hier muß man das Einzelne eingehend betrachten. Dort bestand die Gefahr, nüchtern und trocken zu werden, hier dagegen jene der Verzettelung ins Kleinliche.
Dieser Gefahr suchten die mit weiterem und freierem Blick begabten deutschen Baukünstler im 16. Jahrhundert zu begegnen, indem sie eine größere Auffassung und ein mehr einheitliches Zusammenfassen anstrebten, um so zu einer wirklich mächtigen Denkmalskunst zu gelangen. Die vielverheißenden Anfänge in dieser Richtung, wie wir sie in dem Rathause und Zeughause zu Augsburg oder in dem Rathause Nürnbergs sehen, wurden jedoch durch den unseligen dreißigjährigen Krieg unterbrochen, welcher auch der deutschen Kunst die Lebensbedingungen raubte. In dieser Zeit der Not konnte man nicht daran denken, große Denkmalswerke zu schaffen, und die Baukünstler mußten sich damit begnügen, zu «schreiben» anstatt zu bauen; sie verfaßten Bücher, in welchen sie ihre Gedanken niederlegten, weil zur Ausführung derselben keine Gelegenheit sich fand.
Nur die Kleinkünste konnten noch sich einigermaßen erhalten; in Möbeln und Geräten wurden die Renaissanceformen verwendet, ausgebildet und schließlich auch verbildet. Als dann endlich wieder Friede ward, da fehlte es an einem baukünstlerisch geschulten Nachwuchs, und das Kunsthandwerk mußte aushelfen; aus den Kreisen der ehrsamen
^[Abb.: Fig. 609. Inneres des Domes zu Passau.] ¶
Schreiner und Tischler gingen die Baumeister hervor, welche natürlich im Kleinlichen befangen blieben und die gewohnten gewerblichen Formen einfach auf die Bauwerke übertrugen. Erst im 18. Jahrhundert erhob sich das deutsche Bauwesen wieder aus dem Banne des Handwerksmäßigen zur wirklichen Kunst.
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Katholischer Kirchenbau. Die deutsche Baukunst der Renaissancezeit hatte einen weltlichen, und zwar im Süden hauptsächlich bürgerlichen, im Norden mehr höfischen Charakter. Aus den gleichen Gründen, wie in Italien, treten in diesem Zeitraum auch auf deutschem Boden nun wieder die kirchlichen Bauten mehr in den Vordergrund. Abgesehen davon, daß alte Kirchen des Umbaues oder Ersatzes bedurften, führte auch die gesteigerte religiöse Stimmung zu Neubauten, welche dem neuen kirchlichen Geist entsprechen sollten. In dem durchwegs katholischen Italien konnte die kirchliche Kunst auch einheitlich sein, anders aber in Deutschland, wo zwei Bekenntnisse einander schroff gegenüberstanden.
Nicht nur der verschiedene Geist derselben, sondern auch die verschiedene Art der gottesdienstlichen Uebung mußte notwendigerweise auch auf die Bauweise zurückwirken. Bei den Katholiken ist die Messe und damit im Gotteshause der Altar die Hauptsache;
bei den Protestanten ist dies die Predigt, beziehungsweise die Kanzel;
dort soll der Gläubige sehen, hier nur hören. In den katholischen Kirchen konnten Kapellen mit Nebenaltären eingegliedert werden, da auch gleichzeitig mehrere Messen stattfinden können;
in den protestantischen ist nur ein, die ganze Menge fassender Raum zweckgemäß, weil nur eine Predigt möglich ist.
Der katholische Gottesdienst geht darauf hinaus, durch Einwirkung auf alle Sinne eine fromme Andachtsstimmung zu erzeugen;
der protestantische fordert innere Sammlung und Ruhe, um das Wort Gottes aufnehmen zu können;
dort ist daher alles sinnfällig wirksame, Schönheit und Pracht, zweckgemäß;
hier soll alles vermieden werden, was die Aufmerksamkeit ablenken könnte.
