher Unterricht.
Nach dem Rechenschaftsbericht von 1906 besass das Wallis zu dieser Zeit 554 Primarschulen, und zwar 181 für Knaben, 176 für Mädchen und 197 gemischte mit einer Gesamtschülerzahl von 19536. In 386 dieser Schulen wird der Unterricht französisch, in 168 deutsch erteilt. In den meisten Landschulen dauert die jährliche Schulzeit sechs Monate (1. November bis Ende April); sie steigt auf sieben in gewissen Zentralpunkten von Gemeinden oder Gegenden, in denen sich keine Sekundar- oder Mittelschulen finden, und sogar auf 8, 9 und 10 Monate in einigen Schulen von Sitten, Martinach, Monthey, Vouvry, Saint Gingolph, Saint Maurice, Brig und Visp. Während des selben Jahres betrugen die ausbezahlten Gehälter (der Staatsbeitrag inbegriffen) Fr. 271285. Der gesamte Staatsbeitrag war im Budget auf Fr. 68025 veranschlagt. Die Bundessubvention von Fr. 91560.40 ist vom Grossen Rat folgendermassen verteilt worden:
Fr. | |
---|---|
1. Lehreralterskasse | 10000.- |
2. Besoldungserhöhungen | 22998.40 |
3. Beitrag an die Seminarien | 3000.- |
4. Unterstützungen an die Gemeinden | 54377.- |
5. Turnhalle | 1185.- |
Total | 91560.40 |
Ausserdem subventioniert der Staat noch mit je Fr. 400 jährlich acht obere und mittlere Primarschulanstalten. Die meisten Lehrer und Lehrerinnen sind Geistliche, Ordensbrüder oder -schwestern. In Saxon und Bagnes hat es freie Laienschulen, die der Staat nicht unterstützt. Die Schule von Saxon, die vor etwa zwanzig Jahren eröffnet wurde, wird vorzugsweise von den Kindern der reformierten Bevölkerung besucht; in der von Bagnes ist der Religionsunterricht insofern fakultativ, als den Kindern gestattet ist, den durch die Geistlichkeit erteilten Katechismusunterricht zu besuchen, damit sie zur ersten Kommunion zugelassen werden.
Sekundarunterricht wird durch drei kantonale Kollegien erteilt:
1) das Lyzeum-Kollegium von Sitten (131 Zöglinge, wovon 21 im Lyzeum, 74 im Gymnasium, 35 in der Gewerbeschule);
2) das Kollegium Saint Maurice (243 Zöglinge, wovon 124 aus andern Kantonen und 9 Ausländer);
3) das Kollegium von Brig (101 Zöglinge). Bereits 1858-1864 und wieder 1874-1876 war mit diesem letztern Kollegium eine Realschule verbunden, die 1904/05 wieder eingeführt und seit 1905 zu einem dreijährigen Kurs erweitert worden ist. Es existiert des fernern in Sitten eine kantonale Rechtsschule, die im Jahr 1807 gegründet, 1824 und dann wieder 1902 nach einer ganz kurzen Unterbrechung infolge Mangels an Schülern wiederhergestellt wurde. Sodann unter der direkten Aufsicht des Bischofs ein Priesterseminar, das die jungen Theologen aufnimmt, die sich dem geistlichen Stand widmen.
Mörel, Brig, Visp, Siders, Sitten, Martinach, Bagnes, Saint Maurice und Monthey haben Gewerbeschulen. Diese drei letztern Ortschaften, wie auch Collonges, Leuk und Siders besitzen zudem noch Haushaltungsschulen. Beizufügen bleibt noch die Taubstummenanstalt in Géronde (Gerunden). Die jungen Leute des Wallis, die ausserhalb des Landes studieren, begeben sich gewöhnlich an die Kollegien Saint Michel in Freiburg und Maria Hilf in Schwyz. Im Jahr 1905/1906 zählte letzteres 22 aus dem Wallis stammende Schüler.
Durch edelherzige Stiftung des J. Bonivini (1727) und des Bischofs J. J. Blatter (1750) hat die Diözese Sitten das Recht auf etliche Freiplätze an der Universität Innsbruck; seit 1884 ist diese Zahl auf 10 festgestellt. Da das Wallis eine eigene Rechtsschule hat, gehen die jungen Juristen selten zum Studium ausser Landes. Doch übt seit einigen Jahren die Universität Freiburg eine gewisse Anziehungskraft auf die Jünglinge unsres Kantons; während des Wintersemesters 1907/1908 hielten sich daselbst 12 Walliser auf. Die jungen Leute, die sich andern freien Berufen widmen (Aerzte, Apotheker etc.), studieren in Genf, Lausanne, Bern, Basel und Zürich. Drei staatliche Seminarien bereiten junge Leute ¶
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zum Lehrerberuf an Primarschulen vor. Die männlichen Lehramtskandidaten studieren im Seminar zu Sitten, wo man 1905/1906 47 Seminaristen zählte, von denen 31 französischer Zunge und 16 deutscher. Die Schule für Lehrerinnen französischer Sprache befindet sich ebenfalls in Sitten und hatte 30 Schülerinnen. Ein Lehrerinnenseminar deutscher Sprache ist von den Ursulinerinnen in Brig gegründet und in der gleichen Zeit von 20 Zöglingen besucht worden. Die Aufsicht über die Primarschulen ist je einem Bezirks-Inspektor anvertraut, als welcher öfter ein Geistlicher oder ein Beamter als ein fachmännisch gebildeter Pädagog waltet.
