Schluchten berühmten ungestümen
Wildbach Durnand, der im Bezirk selbst entspringende und auf eine Strecke weit die Grenze
gegen den Bezirk
Saint Maurice bildende
Trient mit der
Eau Noire als beträchtlichstem Nebenfluss und der aus dem
Val d'Isérables
kommende
Wildbach Fara. Von N. gehen der
Rhone zu die die Grenze gegen den Bezirk Conthey
bildende Lozence und
die von den Eisfeldern am
Grand und Petit
Muveran kommende
Salence, die zwischen
Saillon und
Leytron durch eine tiefe
Schlucht
auf die
Ebene austritt. In der Rhoneebene selbst findet sich ein verzweigtes Netz von Entwässerungs- und Bewässerungskanälen
(vergl. den Art. Martigny, Canaux de). Ehemalige Stücke des einstigen veränderlichen Rhonebettes sind
die
Sarvaz und der
Petit Rhône, die jetzt den Abfluss der beiderseitigen Altwasser vermitteln.
Die nahe beieinander gelegenen zwei Ortschaften
Martigny Ville und
Martigny Bourg haben sich lange Zeit die wirtschaftliche
Vorherrschaft streitig gemacht, die dieser Stelle des
Thales durch ihre geographische Lage von jeher zugekommen
ist. Dieser Kampf hat aber naturgemäss auch dazu beigetragen, den Aufschwung jedes der beiden Orte einigermassen zu hemmen.
Martigny Bourg hat infolge seiner günstigeren Lage zu den benachbarten Thalschaften bis heute den Montags-Wochenmarkt
beibehalten, während
Martigny Ville andererseits durch die Eisenbahn begünstigt erscheint und auch seine Bevölkerungsziffer
fühlbarer anwachsen sieht. An Bedeutung folgen sich im Bezirk Martigny Landwirtschaft, Handel und Industrie.
Diese wird in erster Linie durch die Fabrikation von Obst- und Gemüsekonserven in
Saxon vertreten.
Martigny Bourg hat eine
Teigwarenfabrik, zwei Gerbereien, mehrere
Sägen etc. Steinplatten- und Schieferbrüche in
Saxon und
Leytron, Marmorbrüche
in
Saillon. Die in den Gemeinden
Bovernier,
Martigny Bourg und
Martigny Ville während der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts lebhaft abgebauten
Brüche auf Protogin sind jetzt beinahe aufgegeben. Verhältnismässig wenig bedeutend
ist die Fremdenindustrie, die noch eines grösseren Aufschwunges fähig wäre, da Martigny der Sammelpunkt aller Touristen
ist, die die
Thäler von
Entremont, Bagnes,
Ferret, Chamonix und
Trient besuchen.
Von Fremdenstationen sind zu nennen
Martigny Ville,
Martigny Bourg, die
Bäder von
Saxon, die
Tête Noire und
Trient. Die nicht
mehr auf Boden des Bezirkes liegenden Stationen
Chemin und Le
Len sind doch durch ihre Zufahrtswege auf ihn angewiesen. In,
landwirtschaftlicher Hinsicht nimmt der Bezirk Martigny durch seine günstigen natürlichen Verhältnisse
und die daraus resultierende Mannigfaltigkeit seiner Produkte im Wallis
den ersten
Rang ein. Die bemerkenswert gut bewässerten grossen
Wiesen um
Martigny Ville und
Martigny Bourg sind die an Obstbäumen reichsten des ganzen Kantons und zeugen für die Pflege,
die die Bewohner und Behörden dem Landbau stetsfort angedeihen lassen. In gutem
Rufe stehen auch die
Weinberge von Martigny,
Saxon,
Leytron und besonders von
Fully.
Dieser letztere, der an der wärmsten Stelle des
Thales liegt, könnte noch weit bedeutender sein, wenn er nicht so stark
zerstückelt wäre; da er zum grössten Teil Eigentum von Kleinbauern aus den Thälern von
Bagnes und
Entremont ist, zerfällt er in eine Menge von ganz kleinen Parzellen, die ausserdem noch zu einer richtigen Bearbeitung
und Ausnutzung allzu weit vom Wohnort ihrer Besitzer entfernt liegen.
Gute Weinberge haben ferner das am jenseitigen Gehänge
des
Rhonethales befindliche
Charrat und das in einemWinkel des Dransethales geschützt gelegene
Bovernier.
Schöne
Wiesen in
Charrat. Die Konservenfabrik zu
Saxon besitzt ausgedehnte Felder. Baumschulen von Bollin. Landwirtschaftliche
Schule
Écône. Die Alpengemeinde
Isérables führt Getreide aus. Es vereinigen sich im Bezirk Martigny und besonders in der
Gemeinde
Fully auf einer verhältnismässig kleinen Fläche überhaupt die klimatischen Bedingungen des
nördlichen Europa und des mediterranen Frankreich, so dass wir hier nebeneinander den an einigen geschützten
Stellen noch
gut gedeihenden Maulbeerbaum, dann die
Rebe und Kastanie, den
Nussbaum, ferner Pfirsiche, Aprikosen, Spargeln, Birnen, Aepfel
etc. finden, die alle Gegenstand eines beträchtlichen Ausfuhrhandels bilden.
Die Korrektions- und Kanalisationsarbeiten
an der
Rhone und die mit Verständnis angelegten Entwässerungskanäle,
die meist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Angriff genommen worden sind, haben bereits einen grossen Abschnitt der
Ebene derart urbar gemacht und gesundheitlich gehoben, dass man allmählig zu vergessen beginnt, wie sehr gerade die
Ebene von Martigny seiner Zeit unter den Ueberschwemmungen durch die Hochwasser der
Rhone und
Dranse und
unter den stagnierenden Altwassern mit dem ganzen daraus resultierenden Elend (Fieber, Epidemien, Kretinismus, Armut und
Verzweiflung der Bewohner) gelitten hat.