Gerade in der Zeit, in welcher der Kampf zwischen den beiden Bekenntnissen in schärfster Weise geführt wurde, war die katholische Kirche am meisten darauf bedacht, den Vorteil auszunutzen, der darin lag, daß sie auf allen Wegen auf die
^[Abb.: Fig. 610. Sitzungssaal in der Residenz zu Kempten.] ¶
Seelen wirken konnte; sie machte sich ebenso die bildenden Künste, wie die Musik dienstbar. Wenn die Betrachtung eines schönen Gemäldes zunächst auch nur «ästhetische» Empfindungen erregt, so können sie doch von der bloßen Erhebung der Seele - ganz abgesehen vom Gegenstande der Darstellung - zur «frommen Erbauung» hinüberleiten, und damit ist erreicht, worauf es der Kirche ankam: die «Stimmung». Es war dies ein weitaus leichteres und auch stärkeres Mittel, um die Herrschaft über die Seelen zu erlangen, als wenn man den Geist zum verständigen Erfassen des Wortes zwingen wollte. In der protestantischen Kirche kehrte man aber gerade im 16. und 17. Jahrhundert den gegensätzlichen Standpunkt um so schärfer hervor, damit ja jede Aehnlichkeit mit der katholischen vermieden werde, und manche Eiferer gingen in dieser Hinsicht bis zum Aeußersten, indem sie alles, was irgendwie schmuckhaft war, verwarfen.
Es ist daher begreiflich, daß die kirchliche Baukunst in dem katholischen Süden und Westen und in dem protestantischen Norden und Osten Deutschlands ein ganz verschiedenes Gepräge erhielt. Von wesentlicher Bedeutung für die süddeutsch-katholische Gruppe wurde aber der Umstand, daß nunmehr in allen Dingen der katholischen Kirche Rom weit straffer und einheitlicher die Herrschaft ausübte, als früher, und zwar durch Vermittlung des Jesuitenordens. Bei der Besprechung der italienischen Baukunst wurde dessen Bedeutung und Anteilnahme schon hervorgehoben, doch war beides hier von erheblich anderer Art als in Deutschland.
Der Einfluß zeigte sich vornehmlich nur in der Gleichmäßigkeit des Grundgedankens, für welchen der Orden eintrat; die innere Verwandtschaft der Bauten beruht darauf, daß sie alle die gleiche «Zweckbestimmung» - Erzeugung von Stimmung durch Sinnenreize - hatten; die Mittel dazu konnten innerhalb gewisser Grenzen immerhin verschieden sein. Die italienische Barockkunst vermochte daher auch ihre heimische, bodenständige Eigenart zu behalten, sie entwickelte sich aus dem Volksgeiste und entsprach der Auffassung desselben. Dieser Volksgeist und diese Auffassung waren eben nur in eine bestimmte Richtung gelenkt worden, ohne daß jedoch ein Bruch mit der Vergangenheit und den künstlerischen Ueberlieferungen notwendig geworden wäre. Die Barockkunst hatte sich allmählich und natürlich aus der Renaissance herausgebildet.
Anders verhielt es sich in Deutschland. Die neue Bauweise, welche der Jesuitenorden für zweckmäßig hielt, war nicht nur von katholischem, sondern auch von romanischem Geiste erfüllt und daher eine volksfremde. Die deutsche Renaissance war von weltlich heiterer Art gewesen, und aus ihr ließ sich die neue Richtung nicht entwickeln. Es mußte daher ein völliger Bruch mit der bisherigen Kunstweise erfolgen, und wir sehen daher auch anfänglich die Jesuiten nicht nur als Gegner der deutschen Renaissance, sondern auch der deutschen Kunst überhaupt auftreten, weil diese dem Zwecke nicht dienlich war. Die natürliche Fortentwicklung der letzteren wurde unterbrochen und fremde Grundzüge mußten aufgenommen werden. Erst allmählich gelang es, diese zu verarbeiten und den deutschen Kunstgeist wieder zu Einfluß zu bringen, aber die gewaltsame Unterbrechung der künstlerischen
^[Abb.: Fig. 611. Karlskirche in Wien.] ¶
Ueberlieferung hatte ihn schwer geschädigt. - Eine Bemerkung muß ich hier einschalten. Man spricht vielfach von einem «Jesuitenstil» und meint damit jene Richtung, welche sich durch Ueberladung mit Prunk kennzeichnet. Diese kam aber erst, wie bei Italien erwähnt wurde, nach Guarini-Pozzo im 18. Jahrhundert auf.