Diesem Inspektor sind die Ortsschulkommissionen beigegeben, die aus einem Vertreter des Gemeinderates und dem Pfarrer bestehen, der von Amtes wegen Mitglied ist. Doch wird nach dem Wortlaut eines letzthin angenommenen Gesetzes eine kantonale Kommission für den Primarunterricht eingesetzt, die aus 7 vom Staatsrat ernannten Mitgliedern bestehen und in der das fachlich gebildete Element stärker vertreten sein soll. Zu diesen Anstalten verschiedener Stufen kommen noch: das kleine freie Kollegium von Saint Gingolph, das von französischen Ordensleuten geleitet wird (60 Schüler);
ferner die Waisenanstalt Sainte Marie zu Vérolliez bei Saint Maurice und das Institut Saint Joseph in Riddes, von Schwestern geleitete Mädchenschulen, sowie eine Anzahl an den verschiedensten Stellen des Kantons in Entstehung begriffene Gewerbeschulen.
18. Kultus.
Da der Kanton Wallis der einzige in der Schweiz ist, der für sich allein eine Diözese bildet, deren Grenzen fast vollständig mit denen des politischen Staates zusammenfallen, und da das Bistum und die wichtigern Klöster je nach den Fortschritten der Demokratie ihre Gerechtsame von denen der Zivilbehörden getrennt haben, funktionieren die beiden Verwaltungen parallel. Ihre gegenseitigen Beziehungen, so häufig und so eng sie scheinen mögen, gehen nur aus gegenseitigem Einverständnis hervor, das durch die Tatsache erleichtert wird, dass die Bevölkerung ausschliesslich katholisch geblieben ist.
Wir verweisen darum den Leser in Bezug auf die kirchliche Organisation auf den Artikel Sitten (Bistum) dieses Lexikons und heben hier nur die Beziehungen zwischen geistlicher und weltlicher Macht hervor. So besteht im Wallis, obschon die römisch-katholische Religion durch die Verfassung offiziell als Staatsreligion erklärt ist, kein Kultusbudget. Bistum, Domkapitel, Klöster und Kirchgemeinden sind im Besitz ihrer Güter und ihrer überlieferten Pfründen geblieben. Diese werden sogar von den allgemeinen Steuern betroffen oder befreit, je nachdem die weltlichen Ortsbehörden beschliessen.
Dessen ungeachtet verfügte der Staat bis zur Verfassung von 1907 noch über das Kollaturrecht der Pfarrpfründen Collombey Vionnaz und Port Valais, dessen Ausübung dem Grossen Rat übertragen war. Der Staat bezahlte jeder dieser Kirchgemeinden einen jährlichen Zuschuss von 200 Fr.
Nachdem nun diese Eigentümlichkeit verschwunden, besteht das einzige Vorrecht des Staates in kirchlichen Dingen in seiner Beteiligung an der Wahl des Bischofs von Sitten. Wie wir es andern Orts gesagt haben, ist dieses letzte verfassungsmässige Band zwischen dem Staat und der Kirche ein Nachklang des Rechtes, das das Walliser Volk sich errungen hatte, sein politisches Haupt selbst zu wählen, zu einer Zeit, als der Bischof zugleich auch der weltliche Herrscher des Landes war.
Dieses Recht des Staates erscheint indes als eine reine Formalität; denn bei jeder Wahl eines neuen Bischofs durch den Grossen Rat beeilt sich der Papst, um sich die unumschränkte kirchliche Oberhoheit nicht schmälern zu lassen, die Wahl zu kassieren, worauf er freilich den Erwählten nach Rom beruft, um ihm die selbe Würde zu übertragen, zu der das Volk ihn ausersehen hatte. Dennoch wollte die Mehrheit des Grossen Rates nicht auf dieses Recht verzichten, indem sie sich ohne Zweifel die möglichen Folgen der Erhebung irgend eines ausländischen Priesters auf den bischöflichen Sitz nicht verhehlte.
Seitdem die Lehren der Reformatoren im Wallis ausgerottet worden sind, gibt es keine eingebornen Protestanten mehr. Vor der Mitte des 19. Jahrhunderts war selbst die Zahl der niedergelassenen Reformierten null oder doch unbedeutend, und obgleich sie seit einem Vierteljahrhundert infolge der administrativen und industriellen Entwicklung des Kantons, sowie der Eröffnung von Sanatorien und Winterstationen progressiv zunimmt, war sie im Jahr 1900 doch erst auf 1610 gestiegen. Am meisten Protestanten befanden sich zu diesem Datum in: Sitten 316 Personen, Monthey (mit Collombey) 247, Martinach 61, Brig, Naters und Glis 232, Saint Maurice 120, Saxon 105, Siders 66, Port Valais 60. Allein mit Ausnahme von Saxon, wo einige einheimische Familien zum Protestantismus übergetreten, sind alle Anhänger derselben keine Kantonsbürger oder erst in neuester Zeit eingebürgert. Die Protestanten haben Kirchen oder Kapellen in Sitten seit 1890, in Monthey seit 1905 und in Siders seit 1906. In Saxon wird monatlich zweimal Gottesdienst gehalten. Die Orte, wo bloss der fremden Reisenden oder Pensionäre wegen reformierter Gottesdienst gehalten wird, wollen wir übergehen. Im Jahr 1900 gab es im Wallis auch 28 Israeliten und 219 Personen ohne bestimmtes Bekenntnis.
19. Finanzwesen.
Im Jahr 1904 betrug der Wert | Fr. |
---|---|
der gebauten Immobilien | 39653774 |
der nicht gebauten Immobilien | 152739332 |
der steuerpflichtigen Kapitalien | 43083253 |
was einem steuerpflichtigen Vermögen von: | 235476359 |
entspricht oder, wenn die Bevölkerung zu dieser Zeit zu 117000 Seelen angenommen wird, 2210 Fr. auf den Kopf.
Am wies das Staatsvermögen auf:
Fr. | |
---|---|
an Aktiven | 5249491 |
an Passiven | 6613673 |
Ueberschuss der Passiven: | 1364182 |
mit einer Vermögensvermehrung gegenüber dem vorhergehenden Finanzjahr von Fr. 93599.