Schon seit langer Zeit hat man die dem Sumpffieber am meisten unterworfenen Siedelungen entweder trocken gelegt und gesund
gemacht oder aber verlassen. Die wenigen
Dörfer, die heute noch keine Trinkwasserversorgung haben, werden
bis in etwa 2 Jahren ebenfalls mit einer solchen versehen sein. Viehzucht und Milchwirtschaft treiben die Gemeinden
Fully,
Saxon,
Leytron,
Saillon,
Riddes,
Isérables,
Bovernier,
Martigny Combe und
Trient. In den Gemeinden der
Ebene findet sich noch in
ziemlich umfangreichem Massstab Maultier- und Pferdezucht, die im
Rhonethal seit 1902 auch vom
Bund dadurch
gefördert wird, dass
er den Gemeinden
Aigle, Martigny,
Sitten und
Turtman Zuchtesel aus dem Poitou zur Verfügung gestellt hat.
Die Viehstatistik ergibt folgende Resultate:
1886
1896
1901
Rindvieh
6375
5660
6123
Pferde
477
399
458
Maultiere
-
-
247
Schweine
1902
3080
2110
Ziegen
3728
4412
3192
Schafe
4327
2717
2993
Bienenstöcke
600
728
863
Den Bezirk Martigny durchzieht die Simplonbahn mit den Stationen Martigny,
Charrat-Fully,
Saxon und
Riddes.
Martigny Ville ist
Kopfstation der neuen Eisenbahn Martigny-Vernayaz-Salvan-Finhaut-Châtelard (-Chamonix). Andere wichtige Verkehrszüge sind
die der
Rhone und der Simplonbahn parallel verlaufende
Thalstrasse, die Poststrassen nach
Bagnes und über
den Grossen
St. Bernhard, deren Stück Martigny-Grosser St. Bernhard-Aosta zu einer internationalen Verkehrsader sich zu entwickeln
bestimmt ist, ferner die Alpenstrasse von Martigny über
La Forclaz, die
Tête Noire und den
Col desMontets nach Chamonix.
Die beiden Rhoneufer sind durch die Brücken von
Branson,
Charrat-Fully,
Saillon,
Leytron und
Riddes miteinander
verbunden. Die
Dörfer in der
Ebene rechts der
Rhone erinnern mit ihren zerfallenen Bauten und ihren oft von Weinlauben überrankten
engen
Gassen, die von keinem Fremden begangen werden, vielfach noch an ähnliche Siedelungen in Italien oder Spanien, und
auch die sie untereinander verbindende Fahrstrasse führt uns noch einen Ueberrest der ehemaligen bald
engen und holperigen, bald breiten und schlammigen Verkehrswege des Landes vor
Augen.
Zahlreiche, aber meist nur wenig bekannte Gebirgspässe führen in die benachbarten Bezirke und Gebiete hinüber: neben den
nach Chamonix leitenden Uebergängen der
Forclaz,
Tête Noire und des
Col de Balme, der
Croix du Cœur von
Riddes und
Isérables nach der
Vallée de
Bagnes, dem nach
Champex hinaufführenden und in Bälde zu einer Fahrstrasse auszubauenden
Chemin des
Vallettes und endlich dem Col du
Len zwischen
Sembrancher und
Saxon sind sie alle nur Uebergänge für Kletterer, als
deren begangenster hier der Fussweg über die
Frête deSailles zwischen
Leytron und dem Thal des
Avançon
(Bex) angeführt werden mag.
Der Bezirk Martigny besteht als solcher erst seit 1798 und wurde aus der ehemaligen
Herrschaft gleichen Namens und einigen
weiteren kleinen
Herrschaften gebildet, von denen einige nach der Zeit der französischen Oberhoheit 1814-1815
wieder von ihm abgetrennt worden sind.
angelegt zu Zwecken der Entwässerung,
Bewässerung und Urbarmachung der Felder, sowie zum Betrieb von
Sägen,
Mühlen und anderen Fabrikanlagen zwischen
Martigny Bourg
und
Martigny Ville.
Der wichtigste dieser Kanäle ist die 1847 erbaute und 10 km lange
Monneresse oder
¶
mehr
Meunière. Ein anderer, der Tolléron, liegt zwischen dem Petit Rhône, einem nicht eingedämmten Altwasser der Rhone, und dem
5,8 km langen sog. Grossen Sammelkanal (Grand Collecteur).
Bourg, deutsch MartinachBurg (Kt. Wallis,
Bez. Martigny).
496 m. Gemeinde in der Ebene von Martigny, unter der Combe deMartigny und
an der Stelle, wo die Dranse aus den Bergen heraustritt. Besteht aus dem Bourg, der 1 km ssw. von Martigny Ville liegt und mit
diesem letzteren Ort bis 1841 administrativ vereinigt war, sowie aus einigen bescheidenen Häusergruppen, wie Le Vivier und
Le Moulin Tornay in der Ebene und Chemin d'en Bas und Les Écoteaux am Mont Chemin. Zusammen 179 Häuser, 1298 kathol.