Damit hatte der Orden als solcher aber nichts zu thun. Sein bestimmender Einfluß fällt vielmehr in die Zeit vorher, von 1600-1680, und was in dieser geschaffen wurde, ist von der späteren Entartung noch frei. Die erwähnte Bezeichnung hätte also etwa nur in dem Sinne eine Berechtigung, in welchem die Franzosen z. B. von einem Stile Louis XV. sprechen: es ist die kirchliche Bauweise jener Zeit, in welcher die Jesuiten die katholische Welt geistig beherrschten und leiteten.
Da die weltlich-bürgerliche Art der deutschen Renaissance der römisch-kirchlichen Auffassung nicht entsprach, für letztere aber heimische Künstler erst erzogen werden mußten, so ergab sich naturgemäß, daß man Italiener berufen mußte. Die ersten Werke der neuen Richtung finden wir daher in einem geistlichen Fürstentum und in einem Lande, in welchem die Wiedereinbürgerung des Katholizismus am kräftigsten betrieben wurde, in Salzburg und Steiermark; hier wie dort sind sie von italienischen Meistern ausgeführt.
Salzburg. In Salzburg hatte schon Erzbischof Wolf Dietrich die Residenz (seit 1592) ganz im italienischen Palaststil aufführen lassen. Ihre Erscheinung unterscheidet sich wesentlich von jener anderer deutscher Fürstenschlösser der gleichen Zeit; der regelmäßige Grundplan, die Gliederung der Massen, die bedeutenden Abmessungen der Stockwerke, die anschließenden Bogengänge (die Dombögen), das alles ist in italienischem Geiste erfunden.
Umsomehr war dies natürlich der Fall bei dem Dome (erbaut 1614-1634), da ja Scamozzi den Plan desselben entworfen und dessen Schüler Santino Solari die Ausführung übernommen hatte. Wie ich bereits erwähnt habe, war der venezianische Meister für eine
^[Abb.: Fig. 612. Palast der k. u. k. ungarischen Garde.
Wien.] ¶
mehr der strengen Einfachheit der Antike entsprechende Formenbildung eingetreten. Diese schlichte und klare auf Raumwirkung und feierliche Würde abzielende Art zeigt auch der Salzburger Dom. Der Grundriß weist romanische Anklänge auf: ein lateinisches Kreuz mit vollkommen quadratischer Vierung, über welche sich die achtseitige Kuppel erhebt;
der Chor und die Kreuzarme sind halbrund abgeschlossen, das an die Vierung anschließende Langhaus hat die doppelte Länge seiner Breite, seine Wandflächen sind durch paarweise angebrachte Wandpfeiler gegliedert (Fig. 604), die niederen Seitenschiffe sind je in vier Abschnitte geteilt, das Tonnengewölbe wird durch glatte Gurte gegliedert.
Die Verzierung der Gewölbe durch Stuck und Bemalung ist reich, aber nicht aufdringlich, das Hauptlicht fällt unter der Kuppel ein, Anlage wie Einzelheiten zeugen von feinem und sicherem Formgefühl und mit Recht zählt der Dom zu den bedeutsamsten Werken Deutschlands.
Steiermark. Böhmen. Zu gleicher Zeit entstand zu Graz in dem Mausoleum Ferdinands II. ein Bau von bemerkenswerter Eigenart, die man als wirklich «barock» bezeichnen kann. Mangel an Raum - der Bau ist zwischen der Hauptkirche und Häusern eingekeilt - bedingte schon die Besonderheit der Anlage. Der Grundriß ist ein einfaches lateinisches Kreuz, über dessen Vierung sich eine Kuppel erhebt, neben welche aber noch ein Rundturm für die Wendeltreppe hinter dem Chore gestellt ist, auf der einen Seite schließt sich an den Querarm noch eine ovale Seitenkapelle mit Kuppeldach an. Die Stirnseite wird in vier Pfeiler von jonischer Ordnung gegliedert, zwischen welchen Nischen sich befinden, über der Attika bauen sich zwei ineinander geschachtelte Giebel auf. Die Formen sind wuchtig, aber es herrscht Bewegung in dem Ganzen, welches höchst eindrucksvoll wirkt. Den Bau leitete der Maler Giovanni Pietro de Pomis, ein Schüler Tintorettos; der malerische Zug in dem Werke ist daher erklärlich.
