mehr
einhundert, sind Zugvögel, so die Brand-, Spiess-, Löffel-, Tafel-, Pfeif-, Berg- und Eisente, die Säger (Mergus) und die Seeschwalben; oder auch Wintergäste, wie die Steissfüsse (Podiceps), die Sammet- und Trauerente, die Möven (Larus) und die Seetaucher (Colymbus).
Reptilien: Die grüne Eidechse bewohnt das Hauptthal bis Brig und die südl. Nebenthäler bis 1300 m hinauf. Blindschleiche, Zaun- und Mauereidechse sind überall häufig. In den Alpen findet man die Bergeidechse (Lacerta vivipara), welche bis 3000 m hinaufsteigt. Unter den Ophidien erwähnen wir zwei südliche Arten: die hie und da im Rhonethal auftretende, seltene Zamenis oder gelbgrüne Natter (Zamenis viridiflavus) und die gelbliche Natter (Elaphus Aesculapii) von Martinach bis Brig. An den Bergabhängen sonnen sich bis 1250 m hinauf die Ringelnatter (Tropidonotus natrix), die Vipernatter (T. viperinus) und die glatte Natter (Coronella laevis); Kreuzotter (Pelias Berus) und Redische Viper ( Vipera aspis) sind an sonnigen Orten nicht selten, diese in der tiefern Region, jene bis in die Alpen (2000-2300 m) hinauf.
Ein schönes Exemplar der europäischen Schildkröte (Cestudo europaea), das im Sumpf von Vouvry aufgefunden wurde, befindet sich im Museum von Lausanne; das Bürgerrecht dieser Art ist aber bei uns von Fatio entscheidend in Zweifel gezogen worden. Die Batrachier sind, der Kälte der Gletscherwasser wegen, eher selten, mit Ausnahme der stark sonnigen und weniger tiefen Lachen. Der grüne, der braune und der Laubfrosch, die gemeine, die Kreuz- und die Feuerkröte sind sehr verbreitet, seltener dagegen der Springfrosch (Rana agilis). Der gefleckte Salamander ist bis 1500 m, der schwarze Salamander in den Alpen überall häufig zu finden. Der gemeine Molch (Triton cristatus) lebt in den Pfützen der Ebene, der Bergmolch in den kleinen Alpenseen bis 2500 m Höhe.
Von Fischen findet man in den Fluss- und Bachläufen fast einzig bloss die Forelle, in den Kanälen und Teichen der Ebene dagegen die Schleihe (Tinca vulgaris). Im übrigen vergl. man das Verzeichnis der Fische des Rhonebeckens im 4. Band dieses Lexikons (Seite 730). Seit der Epidemie, welche gegen das Jahr 1880 die Krebse fast gänzlich verschwinden liess, waren diese in den Kanälen und übrigen Wasseradern der unteren Ebene sehr selten; jetzt fangen sie freilich wieder an, häufig zu werden.
Unter den Weichtieren bewohnen die Teichmuscheln (Anodonta anotina, A. cyanea und A. cellensis), die Scheibenschnecken (Planorbis) und die Sumpfschnecken (Limnaea) die Ufer des Genfersees und der alten Rhonearme.
Die Insektenfauna ist sehr abwechslungsreich und reich an südl. Arten. Namentlich das Hauptthal von Martinach bis Siders und die untern Stufen der Seitenthäler weisen ein starkes Verhältnis mediterraner Arten auf. Unter den Käfern - 4000 Arten und Abarten - erwähnen wir Lebia cyathigera, Harpalus patruclis, Dendarus tristis, Helops coeruleus, Omophlus curvipes, Capnodis tenebrionis, die Mylabrus, Zonitis und Titubaea, Chrysomela americana. Von den Halbflüglern (Hemiptern) seien genannt Leprosoma inconspicuum aus dem südl. Russland (in Siders) und besonders drei Zikaden (Cicada orni, C. viridinervis und C. haematodes), die von Martinach bis Siders sehr zahlreich auftreten, wo sie uns während den warmen Tagesstunden mit ihrem Chorgesang betäuben.
Auf der waadtländischen Seite von Bex bis Yvorne noch häufig, fehlen sie weiter gegen Norden. Unter den Gradflüglern (70 Arten) erwähnen wir: die Fangheuschrecke oder Gottesanbeterin (Mantis religiosa), die die gleichen Regionen bewohnt, sowie mehrere Feldheuschrecken (Acridium), den (nördl. Valence fehlenden) Pachytulus nigrofasciatus und den P. cinerascens, dann den Gryllus burdigalensis. Netzflügler (Neuroptern): Ascalaphus macaronius und A. coccajus, die Ameisenlöwen (Myrmeleon) und die Acanthoclisis occitanica, ein grosser mediterraner Ameisenlöwe, der in Sitten und Siders beobachtet worden ist.
Die Zweiflügler sind noch wenig erforscht, doch hat man schon manche Art beobachtet, welche man zwischen Saint Maurice und Lyon umsonst suchen würde. Unter den Hautflüglern (Hymenoptern) nennen wir als ziemlich häufig Colletes canescens und Halictus platycestus, deren Heimat N.-Afrika ist, ferner Anthrena incisa (aus Turkestan), in Siders ziemlich häufig. Alle drei sind anderswo in Europa unbekannt (Halictus platycestus ist sehr selten schon in Portugal beobachtet worden).
Die Schmetterlingsfauna umfasst, ausser 1000 und mehr Kleinfalter (Mikrolepidoptern), etwa 1600 eigentliche Schmetterlinge (Makrolepidoptern), darunter 300 südl. Arten, von denen 120 sich in der Schweiz nicht mehr finden, sowie ungefähr 40 autochthone Arten und Abarten. Unter den zwei letzten Gruppen seien erwähnt: Euchloë Belia v. simplonia, Lycaena Lycidas und L. Jolas, Melitea berisalensis, Erebia Evias und E. Christii, Deilephila hippophaes, Zygaena ephialtes, Setina riffelensis; Arctia Cervini und A. maculosa v. simplonica, Agrotis valesiaca und A. Andereggii, Polia canescens und P. dubia, Episema glaucina v. hispana, Cucullia Santeniei v. odorata, Eurhipia adulatrix, Euterpia Landeti, Hemerophila nycthemeraria, Ortholitha vicinaria u. s. w.
