Das Hauptwerk Hardouin-Mansarts, in dem er freier seine Kunst bethätigen konnte, ist der Invalidendom (Fig. 636). Dieser wurde zwar an die bestehende St. Ludwigskirche angeschlossen, ist aber ganz selbständig; die Verbindung mit letzterer besteht nur darin, daß der Altar beiden gemeinsam ist. Der Dom ist ein Centralbau mit quadratischem Grundriß, vier mächtige (mit Durchgängen durchbrochene) im Kreis gestellte Pfeiler tragen die Kuppel, die eine doppelte Wölbung hat; die untere hat eine große kreisförmige Oeffnung, durch welche der Blick auf das zweite Gewölbe fällt, dessen Deckengemälde das Licht durch unterhalb unsichtbar angebrachte Fenster erhält, wodurch ein wirkungsvoller Eindruck von Lebendigkeit der gemalten Gestalten erzielt wird. In den Ecken des Quadrates liegen kreisrunde Kapellen, die kurzen, vom Mittelraume ausgehenden Schiffe der Kreuzarme sind mit Tonnengewölben gedeckt.
Das Aeußere wird durch die vollendet schöne, schwungvolle Linie der Kuppel beherrscht, die durch Gurten gegliedert ist und deren Laterne einen Spitzhelm trägt. Die Schauseite ist zweigeschossig gebildet und mit einem Giebel bekrönt. In der Vorderansicht erscheint der ganze Aufbau turmartig und dieses Aufstreben verleiht ihm etwas festlich-erhabenes, die Massen erscheinen bei aller Kraft leicht, die Formen sind fein durchgebildet, alle Verhältnisse in schönem Einklang.
Wohl läßt sich nachweisen, daß für alle diese Vorzüge Vorbilder in früheren Bauten sich finden, welche Hardouin-Mansart benutzt haben dürfte, daß er sie aber so glücklich zu vereinigen wußte, ist sein künstlerisches Verdienst. Sein Stil entsprach der französischen Auffassung von Schönheit und er blieb daher für das Aeußere der Bauten auf lange Zeit hin vorbildlich. So lange Ludwig XIV. lebte, blieb der von Hardouin-Mansart vermittelte «Ausgleich», den ich oben kennzeichnete, in Kraft. Mit dem Tode des «Sonnenkönigs» (1715) brach aber für Hof und Gesellschaft eine neue Zeit an, in der die überschäumende Lebenslust, die erregte Sinnlichkeit alle
^[Abb.: Fig. 641. Pantheon. Inneres.
Paris.]
Schranken sprengten. Der stolze, auf Ruhm und Macht gerichtete Sinn, welcher die Kräfte des Volkstums und Staates anspornte, um die Größe Frankreichs zu begründen, die feierliche Würde, welche das Königtum als Vertreter dieser Größe zur Schau trug, die Hingabe aller Thatkraft an große Gedanken und Aufgaben, - das alles schwand dahin unter der Regentschaft des Herzogs Philipp von Orleans, eines Mannes von bedeutenden Geistesgaben, aber auch wüster Sittenlosigkeit. Die Thatkraft war immer noch vorhanden aber sie wurde verschwendet in Abenteuern und in zügellosem Lebensgenuß.
Diese üppige Sinnlichkeit, welche jetzt zur Herrschaft gelangte, verbarg sich unter den glatten Formen der vornehmen Wohlanständigkeit und weltmännischen Art, die unter Ludwig XIV. sich ausgebildet hatten, und dies machte die Sache noch schlimmer. Die ursprüngliche Natürlichkeit der Leidenschaften wurde ersetzt durch eine erkünstelte Verderbtheit, welche alles Sittliche zersetzte, die Unwahrhaftigkeit wurde zum Grundzug. Für die Geistesrichtung dieser Tage sind die Bilder Watteaus bezeichnend, aus denen die Lüsternheit spricht; diese zierlich bekleideten Schäferinnen sind oft schamloser als irgend eine unverhüllte Aphrodite.
Oppenort. Wenn der Maler Watteau auch keinen so unmittelbaren Einfluß auf die Baukunst übte wie der Maler Lebrun, so wirkten doch seine Auffassung und sein Geist nicht unerheblich ein, und der zünftige Vertreter der neuen Richtung erscheint ganz in dessen Bann.
^[Abb.: Fig. 642. Karlskirche in Antwerpen.]
Es war dies der Sohn eines eingewanderten Niederländers Oppenort (richtig Gille Marie Op den Oordt), ein Schüler Hardouin-Mansarts, der jedoch in Rom sich weiter ausgebildet hatte. Sein erstes größeres Werk, der Ausbau der Kirche Saint Sulpice, zeigt ihn noch als einen maßvollen Meister, welcher seine Einbildungskraft noch zügelt, wenn er auch die Formen frei und malerisch behandelt und auf das Zierwerk das Hauptgewicht legt. Doch schon in der Ausschmückung des Palais royal, mit der er beauftragt worden war, läßt er seiner geistvollen Ungebundenheit freien Lauf. Die geometrischen Formen weichen den geschwungenen Linien, das Zierwerk verliert allen Zusammenhang mit dem Baulichen und wird zum Selbstzweck, durch Vielgestaltigkeit und anmutige Leichtigkeit soll es die Sinne reizen. Oppenorts Zierkunst begegnet in diesem Punkte jener Watteaus: sie ist sinnlich, üppig und gefallsam. - Oppenorts Weise, mit ihrer starken Betonung des malerischen Schmuckes und ihrer freieren Formensprache, fand zunächst Nachahmung bei den zahlreichen Hotelbauten, die damals entstanden;
denn alle Kreise wetteiferten in Entfaltung des Reichtums und in Förderung der Kunst, die «Mode» geworden war.
Unter den Baumeistern, welche auf diesem Gebiete hervorragend thätig waren, sind insbesondere bemerkenswert Jean Alexandre Leblond (1679-1719) und Robert de Cotte, der die Verwendung großer Spiegel zur Ausschmückung von Wandflächen einführte, während Leblond für eine neue Art der Raumeinteilung eintrat. Er befürwortete die Anlage nur einstöckiger Hauptbauten, die zwischen Hof und Garten liegen und blos die für die Herrschaft bestimmten Gemächer enthalten sollen, während alle sonstigen Wirtschafts- und Dienerräume in Nebengebäuden unterzubringen seien. Auch gegen die steilen Dächer sprach er sich aus.