Unter dem Einflüsse der aufkommenden italienischen Richtung vollzog sich in Graz eine merkwürdige Umbildung der heimischen Renaissance-Bauweise, welche dort kräftig sich
^[Abb.: Fig. 613. Lustschloß Belvedere.
Wien.] ¶
entwickelt und, wie z. B. im Landhause, gefällige und schöne Werke geschaffen hatte. Es entstand ein eigenartiger Mischstil, indem man italienische Formen ziemlich frei verwertete, sonst aber mit voller Unbefangenheit den eigenen Einfällen folgte.
Die italienische Kunstweise fand auch in Prag Eingang und zwar durch Wallenstein, der für seinen Palast (erbaut 1623-27) ebenfalls italienische Meister berufen hatte. Die Gartenhalle und der große Hauptsaal desselben zählen zu den besten Schöpfungen jener Zeit.
Jesuitenkirchen. Die vorgenannten Bauten wurden von Italienern ausgeführt, und es mußte daher bei diesen selbstverständlich die eigene Schulung der Künstler zum Ausdruck kommen. Die von den Persönlichkeiten unabhängige Einbürgerung der Kunstrichtung und Auffassung erfolgte jedoch bei den Jesuitenkirchen, das heißt: bei diesen tritt der Orden selbst bestimmend für die Durchführung der Bauten auf, dessen Anschauungen, nicht jene der ausführenden Meister, maßgebend sind. Es werden nicht nur Italiener, sondern auch Deutsche und Niederländer dabei beschäftigt, und damit hebt die vorerwähnte «Erziehung» oder Umbildung der deutschen Kunstweise an. - Zwei Hauptwerke kommen in dieser Hinsicht in Betracht.
Die Michaeliskirche in München und die Jesuitenkirche in Innsbruck, welche beide selbständige, von den italienischen Schulen unabhängige, wohl aber in römisch-kirchlichem Geiste gehaltene Schöpfungen darstellen und nur in Einzelheiten italienische Formen aufweisen. Der Grundriß hat bei beiden Kirchen einige Verwandtschaft mit jenen von del Gesu in Rom, jedoch nur in den Hauptzügen: daß auf die Gestaltung des Langhauses das meiste Gewicht gelegt wird und die Querarme zurücktreten.
Das gewaltige Tonnengewölbe der St. Michaeliskirche und deren eindrucksvolle Stirnseite verdienen besondere Beachtung, während die Innsbrucker Kirche sich durch die Fülle des reizenden, noch maßvoll behandelten Zierwerkes im Innern auszeichnet. Beide Bauten ergänzen sich in dieser Hinsicht gegenseitig, bei dem einen treten die großartige Raumentwicklung und die bedeutenden Maßverhältnisse, bei dem andern der malerische Grundzug hervor. Sie können als die eigentlichen Vertreter des «Jesuiten-Stiles» in dem vorhin gekennzeichneten Sinne gelten und wurden in der That auch vorbildlich für eine Reihe anderer Jesuitenkirchen (Fig. 605 u. 606).
Bei einer weiteren Gruppe von Ordenskirchen, welche hauptsächlich in den Rheinlanden vertreten ist, sehen wir die neue Richtung in anderer Art zur Geltung kommen, und zwar in Umgestaltung gotischer und romanischer Bauten. Es wurden nämlich dem Orden vielfach ältere Kirchen übergeben, die nun mehr oder minder einem Umbau unterzogen wurden. Man behielt die Grundanlage und, so weit als es anging, bestehende Hauptteile bei und beschränkte sich darauf, das Innere sowie die Stirnseite neuzugestalten. Es werden dabei gotische Formen mit den neuen einfach verkleidet und namentlich im Zierwerk tritt diese eigentümliche Mischung zu Tage. Bezeichnend für diese Gattung ist die Jesuitenkirche zu Köln, deren Stirnseite noch das große gotische Fenster mit Maßwerk besitzt, während die Strebepfeiler durch solche in Renaissanceform ersetzt sind, ebenso auch der Giebel umgeformt und wuchtige viereckige Türme mit Laternen die Seiten einfassen.
Eine ähnliche Umbildung ursprünglich gotischer Bauten finden wir in Bonn und in der Pfarrkirche am Hof zu Wien.
^[Abb.: Fig. 614. Bürgerhaus in Innsbruck.] ¶