Unter den Spinnentieren seien einige südl. Arten erwähnt: Eresus niger, Araneus (Epeira) Circe, Thomisus albus (auch im Tessin), Coelotes Atropos und eine kleine Milbe, Rhyncholophus plumipes aus Algerien. Endlich der Skorpion (Euscorpius italicus), welcher das Zwischbergenthal bewohnt und von V. Fatio auch in Sitten erwähnt wird. Seitdem hat ihn H. Jullien aus Genf in den Häusern und Scheunen von Châteauneuf bei Sitten massenhaft gefunden.
Diese ganze mediterrane Fauna muss nach der Gletscherzeit von S. her ins Rhonethal eingedrungen sein, und zwar während einer xerothermischen Steppenperiode. Nach deren Verschwinden liess das Sinken der Temperatur diese Arten aus den Zwischenregionen verschwinden, während sie sich im Unterwallis dank dem ausnahmsweise günstigen Klima dieser Gegend bis heute zu halten vermocht haben.
Je höher wir dagegen in die Alpen hinaufsteigen, sehen wir immer zahlreichere Arten aus dem Norden von Europa erscheinen. Ueberall begleitet die Fauna die Flora und steigt sogar noch darüber hinauf. In Gebieten, wo die mittlere Jahrestemperatur -1° bis -2° beträgt (Monte Moropass, Col de Fenêtre, Grosser St. Bernhard) und noch höher bis 2500-2800 m ist das tierische Leben noch immer ziemlich verbreitet. Den letzten Vertretern der Wirbeltiere (Schneemaus, Schneehase, Schneehuhn, Alpenkrähe) gesellen sich hier zahlreiche Gliedertiere bei.
Unter den Steinen, in den Pfützen und beim schmelzenden Schnee findet man viele Käfer, wie Laufkäfer (Carabus depressus und C. bernhardinus), verschiedene Nebria, Trechus Dichotrachelus (eine der Schneeregion spezifische Gattung), mehrere Aphodius; dann zahlreiche Schmetterlinge: Antocharis simplonia, Arctia Cervini (3000 m), Agrotis culminicola, Argynnis Pales, Erebia glacialis. Syrichthus cacaliae und S. andromedae, Zygaena exulans, Plusia devergens, Pygmaena fusca etc.; ferner den merkwürdigen Gletscherfloh (Desoria glacialis), mehrere Spinnentiere, Jagdspinnen und Luchsspinnen, Milben, Lycosa blanda, Megabunus rhinoceros etc. Vergl. den Art. über die Fauna der Alpen im 1. Band dieses Lexikons.
Bibliographie. Wirbeltiere: Fatio, V. Faune des Vertébrés de la Suisse. 6 vol. Genève et Bâle 1869-1904. - Arthropoden: Favre, E. Faune des Coléoptères du Valais. Zürich 1890. - Favre, E. Catalogue des Lépidoptères du Valais. Schaffhausen 1899. - Favre, E. Catalogue des Microlépidoptères du Valais (im Bulletin de la Soc. Murith. du Valais. 1907, 1909). - Mayer-Dür: Ein Blick über die schweizerische Orthopteren-Fauna. Bern 1859. - Forel, F. A. Le lac Léman; précis scientifique. Genève 1886. - Forel, F. A. Le Léman; monographie limnologique. Vol. III. Lausanne 1901. - Siehe ausserdem das Bulletin de la Société entomologique suisse und das Bulletin de la Société Murithienne du Valais. In Vorbereitung: Lessert, Roger de. Catalogue des araignées de la Suisse.
[Prof. H. Jaccard.]
9. Bevölkerung.
a) Anthropologie.
In anthropologischer Hinsicht ist das Wallis ohne Zweifel einer der interessantesten Kantone der Schweiz. Leider ist es noch nicht vollständig erforscht. Seine erste Bevölkerung stammt wahrscheinlich aus der neolithischen oder der ¶
mehr
neueren Steinzeit. Während der ältern Quaternärzeit erfüllte der Rhonegletscher mit seinen Seitengletschern das ganze Thalsystem. Die erste Gegend des Wallis, wo menschliche Reste gefunden worden sind, ist die Grotte du Sex bei Villeneuve. Sie gehört dem Magdalénien an. Es muss zum Voraus bemerkt werden, dass Skelettreste aus prähistorischer Zeit fast vollständig fehlen. Alte Gräber sind freilich an verschiedenen Orten aufgedeckt worden, doch wurden die Knochenreste, die sie enthielten, fast alle zerstreut.
Was jeder einlässlichen anthropologischen Untersuchung voraus die Existenz von Bevölkerungen verschiedenen Ursprunges im Wallis vermuten lässt, ist die Verschiedenheit der Sitten und Gebräuche, der Trachten und der Bauart der Wohnungen. Von Thal zu Thal können diese ethnischen Eigentümlichkeiten sehr verschieden sein. Auch der physische Typus der Bevölkerung ist nicht einheitlich. Diese Beobachtung ist schon oft gemacht worden, hauptsächlich von den Malern, welche zu sehen gelernt haben. In den letzten Jahren hat man aus der Aehnlichkeit von Zeichnungen, Symbolen oder Gegenständen des häuslichen Gebrauchs Beweise für die Besiedelung des Kantons durch Leute, die aus entfernten Gegenden hergezogen wären, herleiten wollen. Wir glauben aber, dass man auf dieser Bahn sehr vorsichtig sein muss.
Liefert uns die alte Geschichte und Geographie irgendwelche wichtige Dokumente, welche geeignet wären, einiges Licht auf die Volksstämme zu werfen, die dem Wallis seinen ethnischen Charakter aufgeprägt haben könnten?