Italienische Einflüsse. Jetzt kam auch wieder italienischer Einfluß zur Geltung. Der Bau des Palais Bourbon wurde einem Italiener (Giardini) übertragen, und - allerdings hauptsächlich auf dem Gebiete des Kunstgewerbes - als führender Meister trat der in Italien ausgebildete Aurèle Meissonier (1693-1750) auf, der völlig der barocken Kunstweise huldigte. Die Zahl seiner Bauten ist zwar gering, aber durch seine Entwürfe, welche sich über alle Ueberlieferungen kühn hinwegsetzten, übte er einen starken Einfluß auf seine Kunstgenossen, die in seiner blendenden, ausschließlich auf das Anmutige, ohne Rücksicht auf Regeln, abzielenden Kunstweise auch dasjenige fanden, was der herrschende Geschmack verlangte.
Das «Klassische» hatte in der Gesellschaft seine Anziehungskraft verloren und die Bauakademie kämpfte vergeblich gegen die neue Mode an.
Ihr eigener Direktor, der bereits genannte Robert de Cotte, gab ihr bei der Ausgestaltung der königlichen Schlösser (Versailles, Trianon) nach, und einer ihrer bedeutendsten Lehrer, Germain Boffrand, trug nicht wenig dazu bei, daß sie in der Fremde weite Verbreitung fand. Wohl verfochten sie in Wort und Schrift die «klassischen Regeln» und verurteilten die Barockkunst, stellten dieser die «edle Einfachheit» entgegen; aber in ihrer Thätigkeit verleugneten sie die eigenen Grundsätze. Im Aeußeren der Bauten suchte diese ganze damalige Schule zwar den akademischen Regeln Rechnung zu tragen, für diesen Zwang entschädigte sie sich aber im Innern, indem sie in der Ausschmückung ihrer geistreichen Einbildungskraft und anmutigen Erfindungsgabe volle Freiheit ließen.
Die Gegensätze beherrschten eben das französische Bauwesen während des ganzen 18. Jahrhunderts; die klassische Strenge der Antike und wissenschaftliche Gelehrsamkeit auf der einen, das übermütigste Rokoko und spielerische Einbildungskraft auf der anderen Seite bekämpfen einander, und erzeugen auch in den Künstlern selbst einen Zwiespalt. Der Geschmack der Zeit, geleitet und bestimmt durch die Maler und Kunstgewerbler, weist sie auf die Zierlichkeit und Ueberfeinerung des Rokoko hin, welches alle Kraft und Größe in Sinnenreizen auflösen will; diese Künstler sind jedoch nicht stark genug, um einerseits dem Einflusse dieses Geschmackes, andrerseits jenem der schulmäßigen Ueberlieferungen sich zu entziehen, und nicht nach erkünstelten Regeln sondern aus frischer Gestaltungskraft wieder Größe und Kraft der Baukunst zu verleihen und beides mit Schwung zu verbinden.
Die klassische Richtung. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts sehen wir bereits drei Parteien auf dem Schauplatze. Hof und Staat halten selbstverständlich noch zu der
Akademie mit ihrer französisch-klassischen Formensprache; im Privatbau aber herrschte die von Oppenort und Meissonier angebahnte Richtung vor, der auch die Akademiker Zugeständnisse machen mußten. Sie bot der vornehmen Gesellschaft Räume von auserlesenem Luxus und behaglicher Bequemlichkeit, von jenen heimlichen, prickelnden, Sinne und Nerven anregenden Reizen, deren das überfeinerte, weibisch gewordene Geschlecht bedurfte, und trug dabei doch nach außen hin strenge Ehrbarkeit zur Schau. Unwahrhaftigkeit war eigentlich beiden Parteien eigen; die Akademiker suchten ihre künstlerischen Neigungen zur freien Bethätigung ihrer Gedanken zu Gunsten gelehrter Anschauungen zu verleugnen, und die Anderen setzten sich in noch höherem Grade mit bewußter Kühnheit über jenes wahre Hauptgesetz der Baukunst hinweg, daß zwischen dem Aeußeren und Inneren eines Bauwerkes ein innerer Zusammenhang bestehen und deutlich zum Ausdruck gebracht werden müsse. - Die dritte Partei, welche gegen beide in die Schranken trat, wandte sich zunächst gegen jene Uebertreibung und Ausschweifung in der Formensprache, welche einer ihrer Wortführer, der Kupferstecher Cochin mit den Worten kennzeichnete, daß «die Gesimse gewölbt, jeder Spalt geschweift, alle Linien gerundet und geschlängelt werden, als wären
^[Abb.: Fig. 643. Beguinenkirche in Brüssel.]
sie aus Pappe, daß man nur Gegensätze erfinde". Indem sie aber den Rokokomeistern die reine und «echte Antike» entgegenhielt, nahm sie auch Stellung gegen die Akademiker, die eigentlich das Antike nur in der Auffassung Palladios kannten, trotz aller Beschäftigung mit Vitruv. Ein Italiener, Giovanni Niccolo Servandoni, stellt den Parisern in der Schauseite der Kirche St. Sulpice zuerst ein Muster des italienischen «klassischen» Stiles vor Augen, der die reine Antike wieder zum Leben erwecken wollte. In diesem zweigeschossigen Aufbau mit jonischen und dorischen Säulenordnungen bot er eine Uebertragung der Formbildung des antiken Sänlentempels auf eine christliche Kirche. Man sah wieder Einfachheit und Entschiedenheit in der Behandlung der Massen sowohl wie in der starken Betonung der Gegensätze zwischen senkrechten und wagerechten Linien, mit schlichten Mitteln wurde eine mächtige Wirkung erzielt (Fig. 639). Dies Beispiel verblüffte, und die Pariser, von der Nüchternheit der Akademiker gelangweilt und der Weichlichkeit des Rokoko überdrüssig, begeisterten sich für das ungewohnt Neue.
Zwei Umstände begünstigten diese Richtung; die mächtigste Frau am Hofe und damit in Frankreich, die Marquise Pompadour, war eine Anhängerin der echten Antike (sie übte selbst den Steinschnitt und die Radierung), und dazu kam nun die Entdeckung des verschüttet gewesenen Herculanum (1719) und Pompejis (1748), Ereignisse, denen die Franzosen mehr Teilnahme als selbst die Italiener entgegenbrachten. Der Bruder der Pompadour wurde mit einigen Künstlern dahin entsendet, um diese echten Zeugen der Antike zu studieren. Da sah man nun freilich, daß die Antike, wie man sie nach Palladio, ja selbst nach Vitruv sich vorgestellt hatte, von der «wirklichen» der Griechen und Römer gründlich verschieden sei, und diese ganz andere Begriffe von Schönheit gehabt hatten. Da man aber von dem Gedanken nicht ablassen wollte, daß eben der antike Begriff von
^[Abb.: Fig. 644. Zunfthäuser in Brüssel.]