Ew. französischer Zunge; der Bourg allein: 149 Häuser, 1129 Ew. Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen Bahnhof Martigny-Orsières-GrosserSt. Bernhard und Bahnhof Martigny-Sembrancher-LeChâble-Lourtier. Schiess-, Gesang-, Musik- und landwirtschaftliche Vereine
etc. Elektrizitätswerk und elektrische Beleuchtung. Der Bourg, ein wichtiger Handels- und Verkehrsmittelpunkt
für die umliegenden Thalschaften, ist nach einem nahezu einheitlichen Plan erbaut und besteht aus zwei Zwillingsplätzen
und zwei diesen entsprechenden parallelen Strassen. Den einen Platz umgeben Verkaufsmagazine, während der andere für den
wöchentlichen Viehmarkt bestimmt ist, und an der einen Strasse stehen gut gebaute Häuser mit zahlreichen Läden
und Werkstätten, an der andern dagegen Scheunen, Ställe und alle Arten von Hintergebäuden. Mit Martigny Ville ist der Bourg
seit 1899 durch eine mit Kirschbäumen bepflanzte Allee verbunden, die den vielfach gekrümmten und von Nussbäumen beschatteten
einstigen Weg ersetzt hat. Die Häuser lehnen sich an den Hang des Mont Chemin an, dessen Waldungen den
Flecken vor den Lawinen schützen und die Dächer noch teilweise überschatten. Holzschlag war in diesem Wald früher unter
der Strafe verboten «d'avoir le poing droit coupé avec infamie et de soixante
livres d'amende».
Die Gemeinde Martigny Bourg umfasst ausser der Ebene noch einen Teil des Bergspornes des Mont Chemin, um
den die Dranse vor ihrem Eintritt in die Ebene herumbiegt und dessen Fuss sie dann auf eine Länge von 8 km folgt. Während
der Berghang zwischen Bovernier und dem Bourg nahezu unproduktiv ist, trägt er von der Stelle an, wo sich die Dranse von ihm
entfernt, bis nahe zum DorfCharrat grosse Waldungen von beträchtlichem Ertrag. Zwischen dem Bourg und
dem WeilerLe Guercet liegt die etwas sumpfige, aber gut angebaute Ebene, und jenseits der Dranse befinden sich Weinberge, die
zu einem Teil ebenfalls noch der Gemeinde angehören.
Die nahe Lage der beiden oft an Bedeutung einander gleichstehenden Ortschaften Martigny Bourg und
Martigny Ville
hat zwischen ihnen einen Wetteifer gezeitigt, der manchmal in eine eifrige und beinahe leidenschaftliche Konkurrenz ausartete.
Der lange Zeit der Ville an wirtschaftlicher Bedeutung sogar überlegene Bourg besitzt den Montags-Wochenmarkt und sehr wichtige
Jahrmärkte. Die Berechtigung zum Abhalten der beiden ältesten und zugleich besuchtesten dieser letztern
(derjenigen vom zweiten Montag im Juni und vom dritten Montag im Oktober) geht bis zum zurück, unter welchem
Datum sie dem Ort von Bonne de Bourbon, der Vormünderin des Grafen Amadeus VIII. von Savoyen, verliehen worden war. Sie pflegten
früher jeweilen drei Tage zu dauern. Martigny Ville hat ehemals öfters Versuche gemacht, den Wochenmarkt
selbst zu erhalten, konnte aber gegen den hierfür günstiger gelegenen Bourg nicht aufkommen, während sie dagegen als Bahnstation
in anderer Richtung wieder grössere Vorteile erlangt hat, so dass sie sich rascher entwickelt als der Bourg. Es zeigen dies
folgende Bevölkerungsziffern:
Die Ville wird diesen Vorsprung in Zukunft wohl stets festhalten können, besonders da sie in nächster Zeit auch die Kopfstation
der Eisenbahn nach Salvan-Finhaut-Châtelard erhält; weil aber der Bourg ebenso sicher der eigentliche
Schlüssel zu den benachbarten Alpenthälern bleibt, wird die gegenseitige Rivalität bis zu einer künftig sich vielleicht
einmal vollziehenden Vereinigung beider Orte fortdauern. Diesem Ziel leisten Vorschub der Bau der neuen Verbindungsallee,
die vorgesehene Anlage einer Strassenbahn und endlich auch gemeinsame Lebensinteressen.
An bemerkenswerten Bauten besitzt der Bourg vor allem die beiden Rathäuser, ein altes und ein neues. Jenes ist in italienischem
Renaissancestil gehalten und zeigt eine Säulenreihe aus schwarzem Marmor, sowie Arkaden, unter denen die Händler aus dem
Entremont an den Jahr- und Wochenmärkten ihre Waren auslegen; es war zuerst ein Ursulinerinnenkloster
und nachher ein Gefängnis mit Folterkammer. Das an derselben Strasse stehende neue Rathaus stammt aus 1842, trägt den Namen
La Grenette und dient als Sitz der Gemeindebehörden, des Hypothekenbureaus, als Schulhaus etc. Am obern Ende des Bourg befindet
sich die KapelleSaintMichel, die 1606 erbaut worden ist und seit 1787 auch einen Glockenturm hat. Kirchlich
gehört Martigny Bourg zusammen mit den übrigen 1839 und 1841 administrativ selbständig gewordenen Gemeinden zur Pfarrei
Martigny Ville. Das interessanteste aber vielleicht am wenigsten
¶
mehr
bekannte Baudenkmal ist das Le Vivier genannte römische Amphitheater, eine von Mauern umgebene grosse Ellipse, die von den
Alluvionen der Dranse zum grösstenteil aufgefüllt worden ist und an die sich mit der Zeit einige kleine Häuser angelehnt
haben. Der Name des Bauwerkes (Le Vivier = Fischteich) stammt davon her, dass man es einst für ein grosses
Wasserreservoir hielt, in welchem die römischen Beamten die für ihre Festmähler bestimmten Fische gezüchtet haben sollten.
In die Mauer eines Hauses an der Hauptstrasse des Bourg ist in Handhöhe ein mächtiges römisches Kapitäl eingelassen, in
dem ein abwechselnd für einen Jupiter oder Vespasian gehaltener Kopf mit Torso ausgehauen ist.