Die Aktiva setzen sich der Hauptsache nach aus den überwiegend unproduktiven Immobilien, den Kapitalien, dem Dotationskapital der Sparkasse und den Salzvorräten zusammen; die Passiva stellen die Staatsschulden dar, die die innere Schuld und die drei kontrahierten Anleihen in sich begreifen, nämlich 1) das von 1875 infolge des Kraches der Kantonalbank, das 1906 auf Fr. 2965000 heruntergebracht wurde;
2) für die Subvention des Simplon (1898) Fr. 1000000;
3) für die Dotation der Sparkasse (1895) Fr. 950000. Die Schlussbilanz der Rechnungen zeigt 1907: ¶
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Fr. | |
---|---|
ein Total der Ausgaben von | 2131175 |
ein Total der Einnahmen von | 2130952 |
Ueberschuss der Ausgaben | 223 |
Das von der Kommission aufgestellte Budget für 1908 sieht an Ausgaben Fr. 2457934, an Einnahmen Fr. 2359405, somit einen Ausgabenüberschuss von Fr. 98529 vor. Die Vermehrung der Einnahmen wäre hauptsächlich dem Ertrag des Salzverkaufes, den Steuern auf Industrie, Unternehmungen u. s. w. die der Ausgaben dem Anteil des Staates an der Viehversicherung zuzuschreiben.
Nach den Bestimmungen des Steuergesetzes vom setzt der Grosse Rat innert den Grenzen der Verfassung die Höhe der Steuer auf Vermögen und Einkommen fest. Dieser Ansatz beträgt gegenwärtig 1½‰ für die Staatssteuer. Die Gemeindesteuern werden durch die Ortsbevölkerung oder die Gemeindebehörden unter Vorbehalt der Genehmigung des Staates bestimmt, was die Beobachtung gewisser durch das Gesetz vorgesehener Klauseln sichert. Die Gebäude werden sowohl bei der Staats- als bei der Gemeindesteuer zu zwei Drittel ihres Wertes veranschlagt.
Die Ausübung jeder Industrie und jedes Handels, selbst wenn sie in das Gebiet von Wissenschaft und Kunst gehören jedes Gewerbes, jedes Handwerks, auch im Dienstverhältnisse, sind der Industriesteuer unterworfen, wofern sie nicht von der Einkommenssteuer erreicht werden. Diese Steuer, die gemeiniglich in Form von Patenten auferlegt wird, umfasst die drei Serien: a) Gewerbe, b) Handel, c) Industrie, deren verschiedene Unterabteilungen in 6 Klassen zerfallen. Die auferlegte Taxe soll 4% des Jahresgewinnes nicht übersteigen.
Ausgenommen von der Steuer sind die kleinen Handwerke und Industrien, von denen man voraussetzt, sie werfen nicht mehr als 200 Fr. ab. Der von Leuten betriebene Handel, die ausser dem Kanton niedergelassen sind oder die, wenn sie auch hier wohnen, zeitweise wandern, unterliegt dem Hausiergesetz. Die Hunde, mit Ausnahme derjenigen, die im Dienst der Hospize auf dem Grossen St. Bernhard und auf dem Simplon stehen, werden mit einer jährlichen Taxe von 8 Fr. per Stück belegt.
20. Gesellschaftliches Leben.
Unter den lokalen Gesellschaften sind die Schützenvereine (cibles) sicherlich die ältesten und zahlreichsten. Im mittlern Wallis besitzen diese Vereine oft einen Weinberg, zu dessen gemeinsamer Besorgung sie mit Trommeln und Pfeifen an der Spitze ausziehen. Der Schützenverein von Montana (Lens) besitzt in Corin eine der besten Weinbergsparzellen des Bezirkes Siders, die zu besorgen vier Mitglieder abwechselnd die Würde und Bürde haben. In Savièse müssen die aufgenommenen Kandidaten der Gesellschaft ein Stück Weinberg von bestimmter Grösse zur Verfügung stellen; den Ertrag davon haben sie selbst in den Keller zu bringen, dessen Eingang dem Schützenstand gegenüberliegt. In Montana bewahrt der Kapitän (Vorstand der Gesellschaft) den Kellerschlüssel und hat die Aufsicht über die Fässer; er wird aus den besten Trinkern gewählt. An diesem Ort, wie auch in Visperterminen kann man in diese aristokratische Korporation nur durch direkte Vererbung gelangen. In letzterer Gemeinde kann der Sohn eines Mitgliedes zu Lebzeiten seines Vaters als Kandidat aufgenommen werden, aber Schützenbruder wird er erst, wenn er einen Zweckschuss macht, also den schwarzen Punkt in der Mitte der Scheibe trifft.
Demnach kann einer Jahre lang, ja sogar immer Kandidat bleiben, wie es der Fall war mit einem gewissen Pfarrer S., der aus Visperterminen stammte und dem es nie gelang, eine Kugel ins Zentrum zu bringen (nach Stebler). Diese Bruderschaft, die aus 1698 datiert, hat auch ihren Weinberg in den berühmten «Heidenreben»; nichtsdestoweniger bezahlt der zugelassene Kandidat, ausser einer Eintrittsgebühr von 30 Fr., eine Doppelkanne Weines und liefert zudem fünfzig junge Rebstöcke zur Erneuerung der alten Pflanzen ihres Besitztums. Im Oberwallis stammen die ältesten Schützengesellschaften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die ersten Schützenfeste, von denen man weiss, fanden 1551 zu Aernen und zu Visp statt; seither gab man sich viel Mühe für diese Uebungen. Im Unterwallis sind solche Organisationen allgemein viel jünger.
Dagegen entstanden in diesem Teil des Landes zuerst die Vereinigungen zu gegenseitiger Unterstützung; die ersten bildeten sich 1852 in Saint Maurice, 1857 in Saint Gingolph, seither in Martinach und Sitten. Heute sind dieselben, 20 an der Zahl, wovon mehrere im Mittel- und selbst im Oberwallis, mit 2400 Mitgliedern zu einem Verband zusammengeschlossen und unter die Leitung eines Zentralkomites gestellt, das aus sieben Mitgliedern besteht und für je zwei Jahre gewählt wird.