Schönheit der einzige richtige sei, so warf man sich nun mit Feuereifer auf das Studium der aus den Tiefen der Erde wieder zu Tage getretenen Vorbilder. Die Regeln und Formeln der Akademiker verloren nun alles Ansehen, aber auch das Rokoko erschien als eine Verirrung des Geschmackes, nachdem man aus dem Wandschmucke in den Ruinen Pompejis ersehen hatte, wie von den «Alten» die Zierkunst ausgebildet worden war.
Es bedurfte allerdings noch einiger Zeit, bis diese Studien auch in Werken ihren Ausdruck fanden, man arbeitete vorläufig noch in der bisherigen Weise fort, jedoch schon unsicher in dem Bewußtsein, daß ein Umschwung notwendig eintreten müsse. Den ersten Versuch, die nun erkannten Formen der wahren Antike einzuführen, wagte Jaques Soufflot (1709-1780) mit der Kirche der hl. Genovefa, seit der Revolution Pantheon genannt. Das Aeußere wie das Innere dieses Baues ist von gleich mächtiger Wirkung. Er ist in Form eines gleicharmigen Kreuzes angelegt, auf der Westseite befindet sich eine Vorhalle mit 22 korinthischen Säulen von 25 m Höhe, über der Vierung baut sich die 83 m hohe Kuppel auf, deren Trommel ein korinthischer Säulengang umgiebt. Ebensolche Säulenstellungen trennen in allen vier Armen Seitenschiffe ab, über welche Emporen sich hinziehen. Die Kuppel hat drei übereinander gestülpte Gewölbe, durch die Oeffnung der untersten blickt man auf die Gemälde der oberen (Fig. 640 u. 641).
Die Tage des akademischen Klassizismus und des Rokoko waren vorüber, die «hellenisch klassische» Richtung trat ihre Herrschaft an.
Zum Schlusse muß ich noch eine Bemerkung anfügen, betreffend die in Frankreich übliche Bezeichnung der Stilrichtungen dieses Zeitraumes. Man pflegt jene, als deren Hauptvertreter Perrault gelten kann, den «Stil Louis XIV.» zu nennen; die durch das Auftreten Oppenorts und Meissoniers gekennzeichnete den «Stil der Regentschaft»; die hauptsächlich von Hardouin-Mansart angebahnte, den «Stil Louis XV», und die letzterwähnte als «Stil Louis XVI». Die Bezeichnung Rokoko ist nur zutreffend anwendbar auf die Zierkunst in den inneren Räumen, das eigentliche Wesen desselben kommt in der Bauweise nicht zum Ausdruck.
^[Abb.: Fig. 645. Königl. Palast (Stadthaus) in Amsterdam.]
Niederlande.
Die Scheidung der Niederlande. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts war für die lebensfrohen, blühenden Niederlande eine Zeit tiefster Zerrüttung und schweren Leidens. Zwei in ihrer Volkseigenart verschiedene Stämme saßen hier, im Süden die romanischen Wallonen, den Franzosen auch in ihrem Wesen verwandt, im Norden die Vlämen, Holländer und Friesen, durchwegs Germanen, aber doch untereinander verschieden; jeder Gau von eigener Sonderart. Der Erbfehler der Deutschen, sich in kleinen Gemeinschaften von den andern Volksgenossen abzuschließen und das ganze Volkstum in selbständige Einzelglieder aufzulösen, trat auch hier zu Tage.
Ein gemeinsames Band hatte bisher alle Gaue, die romanischen und deutschen zusammengehalten: die «politische Freiheit». Als Glieder des deutsches Reiches genossen die Niederlande eine Unabhängigkeit, welche ihre Bürger reich und stolz werden ließ. Die habsburgischen Kaiser Maximilian und Karl V. waren ihnen gewogen und förderten den Aufschwung der Städte, ließen deren Vorrechte unangetastet. Die religiöse Bewegung der Reformation hatte auch hier mächtigen Widerhall gefunden, der Protestantismus gewann allenthalben eine rasche Verbreitung unter dem selbstbewußten Bürgertum. Mit dem Tode Karls V. änderte sich die Sachlage; die Niederlande fielen an Spanien, dessen König Philipp II. der politischen Freiheit ebenso feindlich gegenüberstand, wie dem Protestantismus. Die Niederlande sollten nicht nur wieder katholisch werden, sondern auch ihre Vorrechte, ihre Selbständigkeit aufgeben und der selbstherrlichen Königsgewalt sich unterwerfen.
Der Angriff auf die verfassungsmäßige Freiheit einigte vorerst alle Gaue zur gemeinsamen Abwehr, Katholiken und Protestanten standen zusammen im Kampfe gegen die spanische Weltmacht. Es war ein ungleiches Ringen mit einem überlegenen, rücksichtslosen Gegner, der mit grausamer Gewalt und mit berechnender Klugheit in der Ausnutzung der Verhältnisse vorging. Die Germanen mit ihrer trutzigen Zähigkeit hielten aus, aber die Wallonen erlahmten zuerst und beugten sich.
Auf das romanische Volkstum übte der Katholizismus seine Anziehungskraft aus, und als politische Zugeständnisse gewährt wurden, sagten sich auch die beweglicheren, vielfach mit romanischem Blut durchsetzten Vlämen von dem reingermanisch-protestantischen Norden los. Die Niederlande schieden sich in zwei Teile, die kaum mehr etwas gemeinsames hatten. In den südöstlichen Gauen Belgiens kam mit dem Katholizismus auch die französische Sprache zur unbedingten Herrschaft, die nördlichen Provinzen - Holland - blieben deutsch und erkämpften sich schließlich ihre Unabhängigkeit. Jeder Teil ging nun seine eigenen Wege, auch in der Kunst.