Martigny Bourg ist in erster Linie eine agrikole Gemeinde; es hat daneben mehr Handels- als industrielle Tätigkeit. Ausser
einem Gasthof finden sich zahlreiche Verkaufsläden und Gastwirtschaften. Erst in neuerer Zeit beginnt sich auch die Industrie
zu entwickeln; neben einer Teigwarenfabrik beschränkt sie sich bis jetzt auf Sägen, Gerbereien, Mühlen
und eine Oelmühle, die alle blos die landwirtschaftlichen und forstlichen Produkte der nächsten Umgebung verarbeiten.
Man geht mit dem Gedanken um, am S.-Ende des Bourg bei der Brücke über die Dranse an der Stelle einer heutigen Mühle eine
grosse Fabrik zur elektrischen Verarbeitung von Metallen zu errichten. Zu diesem Zweck wird bereits am
Bau eines 200 m langen Stollens durch den Mont Chemin gearbeitet, der das Wasser der Dranse von Bovernier hierher führen und
mit einer Fallhöhe von mehr als 100 m zu einer mächtigen Kraft verwendbar machen soll. Am s. Ausgang dieses Stollens finden
sich Lager von Graphit und Bleierzen.
Die geschichtliche Entwicklung von Martigny Bourg deckt sich zu einem grossen Teil mit derjenigen von Martigny Ville. Nach
einigen Historikern soll der Bourg von Bewohnern des alten Octodurum (Martigny Ville) gegründet worden sein, die nach dessen
Vernichtung durch die Hochwasser sich rechts der Dranse und näher am Berg eine neue sicherere Heimat gesucht
hätten. Aber auch diese Stelle - der heutige BourgVieux, eine kleine Häusergruppe vor dem jetzigen Flecken - entging den
Verheerungen nicht, die die beiden grossen Ueberschwemmungen von 1595 und 1818 anrichteten.
Ueber die Katastrophe von 1595 berichtet Bridel, dass hier nur 3 Häuser verschont geblieben seien, während
eine noch nicht veröffentlichte private Aufzeichnung darüber folgendes meldet: L'eau a rasé le bourg deMartigny, les toycts[toits] duquel lieu a tous surmontés;
il a emmené nos parents et amis qu'il a tués au nombre de trois àquatre-vingts,
sans épargner laplanere du lieu qu'il a ruiné sans rien de résidu;
il a occupé d'un mont jusqu'àl'autre à la grandeur d'une lance de hauteur.
Bridel erzählt ferner, dass das Hochwasser vom in Martigny Bourg
alle Hammerschmieden, Mühlen und Wasseranlagen und im BourgVieux alle Holzbauten weggeschwemmt habe, dass
die Strasse zwar erhalten geblieben sei, aber alle an ihr stehenden Steinbauten bis zum ersten Stockwerk voller Schlamm und
Schutt, alle Läden vernichtet und alle Türen und Fenster zerstört seien und dass endlich auch die Mehrzahl der Häuser am
Weg vom Bourg nach der Ville verschwunden oder zum wenigsten stark beschädigt wäre. Im Bourg und in der
Ville wurden damals zusammen 80 Gebäude zerstört.
Die damalige Höhe des Wasserstandes zeigt eine Marke mit Inschrift an der Innenmauer der Kapelle. Heute ist dank der Kanalisation
und Eindämmung der Dranse und der in ihrem Oberlauf durchgeführten grossen Verbauungsarbeiten jede Gefahr dieser Art
verschwunden, und es ist jetzt dieser Fluss, der so oft der ganzen Gegend Verderben gebracht hat, durch seine Nutzbarmachung
für industrielle Unternehmungen und die Kolmatierung der Sumpfböden zu einem der wohltätigsten Faktoren in der Entwicklung
des Landes geworden.
Seit dem 15. Jahrhundert residierten in Martigny Bourg die Statthalter oder Vitztume (vidomnes oder vidames)
der Bischöfe von Sitten. Das Amt eines Statthalters von Martigny befand sich seit dem 12. Jahrhundert in den Händen der gleichen
Familie, die sich nach ihm den Namen der Edeln von Martigny beilegte und es während 6 Generationen verwaltete. 1400 war ein
Pierre deMartigny Bürgermeister
(syndic) von Martigny Bourg. Hier zogen 1439 die Edelfrau Marie de Martigny
und 1446 ihre Nachkommen, die Edeln von Exchampéry, von ihren Lehnsleuten die Gefälle ein. Sitz der Vitztume im Bourg war
seit 1607 das jetzige Hôtel desTroisCouronnes, das als einstiges Eigentum des Bischofes von Sitten noch heute über
dem Toreingang dessen Wappen trägt.
Combe, deutsch MartinachCombe (Kt. Wallis,
Bez. Martigny).
Gemeinde, 1841 zusammen mit den Gemeinden Martigny Bourg und La Bâtiaz
von der einstigen gemeinsamen Gemeinde Martigny abgetrennt. 1841-1899 umfasste sie das linke Ufer der Dranse von der Mündung
des Wildbaches Durnand (800 m) bis etwas oberhalb des Pont deLa Bâtiaz (470 m), sowie den obern Abschnitt
des Trientthales und das rechte Ufer der Eau Noire bis zum französischen Département de la Haute Savoie hin. 1888 zählte
die Gemeinde in diesem Umfang 1525 Ew. Seit 1899 die Thäler des Trient und der Eau Noire davon abgetrennt
und zur eigenen Gemeinde Trient vereinigt worden sind, beschränkt sich die jetzige Gemeinde Martigny Combe auf das Dransegebiet,
mit Ausnahme eines schmalen Streifens des zum Trientthal sich senkenden obern Plateaus von Arpille. 1900: 1176 kathol. Ew.
in 241 Häusern.