Einige Autoren haben angenommen, dass das Wallis von W. nach O. durch das Rhonethal hinauf bevölkert worden sei und dass die Einwanderer, dem siegreich vordringenden Pflanzenteppich folgend, dem Fluss entlang im Thal aufwärts gestiegen seien in dem Masse, wie sich die diluvialen Gletscher zurückgezogen hätten. Wir glauben genau das Gegenteil, besonders für die Holozänperiode. Die ersten Bewohner, zum mindesten die, welche in grösserer Zahl vorhanden waren, müssen diejenige Bevölkerung gebildet haben, welche die Bronze über die Alpenpässe eingeführt hat, nachdem sie dem Thal der Donau und der ungarischen Ebene gefolgt war.
Dieser Handelsstrom wurde auch zur ethnischen Strömung. Es muss daran erinnert werden, dass die Bronze durch eine dolichozephale Bevölkerung in die Schweiz eingeführt worden zu sein scheint, und gegen das Ende dieser Periode eine brachyzephale Bevölkerung (Neobrachyzephalen) die erstere verdrängt hat (vergl. darüber das Kapitel Physische Anthropologie des Art. Schweiz in diesem Lexikon). Die ersten Völkerschaften, über welche wir geschichtliche Nachrichten besitzen, sollen nach den alten Autoren die Ligurer und Kelten gewesen sein.
Die Ligurer würden nach gewissen Anthropologen diejenige Bevölkerung darstellen, welche auf unsern Seen sowie auf den Seen Oberitaliens die Pfahlbauten der Bronzezeit bewohnt hätte. Sie wären nach Gallien vorgedrungen einerseits durch die Schweiz und das Rhonethal, andrerseits von Norditalien her über die Alpenpässe von Savoyen bis nach den Seealpen. (Vergl. G. Hervé: Ethnogénie des populations françaises in der Revue de l'École d'Anthropologie. Paris 1896).
Die griechischen und römischen Geographen und Historiker geben an, dass sich die Ligurer in den Schweizeralpen niedergelassen hätten. Strabo zählte unter diese Völker die Bewohner der vom Monte Viso bis zum Mont Cenis reichenden Cottischen Alpen, d. h. die Caturiger und die Centronen an der westl. Gebirgsflanke, entsprechend den Gebieten von Embrun und der Tarentaise. Zu ihnen stellte er die Salasser aus dem Aostathal, sowie die Veragrer und die Nantuaten als die alten Bewohner des Unterwallis und von Chablais.
Verschiedene Schriftsteller scheinen dieser ligurischen Rasse, bevor man ihre Existenz in Frage gezogen hat, einige schweizerische brachyzephale Schädel zugeschrieben zu haben, welche im westl. und östl. Teil unsres Landes gefunden worden waren. Hierher wurde auch der sog. Typus von Disentis gestellt, den Rütimeyer und His geschaffen. Zwar haben die letztern selbst ihren Typus nicht dem ligurischen zugeschrieben. Sie schienen vielmehr geneigt, in den Brachyzephalen der rätischen Alpen Nachkommen von Alemannen zu erkennen, welche vom 5. bis ins 13. Jahrhundert n. Chr. in diese Berge eingewandert wären (vergl. Lagneau: Anthropologie de la France im Dictionnaire encyclopéd. des sciences médicales. Paris 1879, pag. 604. - Rütimeyer und His: Crania helvetica. 1864. - Alix: Rapport sur Crania helvetica im Bull. de la Soc. d'Anthrop. V).
Was die keltische Rasse betrifft, d. h. die zweite ethnische Völkergruppe, mit welcher von unserm Gesichtspunkt aus die Bewohner des Wallis und der Südschweiz in Zusammenhang gebracht werden könnte, so weiss man zur Genüge, wie viele Tinte dieser Frage wegen geflossen und wie wenig sie bis jetzt aufgeklärt ist.
Man hat zuerst die Repräsentanten dieser Rasse als kleine Brachyzephalen mit braunen Haaren, dann als grosse und blonde Dolichozephalen betrachtet; nachher ist man wieder auf die erstere Ansicht zurückgekommen. Unter dem Keltenreich der alten Schriftsteller (Diodorus Siculus, Plinius etc.) figurieren die Helvetier als eine mächtige Nation im O. der Sequaner, die sich über den grössten Teil der heutigen Schweiz vom Genfersee bis zum Rhein ausdehnte.
Wir lassen die Namen der Völker beiseite, welche in der Nachbarschaft des Wallis wohnten. Das Studium der alten Texte macht in Bezug hierauf den Eindruck eines unlösbaren Wirrwars. Auch für das Wallis allein, das doch ein ziemlich gut umschriebenes Gebiet darstellt, muss eingestanden werden, dass die Unsicherheiten weit davon entfernt sind, zu verschwinden. Polybius nennt die Ardyer als Bewohner des Berglandes nahe den Rhonequellen: «Das Wasser (die Rhone) durchfliesst ein ganzes Thal, dessen N.-Seite die Gallier, genannt Ardyer bewohnen».
Festus (zitiert von Boccard) gibt uns nur die Namen von 4 andern Stämmen: Tylangier, Chabilliconer, Daliternier und Temenier, ohne dass man aber die Gegenden bezeichnen könnte, wo dieselben ihren Wohnsitz gehabt hätten (Boccard: Histoire du Valais avant et pendant l'ère chrétienne jusqu'à nos jours. Genève 1844). Diese Namen machten andern Platz. Viberer, Seduner, Veragrer und Nantuaten waren zur Zeit Cäsars die Namen der (keltischen?) Volksstämme, welche die ganze Ausdehnung des Thales von der Quelle der Rhone bis zu ihrer Mündung in den Lemansee einnahmen.