Belgien. In dem katholischen Belgien übte der Jesuitenorden den gleichen mächtigen Einfluß auf das gesamte geistige Leben wie in Süddeutschland, und somit schlug auch die Kunst ähnliche Bahnen ein. Nach den Jahren des heftigsten Kampfes war das Bedürfnis nach fröhlichem Lebensgenuß um so stärker geworden und auf die finstere Strenge protestantischer Eiferer, welche nicht nur gegen die Bilder in den Kirchen, sondern gegen Pflege der Kunst überhaupt aufgetreten waren, folgte der Rückschlag, indem man der sinnfälligen Schönheit um so lebhafter huldigte, als auch die Kirche dies begünstigte, um dadurch auf die Gemüter zu wirken. In einem Punkte besteht ein wichtiger Unterschied zwischen den Wirkungen der jesuitischen Kunstauffassung in Belgien und Deutschland. Hier war sie volksfremd und trat der heimischen-volklichen Kunst feindlich gegenüber, dort dagegen traf sie auf eine verwandte Geistesrichtung, und erwies sich daher mehr förderlich, weil sie nicht erst die bestehende Eigenart zu bekämpfen brauchte.
Die lebhaften Beziehungen zu Italien, welche der Katholizismus vermittelte, wurden der heimischen niederländischen Kunst auch weniger gefährlich, als es in Deutschland der
Fall war, denn sie erwies sich als stark und lebenskräftig. Man lernte zwar von den Italienern vieles in der Behandlung der Formen ab, steigerte dadurch die eigene Fertigkeit, wandte diese aber ganz in eigenem Geiste an. Die Grundzüge der sinnlichen Lebensfreude und unbefangenen Heiterkeit traten ebenso hervor, wie auch jener der höheren Wertschätzung der Teile und Einzelheiten, welcher noch auf dem germanischen Grundteil des Volkstums beruhte.
Die Gotik hatte in den Niederlanden so feste Wurzeln gefaßt, daß sie bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gegenüber der Renaissance sich behaupten konnte; mit ihrer Großräumigkeit, ihrem malerischen Formenreichtum und ihrer verständlichen Klarheit in der Anlage entsprach sie dem Volksgeiste mehr als die ernsthafte Würde und strengere Formensprache der Hochrenaissance. Man kann im Grunde sagen, daß sich in Belgien an die spätgotische Richtung gleich jene des Barock anschloß. Wohl hatten einzelne Künstler sich für die italienische Kunstweise begeistert und sie gründlich studiert, daheim aber schufen sie doch auf der volkstümlichen Grundlage; behielten gotische Grundgedanken und Formen bei und vermengten nur diese mit solchen der Frührenaissance.
Mit der Uebernahme der Regierung durch Erzherzog Albrecht und dessen Gemahlin Isabella (Tochter Philipps II.), 1596-1599, begann der Aufschwung des Kunstlebens in den Niederlanden. Eine lebhafte Bauthätigkeit wurde entwickelt, da nicht nur die Jesuiten, sondern auch andere Orden neuer Kirchen bedurften. Auf die Baukünstler nahm weit mehr als die italienische Schulung der Großmeister der Malerei, Peter Paul Rubens, Einfluß.
Das Malerische war ja überhaupt für die Niederländer immer am meisten anziehend gewesen; in bewegtem Linienspiel, in Vielgestaltigkeit und reicher Schmuckhaftigkeit konnte sich ihre rege, schöpferische Einbildungskraft ergehen. Mit den Formen sprang man dabei ziemlich willkürlich um; man trug kein Bedenken, Gesimse, Giebel, Verdachungen zu brechen und zu krümmen, Pfeilerteile auszubauchen, in die Schnecken jonischer Kapitäle Blumengewinde einzuhängen, wenn nur ein recht malerischer Eindruck erzielt wurde.
^[Abb.: Fig. 646. St. Paul in London.]
Dieser barocken Keckheit huldigte schon Jaques Francquart, der außerhalb des von Rubens unmittelbar beeinflußten Kreises stand, noch mehr aber der letztere selbst.
Das bedeutendste Werk dieser Richtung dürfte die Jesuitenkirche zu Antwerpen sein, erbaut von zwei Ordensmitgliedern (1614-21), welche zwar 1718 abbrannte, aber nach den alten Plänen wieder hergestellt wurde. Ihr damaliges Inneres giebt ein Gemälde von Sebastian Vranc wieder. Bezeichnend ist namentlich der Turm, der untere Teil ist quadratisch, durch dorische und jonische Wandpfeiler gegliedert mit Einsprüngen in den Ecken, in welche Säulen gestellt sind, der obere Teil ist achteckig und mit einer auf korinthischen Säulen ruhenden Kuppellaterne bekrönt. Die Schauseite ist ungemein reich ausgeschmückt, zweigeschossig mit mächtigem Giebelaufbau (Fig. 642). Die gleiche malerische Pracht zeigt auch eine Reihe anderer Jesuitenkirchen, so in Brügge, Lüttich, Ipern u. a. O.
Rubens hatte durch sein Kupferstichwerk über die Genueser Paläste seine Landsleute mit der italienischen Barockkunst vertraut gemacht, die eigenen baukünstlerischen Gedanken dagegen hauptsächlich in seinen Gemälden niedergelegt. Unter seinen späteren Schülern ragt insbesondere Lucas Faidherbe (1617-97) hervor, von dem wahrscheinlich auch die Jesuitenkirche zu Löwen und die Beguinenkirche in Brüssel herrühren, beide Werke von mächtiger Wirkung. Namentlich die letztere zeichnet sich durch glückliche Verteilung der Massen, schöne Gliederung und vollen Einklang der Verhältnisse, sowie durch maßvolle und geistreiche Durchbildung der Einzelheiten aus. Die Schauseite ist von einem malerischen Reiz, der kaum zu übertreffen ist (Fig. 643). Beachtenswert ist dabei auch die Betonung der senkrechten Linien, welche die Höhenentwickelung hervorhebt, noch ein Anklang an die Gotik.
Der Meister war auch viel mit Umbauten beschäftigt, die damals mit Eifer betrieben wurden. Es lag dieses Umbilden, das «Restaurieren», im Geiste der damaligen Zeit, welche mit dem Alten aufräumen wollte, ohne vom Grunde aus Neues schaffen zu müssen. Man verstand es auch vortrefflich, das «alte Baugerüst» mit dem neuen reichen Zierschmuck zu verhüllen, wobei freilich auf den inneren Zusammenhang der Baufügung mit den Schmuckstücken keine Rücksicht genommen werden konnte.
Lag auch der Schwerpunkt der künstlerischen Thätigkeit Belgiens im Kirchenbau, so entstanden doch auch eine Anzahl weltlicher Bauten, an denen die neue Richtung zum Ausdruck gelangte. In dieser Hinsicht sind die Zunfthäuser bemerkenswert, an denen insbesondere Brüssel reich ist. Auch bei diesen tritt als bezeichnend die vorwiegend senkrechte Gliederung und die Zurückdrängung der Massen hervor, so daß das Aufstreben zur Höhe den Gesamteindruck bestimmt, sowohl auch die wagerechten Linien (in breiten Gesimsen und Säulengeländern) kräftig genug gebildet sind (Fig. 644).