Die in der Umgebung von La Croix befindlichen kleinen WeilerPlan Cerisier, Crétaz, Écottins
u. a. sind blosse Gruppen von Rebhäuschen (mazots), die nur zur Zeit der Arbeit in den Weinreben von
den Leuten aus Salvan und Vallorcine bewohnt werden. Der grösste Teil des Weinbaubezirkes von Martigny liegt auf Boden der
Gemeinde Martigny Combe, wo er als langer Streifen von Le Brocard bis zur Tour dela Bâtiaz dem Fuss des Mont de l'Arpille folgt.
HinterLe Brocard ist das Gehänge des Berges (hier Pointe Ronde genannt) nur noch mit dichtem Wald bestanden
und von zahlreichen wilden Runsen durchzogen, die jeden Winter von Lawinen durchfegt werden. Da die Gemeinde von der Sohle
des Rhonethales bis zum Gebiet des ewigen Schnees aufsteigt, weist sie die verschiedensten Arten der Bodennutzung vom
Weinbau (geschätzte Marken; crus d'Arvine, La Marque und Coquimpey) bis zur Alp- und Waldwirtschaft (Ausfuhr von Bauholz)
auf. An günstig gelegenen Stellen gedeihen Kastanien, Walnüsse, Aepfel, Aprikosen und Pfirsiche. Namentlich die sorgfältig
bewässerten Wiesen um die DörferLa Croix und Le Brocard tragen einen ganzen Wald von Obstbäumen. Auf den
Höhen von Le Borgeaud und Ravoire werden Kirschen gezogen, die einen geschätzten Branntwein liefern. Zwischen Ravoire und
Le Brocard sieht man nahe der Dranse die Reste einer ehemaligen Erzschmelzhütte, die ihren Betrieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
eingestellt hat.
Im Dorf La Croix steht ein mit einem Wappenschild versehenes altes und einfaches Gebäude, das ehemals
den Statthaltern oder Vitztumen von Martigny zeitweilig als Wohnsitz gedient hat. Auf einer heute die KapelleSaint Jean tragenden
und rings von Weinbergen umgebenen Anhöhe bei Les Rappes stand einst ein festes Schloss; eine weitere Burg, Bougeart genannt,
soll auch bei Le Borgeaud vorhanden gewesen sein, doch ist es fraglich, ob diese beiden Namen nicht eher
nur eine und dieselbe Oertlichkeit bezeichneten.
Die von der Fahrstrasse nach Chamonix durchzogene Combe, in der die Mehrzahl der Dörfer und Weiler der Gemeinde liegt, hat
einen nur ganz kleinen und dazu oft
¶
mehr
trocken liegenden Wildbach. Sie steigt von La Forclaz bis La Croix auf eine Länge von 5 km nach NO. ab. Einst Stammthal des
eiszeitlichen Trientgletschers und später des Trientflusses, wurde sie von diesem letztern nach seinem Durchbruch gegen
NW. durch die Felsenbarre der Byrla verlassen und bildet seither einen in der Erosion zurückgebliebenen
Thaltorso (ähnlich dem benachbarten Vallon de Champex). Gräber aus der Eisenzeit.
Ville, deutsch MartinachStadt (Kt. Wallis,
Bez. Martigny).
477 m. Gemeinde und kleine Stadt, Hauptort des gleichnamigen Bezirkes;
mitten in der Alluvionsebene der Dranse und nahe der Mündung dieses Flusses in die hier scharf gegen
NW. umbiegende Rhone. Die Stadt liegt zwischen dem frühern Bett der Dranse, das sich vor und vielleicht auch noch nach der
Zerstörung von Octodurum längs dem Fuss des Mont Chemin hinzog, und dem jetzigen, an den gegenüberliegenden Hang des Mont
Ravoire sich anschmiegenden Lauf des Flusses. Nahe Martigny am jenseitigen Flussufer das direkt am Bergfuss
stehende Dorf La Bâtiaz, das eigentlich nur einen Vorort der kleinen Stadt bildet. 40 km sö. Le Bouveret am Genfersee und 25 km
sw. Sitten. Station der Simplonbahn und Kopfstation der Linie Martigny-Finhaut-Châtelard. Postbureau, Telegraph, Telephon
Postwagen vom Bahnhof Martigny nach Orsières und über den Grossen St. Bernhard, sowie nach Sembrancher-LeChâble-Lourtier. In Martigny Combe zweigt die Fahrstrasse über die Forclaz nach Chamonix ab. Zur Gemeinde gehört noch der
aus zwei kleinen Häusergruppen bestehende WeilerLe Guercet (2 km ö. der Stadt).
Zahlreiche Gasthöfe, wovon zwei ersten Ranges. Knabenpensionnat mit Sekundarschule, von Marianerbrüdern
geleitet. Mädchenpensionnat. Bäder. Bedeutende Jahrmärkte. Pfarrkirche Sainte Marie. Die Kirchgemeinde Martigny umfasst neben
Martigny Ville die seit 1839 und 1841 selbständigen politischen Gemeinden Martigny Bourg, Martigny Combe, La Bâtiaz und Charrat.
Propstei des Klosters auf dem Grossen St. Bernhard, Sitz der Zentralverwaltung dieses berühmten Ordenshauses. 191 Häuser, 1827 zur
grossen Mehrzahl kathol. Ew. Die am Ausgang der Dransethäler und der Combe deMartigny und nahe der Mündung
des Trientthales gelegene Stadt treibt bedeutenden Handel, namentlich mit Getreide, Obst, Wein, Holz und anderen Landesprodukten.