Die Viberer bewohnten den nordöstl. Teil des Kantons (den heutigen Bezirken Goms, Oestlich Raron und Brig entsprechend);
die Seduner hatten das heutige Gebiet der Bezirke Visp, Westlich Raron, Leuk, Siders und Sitten bis zur Morge inne;
die Veragrer breiteten sich über die Region aus, welche zwischen diesem Wildwasser und dem Wildbach von Mauvoisin oberhalb Saint-Maurice liegt;
die Nantuaten endlich wohnten von diesem Punkt auf beiden Seiten des Flusses bis zum Genfersee hinunter.
Ohne dem, was weiter unten gesagt wird, vorzugreifen kann man hier schon aussprechen, dass die anthropologischen Merkmale der Bevölkerung, welche diese Gegenden heute bewohnt und zu einem sehr grossen Teil die Nachkommen der mit so verschiedenen Namen belegten Völkergruppen darstellt, eine ziemlich bemerkenswerte Einheitlichkeit aufweisen.
Seit der Regierung des Kaisers Augustus hat das Wallis ¶
mehr
nur noch eine allgemeine Bezeichnung: das penninische Thal (Vallis poenina). Aber die alten Namen der Volksstämme bestehen zu dieser Zeit noch, indem die Nantuaten und Seduner den Augustus als ihren Schutzherrn und Vater erklärten (die betr. Inschriften finden sich in dem bereits erwähnten Werk von Boccard).
Barbarische Völker dringen nun in das Wallis ein. Im Jahr 407 erscheinen die Vandalen, von germanischer Rasse (und anthropologisch vom kymrischen Typus) nach den Einen 1), von sarmatischer Rasse nach den andern. ^[1) Im Jahr 405 zeigten sich die Vandalen und Alanen am Ufer des Rheins, wurden hier aber von den Alemannen und Franken aufgehalten. Es scheint, dass einige ihrer Horden bis in das Rhonethal vorgedrungen seien.] Im Jahr 413 sind es die Burgunder. Nach dem Vorschlag des Aëtius, sie von den Ufern des Rheins in das Land der Helvetier zu bringen, liessen sie sich in verschiedenen Gegenden nieder, besonders auch im Rhonethal. 569 drangen die Longobarden über den Simplon erobernd in das Wallis ein.
Hat sich dieses Volk wirklich im Wallis niedergelassen? Nachdem sie gezwungen worden waren, das Gebiet zu verlassen, kamen sie im Jahr 574 über den Grossen St. Bernhard wieder. Gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts sind es die Sarazenen, die über die Alpenpässe in das Rhonethal eindrangen. Nach verschiedenen Wechselfällen scheinen sie sich hier endgiltig festgesetzt zu haben und als Ackerbauer sesshaft geworden zu sein (vergl. Gremaud: Documents relatifs à l'histoire du Valais. Tome I). Wir könnten diese Liste noch fortsetzen. Es scheint uns aber, dass sie genüge, um zu zeigen, wie die Anthropologie des Wallis äusserst schwer zu entziffern wäre, wenn alle die zitierten Namen der Völkerschaften einen ethnischen Wert hätten. Glücklicherweise darf daran erinnert werden, dass alle diese Namen nur politischen Wert haben und keineswegs zugleich auch ethnische Einheiten darstellen.
Wenn wir nach dem heutigen Stand unsrer Kenntnisse die Volksschläge von gleicher «Rasse» vereinigen, werden wir es mit zwei Hauptgruppen zu tun haben, wozu sich vielleicht noch drei andre Gruppen von geringerer ethnischer Wichtigkeit gesellen. Diese Hauptgruppen wären:
1) Die keltische Gruppe (Urbevölkerung: Nantuaten, Veragrer, Seduner, Viberer etc.; wahrscheinlich vertreten durch die Brachyzephalen);
2) die kymrische Gruppe (germanische «Rassen»),
die zu verschiedenen Epochen unter dem Namen der Burgunder, Franken, Alemannen, Longobarden in das Land eingedrungen waren (wahrscheinlich vertreten durch die Dolichozephalen). Was die Gruppen zweiter Ordnung anbetrifft, würden sie, wenn sie wirklich existieren, ihre Vorfahren in der «sarmatischen Rasse» (Vandalen),
in den sog. «ural-altaischen Rassen» (Hunnen) und in den «syrisch-arabischen Rassen» (Sarazenen) haben. Psychologisch werden die anthropologischen Forschungen im Wallis noch dadurch erschwert, dass man gerne die Tendenz hat, dort Rassen zu suchen, nämlich eben diejenigen, deren Namen zum Teil bereits erwähnt worden sind. Man muss sich dieses Vorurteiles ein für allemal entledigen; nirgends wie hier ist ein objektives Studium das einzig wissenschaftliche.
Der Kanton Wallis ist gewiss in anthropologischer Hinsicht der bestbekannte Kanton der Schweiz. Man muss aber daraus nicht schliessen, dass man nun wunderbar gut unterrichtet sei und nach Belieben definitive Schlussfolgerungen ziehen könne. Bis zum Jahr 1896, dem Zeitpunkt des Beginnes unsrer persönlichen Forschungen, waren erst zwei Arbeiten über dieses Gebiet erschienen (Scholl: Ueber rätische und einige andre alpine Schädelformen. Jena 1892. - Bedot: Notes anthropologiques sur le Valais im Bull. de la Soc. d'Anthrop. 1895; mit einer Ergänzung vom Jahr 1898 in dem selben Bulletin). Die erstere betrifft die Schädel, welche im Beinhaus von Saas Im Grund enthalten sind; die zweite ist eine Untersuchung über Grösse, Schädelindex und Haarfarbe bei den Rekruten.
Während zehn Jahren ist das Wallis unser hauptsächlichstes wissenschaftliches Untersuchungsobjekt gewesen. Wir haben es systematisch untersucht, und zwar zuerst das Rhonethal, dann die Seitenthäler. Wir haben noch nicht alle unsre Beobachtungsresultate veröffentlicht.