Der belgischen Barockkunst muß man nachrühmen, daß sie die volkliche Eigenart immer zu bewahren verstand; sie nahm überlieferte heimische Eigentümlichkeiten wie fremde
^[Abb.: Fig. 647. Schloß Blenheim.]
Anregungen auf, ging aber ihre eigenen Wege, welche ihr die schöpferische Einbildungskraft erfindungsreicher, formengewandter und vor allem malerisch empfindender Meister wies.
Holland. Holland hatte erst durch den Waffenstillstand von 1609 für längere Zeit jene Ruhe erlangt, welche gestattete, sich auch wieder mehr mit Kulturaufgaben zu befassen. Während des Kampfes hatten sich die Gegensätze zu Belgien noch schärfer herausgebildet. Wir finden sie auf allen Gebieten. Auf den Unterschied der Volksart wurde bereits hingewiesen, dort der bewegliche, sinnlich erregbare, lebensfroh genießende Romane, hier der ernste, verständig berechnende, häusliche Germane. In Belgien überwog die gewerbliche Thätigkeit, Holland war eine Seemacht geworden, die gemeinsam mit England den Welthandel beherrschte. Der Katholizismus im Süden wirkte auf das Gemüt, der Protestantismus beschäftigte das Denken. Holland wurde eine Stätte der wissenschaftlichen Forschung, an der die Philosophie mit gründlichem Eifer gepflegt wurde.
Diese philosophisch-wissenschaftliche Geistesrichtung allein würde es schon hinreichend erklären, daß in Holland die Barockkunst keinen Boden finden konnte, sondern dort das «Klassische» und zwar in der Auffassung Palladios Geltung behielt, bis die «Wissenschaft» dem «hellenischen Klassizismus» zum Durchbruch verhalf. Dazu trugen noch die anderen Umstände nicht unerheblich bei, das belgische Barock mit seiner Formenpracht erschien als «katholisch» und war daher dem strenggläubigen Protestantismus widerwärtig, das ungebundene Walten der Einbildungskraft konnte dem nüchternen, kalten und klaren Verstande der Holländer nicht zusagen; ernst, regelrecht und gesetzmäßig sollte auch die Kunst sein.
Sie blieb aber auch deutsch in ihrem Wesen. Die Gotik, welche in Holland auch weit einfacher und nüchterner wie in Belgien sich entwickelt hatte, gab die Grundgedanken, und die deutsche Frührenaissance lieferte die Formensprache für die holländische Bauweise zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die sich von Italien nur in geringem Maße beeinflußt zeigt.
Man konnte sich aber doch der Erkenntnis nicht verschließen, daß in Italien wie in Belgien eine fortschreitende Entwicklung sich vollziehe, zumal auch viele der holländischen Künstler dort ihre Studien gemacht hatten. Da man aber aus den erwähnten Gründen sich dieser Kunstweise nicht anschließen, sondern die Eigenart bewahren wollte, so blieb für einen Fortschritt eben nur der Weg zur «antiken Einfachheit» übrig. Auch die deutsche Renaissance hatte der Freude an malerischem Formenreichtum und der frischweg gestaltenden Einbildungskraft freie Bahn gewährt, die man nun verließ, um in ruhiger, breiter Massenentwicklung, in einfachen, großzügigen Formen bei fast völligem Verzicht auf Zierwerk im Aeußeren, die künstlerische Wirkung zu suchen.
Für diese Auffassung ist wohl am meisten bezeichnend das Stadthaus in Amsterdam (jetzt königliche Residenz), welches 1648 begonnen wurde und zwar von einem Rubens-Schüler, Jacob von Campen (+ 1657). Der Bau ist von mächtiger Wirkung, seine Größe entspricht der damaligen Stellung Amsterdams als der ersten Handelsstadt der Welt. Die Eigenart eines «Stadthauses», als des Mittelpunktes eines freien bürgerlichen Gemeinwesens, findet bedeutungsvollen Ausdruck. Dem Hauptbau (Fig. 645) ist ein Vorhaus vorgelegt, in welches sieben Rundbogenthore führen.
Aus demselben gelangt man über die Haupttreppe in den großen Bürgersaal, der durch zwei Stockwerke sich erhebt und mit einem Tonnengewölbe überdeckt ist; rings um denselben ziehen sich Galerien von fast 9 m Breite hin. An den Ecken des Hauptbaues springen gleichfalls drei Fenster breite Pavillons vor. Die Schauseite ist wagerecht in drei Hauptteile gegliedert: ein niederes Untergeschoß mit quadratischen Oeffnungen;
ein schmales Gesimse trennt es von dem ersten Hauptgeschoß, über welches ein Halbgeschoß angeordnet ist, dann folgt ein mächtig entwickeltes Gesimse, das auf Wandpfeilern aufruht und darüber das zweite Geschoßpaar.
Die senkrechte Gliederung erfolgt durch die erwähnten Wandpfeiler mit korinthischen Kapitälen. Die Fenster der Hauptgeschosse sind länglich, jene der Halbgeschosse quadratisch. Ueber dem siebenfenstrigen Mittelbau erhebt sich ein mit Flachbildwerken geschmückter Giebel, hinter
demselben ein runder Turmaufbau mit offener Bogenhalle und einer stattlichen Kuppel. Der sonstige Schmuck beschränkt sich auf kleine Laubgewinde unter den Fenstern der Halbgeschosse.
Das Innere schließt sich strenge der baulichen Gliederung des Aeußeren an und in dieser vollen Uebereinstimmung zeigt sich der wesentliche Unterschied von der Barockweise noch mehr, als in der maßvollen Anwendung des Schmuckwerkes, das gänzlich der Baufügung untergeordnet bleibt und nicht zur Gliederung verwendet wird. Die Ausschmückung des Giebelfeldes mit Flachbildnerei ist ebenfalls eine Besonderheit, die man sonst bei gleichzeitigen Werken nicht findet. Die bildnerische Durchführung der Gruppe - sie stellt die Stadt Amsterdam dar, von Nymphen umgeben - ist von hoher Schönheit.