Zahlreiche Handelsfirmen, mehrere Geldinstitute. Musik-, Gesang-, Turn-, Schiess- und gemeinnützige Vereine, wovon mehrere
gemeinsam mit Martigny Bourg. Verkehrsverein. Küferei. Je eine Kalk- und Zementfabrik, Wachskerzenfabrik,
Likörfabrik. Elektrizitätswerk. Sägen und Mühlen. Eine Buchdruckerei und Zeitung. Die Stadt ist seit 1878 durch eine mit
Kirschbäumen bepflanzte Allee mit dem neuen Bahnhof verbunden; eine andere Allee führt seit 1899 nach Martigny Bourg und wird
in naher Zukunft eine Strassenbahn erhalten.
Auf dem von Platanen beschatteten und früher Place d'Armes geheissenen schönen Platz, der nach der Ueberschwemmung von 1818 erstellt
worden ist, steht ein Denkmal der «Liberté», Geschenk und Werk von Gustav
Courbet. Hübsches, 1866 erbautes Rathaus. In der Rue des Alpes steht ein von dem berühmten Walliser Parteiführer Georg Supersaxo
erbautes Haus. Die Tour dela Bâtiaz, das berühmteste und bemerkenswerteste Baudenkmal von Martigny, befindet sich auf Boden
der seit 1841 selbständigen Gemeinde La Bâtiaz. Ebenso liegt das Amphitheater von Le Vivier auf Boden der ebenfalls 184 abgetrennten
Gemeinde Martigny Bourg. Die 1680 geweihte und 1862 restaurierte Kirche ist eines der grössten und schönsten
Gotteshäuser des Kantons. Seit einigen Jahren zeigt eine an der Mauer des Hôtel de la Tour (Pensionnat Sainte Marie) angebrachte
Marke den höchsten Wasserstand der Dranse während der Ueberschwemmung von 1818.
Die Stadt Martigny ist von Aeckern und Wiesen mit einem ganzen Wald von Obstbäumen (Aepfel, Birnen, Pflaumen,
Zwetschgen, Pfirsiche, Aprikosen, Walnüsse, Kirschen, Kastanien) umgeben. Zwischen verschiedenen Häusergruppen liegen schöne
Gärten mit ertragreichen Weinlauben und Spalieren. Die ganze Alluvionsebene der Kranse wird mit grosser Sorgfalt angebaut
und durch ein vortrefflich angelegtes System von Kanälen bewässert, die das sinkstoffreiche und daher fruchtbare Wasser
der Dranse nach allen Seiten hin leiten.
Die seit etwa 40 Jahren beständig an Wert zunehmenden Grundstücke gegen die Rhone hin dienen meist dem Anbau von Gemüsen,
von denen namentlich die Spargeln vorzüglich gedeihen und im grossen gezogen werden (durchschnittliche jährliche Ernte 20000 kg).
Die Weinberge von Martigny liegen (meist auf Boden der Gemeinde Martigny Combe) am untern Hang des Mont
Ravoire oder Mont de l'Arpille, sollen schon zur Römerzeit angelegt worden sein und sind sowohl Eigentum von Bewohnern der
Villewie desBourg.
Die hier wachsenden Weine (bekannte Marken sind Coquimpey und La Marque) haben einen hohen Alkoholgehalt und erfreuen sich
schon seit langer Zeit eines verdienten guten Rufes. Von den Wallisern selbst wird besonders die Marke
«Arvine» geschätzt, die aber wegen des verhältnismässig geringen Ertrages
der Arvinerebe mehr und mehr vom Fendant verdrängt wird. Seit 1830 haben Ville und Bourg eine gute Trinkwasserversorgung vom
Mont Tiercelin her, von dem eine Quelle durch einen alten Aquädukt, der römischen Ursprunges sein soll,
nach den beiden Orten geführt wird.
Die Vorzüge der geographischen Lage von Martigny haben diesen Ort schon seit den ältesten Zeiten zu einem Sammelpunkt und
Tauschhandelszentrum der benachbarten keltischen Stämme gemacht. Es standen hier zu beiden Seiten der heutigen Dranse einige
einfache Hütten, in denen die von Alpwirtschaft lebenden Veragrer jeweilen mit ihren HerdenSchutz vor
den Unbilden des Winters suchten. So entstand der allmählig zu grosser Bedeutung sich entwickelnde Ort Octodurum, der Hauptort
der Veragrer, den Sergius Galba, ein Unterfeldherr von Julius Caesar, im Jahr 54 v. Chr. erstürmte und in Flammen
aufgehen liess. Caesar erzählt uns in seinem Bellum Gallicum selbst von diesem Kampf und der Unterwerfung der Veragrer,
Seduner und ihrer Verbündeten. «Von dieser Zeit an musste sich Martinach und ganz Wallis
unter das Joch der Römer beugen; Künste
und Gewerbe blühten, und die Wohltat einer höhern Zivilisation ward dem Lande zu Teil. Noch manche Denkmale
sind aus dieser Zeit erhalten und geben Zeugnis
¶
mehr
von der grossen Bedeutung Octodurums, das im Kreuzungspunkte von vier der wichtigsten römischen Heerstrassen lag." (F. O.
Wolf.) Dem römischen Ansiedler lag namentlich auch der Landbau am Herzen: er verpflanzte eine Reihe von Produkten seiner
südlichen Heimat hierher und liess auch den bisherigen Pflanzungen eine erneute sorgfältige Pflege angedeihen.
Dieser römischen Kultur folgte das Christentum. Der h. Theodor gründete die Abtei Agaunum (Saint Maurice) und verlegte,
nachdem er 349 Bischof geworden, seinen Wohnsitz nach Octodurum (oder, wie der Ort auch hiess, Forum Claudii), das bald nachher
zur Hauptstadt des Wallis
erhoben wurde.