Die mittlere Grösse des Walliser (der Kanton als ganzes genommen) ist 1,63 m. Diese Zahl ist mit Hilfe von Messungsserien gewonnen worden, die von Rekrutierungen verschiedener Jahre herrühren. Die Abweichungen betreffen nur die dritte Dezimale (1,632-1,633 m). Man kann annehmen, dass diese Zahl für die jungen Männer im Alter von 19 Jahren definitiv sei. Der mittlere Wuchs der Erwachsenen dürfte etwas grösser sein. Um wieviel? Wir wissen darüber absolut nichts.
Die Regel von Quételet, nach welcher man 15 mm zugeben muss, um die definitive Grösse zu erhalten, kann wahrscheinlich hier nicht verwendet werden. Wenn wir den Kanton nach seinen beiden Sprachgebieten trennen (eine Einteilung übrigens, die nicht wissenschaftlich ist), so können wir feststellen, dass der östl. Teil (das deutsche Sprachgebiet) eine mittlere Körpergrösse (1,64 m) aufweist, die um etwas grösser ist als diejenige des westl. Teiles (französisches Sprachgebiet; 1,63 m). Im gleichen Alter von 19 Jahren ist also der Oberwalliser von etwas grösserem Wuchs als der Unterwalliser. Dieser Unterschied in der Körpergrösse bleibt noch zu erklären. Haben die Gegenden des Oberwallis, welche wahrscheinlich schärfern Brachyzephalismus aufweisen, zugleich als Begleiterscheinung das andre anthropologische Charakterzeichen einer höheren Statur? Gewisse Anzeichen machen diese Hypothese wahrscheinlich.
Die Untersuchung der Körpergrösse nach Bezirken zeigt, dass das Goms mit 1,658 m an der Spitze steht, einer Statur, die für das Wallis verhältnismässig sehr gross ist. Der Bezirk Siders steht mit 1,612 m am Schluss. Eine bezirksweise Untersuchung der Körpergrösse wäre von hohem Interesse. Es wäre namentlich interessant zu wissen, aus welchen Gründen man von Bezirk zu Bezirk solche Unterschiede konstatieren kann. Als bemerkenswerte Tatsache erscheint dabei, dass der Bezirk Siders in Bezug auf den Schädelindex nicht homogen ist. Der höchste Wuchs der Walliser scheint zwischen den Höhen von ¶
mehr
1250 bis 1600 m beobachtet worden zu sein. Die Anwohner des linken Abhanges des Rhonethales (Abhang der Walliseralpen) haben einen höhern Wuchs (1,638 m) als diejenigen der rechten Thalseite (Abhang der Berneralpen) mit einer Grösse von 1,628 m. Es ist zu bemerken, dass der letztere Abhang der stärker besonnte ist. Fügen wir ganz allgemein noch bei, dass im kristallinen Bodengebiet, welches doch für die Entwicklung der Körpergrösse weniger günstig scheinen sollte, Bewohner sitzen, deren Wuchs beträchtlicher ist (1,633 m) als derjenige (1,621 m) der Bewohner der Kalkgebiete (vergl. Eug. Pittard: Influence du milieu géographique sur le développement de la taille humaine im Compte Rendu de l'Assoc. franç. pour l'avancem. des sciences. 1906. - Eug. Pittard et O. Karmin: La taille humaine en Suisse. I. Le canton du Valais in der Zeitschrift für schweizer. Statistik. 1907).
Die bestbekannten anthropologischen Merkmale des Walliserschädels sind diejenigen, welche im Rhonethal untersucht worden sind. Einerseits sind alle noch in der Gegend existierenden Beinhäuser von Eugen Pittard untersucht worden (vergl. hauptsächlich dessen Recherches d'anatomie comparative sur diverses séries de crânes anciens de la vallée du Rhône im Bull. de la Soc. Neuchâteloise de Géogr. 1899; ferner Résumé de cinq études de crânes anciens de la vallée du Rhône in der Revue de l'École d'Anthropol. de Paris 1901); andrerseits ist die lebende Bevölkerung an vielen Orten von dem selben Autor und von M. Bedot gemessen worden.
Die Ergebnisse unsrer Messungen und Untersuchungen lassen sich in folgenden Schlüssen wiedergeben. Die Walliser des Rhonethales sind oder waren in ihrer sehr grossen Mehrzahl brachyzephal. Diese Brachyzephalie ist (im Mittel) sogar eine der ausgesprochensten, die man für alle die verschiedenen Gruppen kennt, welche dieses Merkmal besitzen. Zusammen mit den Savoyarden, den Auvergnaten, den Tirolern, den Graubündnern etc. gehören die Walliser also zu dem Typus, den man das anthropologische Keltentum nennen kann. Der brachyzephale Schädel steht in Wechselbeziehung mit einem Gesicht, das sowohl dem leptoprosopen wie dem chamaeprosopen Typus angehören kann. Der Durchschnitt weist auf Leptoprosopie. Aber je mehr die Brachyzephalie zunimmt, um so mehr nimmt die Leptoprosopie ab.
Für das Rhonethal verteilt sich der Schädelindex annähernd folgendermassen:
% | |
---|---|
Dolichozephalen | 1.50 |
Subdolichozephalen | 2.80 |
Mesozephalen | 9.09 |
Subbrachyzephalen | 27.58 |
Brachyzephalen | 58.93 |
Die dolichozephalen Schädel bilden also eine ganz kleine Minderheit, während ungefähr 86% dem kurzen Typus angehören. Um die extreme Brachyzephalie dieser Walliser Schädel zu demonstrieren, kann man beifügen, dass, wenn man auch nur diejenigen, deren Index 85 übersteigt, in Berücksichtigung zieht, dieselben immer noch 51,09% von der ganzen Serie und 58% der ausschliesslich Brachyzephalen ausmachen. Die beigefügte graphische Darstellung, die sich auf 322 Schädel bezieht, dient dazu, das Vorherrschen des brachyzephalen Typus zu zeigen. Die dolichozephalen und selbst die mosozephalen Schädel bilden im Kanton Wallis Ausnahmen. Immerhin existieren einige Inseln, wo diese Formen numerisch gut vertreten sind, so z. B. Siders und Savièse. In Siders beträgt die Zahl der Dolichozephalen und Subdolichozephalen 11%, die der Mesozephalen 17,19%, was bei der Addition beider Ziffern gegen die allgemeine Serie ¶
mehr
des Rhonethales das Verhältnis 28% zu 13% ergibt.