Daneben bestehen 17 freie Gesellschaften mit 1068 Mitgliedern. Seit mehr als einem Jahrhundert besitzt Monthey eine Blechmusik, die jetzt zu einer Harmoniemusik geworden ist; sie hat sich in letzter Zeit in zwei Vereine gespalten. Ebenso haben Sitten und Brig schon lange ihre Musik, wie auch Leukerbad, Martinach und Saint Maurice. Heute gibt es wenige Gemeinden mit grösserer Einwohnerzahl, die nicht ihre Blechmusik haben, selbst in den Seitenthälern und im Oberwallis.
Der Gesang, der ehemals, wenigstens bei den Bauern des Mittel- und Unterwallis, in keinem grossen Ansehen stand, entwickelt sich mächtig. Im letzten Jahr haben sich 21 Vereine zu einem Kantonalverband des Wallis (Fédération des chanteurs du Valais) zusammengetan. Im Oberwallis besteht seit Jahren ein Verband der Zäzilienvereine, der sich besonders die Hebung des kirchlichen Gesanges angelegen sein lässt. Konsumgenossenschaften, deren älteste bis 1884 zurückreicht, gibt es heute 17 mit 2573 Mitgliedern. Im Jahr 1906 betrug der Umsatz Fr. 1241027 mit einem Netto-Gewinn von Fr. 47207. Weinbau- und landwirtschaftliche Genossenschaften nehmen mehr und mehr zu. Wissenschaftliche und politische Gesellschaften sind im Wallis spärlich vertreten, oder, richtiger gesagt, mit Verbindungen religiösen Charakters verschmolzen. So existiert eine akademische Vereinigung, die sog. Société helvétique de Saint Maurice, deren Mittelpunkt das Kloster dieses Namens ist.
Ferner ein geschichtsforschender Verein von Oberwallis, der naturgemäss seine Tätigkeit zunächst dem deutschen Kantonsteil zuwendet, aber auch im Unterwallis und selbst in andern Kantonen eine ansehnliche Schar Mitglieder zählt; von den im Oberwallis ansässigen Mitgliedern machen die Priester den Hauptbestand aus. Zu dieser Art von Gesellschaften kann man auch die Vallensis, die kantonale Sektion des schweizerischen Studentenvereins rechnen. Die Murithienne, die Walliser naturforschende Gesellschaft, wenn sie auch unter der Aegide eines gelehrten Geistlichen steht, ist Personen jeder Meinung zugänglich und zählt selbst viele Passivmitglieder in den Nachbarkantonen und ausserhalb der Schweiz. Die liberale Opposition verfügt über keine organisierte Vereinigung. Versuche dazu sind schon seit 1880 mit der Gründung liberaler oder demokratischer Vereine gemacht worden, aber regelmässig gescheitert.
21. Gesundheitswesen; öffentliche Wohltätigkeit.
Das allgemeine Sanitätswesen ist der Oberaufsicht eines Rates von fünf Mitgliedern und drei Ersatzmännern unterstellt, dessen Präsident der Vorsteher des Departements der Innern ist; daneben besteht eine Kommission, die aus dem Kantonschemiker, einem Arzt und einem Apotheker zusammengesetzt ist und der die Kontrolle der Nahrungsmittel und Getränke obliegt. Jeder Bezirk hat seinen Amtsarzt, obschon es in jedem von ihnen seit einer Reihe von Jahren wenigstens einen angesessenen Arzt hat, ausgenommen Hérens und Conthey, die von Sitten aus versehen werden. Im Oktober 1907 war die Zahl der Arzte 34, was bei einer Bevölkerung von 120000 Einwohnern nur einen auf 3529 Personen trifft.
Apotheken sind 17 vorhanden, wovon 5 in Sitten, 3 in Martinach (Burg und Stadt), je 2 in Monthey und Brig, je eine in Saint Maurice, Sembrancher, Siders, Leuk und Visp. Viehinspektionskreise sind fünf; an der Spitze eines jeden steht ein diplomierter Tierarzt. Die öffentliche Armenpflege gewährt den Armen und den Personen, die nicht imstande sind, sich selbst zu erhalten, ständige, denen, die zufällig in Not geraten, zeitweise Unterstützungen; sie sorgt für die armen Kranken, Arbeitsunfähigen, Geisteskranken und Greise. Die Organisation dieser Unterstützungen liegt in der Pflicht der Gemeinde; jede Gemeinde muss eine Unterstützungskasse oder einen Armenfonds haben, zu dem die Bürger beisteuern ¶
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müssen, wenn die Bürgergüter nicht hinreichen. Die Erstverpflichteten sind die Verwandten der Dürftigen oder Gebrechlichen, bis zum achten Glied einschliesslich. Die Gemeinde und der Staat bestimmen den Anteil und Betrag ihrer Leistungen. Andrerseits fundiert und unterstützt der Staat diese Einrichtungen in einem gewissen Masse. Ausser den allbekannten Hospizen auf dem Grossen St. Bernhard und dem Simplon besass und besitzt der Kanton Wallis noch eine Anzahl Spitäler oder Hospize, deren Wirksamkeit sich seit längst vergangener Zeit wenig geändert hat und die von ihren Einkünften leben, ohne dass dieselben merklich zunähmen. Die einen stehen unter geistlicher Verwaltung, andere unter der der Gemeinden. Es sind, um nur diejenigen aufzuzählen, die heutzutage existieren:
Der Spital in Monthey, gegründet 1384;
der St. Jakobsspital in Saint Maurice, von Konrad dem Friedlichen gegründet, um Pilger aufzunehmen;
der Spital von Martinach aus dem 12. oder 13 Jahrhundert;
der von Sembrancher, dessen Gebäude heute als Landjägerposten und Schule dient, obschon die Stiftung noch werktätig ist (aus der gleichen Zeit);
die Spitäler von Plan Conthey, Leuk, Visp und St. Anton in Brig.