Damals bildete das Wallis
oder das Gebiet der Penninischen Alpen zusammen mit der Tarentaise die siebente oder
Viennerprovinz Galliens, woraus sich der Umstand erklärt, dass das Walliser Bistum, auch nachdem sein Sitz 580 von Octodurum
nach Sitten verlegt worden war, noch eine Zeitlang dem Erzbistum Vienne unterstand. Von dieser Aera antiker Zivilisation zeugen
noch manche Denkmäler, von denen die bedeutendsten erst seit etwa 20 Jahren aufgedeckt worden sind.
Leider sind die Nachgrabungen, die man auf der einstigen Stelle der römisch-gallischen Stadt unternommen hat, nicht vollständig
durchgeführt worden.
Nachdem schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Zufall da und dort einige Altertümer (namentlich Reste von Bauwerken)
blossgelegt worden waren, begannen 1883 zwischen dem S.-Ende der jetzigen Stadt und dem Amphitheater
von Le Vivier die ersten systematischen Ausgrabungen mit Unterstützung des Staates Wallis.
Man stiess zunächst auf die Mauern eines
grossen rechteckigen Gebäudes von 65 m und 33,7 m Seitenlänge, das wahrscheinlich einst ein Tempel oder eine Basilika
gewesen sein muss.
Unter einer Treppe kam dann ein Hypokaust (oder römischer Heizraum) zum Vorschein, der 10,82 m lang und 7,37 m breit war.
Die nördl. Mauer des einen der drei grossen Rechtecke, in welche das ganze Bauwerk abgeteilt war, zeigte acht gemauerte Vorsprünge
oder Pfeiler mit nischenartigen Zwischenräumen, in deren jedem ein menschliches Skelet lag. Bemerkenswert
sind auch eine 3 m breite monumentale Treppe und zwei halbkreisförmige Absiden in der Aussenmauer. Das Ganze zeigte deutliche
Spuren von wiederholten Feuersbrünsten und Ueberschwemmungen und enthielt neben Schutt, Asche und geschmolzenen Materialien
eine
grosse Menge Bruchstücke von roten Tongefässen, Vasen, Mosaiken, Kapitälen und anderen Steinhauerarbeiten,
ferner Münzen, Inschriften, Spuren von Wandmalereien und Anderes mehr. In der nördl. Abteilung des Gebäudes kamen unter
einer Art von Betonbelag, der Fundationen aus früherer Zeit bedeckte, im November 1883 die bemerkenswerten Fragmente grosser
Bronzestatuen zum Vorschein, die das kantonale Museum auf Valeria (in Sitten) 1896 in Genf
ausgestellt hat.
Diese 1884 eingestellten Nachforschungen nahm man erst 1895 von neuem auf, als die schweizerische Gesellschaft zur Erhaltung
historischer Kunstdenkmäler dem Staat Wallis
ihre Mitwirkung anbot und zugleich einen rationelleren Arbeitsplan aufstellte. Gleich
zu Beginn dieser zweiten Campagne entdeckte man einen langen und schmalen Gebäudeflügel, der in zahlreiche,
an die Hauptfassade des Bauwerkes sich anlehnende, kleine Gelasse eingeteilt war; dann stiess man auf einen der Schutzgottheit
der Strassen geweihten Altar, auf ein luxuriös eingerichtetes Wohnhaus und auf ein kompaktes Mauerwerk, das sich als Fundament
eines besonderen Gebäudes (vielleicht eines Tempels) erwies.
Weitere unter der Leitung von Albert Naef unternommene Nachforschungen legten einen dem bereits entdeckten
Flügel parallel ziehenden, aber an der gegenüberliegenden Seite befindlichen zweiten frei, der ebenfalls in Gelasse eingeteilt
war und sich bis zu einem Platz fortsetzte, der von einer dicken, von einem monumentalen Tor durchbrochenen Mauer umrahmt wurde.
Diese Gelasse (Schuppen, Magazine oder Ställe) ruhten auf älteren Einrichtungen von gleicher Form,
Anordnung und Grösse, die man dann der Reihe nach ebenfalls aufdeckte.
Sie enthielten zahlreiche durch Feuer etc. zum Teil verdorbene Trümmer von Krügen, Vasen, Münzstempeln, mächtigen Dolien
(Weingefässen), bemalten Trinkschalen, Fibeln, Votivstatuen, ferner das Beschläge eines Füllhornes, ein Tintinabulum (Glocke)
und sogar ein chirurgisches Instrument. An verschiedenen Stellen zerstreut lagen einzelne Münzen und
an einem Ort sogar ein ganzer Schatz von 19 Goldstücken mit den Bildnissen von Nero, Galba, Otho, Vespasian, Titus und Domitian.
1901-1902 sind die Nachgrabungen auf Beschluss des Walliser Staatsrates neuerdings fortgesetzt worden und haben bis jetzt
ö. vom Forum folgendes blossgelegt: das
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Fundament eines vermutlich dem Jupiter geweihten Tempels (dessen Grössenverhältnisse denjenigen des auf dem St. Bernhard
gestandenen entsprechen) mit Stücken von Säulen, Kapitälen und Friesen, dann einen vor diesem Tempel gelegenen gepflasterten
Platz mit dem Fundament eines Altars und endlich ö. vom Tempel eine insula von in verschiedene Gemächer eingeteilten Wohngebäuden,
die sich um mehrere mit Säulengängen geschmückte Höfe gruppieren. Eine sehr grosse Zahl von Einzelfunden, die zum Teil
von grossem künstlerischem Wert sind und aus Münzen, kleinen Bronzen und Eisenartikeln bestehen, wird jetzt im kantonalen
Museum auf Valeria aufbewahrt.