Der stattliche Eindruck dieses Baues wurde von keinem anderen holländischen wieder erreicht, obwohl er, namentlich hinsichtlich der Anordnung der Wandpfeiler und des Zusammenfassens von Ganz- und Halbgeschossen zu Unterteilungen vorbildlich wurde. Das Streben nach antiker Einfachheit führte schließlich zu einer Schmucklosigkeit und Kahlheit, welche dem Auge nichts Erfreuliches mehr bietet. Die Wissenschaftlichkeit ertödtete die Einbildungskraft. Der Wortführer dieser Richtung war Philipp Vingboons, dessen Schriften nicht nur auf die holländischen Baumeister großen Einfluß ausübten, sondern späterhin auch außerhalb Hollands zu dem Umschwung nach der «hellenisch-klassischen Richtung» hin beitrugen. In dieser Beziehung war Holland seinen Nachbarn um ein volles Jahrhundert voraus: hier entstanden schon vor 1680 Bauten, die ihres Gleichen in Deutschland und Frankreich erst um 1780 finden.
^[Abb.: Fig. 648. Kirche del Pilar in Zaragoza.]
England.
Eigenart der englischen Bauweise. Die Entwicklung der Baukunst in England zeigt viel Aehnlichkeiten mit jener Hollands. Auch hier finden wir das zähe Festhalten an der Gotik, dann die Begeisterung für Palladio, schließlich den Sieg des «Klassizismus», nur daß dazwischen eine Richtung sich einschaltet, die man als «englisches Barock» bezeichnen kann. In England war die Reformation, richtiger gesagt die Lostrennung von der römischen Kirche, weniger aus dem Volke hervorgegangen, als vielmehr von dem Könige Heinrich VIII. demselben aufgedrängt worden.
Die «anglikanische Kirche» hatte auch anfänglich die katholische Glaubenslehre unverändert beibehalten, erst allmählich nahm sie die protestantischen Lehren auf, aber auch jetzt noch blieben die Kirchenverfassung nach katholischem Vorbilde, sowie viele gottesdienstliche Formen der römischen Kirche bestehen. Die strenggläubigen Protestanten (Puritaner = Reingläubige, oder Dissenters = Andersgläubige) standen außerhalb der englischen Hofkirche. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es somit drei religiöse Parteien auf englischem Boden: die Katholiken, die Anhänger der «englischen Hochkirche» und die strenggläubigen Protestanten.
Unter der Regierung der Königin Elisabeth hatte sich England zu einer einflußreichen politischen Machtstellung emporgeschwungen und nach dem Untergange der spanischen Armada begann seine Vorherrschaft zur See und damit im Welthandel. Nur Holland theilte sich noch mit ihm in diese Handelsherrschaft. Die äußeren Verhältnisse waren somit jeglichem geistigen Aufschwunge günstig und wir sehen daher auch ein reges Leben auf allen Kulturgebieten sich entfalten.
Ein bezeichnender Zug des englischen Volkstums ist das zähe Festhalten an dem Ererbten und Ueberlieferten, namentlich in allen Formfragen. Fortschrittlich ist es nur in Dingen des Erwerbslebens, im Handel und Gewerbe, in allen sonstigen Anschauungen ist es «konservativ», oft bis zur Rückständigkeit. Dies paart sich aber mit einem stark ausgeprägten Selbstbewußtsein, welches in allen Dingen die volkliche Eigenart streng bewahrt. Nirgends können fremde Anschauungen und Einflüsse schwerer Wurzel fassen als in England; niemals wird Fremdes schlankweg aufgenommen, immer erst in volklichem Geiste umgebildet.
Es wurde gezeigt, wie die Gotik in England eine eigentümliche Sonderart annahm, weil die normannisch-romanischen Ueberlieferungen nachwirkten, und diese englische Gotik war so tief im Volke eingewurzelt, so ganz nach dessen Wesen ausgebildet, daß die Renaissancebewegung lange keinen Boden gewinnen konnte. Die englische Gotik war zum reinen Schmuckstil geworden und in Kleinlichkeit verfallen, sie konnte in den Einzelheiten Reizvolles schaffen, im Großen war sie kraftlos. Auch dann, als man sich mit der Renaissance zu beschäftigen anfing, kam man nicht zu einer freien Auffassung der Grundgedanken der neuen Kunstrichtung, sondern nahm nur in völlig äußerlicher Weise deren Formen herüber, um das Schmuckwerk damit zu bereichern. Die englische Renaissance ist im Grunde genommen nur eine mit neuem Flitter umkleidete Gotik.
Jones. Erst im 17. Jahrhundert kam die italienische Kunstauffassung auch in England zu einer gewissen Geltung und zwar durch Inigo Jones (1572-1651). Dies war aber auch nur möglich geworden durch den Umstand, daß der kunstsinnige König Karl I. und dessen Hof auch für fremde Kunst Empfänglichkeit und Verständnis besaßen. Zwei Lords hatten Jones veranlaßt, nach Italien zu gehen und dort Studien zu machen. Von dort kam er nach Kopenhagen als Hofbaumeister und schließlich zurück nach London, wo er zum Oberaufseher der königlichen Bauten ernannt wurde.
Jones hatte sich ganz der Auffassung Palladios angeschlossen; in den schönen Verhältnissen, in der klaren Einfachheit sah er das Wesen der Antike. Mit einer seltenen Sicherheit übertrug er die Formensprache Palladios auf die englischen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprechenden Bauten, hauptsächlich Landschlösser. Einzelne derselben sind so streng im Geiste Palladios gehalten, daß sie von diesem selbst herrühren könnten, wie beispielsweise das Banketthaus in Schloß
Whitehall. Andererseits finden sich aber auch solche, welche in der überlieferten heimischen Weise, der Gotik, gehalten sind. Dieselbe ganz zu verleugnen, war auch er nicht fähig, und obwohl er persönlich den Stil Palladios sich zu eigen machte, so bestand hinsichtlich seiner Schule und Nachfolger das Ergebnis darin, daß wieder nur eine Art Mischstil herauskam; man wählte aus der überlieferten volklichen und aus der palladianischen Kunstweise sich die zusagenden Grundzüge heraus und bildete so wieder etwas «Englisches».