Aber alle diese Institute, die vorzugsweise von Zinserträgnissen leben, sind hauptsächlich zur Verpflegung der Reisenden und zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen bestimmt. Einzig der Spital St. Johann in Sitten konnte sich dank den genügenden Hilfsquellen, die in der Ausbeutung landwirtschaftlicher Betriebe und im Verkauf seiner Weine bestehen, annähernd nach den Bedürfnissen der Zeiten umgestalten. Obschon er Eigentum der Bürgerschaft von Sitten ist, wird er doch von einem geistlichen Direktor verwaltet, der zugleich Anstaltspfarrer ist.
Die Verpflegung kommt einen Bürger täglich auf Fr. 1.50, einen Nicht-Bürger auf Fr. 3 zu stehen; für mittellose Leute verhandelt die Direktion mit der Heimatgemeinde. Durchreisende werden gespiesen und nötigenfalls eine Nacht beherbergt. Ein Arzt ist für den Dienst in diesem weitläufigen Etablissement angestellt, der beinahe zu einem Kantonsspital genügen würde, wenn die Frage auftauchte, es in diesem Sinne umzuwandeln. Im Jahr 1903 hat der ehemalige Amtsherr Brunner eine Summe von Fr. 50000 zu diesem Zwecke hinterlassen.
Den neuen Bedürfnissen gemäss ist übrigens das Wallis auf dem Wege, sein ganzes Verpflegungssystem zu ändern. Seit 1900 besitzt es in Saint Maurice die Klinik Saint Amé, eine geistliche Stiftung, die sich aus Gaben und Geschenken erhält. Im Januar 1908 ist ein Kreiskrankenhaus in Brig eröffnet worden; eine gleiche Anstalt ist in Martinach im Bau begriffen. Seit 1902 ist in Monthey ein Fonds angelegt worden zum Zweck der Gründung eines Bezirkskrankenhauses; die bis jetzt zusammengebrachten Summen sichern die Ausführung des Werkes.
Erwähnen wir noch das Asyl Malévoz bei Monthey, das 1900 auf die Initiative des Dr. Repond von Freiburg eröffnet wurde und der Behandlung Geisteskranker dient; es nimmt die Kranken aus dem Kanton zu besondern Bedingungen auf, kraft eines Übereinkommens zwischen dem Staat und dem Gründer. Ferner die Armenbäder von Leuk, die Waisenanstalt Sainte Marie zu Vérolliez bei Saint Maurice, die Mädchen- und Knaben-Waisenhäuser in Sitten, ein Altjungfernasyl zu Sitten und ein Asyl für Greise in Siders.
22. Geschichtlicher Ueberblick.
Nach Polybius, der zwischen 210 und 205 v. Chr. geboren ist, verkauften Kelten, die aus dem obern Thal der Rhone heruntergekommen waren, ihre Dienste den Römern, um andere Kelten in der Poebene zu bekämpfen. Zahlreiche Entdeckungen von Gräbern und andern Gegenständen, über welche Bernoulli von Basel und B. Reber von Genf im Anzeiger für Schweizer. Altertumskunde und im Journal de Genève ausführliche Berichte veröffentlicht haben, beweisen die Besiedelung des Landes durch diese Völkerschaften.
Elisée Reclus verlegt diese Besitznahme bis ins Bronzezeitalter oder in die Eisenzeit zurück; die eindringenden Kelten hätten die Pfahlhauer mittels schneidender Waffen ausgerottet. Andrerseits wurde dargetan, dass der Übergang über den Mons Jovis oder Mons Penninus (den Grossen St. Bernhard) lange vor unserer Aera benützt wurde. Titus Livius berichtet, dass die Bojer und Lingonen, die sich 390 vor Chr. in Etrurien niederlassen wollten, dem Pfade folgten, der diesen Engpass durchzieht.
Andere Züge fanden seit dieser Zeit zu wiederholten Malen über den gleichen Übergang statt. Im Jahr 54 v. Chr. sandte Caesar den Galba nach Octodurum, um den Erpressungen der Völkerschaften in den Thälern der Rhone und der Dranse ein Ende zu machen, die Reisende und Kaufleute brandschatzten. Dieser Völkerschaften waren vier: die Viberer (Visp), die Seduner (Sitten), die Veragrer (Martinach) und die Nantuaten (von Saint Maurice bis Villeneuve). Obschon voneinander unabhängig, waren sie doch schon durch das Band eines entstehenden Bundes verknüpft.
Durch die Niederlage von Octodurum fielen die Bewohner des Rhonethales unter die römische Herrschaft; dieser Ort wurde die Hauptstadt des penninischen Landes. Nachdem dieses bis zu Marcus Aurelius einen Teil Rätiens ausgemacht hatte, bildete es mit den Savoyeralpen und dem Dauphiné (Tarentaise) die siebente Provinz von Vienne. Diese römische Halbprovinz der Penninischen Alpen umschloss, wie das Bistum Sitten im Mittelalter, nicht bloss den ganzen obern, von natürlichen Grenzen eingerahmten Thalkessel der Rhone, sondern auch das Pays d'Enhaut und das Greierzerland.
Nach Marius Besson soll ihre Nordostgrenze unterhalb Moudon vorbeigezogen sein und das N.-Ufer des Genfersees zwischen Lausanne und Vevey erreicht haben. Ohne gewisse Ueberlieferungen zu berücksichtigen, nach denen das Christentum schon zu Lebzeiten der Apostel im. Wallis eingeführt worden wäre, kann man behaupten, dass es da seit dem 3. Jahrhundert auftauchte. Nach dem Verfall von Octodurum, der schnell auf den Untergang des weströmischen Reiches und die Einfälle der Barbaren folgte, gelangte das Gebiet des Wallis unter burgundische Herrschaft.