Welches ist nun der Ursprung dieser dolichozephalen und mesozephalen Schädel des Wallis? Die anthropologischen Untersuchungen im Wallis gehen noch nicht genügend ins einzelne, um auf diese Frage eine endgiltige Antwort zu geben. Zunächst müssen wir die prähistorischen Dolichozephalen beiseite lassen, über welche wir nichts oder fast nichts wissen, obwohl sie sicherlich existiert haben. Was die Dolichozephalen der historischen Zeit anbetrifft, welche einigen Teilen der Walliser Bevölkerung ihren ethnischen Charakter haben aufprägen können, so wären hier vielleicht die Burgunder und die Franken zu nennen.
Diese Volksstämme sind die Vertreter des kymrischen Typus. Ihr numerisches Uebergewicht bei den Invasionen mag so gross gewesen sein, dass ihr Blut in der sonst so ausschliesslich keltischen Bevölkerung einen Eindruck zurückgelassen hat. Das Studium der Dolichozephalen ist eine im Wallis noch vorzunehmende Untersuchung (Eug. Pittard: Étude d'une série de 47 crânes dolichocéphales et mésaticéphales de la vallée du Rhône im Bull. de la Soc. Neuchâteloise de Géogr. 11, 1899).
Wir haben angegeben, die Leptoprosopie sei ein allgemeiner Charakterzug der Walliser Schädel. Wir können beifügen, dass letztere auch mesorrhin und megasem sind.
Die Seitenthäler sind viel weniger bekannt als das Rhonethal. Die anthropologischen Resultate, welche sich auf sie beziehen, sind noch nicht alle veröffentlicht. Immerhin werden die Resultate in den grossen Zügen die selben sein wie für das Rhonethal, nur mit dem Unterschied, dass die Merkmale der Brachyzephalie hier noch schärfer ausgesprochen sind. Zu diesem Schlusse ist auch Bedot bei seinen Untersuchungen der Walliser Rekruten gekommen.
Allerdings verändert zur heutigen Stunde das Wallis die anthropologischen Eigentümlichkeiten seiner Bewohner. Der ehedem abgeschlossene Kanton öffnet sich immer mehr der fremden Einwanderung. Der Durchstich des Simplon, derjenige des Lötschberg, die Schaffung zahlreicher Industrien führen Vertreter verschiedener Herkunft ins Land. Schon die Durchsicht der Familiennamen beweist dies mehr als genügend. Dieses Gebiet der Brachyzephalen empfängt besonders mit den Italienern des Südens zahlreiche dolichozephale Elemente, die sich hier fortzupflanzen beginnen. Diese friedliche Invasion ist vom anthropologischen Gesichtspunkt aus das Gegenbild der kriegerischen vergangener Zeiten. Es muss freilich beigefügt werden, dass unter diesen Einwanderern viele (besonders die Norditaliener) von der selben ethnischen Qualität sind wie die Walliser selbst. Wenn sie sich also im Wallis geschlechtlich vermischen, werden sie nicht viel an der Rasse dieses Kantons ändern.
[Dr Eugen Pittard.]
b) Bevölkerungsstatistik.
Die Bevölkerung des Wallis ist sehr zerstreut: 22 Einwohner auf den km2. In dieser Hinsicht lässt der Kanton nur zwei andre, von den Alpen vollständig umschlossene Kantone hinter sich: Uri mit 18 Ew. und Graubünden mit 15 Ew. auf den km2. Der im Verhältnis zu seiner Ausdehnung am meisten bevölkerte Bezirk ist derjenige von Sitten, welcher 77 Ew. auf den km2 im Jahr 1888 und 85 Ew. im Jahre 1900 hatte; der am wenigsten bevölkerte ist der Bezirk Goms mit 8 Ew. per km2. Der Kanton, dessen Bevölkerung nach der Zählung von 1900 114438 Seelen beträgt, hat im Lauf des 19. Jahrhunderts seine Einwohnerzahl verdoppelt, was die Zählungen von 1798 bis 1906 beweisen:
Jahr | Bevölkerung |
---|---|
1798 | 60344 |
1802 | 60051 |
1811 | 63533 |
1816 | 62909 |
1850 | 81559 |
1860 | 90792 |
1870 | 96722 |
1880 | 100190 |
1888 | 101985 |
1900 | 114438 |
1905 | 117514 |
1906 | 118185 |
Nach der Volkszählung von 1900 verteilen sich die 114438 Ew. der Wallis folgendermassen: 59005 männlichen Geschlechts, 55433 weiblichen Geschlechts;
112584 Katholiken, 1610 Reformierte, 25 Israeliten und 219 Andre;
74562 sprechen französisch, 34339 deutsch, 5469 italienisch, 13 rätoromanisch.
Die Zahl der Haushaltungen betrug 24772, verteilt auf 16564 Häuser. Auf 1000 Einwohner kommen im Mittel 458 unverheiratete im Alter von über 18 Jahren. 81795 Personen waren in ihrem Wohnort heimatberechtigt, 21030 stammen aus einer andern Gemeinde des Kantons, 3395 aus andern Kantonen, 8218 waren Ausländer. Landwirtschaft im allgemeinen Sinn, d. h. inbegriffen Viehzucht, Weinbau und Gärtnerei, beschäftigt 34348 Personen und sichert den Unterhalt von 78219 Ew. Der von 2575 Personen ausgeübte Handel ernährt deren 5148; der öffentliche Unterricht und die Erziehung beschäftigen 814 Personen, die schönen Künste 30 Männer und 4 Frauen, Medizin und Hygiene 213 Personen (102 Männer und 111 Frauen); die Industrie, an welcher sich 10057 Personen beteiligen, ernährt deren 19721.