Zu den in Martigny schon früher gefundenen fünf römischen Inschriften hat sich im Verlauf der neuern
Ausgrabungen noch eine sechste gesellt. Die erste, die der Prior Murith zu Beginn des 19. Jahrhunderts an der Pfarrkirche
eingemauert fand und die bei der Restauration der Kirche leider verschwunden ist, befand sich allem Anschein nach auf einem
Fries und war dem Caesar Augustus geweiht. Die zweite besteht aus einer heute an der Aussenseite des
Chores derselben Kirche befestigten Denksäule zu Ehren des Kaisers Constantius, des Sohnes von Constantin.
Die dritte befindet sich auf einem vollkommen gut erhaltenen Meilenstein, der im Keller des Hôtel de l'Aigle und zwar wahrscheinlich
noch an der ihr von Anfang an zugewiesenen Stelle steht. Da von Octodurum als dem Kreuzungspunkt der
wichtigsten römischen Heerstrassen in diesem Teil von Gallien (Mons Jovis-Aventicum und Mons Sempronius-Genfersee) die Meilenzählung
der Römer begann, so bildet diese Säule den Ausgangspunkt dieser Berechnungen. Sie zeigt uns durch ihre tiefe Lage in einem
Keller aber zugleich auch das Niveau an, in welchem damals die Ebene von Martigny lag, und lässt uns erkennen,
welch' grosse Schuttmassen seither von den häufigen Ueberschwemmungen der Dranse hier abgelagert worden sind. Sie trägt
die Namen der Kaiser Maximianus und Constantius. Die vierte und fünfte Inschrift, von denen die eine auf dem 17. Meilenstein
von Octodurum sich befindet, gelten dem Licinius, dem Sohn von Maximian. Die erst vor kurzem gefundene sechste endlich ist
der Göttin Salus geweiht und bestätigt uns, dass Martigny zur Römerzeit neben Octodurum auch den Namen Forum Claudii getragen
hat.
Auf die Herrschaft der Römer folgte die der Burgunder und die Gründung der GrafschaftWallis.
Nach V. van Berchem
stützte sich die spätere weltliche Macht der Bischöfe von Sitten in erster Linie auf die bedeutende Schenkung, die der König
Rudolf III. des transjuranischen Burgund dem Bistum machte, als er ihm die GrafschaftWallis
zum Eigentum übergab. Während der
ganzen zweiten Hälfte des Mittelalters haben dann die ehemalige Bischofsstadt Octodurum und die zu ihr
gehörigen Ländereien (d. h. die ganze ehemalige grosse Gemeinde Martigny) eine mitten im Gebiete Savoyens gelegene bischöfliche
Herrschaft gebildet.
Bischöfe und Grafen liessen sie gemeinsam durch Burgherrn verwalten, die auf dem der Reihe nach vom Grafen Peter
und den BischöfenPierre d'Oron und Jost von Silinen restaurierten SchlossLa Bâtiaz sassen. Daneben residierte noch ein besonderer
bischöflicher Statthalter oder Vitztum in Martigny Bourg. Dieses Amt lag seit dem 12. Jahrhundert in den Händen der Edeln
von Martigny, ging dann an die Edeln von Exchampéry und 1526 an das 1903 erloschene Geschlecht de Montheys
über, das es bis zur Zeit der französischen Revolution ausübte. Das seit der Heirat einer Tochter von François Exchampéry
mit einem Glied der Familie Patricii aus Aosta vom Vidomnat abgelöste sog.
Lehen Patricii ging später an die de Werra und
dann an die de Courten über.
Martigny hatte vom Bischof von Sitten die gleichen Rechte und Freiheiten verbrieft erhalten, wie sie dem Ober Wallis
zustanden. Nach
der Eroberung des Unter Wallis
1475 wurden diese Rechte aber nicht mehr erneuert. Man darf in diesem Ereignis vielleicht einen Fingerzeig
dafür erblicken, warum Martigny später in den bürgerlichen Kämpfen des Unter Wallis
gegen die Ansprüche
des Ober Walliser Patriziates und die bischöflichen Vorrechte eine so bedeutende Rolle gespielt hat.
Als nämlich 1831-1844 und dann wieder 1848 die Ober Walliser und der Bischof ihre frühere politische Macht über das Unter
Wallis
festzuhalten und selbst noch weiter auszudehnen suchten, ward Martigny zum Mittelpunkt des Aufstandes. 1831 erhob
sich hier der erste Freiheitsbaum als Protest gegen ein von dem Ober Walliser Patriziat erlassenes Gesetz, nach welchem die
Amtsdauer gewisser Beamter bis auf 12 Jahre verlängert werden dürfte. Die Streitigkeiten nahmen einen so ernsten Charakter
an, dass der Vorort vermitteln musste. Ein neuer gefährlicher Aufruhr brach in Martigny am bei
Anlass der geplanten Revision des Bundesvertrages aus.
Martigny Ville ist der Geburtsort des Juristen Étienne Cropt (1797-1894), der von 1825 bis zu seinem Tod als Professor an
der kantonalen Rechtsschule gewirkt hat.
Wolf, F. O. Martinachund die Dransethäler. (Europ. Wanderbilder. 143-146).
Zürich
1888; Gay, Hilaire. Les Sires deMartigny
(in den Mélanges d'histoire valaisanne. 1891); Morand, Joseph. Fouilles romaines deMartigny (im Monde moderne. Nr. 107,
Juli 1903). Vergl. ferner über die Ausgrabungen in Martigny die Berichte von A. Naef im Anzeiger fürschweizer. Altertumskunde.