Aus der römischen Hauptstadt ging der Bischofsstab in die Hauptstadt des Feudalstaates, Sitten, über. Um die selbe Zeit war zu Saint Maurice, auf dem Totenfeld der thebäischen Legion, eine neue Lehensherrschaft entstanden. Seit dem Beginn des 6. Jahrhunderts nahm nämlich das Kloster zu Agaunum dank den Gaben und Geschenken des burgundischen Königs Sigismund einen gewaltigen Aufschwung. Nachdem er dem Arianismus abgeschworen, liess dieser Fürst die Abtei vergrössern und verschönern; er stattete sie mit unermesslichen Besitzungen aus, nicht bloss im Rhonethal, sondern bis in die Franche Comté hinein. Vier und ein halbes Jahrhundert später (999) beschenkte Rudolf III., der letzte König des transjuranischen Burgund, das Bistum mit der Grafschaft Wallis. Dieser Akt ¶
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bemerkt Heusler, ist die Hauptgrundlage, auf der die Bischöfe von Sitten ihre weltliche Macht aufbauten; in der Folge war er der Ausgangspunkt der Entwicklung, dem der Freistaat Wallis entsprosste. Die Grafschaft Wallis und die Kirche von Sitten, fügt V. van Berchem hinzu, hatten ursprünglich die gleiche Ausdehnung; das war aber zur Zeit der Schenkung Rudolfs nicht mehr so. Während die Diözese, welche die Grenzen der alten civitas unversehrt bewahrte, sich von den Quellen der Rhone bis an den Genfersee erstreckte, begriff die Grafschaft nur noch den untern Teil des Thales bis zum Flusse Trient in sich.
Die Ansprüche des Bistums auf das Territorium der heutigen Bezirke Saint Maurice und Monthey reichen in der Tat nicht über 1475 zurück. So blieben während der ganzen Feudalzeit und selbst bis zur französischen Revolution die Abtei Saint Maurice und das Bistum die beiden hauptsächlichsten Herrschaften des Landes. Infolge der Immunität der Abtei bildeten ihre Ländereien zahlreiche Inseln, die der Verwaltung des Grafen-Bischofs mehr oder weniger vollständig entzogen waren.
Ueberdies stützten sich diese beiden Verwaltungen, deren Besitzungen sich gegenseitig derart durchdrangen, dass sie zwei fortwährende Rivalen werden mussten, auf zwei einander nicht minder feindliche Oberlehensherren. Indem das Bistum, das behauptete, der Erbe der königlichen Rechte Karls des Grossen zu sein, sich dem Reiche anschloss, begünstigte die auf ihre Freiheiten eifersüchtig wachende Abtei die Unternehmungen der Grafen von Savoyen, von denen man sagen kann, dass ihre Intriguen und Kämpfe, die die Unterjochung des Wallis zum Ziele hatten, den Grundzug der Geschichte dieses Landes während der zweiten Hälfte des Mittelalters bilden. In der Beharrlichkeit dieser Feindseligkeiten muss man sogar mehr als im Unterschied der Sprache oder Rasse die Quelle der jahrhundertelangen Gegnerschaft suchen, die zwischen den Wallisern der östlichen und der westlichen Bezirke zu Tage getreten ist.
Die Rechte des Hauses Savoyen im Rhonethal entsprangen hauptsächlich drei Quellen:
1) Aus der Oberlehnsherrschaft über die Grafschaft Chablais, 2) aus der Kastvogtei über Saint Maurice und 3) aus dem Besitz beträchtlicher Allodialgüter im Gebiet der Walliser Grafschaft selbst. In der Tat war die Kastvogtei von Saint Maurice die Grundlage der savoyischen Herrschaft über die Thäler von Bagnes und Nendaz, sowie über das Gebiet von Conthey-Vétroz. Die Rechte des selben Klosters auf die entferntern Gebiete von Leuk und Naters dienten den Grafen gleichfalls zur Unterstützung ihrer Ansprüche im obern Wallis. Und als gar der Bischof Aymon von Savoyen seinem Kapitel die Güter schenkte, die er von seinem Oheim Ulrich in Orsières, in Saillon, in Ayent, im Eringerthal und in Grengiols geerbt hatte, stiessen für den Augenblick die Ansprüche Savoyens mit denen des Bistums bis mitten ins Binnenthal hinauf zusammen.
Immerhin blieb die Kirche von Sitten noch der Hauptgrundbesitzer in ihrer Grafschaft. Dieses Besitztum zu vermehren und zugleich den Unternehmungen Savoyens Widerstand zu leisten, war im Verlaufe des 11., 12. und 13. Jahrhunderts ihr einziges Augenmerk. Darum sehen wir auch, wie sie seit dem 13. Jahrhundert über ein nahezu geschlossenes Gebiet herrscht und in den wichtigsten Ortschaften, die von der Rhonequelle bis zum Trient aneinandergereiht sind, bischöfliche Meier, Vitztume und Schlossherren einsetzt.
Wir haben bereits gesehen, wie sich um diese Kernpunkte die regionalen Gruppen bildeten, aus denen dann die Zehnten entstanden. Damit beginnt aber auch die Aera der Befreiung des Volkes; der geographische Aufbau des Landes erscheint für die Entfaltung kommunalen Geistes zu günstig, als dass dieser gezaudert hätte, hervorzubrechen. Mehr als vielleicht irgend anderswo wird jedoch leider diese Emanzipation hier erst vollständig nach jahrhundertelangen innern Wirren und äussern Kriegen, deren Nachwehen sich noch bis mitten ins 19. Jahrhundert hinein fühlbar machen.
Auf die Kriege zwischen den Oberherren folgen die innern Streitigkeiten, dann die von Bürgern wider Bürger. Die Schenkung der Grafschaft Wallis an die Kirche von Sitten hatte diese unter die kaiserliche Oberhoheit gestellt. Aber als der Kaiser Friedrich I. über Burgund zu Gunsten seiner Söhne verfügte und dabei zugleich, der Form nach, Berthold IV. von Zähringen die Schirmvogtei über die drei romanischen Bistümer beliess, brachen die Eifersüchteleien aus, hauptsächlich als Berthold seine letzten Rechte auf die Schirmvogtei von Sitten dem Grafen Humbert III. von Savoyen abgetreten hatte.