Wren. Mit dem Sturze und der Enthauptung Karl I. war die goldene Zeit für die englische Kunst beendet; die finsteren Puritaner Cromwells haßten das Schöne, weil es sinnlich und heiter, also Teufelswerk sei. Diese puritanische Strenge, welche alle Lebenslust zu ertödten versuchte, rief einen nur um so heftigeren Rückschlag hervor, sobald die politische Herrschaft der Eiferer gebrochen war. Die Wiederaufrichtung des Königstrones wurde mit Freude begrüßt, denn nun war auch wieder die Freude etwas Erlaubtes und nicht sündhaft Strafbares. Bald aber übersprang die Lust alle Schranken, eine rücksichtslose Sinnlichkeit artete bis zur Sittenlosigkeit aus. Doch auch diese Uebertreibung fand eine Gegenströmung in den erlesenen Kreisen des Volkes, unter den Dichtern, Denkern und Forschern, und auch England schickte sich an, in Pflege der Wissenschaften und Künste sich hervorzuthun.
Den geistigen Strömungen dieser Zeit verlieh in der Baukunst Ausdruck Christopher Wren (1632-1723), der Begründer des englischen Barock. Er war in erster Linie Gelehrter, Mathematiker und Astronom an der Hochschule Oxford; die Baukunst hatte er aus Büchern studiert. Daß er auf diesem Wege zum «Klassizismus» gelangen mußte, erscheint selbstverständlich; im Schrifttum herrschte ja Palladios Geist vor. Eine Reise nach Paris
^[Abb.: Fig. 649. Palast von San Telmo.
Sevilla.]
vermittelte Wren die Kenntnis der französischen Auffassung der Antike, und was er da sah, machte auf ihn begeisternden Eindruck. Er wollte der heimischen Kunst auch eine Größe verleihen, welche antik und - englisch sein sollte. Die klassische Formensprache hatte er sich völlig angeeignet, die Einzelheiten werden mit einer Feinheit und Schärfe durchgebildet, welche bei den Italienern selten ist, die Willkürlichkeiten derselben gestattet er sich nie. Das über gewöhnliches Maß Hinausragende, auf die Sinne Wirkende, ins Uebergroße Gesteigerte, welches das innerste Wesen des Barock ausmacht, findet bei Wren seinen Ausdruck in der Gestaltung des Ganzen, im Grundgedanken und Anlage, nicht im Ueberschwang der Einzelheiten.
Der Riesenbrand, welcher 1666 in London über 13000 Häuser und 89 Kirchen zerstörte, gab Wren Gelegenheit, sein Können in großartigem Maßstabe zu erproben. Ihm fiel die Aufgabe zu, die Hauptkirche Londons, St. Paul, wieder neu zu errichten, und was bei keinem anderen der großen Dome der Fall war, ihm war es vergönnt, den Bau von Anfang bis zu Ende (1675-1710) selbst durchzuführen (Fig. 646). Bei der Grundanlage mußte Wren auf die herrschenden gegensätzlichen Strömungen Rücksicht nehmen, auf den Zwiespalt zwischen den protestantischen Grundsätzen des Volkes und den katholischen Neigungen des Hofes.
Der Protestantismus verlangte eine Predigtkirche, also Centralbau und Einfachheit (eine spätere Verordnung des Parlamentes setzte fest, daß Kirchen nur eine Abmessung von 18 m x 27 m haben dürfen), der Katholizismus den Langhausbau und denkmalmäßige Pracht. Wren fand eine geistreiche Lösung, um beiden Teilen entgegenzukommen. Er legte den Grundriß zwar in Form eines Langhauses an, spannte jedoch die Kuppel über die ganze Breite des dreischiffigen Langhauses, so daß sie bei ihrer mächtigen Ausdehnung in Breite und Höhe im Aeußeren, ebenso auch der Kuppelraum im Innern alles überwiegt und die Nebenräume von untergeordneter Bedeutung erscheinen.
Chor und Langhaus sind von gleicher Länge, die beiden Querarme haben die gleiche Breite wie das dreischiffige Langhaus, sind jedoch kurz. Dem Langhaus ist noch ein kürzeres schmales Querschiff mit zwei Seitenkapellen vorgelagert, mit welchem die Vorhalle und die zwei Ecktürme verbunden sind. Die Schauseiten sowohl des Hauptschiffes wie der Querarme sind in zwei Geschossen angelegt, mit gekuppelten Säulenstellungen übereinander, aber mit Giebeln bekrönt.
Das zweite Geschoß, und damit auch das Hauptgesimse, zieht sich rings um den ganzen Bau hin, obwohl an den Seiten hinter den Mauern kein Innenraum dem Geschoßaufbau entspricht, sondern die Dächer unter dem Gesimse liegen. Zu dieser «Unwahrheit» sah sich Wren aber veranlaßt, um dem Bau mehr «Körper» zu geben und dadurch die Kuppel noch zu heben. Die innere Anlage derselben ist beachtenswert, ein Ergebnis mathematischer Berechnung. Die Trommel besteht aus freistehenden Säulen, welche nach innen geneigt sind, ebenso ist der untere Kuppelmantel kegelförmig gebildet, auf den unteren Teil ist dann eine zweite pyramidenartige Kuppel aufgesetzt, die nur an der Spitze eine Rundwölbung besitzt.
Die äußere Form zeigt eine vollendet schöne Führung der Rundlinien und edles Ebenmaß zwischen allen Teilen. Im Innern sind die baulichen Einzelheiten von vornehmer Eigenart, nur das Schmuckwerk weist barocken Reichtum auf. Mit diesem Meisterwerk hatte Wren der englischen Baukunst ein Vorbild gegeben, das nicht übertroffen werden konnte, sich selbst aber die erste Stelle unter den Kunstgenossen gesichert. Als das Parlament 1708 beschloß, dem neuen London 50 neue Kirchen zu stiften, wurde Wren mit der Ausführung betraut. Da es sich jetzt, nach Vertreibung der Stuarts und
^[Abb.: Fig. 650. Giovanni Bologna: Raub der Sabinerin.
Florenz. Loggia dei Lanzi.]
endgiltigen Niederlage des Katholizismus, um Bauten handelte, bei denen die protestantische Auffassung zum Ausdrucke gelangen mußte, so herrscht bei denselben die Anlage als Predigtkirchen, also der Centralbau vor. Die Entwürfe Wrens (über hundert) bieten in dieser Hinsicht eine reiche Fülle geistreicher Lösungen und vielgestaltiger Grundriß-Formen. Ebenso eigenartig und reizvoll bekundet sich die Erfindungsgabe des Meisters in der Gestaltung der Türme, in deren Aufbau das schöne Verhältnis der Teile und die geschmackvolle Verwertung des gesamten Formenschatzes, edles Maßhalten und Sinn für malerischen Eindruck hervortreten.