Der Kanton Wallis hat nur eine Gemeinde, deren Bevölkerung 5000 Seelen übersteigt: Sitten (6048 Ew.); nur eine mit mehr als 4000 Ew.: Bagnes (4127 Ew.). Zwei weitere übersteigen 3000: Naters und Monthey (die erstere ist noch gezählt worden in der Zeit, da durch die am Durchstich des Simplon beschäftigten italienischen Arbeiter die normale Einwohnerzahl vervierfacht war. 7 andre Gemeinden besitzen mehr als 2000 Seelen, nämlich Conthey, Lens (seit der Zählung von 1900 in 4 Gemeinden aufgelöst), Orsières, Nendaz.
Savièse, Brig und Saint Maurice; 21 haben 1000 bis 1999 Einwohner: Salvan, Martigny Ville, Siders, Chamoson, Saxon, Leuk, Troistorrents, Fully, Ayent, Martigny Bourg, Vouvry, Martigny Combe, Ardon, Evolena, Chalais, Glis, Collombey-Muraz, Hérémence, Leytron, Liddes und Isérables. Da dies indessen ländliche Gemeinden mit weit zerstreuten Siedelungen sind, wird die Reihenfolge vollständig geändert, wenn es sich darum handelt, die hauptsächlichsten Ortschaften nach ihrer Wichtigkeit und Wohndichte aufzuzählen.
Derart wird manche Ortschaft von diesem Verzeichnis ausgemerzt, während andre auf Nachbargemeinden übergreifen und so ein grosses Ganzes bilden, das bei der gemeindeweisen Aufzählung nicht zu seinem Recht kommen kann. Im folgenden wollen wir auf Grund möglichst genauer Berechnungen die grössern Ortschaften des Wallis zusammenstellen: Sitten (Stadt) 5100, Naters 3900 (im Jahr 1900), Martigny (Ville, Bourg und Bâtiaz) 3500, Monthey 3000, Brig 2100, Saint Maurice 1800;
Le Châble (mit Villette und Le Cotterg) und Chamoson je 1250, Siders, Ardon und Saxon (Gottofrey und ¶
mehr
Dorf) je 1200, Vouvry 1150, Leuk 1050, Isérables 1000 Ew.
Die Zahl der Eheschliessungen betrug 751 im Jahr 1906. Die niedrigste Ziffer der 12 letzten Jahre war 579 (1896), die höchste betrug 786 (1901). Im Jahr 1906 betrug die Zahl der Lebendgebornen 3514, was einen Ueberschuss von 1151 Geburten über die 2363 Todesfälle bedeutet. Die Ehescheidungen bleiben selten, trotz einer leichten Zunahme, die übrigens keine Regelmässigkeit zeigt. Von 1880, wo nur 2 vorkamen, bis 1906, wo wir von dreien Kunde erhielten, schwankt ihre Zahl von Null bis zum Maximum 8 im Jahr 1900. 1894-1906 bewegte sich die Zahl der Geburten (inkl. Totgeburten) zwischen 3087 und 3715;
die der illegitimen Geburten zwischen 102 und 148;
die Totgeburten zwischen 46 und 97;
die Todesfälle (Totgeborne inbegriffen) zwischen 1890 und 2545;
Unfälle mit tötlichem Ausgang zwischen 54 und 108;
die Selbstmorde zwischen 4 und 16.
Infolge der äussersten Verschiedenheit der Bodenproduktion, wie auch der Entfernung von Industriezentren verteilt sich die Bevölkerung des Wallis nicht entsprechend den Höhenzonen, wie dies sonst in den meisten Gebirgsgegenden der Fall ist. Einesteils haben die beträchtliche Ausdehnung der hochgelegenen Alpweiden und die hervorragende Rolle, welche sie in der gesamten Volkswirtschaft des Landes spielen, den Bergbewohnern nicht erlaubt, sie für sich allein auszunützen; andrerseits haben die häufigen Ueberschwemmungen der Ebene immer wieder die Bevölkerung an den Fuss oder die Flanken der Thal- und Berggehänge zurückgedrängt, so dass die verschiedenen Volksgruppen, statt an ein und demselben Ort der durch die Landesnatur vorgeschriebenen Beschäftigung sich zu widmen, dazu gekommen sind, nach der Höhe zu nomadisieren.
Sehr selten sind die Marktflecken in der Ebene, deren Gemeindegebiet sich nicht bis zu den Gipfeln der Berge erhebt. So reicht Oberwald, die höchstgelegene Gemeinde des Rhonethales, bis zur Furka, zur Grimsel und zum Gerenpass und ziehen sich desgleichen die untersten Gemeinden im Thal, Port Valais und Saint Gingolph, vom Ufer des Genfersees bis zum Grat des Grammont hinauf. Auf diese Weise wird der Walliser abwechselnd oder gleichzeitig zum Hirten, Feldarbeiter und Winzer.
Wenn Ende September ein Familienglied auszieht, um die Milchprodukte von den Alpweiden am Rand der Gletscher von Trient, Combin, Grand Golliaz, Ferpècle oder der Dent Blanche zu holen, heimst ein andres zugleich um die Tour de la Bâtiaz, auf den Follatères und in den Umgebungen von Siders oder Sitten die Trauben ein. Wo die spätere Aufteilung der herrschaftlichen oder kommunalen Domänen diese oder jene Ortschaft etwa ihres Anteiles am Alpweidenbezirk beraubt hatte, tat man sich zum Zweck des Ankaufs solcher Weiden zu kapitalkräftigen Korporationen zusammen. So kommt es, dass man die Bewohner von Saillon ihr Vieh in den entlegensten Winkeln des Thales von Entrement «alpen» sieht und' dass einige Bauern aus Grimisuat das ihrige zu hinterst im Thal von Réchy «sömmern».
c) Landessprache.