Fünfmal musste Berthold V. bewaffnet ins Rhonethal ziehen und fünfmal musste er unverrichteter Dinge zurück; endlich wurde er von den Wallisern bei Ulrichen (1212) endgiltig aufs Haupt geschlagen. Diese Niederlage und die Schwächung der kaiserlichen Macht konnten die Ansprüche des Hauses Savoyen nur verstärken, das noch während zweihundert und fünfzig Jahren sich bemühte, auf die bischöflichen Besitzungen und Rechte überzugreifen. Der Zwist wurde von zwei mächtigen Familien sorgfältig angefacht, die der Volksfreiheit feindlich waren, nämlich von den La Tour-Châtillon (Imthurn-Gestelenburg und den Raron).
Von 1224 an jedoch sieht man unter den Räten des Bischofs eine gewisse Anzahl Bürger als Repräsentanten der verschiedenen Teile des Gebietes erscheinen. Man findet sie nach den Chorherren und den Vasallen der Kirche erwähnt... et plures alii tam cives sedun, quam alii de diocesi sedun. Aber während sich die Bischöfe abwechselnd auf das Volk, die Adeligen, Savoyen und die eidg. Orte stützen, wenden die patriotischen Bürger ihr Auge vorzüglich letztern zu. Den schliessen sie einen ersten Bund mit ihren künftigen Eidgenossen, um sich der Anschläge der Adeligen zu erwehren; die Bischöfe hatten eben jene La Tour Châtillon in die Majorie von Sitten eingesetzt, deren Uebergriffe in Bälde für sie wie für das Volk beunruhigend wurden.
Als dann nach dem Tode des Bischofs Peter von Oron (1287-1290) ein dreijähriges bischöfliches Interregnum entstand, wollten die hervorragendsten Adeligen des Rhonethales diesen Umstand benützen, um seine Nachfolger der weltlichen Macht zu berauben. Darum war es auch die erste Sorge des Bischofs Bonifaz von Challant, das feste Schloss Tourbillon wiederherzustellen. Trotzdem hoben die Adeligen auf Anstiften Peters de La Tour, der sich an ihre Spitze stellte, ein Heer von 11000 Mann aus und versuchten, die Festung dem Grafen von Savoyen in die Hände zu spielen. Aber diese Armee wurde von den Bauern aufs Haupt geschlagen, und Bonifaz, der so von dem Grafen verraten worden war, mit dem ihn ein Vertrag verbunden hatte, unterzeichnete 1296 einen Burgrechtsvertrag mit Bern. Peter de la Tour wurde als Gefangener auf das Schloss Roc bei Naters gebracht, und mehrere Edelleute, darunter der Ritter Anselm von Saxon, wurden den zu Sitten enthauptet.
Dieser Misserfolg machte den Intriguen der La Tour kein Ende. Als Händel zwischen den Wallisern und den ihnen benachbarten Bewohnern des Frutigthales ausbrachen, verabredeten die La Tour mit den Adeligen des Oberlandes, ins Wallis einzufallen; aber zum zweiten Male wurden sie, auf der Seufzerwiese (Prairie des Soupirs) bei Leuk geschlagen. Gegen 1350 fand ein dritter Versuch statt: Peter V., Enkel des vorgenannten Peter de La Tour, überfiel diesmal das bischöfliche Gebiet an der Spitze des Adels aus dem Wallis, dem Greierzerland und Simmenthal.
Der Bischof Witschard Tavelli, ein Schützling Savoyens, rief den Grafen Amadeus VI. zu Hilfe. Es erfolgte daraus eine lange Periode von Streitigkeiten und tragischen Ereignissen: die Ermordung Witschards Tavelli durch die Sendlinge Antons de La Tour, die Ausrottung dieser ränkevollen Familie durch das Volk;
Sitten der Reihe nach von den Patrioten und den Savoyarden genommen, verloren, verbrannt und wieder genommen;
die Erhebung Eduards von Savoyen auf den Bischofsstuhl und seine Verbannung;
dann die Schlacht bei Visp, in der die Walliser endlich das Feld behaupteten, nachdem sie Feuer an die Scheunen gelegt, worin die Soldaten der Grafen von Savoyen und Greierz schliefen, was mehr als deren 4000 den Tod brachte
Das war die Rache, auf die man seit dem 1260 von Peter von Savoyen organisierten Einbruch ins Wallis gewartet hatte. Nachdem dieser Fürst seine Herrschaft über den ganzen französischen Teil gesichert und besonders ¶
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auch den Bischof von Sitten gezwungen hatte, ihm gewisse Besitzungen im Wistenlach zurückzugeben, schlug er bei Port Valais ein Heer von 3000 Mann unter der Anführung Eberhards von Nidau, der dabei getötet wurde. Hierauf verwüstete er das Rhonethal mit Feuer und Schwert bis nach Mörel hinauf, füllte die Verliesse von Chillon mit Gefangenen und stellte die Schlösser des Unterwallis wieder her. Die Patrioten, denen es gelang, das Ränkenetz der La Tour zu zerreissen und das bischöfliche Szepter den Händen der Günstlinge des Hauses Savoyen zu entwinden, konnten nicht verhindern, dass es nun in die Gewalt der Raron fiel.
Diese Familie, deren Macht auf hohen Verbindungen und ausgedehnten Besitzungen im Norden der Alpen fusste, schien in die Stellung der intriguanten Familie La Tour einrücken zu wollen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts folgten die Sprösslinge derselben einander auf dem Bischofsstuhl. Unter dem Episkopat Wilhelms V. war sein Oheim Witschard von Raron zu gleicher Zeit Landvogt und Landeshauptmann des Wallis. Da sechs eidgenössische Orte gemeinsam das Eschenthal erobert hatten, wusste der Herzog von Mailand kein anderes Mittel, diese Demütigung zu rächen, als dass er dieses für ihn verlorene Thal dem Herzog von Savoyen verkaufte.