Darin liegt eben das Bezeichnende für die Kunstweise Wrens, daß er alle Formen, die alten wie die neuen, mit voller Sicherheit beherrscht, und indem er sie mit feinsinnigem Verständnis verwendet - aus dem Alten heraus Neues entwickelt - selbstschaffend auftritt. Bekundet er eine reiche schöpferische Erfindungsgabe in den eigenen Entwürfen der Neubauten, so zeigt er sich andererseits befähigt, ganz in den Geist der alten Meister sich zu versenken, wenn es sich darum handelte, gotische Kirchen zu erneuern. Er selbst rühmt sich dessen, daß er bei diesen «Restaurierungen» sich strenge an die Gedanken und Formensprache der Vorzeit gehalten habe, und dieses Stil-Gefühl ist nicht minder ein Verdienst. In dieser Hinsicht steht er in strengem Gegensatz zu der Erneuerungskunst der Jesuiten, welche bei den Umbauten gerade alle Erinnerungen an das Alte zu tilgen sich bemühte. Daß er neben den kirchlichen Bauten auch noch eine Zahl bedeutsamer weltlicher Bauten schuf, sei noch nebenbei erwähnt. - Wrens Richtung wird gemeiniglich als «Ekklekticismus» (Auswahl-Stil) bezeichnet, weil er aus den vorhandenen Stilen das ihm gut und schön dünkende nahm und verarbeitete. Er that dies aber stets in echt englischem
^[Abb.: Fig. 651. Lombardo: Erzthüre.
Loretto.]
Geiste, ob es nun um Gotik oder um die Antike sich handelte; seine Weise entsprach auch den Anschauungen seiner Zeit, dem Denken und Empfinden des Volkes, das seinen Blick auf die «Welt» richtete, sein Gefühl aber ausschließlich der Heimat widmete. Kein besseres Denkmal konnte ihm gesetzt werden als die einfache Inschrift auf seinem Grabe in der St. Paulskirche: «Leser, wenn Du sein Denkmal suchst, blick um Dich!»
Vanbrugh. Wren erscheint als Vertreter des englischen Volkstums; den Anschauungen des königlichen Hofes gab Ausdruck sein Nebenbuhler John Vanbrugh (1666 bis 1726), aus niederländischem Stamme entsprossen. Das Haus Stuart hatte zwar wieder den Thron erlangt, aber dessen katholische Neigungen stießen auf scharfen Widerspruch im Volke, in welchem die Herrschaft der Puritaner unter Cromwell den protestantischen Geist gefestigt hatte. Nicht nur die Strenggläubigen, auch die englische Hochkirche (Bischofskirche) waren entschlossen, den Katholizismus auszurotten. Noch mehr erbitterte das Volk das offenkundige Bestreben des Hofes, die Königsgewalt zu stärken und eine Selbstherrschaft, wie auf dem Festlande zu begründen, sowie die Sittenlosigkeit und verschwenderische Leichtfertigkeit der Günstlinge und des Hochadels. Eine tiefe Kluft schied Hof und Volk, und dies mußte sich auch in der Kunstweise der beiderseits bevorzugten Meister ausdrücken.
Vanbrugh schuf fast ausschließlich weltliche Bauten, Schlösser (Fig. 647) und Landsitze für einen prachtliebenden Adel, und es ist daher erklärlich, daß er dabei weit mehr an französische Vorbilder sich halten mußte, als an die Grundsätze Wrens. Starke, eindrucksvolle Wirkung wurde gefordert und dazu war - insbesondere in betreff der Innen-Räume - das Barock geeigneter, als das Klassische. Wenn aber auch Vanbrugh die großzügigen, erhabenen Formen und die Schmuckfülle in echt barocker Weise anwandte, so trug er doch der englischen Sonderart Rechnung, indem er auf die gewohnte «Bequemlichkeit» und «Wohnlichkeit» sorgfältig Rücksicht nahm.
Diese englischen Schloßbauten stehen an Zierlichkeit und Feinheit des Geschmackes weit hinter den französischen, aber sie sind behaglicher. Die Großartigkeit, die man ihnen geben wollte, wird nicht selten zur Derbheit - auch darin spricht sich der Unterschied zwischen der französischen und englischen Gesellschaft aus -, die barocke Keckheit zeigt sich mehr in der Behandlung der Massen, als in der Durchbildung der Einzelheiten, welche oft rücksichtslos vernachlässigt wird.
Die klassische Richtung. Die endgiltige Vertreibung der Stuarts, der Uebergang des Thrones an das Haus Oranien, dem bald das Haus Hannover folgte (1714), blieben nicht ohne Einfluß auf die Geschmacksrichtung. Schon bei Lebzeiten der vorgenannten Barock-Meister waren Bestrebungen zu Tage getreten, die auf eine strengere Beachtung der Antike abzielten, denn «diese nachahmen heiße die Natur nachahmen»; mit diesem Grundsatze wollte man ausdrücken, daß die höchste und reinste, die natürliche Schönheit allein in der Antike zu finden sei.
Bezeichnend ist es immerhin für den englischen Geist, daß zu einer Zeit wieder auf die Natur hingewiesen wurde, in welcher man anderwärts in Unnatürlichkeit schwelgte. Hier hatte sich aber der echt germanische Zug des starken Naturgefühls zähe lebendig erhalten (ebenso auch in Holland), und die verschiedene Stellung, welche Italiener, Franzosen und Engländer gegenüber der Natur einnahmen, läßt sich trefflich beobachten in den Gartenanlagen, man braucht nur einen französischen mit einem englischen «Park» zu vergleichen.
Auf die Natürlichkeit hatte auch der Philosoph Graf Shaftesbury verwiesen, der die Lehre aufstellte: die Schönheit liegt in der Wahrheit. Die Kunst solle die Wirklichkeit, die wahrhaftigen Dinge wiedergeben, diese aber in ihrer Gänze erfassen. Es mag auffällig erscheinen, daß allezeit, wenn Geschmack und Geistesrichtung sich der Natur zuzuwenden beginnen, die reine Antike auf den Schild erhoben wird. Der Gedanke, daß die klassische Formensprache die einzig natürliche sei, ist seit der Zeit der Humanisten unausrottbar eingewurzelt. Die Forderung nach Natur und Wahrheit führte daher auch in England geradewegs zum «strengen Klassizismus». Der Schotte Colen Campbell (+ 1729),
der in seinem Tafelwerke «Vitruvius Brittanicus» Palladio als den einzig vorbildlichen Meister feierte, William Kent (1684-1748), der die Arbeiten von Inigo Jones herausgab, und William Chambers (1726-1796) können als die Hauptvertreter dieser