Das Französische ist die Sprache der 8 Bezirke Monthey, Saint Maurice, Entremont, Martinach, Conthey, Hérens, Sitten und Siders; das Deutsche diejenige der 5 Bezirke Leuk, Raron, Visp, Brig und Goms. Bis vor kurzem bildete die letztere Sprache zwei bedeutende Inseln im Bezirk Sitten und eine im Bezirk Siders, aber es war dies nur die Folge beständiger Wanderungen, welche in den politischen Privilegien der obern Bezirke ihre Erklärung fanden. Die hohen bürgerlichen, kirchlichen und militärischen Aemter fielen nur den Angehörigen dieser letztern zu. Sie bildeten daher in der Hauptstadt, auf romanischem Boden, einen Kern deutscher Rasse, um welchen sich Bediente, Handwerksleute und Landarbeiter, sowie Schützlinge verschiedener Art aus den selben Gegenden ansammelten.
Das Dorf Bramois (Brämis) im Bezirk Sitten am linken Ufer der Rhone, dessen Bewohner noch zu ⅓ deutsch sprechen, verdankt diese Eigentümlichkeit der Einstellung von Pächtern, welche die Sittener Patrizier aus dem Oberwallis herbeizogen. Indem diese später Eigentümer der Heimwesen wurden, welche sie bebauten, haben sie mit der Heranziehung von Arbeitern aus den deutschen Bezirken fortgefahren. Das zeitweilige Vorherrschen der deutschen Sprache in Siders ist in gleicher Weise den häufigen Heiraten unter Leuten beider Sprachen und der Anwesenheit von Arbeitern und Handwerkern aus den obern Bezirken zuzuschreiben.
Während der Bezirk Sitten im Jahr 1889 noch 2217 deutschsprechende Personen bei einer Gesamtbevölkerung von 9311 Seelen zählte, hatte er 1900 nur noch deren 1763 auf 10871 Einwohner. Desgleichen hatte der Bezirk Siders, der zur selben Zeit 1157 Einwohner deutscher Zunge bei 9729 Seelen zählte, im Jahr 1900 nur noch 960 auf 11567. Auf 26 Gemeindeprimarschulen besitzt Sitten nur noch 4 deutsche (2 für Knaben und 2 für Mädchen) mit einer Gesamtzahl von 73 Knaben und 74 Mädchen.
Brämis hat auf insgesamt 4 Schulen eine deutsche mit 27 Schülern; Siders hat eine deutsche Knaben- und eine Mädchenklasse, mit im ganzen 51 Schülern, während seine 6 französischen Schulen im ganzen 252 Schüler zählen. Unterhalb der Raspille und des Pfinwaldes existiert keine andre deutsche Schule, ebenso auch keine einzige französische Primarschule im deutschen Gebiet. Immerhin ist der französische Spracheinfluss in den an der Eisenbahn liegenden Volkszentren des Oberwallis im Steigen begriffen, weil eben ein grosser Teil des Beamtenpersonals der welschschweizerischen Nationalität angehört. Zwar weisen auch die drei Bezirke Martinach, Saint Maurice und Monthey in den letzten Jahren ein erhebliches Anwachsen der Deutschen auf; aber die deutschen Einwanderer, meistens Pächter, Landarbeiter, Handwerker, Kleinhändler oder Dienstboten, vermögen dem französischen Einfluss keinen langen Widerstand entgegenzusetzen und gehen in der Regel in der zweiten Generation im Romanentum unter.
Hingegen hat sich von 1880 auf 1900 die Bevölkerung italienischer Zunge mehr als verfünffacht, indem sie von 1018 auf 5469 Seelen anstieg. Die grösste Zahl weist der Bezirk Brig auf, wo die Arbeiten am Simplontunnel eine starke augenblickliche Vermehrung erklären, der seit dem Tunneldurchstich ein Zurückgehen gefolgt ist. Es muss aber die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Eröffnung der Linie diesen Rückschlag bis zur nächsten Volkszählung zum Teil ausgleichen wird. Ueberhaupt macht sich die italienische Einwanderung in allen Teilen des Wallis fühlbar, wie folgende kleine Zusammenstellung zeigt, welche nur die drei westlichen Bezirke umfasst.
Es zählten Einwohner italienischer Zunge:
Bezirk | 1888 Ew. | 1900 Ew. |
---|---|---|
Martinach | 117 | 265 |
Saint Maurice | 28 | 445 |
Monthey | 199 | 525 |
Es ist von Interesse, daran zu erinnern, dass die französische Sprache während der ersten Zeit des Mittelalters im ganzen Wallis die herrschende war, was die Schriften von F. de Gingins, von V. van Berchem und selbst von Zimmerli beweisen. Aber seit dem 9. Jahrhundert liessen sich Einwanderer aus dem Thal der Reuss und dem Berner Oberland in dem noch sehr spärlich besiedelten Oberwallis nieder, wo sie nun das romanische Idiom verdrängten. Später machten die fortwährenden Feindseligkeiten mit Savoyen dieses letztere unpopulär.
Nach verschiedenen Wechselfällen folgte die Einmischung des Bischofs Supersaxo, welcher zur bessern Unterdrückung der Macht der Herzoge im Rhonethal das Französische als Amtssprache konsequent ausschloss, obwohl es damals (15. Jahrhundert) in Sitten und sogar bis hinter Leuk gesprochen wurde. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts an geht die Sprachgrenze gegen die Rhonequellen zurück. Die Gründe, welche ehemals die deutsche Sprache thalabwärts vorrücken liessen, existieren nicht mehr.
Die politische Vorherrschaft des Oberwallis ist verschwunden. Dagegen macht sich der wirtschaftliche Einfluss der welschen Kantone, der seit der Erbauung der Eisenbahn datiert, zum Nachteil der deutschen Schweiz fehlbar, mit welcher die Verbindungswege weniger leicht sind. Bei der Volkszählung von 1888 wies die Stadt Siders noch eine deutsche Mehrheit auf; 1900 ist die Majorität französisch. Es ist jedoch vorauszusehen, dass der Durchstich des Lötschberges das Zurückweichen der deutschen Sprache im Rhonethal ¶