Witschard nahm es nun auf sich, ein Heer durch das Wallis zu führen, das der Herzog entsandte, um von dem neuen Gebiet Besitz zu ergreifen. Die hierüber erzürnten Urkantone beklagten sich bei den ihnen verbündeten Zehnten. Nun wurde in den Flecken des Rhonethales das wohl sonderbarste Aechtungs-Instrument herumgetragen, jene Mazze (massue), die das Wallis von jeder für die Freiheiten des Volkes gefährlichen Macht reinigen sollte. Man stachelte die Missvergnügten zum Anschluss auf; alle, die sich an der Verschwörung beteiligen wollten, schlugen einen Nagel in die Figur, die aus einem Birkenstamm geschnitzt war.
Wenn sie, von Nägeln vollgespickt, vor den Machthaber getragen wurde, blieb diesem nichts übrig, als Schloss und Güter im Stich zu lassen und sich in die Verbannung zu begeben. Das tat auch Witschard, indem er zu seinen Mitbürgern nach Bern floh. Diese, ohne Rücksicht auf die Interessen ihrer Verbündeten, traten zu seinen Gunsten ein und, verstärkt durch die Banner von Neuenburg, Freiburg und Solothurn, stellten sie ein Heer von 13000 Mann auf, das über die Grimsel und den Sanetsch ins Wallis eindrang.
Aber die erste Kolonne, die gegen Ulrichen (Goms) vorrückte, wurde dank der Aufopferung des Hirten Thomas Riedi in Stücke gehauen, der dabei selbst das Leben verlor, nachdem er mit eigener Hand 40 Berner niedergemacht hatte. Der Kampf fand an der gleichen Stelle statt wie der von 1212. Am folgenden Tag zog sich die Abteilung, die über den Sanetsch und Rawil herübergedrungen war, ohne Schwertstreich zurück. Durch die Vermittlung Amadeus' VII. verpflichteten sich die Walliser, dem Herrn von Raron seine Besitzungen zurückzugeben.
Doch die Macht des Hauses Raron war für immer gebrochen. Wenige Jahre später (1446) erschienen mehr als 2000 Landleute vor dem bischöflichen Schloss zu Naters und ertrotzten vom Bischof Wilhelm von Raron die berühmten Artikel von Naters, welche den bischöflichen Rechten bedeutende Einbusse zufügten und das demokratische Prinzip in der Regierung des Landes wesentlich stärkten. Zwar wurden diese Artikel anlässlich der Wahl des Nachfolgers, Heinrich Esperlin (1451), von den Patrioten formell aufgehoben, aber tatsächlich doch bis zu den neuen Statuten des Kardinals Schinner als das geltende Landrecht betrachtet. Im Jahr 1475, unter der Herzogin Jolantha, besetzte ein Heer von 10000 Mann unter dem Kommando des Bischofs von Genf, Johann Ludwig von Savoyen, das Schloss Conthey.
Diese Besatzung forderte durch unverschämte Briefe den Bischof und die «guten Leute» von Sitten heraus. Eine Abteilung derselben fiel in das Plateau von Savièse ein, wo sämtliche Dörfer eingeäschert wurden. Da ward Alarm geschlagen; eine Schar von 4000 Wallisern und einigen Graubündnern versuchten ohne grossen Erfolg, Sitten zu verteidigen, als eine aus Bernern und Solothurnern bestehende Verstärkung, die über den Sanetsch herkam, ihren Mut neu belebte. Die Savoyarden wurden auf der Planta unmittelbar vor der Stadt geschlagen (13. November), flohen dem Genfersee zu und sahen die 16 Schlösser, die sie im Thal besassen, in Flammen auflodern. Von der Morge wurde die Grenze des Wallis an die Brücke von Saint Maurice verlegt.
Die innere Sicherheit wurde durch den Beginn der Mailänderkriege und der Söldnerwerbungen getrübt; die hauptsächlich dabei beteiligten Agenten, Bischof Jost von Silenen, Kardinal Schinner und Georg Supersaxo wurden der Reihe nach durch die Mazze verbannt. Auf diese Periode, die vorzugsweise durch äussere Ereignisse gekennzeichnet wird, folgt die der Reformation. Im Vorbeigehen wollen wir bemerken, dass die Eroberung des Bezirks Aigle durch die Berner, die sich beeilten, hier die Reformation einzuführen, diesen Teil der Diözese Sitten von nun an von den politischen Geschicken des Wallis absonderte.
Dagegen rückten 1536, während die Berner sich des Waadtlandes bemächtigten, die Walliser auf dem linken Ufer der Rhone und des Genfersees bis an die Dranse bei Thonon vor. Doch wurde durch einen den in dieser Stadt unterzeichneten Vertrag das Gebiet von Évian dem Herzog von Savoyen zurückgegeben und die Grenze bis arg die Morge bei Saint Gingolph rückwärts verlegt, unter der Bedingung, dass Savoyen auf alle Ansprüche im Rhonethal Verzicht leiste.
Bis in die letzten Jahre hatten die Geschichtsforscher die Einzelheiten der Religionsstreitigkeiten, die ein ganzes Jahrhundert lang den Frieden im Wallis störten, nur sehr unvollständig aufgedeckt. Die 1904 erschienene Histoire moderne du Valais vom Chorherrn Antoine Grenat und die verdienstvolle Arbeit Grüters über den Anteil der katholischen und protestantischen Orte der Eidgenossenschaft an den religiösen und politischen Kämpfen im Wallis während 1600-1613 werfen ein völlig neues Licht auf diese Periode; doch sind auch in diesen Werken gerade die Urkunden des Landes selbst noch viel zu wenig benützt, um ein abschliessendes Urteil über die ebenso interessante als bewegte Zeit unsrer Geschichte zu gestatten. Wir sehen, dass der Papst Klemens VII. dem Kapitel von Sitten 1526 befiehlt, summarisch gegen die Leute vorzugehen, die abergläubischen Uebungen ergeben sind, gegen die Lutheraner und Häretiker. Nach ¶